Wirtschaftsstrafrecht: Kursmanipulation durch Investment

bei uns veröffentlicht am17.09.2010

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Wer ein Investment vortäuscht, um dabei erlangte Aktien nach auf Grund Bekann
Das LG Berlin hat mit dem Beschluss vom 08.03.2005 (Az: 505-11/04) folgendes entschieden:

Die Strafvorschrift des Kursbetrugs ist auch in den Neufassungen durch das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz und das Anlegerschutzverbesserungsgesetz kein Schutzgesetz.

Ein eröffnetes Insolvenzverfahren steht strafprozessualen vermögenssichernden Maßnahmen dann nicht entgegen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Beschuldigte und Schuldner dem Insolvenzverwalter bestimmte Vermögensgegenstände vorenthalten hat.

Durch Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe von 4.024.652 Euro wird die Vollziehung des Arrestes gehemmt und der Schuldner berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arrestes zu beantragen.


Gründe:


Die Anordnung des dinglichen Arrestes dient der Sicherung des staatlichen Anspruchs auf Verfall von Wertersatz (§§ 73 I Satz 1, 73 a Satz 1 StGB, §§ 111 b II, 111 d I Satz 1, II, 111 e I StPO, §§ 917 I, 923 ZPO).

Der Schuldner ist angeklagt und dringend verdächtig, am 03. 2. 2001 einen Kursbetrug in folgender Weise begangen zu haben:

Die „L. N.V.“ (im Folgenden: L.), eine Aktiengesellschaft nach niederländischem Recht mit Sitz in Amsterdam, deren Aktien am Neuen Markt in Frankfurt am Main und im Freiverkehr an den Börsen Berlin, Bremen, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart notiert waren, stand am Ende des Jahres 2000 vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Das AG Amsterdam hatte ein Moratorium erlassen und einen Verwalter bestellt. Am 17. 1. 2001 beantragte der Verwalter den Anschlusskonkurs. Nachdem dies durch eine ad-hoc-Mitteilung bekannt gegeben wurde, fiel der Aktienkurs von 0,46 Euro auf 0,27 Euro. In dieser Situation trat der Angeklagte auf und nahm Kontakt zum Vorstand der L. auf. Er gab vor, der Beauftragte einer 12 Mitglieder umfassenden Londoner Investorengruppe mit Namen „SSII S. S. International Investment“ zu sein, die in die L. 30 Mio. Euro in drei Tranchen gegen Ausgabe von 70 Mio. Aktien investieren wolle. In Anbetracht der drohenden Insolvenz war der Vorstand der L. nicht willens, den plötzlich aufgetretenen Investor kritisch zu hinterfragen oder gar Erkundigungen über seine Hinterleute, seine finanziellen Mittel oder die Struktur der von ihm vertretenen Gesellschaften einzuholen. Der Angeklagte hatte sich ausbedungen, die erste Tranche der Aktien sogleich zu erhalten und erst danach zu bezahlen. Am 03. 2. 2001 kam es dementsprechend zum Abschluss eines Investment Agreement zwischen der S. Verwaltungs GmbH Berlin, vertreten durch den Angeklagten, und der L. über die Zahlung von 30 Mio. Euro in drei Tranchen gegen 70 Mio. Aktien. In dem Vertrag hatte sich der Angeklagte vorbehalten, die Rechte und Pflichten der S. Verwaltungs GmbH Berlin (aus angeblich steuerlichen Gründen) auf eine englische Gesellschaft zu übertragen. Am 19. 2. 2001 geschah dies durch ein Transfer Agreement zwischen der S. Verwaltungs GmbH und der erst am 16. 2. 2001 in London registrierten S. S. lnternational Investment Ltd. (im Folgenden: SSII Ltd.).

Tatsächlich gab es eine hinter D. stehende Investorengruppe nicht. Die Berliner S. GmbH hat ein eingezahltes Stammkapital in Höhe von 50.000 DM, Geschäftsführer war der Angeklagte und Anteilseigner eine weitere zu seinem Firmenverbund gehörende, von seiner Ehefrau vertretene GmbH. Die SSII Ltd. in London hatte ein Stammkapital von 1.000 Pfund, wovon 20 Pfund einbezahlt waren. Der registrierte Geschäftsführer xxxxx W. xxxxx war ein Strohmann des Angeklagten. Der Angeklagte bzw. die von ihm vertretenen Gesellschaften verfügten über keinerlei finanzielle Möglichkeiten, ihre vertraglichen Verpflichtungen aus vorhandenen Mitteln zu erfüllen. Der Angeklagte war auch nicht willens, die zweite und dritte Tranche jemals zu bezahlen/Vielmehr hatte er die Absicht, die Aktien nach Erhalt unverzüglich wieder zu verkaufen unter Ausnutzung des tatplangemäß auf Grund der Bekanntgabe des Investments gestiegenen Aktienkurses und mit dem Verkaufserlös die Zahlungsverpflichtung aus der ersten Tranche nach und nach zu erfüllen.

