Fahrerlaubnisrecht: EuGH: Erwerb der Fahrerlaubnis für Angehörige anderer Mitgliedstaaten

bei uns veröffentlicht am03.09.2009

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Der EuGH hat mit dem Urteil vom 28.11.1978 (Az.: Rs 16/78) folgendes entschieden:   
Es ist grundsätzlich mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn ein Mitgliedstaat von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten bei dauernder Niederlassung den Erwerb einer nationalen Fahrerlaubnis verlangt, selbst wenn sie eine Fahrerlaubnis ihres Herkunftslandes besitzen.

Ein derartiges Verlangen kann jedoch gegen Art. 48, 52, 59 EWGV verstoßen, wenn die Voraussetzungen für den Erwerb einer solchen Fahrerlaubnis vernünftigerweise nicht mit den Bedürfnissen der Sicherheit des Straßenverkehrs in Verbindung gebracht werden können.


Zum Sachverhalt:

Das AG Reutlingen hat dem Gerichtshof mit Beschluß vom 13. 2. 1978 gem. Art. 177 EWGV eine Frage insbesondere nach der Auslegung von Art. 48 EWGV im Zusammenhang mit der gegenseitigen Anerkennung der Fahrerlaubnisse für Kraftfahrzeuge zugunsten der Gemeinschaftsangehörigen vorgelegt. Diese Frage ist im Rahmen eines Strafverfahrens aufgeworfen worden, das gegen einen französischen Staatsangehörigen, der in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaft ist und dort als unselbständig Beschäftigter den Beruf eines Elektromechanikers ausübt, wegen Führens eines Fahrzeugs ohne eine nach deutschem Recht gültige Fahrerlaubnis eingeleitet wurde. Der Beschuldigte wies bei einer Polizeikontrolle anläßlich eines Verkehrsunfalls, in den er verwickelt worden war, eine von den französischen Behörden erteilte Fahrerlaubnis vor. Diese Erlaubnis wird von der deutschen Verwaltung nicht als gültig angesehen, denn nach den Bestimmungen des innerstaatlichen Straßenverkehrsrechts ist jeder Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis, der seit mehr als einem Jahr im Gebiet der Bundesrepublik wohnt, verpflichtet, eine deutsche Fahrerlaubnis zu erwerben. In diesem Zusammenhang bemerkt das vorlegende Gericht, der Erwerb einer neuen Fahrerlaubnis könne mit Sprachschwierigkeiten verbunden sein und den Betroffenen so unverhältnismäßig hohe Kosten verursachen, daß sich daraus eine gegen Art. 7 EWGV verstoßende. Diskriminierung der Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten und eine Beeinträchtigung der Ausübung des durch Art. 48 EWGV garantierten Freizügigkeitsrecht der Arbeitnehmer ergeben könnten.


Aus den Gründen:

... In ihren während des Verfahrens eingereichten Erklärungen hat die britische Regierung darauf hingewiesen, daß es keine gemeinschaftliche Bestimmung gebe, die sich speziell mit der Erteilung von Fahrerlaubnissen befasse. Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß die Kommission in einem am 5. 12. 1975 dem Rat unterbreiteten Vorschlag einer Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften betreffend die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen (ABlEG 1976 C 8, S. 2) als Rechtsgrundlage für die vorgeschlagenen Maßnahmen Art. 75 I lit. c EWGV angegeben hat, der die Durchführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik betrifft. Dieser Artikel, der den Rat ermächtigt, "alle zweckdienlichen Vorschriften" auf dem Gebiet des Verkehrs zu erlassen, könnte nur über Durchführungsmaßnahmen des Rates, die dieser im gegenwärtigen Stadium noch nicht getroffen hat, einen Anhalt für die Lösung des Rechtsstreits geben. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß die innerstaatlichen Bestimmungen über die Erteilung und die gegenseitige Anerkennung der Fahrerlaubnisse durch die Mitgliedstaaten sowohl unmittelbar als auch mittelbaren Einfluß auf die Ausübung der Rechte haben, welche die Vertragsvorschriften hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassung und - vorbehaltlich der Verweisung in Art. 61 I EWGV – sämtlicher Dienstleistungen gewährleisten. Im Hinblick auf die Bedeutung der Individualverkehrsmittel kann nämlich der Besitz einer ordnungsgemäß vom Aufnahmeland anerkannten Fahrerlaubnis für die tatsächliche Ausübung einer großen Anzahl von unselbständigen und selbständigen Erwerbstätigkeiten durch die unter das Gemeinschaftsrecht fallenden Personen von Belang sein. Es zeigt sich somit, daß selbst bei Fehlen spezieller Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts das AG seine Frage zutreffend gestellt hat, wenn es den Gerichtshof ersucht, sich dazu zu äußern, welche Auswirkungen die Voraussetzungen der Erteilung oder der Anerkennung der Fahrerlaubnis möglicherweise für die durch den Vertrag gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der die Niederlassungsfreiheit und der freie Dienstleistungsverkehr hinzuzufügen sind, haben.

