Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 13. Nov. 2012 - 2 Ws (Reh) 205/12

bei uns veröffentlicht am13.11.2012

Gericht

Oberlandesgericht Naumburg

Tenor

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts Halle vom 28. August 2012 insoweit abgeändert, als der Antrag der Betroffenen auf Rehabilitierung wegen seiner Unterbringung im Jugendwerkhof „Z. “ in C. zurückgewiesen worden ist.

Die vom Rat des Kreises B. (Bezirk H. ) - Jugendhilfeausschuß - am 28. Februar 1985 gegen den Betroffenen getroffene Anordnung der Fortsetzung der Heimerziehung im Jugendwerkhof „Z.“ in C. wird, auch hinsichtlich sonstiger Rechtsfolgen, für rechtsstaatswidrig erklärt und

aufgehoben.

Die Dauer des zu Unrecht erlittenen Freiheitsentzuges wird auf die Zeit vom

29. März 1985 bis zum 23. September 1986

festgestellt.

Der Betroffene hat Anspruch auf Erstattung seiner aufgrund der aufgehobenen Entscheidung entstandenen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen.

Dieser Anspruch und weitere nach dem StrRehaG bestehende Entschädigungsansprüche sind bei dem Landesverwaltungsamt H., Versorgungsamt, Soziales Entschädigungsrecht, O.-Straße 1-2, … M., geltend zu machen.

Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Die dem Betroffenen in erster und zweiter Instanz erwachsenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

1

Der Betroffene begehrt seine Rehabilitierung wegen seiner Unterbringung im Jugendwerkhof „Z. “ in C. .

2

Der Betroffene war vom 27. September 1978 bis Juli 1980 und vom 23. August 1982 bis zum 29. März 1985 im Kreiskinderheim „B. “ in M. untergebracht, weil seine Mutter mit seiner Erziehung überfordert war. Am 18. Februar 1985 ordnete der Rat des Kreises B. (Bezirk H. ) - Jugendhilfeausschuß - die Fortsetzung der Heimerziehung des Betroffenen im Jugendwerkhof „Z. “ in C. an, wo er vom 29. März 1985 bis zum 23. September 1986 bleiben musste.

3

Der Betroffene hat zunächst seine Rehabilitierung wegen aller Heimunterbringungen beantragt. Diesen Antrag hat das Landgericht Halle mit Beschluss vom 28. August 2012 als unbegründet zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der wiederholten Anordnung der Heimerziehung des Betroffenen sowie der angefochtenen Entscheidung wird auf deren Begründung Bezug genommen (Bl. 36 – 39 d. A.).

4

Die Beschwerde des Betroffenen richtet sich gegen die Ablehnung seiner Rehabilitierung wegen der Unterbringung im Jugendwerkhof „Z. “ in C. .

5

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

6

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

7

Der Betroffene ist wegen der Heimunterbringung im Jugendwerkhof „Z. “ in C. zu rehabilitieren, weil diese seiner politischen Umerziehung und damit der politischen Verfolgung diente (§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG). An dieser rechtsstaatswidrigen Motivation der Jugendhilfebehörden lässt der Inhalt der Akte des Referates Jugendhilfe des Rat des Kreises B. keine Zweifel.

8

Wie das Landgericht ausgeführt hat, bereitete der Betroffene seiner Mutter wie seinen Heimerziehern und Lehrern über viele Jahre mannigfaltige Erziehungsschwierigkeiten, die unter anderem in einem Entwicklungsbericht des Kreiskinderheimes vom 4. Juni 1984 beschrieben sind, in dem der Betroffene als seinen Stimmungen unterworfen, den schulischen und sonstigen Anforderungen in keiner Weise gewachsen, unkonzentriert und grob störend sowie für Hilfe unempfänglich geschildert wird. Ein handschriftlicher Bericht vom 9. Oktober 1984 über ein Gespräch mit der Mutter des Betroffenen weist ebenfalls auf die anhaltenden Probleme hin. Gleichwohl bemühten sich der Rat des Kreises B. und das Kreiskinderheim „B. “ um einen Ausbildungsplatz für den Betroffenen. Diese Bemühungen wurden noch zu Beginn des Jahres 1985 fortgeführt, wie sich aus einem Schreiben des Rat des Kreises B. vom 15. Oktober 1984 und handschriftlichen Vermerken hierzu vom 4. Dezember und 22. Dezember 1984 sowie vom 3. Januar 1985 ergibt. Hinweise darauf, dass die Bewerbung um den in Aussicht genommen Ausbildungsplatz in der Zeit zwischen vom 3. Januar 1985 und der Entscheidung über die Unterbringung des Betroffenen im Jugendwerkhof scheiterte, finden sich nicht. Trotz der hinlänglich bekannten erheblichen Schwierigkeiten bei seiner Erziehung sahen die Leitung des Kreiskinderheimes und die Jugendhilfebehörden bis zu Beginn des Jahres 1985 keine Notwendigkeit, den Betroffenen einem Jugendwerkhof zu überantworten. Erst als dieser auf Vorhalte wegen seines rasierten Schädels – er hatte am 2. Februar 1985 den missglückten Versuch unternommen, sich eine sog. „Punkfrisur“ zuzulegen – mit kritischen Äußerungen zur wirtschaftlichen und politischen Lage in der DDR reagierte und im Zuge der in diesem Zusammenhang angestellten Befragungen bekannt wurde, dass er im Hause seiner Mutter Zugang zu „Westfernsehen“ hatte und sich auch gegenüber anderen Jugendlichen staatskritisch äußerte, beantragte die Heimleitung am 12. Februar 1985 beim Rat des Kreises B. die Einweisung des Betroffenen in einen Jugendwerkhof. Angesichts dieser Entwicklung hat der Senat auch in Anbetracht der zweifellos vorhanden gewesenen schwerwiegenden Erziehungsdefizite des Betroffenen keine Zweifel daran, dass zentrale Absicht seiner Unterbringung im Jugendwerkhof die Unterdrückung seiner politischen Ansichten war. Bestätigt wird dies durch den in dem Beschluss des Rates des Kreises B. vom 18. Februar 1985 ausdrücklich enthaltenen Hinweis an den Jugendwerkhof, der positiven Veränderung der politischen Grundhaltung des Betroffenen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