Am 05. 2. 2001 gab die L. einer ad-hoc-Mitteilung bekannt, dass sie Investitionszusagen über 52 Mio. Euro erhalten hatte; neben der Zusage des Angeklagten als Vertreter von SSII gab es noch mehrere kleinere Investoren. Aufgrund dieser ad-hoc-Mitteilung stieg der Kurs der Aktien - wie vom Angeklagten beabsichtigt - an, nämlich von 0,52 Euro auf 0,82 Euro, somit um rund 58 %. Am 26. 3. 2001 wurden dem Angeklagten von L. 9.146.937 Aktien ausgehändigt, zu diesem Zeitpunkt lag der Kurs bei 0,62 Euro. Sicherheiten oder ein Finanzierungsnachweis wurden von L. nicht verlangt Mit der Übergabe der Aktien wurden 3,91 Mio. Euro fällig. Der Angeklagte bzw. die von ihm vertretene SSII Ltd. zahlte jedoch nicht sofort. Vielmehr begann der Angeklagte am 30. 3. 2001, die Aktien über eine Schweizer Bank zu verkaufen. Zwischen dem 30. 3. 2001 und dem 29. 6. 2001 verkaufte er mindestens knapp 80 % der Aktien. Der Verkauf der Aktien war nach dem Investment Agreement nicht verboten. Die seit dem 26. 3. 2001 fälligen 3,91 Mio. Euro zahlte der Angeklagte jedoch nur schleppend: Bis 30. 4. 2001 hat er 950.000 Euro gezahlt, bis 17. 5. 2001 insgesamt 2,9 Mio. Euro.

Inzwischen hatte es Streit zwischen dem Angeklagten und dem Vorstand von L. wegen der Bedingungen des Investment Agreement gegeben. Es kam zu Nachverhandlungen, die Mitte Mai 2001 zunächst abgeschlossen wurden. Im Juni 2001 gab es jedoch erneute Streitpunkte. Um die notwendige Kapitalerhöhung durchzuführen und die für die zweite und dritte Tranche notwendigen Aktien ausgeben zu können, musste L. bis zum 29. 6. 2001, 12.00 Uhr, einen Börsenprospekt vorlegen. Bei den Nachverhandlungen konnte - wie vom Angeklagten vorhergesehen - keine Einigung erzielt werden, die ein Einhalten der börsenrechtlichen Bedingungen für die Kapitalerhöhung ermöglicht hätte. Am 29. 6. 2001 scheiterten die Nachverhandlungen zwischen L. und dem Angeklagten endgültig. Sein weiteres Investment war damit - wie von ihm geplant - gescheitert. Von 14.45 Uhr bis 15.45 Uhr wurde der Handel mit L.-Aktien ausgesetzt. In einer ad-hoc-Mitteilung wurde das Scheitern der Nachverhandlungen bekannt gegeben. Bei Wiederaufnahme des Handels fiel der Kurs der Aktie von 0,30 Euro auf 0,23 Euro, also um 23 %. Von den aus der ersten Tranche fälligen 3,91 Mio. Euro hatte der Angeklagte bzw. die SSII Ltd. 3.226.588 Euro gezahlt, 683.412 Euro blieben offen.

Am. 13. 7. 2001 erhob die L. Klage gegen die SSII Ltd. in Amsterdam. Durch Urteil vom 16. 8. 2001 wurde die SSII Ltd. verurteilt, an die insgesamt 14,5 Mio. Euro zu zahlen, zum einen eine endgültige Zahlung von 7,5 Mio. Euro, davon 6,8 Mio. Euro Schadenersatz, zum anderen ein Überbrückungsdarlehen in Höhe von 7 Mio. Euro. Die von L. in der Folge gegen die SSII Ltd. in London durchgeführten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erwiesen sich als fruchtlos, Vermögensgegenstände konnten von der englischen Insolvenzverwalterin nicht festgestellt werden.

