Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 29. Sept. 2016 - 2 Ws 428/16

ECLI:ECLI:DE:OLGKOBL:2016:0929.2WS428.16.0A
bei uns veröffentlicht am29.09.2016

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten F. wird der Beschluss des Vorsitzenden der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 29. Juli 2016 aufgehoben.

Folgenden Familienangehörigen ist die Erlaubnis zum Besuch des Angeschuldigten F. in der Justizvollzugsanstalt Koblenz zu erteilen:

Die Sache wird zur weiteren Ausgestaltung der Besuchserlaubnisse an den Vorsitzenden der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Koblenz zurückgegeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit dem Angeschuldigten F. entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last (§ 467 StPO analog).

Gründe

I.

1

Der Angeschuldigte F. wurde am 1. Juli 2016 festgenommen und befindet sich seitdem aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Koblenz vom 7. Juni 2016 (Bl. 84 ff. d.A.) in Untersuchungshaft. Ihm wird u.a. gemeinschaftlicher erpresserischer Menschenraub in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung sowie eine weitere versuchte Erpressung zum Nachteil des Zeugen F. M. zur Last gelegt. Der Haftbefehl ist auf Flucht- und Verdunkelungsgefahr gestützt. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeschuldigten und zwei weitere am 4. Juli 2016 Anklage zur 4. großen Strafkammer des Landgerichts Koblenz erhoben (Bl. 331 ff. d.A.).

2

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 29. Juli 2016 ( Bl. 26 f. BE-Heft) hat der Vorsitzende der Strafkammer die Anträge des Angeschuldigten vom 19. Juli 2016 auf Erteilung von Besuchserlaubnissen für seine Eltern E. und F. F., seinen Bruder Re. F. und seine Schwester Ri. F. (Bl. 12 ff. BE-Heft) mit der Begründung abgelehnt, die Besuche dieser Personen könnten dazu missbraucht werden, Verdunklungshandlungen vorzunehmen, insbesondere auf Zeugen Einfluss zu nehmen. Hiergegen wendet sich der Angeschuldigte mit seiner Beschwerde vom 18. August 2016 (Bl. 35 ff. BE-Heft), welcher der Kammervorsitzende mit Beschluss vom 22. August 2016 nur insoweit abgeholfen hat, als der Schwester des Angeschuldigten, Ri. F., eine Einzel-Besuchserlaubnis mit der Einschränkung akustischer und optischer Überwachung erteilt wurde (Bl. 45 BE-Heft).

3

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen (Bl. 49 ff. BE-Heft).

II.

4

Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Den betroffenen Angehörigen des Angeschuldigten ist eine Besuchserlaubnis zu erteilen.

1.

5

Untersuchungsgefangenen dürfen nach § 119 StPO nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert. Wie alle grundrechtseinschränkenden Bestimmungen ist auch diese Vorschrift an den durch sie eingeschränkten Grundrechten zu messen; ihre Auslegung hat der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (vgl. BVerfG, 2 BvR 61/76 v. 06.04.1976 - BVerfGE 42, 95 ). Dabei müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Freiheitsentziehungszwecks oder der Anstaltsordnung vorliegen; der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist, reicht nicht aus (vgl. OLG Celle, 1 Ws 166/16 v. 06.04.2016 - NdsRpfl 2016, 314 ). Stellt die einschränkende Maßnahme - wie hier - auch einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG dar, bedarf es einer besonders eingehenden, auch die Dauer der Untersuchungshaft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine Besuchseinschränkung unverzichtbar vom Zweck der Untersuchungshaft oder der Ordnung im Vollzug gefordert wird (vgl. BVerfG, 2 BvR 634/96 v. 20.06.1996 – NStZ 1996, 613 ). Besuche durch Familienangehörige können deshalb nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe abgelehnt werden, insbesondere wenn einer Flucht- oder Verdunkelungsgefahr durch die Überwachung des Besuches nicht ausreichend begegnet werden kann (vgl. Senat, 2 Ws 188 u. 189/08 v. 21.04.2008; OLG Celle aaO.).

2.

6

An diesen Grundsätzen gemessen kann die einschränkungslose Versagung einer Besuchserlaubnisse für die Eltern und den Bruder des Angeschuldigten F. keinen Bestand haben.

7

Zwar bestehen aus den in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 5. September 2016 ausgeführten Umständen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeschuldigte die Besuche seiner Angehörigen missbrauchen und diese dazu instruieren könnte, auf den Geschädigten oder weitere Zeugen einzuwirken, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. Dieser Gefahr kann jedoch durch die optische und akustische Überwachung der Besuche, verbunden mit der Auflage, die Unterhaltung ausschließlich in deutscher Sprache zu führen, wirksam begegnet werden. In diesem Fall ist sichergestellt, dass die überwachenden Beamten bei spontanen Einflussnahmeversuchen des Angeschuldigten in das Gespräch eingreifen und den Besuch gegebenenfalls abbrechen können. Es bestehen somit mildere Möglichkeiten als die einschränkungslose Versagung der Besuchserlaubnis, welche sich damit nicht als verhältnismäßig erweist.

3.

8

Wie die zu erteilenden Besuchserlaubnisse im Einzelnen auszugestalten sind, bleibt dem Kammervorsitzenden vorbehalten, weshalb der Senat die Sache insoweit an diesen zurückgegeben hat (vgl. Senat, 2 Ws 188 u. 189/02 v. 21.04.2008; OLG Celle aaO. Rn. 10).

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 29. Sept. 2016 - 2 Ws 428/16

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Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 119 Haftgrundbezogene Beschränkungen während der Untersuchungshaft


(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass 1. der Empfang von B
Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 29. Sept. 2016 - 2 Ws 428/16 zitiert 3 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 119 Haftgrundbezogene Beschränkungen während der Untersuchungshaft


(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass 1. der Empfang von B

Referenzen

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass

1.
der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen,
2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind,
3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf,
4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird,
5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
Die Anordnungen trifft das Gericht. Kann dessen Anordnung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, kann die Staatsanwaltschaft oder die Vollzugsanstalt eine vorläufige Anordnung treffen. Die Anordnung ist dem Gericht binnen drei Werktagen zur Genehmigung vorzulegen, es sei denn, sie hat sich zwischenzeitlich erledigt. Der Beschuldigte ist über Anordnungen in Kenntnis zu setzen. Die Anordnung nach Satz 2 Nr. 2 schließt die Ermächtigung ein, Besuche und Telekommunikation abzubrechen sowie Schreiben und Pakete anzuhalten.

(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.

(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.

(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit

1.
der für ihn zuständigen Bewährungshilfe,
2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle,
3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe,
4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder,
5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht,
6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes,
7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes,
8.
dem Europäischen Parlament,
9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
10.
dem Europäischen Gerichtshof,
11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten,
12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten,
13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe,
14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz,
15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen,
16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau,
17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen,
18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte,
19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet,
a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und
b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
Die Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Vorliegen der Voraussetzungen nach den Sätzen 1 und 2 festzustellen, trifft die nach Absatz 2 zuständige Stelle.

(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.