Europarecht: Zugang geschädigter Dritter zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens

bei uns veröffentlicht am20.10.2011
Zusammenfassung des Autors
kartellrechtliche Bestimmungen der Union verbieten es nicht, dass Geschädigter Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält-EuGH vom 14.06.11-Az:C-360/09
Der EuGH hat mit dem Urteil vom 14.06.2011 (Az: C-360/09) folgendes entschieden:

Die kartellrechtlichen Bestimmungen der Union, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 101 und 102 AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln, sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten, dass eine durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union geschädigte und Schadensersatz fordernde Person Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält, die den Urheber dieses Verstoßes betreffen. Es ist jedoch Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts unter Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen dieser Zugang zu gewähren oder zu verweigern ist.

Die kartellrechtlichen Bestimmungen der Union, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 101 und 102 AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln, sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten, dass eine durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union geschädigte und Schadensersatz fordernde Person Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält, die den Urheber dieses Verstoßes betreffen. Es ist jedoch Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts unter Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen dieser Zugang zu gewähren oder zu verweigern ist.

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 und 12 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) und Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Pfleiderer AG (im Folgenden: Pfleiderer) und dem Bundeskartellamt bezüglich eines Antrags auf umfassende Einsicht in die Akten eines Bußgeldverfahrens wegen eines Kartells im Bereich Dekorpapier. Pfleiderer, die Kundin der mit den Geldbußen belegten Unternehmen ist, hat diesen Antrag auf Akteneinsicht gestellt, der sich auch auf Dokumente des Kronzeugenverfahrens bezieht, um eine zivilrechtliche Schadensersatzklage vorzubereiten.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Der erste Satz des ersten Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„Zur Schaffung eines Systems, das gewährleistet, dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht verfälscht wird, muss für eine wirksame und einheitliche Anwendung der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] in der Gemeinschaft gesorgt werden.“

Art. 11 („Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten“) der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt:

„(1) Die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten arbeiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft eng zusammen.

(2) Die Kommission übermittelt den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten eine Kopie der wichtigsten Schriftstücke, die sie zur Anwendung der Artikel 7, 8, 9, 10 und 29 Absatz 1 zusammengetragen hat. Die Kommission übermittelt der Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaates auf Ersuchen eine Kopie anderer bestehender Unterlagen, die für die Beurteilung des Falls erforderlich sind.

(3) Werden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten aufgrund von Artikel 81 [EG] oder Artikel 82 [EG] tätig, so unterrichten sie hierüber schriftlich die Kommission vor Beginn oder unverzüglich nach Einleitung der ersten förmlichen Ermittlungshandlung. Diese Unterrichtung kann auch den Wettbewerbsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden.

(4) Spätestens 30 Tage vor Erlass einer Entscheidung, mit der die Abstellung einer Zuwiderhandlung angeordnet wird, Verpflichtungszusagen angenommen werden oder der Rechtsvorteil einer Gruppenfreistellungsverordnung entzogen wird, unterrichten die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten die Kommission. Zu diesem Zweck übermitteln sie der Kommission eine zusammenfassende Darstellung des Falls, die in Aussicht genommene Entscheidung oder, soweit diese Unterlage noch nicht vorliegt, jede sonstige Unterlage, der die geplante Vorgehensweise zu entnehmen ist. Diese Informationen können auch den Wettbewerbsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden. Auf Ersuchen der Kommission stellt die handelnde Wettbewerbsbehörde der Kommission sonstige ihr vorliegende Unterlagen zur Verfügung, die für die Beurteilung des Falls erforderlich sind. Die der Kommission übermittelten Informationen können den Wettbewerbsbehörden der anderen Mitgliedstaaten zugänglich gemacht werden. Die einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden können zudem Informationen untereinander austauschen, die zur Beurteilung eines von ihnen nach Artikel 81 [EG] und 82 [EG] behandelten Falls erforderlich sind.

(5) Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten können die Kommission zu jedem Fall, in dem es um die Anwendung des Gemeinschaftsrechts geht, konsultieren.

…“

Der den Informationsaustausch regelnde Art. 12 der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„(1) Für die Zwecke der Anwendung der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] sind die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten befugt, einander tatsächliche oder rechtliche Umstände einschließlich vertraulicher Angaben mitzuteilen und diese Informationen als Beweismittel zu verwenden.