Der dringende Tatverdacht folgt aus dem Akteninhalt sowie aus der von der Kammer gem. 202 StPO durchgeführten Vernehmung der Zeugin H., der damaligen Justiziarin der L. Dass der Angeklagte keine Hinterleute hatte und die SSII Ltd. in London nur eine vermögenslose Briefkastenfirma war, ergibt sich insbesondere aus der Zusammenschau folgender Indizien: Zunächst steht die Höhe des Stammkapitals in einem groben Missverhältnis zum Geschäftszweck, insbesondere dem tatsächlich getätigten Investment Agreement. Die Gesellschaft hat in London nur ein kleines Büro mit Telefonanschluss in einem Bürohaus ohne Angestellte. Die Aktien waren an einen Schweizer Anwalt auszuliefern. Das Depot der Schweizer Bank - lautete zwar auf den Namen der SSII Ltd. in London, jedoch war dort der Angeklagte als wirtschaftlich Berechtigter eingetragen. Die Internet-Seite der SSIl Ltd. wurde vom Angeklagten von Deutschland aus eingerichtet unter Angabe einer seiner Berliner Firmen.

Indem der Angeklagte das Investment Agreement vom 03. 2. 2001 geschlossen hat in der Absicht, die zweite und dritte Tranche nie und die erste Tranche nicht aus vorhandenen Mitteln zu zahlen, mit dem Wissen, dass seine Investition von der L. bekannt gemacht werden musste, und milder Absicht, dass der Kurs der Aktie auf Grund der Bekanntgabe des Investments steigt, da die Anleger im Kapitalmarkt auf die Richtigkeit des bekannt gegebenen Investments vertrauen würden, hat er zur Einwirkung auf den Börsenpreis von Wertpapieren sonstige auf Täuschung berechnete Mittel angewendet und sich somit wegen Kursbetruges (§ 88 Nr. 2 Börsengesetz in der bis zum 30. 6. 2002 geltenden Fassung, §§ 20 a I Satz 1 Nr. 2 i.V. mit § 38 I Nr. 4 i.V. mit § 39 I Nr. 2 WpHG in der vom 01. 7. 2002 bis zum 29. 10. 2004 geltenden Fassung bzw. (§ 2 III StGB) § 20 a I Satz 1 Nr. 3 i.V. mit § 38 II i.V. mit § 39 I Nr. 2 WpHG in der seit dem 30. 10. 2004 geltenden Fassung) strafbar gemacht.

Gemäß § 73 I Satz 1 i.V. mit § 73 a Satz 1 StGB wird voraussichtlich auf Verfall des Wertersatzes mindestens in Höhe von 4.024.652 Euro zu erkennen sein. Durch die Tat, nämlich den Abschluss des Investment Agreement, hat der Angeklagte einen Anspruch auf Übereignung von 70 Mio. Aktien erlangt, 9.146.937 Aktien sind ihm tatsächlich ausgehändigt worden. Der Anspruch auf Übereignung ist hinsichtlich der ersten Tranche durch die tatsächliche Übertragung erloschen und kann daher nicht mehr für verfallen erklärt werden. Es wird daher Verfall von Wertersatz anzuordnen sein.

Dabei ist der Kurs zum Zeitpunkt des Abschlusses des Investment Agreement (0,44 Euro) zugrunde zu legen. Nicht erheblich ist der im Rahmen des Investment Agreement vereinbarte Kurs von 0,4275 Euro, der zu einem Betrag von 3.910.000 Euro führen würde. Denn der Wert des Erlangten i.S. von § 73 a StGB ist der Marktwert und nicht der in einem Vertrag festgesetzte Wert. Unerheblich ist ebenfalls, dass der Angeklagte die Aktien auf Grund des sich weiter wandelnden Kurses teilweise mit Gewinn und teilweise mit Verlust - der Kurs schwankte zwischen dem 30. 3. 2001 und dem 29. 6. 2001 zwischen 0,38 Euro und 0,62 Euro - verkaufte“. Ein etwaiger Verlust wäre allenfalls gem. § 73 c StGB zu berücksichtigen (hierzu unten).

Fraglich könnte allenfalls sein, ob statt des Kusses von 0,44 Euro zum Zeitpunkt des Abschlusses des Investments Agreements der Kurs von 0,62 Euro zum Zeitpunkt der Übereignung der Aktien maßgeblich ist mit der Folge, dass der zutreffende Betrag 5.671.101 Euro wäre. Da die Tathandlung im Abschluss des Investment Agreement gesehen wird, neigt die Kammer dazu, den Kurs zum Zeitpunkt der Tathandlung für maßgeblich zu halten. Dies kann jedoch an dieser Stelle dahingestellt bleiben, da die Annahme des niedrigeren von beiden in Frage kommenden Kursen zu Gunsten des Angeklagten wirkt.