III.

9

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 14 Abs. 1 und 2 StrRehaG.


Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 13. Nov. 2012 - 2 Ws (Reh) 205/12

Urteilsbesprechungen zu Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 13. Nov. 2012 - 2 Ws (Reh) 205/12

Referenzen - Gesetze

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 14 Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen


(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. (2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragsteller

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 1 Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen


(1) Die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 ist auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erkl
Oberlandesgericht Naumburg Beschluss, 13. Nov. 2012 - 2 Ws (Reh) 205/12 zitiert 3 §§.

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 14 Kosten des Verfahrens und notwendige Auslagen


(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. (2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragsteller

Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz - StrRehaG | § 1 Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen


(1) Die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 ist auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erkl

Referenzen

(1) Die strafrechtliche Entscheidung eines staatlichen deutschen Gerichts in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 2. Oktober 1990 ist auf Antrag für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben (Rehabilitierung), soweit sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil

1.
die Entscheidung politischer Verfolgung gedient hat; dies gilt in der Regel für Verurteilungen nach folgenden Vorschriften:
a)
Landesverräterische Nachrichtenübermittlung (§ 99 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
b)
Staatsfeindlicher Menschenhandel (§ 105 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
c)
Staatsfeindliche Hetze (§ 106 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
d)
Ungesetzliche Verbindungsaufnahme (§ 219 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
e)
Ungesetzlicher Grenzübertritt (§ 213 Abs. 1, 2, 3 Satz 2 Nr. 3 bis 6, oder Abs. 4 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33);
f)
Boykotthetze gemäß Artikel 6 Abs. 2 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 (GBl. I Nr. 1 S. 5);
g)
Wehrdienstentziehung und Wehrdienstverweigerung (§ 256 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33) oder § 43 des Gesetzes über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. März 1982 (GBl. I Nr. 12 S. 221);
h)
nach Vorschriften, die den unter den Buchstaben a bis g genannten Vorschriften inhaltlich entsprechen, sowie
i)
Hochverrat, Spionage, Anwerbenlassen zum Zwecke der Spionage, Landesverräterische Agententätigkeit, Staatsverbrechen, die gegen einen verbündeten Staat gerichtet sind, Unterlassung der Anzeige einer dieser Straftaten, Geheimnisverrat (§§ 96, 97, 98, 100, 108, 225 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit diesen Vorschriften, §§ 245 oder 246 des Strafgesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik vom 12. Januar 1968 in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 1988, GBl. 1989 I Nr. 3 S. 33) oder nach inhaltlich entsprechenden Vorschriften, wenn die Tat für die Bundesrepublik Deutschland, einen mit ihr verbündeten Staat oder für eine Organisation begangen worden sein soll, die den Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung verpflichtet ist, oder
2.
die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zu Grunde liegenden Tat stehen.

(2) Mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar sind die Entscheidungen des Landgerichts Chemnitz, Außenstelle Waldheim, aus dem Jahr 1950 ("Waldheimer Prozesse").

(3) Ist eine Entscheidung auf die Verletzung mehrerer Strafvorschriften gestützt und liegen die Voraussetzungen des Absatzes 1 nur hinsichtlich eines Teiles der Strafvorschriften vor, kann die Entscheidung insgesamt aufgehoben werden, wenn die übrigen Gesetzesverletzungen für die Anordnung der Rechtsfolgen von untergeordneter Bedeutung gewesen sind.

(4) Kommt eine vollständige Aufhebung der Entscheidung nicht in Betracht, hebt das Gericht den Teil der Entscheidung auf, für den die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen.

(5) Für strafrechtliche Maßnahmen, die keine gerichtlichen Entscheidungen sind, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend.

(6) Ein Antrag nach Absatz 1 ist unzulässig, soweit nach dem 2. Oktober 1990 über einen auf denselben Sachverhalt gestützten zulässigen Antrag auf Rehabilitierung oder Kassation rechtskräftig entschieden worden ist. Dies gilt nicht, soweit dargelegt wird, dass der frühere Antrag nach den Vorschriften dieses Gesetzes Erfolg gehabt hätte.

(1) Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben.

(2) Wird dem Antrag ganz oder teilweise stattgegeben, fallen die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Staatskasse zur Last. Im Übrigen kann das Gericht die notwendigen Auslagen des Antragstellers ganz oder teilweise der Staatskasse auferlegen, wenn es unbillig wäre, den Antragsteller damit zu belasten.

(3) Die Entscheidung nach Absatz 2 Satz 2 ist unanfechtbar.

(4) Für die notwendigen Auslagen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren gilt § 473 Abs. 1 bis 4 der Strafprozessordnung entsprechend.