(2) Die ausgetauschten Informationen werden nur zum Zweck der Anwendung von Artikel 81 [EG] oder 82 [EG] sowie in Bezug auf den Untersuchungsgegenstand als Beweismittel verwendet, für den sie von der übermittelnden Behörde erhoben wurden. Wird das einzelstaatliche Wettbewerbsrecht jedoch im gleichen Fall und parallel zum gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht angewandt und führt es nicht zu anderen Ergebnissen, so können nach diesem Artikel ausgetauschte Informationen auch für die Anwendung des einzelstaatlichen Wettbewerbsrechts verwendet werden.

(3) Nach Absatz 1 ausgetauschte Informationen können nur als Beweismittel verwendet werden, um Sanktionen gegen natürliche Personen zu verhängen, wenn

–das Recht der übermittelnden Behörde ähnlich geartete Sanktionen in Bezug auf Verstöße gegen Artikel 81 [EG] oder 82 [EG] vorsieht oder, falls dies nicht der Fall ist, wenn

–die Informationen in einer Weise erhoben worden sind, die hinsichtlich der Wahrung der Verteidigungsrechte natürlicher Personen das gleiche Schutzniveau wie nach dem für die empfangende Behörde geltenden innerstaatlichen Recht gewährleistet. Jedoch dürfen in diesem Falle die ausgetauschten Informationen von der empfangenden Behörde nicht verwendet werden, um Haftstrafen zu verhängen.“

Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten bestimmen die für die Anwendung der Artikel 81 [EG] und 82 [EG] zuständige(n) Wettbewerbsbehörde(n) so, dass die Bestimmungen dieser Verordnung wirksam angewandt werden. Sie ergreifen vor dem 1. Mai 2004 die notwendigen Maßnahmen, um diesen Behörden die Befugnis zur Anwendung der genannten Artikel zu übertragen. Zu den bestimmten Behörden können auch Gerichte gehören.“

 Nationales Recht

In § 406e der Strafprozessordnung (StPO) heißt es:

„(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 genannten Fällen bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht.

(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint oder durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde.

(3) Auf Antrag können dem Rechtsanwalt, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen, die Akten mit Ausnahme der Beweisstücke in seine Geschäftsräume oder seine Wohnung mitgegeben werden. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

(4) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 kann gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 161a Abs. 3 Satz 2 bis 4 beantragt werden. … Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

(5) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 können dem Verletzten Auskünfte und Abschriften aus den Akten erteilt werden; …

…“

8§ 46 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) in der Fassung vom 19. Februar 1987, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 29. Juli 2009, bestimmt:

„(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

…“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

Am 21. Januar 2008 verhängte das Bundeskartellamt nach Art. 81 EG wegen Preis- und Kapazitätsstilllegungsabsprachen Geldbußen in Höhe von insgesamt 62 Mio. Euro gegen drei europäische Hersteller von Dekorpapieren und fünf natürliche Personen als persönlich Verantwortliche. Die betroffenen Unternehmen legten keine Rechtsmittel ein, so dass die Bußgeldbescheide rechtskräftig wurden.

Nach Abschluss dieses Verfahrens beantragte Pfleiderer am 26. Februar 2008 beim Bundeskartellamt, zur Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzklagen umfassend Einsicht in die das Bußgeldverfahren im Bereich Dekorpapier betreffenden Akten zu erhalten. Pfleiderer ist Abnehmer von Dekorpapieren, und zwar von Spezialpapieren zur Oberflächenbehandlung von Holzwerkstoffen, und gehört zu den drei weltweit führenden Herstellern von Holzwerkstoffen, Oberflächenveredelung und Laminatfußböden. Das Unternehmen gab an, in den letzten drei Jahren Waren im Wert von über 60 Mio. Euro von den mit Geldbußen belegten Dekorpapierherstellern bezogen zu haben.

Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 antwortete das Bundeskartellamt auf das Akteneinsichtsgesuch mit der Übermittlung der drei Bußgeldbescheide in anonymisierter Form und eines Verzeichnisses der bei der Durchsuchung festgestellten Beweismittel.

Pfleiderer beantragte daraufhin in einem zweiten Schreiben beim Bundeskartellamt ausdrücklich Akteneinsicht in sämtliche Unterlagen einschließlich der Bonusanträge, der freiwillig übermittelten Unterlagen der Kronzeugen und der sichergestellten Beweismittel. Am 14. Oktober 2008 wies das Bundeskartellamt diesen Antrag teilweise zurück und begrenzte die Akteneinsicht auf eine um Geschäftsgeheimnisse, interne Unterlagen und Unterlagen im Sinne von Rz. 22 der Bekanntmachung des Bundeskartellamts über die Bonusregelung bereinigte Fassung der Verfahrensakte; es gewährte auch keine Einsicht in die sichergestellten Beweismittel.

