Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188

bei uns veröffentlicht am27.02.2019

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seinem deutschen Kind weiter.

Der Antrag ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bzw. § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 3 AufenthG entgegenstehe. Der Kläger, der kein Sorgerecht habe und mit seinem Sohn auch nicht in einer familiären Beistandsgemeinschaft lebe, könne keinen strikten Rechtsanspruch geltend machen, weil er ohne das erforderliche Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und die Nachholung des Visumverfahrens auch nicht unzumutbar sei (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Die Beklagte habe im Falle einer Ausreise des Klägers im Visumverfahren eine zeitnahe Entscheidung zugesichert. Zudem bestehe im Fall des Klägers aufgrund einer Vielzahl strafrechtlicher Verurteilungen ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Schließlich komme auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG nicht in Betracht, weil die Nachholung des Visumverfahrens zu keiner unverhältnismäßig langen Trennung des Klägers von seinem Sohn führen würde. Es sei Sache des Klägers, in Absprache mit den Behörden den Ausreisezeitpunkt und die Ausreisemodalitäten so zu gestalten, dass die familiären Belastungen so gering wie möglich gehalten würden.

Demgegenüber macht der Kläger im Zulassungsverfahren im Wesentlichen geltend, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts die Beziehung zwischen ihm und seinem Sohn über eine Begegnungsgemeinschaft hinausgehe. Er treffe seinen Sohn wöchentlich jeden Montag für mehrere Stunden und unterstütze diesen im Rahmen seiner Möglichkeiten. Es bestehe eine starke Bindung zu ihm. Eine abrupte Trennung könnte sich negativ auf Persönlichkeitsentwicklung des Kindes auswirken. Soweit das Gericht auf die Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG abstelle, stehe dem § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG entgegen. Es sei dem Kläger wegen des mit der Trennung einhergehenden Zeitaufwands nicht zumutbar, das Visumverfahren nachzuholen. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte der Visumerteilung nicht zustimmen werde, weil sie bereits eine Vorabzustimmung verweigert habe. Schließlich liege auch kein Ausweisungsinteresse vor. Eine umfassende Berücksichtigung aller Einzelfallumstände habe die Beklagte insofern nicht vorgenommen. Gleichzeitig sei es dem Kläger nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen des Schutzes der Ehe und Familie nicht möglich, das Bundesgebiet zu verlassen.

Diese Einwendungen begründen jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG oder § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 AufenthG entgegensteht. Dem Kläger kommt auch nicht die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG zugute, wonach im Falle eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis § 10 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 AufenthG keine Anwendung finden. Denn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in diesem Sinne setzt einen strikten Rechtsanspruch voraus, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben muss. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 27 m.w.N.).

Ein solcher strikter Rechtsanspruch steht dem Kläger aber schon deswegen nicht zur Seite, da er ohne das erforderliche Visum eingereist ist und demzufolge die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2018 - 10 C 18.1497 - juris Rn. 19). Zwar kann hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden. Da diese Entscheidung aber im Ermessenswege zu treffen ist, liegt kein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG vor.

Darüber hinaus besteht in der Person des Klägers aufgrund der zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen auch ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt die Erteilung eines Aufenthaltstitels nur in Betracht, wenn ein Ausweisungsinteresse nicht vorliegt, also ein Ausweisungstatbestand nicht verwirklicht ist; ob die Ausweisung im Einzelfall rechtsfehlerfrei verfügt werden könnte, ist insoweit unerheblich (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2016 - 10 ZB 14.2634 - juris Rn. 6). Eine hypothetische Ausweisungsprüfung erfolgt demnach nicht (Samel in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 5 Rn. 48 m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis auch zutreffend erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift scheitert vorliegend bereits an der Sperrwirkung aus § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, da die Ablehnung des Asylantrags des Klägers gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG als „offensichtlich unbegründet“ erfolgte (s. Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge v. 16.5.2011, Bl. 72 ff. der Behördenakte). Damit ist auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes grundsätzlich unzulässig (vgl. Maor, BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, § 10 Rn. 10 m.w.N.).

Unabhängig davon würde die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG auch deswegen ausscheiden, weil - wie oben dargelegt - die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht gegeben sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 - 10 C 18.1782 - juris Rn. 7; B.v. 24.1.2019 - 10 CE 18.1871, 10 C 1810 C 18.1874 - juris Rn. 25; Maaßen/Kluth in BeckOK, Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.11.2018, § 25 Rn. 148), und zwar unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.6.2017 - 10 C 17.744 - juris Rn. 3; B.v. 30.10.2018 - 10 C 18.1782 - juris Rn. 7; NdsOVG, U.v. 8.2.2018 - 13 LB 43/17 - ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 - 1 B 21/17 - BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - InfAuslR 2011, 250). Zwar kann nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen in § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG abgesehen werden. Substantiierte Einwendungen gegen die von der Beklagten insofern getroffene und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) Ermessensentscheidung hat der Kläger auch im Zulassungsverfahren nicht vorgebracht. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist auch im Lichte der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art. 6 GG oder von Art. 8 EMRK nicht angezeigt. In Bezug auf den Kläger ist insoweit festzustellen, dass er weder das Sorgerecht hat, noch mit seinem Sohn in einer familiären Lebensgemeinschaft lebt, sondern allein der Mutter die Versorgung und Erziehung des Sohnes obliegt. Allein aus dem Umstand, dass sich der Sohn auf die wöchentlich stattfindenden Treffen mit dem Kläger freue, der Kläger Spielsachen mitbringe, Fußballspielen gehe und im Rahmen der Möglichkeiten finanzielle Unterstützung leiste, können kein so intensiver Kontakt und keine tatsächliche Verbundenheit abgeleitet werden (vgl. BayVGH, U.v. 26.9.2016 - 10 B 13.1318 - juris Rn. 32 ff.; 39), die eine auch nur vorübergehende Abwesenheit des Klägers zur Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen ließen. Entgegen dem Vortrag des Klägers kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Beklagte der Visumerteilung nicht zustimmen werde. Vielmehr hat sie in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht jedenfalls eine zeitnahe Entscheidung im Visumverfahren zugesichert (s. Sitzungsprotokoll v. 28.8.2018, S. 2).

Soweit der Kläger die Würdigung des Verwaltungsgerichts für fehlerhaft hält, weil die „Aussage der Zeugin (…) bei der Entscheidung des Gerichts nicht gewürdigt“ worden sei, und damit sinngemäß einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) rügt, dringt er damit ebenfalls nicht durch. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2019 - 10 ZB 18.1413 - juris Rn. 21 m.w.N.). Vorliegend hat das Erstgericht den Kern der Angaben der als Zeugin einvernommenen Kindsmutter zutreffend erfasst und bei seiner Entscheidungsfindung gewürdigt. Es ist indes dabei nicht verpflichtet, auch nicht unter dem Aspekt der Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG), den gesamten Inhalt der Zeugenaussage in den Entscheidungsgründen wiederzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188

Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188 zitiert 18 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 152


(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 25 Aufenthalt aus humanitären Gründen


(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlau

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 5 Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen


(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass 1. der Lebensunterhalt gesichert ist,1a. die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt is

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 30 Offensichtlich unbegründete Asylanträge


(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. (2) Ein Asylantrag ist

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 28 Familiennachzug zu Deutschen


(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen 1. Ehegatten eines Deutschen,2. minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,3. Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorgezu erteilen, wenn der Deutsche seinen ge

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 54 Ausweisungsinteresse


(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 10 Aufenthaltstitel bei Asylantrag


(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann ertei

Referenzen - Urteile

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188 zitiert 8 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 14. Jan. 2019 - 10 ZB 18.1413

bei uns veröffentlicht am 14.01.2019

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt. Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 30. Okt. 2018 - 10 C 18.1782

bei uns veröffentlicht am 30.10.2018

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für se

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 30. Aug. 2018 - 10 C 18.1497

bei uns veröffentlicht am 30.08.2018

Tenor I. Dem Kläger wird für seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zu 1, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu erteilen, Prozesskostenhilfe bewilligt und seine Prozessbevollmächtigte … …

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. März 2016 - 10 ZB 14.2634

bei uns veröffentlicht am 16.03.2016

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000‚- Euro festgesetzt.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 26. Sept. 2016 - 10 B 13.1318

bei uns veröffentlicht am 26.09.2016

Tenor I. Die Berufung wird zurückgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherhei

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2017 - 10 C 17.744

bei uns veröffentlicht am 20.06.2017

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gründe Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für se

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 09. Juni 2016 - 1 BvR 2453/12

bei uns veröffentlicht am 09.06.2016

Tenor 1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Gru

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 13. Dez. 2010 - 11 S 2359/10

bei uns veröffentlicht am 13.12.2010

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Mai 2010 - 11 K 2236/09 - wird zurückgewiesen.Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene die Gerichtskosten und die außer
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Feb. 2019 - 10 ZB 18.2188.

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 08. Mai 2019 - Au 6 K 17.1429

bei uns veröffentlicht am 08.05.2019

Tenor I. Der Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids vom 7. September 2017 verpflichtet, über die Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im

Referenzen

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

20

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

22

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

23

(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

24

3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

25

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

26

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

(2) Ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat.

(3) Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

(2) Ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat.

(3) Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

I. Dem Kläger wird für seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten zu 1, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu erteilen, Prozesskostenhilfe bewilligt und seine Prozessbevollmächtigte … … …, zu den Bedingungen eines im Bezirks des Verwaltungsgerichts München niedergelassenen Rechtsanwalts bewilligt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte.

Gründe

I.

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine gegen die Beklagte zu 1 und den Beklagten zu 2 gerichtete (Untätigkeits-)Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bzw. § 25 Abs. 5 AufenthG weiter.

Der Kläger ist gambischer Staatsangehöriger. Er reiste am 9. November 2014 in das Bundesgebiet ein und führte unter den Aliaspersonalien „Ceesay Prince, geb. 11.11.1994, malischer Staatsangehöriger“ ein Asylverfahren durch. Er ist seit 11. Februar 2016 in Besitz eines gambischen Nationalpasses mit seinen zutreffenden Personalien, den er erst nach Abschluss des Asylverfahrens im März 2017 im ausländerrechtlichen Verfahren vorgelegt hat. Der Kläger ist Vater eines am 29. Dezember 2016 geborenen Kindes, für das er die Vaterschaft anerkannt hat und das gemeinsame Sorgerecht zusammen mit seiner Lebensgefährtin besitzt.

Das Asylverfahren wurde mit Beschluss vom 28. März 2017 eingestellt, nachdem der Kläger seinen Asylantrag zurückgenommen hatte.

Am 18. Juli 2017 erteilte die Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern dem Kläger eine Duldung und die Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Bereichs einer räumlichen Beschränkung, damit er seine Lebensgefährtin und seinen Sohn besuchen könne. Mit Bescheid vom 18. September 2017 übertrug die Zentrale Ausländerbehörde die Zuständigkeit auf die Beklagten zu 1, nachdem ihr der Kläger mit Bescheid vom 15. September 2017 zugewiesen worden war. Da die Beklagte zu 1 zunächst die Übernahme verweigerte, verlängerte die Zentrale Ausländerbehörde im September 2017 nochmals die Duldung des Klägers. Seit dem 18. Dezember 2017 wird die Duldung jeweils von der Beklagten zu 1 verlängert.

Am 10. November 2017 erhob der Kläger Untätigkeitsklage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, die Beklagten zu verpflichten, seine Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu bescheiden und bei Zuständigkeit eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG, zu erteilen. Zugleich beantragte er, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Mit Bescheid vom 2. Mai 2018 lehnte die Beklagte zu 1 die Anträge vom 19. und 22. Juni 2017 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Sie sei nicht zuständig, da der Kläger in München keinen Wohnsitz begründet habe. Er lebe zusammen mit seiner Lebensgefährtin und dem Kind in H. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG bestehe nicht, weil er nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG greife nicht. Auch aus § 25 Abs. 5 AufenthG ergebe sich kein Anspruch.

Das Verwaltungsgericht München lehnte den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers mit Beschluss vom 11. Juni 2018 ab. Die Beklagte zu 1 sei zwar zuständig, dem Anspruch aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG stehe jedoch bereits § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG greife nicht ein, da der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe. Es bestehe ein Ausweisungsinteresse, weil er seinen Pass nicht vorgelegt und sein Asylverfahren unter falschen Personalien geführt habe. Zudem erfülle er die Visumpflicht des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht. Ein Absehen nach § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG sei nicht möglich, weil er die Duldung gerade wegen der Geburt des Kindes erhalten habe. Auch die Voraussetzungen für die Erteilung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor, da sich aus Art. 6 GG keine rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise ergebe. Ein besonders ungewöhnlicher Einzelfall läge nicht vor, da die Lebensgemeinschaft des Klägers mit seinem Sohn aktuell nur in sehr eingeschränktem Umfang möglich sei. Der Beklagte zu 2 sei nicht passivlegitimiert.

Im Beschwerdeverfahren beantragt der Kläger,

ihm unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtige beizuordnen.

Es dürfte unstreitig sein, dass zwischen ihm und seinem Sohn eine familiäre Lebensgemeinschaft bestehe. Es sei zweifelhaft, ob Ausweisungsinteressen nach § 54 Abs. 2 Nr. 8b und 9 AufenthG vorlägen. Es stehe weder fest, dass die Nichtvorlage des Passes einen nicht nur geringfügigen Verstoß darstelle, noch sei geklärt, ob der Kläger über die Folgen von Falschangaben belehrt worden sei. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene einschränkende Auslegung des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV finde im Gesetz keine Stütze. Die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Sohn stelle jedenfalls ein Ausreisehindernis im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG dar. Die zwangsweise Durchsetzung der Ausreise könne sich als unvereinbar mit Art. 6 GG erweisen. Der Kläger sei eine feste Bezugsperson für das Kind. Es werde auch nicht deutlich, welche Dauer die Trennung zur Durchführung eines Visumverfahrens habe und ob dies mit Art. 6 GG vereinbar sei. Auch die Annahme des Gerichts, die familiäre Lebensgemeinschaft sei derzeit nur in eingeschränktem Umfang möglich, treffe nicht zu. Im Zeitpunkt der Erhebung der Klage hätten beide Beklagte die Bearbeitung des Antrags abgelehnt.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Klägers gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Juni 2018 ist zulässig, hat jedoch nur teilweise Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Verbescheidungs- bzw. Verpflichtungsklage des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu Recht abgelehnt, weil sie voraussichtlich weder im Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (Nov. 2017) noch zu einem späteren Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (1). Soweit der Kläger hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG begehrt, sind die Erfolgsaussichten seiner Klage gegen die Beklagte zu 1 zumindest offen. Insoweit ist ihm daher Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtigte beizuordnen (2.).

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

1. Nach der im Prozesskostenhilfeverfahren unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfe (vgl. BVerfG, B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 10 ff. m.w.N.) nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage steht dem Kläger der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG voraussichtlich nicht zu.

Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG steht das Titelerteilungsverbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, nachdem der Kläger seinen Asylantrag zurückgenommen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Asylverfahren mit Bescheid vom 28. März 2017 eingestellt hat.

Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG findet die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Anspruch in diesem Sinne ist aber nur ein gesetzlicher Anspruch (vgl. insoweit zur Inhaltsidentität von § 10 Abs. 1 und § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG: BVerwG, U. v. 16.12.2008 – 1 C 37.07 – juris Rn. 23). Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne dieser Regelungen muss sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 1 C 31.14 – juris Rn. 20; U.v. 12.7.2016 – 1 C 23.15 – juris Rn. 21; U.v. 10.12.2017 – 1 C 15.14 – juris Rn. 15; U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – UA Rn. 19). Ansprüche aufgrund einer Ermessensvorschrift führen hingegen nicht zu einem gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG, und zwar auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null“ reduziert ist. Dies gilt auch für Regelansprüche und Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2016, a.a.O.; U. v. 17.12.2015, a.a.O.).

Nach diesen Maßgaben steht dem Kläger ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zu. Er erfüllt zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, wonach die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen Deutschen zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Es mangelt aber an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

In der Person des Klägers besteht bei summarischer Prüfung jedenfalls ein Ausweisungsinteresse im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in Verbindung mit § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Durch die langjährige Täuschung über seine Identität im Asylverfahren (Antragstellung im November 2014) und beharrliche Nichtvorlage des Passes hat er den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m § 49 Abs. 2 AufenthG und damit ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt. Es trifft nicht zu, dass der Kläger seinen Asylantrag „wenig später“ zurückgenommen habe. Er war bereits seit Februar 2016 in Besitz eines gambischen Nationalpasses, seinen Asylantrag hat er erst nach der Geburt seines Sohnes im Januar 2017 zurückgenommen. Selbst wenn der Kläger insoweit einen Ausnahmefall für sich in Anspruch nehmen könnte, der schon auf der Tatbestandsseite ein Absehen von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordern würde, fehlte es an einem gesetzlichen Anspruch i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG (vgl. NdsOVG, B.v. 5.9.2017 – 13 A 129/17 – juris Rn. 17 m.w.N.). Ob er durch die falschen Angaben bezüglich Vornamen, Geburtsdatum und Nationalität im Asylverfahren auch den Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG erfüllt hat, kann daher offen bleiben; es kommt somit nicht darauf an, ob der Kläger belehrt worden ist oder überhaupt die Notwendigkeit einer Belehrung bestand (vgl. hierzu SächsOVG, B.v. 15.1.2018 – 3 B 356/17 – juris Rn. 9)

Der Kläger ist zudem ohne (das erforderliche) Visum in das Bundesgebiet eingereist; er erfüllt daher auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht. Er ist auch nicht nach § 39 Nr. 5 AufenthV berechtigt, die Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet einzuholen.

§ 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV erfordert, dass die Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und der Ausländer auf Grund einer Eheschließung, der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Diese Bestimmung soll nur diejenigen Ausländer privilegieren, die sich mit einer Duldung im Bundesgebiet aufhalten und sodann hier die Ehe schließen, nicht aber diejenigen, denen eine Duldung nur erteilt wird, um ihnen die zeitlich unmittelbar bevorstehende Eheschließung oder die Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Bei der von § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthV vor-ausgesetzten Aussetzung der Abschiebung muss es sich folglich um eine solche handeln, die wegen anderer Abschiebungshindernisse als der (bevorstehenden) Eheschließung erteilt worden ist (vgl. NdsOVG, B.v. 2.2.2018 – 13 PA 12/18 – juris Rn. 11; OVG Hamburg, B.v. 10.4.2014 – 4 Bf 19/13 – juris Rn. 62; OVG Bln-Bbg, B.v. 12.2.2013 – OVG 7 N 63.13 – juris Rn. 4; B. v. 17.1.2011 – 11 S 51.10 – juris Rn. 10); dies gilt ebenso für die Fälle, in denen die Duldung wegen der bevorstehenden Geburt eines Kindes oder zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind erteilt wird, weil die Ausgangslage dieselbe ist – Privilegierung nur der Personen, die sich bereits mit Duldung im Bundesgebiet aufhalten, wenn die anspruchsbegründenden Voraussetzungen eintreten. Dem Kläger wurde erstmals – nach Einstellung des Asylverfahrens im März 2017 – am 17. Juli 2017 eine Duldung erteilt, weil er geltend gemacht hatte, dass er nach H. zu seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn ziehen wolle. Andere Duldungsgründe als die im Bundesgebiet mit dem Sohn gelebte familiäre Lebensgemeinschaft sind nicht ersichtlich.

Im Übrigen hat der Kläger auch nicht, wie von § 39 Nr. 5 AufenthV weiter gefordert, auf Grund der Geburt seines Sohnes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben. Denn er erfüllt die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, der ein Absehen von den Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erfordert, oder der Beklagte verpflichtet ist, im Ermessenswege nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen abzusehen, kann hier dahinstehen. Denn sowohl das Vorliegen eines Ausnahmefalls auf Tatbestandsseite als auch eine Ermessensreduzierung auf der Rechtsfolgenseite vermitteln dem Kläger nach dem eingangs dargestellten Maßstab keinen gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 39 Satz 1 Nr. 5 AufenthG (s. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 30).

2. Ob der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG beanspruchen kann, ist im Zeitpunkt der Bewilligungsreife seines Prozesskostenhilfeantrags als offen zu beurteilen. Es ist derzeit noch nicht hinreichend absehbar, ob er die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG und die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt und eine Verpflichtung der Beklagten zu 1 besteht, die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

Dem Erfolg seiner Klage steht jedenfalls nicht das Verbot des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG entgegen, da es sich bei der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG um eine solche nach dem Fünften Abschnitt des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes handelt. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Unter „Ausreise“ im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.11.2009 – 1 C 19.08 – juris Rn. 12, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 15 jeweils m.w.N.).

Eine freiwillige Ausreise ist, da tatsächliche Hindernisse beim Kläger nicht vorliegen, im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (z.B. nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG; vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 – 1 C 14.05 – juris Rn. 17). Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nicht nur die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben, sondern es ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG a.a.O. Rn. 17).

Eine freiwillige Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn sie mit Art. 6 GG unvereinbar wäre. Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei ihren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familienrechtlichen Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – juris Rn. 12 m.w.N.).

Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehöriger und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG a.a.O. Rn. 13 f.; BayVGH, B.v. 20.6.2017 – 10 C 17.744 – juris Rn. 9).

Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen lässt sich nicht ausschließen, dass die (freiwillige) Ausreise des Klägers wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich unmöglich ist. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es zwar grundsätzlich mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar, ihn auf die Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Sohn (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu verweisen, weil die damit zwangsläufig verbundene Trennung als zumutbar anzusehen ist, wenn sie eine gewisse Dauer nicht überschreitet oder keine besonderen Umstände (z.B. Pflegebedürftigkeit) vorliegen. Die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug ist auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich – nicht anders als jeder andere Ausländer – ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 – 10 C 16.818 – juris Rn. 11). Der Kläger hat es zudem durch die Gestaltung seiner Ausreise selbst in der Hand, die für die Durchführung des Visumverfahrens erforderliche Dauer seine Abwesenheit im Bundesgebiet möglichst kurz zu halten, indem er z.B. eine Vorabzustimmung der zuständigen Ausländerbehörde nach § 31 AufenthV einholt (BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5). Es liegt im Verantwortungsbereich des Klägers die Nachholung des Visumverfahrens so familienverträglich wie möglich zu gestalten. Allerdings ist im vorliegenden Fall derzeit weder die Dauer des Visumverfahrens absehbar noch ist ausreichend geklärt, welche Ausländerbehörde für die Erteilung der Zustimmung nach § 31 AufenthV zuständig ist und ob dem Kläger das Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG entgegen gehalten kann oder ob eine Ausnahmefall vorliegt. Das Verwaltungsgericht konnte sich daher noch keine Vorstellung von der Dauer der voraussichtlichen Trennung machen und hat vielmehr darauf abgestellt, dass derzeit nur eine eingeschränkte familiäre Lebensgemeinschaft möglich sei. Dies trifft aber tatsächlich so (wohl) nicht zu, weil der Kläger überwiegend in H. bei seinem Sohn lebt.

Die Klage gegen den Beklagten zu 2 wird wegen dessen fehlender Passivlegitimation keinen Erfolg haben. Der Kläger wurde bereits vor Klageerhebung mit Bescheid vom 15. September 2017 der Beklagten zu 1 zugewiesen, so dass sich die Zuständigkeit der Beklagten zu 1 im Verhältnis zum Beklagten zu 2 aus § 5 Abs. 1 Satz 2 ZustVAuslR ergibt. Die Klage war somit ab diesem Zeitpunkt gegen die Beklagte zu 1 zu richten. Der zwischen der Beklagten zu 1 und dem Beklagten zu 2 bestehende Zuständigkeitsstreit hätte auch im Rahmen eines nur gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klageverfahrens geklärt werden können.

Die Entscheidung über die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO. Die dabei vorgenommene kostenmäßige Beschränkung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 3 ZPO regelmäßig gerechtfertigt. Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine kostenmäßig unbeschränkte Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts rechtfertigen könnten (besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem auswärtigen Rechtsanwalt, Erfordernis einer besonders qualifizierten rechtlichen Beratung, die nicht ein im Gerichtsbezirk ansässiger, sondern nur ein auswärtiger Rechtsanwalt gewährleisten kann, Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 141 m.w.N.), sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gebühr aus Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) wird nach Ermessen um die Hälfte ermäßigt, da die Beschwerde nur teilweise zurückgewiesen wurde.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

(2) Ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat.

(3) Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000‚- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein kubanischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer von der Beklagten mit Bescheid vom 21. November 2013 abgelehnten Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug weiter. Der Kläger hat nach erfolgloser Durchführung eines Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes (VG München‚ B.v. 15.5.2014 - M 25 S 13.5332‚ bestätigt durch BayVGH‚ B.v. 12.8.2014 - 10 CS 14.1315 - juris) das Bundesgebiet am 30. August 2014 verlassen. Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 22. Oktober 2014 hat das Verwaltungsgericht München die Verpflichtungsklage abgewiesen‚ und dabei auf die Gründe seines Beschlusses vom 15. Mai 2014 sowie die Beschwerdeentscheidung des Senats vom 12. August 2014 Bezug genommen. Es sei nicht zu beanstanden‚ dass die Beklagte nicht von der Erfüllung der Visumspflicht abgesehen habe; auch der Lebensunterhalt sei nach wie vor nicht gesichert.

1. Der Senat hat bereits Zweifel an der Zulässigkeit des Zulassungsantrags, weil -wie sich auch aus den Ausführungen im angefochtenen Urteil ergibt - fraglich ist‚ ob die vom Kläger mitgeteilte Anschrift auf Kuba den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Zweifel ergeben sich hieran insbesondere im Hinblick auf die Angabe der Schwester des Klägers, die gegenüber Beamten der Polizeiinspektion Neufahrn am 26. September 2014 ausgesagt hat‚ der Kläger sei nach Spanien ausgereist. Die Richtigkeit der angegebenen ladungsfähigen Anschrift ist jedoch erforderlich‚ um die Erreichbarkeit des Klägers für das Gericht sicherzustellen; diese Notwendigkeit folgt aus § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO‚ § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 130 Nr. 1 ZPO (vgl. zuletzt: BayVGH‚ B.v. 3.2.2016 - 10 ZB 15.1413 - juris).

2. Die Frage nach der Richtigkeit der angegebenen Anschrift kann jedoch offen bleiben, weil der Antrag auf Zulassung der Berufung jedenfalls unbegründet ist.

Eine Auslegung des Zulassungsbegehrens (§ 88 VwGO)‚ das sich nicht explizit auf einen der in § 124 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe bezieht‚ ergibt‚ dass zum einen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; 2.1)‚ zum anderen ein Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO; 2.2.) geltend gemacht werden. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen im Zulassungsantrag (§ 124a Abs. 4 Satz 4‚ Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt jedoch keine Zulassung der Berufung, denn weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (2.1) noch liegt der geltend gemachte Verfahrensverstoß in Form einer Gehörsverletzung vor (2.2).

2.1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochten Urteils bestünden nur dann‚ wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG‚ B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist aber im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht abgelehnte Verpflichtung der Beklagten‚ dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegatten-nachzug zu erteilen‚ nicht der Fall.

Die unter Verweis auf die beiden Beschlüsse im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes begründete Auffassung des Verwaltungsgerichts‚ es bestehe kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug nach § 30 Abs. 1 AufenthG‚ weil ein Ausweisungsgrund vorliege und der Kläger nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei‚ begegnet nicht den geltend gemachten ernstlichen Zweifel an ihrer Richtigkeit. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung im Zeitpunkt dieses Beschlusses ist nicht mehr § 5 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG in der bis 31. Dezember 2015 geltenden Fassung, sondern § 5 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG in seiner ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung, wodurch der hier bedeutsame Begriff „Ausweisungsgrund“ durch „Ausweisungsinteresse“ ersetzt wurde; der Sache nach hat sich damit allerdings nichts daran geändert, dass Voraussetzung für Erteilung eines Aufenthaltstitel in der Regel ist‚ dass kein Ausweisungstatbestand vorliegt, der gegenwärtig tatsächlich besteht und rechtlich noch verwertbar ist (vgl. Bender/Leuschner in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 5 Rn. 18). Die Ersetzung des bisher in § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwendeten Begriffs durch das „Ausweisungsinteresse“ stellt lediglich eine Folgeänderung der Neuordnung des Ausweisungsrechts dar (BT-Drs. 18/4097 v. 25.2.2015 S. 35 und S. 52; krit. insoweit: Bender/Leuschner, a. a. O. Rn.18). Als Ausweisungsinteresse ist im vorliegenden Fall der Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG in den Blick zu nehmen. Er entspricht dem Tatbestand einer Ermessensausweisung nach § 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG (in der bis 31.12. 2015 geltenden Fassung), wenn man von der nun aufgeworfenen Frage absieht, ob das Erfordernis eines vorherigen Hinweises auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben (vgl. § 55 Abs. 2 Nr. 1 letzter Halbsatz AufenthG a. F.) sich - wie bisher - auf beide Buchstaben in § 54 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG n. F. bezieht (bejahend: Cziersky/Reis in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 54 Rn. 58, 59) oder nur auf Buchstabe b. Die Antwort auf diese Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich, denn in der Zulassungsbegründung wird nicht behauptet, dass der erforderliche Hinweis auf die Rechtsfolgen unterblieben sei.

Das Zulassungsvorbringen vermag die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Kläger erfülle den Tatbestand des § 54 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a AufenthG, weil er falsche Angaben zur Erlangung eines Schengen-Visums gemacht habe, indem er vorgetäuscht habe, zum Besuch seiner Schwester in das Bundesgebiet einreisen zu wollen, obwohl er in Wirklichkeit einen Daueraufenthalt beabsichtigt habe, nicht ernstlich zu erschüttern. Die Richtigkeit des angegriffenen Urteils ist insbesondere nicht deshalb ernstlich zweifelhaft‚ weil in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht die Ehefrau und die Schwester des Klägers im Rahmen einer informatorischen Befragung angegeben haben‚ der Entschluss, die Ehe einzugehen, sei erst nach der Einreise des Klägers in das Bundesgebiet gefasst worden, weshalb bei Beantragung des Visums keine falschen Angaben gemacht worden seien und damit kein „Ausweisungsinteresse“ vorliege.

Mit diesem Vorbringen stellt der Kläger die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Ausführungen des Senats in seinem Beschluss vom 12. August 2014 (a. a. O., juris Rn. 10) nicht ernsthaft in Frage. Dort hat der Senat begründet‚ warum davon auszugehen ist‚ dass die Absicht der Eheschließung schon vor der Einreise bestand‚ auch wenn der Kläger die Visumsvorschriften nicht bewusst habe umgehen wollen. Er habe jedenfalls den Besuch seiner Schwester lediglich vorgetäuscht‚ um eine Möglichkeit zur Heirat im Schengenraum zu erhalten. Der Vorwurf im Zulassungsvorbringen‚ damit finde eine unzulässige Beweislastumkehr statt und es werde in allen derartigen Fällen ein Generalverdacht ausgesprochen‚ trifft nicht zu. Vielmehr entspricht es dem im Verwaltungsprozess geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast (s. hierzu: Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 86 Rn. 2a m. Rspr.-Nachweisen), dass sie von demjenigen getragen wird, der sich auf einen Umstand beruft, aus dem er eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet; sollte dieser Umstand trotz der im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes (Art. 86 Abs. 1 VwGO) erforderlichen Aufklärung durch das Verwaltungsgericht nicht erweislich sein, ginge die Nichtaufklärbarkeit zulasten des Anspruchstellers. Im vorliegenden Fall hat der Kläger als der einen Anspruch auf Ehegattennachzug geltend machende Ausländer die für ihn günstigen Umstände nachzuweisen oder glaubhaft zu machen (vgl. für das ausländerrechtliche Verwaltungsverfahren: § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Dazu zählt im Besonderen die Frage‚ ob die Heiratsabsicht tatsächlich erst nach Beantragung des Schengen-Visums gefasst wurde, denn dies ist Voraussetzung für die Verneinung eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG. Von einer unzulässigen Umkehr der Beweislast kann demnach keine Rede sein.

Auch der mit dem Zulassungsvorbringen behauptete Verstoß gegen die Unschulds-vermutung‚ die hier gelte‚ weil „strafrechtliche Belange berührt“ seien, liegt nicht vor. Diese Argumentation übersieht‚ dass ein „Ausweisungsinteresse“ wegen unrichtiger Angaben im Visumsverfahren unabhängig davon vorliegt, ob der Ausländer wegen einer entsprechenden Straftat verurteilt wurde oder nicht. Bei der Ausfüllung des Begriffs des „Ausweisungsinteresses“ geht es vielmehr darum‚ ob im Rahmen des Verfahrens zur Erlangung eines Schengen-Visums „falsche oder unvollständige Angaben“ gemacht wurden‚ ohne dass daraus unmittelbar strafrechtliche Konsequenzen gezogen werden müssen, die allerdings ein gesondert zu prüfendes Verschulden voraussetzen würden. Auch im vorliegenden Fall kam es wegen der von der Beklagten und den Verwaltungsgerichten angenommenen falschen Angaben offenbar nicht zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.

In der Zulassungsbegründung wird weiter vorgebracht, der Umstand, dass die Ehe in Dänemark und damit nicht im Inland geschlossen worden sei, sei unschädlich für das Entstehen eines Anspruchs auf Aufenthaltserlaubnis. Soweit damit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 Nr. 3 AufenthV behauptet werden soll, kann dem nicht gefolgt werden. Zu Recht weist die Beklagte darauf hin‚ dass diese Bestimmung‚ die verlangt‚ dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthalts-erlaubnis nach der Einreise entstanden sein müssen‚ so zu verstehen ist‚ dass damit die (letzte) Einreise in das Bundesgebiet‚ nicht dagegen die Einreise in den Schengenraum gemeint ist. Reist also ein Ausländer‚ der im Besitz eines Schengen-Visums ist‚ zum Zwecke der Heirat von Deutschland nach Dänemark aus und kehrt danach wieder zurück‚ ist die grundlegende Voraussetzung für einen Anspruch nach § 30 Abs. 1 AufenthG - die Eheschließung - bereits vor seiner Einreise in das Bundesgebiet entstanden (BayVGH‚ B.v. 10.10.2011 - 19 CE 11.1800 - juris Rn. 4: auch für den Fall‚ in dem die Absicht zur Eheschließung erst nach Einreise in das Bundesgebiet gefasst worden ist).

Besteht aber wegen des Vorliegens eines Ausweisungsinteresses i. S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kein unbedingter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG)‚ so kann nicht von der Einhaltung der Visumsvorschriften nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG abgesehen werden, denn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels sind nicht erfüllt. Raum für ein Ermessen der Ausländerbehörde ist daher nicht eröffnet.

Schließlich vermag dem Zulassungsbegehren auch nicht der Hinweis auf die im angefochtenen Urteil außer Acht gelassene Möglichkeit, vom Vorliegen der Regel-erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) ausnahmsweise abzusehen, zum Erfolg zu verhelfen. Zwar trifft es zu‚ dass dem Kläger - worauf auch der Senat in seinem Beschluss vom 12. August 2014 (a. a. O., Rn. 7) hingewiesen hat - die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts seiner kubanischen Ehefrau, die zwei deutsche‚ mit ihr zusammenlebende Kinder hat‚ wohl nicht auf Dauer entgegengehalten werden kann; im angefochtenen Urteil stellt das Verwaltungsgericht demgegenüber aber nur fest, dass der Lebensunterhalt des Klägers „nach wie vor nicht gesichert“ sei, und übergeht dabei die dargestellten Ausführungen des Senats im Beschluss vom 12. August 2014 (a. a. O.), obwohl auch sie von der umfassenden Bezugnahme in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils erfasst sind. Die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts des Klägers ist jedoch angesichts der fehlenden Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und des Visumsverstoßes nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht mehr entscheidungserheblich und kann daher nicht zur Zulassung der Berufung führen‚ weil der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug schon aus anderen Gründen nicht besteht.

2.2. Auch der geltend gemachte Verfahrensverstoß führt nicht zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat nicht dadurch gegen das Gebot‚ rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG)‚ verstoßen, dass es in seinem Urteil die Aussagen der vom Kläger in der mündlichen Verhand-lung beigezogenen Familienmitglieder nicht ausdrücklich gewürdigt hat, obwohl diese grundsätzlich geeignet waren‚ das von der Beklagten angenommene Aus-weisungsinteresse i. S.v. § 54 Abs. 2 Nr. 8 AufenthG zu entkräften.

Ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs liegt nicht immer schon dann vor‚ wenn sich ein Gericht nicht mit allen vom Kläger vorgebrachten Umständen in seinem Urteil auseinandersetzt; es ist vielmehr davon auszugehen‚ dass das Gericht jegliches Vorbringen jedenfalls zur Kenntnis genommen und seiner Entscheidung -selbst wenn dort nicht ausdrücklich angesprochen - zugrunde gelegt hat (vgl. Kraft in Eyermann‚ VwGO‚ a. a. O.‚ § 138 Rn. 32). Nur bei Vorliegen eindeutiger Anhalts-punkte dafür‚ dass das Gericht ein von ihm entgegengenommenes Vorbringen nicht in seine Erwägungen einbezogen hat‚ kann ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden (BVerwG‚ B.v. 27.10.1998 - 8 B 132.98 - NJW 1999‚ 1493), so etwa, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern eines Tatsachenvortrags zu einer entscheidungserheblichen Frage nicht eingeht‚ obwohl er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts nicht unerheblich oder völlig unsub-stantiiert war (BVerfG‚ Kammerbeschluss v. 21.7.2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004‚ 3). Unter Anlegung dieser Maßstäbe kann im vorliegenden Fall (noch) davon ausgegangen werden‚ dass das Erstgericht die Äußerungen der Beistände des Klägers entgegengenommen und gewürdigt hat‚ ihnen jedoch nicht das erforderliche Gewicht beigemessen hat‚ um die Fassung des Heiratsentschlusses erst nach der Einreise in das Bundesgebiet als ausreichend belegt und zur Überzeugung des Gerichts dargetan anzusehen. Diese Herangehensweise des Erstgerichts lässt sich mittelbar aus den Gründen des angefochtenen Urteils (UA, S. 5‚ 2. Abs., 2. Satz) ableiten‚ wo es heißt, dass gegenüber dem Zeitpunkt der Beschlüsse im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes von der Klägerseite keine „wesentliche Umstände‚ die das Gericht zu einer anderen rechtlichen Einschätzung veranlassen könnten“‚ vorgebracht worden seien.

Die Ehefrau des Klägers und seine Schwester wurden im Übrigen lediglich als Beistände (vgl. § 67 Abs. 7 VwGO) zugezogen und angehört‚ ohne dass ihre Einver-nahme als Zeuginnen beantragt wurde; dies hätte ihren Aussagen unter Umständen ein erhöhtes Gewicht verliehen, das Verwaltungsgericht jedenfalls zu einer Auseinandersetzung im Urteil veranlasst. Die Aussagen der vom Kläger benannten und ihm „nahestehenden“ Beistände sind dagegen als Parteivortrag zu werten (§ 67 Abs. 7 Satz 4 VwGO) und damit ähnlich wie die Angaben eines informatorisch angehörten Klägers (hierzu Geiger in Eyermann, a. a. O., § 98 Rn. 33), dessen Aussage vor dem Hintergrund des von ihm mit dem Prozess verfolgten Eigeninteresses zu würdigen ist.

Nach alldem war der Antrag auf Zulassung der Berufung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens ein Aufenthaltstitel außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es erfordern.

(2) Ein nach der Einreise des Ausländers von der Ausländerbehörde erteilter oder verlängerter Aufenthaltstitel kann nach den Vorschriften dieses Gesetzes ungeachtet des Umstandes verlängert werden, dass der Ausländer einen Asylantrag gestellt hat.

(3) Einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist oder der seinen Asylantrag zurückgenommen hat, darf vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 erteilt werden. Sofern der Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nummer 1 bis 6 des Asylgesetzes abgelehnt wurde, darf vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Sätze 1 und 2 finden im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung; Satz 2 ist ferner nicht anzuwenden, wenn der Ausländer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 erfüllt.

(1) Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen.

(2) Ein Asylantrag ist insbesondere offensichtlich unbegründet, wenn nach den Umständen des Einzelfalles offensichtlich ist, dass sich der Ausländer nur aus wirtschaftlichen Gründen oder um einer allgemeinen Notsituation zu entgehen, im Bundesgebiet aufhält.

(3) Ein unbegründeter Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn

1.
in wesentlichen Punkten das Vorbringen des Ausländers nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird,
2.
der Ausländer im Asylverfahren über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder diese Angaben verweigert,
3.
er unter Angabe anderer Personalien einen weiteren Asylantrag oder ein weiteres Asylbegehren anhängig gemacht hat,
4.
er den Asylantrag gestellt hat, um eine drohende Aufenthaltsbeendigung abzuwenden, obwohl er zuvor ausreichend Gelegenheit hatte, einen Asylantrag zu stellen,
5.
er seine Mitwirkungspflichten nach § 13 Abs. 3 Satz 2, § 15 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 oder § 25 Abs. 1 gröblich verletzt hat, es sei denn, er hat die Verletzung der Mitwirkungspflichten nicht zu vertreten oder ihm war die Einhaltung der Mitwirkungspflichten aus wichtigen Gründen nicht möglich,
6.
er nach §§ 53, 54 des Aufenthaltsgesetzes vollziehbar ausgewiesen ist oder
7.
er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird oder nach § 14a als gestellt gilt, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern oder des allein personensorgeberechtigten Elternteils unanfechtbar abgelehnt worden sind.

(4) Ein Asylantrag ist ferner als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Abs. 2 vorliegen oder wenn das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat.

(5) Ein beim Bundesamt gestellter Antrag ist auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn es sich nach seinem Inhalt nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 handelt.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32, § 25a Abs. 1 AufenthG ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Juli 2018 wendet, ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 - 10 C 15.849 - juris Rn. 3 m.w.N.) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG voraussichtlich nicht zusteht und die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG erfolglos bleiben wird.

Dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 AufenthG zum Familiennachzug zu seiner Mutter, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG besitzt, steht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat - bereits entgegen, dass die Mutter nicht nachgewiesen hat, dass sie alleinige Inhaberin des Personensorgerechts für den Kläger ist. Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die Mutter durch Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 28. April 2017 macht die Mutter nicht zum allein personensorgeberechtigten Elternteil im Sinne des § 32 Abs. 1 AufenthG. Die Grundsätze über die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen, wonach der Grundsatz der Inzidentanerkennung gilt, solange nicht völkerrechtliche Regelungen vorgehen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 - 10 C 14.12 -juris Rn. 16), finden insoweit keine Anwendung, weil gerade keine ausländische Sorgerechtsentscheidung vorliegt, sondern lediglich eine Entscheidung zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht durch ein nationales Gericht. Der Hinweis, dass der Vater des Klägers wahrscheinlich in der Ukraine verstorben ist, ohne weitere Nachweise für seinen Tod vorzulegen, macht die Mutter des Klägers nicht zur alleinigen Inhaberin des Personensorgerechts.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG und § 32 Abs. 4 AufenthG kommt schon wegen der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur vorliegt, wenn ein strikter Rechtsanspruch besteht; ein Sollanspruch oder eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Befugnis zu einer Ermessensentscheidung sind hingegen nicht ausreichend (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 27 m.w.N.).

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG scheidet ebenfalls aus. Die Klage ist zwar insoweit zulässig, weil mit Bescheid vom 5. Juli 2017 auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG ablehnt wurde und der Beklagte damit unabhängig vom Antrag am 11. Juli 2016 über das Bestehen eines Anspruchs nach § 25a Abs. 1 AufenthG entschieden hat. Hinzu kommt, dass der Kläger inzwischen am 18. August 2018 einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift gestellt hat. Tritt nach einem Antrag auf Prozesskostenhilfe eine Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers ein, so ist hinsichtlich der Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht - wie sonst - der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags maßgebend. Vielmehr ist die Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, denn für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit auch für den Beurteilungszeitpunkt bleibt einzig und allein das materielle Recht bestimmend (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2017 - 19 C 16.1719 - juris Rn. 8; B.v. 14.5.2013 - 10 C 10.3007 - juris Rn. 6 m.w.N.). Folglich ist die am 18. August 2018 erfolgte Antragstellung bei der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Allerdings hat die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bei summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten. Der Kläger hat zwar gegenüber der Ausländerbehörde nachgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorliegen. Auch hält er sich zum Stichtag 2. Oktober 2018 seit vier Jahren mit Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung im Bundesgebiet auf und erfüllt damit die Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Da er am 9. Oktober 2018 erst das 18. Lebensjahr vollendet hat, hat er seinen Antrag vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Allerdings kann im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keine Prognose getroffen werden, ob der Kläger sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Eine positive Integrationsprognose kann gestellt werden, wenn die begründete Erwartung besteht, dass der ausländische Jugendliche oder Heranwachsende sich in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen kann. Geboten ist eine die konkreten individuellen Lebensumstände des ausländischen Jugendlichen oder Heranwachsenden berücksichtigende Gesamtbetrachtung, etwa der Kenntnisse der deutschen Sprache, des Vorhandenseins eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, des Schulbesuchs und des Bemühens um eine Berufsausbildung oder Erwerbstätigkeit, des sozialen und bürgerschaftlichen Engagements sowie der Akzeptanz der hiesigen Rechtsordnung (BayVGH, B.v. 11.12.2017 - 10 ZB 17.1082 - juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 7.10.2016 - 2 M 73/16 - juris Rn. 5 m.w.N.). Diese Prognose ist aufgrund der bisherigen Integrationsleistungen zu erstellen (BT-Drs. 17/5093, S. 15). Es obliegt dem Ausländer im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 AufenthG), für ihn günstige Umstände vorzutragen und nachzuweisen (Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Auflage 2018, § 25 a Rn. 14). Derartige Nachweise hat der Kläger bislang im Verfahren nicht vorgelegt. Die ihm von der Ausländerbehörde des Beklagten gesetzte Frist bis zum 2. Oktober 2018 hat er verstreichen lassen. Der erfolgreiche Schulabschluss ist für das Vorliegen einer positiven Integrationsprognose nicht ausreichend, weil die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG kumulativ vorliegen müssen (vgl. BayVGH, a.a.O.). Kommt der Kläger den ihm obliegenden Mitwirkungspflichten bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Prozesskostenhilfeverfahren nicht nach, so kann nicht zu seinen Gunsten davon ausgegangen werden, dass die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens offen sind, weil noch nicht abschließend geklärt ist, ob er ausreichende Integrationsleistungen für eine positive Integrationsprognose erbracht hat.

Auch bestehen derzeit keine hinreichenden Erfolgsaussichten für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zunächst ist unklar, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. NdsOVG, U.v. 8.2.2018 - 13 LB 43/17 - ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 - 1 B 21/17 - BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - InfAuslR 2011, 250). Zudem steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift genauso wie ein Abweichen von den nach den Ausführungen im Bescheid vom 5. Juli 2017 nicht vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts wendet, ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 - 10 C 15.849 - juris Rn. 3 m.w.N.) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger der den Streitgegenstand der Verpflichtungsklage allein bildende Anspruch auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zur weiteren Ausübung bzw. Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft mit seinem am 11. Juni 2016 geborenen Sohn mit deutscher Staatsangehörigkeit voraussichtlich schon deshalb nicht zusteht, weil ihm die (freiwillige) Ausreise auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK nicht unzumutbar und damit nicht im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG rechtlich unmöglich ist.

Keiner abschließenden Klärung oder Entscheidung bedarf deshalb, ob hier die humanitäre Rechtsgrundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG neben den §§ 27 ff. AufenthG mit vom Gesetzgeber detailliert geregelten Voraussetzungen für einen Aufenthalt aus familiären Gründen Anwendung finden kann (allgemein zur Problematik: vgl. Maaßen/Kluth in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.2.2017, AufenthG § 25 Rn. 136 und 136.1; bejahend: BayVGH, U.v. 11.3.2014 - 10 B 11.978 - juris Rn. 30 ff.; diese Frage wiederum offen lassend: BayVGH, U.v. 26.9.2016 - 10 B 13.1318 - juris Rn. 39 m.w.N.).

Das Verwaltungsgericht ist mit der Beklagten zu Recht der Auffassung, dass es mit dem Schutz aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vereinbar ist, den Kläger auf die Ausreise (nach Nigeria) und Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Sohn (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu verweisen, weil infolge der ihm bereits erteilten Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV dieses Visum laut Auskunft der deutschen Botschaft in Lagos/Nigeria vom 9. Januar 2017 innerhalb von 10 Tagen erteilt werden kann und das Visumverfahren somit eine nur vorübergehende, kurzfristige Trennung von seinem Sohn zur Folge hat.

Der Einwand des Klägers, ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf dem Visums Weg ändere nichts daran, dass in seinem Fall ein innerstaatliches Ausreisehindernis im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 und § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG bestehe, weil unter Ausreise im Sinne dieser Bestimmungen nur eine dauernde Ausreise zu verstehen sei, greift nicht durch.

Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der - wie der Kläger - vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Unter „Ausreise“ im Sinne dieser Vorschrift ist sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 12, U.v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 15 jeweils m.w.N.). Entscheidend ist damit die Möglichkeit der (freiwilligen) Ausreise insbesondere in den Herkunftsstaat; dabei ist nicht auf das bloße Verlassen des Bundesgebiets abzustellen, sondern auch darauf, ob es dem Ausländer möglich, ist in den anderen Staat einzureisen und sich dort (nicht nur kurzfristig) aufzuhalten (vgl. Nr. 25.3.5.2 AVV-AufenthG). Dies ist bei einer Ausreise des Klägers in seinen Herkunftsstaat Nigeria der Fall, auch wenn diese Ausreise letztlich (nur) der Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug dient.

Eine freiwillige Ausreise ist, da tatsächliche Hindernisse beim Kläger nicht vorliegen, im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich sowohl aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen unter anderem auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind, als auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten (z.B. nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG; vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 17). Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nicht nur die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben, sondern es ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG a.a.O. Rn. 17).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine freiwillige Ausreise nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil sie mit Art. 6 Abs. 1 und 2 GG unvereinbar wäre. Zwar gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei ihren aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen die familiären Bindungen des den weiteren Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familienrechtlichen Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - juris Rn. 12 m.w.N.).

Kann die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden, etwa weil das Kind deutscher Staatsangehörigkeit und ihm wegen der Beziehungen zu seiner Mutter das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zumutbar ist, so drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, einwanderungspolitische Belange regelmäßig zurück. Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass der persönliche Kontakt des Kindes zu seinen Eltern und der damit verbundene Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in der Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienen. Eine auch nur vorübergehende Trennung kann nicht als zumutbar angesehen werden, wenn das Gericht keine Vorstellung davon entwickelt, welchen Trennungszeitraum es für zumutbar erachtet. Ein hohes gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (BVerfG a.a.O. Rn. 13 f.).

Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist die (freiwillige) Ausreise des Klägers nicht wegen Unvereinbarkeit mit dem Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG rechtlich unmöglich. Entgegen der Auffassung des Klägers ist es in seinem Fall mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie vereinbar, ihn auf die Einholung des erforderlichen Visums für eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zum minderjährigen deutschen Sohn (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) zu verweisen, weil die damit zwangsläufig verbundene vorübergehende Trennung von seinem Sohn als zumutbar anzusehen ist. Der bei bereits erteilter Vorabzustimmung nach § 31 Abs. 3 AufenthV zu erwartende Trennungszeitraum für die Dauer des Visumverfahrens bei der Botschaft in Lagos/Nigeria von zehn Tagen ist jedenfalls auch mit Blick auf die Bedeutung des persönlichen Kontakts und der Kontinuität emotionaler Bindungen des Kindes zum Vater noch zumutbar, weil in dieser kurzen Zeit nicht zu erwarten ist, dass das noch sehr kleine Kind des Klägers diese sehr kurze Trennung nicht begreifen und schon als endgültigen Verlust erfahren wird. Dieser (Trennungs-)Zeitraum ist entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht etwa eine bloße Behauptung der Beklagten, sondern vielmehr durch die in der Ausländerakte befindliche Auskunft der deutschen Botschaft in Lagos/Nigeria vom 9. Januar 2017 hinreichend belegt.

Im Übrigen ist die (nachträgliche) Einholung des erforderlichen Visums zum Familiennachzug auch nicht als bloße Förmlichkeit anzusehen. Will ein ohne das erforderliche Visum eingereister Asylbewerber nach erfolglosem Abschluss seines Asylverfahrens einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel erlangen, hat er daher grundsätzlich - nicht anders als jeder andere Ausländer - ein Sichtvermerksverfahren im Heimatland durchzuführen (vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2016 - 10 C 16.818 - juris Rn. 11).

Auch mit Blick auf den konventionsrechtlichen Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK ergibt sich insoweit kein weitergehender Schutz des Klägers.

Die (freiwillige) Ausreise des Klägers zur Durchführung des Sichtvermerksverfahrens im Heimatland ist schließlich nicht aus den sonstigen von ihm angeführten Gründen rechtlich unmöglich.

Soweit er auf seine insbesondere gesundheitliche Gefährdung im Falle der (Rück-) Reise nach Nigeria verweist, macht er letztlich zielstaatsbezogene Gefahren bzw. Abschiebungsverbote geltend, über die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Fall mit bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 19. Januar 2016 abschließend (negativ) entschieden hat. An diese Feststellung ist die Ausländerbehörde aber gemäß § 42 Satz 1 AsylG gebunden (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 18).

Soweit er sonstige unverhältnismäßige Erschwernisse bei der Organisation einer Ausreise wie insbesondere Impfungen, Flugkosten, Kosten für Versicherungen und die fehlende Rückfluggarantie im Falle einer Erkrankung oder Verletzung geltend macht, ist für solche sonstigen Zumutbarkeitserwägungen im Rahmen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kein Raum. Denn wie oben ausgeführt ist dem Ausländer die freiwillige Ausreise aus Rechtsgründen nur unzumutbar, wenn sie ihm wegen zielstaats- oder inlandsbezogener Abschiebungsverbote nicht zugemutet wird; weitergehende allgemeine Zumutbarkeitserwägungen sind vom Begriff der Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne dieser Bestimmung nicht erfasst (BVerwG a.a.O. Rn. 20).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32, § 25a Abs. 1 AufenthG ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27. Juli 2018 wendet, ist unbegründet. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 - 10 C 15.849 - juris Rn. 3 m.w.N.) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG voraussichtlich nicht zusteht und die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG erfolglos bleiben wird.

Dem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 1 AufenthG zum Familiennachzug zu seiner Mutter, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG besitzt, steht - wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat - bereits entgegen, dass die Mutter nicht nachgewiesen hat, dass sie alleinige Inhaberin des Personensorgerechts für den Kläger ist. Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die Mutter durch Beschluss des Amtsgerichts Augsburg vom 28. April 2017 macht die Mutter nicht zum allein personensorgeberechtigten Elternteil im Sinne des § 32 Abs. 1 AufenthG. Die Grundsätze über die Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen, wonach der Grundsatz der Inzidentanerkennung gilt, solange nicht völkerrechtliche Regelungen vorgehen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 - 10 C 14.12 -juris Rn. 16), finden insoweit keine Anwendung, weil gerade keine ausländische Sorgerechtsentscheidung vorliegt, sondern lediglich eine Entscheidung zur Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht durch ein nationales Gericht. Der Hinweis, dass der Vater des Klägers wahrscheinlich in der Ukraine verstorben ist, ohne weitere Nachweise für seinen Tod vorzulegen, macht die Mutter des Klägers nicht zur alleinigen Inhaberin des Personensorgerechts.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG und § 32 Abs. 4 AufenthG kommt schon wegen der Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nur vorliegt, wenn ein strikter Rechtsanspruch besteht; ein Sollanspruch oder eine Ermessensreduzierung auf Null bei der Befugnis zu einer Ermessensentscheidung sind hingegen nicht ausreichend (vgl. zuletzt BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 27 m.w.N.).

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG scheidet ebenfalls aus. Die Klage ist zwar insoweit zulässig, weil mit Bescheid vom 5. Juli 2017 auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG ablehnt wurde und der Beklagte damit unabhängig vom Antrag am 11. Juli 2016 über das Bestehen eines Anspruchs nach § 25a Abs. 1 AufenthG entschieden hat. Hinzu kommt, dass der Kläger inzwischen am 18. August 2018 einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift gestellt hat. Tritt nach einem Antrag auf Prozesskostenhilfe eine Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers ein, so ist hinsichtlich der Beurteilung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht - wie sonst - der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags maßgebend. Vielmehr ist die Änderung der Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Antragstellers zu berücksichtigen, denn für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit auch für den Beurteilungszeitpunkt bleibt einzig und allein das materielle Recht bestimmend (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2017 - 19 C 16.1719 - juris Rn. 8; B.v. 14.5.2013 - 10 C 10.3007 - juris Rn. 6 m.w.N.). Folglich ist die am 18. August 2018 erfolgte Antragstellung bei der Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Allerdings hat die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bei summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten. Der Kläger hat zwar gegenüber der Ausländerbehörde nachgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorliegen. Auch hält er sich zum Stichtag 2. Oktober 2018 seit vier Jahren mit Aufenthaltsgestattung bzw. Duldung im Bundesgebiet auf und erfüllt damit die Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Da er am 9. Oktober 2018 erst das 18. Lebensjahr vollendet hat, hat er seinen Antrag vor Vollendung des 21. Lebensjahres gestellt (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Allerdings kann im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats keine Prognose getroffen werden, ob der Kläger sich in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen kann (§ 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Eine positive Integrationsprognose kann gestellt werden, wenn die begründete Erwartung besteht, dass der ausländische Jugendliche oder Heranwachsende sich in sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik einfügen kann. Geboten ist eine die konkreten individuellen Lebensumstände des ausländischen Jugendlichen oder Heranwachsenden berücksichtigende Gesamtbetrachtung, etwa der Kenntnisse der deutschen Sprache, des Vorhandenseins eines festen Wohnsitzes und enger persönlicher Beziehungen zu dritten Personen außerhalb der eigenen Familie, des Schulbesuchs und des Bemühens um eine Berufsausbildung oder Erwerbstätigkeit, des sozialen und bürgerschaftlichen Engagements sowie der Akzeptanz der hiesigen Rechtsordnung (BayVGH, B.v. 11.12.2017 - 10 ZB 17.1082 - juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 7.10.2016 - 2 M 73/16 - juris Rn. 5 m.w.N.). Diese Prognose ist aufgrund der bisherigen Integrationsleistungen zu erstellen (BT-Drs. 17/5093, S. 15). Es obliegt dem Ausländer im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht (§ 82 Abs. 1 AufenthG), für ihn günstige Umstände vorzutragen und nachzuweisen (Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Auflage 2018, § 25 a Rn. 14). Derartige Nachweise hat der Kläger bislang im Verfahren nicht vorgelegt. Die ihm von der Ausländerbehörde des Beklagten gesetzte Frist bis zum 2. Oktober 2018 hat er verstreichen lassen. Der erfolgreiche Schulabschluss ist für das Vorliegen einer positiven Integrationsprognose nicht ausreichend, weil die Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG kumulativ vorliegen müssen (vgl. BayVGH, a.a.O.). Kommt der Kläger den ihm obliegenden Mitwirkungspflichten bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Prozesskostenhilfeverfahren nicht nach, so kann nicht zu seinen Gunsten davon ausgegangen werden, dass die Erfolgsaussichten des Klageverfahrens offen sind, weil noch nicht abschließend geklärt ist, ob er ausreichende Integrationsleistungen für eine positive Integrationsprognose erbracht hat.