Die Regelung der Erteilung von Fahrerlaubnissen einschließlich der Festlegung derjenigen Voraussetzungen, unter denen eine ausländische Fahrerlaubnis anerkannt oder gegen eine nationale Fahrerlaubnis ausgetauscht werden kann, fällt in erster Linie in den Verantwortungsbereich, der den Mitgliedstaaten in ihrem eigenen Hoheitsgebiet bezüglich der Verkehrssicherheit auf den öffentlichen Wegen zusteht. Eine vergleichende Untersuchung der innerstaatlichen Verhältnisse auf diesem Gebiet macht deutlich, daß die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Erteilung der Fahrerlaubnis derartige Unterschiede - insbesondere hinsichtlich der Prüfungsmodalitäten, des Zeitabstands der ärztlichen Untersuchungen, der Gültigkeitsdauer der Fahrerlaubnis und der Bestimmung der verschiedenen Fahrzeugklassen - aufweisen, daß die schlichte Anerkennung der Fahrerlaubnis zugunsten der Personen, die sich auf Dauer im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen niederlassen wollen, der ihnen eine Fahrerlaubnis erteilt hat, nicht ohne ein ausreichendes Maß an Harmonisierung der Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis in Betracht gezogen werden kann. Sonach können die Anforderungen, die ein Mitgliedstaat im Hinblick auf die Anerkennung der von anderen Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnisse an die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Personen stellt, nicht für sich allein als Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und die Liberalisierung der Dienstleistungen angesehen werden. Man kann daher die Kontrolle, die den Mitgliedstaaten die Gewähr dafür geben sollen, daß jeder in ihrem Hoheitsgebiet ansässige Inhaber einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis denjenigen Anforderungen genügt, die nach dem einschlägigen Recht an die eigenen Staatsangehörigen gestellt werden, grundsätzlich nicht als ein Erfordernis betrachten, das mit den Vertragsnormen unvereinbar ist. Derartige Rechtsvorschriften könnten nur dann als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen werden, wenn ihre Anwendung in einem Mitgliedstaat zu Lasten derjenigen, die eine Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat erworben haben, zu einer solchen Behinderung führen würde, daß sie diese Personen in der uneingeschränkten Ausübung der ihnen durch die Art. 48, 52 und 59 EWGV in bezug auf die Freizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr gewährleisteten Rechte tatsächlich beeinträchtigen würde. Dies könnte unter Umständen dann der Fall sein, wenn eine Prüfung verlangt würde, mit der offensichtlich eine in einem anderen Mitgliedstaat abgelegte Prüfung für die Fahrzeugklassen, die der Betreffende führen möchte, nur unnötig wiederholt würde; auch könnte dies gelten bei sprachlichen Hindernissen, die sich aus den Modalitäten etwaiger Kontrollen ergeben, oder wenn für die Erfüllung der vorgeschriebenen Formalitäten übermäßige finanzielle Belastungen auferlegt würden. Derartige, der Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis entgegenstehende Hemmnisse können nämlich vernünftigerweise nicht mit den Bedürfnissen der Verkehrssicherheit auf den öffentlichen Wegen in Verbindung gebracht werden.
 
Demnach ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß es grundsätzlich nicht unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht ist, daß ein Mitgliedstaat von den Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten bei dauernder Niederlassung in seinem Hoheitsgebiet für das Führen von Kraftfahrzeugen den Erwerb einer nationalen Fahrerlaubnis verlangt.


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