Pfleiderer stellte daraufhin beim Amtsgericht Bonn einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 Abs. 1 OWiG gegen diese teilweise ablehnende Entscheidung.

Das Amtsgericht Bonn erließ am 3. Februar 2009 einen Beschluss, mit dem es anordnete, dass das Bundeskartellamt Pfleiderer gemäß § 406e Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG Akteneinsicht durch ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt zu gewähren habe. Nach Ansicht des Amtsgerichts Bonn ist Pfleiderer „Verletzte“ im Sinne dieser Bestimmungen, da davon auszugehen sei, dass das Unternehmen wegen der Kartellabsprachen überhöhte Preise für die von den Kartellbeteiligten bezogenen Waren bezahlt habe. Außerdem habe Pfleiderer ein „berechtigtes Interesse“, da die Akteneinsicht der Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzklagen dienen solle.

Das Amtsgericht Bonn ordnete daher an, Einsicht in die Aktenbestandteile zu gewähren, die der Bonusantragsteller freiwillig der deutschen Wettbewerbsbehörde nach Rz. 22 der Bekanntmachung des Bundeskartellamts über die Bonusregelung zur Verfügung gestellt habe, sowie in die Asservate und Beweismittel. In Bezug auf Geschäftsgeheimnisse und interne Unterlagen, d. h. die Beratungsvermerke des Bundeskartellamts und die Korrespondenz im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes (European Competition Network, im Folgenden: ECN), wurde das Akteneinsichtsrecht begrenzt. Nach Ansicht des Amtsgerichts ist der Umfang dieses Rechts durch Abwägung zu bestimmen und beschränkt sich auf die zur Substantiierung des Schadensersatzanspruchs benötigten Aktenbestandteile.

Zum einen geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das Amtsgericht Bonn allerdings den Aufschub der Vollstreckung dieses Beschlusses angeordnet hat.

Zum anderen ist dem Vorabentscheidungsersuchen auch zu entnehmen, dass das Amtsgericht Bonn eine dem Beschluss vom 3. Februar 2009 entsprechende Entscheidung erlassen möchte. Das Gericht führt jedoch aus, dass dieser Entscheidung Bestimmungen des Unionsrechts entgegenstehen könnten, insbesondere Art. 10 Abs. 1 und 2 EG sowie die Art. 11 und 12 der Verordnung Nr. 1/2003, die eine enge Zusammenarbeit und einen gegenseitigen Austausch von Informationen zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten in den Verfahren zur Durchführung der Art. 81 EG und 82 EG vorsähen. Die Wirksamkeit und Funktionsfähigkeit dieser Bestimmungen, die für das ECN und den dezentralen Vollzug des Wettbewerbsrechts von grundlegender Bedeutung seien, könnten es erfordern, bei kartellrechtlichen Bußgeldverfahren Dritten die Akteneinsicht in Bonusanträge und von Kronzeugen freiwillig herausgegebene Unterlagen zu versagen.

Da das Amtsgericht Bonn eine Auslegung des Unionsrechts für erforderlich hält, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die kartellrechtlichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts – insbesondere die Art. 11 und 12 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie Art. 10 Abs. 2 EG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 Buchst. g EG – dahin gehend auszulegen, dass Geschädigte eines Kartells zur Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche keine Akteneinsicht in Bonusanträge und von Bonusantragstellern in diesem Zusammenhang freiwillig herausgegebene Informationen und Unterlagen erhalten dürfen, die eine mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörde nach Maßgabe eines nationalen Bonusprogramms im Rahmen eines (auch) auf die Durchsetzung von Art. 81 EG gerichteten Bußgeldverfahrens erhalten hat?

Zur Vorlagefrage

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Wettbewerbsbehörden und die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Art. 101 AEUV und 102 AEUV anzuwenden, wenn der Sachverhalt unter das Unionsrecht fällt, und ihre wirksame Anwendung im öffentlichen Interesse sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2010, VEBIC, C-439/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 56)

Es ist außerdem festzustellen, dass weder die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags noch die Verordnung Nr. 1/2003 eine gemeinsame Kronzeugenregelung oder gemeinsame Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens, die in Anwendung einer nationalen Kronzeugenregelung freiwillig einer nationalen Wettbewerbsbehörde übermittelt wurden, vorsehen.