Auch bestehen derzeit keine hinreichenden Erfolgsaussichten für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zunächst ist unklar, ob § 25 Abs. 5 AufenthG als Auffangvorschrift für ein sich aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK ergebendes Ausreisehindernis herangezogen werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen der für die genannten Aufenthaltszwecke bestehenden Normen nicht erfüllt sind (vgl. NdsOVG, U.v. 8.2.2018 - 13 LB 43/17 - ZAR 2018, 176; OVG Bremen, U.v. 16.3.2017 - 1 B 21/17 - BeckRS 2017, 105559; VGH BW, U.v. 13.12.2010 - 11 S 2359/10 - InfAuslR 2011, 250). Zudem steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift genauso wie ein Abweichen von den nach den Ausführungen im Bescheid vom 5. Juli 2017 nicht vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG im Ermessen der Ausländerbehörde. Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Mai 2010 - 11 K 2236/09 - wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Kläger je zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte und der Beigeladene jeweils selbst.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
Die im Jahre 1969 im Irak geborenen und aus Kirkuk stammenden Kläger zu 1 und 2 reisten mit ihren am 26.04.1997 und 01.11.1998 geborenen Kindern, den Klägern zu 3 und 4, am 26.07.1999 in das Bundesgebiet ein und stellten Asylanträge. Bei der Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 11.08.1999 gab der Kläger zu 1 zu seinen persönlichen Verhältnissen unter anderem an: Sein Vater sei Araber, seine Mutter Kurdin. Nach irakischem Gesetz sei er deshalb Araber. Er spreche Kurdisch und Arabisch, außerdem Türkisch und etwas Englisch. Er habe einen Fachhochschulabschluss Fachrichtung Metallbearbeitung und habe bis zu seiner Ausreise in Kirkuk eine Autowerkstatt für Auto-Elektrik betrieben. Der Kläger zu 1 legte verschiedene irakische Dokumente vor, unter anderem ein Abschlusszeugnis der Technischen Hochschule ..., eine Heiratsurkunde und Urkunden über die Staatsangehörigkeit sowie Personalausweise.
Mit Bescheid vom 29.10.1999 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte den Klägern die Abschiebung in den Irak an. Die hiergegen erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 24.01.2001 - A 13 K 14053/99 - ab. Seit Ende Oktober 1999 hielt sich die Familie nicht mehr in der ihr zugewiesenen Unterkunft auf. Am 23.01.2002 wurden die Kläger zu 1 bis 4 aus Schweden rücküberstellt, wo sie unter anderen Namen um Asyl nachgesucht hatten. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 05.02.2002 die Anträge auf Durchführung von weiteren Asylverfahren und die Anträge auf Abänderung des Bescheides vom 29.10.1999 bezüglich der Feststellungen zu § 53 AuslG ab. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies mit Urteil vom 15.04.2003 - A 2 K 10431/02 - die hiergegen erhobenen Klagen ab. Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung ruhten zunächst und wurden vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 30.08.2006 - A 2 S 290/05 - abgelehnt.
Die Kläger zu 1 bis 4 erhalten seit 31.01.2002 bis heute ununterbrochen Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung. Auch die im Bundesgebiet am 04.06.2004 geborene Klägerin zu 5, deren Asylantrag nach § 14a Abs. 2 AsylVfG mit Bescheid des Bundesamtes vom 21.02.2006 unanfechtbar abgelehnt worden ist, verfügt bis heute lediglich über Duldungen. Die Duldungen für die Familienmitglieder haben grundsätzlich eine Geltungsdauer von drei Monaten.
Am 08.07.2008 beantragten die Kläger durch ihre Prozessbevollmächtigte unter Berufung auf die sog. Altfallregelung und § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Sie machten geltend, sie seien im Bundesgebiet integriert. Die Kinder besuchten die Schule oder eine Kindertageseinrichtung. Die Kläger zu 1 und 2 seien mittlerweile erwerbstätig. Auch im Hinblick auf die psychischen Erkrankungen der Klägerinnen zu 2 und 3 seien sie unverschuldet an einer Ausreise in den Irak gehindert. Die Kläger legten unter anderem Stellungnahmen der Psychologischen Beratungsstelle für politisch Verfolgte und Vertriebene, Stuttgart (im Folgenden: PBV), Schulbescheinigungen und Zeugnisse für die Kläger zu 3 und 4 sowie Lohnabrechnungen vor.
Mit Verfügungen vom 18.12.2008 lehnte die Beklagte die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab und führte zur Begründung unter anderem aus: Da die Kläger erst Anfang 2002 aus Schweden nach Deutschland rücküberstellt worden seien, seien schon die zeitlichen Voraussetzungen für ein Bleiberecht nach der Anordnung des Innenministeriums Baden-Württemberg nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20.11.2006 und nach der Altfallregelung des § 104a AufenthG nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Hinsichtlich eines rechtlichen inlandsbezogenen Ausreisehindernisses aus Art. 8 EMRK fehle es bei den Eltern, den Klägern zu 1 und 2, an der notwendigen Integration. Auch sei davon auszugehen, dass diese mit den Lebensverhältnissen ihres Heimatlandes noch vertraut seien und eine Reintegration möglich und zumutbar sei. Bei den Klägern zu 3 bis 5 sei kein überdurchschnittliches Maß der Integration festzustellen. Der stets nur geduldeten Familie könne eine gemeinsame Ausreise in das Herkunftsland zugemutet werden. Auch seien die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt. Der Lebensunterhalt sei nicht ohne - zusätzliche - Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert. Die Identität sei nicht geklärt, denn die Angaben zur Person beruhten ausschließlich auf Angaben der Kläger selbst, die in Schweden andere Personalien verwendet hätten. Schließlich werde auch die Passpflicht nicht erfüllt. Nach umfassender Gewichtung und Wertung sämtlicher Umstände des Falles und Abwägung der privaten Belange gegenüber dem öffentlichen Interesse komme eine Abweichung von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht in Betracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2009, zugestellt am 11.05.2009, wies das Regierungspräsidium Stuttgart die gegen die Verfügungen erhobenen Widersprüche der Kläger zurück und führte mit Blick auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK aus: Die Kläger zu 1 und 2 seien seit ihrer Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Januar 2002 zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf öffentliche Leistungen angewiesen gewesen. Auch bezüglich der Kläger zu 3 bis 5 seien keine besonderen Integrationsleistungen ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Klägerin zu 5 im Bundesgebiet geboren sei und die Kläger zu 3 und 4 hier zur Schule gingen, rechtfertige nicht die Annahme, eine Rückkehr in den Irak sei ihnen unzumutbar. Sie hätten noch kein Alter erreicht, in dem ihnen ein Hineinwachsen in die Lebensumstände des Staates ihrer Staatsangehörigkeit in der Regel nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten gelingen könnte. Die Kläger zu 1 und 2 seien im Irak geboren und aufgewachsen und hätten diesen erst im Erwachsenenalter verlassen. Auch die Kläger zu 3 und 4 seien dort geboren und hätten dort kurze Zeit gelebt. Zudem verfügten die Kläger auch heute noch über familiäre Anknüpfungspunkte. Nachdem die Kläger zu 1 und 2 bisher in ausgesprochen geringem Maße im Bundesgebiet integriert seien, könne davon ausgegangen werden, dass die innerfamiliären Lebensverhältnisse noch stark von der nationalen Herkunft der Großfamilie geprägt seien und die Kläger zu 3 bis 5 ihre Muttersprache zumindest in Grundzügen beherrschten. Diese würden auch nicht allein in den Irak übersiedeln, sondern könnten mit der Unterstützung der Kläger zu 1 und 2 sowie ggfs. anderer Verwandter rechnen. Auch die bisher vorgetragenen Erkrankungen reichten nicht aus, um von einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in den Irak ausgehen zu können. Insbesondere sei nichts dafür ersichtlich, dass die Kläger auf eine dringende ärztliche Behandlung angewiesen wären, die nur im Bundesgebiet erbracht werden könnte. Allein die pauschale Aussage, die Kläger zu 3 bis 5 würden Verhaltensauffälligkeiten zeigen, und der Umstand, dass die Klägerinnen zu 2 und 3 psychotherapeutische Beratungsgespräche wahrnähmen, könnten die Unzumutbarkeit der Rückkehr nicht begründen.
Mit ihren am 10.06.2009 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klagen verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiter. Zur Begründung haben sie weitere Stellungnahmen der PBV sowie Bescheinigungen verschiedener Institutionen und Privatpersonen zum gesellschaftlichen und sozialen Leben der Familie vorgelegt, insbesondere zu den Aktivitäten der Kläger zu 3 und 4 im Fußballverein (aktive Spieler in einer Mädchen- bzw. Jugendfußballmannschaft des TSV H.), in der Schule (unter anderem Klassensprecherin bzw. stellvertretender Klassensprecher) und in Freizeiteinrichtungen.
Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Das beigeladene Land hat sich nicht geäußert.
10 
Nach der ohne Dolmetscher erfolgten Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10.05.2010 - 11 K 2236/09 - die Beklagte verpflichtet, den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen und die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2008 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.05.2009 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Aufgrund der vollständigen Integration der Kläger zu 3 und 4 in die deutschen Lebensverhältnisse und der vollständigen Entwurzelung gegenüber der Heimat ihrer Eltern ergebe sich für diese unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf Achtung des Privatlebens ein rechtliches Abschiebungsverbot aus Art. 8 EMRK. Das Aufenthaltsrecht der Kläger zu 1, 2 und 5 folge aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK unter dem Gesichtspunkt des Familienlebens mit den im Bundesgebiet verwurzelten Klägern zu 3 und 4. Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK sei auch bei lediglich Geduldeten eröffnet. Was die Frage der Qualität des Aufenthaltsrechts anbelange, so sei dies Teil der Schrankenprüfung, insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wobei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen sei, dass die Integrationsleistungen unter dem Schutz der jahrelangen bewussten „Vollstreckungszurückhaltung“ der Behörden stattgefunden hätten. Die Kläger zu 3 und 4 hätten - wie ihre Aktivitäten beim Sport, in der Schule und in der Freizeit zeigten - sich mit der bundesdeutschen Gesellschaft identifiziert und die demokratischen Grundanschauungen, die Wertvorstellungen und Verhaltensweisen inländischer Jugendlicher als Teil ihrer eigenen Identität persönlichkeitsprägend auf- und angenommen. Sie unterschieden sich durch ihre kulturellen Verhaltens- und Sichtweisen nicht von deutschen Schülern. Bei beiden sei auch von einer vollständigen Entwurzelung auszugehen. Sie besäßen nur mündliche Sprachkenntnisse in Sorani. Sie hätten als Kleinkinder den Irak verlassen und könnten nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Ihre Eltern seien auch nicht in der Lage, ihren Kindern die notwendige Unterstützung für eine erforderliche Reintegration zu geben. Seit dem Sturz Saddam Husseins und der Neuerrichtung des Landes hätten sich sämtliche Umstände dort, in wirtschaftlicher Hinsicht, in den sozialen Bedingungen, in gesellschaftlicher Hinsicht und - ganz besonders - in Sicherheitsfragen so grundlegend gewandelt, dass nicht zu erkennen sei, dass die Eltern selbst wüssten, wie es in diesem Land „laufe“ und wie sie eine Eingliederung der Kläger zu 3 und 4 in die dortige Gesellschaft erfolgreich bewerkstelligen sollten. Es sei angesichts ihres Alters, aber auch aus finanziellen Gründen, höchst unwahrscheinlich, dass namentlich für die Klägerin zu 3 die Möglichkeit bestehen könnte, durch einen Schulbesuch im Irak Zugang zur dortigen Gesellschaft zu finden. Ferner handele es sich bei den Klägern um eine ethnisch gemischte Familie aus arabischen (Kläger zu 1) und kurdischen (Klägerin zu 2) Angehörigen. Wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert hätten, habe die Verbindung der Klägerin zu 2 mit dem Kläger zu 1 zu familiären Verwerfungen dergestalt geführt, dass die Klägerin zu 2 gleichsam aus ihrer Familie verstoßen worden sei. Bis heute habe sich hieran nichts geändert. Für den Raum Kirkuk, der gerade nicht in der autonomen Provinz des Nordirak liege, werde seit langem und auch in jüngster Zeit von erheblichen, ständig zunehmenden ethnischen Spannungen berichtet. Es komme vielfach zu Übergriffen, Gewalttaten und Bombenanschlägen. Wie die Kläger zu 1 und 2 in einer solchen Situation den Klägern zu 3 und 4 bei der Reintegration ins Heimatland in irgendeiner Weise behilflich sein sollten, sei schlechterdings nicht vorstellbar. Das der Beklagten nach § 25 Abs. 5 AufenthG eingeräumte Ermessen sei angesichts der vorliegenden Umstände und auch mit Blick auf die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG auf Null reduziert.
11 
Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 06.10.2010 die Berufung zugelassen, die fristgerecht unter Stellung eines Antrags begründet worden ist. Die Beklagte ist der Auffassung, die Kläger könnten sich schon deshalb nicht auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK berufen, weil ansonsten die mit der Altfallregelung nach § 104a AufenthG getroffene gesetzgeberische Entscheidung umgangen würde. Jedenfalls liege kein schützenswertes Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 30.04.2009 ausgeführt, eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht. Die Kläger zu 3 und 4 könnten sich schon deshalb nicht auf ein rechtliches Abschiebungsverbot aus Art. 8 EMRK berufen, weil ihr Aufenthalt zu keiner Zeit rechtmäßig, sondern stets nur geduldet gewesen sei. Abgesehen davon fehle es auch an besonderen Integrationsleistungen. Mit dem Schulbesuch kämen sie lediglich ihrer Schulpflicht nach. Das Verwaltungsgericht habe die Wahl der Klägerin zu 3 zur Klassensprecherin und die Wahl des Klägers zu 4 zum stellvertretenden Klassensprecher und auch deren sportliches Engagement überbewertet - zumal der Aufenthalt der gesamten Familie bis heute durch einen nur vorübergehenden geduldeten Status gekennzeichnet sei. Der Aussetzung der Abschiebung wohne der Natur nach inne, dass eine Aufenthaltsverfestigung grundsätzlich nicht möglich sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass bestimmte Regelungen, z.B. entsprechende Erlasse, dennoch geduldeten Ausländern zu einem Aufenthaltstitel unter den dort genannten Voraussetzungen verhelfen könnten. Der geduldete Ausländer dürfe nämlich von Beginn seines geduldeten Aufenthalts an und auch im weiteren Verlauf nicht darauf vertrauen, er werde später einmal in den Genuss solcher begünstigenden Regelungen kommen. Den Klägern habe stets bewusst sein müssen, ihr Aufenthalt im Bundesgebiet könne mit Wegfall der Duldungsgründe jederzeit beendet werden. Dass dies ganz kleinen Kindern unter Umständen nicht einfach zu vermitteln sei, werde nicht verkannt - umso höher seien jedoch die Anforderungen an die Eltern zu stellen, ihren Kindern diesen „unsicheren“ Aufenthalt im Bundesgebiet klarzumachen. Die Kläger zu 3 und 4 seien bei der Zurückstellung aus Schweden in einem Alter gewesen, in dem man ihnen mit entsprechender Mühe und einem kindgerechten Erklären das sicher hätte vermitteln können. Nach den Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht werde in der Familie Sorani gesprochen und auch kurdisches Fernsehen geschaut. Dies zeige, dass die Familie als Gesamteinheit im Bundesgebiet doch noch nicht so verwurzelt sei, dass im hausinternen Bereich eine deutsche Lebensweise kultiviert werde. Dies färbe natürlich auch auf die Kinder ab, so dass diese zwar möglicherweise außerhalb der heimischen Wohnung guten Umgang mit der deutschen Lebensweise hätten - wie dies bei Kindern normalerweise üblich sei, da Kinder sich regelmäßig ihrer Umgebung gut anpassen könnten - jedoch im privaten und innerfamiliären Bereich den Umgang mit den Sitten ihres Heimatstaates pflegten. Den Klägern zu 3 und 4 sei es auch durchaus möglich und zumutbar, Sorani noch schriftlich zu erlernen, zumal sie in einem Alter seien, in dem üblicherweise an der Schule Fremdsprachen gelernt würden. Ihre Eltern könnten ihnen in ihrer Heimat ohne weiteres dabei helfen. Kinder im Alter der Kläger zu 3 und 4 fänden naturgemäß auch leicht Kontakt zu Gleichaltrigen und hätten, da sie Sorani zumindest mündlich beherrschten, auch bei einer Kontaktaufnahme keine Schwierigkeiten - im Gegensatz zu Kindern, die die Sprache der Gleichaltrigen nicht sprächen. Auch werde ihnen ihre Fähigkeit zum Teamgeist, den sie hier in den Fußballmannschaften und als (stellvertretender) Klassensprecher bewiesen hätten, dabei helfen. Es sei zwar richtig, dass sich für die Kläger zu 3 und 4 bei einer Rückkehr in ihre Heimat einiges ändern werde. Es sei jedoch nicht ersichtlich, warum ihnen diese Umstellung nicht gelingen sollte. Die Kläger zu 3 und 4 befänden sich in der Vorpubertät bzw. am Anfang der Pubertät und hätten daher eine eigene Persönlichkeitsbildung noch lange nicht abgeschlossen, so dass gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine Reintegration in die Heimat noch möglich sei. Es sei sicherlich richtig, dass die Klägerin zu 3 in ihrer Heimat nicht mehr Mädchenfußball spielen können werde, jedoch sei dies unter Umständen auch bei einem bloßen Umzug innerhalb des Bundesgebiets der Fall, wenn der neue Wohnort keine Mädchenfußballmannschaft habe. Was einen möglichen Schulbesuch der Kläger zu 3 und 4 im Irak angehe, so sei festzustellen, dass die Kinder im Irak eben die Verhältnisse antreffen würden, die dort für Kinder in diesem Alter üblich seien, was ihnen durchaus zuzumuten sei. Die Kläger zu 3 und 4 könnten und dürften nicht erwarten, im Fall einer Rückkehr in ihre Heimat die gleichen Bildungsmöglichkeiten zu erhalten wie im Bundesgebiet. Es gebe kein Recht darauf, den hier erlebten Status in der Heimat aufrechterhalten zu können, wenn dort andere Verhältnisse üblich seien. Soweit das Verwaltungsgericht im Rahmen der familienbezogenen Gesamtbetrachtung darauf abgestellt habe, dass die Kläger zu 1 und 2 selbst nicht mehr wüssten, was in diesem Land „laufe“ und so eine Eingliederung der Kläger zu 3 und 4 nicht zu bewerkstelligen sei, so sei dem schon aus den zuvor genannten Gründen entgegenzutreten. Die Kinder hätten schon von sich aus sehr gute Voraussetzungen für eine Reintegration, so dass diesbezüglich an eine Hilfe der Eltern keine so großen Anforderungen mehr zu stellen seien. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Kläger zu 1 und 2 über die Verhältnisse in der Heimat durch die Medien, insbesondere das kurdische Fernsehen, gut informiert seien. Dass ihre Familie ethnisch gemischt sei, führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Beide sprächen Sorani und damit eine der Amtssprachen des Irak. Es komme auch nicht darauf an, ob eine Integration in der Provinz Kirkuk möglich sei, denn die Familie sei nicht gezwungen, genau dorthin zu gehen, sondern könne sich auch einen anderen Ort im Irak auswählen. Nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes könne die Familie darauf verwiesen werden, die familiäre Lebensgemeinschaft in ihrem Heimatstaat zu führen.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10.05.2010 - 11 K 2236/09 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
14 
Der Beigeladene schließt sich ausdrücklich dem Antrag der Beklagten an und führt im Wesentlichen aus: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe die Frage, ob auch die sozialen Bindungen von Ausländern im Rahmen von Aufenthalten ohne einen Aufenthaltstitel vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK erfasst würden, bisher offengelassen. Richtigerweise bedürfe es für den Schutz der sozialen Bindungen eines Ausländers einer festen Verankerung des Privatlebens im Vertragsstaat, die sich nicht auf eine lose Verbindung beschränke und einen aufenthaltsrechtlichen Status als Basis aufweise, die berechtigterweise die Erwartung hervorrufen könne, dort bleiben zu dürfen. Zwar sicherten die Vertragsstaaten gemäß Art. 1 EMRK allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt 1 bestimmten Rechte und Freiheiten zu. Hier sei jedoch zu unterscheiden zwischen dem Schutz der sozialen Bindungen des Ausländers im Aufenthaltsstaat und dem faktischen Aufenthalt als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Rechte. Bei Ausländern sei in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht die Freiheitssphäre grundsätzlich begrenzt, da sie für den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels bedürften. Der Schutz sozialer Bindungen durch Art. 8 EMRK während rechtswidriger Aufenthalte würde das Recht der Vertragsstaaten auf die Kontrolle der Zuwanderung unterlaufen. Soweit sich das Verwaltungsgericht bei seiner These, ein schutzwürdiges Privatleben könne auch bei einem rechtswidrigen Aufenthalt vorliegen, auf das erstinstanzliche Urteil des EGMR vom 16.06.2005 im Verfahren Nr. Nr. 60654/00 (Sisojeva ./. Lettland) stütze, sei dies zudem verfehlt. Weder eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung noch eine Aufenthaltsgestattung könnten die Basis für ein schutzwürdiges Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK bilden. Eine Duldung erschöpfe sich in dem vorübergehenden Verzicht auf die Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht. Für einen ordnungsgemäßen Aufenthalt sei gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG ein Aufenthaltstitel erforderlich. Von dem vorübergehenden Verzicht auf die Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht und der strafrechtlichen Sanktionierung gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG könne nicht auf eine Legalisierung des Aufenthalts geschlossen werden. Für geduldete Ausländer fehle es wegen der Rechtswidrigkeit des Aufenthalts an einer Basis für soziale Bindungen, deren Schutz die Vertragsstaaten gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisten müssten. Die Kinder müssten aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern teilen. Soweit das Verwaltungsgericht auf die Intention des Gesetzgebers abstelle, „Kettenduldungen“ nicht mehr vorzusehen, und eine großzügige Auslegung des § 25 Abs. 5 AufenthG befürworte, sei dies verfehlt. Die Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes durch das Bundesinnenministerium habe ergeben, dass die Mehrzahl der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen die Ausreisehindernisse zu vertreten habe. Dies erkläre, warum in der Mehrzahl der Fälle die „Kettenduldungen“ nicht durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelöst werden könnten. Eine großzügige Handhabung des § 25 Abs. 5 AufenthG würde die Intention des Gesetzgebers einer konsequenten Ausländerpolitik, die einerseits der Integration der rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländer und andererseits der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung verpflichtet sei und deren zentrales Element die Durchsetzung bestehender Ausreiseverpflichtungen sei, konterkarieren. Eine solche Auslegung des § 25 Abs. 5 AufenthG könne auch nicht auf die Gesetzesbegründung gestützt werden, da sich die Systematik des Aufenthaltsgesetzes insoweit im Verlauf des Vermittlungsverfahrens zum Zuwanderungsgesetz durch die Einfügung der Duldung geändert habe. Eine großzügige Handhabung des § 25 Abs. 5 AufenthG wiese der Vorschrift die Funktion einer allgemeinen Bleiberechtsregelung zu. Ein wesentlicher Bestandteil des politischen Kompromisses zum Zuwanderungsgesetz sei jedoch der Verzicht auf eine solche allgemeine Bleiberechtsregelung gewesen.