Der Verfall von Wertersatz ist nicht gem. § 73 I Satz 2 StGB ausgeschlossen. Denn die Strafvorschrift dient nur dem Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die Funktion des Kapitalmarkts, nicht dem Schutz einzelner Anleger, sie ist daher kein Schutzgesetz i.S. von § 823 II BGB. Dies ist für den zum Tatzeitpunkt geltenden § 88 Börsengesetz nahezu allgemein anerkannt. Dies gilt im Ergebnis jedoch auch für die insoweit gem. § 2 III i.V. mit Absatz 5 StGB auch bei der Frage des Verfalls zu bedenkenden Neufassungen im WpHG. Die Fassung des Zwischengesetzes wurde mit dem 4. Finanzmarktförderungsgesetz geschaffen. Dieses hat in §§ 37 b, 37 c WpHG gesonderte Schadenersatzansprüche geschaffen. Die Schaffung eigener Spezialnormen spricht jedoch dagegen, den allgemeinen Strafnormen Schutzgesetzcharakter zuzuerkennen. Beim Finanzmarktförderungsgesetz stand die Funktionsfähigkeit der überwachten Wertpapiermärkte im Vordergrund. Die Stärkung des Anlegerschutzes war nur ein untergeordnetes Gesetzesziel. § 20 a WpHG ist vom Gesetzgeber als Nachfolgevorschrift zu § 88 Börsengesetz konzipiert. Auch dies spricht gegen den Schutzgesetzcharakter. Weiter ist zu bedenken, dass Kursmanipulation einerseits und Insiderhandel andererseits Varianten des durch ein und dieselbe EU-Richtline geregelten Marktmissbrauchs sind. Zum Insiderhandelsverbot wird aber überwiegend vertreten, dass es keinen Schutzgesetzcharakter habe. Es würde daher zu einem Wertungswiderspruch führen, dem Verbot der Kurspreismanipulation Schutzgesetzcharakter zuzuerkennen. Dass durch das vierte Finanzmarktförderungsgesetz eingeführte „Zwischengesetz“ ist daher kein Schutzgesetz. Für die durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz eingeführte Neufassung gilt ebenfalls nichts anderes. Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz dient in erster Linie der Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie und den hierzu von der Kommission erlassenen Durchführungsrichtlinien (Bundestagsdrucksache 15/3174 Seite 26). Das bisher erforderliche besondere Absichtselement bei der Täuschungshandlung entfällt, weil in der Vergangenheit Beweisschwierigkeiten aufgetreten waren. Bestimmte verbotene Praktiken bzw. Ausnahmetatbestände werden definiert (a.a.O. Seite 27). Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber gerade nunmehr den Schutz einzelner Anleger mit der Strafvorschrift bezweckt, ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien nicht.

Der Verfall von Wertersatz ist voraussichtlich auch nicht gem. § 73 c I StGB ausgeschlossen. Die Vermögenslage des Angeklagten kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Zwar ist durch den Beschluss des AG Charlottenburg vom 28. 11. 2003 –xxxxx IN xxxxx 03 - über das Vermögen des Angeklagten das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter rechnet mit einer Null-Quote (Verwalterbericht vom 30. 8. 2004 Seite 6). Jedoch sprechen dringende Gründe für die Annahme, dass der Angeklagte dem Insolvenzverwalter in erheblichem Umfang Vermögensgegenstände verheimlicht hat So hat er diesem gegenüber nur Girokonten bzw. Depots bei zwei Banken angegeben. Die Ermittlungen der Kammer haben jedoch bestehende Geschäftsverbindungen zu mindestens fünf weiteren deutschen Banken ergeben. Ferner besteht der Verdacht, dass der Angeklagte Vermögensgegenstände auf Treuhänder verschoben hat So hat der Angeklagte sich bereits in der Vergangenheit mehrfach Treuhänder bedient, so z.B. bei der S. GmbH des xxxxx P xxxxx (Registerakte des AG Charlottenburg HRB xxxxx Bl. 43) sowie bei der SSll Ltd. des xxxxx W. xxxxx. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte in Deutschland ein Geflecht von mehr als 15 Gesellschaften errichtet hat mit mehrfachen Überkreuz-Beteiligungen, bei denen auch der Insolvenzverwalter Zweifel geäußert hat, ob diese Konstruktion gesellschaftsrechtlich Bestand hat (Gutachten des Insolvenzverwalters vom 26. 11. 2003, S. 8 f.). Schließlich kommen noch aktive Geschäftsverbindungen des Angeklagten nach Südafrika, Großbritannien, Polen und in die Schweiz hinzu. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände liegt derzeit nicht nahe, dass der Verfall von Wertersatz gem. § 73 c I StGB ausgeschlossen sein wird.

