Beschluß des VG Kassel: 2 G 99/06 vom 06.02.2006 zum Einstweiligem Rechtsschutz zur Ablehnung der Anerkennung eines tschechischem Führerscheines

bei uns veröffentlicht am30.03.2007

Rechtsgebiete

Autoren

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, Straßenverkehrsrecht, Europarecht - BSP Bierbach, Streifler & Partner PartGmbB


Leitsatz
 1. Die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens, in dem die Entziehung einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis angefochten wird, die mit Umständen begründet wird, die vor dem Erwerb der Fahrerlaubnis liegen, ist im Rahmen der summarischen Prüfung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes offen.

(amtlicher Leitsatz)
 
Leitsatz:

Die Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens, in dem die Entziehung einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis angefochten wird, die mit Umständen begründet wird, die vor dem Erwerb der Fahrerlaubnis liegen, ist im Rahmen der summarischen Prüfung des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes offen.

Gründe:

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Ag. vom 11.01.2006 wiederherzustellen, ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgenden summarischen Prüfung ist der Ausgang des Widerspruchsverfahrens und eines sich ggf. anschließenden verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens nämlich offen, weshalb es auf eine Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen ankommt. Diese Interessenabwägung geht zu Lasten des Ast. aus. Im Einzelnen: Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des auf § 3 I StVG, §§ 11 III und 8, 46 I und 3 FeV gestützten Bescheids vom 11.01.2006, mit dem dem Ast. die Fahrerlaubnis entzogen worden ist mit der Folge, dass der Ast. von seiner tschechischen Fahrerlaubnis vom 29.06.2005 in der Bundesrepublik Deutschland keinen Gebrauch machen darf (§ 3 I S. 2 StVG), ist, dass der Ag. den Ast. mit Schreiben vom 02.11.2005 zu Recht aufgefordert hatte, ein Fahreignungsgutachten einer medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle beizubringen. Zur Begründung der Anordnung bezieht sich der Ag. auf die Trunkenheitsfahrt des Ast. am 11.07.2002, deretwegen er vom AG B-Stadt mit Strafbefehl vom 30.09.2002 wegen Trunkenheit im Verkehr bei einer zum Entnahmezeitpunkt festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,65 Promille zu einer Geldstrafe verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 9 Monaten ausgesprochen worden ist, und auf eine Fahrt mit einem Kraftfahrzeug am 28.11.2004, ohne dass der Ast. im Besitz einer Fahrerlaubnis gewesen ist und deretwegen er vom AG B-Stadt am 23.09.2005 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot von 3 Monaten ausgesprochen worden ist. Der Ag. stützt seine Anordnung zum einen auf § 13 II c FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachten anordnet, wenn der Fahrerlaubnisinhaber ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt hat, und zum andern auf § 11 III Nr. 4 FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines solchen Gutachtens bei Straftaten anordnen kann, die im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen. Zumindest die Voraussetzungen für eine - nicht im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde stehende - Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 II d FeV liegen im Hinblick auf den rechtskräftigen Strafbefehl des AG B-Stadt vom 30.09.2002 wegen der Trunkenheitsfahrt des Ast. vor. Da aber dieser Strafbefehl, wie auch die der Verurteilung vom 23.09.2004 zugrunde liegenden Tat vor der Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis am 29.05.2005 liegen, ist fraglich, ob sie von dem Ag. noch für Maßnahmen zur Klärung von Fahreignungszweifeln herangezogen werden können oder ob ein solches Vorgehen gegen den mit § 28 I FeV in das deutsche Recht umgesetzten Art. 1 II der Richtlinie 91/439 EWG des Rates (ABl EG Nr. L 237, 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26 EG des Rates vom 02.06.1997 (ABl Nr. L 150, 41) verstößt, wonach die von den Mitgliedsstaaten der EU ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Zwar sieht § 22 IV Nr. 4 FeV unter anderem dann eine Einschränkung der grundsätzlichen Anerkennung von Fahrerlaubnissen anderer Mitgliedsländer vor, wenn die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht entzogen worden ist. Ob diese Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht auch im Hinblick auf die Einschränkungen in Art. 8 II und 4 der Führerscheinrichtlinie in der Form vereinbar ist, die es durch die Rechtsprechung des EuGH und dabei insbesondere durch das Urteil vom 29.04.2004 (- C 476/01 -, NJW 2004, 1725) gefunden hat, ist - jedenfalls für den Fall der vorhergehenden Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Fahrens unter Alkohol oder Betäubungsmitteleinfluss im Hinblick auf die fortwirkenden Gefährdungen - streitig (verneinend VG Kassel, Beschluss vom 18.10.2005 - 2 G 1404/05 -; VG Frankfurt, Beschluss vom 01.09.2005 - 6 G 2273/05 -; OVG Koblenz, Beschluss vom 15.08.2005 - 7 B 11021/05, DöV 2005, 1009; a.A. VG Gießen, Beschluss vom 10.10.2005 - 6 G 1453/05 -, juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.10.2005 - 12 ME 288/05 -, DAR 2005, 704; zweifelnd HessVGH, Beschluss vom 20.12.2005 - TG 2788/05 -; OVG Münster, Beschluss vom 04.11.2005 - 16 B 736/05 -, DAR 2006, 43; VGH Mannheim, Beschluss vom 19.09.2005 - 10 S 1194/05 -, DAR 2006, 33; vgl. auch den Vorlagebeschluss des VG München, Beschluss vom 04.05.2005 - M 6a K 04.1 -, NVZ 2005, 552). Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die summarische Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes weder eine offensichtliche Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides noch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit dieses Bescheides ergibt mit der Folge, dass der Ausgang des Widerspruchsverfahrens und eines sich ggf. anschließenden verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens offen ist. Die danach erforderliche Abwägung des öffentlichen Interesses an der Sicherheit des Straßenverkehrs auf der einen Seite und des Ast. auf der anderen Seite, vorläufig als Inhaber seiner tschechischen Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland führen zu dürfen, ergibt bei Konstellationen wie der vorliegenden, in der gewichtige Eignungsbedenken nicht ausgeräumt sind, ein Überwiegen des Interesses der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und des Schutzes von Gesundheit und Leben der Straßenverkehrsteilnehmer (so auch HessVGH, Beschluss vom 20.12.2005 - 2 TG 2788/05 -, OVG Münster, Beschluss vom 04.11.2005 -, a.a.O -, VGH Mannheim, Beschluss vom 19.09.2005, a.a.O.). Dabei berücksichtigt das Gericht auch den für die Gefahrenprognose bedeutsamen Umstand, dass der Ast. auch das im Rahmen seines Antrags vom 10.01.2005 auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeforderte medizinisch-psychologische Gutachten, mit dessen Beibringung er sich einverstanden erklärt hatte, nicht vorgelegt hat. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 I VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 GKG. Dabei geht das Gericht vom Auffangstreitwert des § 52 II GKG aus, der, wie üblich, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes halbiert wird.
 

 

Gesetze

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5 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

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Referenzen

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.