15 
Die Kläger beantragen,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
18 
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Kläger zu 1 bis 4, die Psychologin Frau A. (PBV), die die Kläger betreuende Sozialarbeiterin Frau O.-Y. sowie den derzeitigen Arbeitgeber des Klägers zu 1 Herrn S. K. angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
19 
Wegen des weitergehenden Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zum Irak verwiesen. Dem Senat liegen die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten über die Kläger (zehn Bände der Beklagten, zwei Bände des Regierungspräsidiums Stuttgart) und die die Kläger betreffenden gerichtlichen Asylverfahrensakten (drei Bände) vor.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den von den Klägern jeweils geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG bejaht. Die zulässigen Verpflichtungsklagen sind begründet; die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.05.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Die Klägerin zu 3 hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aus dem Recht auf Achtung ihres Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung ihres Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (I.). Der sachliche und personelle Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK ist eröffnet. Auch ein Ausländer, der seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nur über einen geduldeten Aufenthalt nach § 60a Abs. 2 AufenthG verfügt, kann sich auf das Recht auf Achtung seines Privatlebens berufen. Der prekären aufenthaltsrechtlichen Situation ist im Rahmen der Prüfung des Art. 8 Abs. 2 EMRK nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen (1.). Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens besteht darin, dass durch die Vorenthaltung eines verlässlichen Aufenthaltsstatus das Privatleben der Klägerin zu 3 unverhältnismäßig beeinträchtigt wird (2.). Sie ist in besonderem Maße im Bundesgebiet integriert (3.). Auch unter Berücksichtigung ihres prekären Aufenthaltsstatus kann ihr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht zugemutet werden (4.). Dem Anspruch der Klägerin zu 3 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehen die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG nicht entgegen (5.). Auch der Kläger zu 4 hat aus dem Recht auf Achtung seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung seines Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (II.). Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht ein Anspruch auf Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf die jeweils mit den Klägern zu 3 bzw. 4 gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zu (III.).
I.)
22 
Der Klägerin zu 3 ist nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
23 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Nach Satz 2 soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist.
24 
Die Klägerin zu 3 ist aufgrund der im Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohung gemäß Bescheid des Bundesamts vom 29.10.1999 vollziehbar ausreisepflichtig. Sie wird seit 31.01.2002 bis heute ununterbrochen („ketten“-)geduldet und damit um ein Vielfaches länger als der in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG definierte Zeitraum. Die - freiwillige - Ausreise der Klägerin zu 3 ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil einer solchen das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK entgegensteht. Der Begriff der Ausreise umfasst die zwangsweise Abschiebung und die freiwillige Ausreise (BVerwG, Urteile vom 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 12 und vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 15). Da die Ausreise eine unvertretbare Handlung darstellt, ist die Unmöglichkeit im Hinblick auf den betroffenen Ausländer zu prüfen. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn es diesem Ausländer aus Rechtsgründen nicht zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Allgemeine Widrigkeiten oder Überlegungen humanitärer Art, die keine Abschiebungshindernisse zur Folge haben, bleiben dabei unberücksichtigt. Somit ist die Ausreise unzumutbar und damit unmöglich, wenn rechtliche zielstaats- und/oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 17). Zu den inlandsbezogenen Abschiebungsverboten zählen auch die Verbote, die aus Verfassungsrecht (z.B. Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006, a.a.O.).
25 
1.) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klägerin zu 3 die Berufung auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK nicht deshalb verwehrt, weil die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG nicht erfüllt worden sind. Die Klägerin zu 3 und ihre Familie haben sich zum Stichtag am 01.07.2007 nicht - wie von § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für Familien mit minderjährigen Kindern gefordert - seit mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet aufgehalten. Sie sind zwar erstmals im Juli 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Allerdings kann auf diesen Zeitpunkt nicht abgestellt werden, weil die Familie den Angaben im Asylfolgeverfahren zufolge nach Erlass des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 29.10.1999 zunächst in der Türkei gegangen ist, um dort zu leben (siehe im Einzelnen den Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 28.03.2002 im Verfahren A 2 K 10431/02). In einem solchen Fall liegt keine unschädliche Unterbrechung der Aufenthaltszeiten vor (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 22 ff.; GK-AufenthG, § 104a Rn. 12 ff.). Erst mit ihrer Rücküberstellung aus Schweden am 23.01.2002 - dorthin war die Familie nach ihrer Abschiebung in den Irak durch die türkischen Behörden zum Zwecke der Asylantragstellung gereist - hat daher der für § 104a AufenthG relevante Aufenthaltszeitraum zu laufen begonnen. Aus der Existenz von Bleiberechts- und Altfallregelungen ergibt sich jedoch keine Sperrwirkung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (so aber Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14; Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 Rn. 661, 664). Systematisch stehen die Altfallregelungen der §§ 104a und 104b AufenthG neben § 25 Abs. 5 AufenthG (näher Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 25 Rn. 78; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 42). Die in den Altfallregelungen normierten generalisierten Fallkonstellationen, die rechtspolitisch begründet und nicht etwa verfassungs- bzw. völkerrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers geschuldet sind, berühren die hiervon losgelöste Einzelfallbetrachtungen auf der Grundlage der Menschenrechtskonvention nicht (vgl. auch VGH Bad-Württ., Urteil vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 19 und Beschluss vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - juris Rn. 12).
26 
a.) Mit Blick auf den Aufenthalt umfasst das Recht auf Achtung des Privatlebens die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275, 277 m.w.N.). Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Nach der ständigen Spruchpraxis des EGMR lässt sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich kein irgendwie geartetes Recht dahingehend ableiten, ein Ausländer dürfe sich einen Aufenthaltsort in einem Konventionsstaat frei wählen. Vielmehr ist den Konventionsstaaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Einwanderung in ihr Hoheitsgebiet zulassen wollen. Unter anderem in seinen Entscheidungen vom 16.09.2004 (11103/03 - - NVwZ 2005, 1046), vom 07.10.2004 (33743/03 - - NVwZ 2005, 1043) und vom 18.10.2006 (46410/99 - <Üner> - NVwZ 2007, 1279) hat der EGMR ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Konvention nicht das Recht eines Ausländers garantiere, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen bzw. abgeschoben zu werden. Die Vertragsstaaten haben vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden (siehe hierzu auch BVerwG, Urteile vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 - NVwZ 1998, 742 und vom 29.09.1998 - 1 C 8.98 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschluss vom 10.05.2006 - 11 2345/05 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - juris und Beschluss vom 15.02.2006 - 7 TG 106/06 - InfAuslR 2006, 217; NdsOVG, Beschlüsse vom 11.05.2006 - 12 ME 138/06 - InfAuslR 2006, 329 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2006 - 18 B 44/06 -AuAS 2006, 144).
27 
Dessen ungeachtet kann nach der Rechtsprechung des EGMR unter anderem in den Sachen „Silvenko“ (Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - EuGRZ 2006, 560), „Sisojeva I und II“ (Urteil vom 16.06.2005 - 60654/00 - EuGRZ 2006, 554 und Entscheidung vom 15.01.2007 - InfAuslR 2007, 140), „Rodrigues da Silva und Hoogkammer“ (Urteil vom 31.01.2006 - 50435/99 - EuGRZ 2006, 562) sowie „Mendizabal“ (Urteil vom 17.01.2006 - 51431/99 - InfAuslR 2006, 297) ausnahmsweise auch die Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung der Legalisierung des Aufenthalts einen - rechtfertigungsbedürftigen - Eingriff in das Privatleben darstellen, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt. Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt danach für solche Ausländer in Betracht, die auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 8.96 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - VBlBW 2009, 357 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -).
28 
Für diese den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnende Verbundenheit ist das Bestehen wirtschaftlicher Bindungen zwar regelmäßig typisch, aber nicht unerlässlich. Bei Kindern, die - wie die Klägerin zu 3 - der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, nicht erwerbstätig sein dürfen und daher in wirtschaftlicher Hinsicht grundsätzlich noch keine eigenen Bindungen an die Bundesrepublik aufgebaut haben, wäre andernfalls eine Berufung auf das Recht auf Privatleben von vornherein ausgeschlossen, was der Konzeption des Art. 8 EMRK als Menschenrecht widerspräche. Wären wirtschaftliche Bindungen dem Recht auf Achtung des Privatlebens immanente Tatbestandsvoraussetzungen, so wären gerade Kinder, die diese nicht eigenständig begründen können, insoweit vom Schutz der Konvention ausgeschlossen. Dass der eigenständige Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage für ein schützenswertes Privatleben nicht zwingend konstitutiv sein muss, lässt sich auch aus einem Vergleich mit Art. 16 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (Gesetz vom 17.02.1992, BGBl II S. 121) ersehen, in dem die Vertragsstaaten ausdrücklich vereinbart haben, den Schutz des Privatlebens eines Kindes prinzipiell anzuerkennen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gedanke der „starken persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen“ vor allem auch dazu dient, solche Konstellationen aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK „herauszufiltern“, bei denen es nicht gerechtfertigt ist, im Rahmen der Schranken des Absatzes 2 überhaupt in eine umfassende Interessens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung einzutreten. Jedenfalls dann, wenn aber - quantitativ betrachtet - ein längerer Aufenthalt vorliegt und - unter einem qualitativen Aspekt - besondere Integrationsleistungen erbracht wurden, ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet (GK-AufenthG, § 60a Rn. 174 f.). Auch der EGMR geht etwa im Urteil vom 18.10.2006 in der Rechtssache „Üner“ (46410/99 - NVwZ 2007, 1279) von einem denkbar weiten Schutzbereich aus und erachtet als Bestandteil des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK „die Gesamtheit der sozialen Beziehungen“. Dies entspricht der europäischen Tradition des „in dubio pro libertate“.
29 
Gemessen hieran verfügt die Klägerin zu 3 über Bindungen zum Bundesgebiet, die dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens unterfallen. Die am 26.04.1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit über acht Jahren ununterbrochen hier auf und besucht mittlerweile die 7. Klasse der Hauptschule. Ihre Fähigkeiten in der deutschen Sprache entsprechen, wie sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte, denjenigen von Kindern deutscher Herkunft, die ihr in Alter und Bildungsstand vergleichbar sind. Sie verfügt über einen - auch deutsche Freunde umfassenden -Freundeskreis und ist im Vereinsleben (als Mannschaftsfußballspielerin) und auch im sonstigen gesellschaftlichen Leben (unter anderem in einem Theaterprojekt) aktiv.
30 
Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, dass unter aufenthaltsrechtlichen Aspekten auch wirtschaftliche Bindungen für die Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens unerlässlich wären und bei Minderjährigen deshalb insoweit auf ihre Sorgeberechtigten abzustellen wäre, würde dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn beide Elternteile verfügen über hinreichend qualifizierte wirtschaftliche Kontakte. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. als geringfügig Beschäftigte. Der Kläger zu 1 ist seit 2005 überwiegend - wenn auch in unterschiedlichem Umfang und den Lebensunterhalt nicht allein deckend - erwerbstätig.
31 
b.) Der Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens steht ferner nicht entgegen, dass die Klägerin zu 3 während ihres gesamten bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet keinen Aufenthaltstitel besessen hat.
32 
aa.) Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob sich Ausländer, deren Aufenthalt stets lediglich geduldet worden ist, auf den Schutz der Achtung des Privatlebens berufen können (dies bejahend: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 - juris Rn. 80 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 17, vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - InfAuslR 2009, 72 und vom 25.10.2007 - 11 S 2019/07 - InfAuslR 2008, 29; BremOVG, Beschluss vom 22.11.2010 - 1 A 383/09 - juris Rn. 14 ff.; VG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2009 - 7 K 1621/08.F - InfAuslR 2010, 302; VG Stuttgart, Urteil vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 28 f.; GK-AufenthG, § 25 Rn. 150; HK-AuslR, § 25 Rn. 56; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 44 f.; Bergmann, Aufenthaltsrecht aufgrund von Verwurzelung, ZAR 2007, 128 ff.; Thym, Menschenrecht auf Legalisierung des Aufenthalts?, EuGRZ 2006, 541, 546 ff.; ders., Humanitäres Bleiberecht zum Schutz des Privatlebens?, InfAuslR 2007, 133, 138; Benassi, Die Bedeutung der humanitären Aufenthaltsrechte des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG im Lichte des Art 8 EMRK, InfAuslR 2006, 397, 401 ff.; Hoppe, Verwurzelung von Ausländern ohne Aufenthaltstitel - Wann kann Art. 8 Abs. 1 EMRK zu einem Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verhelfen?, ZAR 2006, 125, 128 f.; Marx, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung, ZAR 2006, 261, 266; Sander, Der Schutz des Aufenthalts durch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2008, S. 346; Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482, 523) oder ob ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt (in diesem Sinne: NdsOVG, Beschlüsse vom 12.08.2010 - 8 PA 182/10 - juris Rn. 5, vom 14.05.2009 - 8 LB 158/06 - juris Rn. 24, vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris Rn. 2 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - ZAR 2006, 413; Hailbronner, Ausländerrecht, § 25 Rn. 131; Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 25 Rn. 31; Fritzsch, Der Schutz sozialer Bindungen von Ausländern, 2009, S. 102 ff., 149 ff. 188 f.; ders., Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14, 16 ff.; Bundesministerium des Innern, Bericht zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung des Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), Juli 2006, Nr. 2.3.10.1.6, S. 80; dies offenbar grundsätzlich annehmend auch BVerwG, Urteile vom 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 14 und vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn. 20).
33 
Soweit sich das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung, der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK sei auch bei nur Geduldeten eröffnet, auf das Urteil des EGMR vom 16.06.2005 (60654/00 - - InfAuslR 2005, 349) berufen hat, wonach dieser explizit keine willentliche Legalisierung verlange (so etwa auch Benassi, InfAuslR 2006, 397, 403), ergibt sich das in dieser Allgemeinheit aus der Entscheidung nicht. Denn die dortigen Beschwerdeführer hatten jahrelang rechtmäßig in der früheren Sowjetunion (im Gebiet des heutigen Lettland) und auch danach noch in Lettland selbst gelebt und ihnen war erst später zum Teil als staatenlos gewordene russische Volkszugehörige ein Aufenthaltsrecht bestritten worden, nachdem sie nach 1989 sogar noch zeitlich befristete Aufenthaltstitel erhalten hatten (vgl. näher Thym, EuGRZ 2006, 541, 545 ff.). Die Entscheidung ist Teil der einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR, in der dieser bislang nicht ausdrücklich entschieden hat, ob ein - jedenfalls zeitweiliger - rechtmäßiger Aufenthalt Voraussetzung für die Begründung schutzwürdiger sozialer Bindungen ist (vgl. aus der Rechtsprechung des EGMR etwa Urteile vom 06.02.2001 - 44599/98 -, NVwZ 2002, 453, 455, vom 16.09.2004 - 11103/03 - , a.a.O., vom 07.10.2004 - 3374/03 , a.a.O. und vom 08.04.2008 - 21878/06 - ). Zwar hat der EGMR im Urteil vom 30.01.2006 (50435/99 - - a.a.O.) ausgeführt, „dass Personen, die, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden eines Vertragsstaates mit ihrer Anwesenheit in diesem Staat konfrontieren, im Allgemeinen nicht erwarten können, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht zugesprochen wird.“ Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, der Schutzbereich im Falle einer nicht erfolgten ausdrücklichen Legalisierung wäre von vornherein verschlossen. Das Recht der Vertragsstaaten auf Kontrolle ihrer Zuwanderung gebietet keine solche Auslegung. Ihr Recht, über die Zuwanderung von Ausländern eigenständig zu bestimmen, wird allein dadurch, dass einem Ausländer die Berufung auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK ermöglicht wird, nicht tangiert. Dies kann vielmehr erst Ergebnis der im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK durchzuführenden Prüfung sein, bei der auch die Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern als legitime Ziele eines Eingriffs einzustellen sind. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten selbst über Einreise- und Aufenthaltsrechte disponieren können, hat keinen Absolutheitsanspruch. Auch aus der Freizügigkeitsregelung in Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur Menschrechtskonvention folgt nicht, dass die Begründung eines schutzwürdigen Privatlebens nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt im Vertragsstaat in Betracht kommt (so aber Fritzsch, ZAR 2010, 14, 19). Nach dessen Art. 2 Abs. 1 hat jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen. Dieses Zusatzprotokoll dient ausdrücklich dazu, „gewisse Rechte und Freiheiten zu gewährleisten, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind“. Soweit für die Gewährung von Freizügigkeit auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abgestellt wird, erfolgt dies mit Blick auf diese besondere Gewährleistung, dient aber nach der Intention des Zusatzprotokolls keinesfalls dazu, den Schutzbereich des bereits durch die Konvention selbst gewährten Rechts auf Achtung des Privatlebens einschränkend zu bestimmen. Eine Unterscheidung in unterschiedlich werthaltige Privatleben ist Art. 8 EMRK nicht immanent (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Darüber hinaus ist ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll. Abgesehen davon, dass diese Begrenzung des Schutzbereiches durch die Aufnahme des „Vertrauensmerkmals“ wenig konturenscharf ist, steht ein zu eng gefasster Schutzbereich einem einzelfallbezogenen gerechten Interessenausgleich oftmals entgegen und ist zudem geeignet, die Wirksamkeit des konventionsrechtlichen Schutzes zu schmälern (GK-AufenthG, § 60a Rn. 173 f. m.w.N.). Gerade bei Personen, die aus Krisengebieten kommen und bei denen über Jahre hinweg die Abschiebung ausgesetzt worden ist, verbaut eine vorschnelle Ausgrenzung aus dem Schutzbereich die Möglichkeit, den Fallkonstellationen angemessen Rechnung tragen zu können, in denen die Ausländerbehörde in der Vergangenheit über Jahre hinweg nur „Kettenduldungen“ erteilt hatte, obwohl im Grunde realistischer Weise keine Abschiebungs- und Ausreisemöglichkeit bestanden hatte. Solchen Personen, die im Hinblick auf die Verhältnisse in ihrem Heimatland geduldet werden, wird mit der Aussetzung der Abschiebung faktisch eine „Hand zum Verbleib“ gereicht; der Staat zwingt den Ausländer gerade nicht dazu, das Land seines jetzigen Aufenthalts zu verlassen (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Dies zeigt sich insbesondere im vorliegenden Fall, in dem - mit Blick auf die seit 2003 herrschende Situation im Irak - zu keinem Zeitpunkt auf die Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin zu 3 und ihrer Familie hingewirkt worden ist. Vielmehr ist ihren Eltern im Januar 2008 die Beschäftigung sogar uneingeschränkt erlaubt worden, was den weiteren Aufbau wirtschaftlicher Bindungen begünstigt. Ein weiter Schutzbereich mit einer Verlagerung der Aufenthaltsstatusfragen in die Schrankenprüfung erlaubt daher eher dem Einzelfall adäquate Lösungen als eine zu enge Definition des Schutzbereichs. Mögliche Missbrauchsfälle sind kein generelles Argument hiergegen. Zwar ist nach dem Bericht des Bundesinnenministeriums zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes „die lange Aufenthaltsdauer in der Mehrzahl der Fälle der langjährig Geduldeten auf Verfahrensverschleppungen, missbräuchliche Antragstellungen und fehlende Mitwirkungsbereitschaft zurückzuführen“ (a.a.O. Nr. 2.3.10.3, S. 84). Solche Fälle können jedoch stets im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK „ausgesondert“ werden. Eine weite Fassung des Rechts auf Achtung des Privatlebens entspricht im Übrigen auch der Grundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts bei Art. 2 Abs. 1 GG, das insoweit ebenfalls von einem weiten Schutzbereich ausgeht (siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - juris).