Zu den Mitteilungen der Kommission – die Bekanntmachung über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden und die Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen– ist festzustellen, dass sie für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind. Darüber hinaus bezieht sich die zweite Mitteilung nur auf Kronzeugenprogramme, die von der Kommission selbst durchgeführt werden.

Im Rahmen des ECN war 2006 ein Kronzeugenregelungsmodell zur Vereinheitlichung bestimmter Aspekte nationaler Kornzeugenregelungen erarbeitet und angenommen worden. Auch dieses Regelungsmodell hat jedoch keine verbindliche Wirkung gegenüber den Gerichten der Mitgliedstaaten.

Daher ist es, auch wenn die Leitlinien der Kommission Auswirkungen auf die Praxis der nationalen Wettbewerbsbehörden haben können, in Ermangelung einer verbindlichen unionsrechtlichen Regelung in diesem Bereich Sache der Mitgliedstaaten, die nationalen Vorschriften über den Zugang von Kartellgeschädigten zu Dokumenten, die Kronzeugenverfahren betreffen, zu erlassen und anzuwenden.

Die Mitgliedstaaten müssen jedoch, auch wenn Erlass und Anwendung dieser Vorschriften in ihrer Zuständigkeit liegen, bei deren Ausübung das Unionsrecht beachten. Insbesondere dürfen sie die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren  und müssen, speziell im Bereich des Wettbewerbsrechts, dafür sorgen, dass die Vorschriften, die sie erlassen oder anwenden, die wirksame Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV nicht beeinträchtigen.

Kronzeugenprogramme sind jedoch wie die Kommission und die Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, ausgeführt haben, nützliche Instrumente, um Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht effizient aufzudecken und zu beenden, und dienen damit der wirksamen Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV.

Die Wirksamkeit dieser Programme könnte jedoch durch die Übermittlung von Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens an Personen, die eine Schadensersatzklage erheben wollen, beeinträchtigt werden, auch wenn die nationalen Wettbewerbsbehörden dem Kronzeugen die Geldbuße, die sie hätten verhängen können, ganz oder teilweise erlassen.

Es darf nämlich angenommen werden, dass sich ein an einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung Beteiligter dadurch, dass diese Dokumente übermittelt werden könnten, davon abhalten lässt, die mit einem solchen Kronzeugenprogramm verbundene Möglichkeit zu nutzen, insbesondere da die von ihm freiwillig vorgelegten Informationen nach Art. 11 und 12 der Verordnung Nr. 1/2003 zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden ausgetauscht werden können.

Gleichwohl entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch ein Verhalten entstanden ist, das den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann.

Ein solcher Schadensersatzanspruch erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union und ist geeignet, von – oft verschleierten – Vereinbarungen oder Verhaltensweisen abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können. Aus dieser Sicht können Schadensersatzklagen vor den nationalen Gerichten wesentlich zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Europäischen Union beitragen.

Bei der Prüfung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenprogramms, der von einer Person gestellt wird, die Schadensersatz von einer dieses Programm in Anspruch nehmenden Person fordert, ist darauf zu achten, dass die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften nicht weniger günstig als die für ähnliche innerstaatliche Rechtsbehelfe geltenden und nicht so ausgestaltet sind, dass sie die Erlangung eines Schadensersatzes praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, und zwischen den Interessen, die die Übermittlung der Informationen rechtfertigen, und dem Schutz dieser vom Kronzeugen freiwillig vorgelegten Informationen abzuwägen.

Eine solche Abwägung können die nationalen Gerichte im Rahmen des nationalen Rechts nur im Einzelfall und unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte der Rechtssache vornehmen.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die kartellrechtlichen Bestimmungen der Union, insbesondere die Verordnung Nr. 1/2003, dahin auszulegen sind, dass sie es nicht verbieten, dass eine durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union geschädigte und Schadensersatz fordernde Person Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält, die den Urheber dieses Verstoßes betreffen. Es ist jedoch Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts unter Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen dieser Zugang zu gewähren oder zu verweigern ist.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:


Die kartellrechtlichen Bestimmungen der Union, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 101 und 102 AEUV niedergelegten Wettbewerbsregeln, sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten, dass eine durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union geschädigte und Schadensersatz fordernde Person Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält, die den Urheber dieses Verstoßes betreffen. Es ist jedoch Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten, auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts unter Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen dieser Zugang zu gewähren oder zu verweigern ist.



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(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.

