Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 04. Sept. 2017 - 2 Rv 95/17

ECLI:ECLI:DE:OLGNAUM:2017:0704.2RV95.17.00
bei uns veröffentlicht am04.09.2017

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 24. April 2017 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten im Berufungsverfahren wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt (Einzelstrafen: viermal acht Monate). Dagegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

2

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3

Das Gericht hat ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt, "dass der Angeklagte, wie die erhebliche Anzahl der im Fahreignungsregister vermerkten Punkte zeigt, zum Führen eines Fahrzeuges ungeeignet ist und somit eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellt". Hinsichtlich der vermerkten Punkte hat die Kammer ausgeführt, im Fahreignungsregister seien auf dem Punktekonto des Angeklagten 58 Punkte vermerkt, wobei sie diese vermeintliche Erkenntnis allein auf die Einlassung des Angeklagten stützt.

4

Die strafschärfende Berücksichtigung der 58 Punkte und der daraus gefolgerten fehlenden Eignung des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen offenbart zwei Rechtsfehler. Zum einen durfte die Kammer die Feststellung der 58 Punkte nicht allein auf die Einlassung des Angeklagten stützen. Es ist anerkannt, dass Angaben, mit denen der Angeklagte sich selbst belastet, jedenfalls dann nicht ohne weitere Nachprüfung den Feststellungen zugrunde gelegt werden dürfen, wenn sie in höchstem Maße unwahrscheinlich sind. Ein Punktestand von 58 im Fahreignungsregister dürfte angesichts der Tilgungsvorschriften und der Tatsache, dass die Punktzahlen für einzelne Ordnungswidrigkeiten seit Beginn des Fahreignungsregisters drastisch minimiert worden sind, kaum möglich sein. Den beiden Mitgliedern des Senates, die seit Anfang 2011 durchgängig Verkehrsordnungswidrigkeiten bearbeiten, ist jedenfalls in über 1500 Verfahren kein einziger Fall untergekommen, in dem auch nur die Hälfte von 58, also 29 Punkte, erreicht worden ist. Das gilt auch für die Geltungszeit des Verkehrszentralregisters, in der die Anzahl der Punkte für die einzelnen Verfehlungen im Schnitt mehr als doppelt so hoch war wie gegenwärtig. Das Gericht hätte daher die Angaben des Angeklagten über sein Punktekonto nur zu seinem Nachteil verwerten dürfen, wenn es diese, etwa durch Einholung einer Auskunft aus dem Fahreignungsregister, verifiziert hätte.

5

Am Rande bemerkt der Senat, wenngleich revisionsrechtlich unerheblich, dass eine Auskunft aus dem Fahreignungsregister betreffend den Angeklagten vom 29. August 2017 einen Punktestand von vier ergab, wovon zwei Punkte auf eine Eintragung entfallen, die am Tag der Berufungshauptverhandlung noch nicht registriert war.

6

Auch abgesehen von der rechtsfehlerhaften Feststellung des Punktestandes hätte das Gericht die hieraus geschlossene Ungeeignetheit des Beschwerdeführers zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht strafschärfend berücksichtigen dürfen. Der Gesetzgeber hat nämlich Fahren ohne Fahrerlaubnis im Wesentlichen deswegen unter Strafe gestellt, weil er zu Recht davon ausgeht, dass eine Person, die keine gültige Fahrerlaubnis hat, zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Die strafschärfende Berücksichtigung der Ungeeignetheit verstößt daher gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB.

7

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ziehen die fehlerhaften Strafzumessungserwägungen auch die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Zwar ist der Angeklagte massiv, überwiegend einschlägig, vorbestraft. Es liegen jedoch bei allen Taten zwei gewichtige Milderungsgründe vor, nämlich das umfassende Geständnis und die Tatsache, dass die Fahrstrecke jeweils kurz war. Von diesem Hintergrund kommen durchaus auch mildere Einzelstrafen als die hier verhängten, zwei Drittel des Strafrahmens ausschöpfenden jeweils acht Monate und damit auch eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe in Betracht.

8

Henss     

Becker     

Wiederhold

Vorsitzender Richter     
am Oberlandesgericht     

Richter am     
Oberlandesgericht     

Richterin am
Amtsgericht


Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 04. Sept. 2017 - 2 Rv 95/17

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 04. Sept. 2017 - 2 Rv 95/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 04. Sept. 2017 - 2 Rv 95/17 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.