34 
bb.) Erst recht ist im Übrigen die Eröffnung des Schutzbereichs bei Geduldeten anzunehmen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Rechtsordnung in der Vergangenheit einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgesehen hat, der im Einzelfall auch zu realisieren gewesen wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 - in Unkenntnis der Rechtslage - keinen entsprechenden Antrag bei der Ausländerbehörde gestellt hatten. Auch ein in der Vergangenheit nach dem Ausländerrecht bestehender, durch die Behörde aber nicht erfüllter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, stellt eine „Handreichung des Staates“ dar.
35 
Die Kläger zu 1 bis 4 waren aufgrund der Abschiebungsandrohung mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.10.1999 seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.01.2001 vollziehbar ausreisepflichtig und ab 31.01.2002 geduldet. Nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 konnte einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig war, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorlagen, weil seiner freiwilligen Ausreise Hindernisse entgegenstanden, die er nicht zu vertreten hatte. Die Regelung ermöglichte die Legalisierung eines schon länger geduldeten Aufenthalts, wobei als Ermessenkriterien die Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigungen im Fall der Ausreise, die Dauer der Abschiebungshindernisse und die Art der Duldungsgründe herangezogen werden konnten (Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl. 1993, § 30 Rn. 9). Nach § 34 AuslG konnte die Aufenthaltsbefugnis für jeweils längstens zwei Jahre erteilt und verlängert werden, wobei die jeweilige Frist nach der Art der Erteilungsgründe und der Möglichkeit ihres Fortfalls zu bemessen war (Kanein/Renner, a.a.O., § 34 Rn. 2).
36 
Weshalb die Klägerin zu 3 und ihre Familie nach der Entscheidung des Bundesamts über ihren Folgeantrag mit Bescheid vom 05.02.2002 danach im Jahre 2002 und Anfang 2003 geduldet wurden, obwohl ordnungsgemäß ausgefüllte Anträge auf Ausstellung eines Passersatzes vorlagen, erschließt sich anhand der Akten nicht. Auch die Beklagte und das beigeladene Land haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierfür keinen nachvollziehbaren Grund benennen können. In der Folgezeit waren die am 20.03.2003 im Irak begonnene Militäraktion und die danach nicht bestehenden Rückführungsmöglichkeiten ursächlich für die Aussetzung der Abschiebung (vgl. auch Schreiben des Innenministeriums vom 27.11.2003 und vom 29.07.2004 - jew. Az.:4-13-IPK/12). Nachdem im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.08.2003 die Rückkehrmöglichkeiten aus dem Ausland in den Irak aufgrund der von den Nachbarländern geschlossenen Grenzen verneint worden waren, wurden im Lagebericht vom 06.11.2003 die Möglichkeiten dargestellt, wie auf dem Landweg und mit welchen Dokumenten eine Einreise in den Irak erfolgen konnte (siehe im Einzelnen S. 15 f.). Eine Rückkehr über Kuwait, Iran, Türkei oder Saudi-Arabien war für aus westlichen Ländern kommende Iraker aufgrund der ganz oder jedenfalls für diesen Personenkreis immer wieder geschlossenen Grenzen praktisch nicht realisierbar. Grundsätzlich kam aber eine Einreise über Jordanien oder Syrien in den Irak in Betracht. Aus Deutschland kehrten Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration über Jordanien zurück (Taxi Amman - Bagdad). Auf dieser Route waren grundsätzlich irakische Pässe erforderlich. Ferner bestand die Möglichkeit, ab Damaskus mit Kleinbussen nach Bagdad zu fahren; syrische Grenzbehörden akzeptierten neben den irakischen Reisepässen auch Ersatzdokumente. In den folgenden Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vom 07.05.2004, 02.11.2004 und 24.11.2005) wurden insoweit keine grundsätzlichen Änderungen berichtet. Zwar hätten die Klägerin zu 3 und ihre Familie danach theoretisch den Irak auf dem Landweg erreichen können, wobei die Kläger allerdings erst in ihrer Herkunftsregion Kirkuk eine notwendige Unterstützung durch dort noch lebende Verwandte hätten erlangen können. Eine freiwillige Ausreise war ihnen in Anbetracht der schon mit der Reise über den Landweg unmittelbar verbundenen Gefahren - so war etwa auf Straßenverbindungen wie beispielsweise der Straße von Bagdad nach Amman, der wichtigsten Verbindung Bagdads mit dem Ausland, ständig mit bewaffneten Überfällen zu rechnen, bei denen auch Menschen zu Tode kamen (näher Lageberichte vom 07.05.2004, S. 8 ff. und vom 02.11.2004, S. 12 ff.) - aber auch mit Blick auf die katastrophale Versorgungssituation, die sie im damaligen Irak vorgefunden hätten, nicht zumutbar gewesen. Die Klägerin zu 2 war schwanger mit der am 04.06.2004 geborenen Klägerin zu 5 und der Kläger zu 4 gerade erst fünf Jahre alt. Eine Schwangere sowie kleine Kindern sind jedoch in besonderem Maße auf die ihren Bedürfnissen entsprechende Versorgung mit sauberem Wasser und Lebensmitteln, aber auch auf die Verfügbarkeit medizinischer Hilfe angewiesen. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.04.2003 beschrieb die medizinische Versorgung, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie Strom und Wasser als angespannt und kritisch (siehe im Einzelnen S. 2 f.). Die Lageberichte vom 07.08.2003 und 06.11.2003 zeichneten kein grundlegend anderes Bild. Im letztgenannten Lagebericht hieß es, dass sich die Stromversorgung nach der Besetzung des Landes drastisch verschlechtert habe, die Wasserversorgung von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen worden und weiterhin kritisch sei, die medizinische Versorgung angespannt bleibe, da viele Krankenhäuser - sofern sie überhaupt in Betrieb seien - unter schlechten hygienischen Bedingungen und mangelnder Energieversorgung litten und für die Versorgung der Bevölkerung Nahrungsmittel verteilt werden müssten. Diese Einschätzung wurde auch in den folgenden Lageberichten vom 07.05.2004 (vgl. dort S. 10 ff.), 02.11.2004 (S. 15 f., 19) und 24.11.2005 (S. 27 f.) im Wesentlichen aufrechterhalten.
37 
Selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Ausländerbehörde aufgrund der Veränderbarkeit persönlicher Verhältnisse und der Zustände im Herkunftsland zeitlich ein Spielraum zugebilligt werden musste, bevor die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG in Betracht kam, wäre eine solche unter Reduzierung des eingeräumten Ermessens auf Null jedenfalls spätestens im Laufe des Jahres 2004 zu erteilen gewesen. Dem stand nicht entgegen, dass nach dem Schreiben des Innenministeriums an die nachgeordneten Ausländerbehörden zur Rückführung irakischer Staatsangehöriger vom 27.11.2003 im Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit und Zumutbarkeit einer freiwilligen Rückkehr in den Irak die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG „in der Regel nicht mehr in Betracht kommt“ und nach den Angaben eines Vertreters des beigeladenen Landes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihm landesweit kein Fall bekannt sei, in dem eine Familie, die sich in einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation befand, Aufenthaltsbefugnisse erhalten hätte. Denn ein Anspruch der Klägerin zu 3 und ihrer Familie auf - zeitweilige - Legalisierung ihres Aufenthalts hätte sich - auch als Ausnahmefall von der grundsätzlichen Zumutbarkeit im Sinne des Erlasses des Innenministeriums - unmittelbar aus § 30 Abs. 3 AuslG ergeben.
38 
Die Realisierbarkeit dieses Anspruchs wäre auch nicht aufgrund von § 11 Abs. 1 AuslG 1990 zu verneinen gewesen. Danach konnte einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hatte, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es forderten. Die Vorschrift war zwar auf das von den Eltern der Klägerin zu 3 im Januar 2002 in Gang gesetzte Asylfolgeverfahren anwendbar (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.04.1996 - 11 S 156/96 - InfAuslR 1996, 303, 304), das bestandskräftig erst mit dem Beschluss des erkennenden Gerichtshofs vom 30.08.2006 abgeschlossen wurde. Allerdings hätten - nach entsprechendem Hinweis der Ausländerbehörde - die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 den Asylfolgeantrag zurücknehmen und damit die „Sperrwirkung“ des § 11 Abs. 1 AuslG beseitigen können.
39 
cc.) Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begründet, komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht, gebietet der vorliegende Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Die Klägerin zu 3 verfügt mit Blick auf die Situation im Irak seit vielen Jahren über jeweils auf drei Monate befristete Duldungen, die nahtlos ineinander übergehen. Diese „Kettenduldungen“ haben ihre Ursache nicht in einer mangelnden Mitwirkung an der Aufenthaltsbeendigung oder in einem sonstigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten, waren doch Passanträge ausgefüllt worden. Ihnen liegt vielmehr zugrunde, dass der Staat es der Ausländerin gerade nicht zumutet, in ihr Heimatland zurückzukehren, in dem er auch selbst nichts unternahm oder unternimmt, eine Aufenthaltsbeendigung zwangsweise durchzusetzen. Einem auf der Grundlage derartiger „zweitklassiger Aufenthaltstitel“ (vgl. Bergmann, ZAR 2007, 128, 129) gelebten Privatleben den Schutz des Art. 8 EMRK von vornherein zu versagen, wäre konventionswidrig.
40 
2.) Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 liegt darin, dass ihr eine Rückkehr in die Lebensverhältnisse ihres Herkunftsstaats nicht mehr zumutbar ist und durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels ihr Privatleben unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.
41 
a.) Zwar ist nicht ersichtlich, dass das beigeladene Land derzeit oder in absehbarer Zeit eine Aufenthaltsbeendigung der Klägerin zu 3 und ihrer Familie anstreben und ihre Abschiebung in den Irak in die Wege leiten würden. Im vorliegenden Fall reicht jedoch eine Duldung nicht aus, um der Konvention zu entsprechen (vgl. näher Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41, 43; Bergmann, ZAR 2007, 128, 131). Die Duldung begrenzt den Aufenthalt der Klägerin zu 3 kraft Gesetzes auf das Land Baden-Württemberg (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Zusätzlich ist die Wohnsitznahme in Stuttgart angeordnet (vgl. die der Klägerin zu 3 zuletzt am 11.10.2010 ausgestellte Duldungsbescheinigung). Will sie sich - und sei es auch nur kurzzeitig - außerhalb Baden-Württembergs aufhalten, bedarf es nach § 12 Abs. 5 AufenthG der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis, die nach Satz 2 grundsätzlich im Ermessen der Ausländerbehörde steht und auf die nur in den engen Grenzen des Satzes 3 ein Rechtsanspruch besteht. Ein spontanes vorübergehendes Verlassen des auf der Grundlage des Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs ist außer in den im Leben der Klägerin zu 3 praktisch nicht relevant werdenden Fällen des § 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG (Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen das persönliche Erscheinen des Ausländers erforderlich ist) nicht möglich. Gerade alterstypische Aktivitäten, an denen sie regelmäßig teilnimmt, wie (Schul-)ausflüge, Ferienfreizeiten oder Fußballturniere, sind - sofern sie außerhalb Baden-Württembergs stattfinden - für sie auf der Grundlage einer Duldung gar nicht oder jedenfalls nur mit erheblichem (Verwaltungs-)Aufwand realisierbar. Ohne Aufenthaltserlaubnis bleibt ihr etwa die im Frühling 2011 vorgesehene Teilnahme ihres Vereins an einem Mädchenfußballturnier in Spanien, wovon die Klägerin zu 3 in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berichtet hat, in jedem Fall verwehrt. Aktivitäten und soziale sowie gesellschaftliche Bindungen, die schon jetzt für ihr Privatleben konstitutiv sind (siehe nachfolgend 3.), und die mit fortschreitendem Alter bei einem Heranwachsenden für seine Sozialisation und Entwicklung der Persönlichkeit von wachsender Bedeutung werden, kann die Klägerin zu 3 nur auf der Grundlage eines legalisierten Aufenthalts in einer dem Recht auf Privatlebenden genügenden Weise „ausleben“. Im Übrigen leidet die Klägerin zu 3 auch psychisch in einer ihr Privatlebenden beeinträchtigenden Weise unter der seit Jahren andauernden, ungewissen und unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation. Dies ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme der PBV vom 09.04.2010. In dieser heißt es, dass das Mädchen unter anderem auf die langjährige Unsicherheit, hier in Deutschland bleiben zu dürfen mit einer längeren, phasenweise verlaufenden Anpassungsstörung reagiert und ein sicherer Aufenthaltsstatus für eine stabile Psyche notwendig ist.
42 
b.) Ob der Eingriff in das geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, ist bei der im Alter von 4 Jahren eingereisten Klägerin zu 3 nach ähnlichen Kriterien zu prüfen, wie sie normalerweise bei Einwanderern der zweiten Generation angewendet werden (EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 - InfAuslR 2006, 3). Insoweit ist das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse der Klägerin zu 3 an der Aufrechterhaltung ihrer faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476 und vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> -InfAuslR 2005, 450). Maßgebend sind dabei vor allem die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, der Stand der gesellschaftlichen und sozialen Integration (Sprachkenntnisse, Schule/Beruf, Freizeitgestaltung/Freundeskreis), das Fehlen von Straftaten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen. Hierbei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - 59643/00 - ). Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten sowie der Hilfe durch die Eltern bei Minderjährigen. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob und gegebenenfalls wie lange der Aufenthalt des Betroffenen legal war und damit - im Sinn einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein „Hierbleibendürfen“ entwickelt werden konnte (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 20 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -; Renner, a.a.O., § 25 Rn. 80 ff.).
43 
3.) Die im April 1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit Januar 2002 ununterbrochen in Deutschland auf und hat daher etwa zwei Drittel ihres Lebens hier verbracht. Sie besucht derzeit die 7. Klasse Hauptschule der Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule H. Ihre Fähigkeiten in Deutsch entsprechen denjenigen gleichaltriger Hauptschüler deutscher Herkunft. Ihre Klassenlehrerin bewertet in einer Stellungnahme vom 22.09.2010 die Kenntnisse der Klägerin zu 3 in Deutsch in Wort und Schrift mit „befriedigend“. Dies entspricht auch der Zeugnisnote im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10. In der aktualisierten Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, die Klägerin zu 3 beherrsche die deutsche Sprache in Wort und Schrift, sie könne sich mittlerweile sicher ausdrücken und habe auch ihr Leseverständnis stark verbessert. Dass sich die Klägerin zu 3, die in ihrer Freizeit inzwischen auch Bücher liest, ihrem Alter und Bildungsstand entsprechend sicher in der deutschen Sprache bewegt, hat auch ihre Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. Soweit ihr eine kontinuierliche Verbesserung in Deutsch und auch in den übrigen Schulfächern, die im letzten Zeugnis mit Noten von „gut“ bis „ausreichend“ bewertet worden sind, vor allem bisher deshalb gelungen ist, weil sie die Hilfe einer Hausaufgabenbetreuung in Anspruch nehmen kann, steht dies der positiven Bewertung ihrer Deutschkenntnisse und schulischen Leistungen im Rahmen der Würdigung als Integrationsmerkmal nicht entgegen. Denn die Inanspruchnahme von Hilfe bei den Hausaufgaben ist mittlerweile für deutsche Schüler ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Ausweislich der Stellungnahmen der Klassenlehrerin vom 27.11.2010 und 22.09.2010 ist die Klägerin zu 3, die in diesem Jahr von ihren Mitschülern zum zweiten Mal als Klassensprecherin gewählt worden ist, auch stets bereit, Aufgaben zum Wohl der Klasse oder der Schule zu übernehmen und engagiert sich sehr für die Interessen der Schüler. Zudem ist sie von den Klassensprechern der Schule in das drei Schüler umfassende Team der Schülervertretung gewählt worden, das auch Mitglied der Schulkonferenz ist (vgl. die Bestätigung der Schulleitung der GHS H. vom 10.11.2010).
44 
Die Klägerin zu 3 ist auch außerhalb ihres Schulalltags fest in die sozialen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Bundesrepublik eingebunden. Sie hat einen - auch deutsche Freunde umfassenden - Freundeskreis, mit dem sie in ihrer Freizeit ins Schwimmbad geht oder an organisierten Jugendprojekten teilnimmt. Nach den schriftlichen Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé Alberta - Offener Treff für Kinder und Jugendliche und Soziale Schülerbetreuung - vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme die Klägerin zu 3 häufig zu verschiedenen Angeboten des Schülercafés, dessen Schwerpunkt offene Angebote, Hausaufgabenbetreuung, Ferienprogramme und Freizeiten seien. Die Klägerin zu 3 treffe dort ihre Freundinnen aus dem Stadtbezirk und beteilige sich aktiv an den verschiedenen Programmen. Auch an dem Kooperationsprojekt MISS (Mädchen im Stadtbezirk ...) mit dem Jugendhaus ... und der Mobilen Jugendarbeit nehme sie regelmäßig teil. Sie habe einen Workshop zum Thema Selbstbehauptung besucht sowie an einem Fußballturnier und einem Bootsausflug für Mädchen teilgenommen. Den genannten Berichten zufolge ist sie voll in ihren Freundeskreis integriert, bringt sich persönlich und aktiv in das soziale Geschehen ein und übernimmt für sich und die Gruppe Verantwortung in Konfliktfällen. Ferner nimmt die Klägerin zu 3 seit April 2010 regelmäßig an einem integrativen Jugendtheaterprojekt teil, an dem Schülerinnen und Schüler verschiedener Nationalität und aus den unterschiedlichsten Schulformen von Förderschule bis zum Gymnasium beteiligt sind (vgl. hierzu die Teilnahmebestätigung des Jugendhauses ... vom 10.12.2010). Die Klägerin zu 3 ist auch bereits bei verschiedenen Ferienfreizeiten gewesen, unter anderem - nach ihren Angaben als einziges ausländisches Kind - an einer von der Caritas organisierten Jugendfreizeit in .... Sie spielt seit Sommer 2009 Fußball in einer Mädchenmannschaft. Nach der Bescheinigung des Jugendleiters des TSV H. vom 01.05.2010 nimmt sie seitdem regelmäßig am Trainings- und Verbandsspielbetrieb der Mädchenfußballmannschaft der C-Juniorinnen teil, zeigt ihre Integrationsbereitschaft und akzeptiert die Mannschafts- und Spielregeln.
45 
Auch im Übrigen lebt die Klägerin zu 3 - wie ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht haben - in einer Weise, wie sie auch unter Gleichaltrigen deutscher Herkunft praktiziert wird. Sie erhält mittlerweile Klavierunterricht und hört am liebsten Musik der Richtung „Hip hop“. Sie schaut in ihrer Familie oder gemeinsam mit Freunden und Freundinnen Fernsehsendungen deutscher Privatsender. Die Klägerin zu 3 kleidet sich in einer Art, wie sie auch unter jungen deutschen Mädchen üblich ist. Sie geht mit einem Bikini ins Schwimmbad und trägt kurze Hosen sowie dekolletierte Oberbekleidung.
46 
Der Bewertung der Integration in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht als außerordentlich gelungen steht nicht entgegen, dass die - nicht strafmündige - Klägerin zu 3 am 20.03.2010 wegen Körperverletzung angezeigt worden ist und ihr Verhalten in Konfliktsituationen - so etwa im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2008/09 zu lesen - als „nicht immer der Situation angepasst“ beschrieben wird. Diese Handlungen der Klägerin zu 3 sind nicht Ausdruck einer integrationsfeindlichen Gesinnung, sondern durch eine der Behandlung bedürfenden Verhaltensproblematik bedingt.
47 