(1) Gegen Anordnungen, Verfügungen und sonstige Maßnahmen, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen werden, können der Betroffene und andere Personen, gegen die sich die Maßnahme richtet, gerichtliche Entscheidung beantragen. Dies gilt nicht für Maßnahmen, die nur zur Vorbereitung der Entscheidung, ob ein Bußgeldbescheid erlassen oder das Verfahren eingestellt wird, getroffen werden und keine selbständige Bedeutung haben.

(2) Über den Antrag entscheidet das nach § 68 zuständige Gericht. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309 und 311a der Strafprozeßordnung sowie die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Auferlegung der Kosten des Beschwerdeverfahrens gelten sinngemäß. Die Entscheidung des Gerichts ist nicht anfechtbar, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(1) Für den Verletzten kann ein Rechtsanwalt die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. In den in § 395 genannten Fällen bedarf es der Darlegung eines berechtigten Interesses nicht.

(2) Die Einsicht in die Akten ist zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Sie kann auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat.

(3) Der Verletzte, der nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, ist in entsprechender Anwendung der Absätze 1 und 2 befugt, die Akten einzusehen und amtlich verwahrte Beweisstücke unter Aufsicht zu besichtigen. Werden die Akten nicht elektronisch geführt, können ihm an Stelle der Einsichtnahme in die Akten Kopien aus den Akten übermittelt werden. § 480 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten auch für die in § 403 Satz 2 Genannten.

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im übrigen der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Gerichts. Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach Satz 1 kann gerichtliche Entscheidung durch das nach § 162 zuständige Gericht beantragt werden. Die §§ 297 bis 300, 302, 306 bis 309, 311a und 473a gelten entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ist unanfechtbar, solange die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Diese Entscheidungen werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte.

(1) Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes.

(2) Die Verfolgungsbehörde hat, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten.

(3) Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind unzulässig. § 160 Abs. 3 Satz 2 der Strafprozeßordnung über die Gerichtshilfe ist nicht anzuwenden. Ein Klageerzwingungsverfahren findet nicht statt. Die Vorschriften über die Beteiligung des Verletzten am Verfahren und über das länderübergreifende staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister sind nicht anzuwenden; dies gilt nicht für § 406e der Strafprozeßordnung.

(4) § 81a Abs. 1 Satz 2 der Strafprozeßordnung ist mit der Einschränkung anzuwenden, daß nur die Entnahme von Blutproben und andere geringfügige Eingriffe zulässig sind. Die Entnahme einer Blutprobe bedarf abweichend von § 81a Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung keiner richterlichen Anordnung, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Ordnungswidrigkeit begangen worden ist

1.
nach den §§ 24a und 24c des Straßenverkehrsgesetzes oder
2.
nach § 7 Absatz 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes in Verbindung mit einer Vorschrift einer auf Grund des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes erlassenen Rechtsverordnung, sofern diese Vorschrift das Verhalten im Verkehr im Sinne des § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Binnenschifffahrtsaufgabengesetzes regelt.
In einem Strafverfahren entnommene Blutproben und sonstige Körperzellen, deren Entnahme im Bußgeldverfahren nach Satz 1 zulässig gewesen wäre, dürfen verwendet werden. Die Verwendung von Blutproben und sonstigen Körperzellen zur Durchführung einer Untersuchung im Sinne des § 81e der Strafprozeßordnung ist unzulässig.

(4a) § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 der Strafprozessordnung, auch in Verbindung mit § 100j Absatz 2 der Strafprozessordnung, ist mit der Einschränkung anzuwenden, dass die Erhebung von Bestandsdaten nur zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zulässig ist, die gegenüber natürlichen Personen mit Geldbußen im Höchstmaß von mehr als fünfzehntausend Euro bedroht sind.

(5) Die Anordnung der Vorführung des Betroffenen und der Zeugen, die einer Ladung nicht nachkommen, bleibt dem Richter vorbehalten. Die Haft zur Erzwingung des Zeugnisses (§ 70 Abs. 2 der Strafprozessordnung) darf sechs Wochen nicht überschreiten.

(6) Im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kann von der Heranziehung der Jugendgerichtshilfe (§ 38 des Jugendgerichtsgesetzes) abgesehen werden, wenn ihre Mitwirkung für die sachgemäße Durchführung des Verfahrens entbehrlich ist.

(7) Im gerichtlichen Verfahren entscheiden beim Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen, beim Landgericht Kammern für Bußgeldsachen und beim Oberlandesgericht sowie beim Bundesgerichtshof Senate für Bußgeldsachen.

(8) Die Vorschriften zur Durchführung des § 191a Absatz 1 Satz 1 bis 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes im Bußgeldverfahren sind in der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes zu bestimmen.