Der dingliche Arrest ist erforderlich, weil zu besorgen ist, dass auf Grund der gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen und internationalen Kontakte Vermögensverschiebungen erfolgen, die eine späteren Vollstreckung des Verfalls von Wertersatz vereiteln oder wesentlich erschweren (§ 917 I ZPO i.V. mit § 111 d II StPO).

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht dem dinglichen Arrest nicht entgegen.

Zwar findet gem. §§ 89 I, 91 I InsO während des Insolvenzverfahrens für einzelne Insolvenzgläubiger eine Zwangsvollstreckung nicht statt, und auch ein dinglicher Arrest ist eine Zwangsvollstreckung in diesem Sinne. Das Vollstreckungsverbot gilt jedoch im Verhältnis zum straf-prozessualen dinglichen Arrest dann nicht, wenn - wie hier - dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass der Angeklagte dem Insolvenzverwalter wesentliche Vermögensgegenstände vorenthalten hat (s.o. unter II.4.). Die Geltung des insolvenzrechtlichen Vollstreckungsverbotes auch im Strafprozess ist unzweifelhaft, soweit der Insolvenzverwalter die Vermögensgegenstände - sei es durch Mitteilung des Schuldners, sei es auf andere Weise - kennt und sie daher tatsächlich verwalten und über sie verfügen kann (§ 80 I InsO). Für dem Insolvenzverwalter vorenthaltene Gegenstände gilt das insolvenzrechtliche Vollstreckungsverbot gegenüber dem strafprozessualen dinglichen Arrest jedoch nicht. Dies ergibt sich aus dem unterschiedlichen Zweck der beiden Vorschriften:

§ 89 InsO soll zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger die Insolvenzmasse vor Minderungen schützen. Ein einzelner Gläubiger soll sich keine bevorzugte Behandlung gegenüber der ihm zustehenden Rangfolge und Quote im Insolvenzverfahren erwirken können. Hingegen dient der strafprozessuale dingliche Arrest dem Aufspüren und vor allem Sichern von Vermögensgegenständen gegen Verschiebungen durch den Angeklagten. Ist der Angeklagte zugleich Insolvenzschuldner, liegt es gerade im Interesse des Insolvenzverfahrens bzw. der Gesamtheit der Gläubiger, weitere Vermögensgegenstände aufzuspüren und zu sichern. Ein Wertungswiderspruch besteht insoweit nicht. Der strafrechtliche dingliche Arrest dient nicht der endgültigen Befriedigung bestimmter Forderungen, sondern nur der vorläufigen Sicherung. Dieser Zweck ist mit § 89 InsO problemlos zu vereinbaren. Ob etwaige aufgespürte und strafprozessual beschlagnahmte Vermögensgegenstände später dem Insolvenzverwalter zu dessen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 I InsO) überlassen werden oder im Endeffekt zur Vollstreckung strafrechtlicher Erkenntnisse zu Verfügung stehen, kann später geklärt werden. Es ist i.S., sowohl des Insolvenzverfahrens als auch des Strafverfahrens Vermögensgegenstände zunächst aufzuspüren und zu sichern.

Ergänzend ist Folgendes zu bedenken:

Würde das insolvenzrechtliche Vollstreckungsverbot strafprozessuale vermögenssichernde Maßnahmen auch dann verbieten, wenn abzusehen ist, dass der Angeklagte und Schuldner dem Insolvenzverwalter bestimmte Vermögensgegenstände vorenthalten hat, könnte dies die vom Gesetzgeber nicht gewollte Folge, haben, dass der Beschuldigte und Insolvenzschuldner die Vermögensgegenstände faktisch behalten könnte; denn die Strafverfolgungsbehörden haben kein Recht, im Rahmen des Ermittlungsverfahrens, etwa durch eine Anfrage gem. § 24 c KWG, bekannt gewordene Vermögensgegenstände dem Insolvenzverwalter zu melden. Rechte und Pflichten zur Mitteilung sind in §§ 13, 14 und 17 EGGVG geregelt. Keine der dort im Einzelnen aufgeführten Fallgruppen umfasst den Fall, dass sich in einem Strafverfahren Anhaltspunkte ergeben für die Existenz von Vermögensgegenständen, die einem Insolvenzverwalter bisher unbekannt sind.