Die Klägerin zu 3 hat wegen einer generalisierten Angststörung des Kindesalters und einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom von 29.08.2007 bis 17.09.2008 eine ambulante Psychotherapie absolviert, die vom Gesundheitsamt der Beklagten befürwortet worden war. Wegen einer drastischen Verschlechterung der Symptome (suizidale Vorstellungen und Gedanken) ist die Therapie ab 08.04.2009 wieder aufgenommen worden (vgl. näher PBV, Kurzbericht vom 25.10.2007, Bescheinigung vom 19.05.2009 und Zwischenbericht vom 09.04.2010). Das Gesundheitsamt der Beklagten hat unter dem 18.08.2009 ausgeführt, eine Langzeittherapie sei als Verhaltenstherapie wegen der Schwere des Krankheitsbildes und der bisher nicht erfolgten Stabilisierung des Mädchens medizinisch sinnvoll und begründet. Nach dem Bericht der PBV vom 09.04.2010 ist Grund für die erneute Therapieaufnahme eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und eine massive Problematik im Bereich des Sozialverhaltens gewesen; es lägen aggressive und dissoziale Züge vor, d.h. Nichtbefolgen von Regeln und Vorschriften der Lehrer, zahlreiche Streitigkeiten mit Mitschülern mit massiven verbalten Attacken und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Vermutlich stünden die Schwierigkeiten im Sozialkontakt in engem Zusammenhang mit massiven häuslichen Konflikten und Spannungen. Allerdings heißt es in dem genannten Bericht auch, dass sich durch die regelmäßigen Therapiebesuche deutliche Verbesserungen zeigten; die Lehrerin habe diese ebenfalls im letzten Lehrergespräch benannt. Diese positive Entwicklung spiegelt sich auch in den Beurteilungen der Schule wieder. Das Versetzungszeugnis zum Ende der Klasse 6 bescheinigt der Klägerin zu 3, dass es ihr immer besser gelinge, die Ordnung des Schulalltags einzuhalten; ferner arbeite sie mit anderen Kindern zusammen und bei Auseinandersetzungen sei sie zunehmend in der Lage, Kompromisse zu schließen. In ihrer Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, es gelinge der Schülerin im Umgang mit Mitschülern und Lehrern immer besser, den angemessenen Ton zu treffen und ihr Temperament zu beherrschen. Daran arbeite sie hart und habe bemerkenswerte Fortschritte gemacht. In diesen Kontext ist auch die Anzeige des Vaters einer Freundin der Klägerin zu 3 einzuordnen. Nach einer Mitteilung der Polizeirevierstation ... an die Beklagte vom 18.10.2010 ist die Klägerin zu 3 wegen einer am 20.03.2010 begangenen Körperverletzung angezeigt worden. Zwischen ihr und ihrer Freundin sei es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf sie ihre Freundin mehrfach gegen den Oberschenkel getreten habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Verfügung vom 02.11.2010 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen. Die Klägerin zu 3 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich geschildert, wie es zu dieser - letztlich handgreiflich verlaufenden - Auseinandersetzung auf einem Spielplatz gekommen ist, bei der sich beide Mädchen zuvor mit „Matsch“ bespritzt hatten. Beide Kinder sind nach wie vor miteinander befreundet. Die von der Schulsozialarbeiterin in ihrem Bericht über die Klägerin zu 3 vom 29.11.2010 vorgenommene Wertung, zwischen den beiden Mädchen bestehe eine sehr intakte und stabile Freundschaft und bei der Anzeige habe es sich um ein bedauerliches Missverständnis gehandelt, umschreibt die Situation zutreffend.
48 
In wirtschaftlicher Hinsicht liegt keine eigene Integrationsleistung der Klägerin zu 3 vor. Aufgrund ihres Alters unterliegt sie noch der allgemeinen Schulpflicht. Ob die Klägerin zu 3, der die Klassenlehrerin „aus schulischer Sicht gute Perspektiven für ein Leben in Deutschland“ bescheinigt, einmal erfolgreich die Schule abschließen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wird, steht naturgemäß noch nicht fest. Dies führt allerdings nicht dazu, dass die Frage nach wirtschaftlichen Bindungen bei Minderjährigen für die Feststellung des Ausmaßes ihrer Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse generell obsolet wäre. Die Klägerin zu 3 hat nach der deutschen Rechtsordnung einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern (§ 1601 BGB), so dass es insoweit auf deren Unterhaltsleistung und damit inzident auf deren wirtschaftliche Integration ankommt (GK-AufenthG, § 60a Rn. 188; gegen eine isolierte Betrachtung Minderjähriger auch SaarlOVG, Urteil vom 15.10.2009 - 2 A 329/09 - juris Rn. 39). Dabei ist nicht allein maßgebend, ob der Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 3 - rechnerisch gesehen - kontinuierlich von ihren Eltern erfüllt worden ist und wird. Für die Frage der wirtschaftlichen Integration sind auch die Unterhaltsansprüche ihrer ebenfalls minderjährigen Geschwister sowie der Bedarf der Eltern einzustellen (vgl. auch §§ 1609, 1603 Abs. 2 BGB). Die Kläger zu 1 und 2 sind zwar derzeit in der Lage, die Lebenshaltungskosten der Familie - ermittelt auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes - zu bestreiten und erhalten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr (vgl. insoweit noch Bescheid des Sozialamtes der Beklagten vom 14.09.2010 sowie die Mitteilung unter dem 18.10.2010, dass die Leistungen nunmehr eingestellt worden sind). Diese erst in den letzten Monaten eingetretene positive Entwicklung ist jedoch noch nicht hinreichend verfestigt, insbesondere ist eine unumkehrbare Verankerung der Kläger zu 1 und 2 in den deutschen Arbeitsmarkt und eine auskömmliche Sicherung des Bedarfs der Familie noch nicht anzunehmen.
49 
Die Kläger leben nach wie vor in einer Wohnung einer städtischen Asylunterkunft, für die Benutzungsgebühren erhoben werden. Die Familie hat ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet in der Vergangenheit überwiegend durch volle oder jedenfalls aufstockende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz finanziert, wobei die monatlichen Sozialleistungen unterschiedlich hoch gewesen sind und zwischen 300 EUR und 1176 EUR betragen haben (vgl. im Einzelnen die Auflistung Bl. 166 der Ausländerakte für den Kläger zu 1). Erst seit Januar 2008 ist die Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 uneingeschränkt erlaubt. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. vormittags als Putzhilfe und bezieht eine Entlohnung als geringfügig Beschäftigte. Soweit die Klägerin zu 2 - insoweit entgegen dem Inhalt der Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 08.12.2010 und der Verdienstabrechnung vom September 2010, die ausdrücklich den 23.11.2009 als Eintrittsdatum ausweisen - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, sie sei seit etwa einem halben Jahr dort beschäftigt, handelt es sich offensichtlich um ein sprachliches Missverständnis. Je nach Arbeitsanfall erhält sie zwischen 322 und 399 EUR netto im Monat, im Durchschnitt etwa 370 EUR. Wie sie im Einzelnen erläutert hat, hat sie einen zeitgleich vormittags stattfindenden Integrationskurs abgebrochen, um - mangels realisierbarer Beschäftigungsalternativen - diese Arbeit aufnehmen zu können. Der Kläger zu 1 ist seit Januar 2005 verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen, unter anderem als Fahrzeugpfleger bei der Firma B. Automobile, deren Umfang jedoch durch die beschränkte Zustimmungsentscheidung der Agentur für Arbeit ausweislich der Duldungsbescheinigungen vom 03.01.2005 bzw. 12.10.2005 auf zwanzig, später auf zehn Wochenstunden begrenzt gewesen ist. Zum 31.05.2006 hat die Firma B. dem Kläger zu 1 fristlos gekündigt. Von Januar bis März 2008 hat er mit einem monatlichen Auszahlungsbetrag zwischen 243,97 und 522,79 EUR gearbeitet. Ab 01.06.2008 ist der Kläger zu 1 mit einem monatlichen Brutto-Lohn von 1.385 EUR in Vollzeit bei einer Kfz-Werkstatt tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis ist zum 31.01.2009 aus betrieblichen Gründen gekündigt worden. Seit 01.09.2010 arbeitet der Kläger bei „...“ mit einer 40-Stunden-Woche als Hilfskraft im Gebrauchtwagenhandel und erhält monatlich 1.253,53 brutto (=1.000 EUR netto). Zusätzlich arbeitet er seit September 2010 als Aushilfe bei R. S. Baustahlarmierungen und bezieht hier monatlich 392,40 EUR.
50 
Für ein dauerhaftes wirtschaftliches „Fußfassen“ im Bundesgebiet ist es nicht zwingend erforderlich, dass die ausgeübte Tätigkeit eine besonders qualifizierte Berufstätigkeit darstellt. Auch kommt es letztlich nicht darauf an, dass der Kläger zu 1 in seiner Erwerbsbiographie stets Arbeitgeber ausländischer Herkunft gehabt hat und dass - gemessen an der gesamten Aufenthaltsdauer in Deutschland - erst relativ spät eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen worden ist. Allerdings kann von einer wirtschaftlich tragfähigen selbstständigen Existenzgrundlage allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Lebensphase des Bezugs von Sozialleistungen dauerhaft überwunden ist. Zur Feststellung der wirtschaftlichen Integration ist es dabei erforderlich, dass die Betroffenen, sofern - wie hier - kein nennenswertes Vermögen vorliegt, regelmäßige Einnahmen erzielen, die vom Umfang und der Stetigkeit ihres Zuflusses über den Regelbedarfssätzen nach den SGB II oder XII liegen und nicht etwa ständig um diese Grenzen oszillieren (näher GK-AufenthG, § 60a Rn 184 ff.). Ausgehend davon ist noch keine wirtschaftliche Verfestigung im Bundesgebiet gegeben.
51 
Die Kläger zu 1 und 2 erwirtschaften derzeit gemeinsam etwa 1.762 EUR monatlich. Dem steht rechnerisch ein Bedarf von etwa 2.117 EUR gegenüber. Dabei sind der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II noch nicht berücksichtigt. Der sich nach dem SGB II ergebende Unterhaltsbedarf für die Kläger zu 1 und 2 beträgt je 323 EUR (vgl. § 20 Abs. 3 SGB II, 90 % von der Regelleistung 359 EUR). Für die drei Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren sind jeweils 251 EUR anzusetzen (70 % von der Regelleistung 359 EUR, vgl. § 28 SGB II). Insgesamt beträgt der Unterhaltsbedarf der Kläger 1.399 EUR. Hinzukommen die Kosten für die Unterkunft, die das Sozialamt der Beklagten im Bescheid über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 14.09.2010 pro Person der Bedarfsgemeinschaft mit einer Grundmiete von 143,76 EUR angesetzt hat, insgesamt 718,80 EUR. Dieser Betrag entspricht dem Höchstbetrag, der für Paare mit zwei oder mehr zum Haushalt angehörenden unverheirateten Kindern als Gebühr für die Benutzung der Flüchtlingsunterkunft erhoben werden darf (vgl. die Satzung der Beklagten über die Benutzung von Unterkünften des Sozialamts für Wohnsitzlose und Flüchtlinge vom 25.03.2010 - abrufbar unter www.stuttgart.de). Auch ist zu bedenken, dass die Kläger zu 1 und 2 keine in Deutschland anerkannten Berufsausbildungen haben und lediglich als Hilfskräfte beschäftigt sind, mithin auf Positionen, die in besonderem Maße vom Verlust des Arbeitsplatzes bei konjunkturellen Schwankungen bedroht sind. Des Weiteren sind auch die Deutschkenntnisse des Klägers zu 1 nach dem Eindruck des Senats noch nicht von einer solchen Qualität, dass er jede für ihn in Frage kommende Tätigkeit annehmen und daher den Verlust eines Arbeitsplatzes kurzfristig kompensieren könnte. Er versteht zwar - wie seine Reaktionen in der Berufungsverhandlung gezeigt haben - Deutsch jedenfalls teilweise und kann sich nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten auch auf einfache Art in Deutsch unterhalten. Allerdings ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine Anhörung nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich gewesen. Dass die Klägerin zu 2, die sich - wie ihre Anhörung ergeben hat - flüssig auf einfache Art und Weise verständlich machen kann, ihre Beschäftigung zukünftig ausdehnen kann und wird, lässt sich nicht verlässlich annehmen. Ausweislich der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 sieht sie sich an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in zeitlich längerem Umfang dadurch gehindert, dass ihr Ehemann nicht zuverlässig nach den Kindern schaue. Insgesamt gesehen verfügen die Eltern der Klägerin zu 3 zwar durchaus über wirtschaftliche Bindungen, eine in wirtschaftlicher Hinsicht gelungene Integration der Kläger zu 1 und 2 liegt jedoch noch nicht vor.
52 
Weiter ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass ihr Aufenthalt nach der Rücküberstellung in das Bundesgebiet im Januar 2002 nie durch einen Aufenthaltstitel legalisiert worden ist. Der Klägerin zu 3 und den übrigen Familienmitgliedern ist verbal in der jeweils ausgestellten Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung stets vor Augen geführt worden, dass die Duldung keinen Aufenthaltstitel darstellt und deren Inhaber vollziehbar ausreisepflichtig ist. Aber auch mit Blick auf diesen tendenziell eher gegen die Führung eines schutzwürdigen Privatlebens sprechenden Umstand ist in der Gesamtschau der für die Feststellung des Ausmaßes der Integration relevanten - jeweils für und gegen die Klägerin zu 3 - streitenden Faktoren davon auszugehen, dass sie in erheblichem und schutzwürdigem Maße im Bundesgebiet „verankert“ ist.
53 
4.) In Ansehung des erreichten Integrationsstandes ist der Klägerin zu 3 nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch mit Blick auf den stets nur geduldeten Aufenthalt eine Rückkehr in den Irak nicht zuzumuten.
54 
a.) Die Klägerin zu 3 ist seit ihrem 5. Lebensjahr nicht mehr im Irak gewesen und hat aus eigenem Erleben keine Erinnerung an dieses Land. Die Lebensverhältnisse im Irak kennt sie allenfalls aus Erzählungen ihrer Eltern oder aus dem kurdischen Fernsehen. Sie kann sich zwar in Sorani mündlich verständigen, in schriftlicher Form fehlt es jedoch an Kenntnissen einer im Irak üblichen Sprache. Allerdings gilt für minderjährige Kinder der Grundsatz, dass bei der Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat entscheidend auf die Eltern und deren Hilfestellung abzustellen ist. Die familien- und aufenthaltsrechtliche Stellung minderjähriger Kinder gebietet es, dass diese prinzipiell aufenthaltsrechtlich das Schicksal der Eltern teilen (zu dieser sog. familienbezogenen Gesamtbetrachtung VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 31, vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 -juris Rn. 81 und vom 27.06.2006 - 11 S 951/06 - VBlBW 2006, 442 sowie Beschlüsse vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - juris und vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 -; NdsOVG, Beschluss vom 16.03.2010 - 8 ME 47/10 - juris Rn. 3; VG Stuttgart, Urteile vom 20.07.2006 - 4 K 921/06 - juris Rn. 57 und vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 39, 47; VG Koblenz, Urteile vom 11.01.2010 - 3 K 74/09.KO - juris Rn. 64 und vom 08.02.2010 - 3 K 206/09.KO - juris Rn. 79; GK-AufenthG, § 60a Rn. 179, 192; ein dogmatisch anderer Ansatz findet sich - allerdings in anderer Konstellation - in der Rechtsprechung des EuGH, vgl. Urteil vom 19.10.2004 - Rs. C-200/02 - InfAuslR 2004, 413). Das durch Art. 6 GG geschützte elterliche Sorgerecht umfasst unter anderem die Personensorge für das minderjährige Kind, die die Eltern auch dazu berechtigt, seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB). Dieses umfassende Recht der Eltern schränkt rechtlich zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen ein. Dieser ist nicht berechtigt, seinen Aufenthaltsort selbstständig und frei zu wählen. Dass Kinder mit zunehmendem Alter an Eigenständigkeit gewinnen, ändert an der Personensorge und dem hieraus folgenden Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern bis zum Eintritt der Volljährigkeit nichts. Diese rechtliche Ausgangssituation prägt auch die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung. Bei einem minderjährigen Kind ist daher maßgeblich die Situation der Eltern in den Blick zu nehmen. Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland bzw. fehlender „Entwurzelung“ über Art. 8 EMRK kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren ist und/oder dort lange Zeit gelebt hat und hier integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Eine prinzipiell andere Sichtweise würde dazu führen, dass minderjährige Kinder ihren nicht - oder jedenfalls nicht zulänglich - integrierten Eltern ein Aufenthaltsrecht verschaffen würden, obwohl diesen selbst eine Rückkehr in das Herkunftsland ohne weiteres zumutbar wäre. Im Ergebnis würden damit die Eltern das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer minderjährigen Kinder teilen, was mit den im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK ebenfalls einzustellenden einwanderungspolitischen Interessen des Staates grundsätzlich nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. auch NdsOVG, Urteil vom 29.01.2009 - 11 LB 136/07 - juris Rn. 75).
55 
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es jedoch gebieten, seinerseits Ausnahmen von der familieneinheitlichen Betrachtung zu machen. Ist kein Elternteil trotz der ihm aus seiner Stellung als Personensorgeberechtigter erwachsenden Pflichten in der Lage, die notwendige Hilfe bei der (Re-) Integration in den Herkunftsstaat zu erbringen, so fehlt der familienbezogenen Gesamtbetrachtung regelmäßig die Grundlage. Darüber hinaus kommt eine Ausnahme mit Blick auf die Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Wertvorstellungen dann in Betracht, wenn aufgrund der spezifischen Verhältnisse im Land der Staatsangehörigkeit ein „Einleben“ dort nur unter Inkaufnahme einer gravierenden Änderung der bisherigen Persönlichkeit und der durch diese bedingten Lebensführung möglich wäre. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in Deutschland heranwachsende Mädchen durch die hier erfolgte Sozialisation in einer Art und Weise geprägt sind, dass eine Verweisung auf ein Leben in ihrem Passstaat sie zwingen würde, ihre bisherige Identität und ihr Verständnis von der Bedeutung der Frau aufgeben zu müssen, weil die traditionelle Rolle der Frau und insbesondere ihre Stellung in der Öffentlichkeit in dem dortigen Gesellschaftssystem in unüberbrückbarem Gegensatz zu den auch von ihr im Bundesgebiet praktizierten Lebensverhältnissen stehen (GK-AufenthG, § 60a Rn 191; Bergmann, ZAR 2007, 128, 132). Diese Ausnahme trifft auf die Klägerin zu 3 zu.
56 
b.) Zwar wird die Klägerin zu 3 erst in einigen Monaten 14 Jahre alt. Sie ist jedoch ungeachtet ihres Alters in der hiesigen Gesellschaftsordnung und in ihren Wertvorstellungen in einer Weise „verwurzelt“, dass ihr eine Rückkehr in den Irak aufgrund der dort derzeit landesweit herrschenden Verhältnisse vor allem mit Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen nicht zugemutet werden kann.
57 
aa.) Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010 hat sich die Sicherheitslage im Irak zwar erheblich verbessert, sie ist aber im weltweiten Vergleich immer noch verheerend. Danach kommt es immer noch wöchentlich zu ca. 200 Anschlägen, bei denen im Schnitt pro Woche ca. 150 Todesopfer zu beklagten sind. Schwerpunkte terroristischer Anschläge bleiben weiterhin Bagdad und der Zentralirak, v.a. im Nordosten (Diyala, Salahaddin) sowie die Provinzen Tamin mit der Hauptstadt Kirkuk und Niniwe mit der Hauptstadt Mosul. Neuerdings werden auch Anschläge von Al-Qaida im Raum Basra verzeichnet. Die hohe Gewaltrate im Irak hat immer noch erhebliche Auswirkungen im alltäglichen Leben, wobei den Großteil der Opferlast die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung trägt. Immer wieder sind Zivilisten Opfer nicht nur politisch motivierter Gewalt, sondern auch organisierter Kriminalität wie Entführungen, Erpressungen und Morde (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 14 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 15). Die Sicherheitslage im von der Regionalregierung der Region Kurdistan-Irak (KRG) kontrollierten Gebiet ist deutlich besser als im Rest des Landes. Allerdings steigt in den außerhalb der kurdischen Autonomiezone liegenden Gebieten des Nordirak die Zahl der Anschläge und der Todesopfer. Besonders kritisch ist die Lage im erdölreichen Kirkuk, der Herkunftsregion der Klägerin zu 3 und ihrer Familie. Dieses gehört zu den umstrittenen Gebieten des Irak, in dem Araber und Kurden um die Vorherrschaft ringen und sowohl die Zentralregierung als auch die Regionalregierung Kurdistan-Irak die Kontrolle anstreben (vgl. näher Europäisches Zentrum für Kurdische Studien vom 07.07.2010 an VG Stuttgart; AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 15 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 16).
58 
Die Menschenrechtslage im Irak bleibt prekär. Zwar gibt es langsame Fortschritte; Verstöße gegen die Menschenrechte sind jedoch weiterhin weit verbreitet. Der Staat ist nicht in der Lage, die Sicherheit der Zivilbevölkerung und die Ausübung der in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten landesweit zu ermöglichen. Auch von der Region Kurdistan-Irak wird von schweren Menschenrechtsverstößen berichtet (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 28 ff. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 16 ff.).
59 
Zu den Hauptleidtragenden der gegenwärtigen Umstände im Irak gehören nach der Auskunftslage die Kinder. Die Folgen des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen und deren langsamer Wiederaufbau betreffen vor allem Familien, die auf Krankenhäuser, Schulen und Lebensmittelhilfen besonders angewiesen sind. Der Gesundheitszustand der Kinder hat sich seit März 2003 deutlich verschlechtert. Das Gesundheits- und Erziehungswesen im Irak liegt darnieder. Es mangelt an allem und die Grundversorgung ist unzureichend gesichert. Die Alphabetisierungsrate im Irak ist in den letzten 15 Jahren stark gefallen. Nur noch drei von vier Jugendlichen können lesen und schreiben. Die Möglichkeit des Schulbesuchs ist in Anbetracht der Sicherheitslage für viele Kinder noch eingeschränkt und mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Seit einiger Zeit werden Kinder Ziel von kriminellen Lösegelderpressern. Die Schulen sind oftmals in einem schlechten baulichen Zustand; es fehlt an sanitären Einrichtungen. Viele Schulen haben immer noch aus Mangel an Lehrpersonal geschlossen (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 19 f., 35 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 20, 34). Für die Situation von Schülerinnen und Schüler im Nordirak ergibt sich insoweit kein grundlegend anderes Bild (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe , Irak: Die sozio-ökonomische Situation im Nordirak, 07.06.2010, S. 14 ff.).
60 
Speziell was die Situation von Frauen und Mädchen anbelangt, so hat sich deren Stellung im Vergleich zur Zeit des Regimes unter Saddam Hussein deutlich verschlechtert. In der Verfassung aus dem Jahre 2005 ist die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter zwar formal festgeschrieben. Auch steht Frauen der Zugang zu Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt im Grundsatz offen. Die Verfassung garantiert ferner die soziale Sicherheit für Frauen und Kinder. Diese Prinzipien sind in der Praxis jedoch nicht umgesetzt (Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen). Die zunehmende Radikalisierung von Teilen der irakischen Gesellschaft hin zu fundamentalistisch radikalislamischen Überzeugungen stellt insbesondere für die Sicherheit der Frau eine Gefährdung dar. Darüber hinaus hat die allgemein prekäre Sicherheitslage erhebliche negative Auswirkungen auf das Alltagsleben der Frauen (siehe hierzu und zum folgenden AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 20 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 20 ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Geschlechtsspezifische Verfolgung für ausgewählte Herkunftsländer, April 2010, S. 96 ff. ; EZKS vom 15.08.2008 an VG Göttingen; Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen; SFH vom 20.11.2007 - Irak: Rückkehr einer verwitweten schiitischen Frau mit einem ehelichen und einem unehelichen Kind).