Selbst wenn der Insolvenzverwalter durch Zufall Kenntnis davon erlangen sollte, dass eine Strafverfolgungsbehörde in einem Strafverfahren Finanzermittlungen angestellt hat, wäre ein Einsichtsgesuch des Insolvenzverwalters gem. § 475 StPO zu behandeln. Ob die dort vorzunehmende Abwägung zwischen den Belangen des Akteneinsicht begehrenden Ast. einerseits und des Beschuldigten andererseits dazu führt, dass dem Insolvenzverwalter Akteneinsicht auch in solche Aktenteile gewährt werden dürfte, die Ergebnis von Eingriffsmaßnahmen sind, die der Insolvenzverwalter selbst nicht durchführen könnte, wie etwa eine Kontoabfrage gem. § 24 c KWG, dürfte immerhin zweifelhaft sein.

Die Kammer ist für den Erlass des dinglichen Arrestes zuständig, weil die zugrunde liegende Straftat zu ihr angeklagt ist (Anklageschrift vom 11. 5. 2004, Eröffnungsbeschluss vom 18. 2. 2005). Zwar ist die Tat dort als Insiderhandelsdelikt (§§ 38 I, 14 I Nr. 1, 13 I Nr. 2 WpHG) angeklagt. Die Kammer teilt jedoch die rechtliche Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht. Sie hat im Eröffnungsbeschluss ihre abweichende Ansicht dokumentiert. Die Kammer ist jedoch gleichwohl zuständig, weil es sich bei dem von ihr angenommenen Kursbetrug durch Abschluss des Investment Agreement am 03. 2. 2001 und dem angeklagten Verkauf der Aktien in der Zeit vom 30. 3. 2001 bis zum 29. 6. 2001 prozessual um dieselbe (einen einheitlichen Lebensvorgang) Tat handelt (§§ 155 I, 264 I StPO). Zwischen dem Abschluss des Investment Agreement und dem Verkauf der Aktien besteht ein enger sachlicher Zusammenhang, der die Tat als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde gegeben, die schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten des LG Berlin eingelegt werden kann.



Gesetze

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10 Gesetze werden in diesem Text zitiert

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gesetz über das Kreditwesen


Kreditwesengesetz - KWG

Gesetz über den Wertpapierhandel


Wertpapierhandelsgesetz - WpHG

Insolvenzordnung - InsO | § 89 Vollstreckungsverbot


(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. (2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezü

Strafprozeßordnung - StPO | § 475 Auskünfte und Akteneinsicht für Privatpersonen und sonstige Stellen


(1) Für eine Privatperson und für sonstige Stellen kann unbeschadet des § 57 des Bundesdatenschutzgesetzes ein Rechtsanwalt Auskünfte aus Akten erhalten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wä

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Referenzen

(1) Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger sind während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.

(2) Zwangsvollstreckungen in künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge sind während der Dauer des Verfahrens auch für Gläubiger unzulässig, die keine Insolvenzgläubiger sind. Dies gilt nicht für die Zwangsvollstreckung wegen eines Unterhaltsanspruchs oder einer Forderung aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung in den Teil der Bezüge, der für andere Gläubiger nicht pfändbar ist.

(3) Über Einwendungen, die auf Grund des Absatzes 1 oder 2 gegen die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckung erhoben werden, entscheidet das Insolvenzgericht. Das Gericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, daß die Zwangsvollstreckung gegen oder ohne Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen oder nur gegen Sicherheitsleistung fortzusetzen sei.

(1) Für eine Privatperson und für sonstige Stellen kann unbeschadet des § 57 des Bundesdatenschutzgesetzes ein Rechtsanwalt Auskünfte aus Akten erhalten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der öffentlichen Klage vorzulegen wären, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Auskünfte sind zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung hat.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann Akteneinsicht gewährt werden, wenn die Erteilung von Auskünften einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern oder nach Darlegung dessen, der Akteneinsicht begehrt, zur Wahrnehmung des berechtigten Interesses nicht ausreichen würde.

(3) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 können amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigt werden.

(4) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 können auch Privatpersonen und sonstigen Stellen Auskünfte aus den Akten erteilt werden.