61 
Gewalt gegen Frauen ist im Irak weit verbreitet. Die Situation der Frauen wird als Privatangelegenheit einer Familie betrachtet und selten an staatliche Stellen herangetragen. Staatliche Schutzmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Nach dem Strafgesetzbuch ist der Ehemann berechtigt, seine Ehefrau zu bestrafen. Es gibt auch keine Vorschrift, nach der Vergewaltigung in der Ehe strafbar wäre. Zwangsverheiratung wird praktiziert. Die Tradition der Verheiratung junger Mädchen (ab 14 Jahre) existiert, besonders in den ländlichen Gebieten. Familienmitglieder verkaufen auch Mädchen und Frauen, um wirtschaftlichen Zwangslagen zu entgehen, Schulden zu bezahlen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen Familien zu überwinden. Frauen werden Opfer der im Irak nicht verbotenen und vor allem im stark patriarchalisch strukturierten Nordirak praktizierten Genitalverstümmelung. Auch Ehrenmorde sind noch immer in allen Teilen des Landes verbreitet. Schließlich nehmen in der irakischen Gesellschaft (insbesondere im schiitisch dominierten Süden) die Tendenzen zur Durchsetzung islamischer Regeln zu, z.B. Kleidervorschriften wie Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten. Frauen werden auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene mit dem Ziel unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und die Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Von Frauen wird verlangt, einen Schleier zu nehmen, keine Kleidung im westlichen Stil zu tragen und zu Hause zu bleiben. Frauen werden vor allem zur Zielscheibe islamischer Extremisten, wenn sie ein normales Leben nach westlichen Maßstäben führen wollen. Frauen, die von Gewaltakten betroffen werden, finden, insbesondere wenn es sich um Fälle häuslicher Gewalt handelt, bei staatlichen Stellen keinen Schutz.
62 
bb.) Für die Frage, ob in Anbetracht der derzeitigen Situation im Irak der Klägerin zu 3 eine Rückkehr zumutbar ist, kommt es aufgrund des unterschiedlichen Maßstabs nicht darauf an, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG hinsichtlich des Irak derzeit regelmäßig nicht vorliegen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.08.2010 - A 2 S 1134/10 - juris; OVG NRW, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - ; BayVGH, Urteil vom 21.01.2010 - 13a B 08.30283 -, wonach der westliche Habitus weiblicher irakischer Staatsangehöriger nicht als individuell gefahrenerhöhender Umstand berücksichtigt werden könne). Bei der einzelfallbezogenen Prüfung im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK geht es nicht primär um „Gefahrenlagen“, sondern um die Feststellung und Bewertung des Ausmaßes der Entfremdung vom Herkunftsstaat.
63 
Die Klägerin zu 3 hat aufgrund der von ihr als prägend erfahrenen Sozialisation im Bundesgebiet die Lebensweise der „westlichen Welt“ in Theorie und Praxis verinnerlicht. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer Art sich zu kleiden, sondern vor allem aus der oben unter 3.) im Einzelnen dargestellten Weise, ihre Freizeit zu verbringen und im Schulalltag aufzutreten. Die Klägerin zu 3 lebt auch in dem selbstverständlichen Bewusstsein, dass Jungen und Mädchen die gleichen Rechte haben und verhält sich dementsprechend. In dieser Art der Lebensführung wird sie von ihren Eltern bestärkt. Diese akzeptieren ihr Hobby Mädchenfußball und die Schwimmbadbesuche ebenso wie ihre Kontakte und Zusammenarbeit mit Jungen in der Schule (unter anderem im Team der Schülervertretung) oder Freizeit. Traditionelle oder gar archaische Vorstellungen werden in der Familie nicht gelebt. Weder ist das Tragen eines Kopftuchs üblich, noch spielt sich das Leben der Klägerin zu 3 und der weiteren weiblichen Familienmitglieder vor allem im häuslichen Bereich ab. Gerade die Klägerin zu 2 ist auch sehr darum bemüht, ihre Tochter auf deren Weg zu einem allgemein anerkannten Bildungsabschluss zu unterstützen. Bei der Bewertung, dass ihr vor diesem Hintergrund die erstmalige Integration in den Irak nicht angesonnen werden kann, spielt als solches keine Rolle, dass die Klägerin zu 3 dort ihren Hobbys nicht mehr nachgehen könnte und auch nicht die gleichen Bildungschancen hätte wie im Bundesgebiet sowie als Heranwachsende prinzipiell noch „entwicklungsfähig“ ist. Gewisse Anpassungen an das, was in seinem Herkunftsland üblich ist, können einem Ausländer abverlangt werden. Entscheidend ist jedoch der Umstand, dass die derzeitige gesellschaftliche Praxis im Irak, die bestimmt, was Frauen und junge Mädchen im Irak tun dürfen und können, diametral dem entgegensteht, was die Persönlichkeit der Klägerin zu 3 bisher geprägt hat und Ausdruck ihrer Individualität ist. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation für Frauen und Mädchen im Irak in überschaubarer Zukunft entscheidend verbessern würde, lassen sich den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht entnehmen; im Gegenteil: In den verwerteten Erkenntnismitteln kommt unübersehbar eine „schleichende“ Verschlechterung der Situation von Frauen und Mädchen zum Ausdruck. Die Aufgabe ihrer selbst - dies würde eine Verweisung auf ein Leben im Irak mit sich bringen - kann der Klägerin zu 3 nicht abverlangt werden.
64 
Selbst wenn man im Übrigen die Auffassung der Beklagten zugrunde legen würde, einem jungen Mädchen wäre aufgrund ihrer altersbedingt noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsbildung eine Integration in die Verhältnisse des Herkunftsstaates prinzipiell möglich und zumutbar, würde dies im vorliegenden Fall deshalb nicht gelten, weil die Klägerin zu 3 psychisch gar nicht in der Lage wäre, eine Rückkehr in den Irak mit der notwendigen Anpassung an den dortigen Lebensstil zu bewältigen. Dies hat die die Klägerin zu 3 betreuende Diplompsychologin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überzeugend dargelegt. Dies entspricht im Übrigen auch Erkenntnissen, die zu einer Rückkehr von Mädchen in den Irak nach langjährigem Auslandsaufenthalt im Westen vorliegen. Nach der Auskunft des EZKS vom 15.08.2008 an das Verwaltungsgericht Göttingen hat sich in den Fällen, in denen ganze Familien freiwillig in den Nordirak zurückgekehrt sind, diese Rückkehr vor allem für junge Frauen und Mädchen in der Pubertät, die einen wesentlichen Teil ihrer Sozialisation in Form eines westlich geprägten Lebensstils erfahren haben, als Katastrophe erwiesen und unter anderem unterschiedlichste psychische Störungen und Krankheiten, insbesondere Depressionen und Essstörungen, zur Folge gehabt.
65 
c.) Im Übrigen ergibt sich eine Ausnahme von der familienbezogenen Gesamtbetrachtung auch daraus, dass die Kläger zu 1 und 2 derzeit und bis auf Weiteres nicht in der Lage sind, der Klägerin zu 3 die für ein - erstmaliges -Einleben im Irak notwendige Hilfestellung zu gewähren. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellen würde, dass ihre Tochter auf den „Kulturschock“ nicht mit einer (psychischen) Erkrankung reagieren würde und sich der für sie dort erforderliche Aufwand an Betreuungs- und Beistandsleistungen nicht von dem unterscheidet, der auch ihren Geschwistern entgegen gebracht werden muss.
66 
Zwar sind die Kläger zu 1 und 2 selbst nicht „entwurzelt“. Sie haben den Irak erst als Erwachsene mit über 30 Jahren verlassen und dort einen höherwertigen Bildungsabschluss erlangt. Die Klägerin zu 2 hat im Irak das Gymnasium besucht und dort zunächst in einer Bank und später als Lehrerin gearbeitet. Sie spricht fließend Türkisch, Arabisch, Kurdisch und Farsi. Der Kläger zu 1 beherrscht ebenfalls diese Sprachen und verfügt auch über Kenntnisse der englischen Sprache. Außerdem leben noch Verwandte im Irak, unter anderem zwei Brüder und eine Schwester der Klägerin zu 2 in Kirkuk. Beide sind auch durch Berichte von Verwandten und das kurdische Fernsehen, das sie regelmäßig schauen, über die aktuellen Verhältnisse im Irak hinreichend informiert. So berichtet die Klägerin zu 2 einem Schreiben von Pfarrer B. - Arbeitskreis Asyl ... - vom 04.10.2010 zufolge bei Plenumssitzungen im Rahmen der „Aktuellen Runde“ über die Situation der Frauen im Irak. Allerdings sind die Kläger zu 1 und 2 aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastungen und Erkrankungen nicht in der Lage sein, ihrer Tochter die unerlässliche Hilfe zu geben, die diese nach einem langen und ihr Leben prägenden Aufenthalt im Bundesgebiet bräuchte, um sich im Irak einleben zu können.
67 
Die Klägerin zu 2 ist seit dem Jahre 2007 bis heute bei der PVB wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung. Das Gesundheitsamt der Beklagten hat aufgrund einer amtsärztlich-psychiatrischen Untersuchung der Klägerin zu 2 am 19.12.2007 ein erheblich ausgeprägtes depressives Syndrom (mittelschwere bis schwere Episode) mit Somatisierung vor einem posttraumatischen Hintergrund diagnostiziert. Nach einer erneuten Untersuchung vom 26.10.2009 und unter Berücksichtigung eine Stellungnahme der PBV vom 21.07.2009 hat gerade auch der Amtsarzt eine Fortsetzung der Therapie wegen eines erheblich ausgeprägten depressiven Syndroms mit Somatisierung auf posttraumatischer Grundlage befürwortet. Wie die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwesende Diplompsychologin überzeugend geschildert hat, ist die Klägerin zu 2 aufgrund der Behandlung und der sie umgebenden „Netzwerke“ mittlerweile in der Lage, ihr Leben zu bewältigen. Durch die psychologische Betreuung und die ihr hier ermöglichten Tätigkeiten - wie etwa das gelegentliche und ehrenamtliche Übersetzen für andere Flüchtlinge oder das „Sich-Einbringen“ in der Schule ihrer Kinder oder während ihrer Erwerbstätigkeit - erfährt die Klägerin zu 2 die für sie erforderliche innere Stabilität. Dass die Klägerin zu 2 für die Erlangung bzw. Aufrechterhaltung eines seelischen Gleichgewichts ungeachtet dessen, dass sie selbst aktiv hieran arbeitet, auf Unterstützung durch Dritte angewiesen ist, hat auch die die Kläger betreuende Sozialarbeiterin, die mit der Familie ständigen Kontakt hat, im Einzelnen dargelegt. Sie sieht die Klägerin zu 2 am Rande der Belastbarkeit stehen und dringend auf die Einbindung durch ihr soziales Engagement in ihrem derzeitigen Umfeld angewiesen. Würde die Klägerin zu 2 auf ein Leben in den Irak verwiesen, so wäre sie dort für einen unabsehbaren Zeitraum nicht in der Lage, ihren Kindern zu helfen, weil sie selbst eine Rückkehr in den Irak psychisch nicht verkraften würde. Diese schon in verschiedenen schriftlichen Stellungnahmen der PBV zum Ausdruck gebrachte Prognose hat die vom Senat angehörte Psychologin nochmals bekräftigt und darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin zu 2 zumindest mit einer schweren Depression zu rechnen wäre. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine psychische Erkrankung der Klägerin zu 2 im Irak grundsätzlich behandelbar wäre, würde die Notwendigkeit, mit den eigenen Problemen kämpfen zu müssen, bei ihr zwangsläufig so sehr im Vordergrund stehen, dass sie vorhersehbar nicht in der Lage wäre, ihren Kindern diejenige Hilfestellung zu bieten, auf die diese bei der von ihnen zu leistenden erstmaligen Integration in ein fremdes Land existentiell angewiesen wären.
68 
Auch der Kläger zu 1 könnte seine Kinder bei einer Rückkehr in den Irak nicht adäquat unterstützen. Er leidet an einem behandlungsbedürftigen Alkoholproblem und hat deswegen auch schon einen Arzt konsultiert. Seine Ursache hat der Alkoholkonsum nach der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 aber auch nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter anderem darin, dass ein Bruder von ihm im Jahre 2003 in Kirkuk durch ein Attentat getötet worden sei. Er ist darüber hinaus wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Aufgrund seiner Labilität würde er - wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen der PBV und den mündlichen Angaben der Psychologin ergibt - selbst eine Rückkehr in den Irak nicht verkraften und erst Recht nicht die notwendige Hilfestellung gegenüber der Klägerin zu 3 leisten können. Der lange und das Mädchen prägende Aufenthalt im Bundesgebiet, ihr vollständig fehlender Bezug zum Irak, die bei ihr nicht vorhandenen Kenntnisse einer im Irak üblichen Schriftsprache, die prekäre allgemeine (Sicherheits-)Lage, die beschränkten Schulmöglichkeiten und die unzureichend gesicherte Grundversorgung würden an den Erziehungsberichtigen besonders hohe Anforderungen hinsichtlich der Unterstützungsleistungen stellen, die im konkreten Einzelfall aufgrund der bei ihm fehlenden eigenen Belastbarkeit nicht erbracht werden könnten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in dieser Konstellation Verwandte oder sonstige Dritte im Irak die den Eltern obliegenden Aufgaben der Begleitung bei der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse (vorübergehend) in der notwendigen Art und Weise übernehmen könnten.
69 
d.) Im Rahmen dieser Bewertung, dass der Klägerin zu 3 in Anbetracht ihres erreichten Integrationsstands eine Rückkehr in den Irak nicht zugemutet werden kann, spielt es keine entscheidende Rolle, dass ihr Aufenthalt zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich legalisiert gewesen ist. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Aussetzung der Abschiebung seit Jahren mit Blick auf die Verhältnisse im Irak vorgenommen worden ist und wird. Dies folgt aus den zur „Rückführung irakischer Staatsangehöriger“ ergangenen Schreiben des Innenministerium vom 18.06.2003, vom 27.11.2003, vom 29.07.2004 und vom 12.03.2007 in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Fassung gemäß ZV-AufenthG (Abschn. D - Irak Nr. 3). Dem entsprechend haben die Beklagte oder das beigeladene Land zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anstrengungen unternommen, den Aufenthalt der Klägerin zu 3 und ihrer Familie zu beenden. Dass die Situation im Irak auch aus Sicht der Ausländerbehörden nicht ohne weiteres für jeden im Bundesgebiet lebenden ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen zu bewältigen ist, lässt sich daran ersehen, dass bislang nur straffällig gewordene Iraker abgeschoben worden sind, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, die Schutzfunktionen übernehmen und den betreffenden Rückkehrern Zugang zu Wohnmöglichkeiten und anderen Grundversorgungen verschaffen können (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 38 sowie ZV-AufenthG Abschn. D - Irak Nr. 3). Aufgrund dieser Besonderheiten ist dem aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkt der Begrenzung und Steuerung von Zuwanderern im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.
70 
5.) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK steht nicht entgegen, dass bei ansonsten vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen der Lebensunterhalt nicht vollständig gesichert ist und die Klägerin zu 3 selbst nicht über einen Pass verfügt. Insoweit liegen Ausnahmen von den Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG vor.
71 
a.) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft unter Berücksichtigung der von ihm angestrebten Aufenthaltsdauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. zur Prognose GK-AufenthG § 2 Rn. 41 ff.). Bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs kommt es auf den Bedarf der Kernfamilie an, d.h. bei der Prognose, ob der Lebensunterhalt der Klägerin zu 3 künftig voraussichtlich gesichert ist, ist der Bedarf der Kläger zu 1 und 2 sowie 4 und 5 ebenfalls zu berücksichtigen. Bei erwerbsfähigen Ausländern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs seit dem 01.01.2005 nach den entsprechenden Bestimmungen des 2. Sozialgesetzbuchs (SGB II). Dabei sind bei der Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens grundsätzlich der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu Lasten des Ausländers anzusetzen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 und 1 C 21.09 - bisher nur Pressemitteilung sowie Urteile vom 07.04.2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -NVwZ 2009, 248 ). Gemessen hieran kann prognostisch nicht von einer Sicherung des Lebensunterhalts ausgegangen werden.
72 
Die Kläger zu 1 und 2 verdienen derzeit gemeinsam monatlich etwa 1.762 EUR netto. Es bestehen zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschäftigungen der Klägerin zu 2, die bereits über ein Jahr bereits ausgeübt wird, und diejenige des Klägers zu 1 demnächst wieder entfallen könnten. Wie die Metzgerei Z. in der Arbeitsbescheinigung vom 08.12.2010 ausgeführt hat, ist die Klägerin zu 2 bis auf weiteres in der Filiale in S. beschäftigt, wo man mit ihrer Arbeit zufrieden sei. Auch hinsichtlich des Klägers zu 1 ist von einer weiteren Erwerbstätigkeit auszugehen. Der den Kläger zu 1 hauptberuflich beschäftigende Arbeitgeber hat unter dem 08.12.2010 schriftlich sowie ergänzend in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen, er sei mit dessen Arbeit stets sehr zufrieden gewesen. Daher habe er ihn im September 2010 festangestellt. Auch könne die vom Kläger zu 1 zusätzlich ausgeübte Nebentätigkeit als geringfügig Beschäftigter problemlos mit seiner Tätigkeit als Aushilfsarbeiter bei ihm in Einklang gebracht werden. Es ist auch nicht zu erkennen, dass einer weiteren Erwerbstätigkeit der Eltern der Klägerin zu 3 rechtliche Hindernisse entgegen stehen könnten. Zwar berechtigt der auch ihnen zu erteilende humanitäre Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG (siehe unten III.) nicht schon kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Allerdings ist prognostisch davon auszugehen, dass den Klägern zu 1 und 2 die Ausübung der Erwerbstätigkeit erlaubt werden wird (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2 AufenthG). Denn selbst als nur Geduldeten wird ihnen seit Januar 2008 die Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt. Dass die Zulassung einer Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 nunmehr auf der Grundlage eines - letztlich an die Stelle der Duldung tretenden - zunächst nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für sechs Monate befristeten humanitären Aufenthaltstitels unter arbeitsmarktspezifischen Aspekten anders zu bewerten wäre, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu auch § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV). Andererseits steht aber auch nicht zu erwarten, die Kläger zu 1 und 2 könnten in einem überschaubaren Zeitraum ein deutlich höheres Einkommen erzielen. Zwar ist dem Kläger zu 1 eine höhere Entlohnung bei der Firma ... ... in Aussicht gestellt worden, wenn er - auf der Grundlage eines Aufenthaltstitel - für den Betrieb flexibler verwendungsfähig wäre und etwa auch Autos ins Ausland verbringen könnte. Eine konkrete Zusage des Arbeitgebers, die prognostisch Berücksichtigung finden müsste, liegt jedoch nicht vor.
73 
Ausgehend von einer sozialversicherungspflichtigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu 1 auf der Grundlage eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht den Eltern zukünftig jedoch Kindergeld zu, das nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Einkommen zu berücksichtigen ist. Nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld unter anderem derjenige, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzt und sich seit mindestens drei Jahren geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist. Nach § 6 Abs. 1 BKGG beträgt das Kindergeld für die Klägerin zu 3 und den Kläger zu 4 jeweils 184 EUR sowie für die Klägerin zu 5 190 EUR, mithin zusammengerechnet 558 EUR. Insgesamt werden den Klägern daher bei einem Einkommen von 1.762 EUR zukünftig 2.320 EUR zur Verfügung stehen.
74 
Dem steht ein Bedarf von 2.580 EUR gegenüber. Dieser errechnet sich zunächst anhand der von den Klägern zu tragenden Gebühren für die Unterkunft in Höhe von etwa 718 EUR und des - auf der Grundlage der Regelsätze des SGB II ermittelten - Bedarfs von 1.399 EUR (siehe hierzu oben unter 3.). Des weiteren sind sowohl für den Kläger zu 1 als auch für die Klägerin zu 2 jeweils ein Betrag von 100 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II anzusetzen. Schließlich sind zu Lasten der Erwerbstätigen aus einem durchschnittlich monatlich zugrunde gelegten Nettoeinkommen der Klägerin zu 2 in Höhe von 370 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II ein Betrag von 54 EUR und für den Kläger zu 1 bei einem Gesamt-Nettoeinkommen von 1.329 EUR ein solcher von etwa 209 EUR anzusetzen.
75 
Allerdings gebietet der Schutz des Privatlebens der Klägerin zu 3 im Sinne des Art. 8 EMRK die Annahme eines Ausnahmefalles (zur Atypik aufgrund völker- oder verfassungsrechtlicher Wertentscheidung siehe etwa BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn.13 ff.; GK-AufenthG § 5 Rn. 28; Renner, a.a.O. § 5 Rn. 21 ff.). Die Klägerin zu 3 kann aufgrund des Ausmaßes ihrer Integration im Bundesgebiet bei gleichzeitiger „Entwurzelung“ nicht auf ein Leben im Irak verwiesen werden, sondern ist auf ein Verbleiben in der Bundesrepublik angewiesen. Diese für einen Ausnahmefall streitende Wertentscheidung des Art. 8 EMRK ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb in einem anderen Licht zu sehen, weil die Ausländerin minderjährig ist. Zwar könnte die Bejahung eines atypischen Falles in einer solchen Konstellation dazu führen, dass über den Rechtsanspruch des Kindes - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht - nicht integrationswillige oder -fähige Eltern wegen der grundsätzlich schutzbedürftigen familiären Lebensgemeinschaft ein rechtlich legalisiertes Bleiberecht vermittelt werden könnte, was nicht nur einwanderungspolitisch bedenklich wäre, sondern auch dem von der Konvention anerkannten Recht eines Konventionsstaats zuwiderlaufen würde, über den Zuzug von Ausländern und dessen Voraussetzungen selbst zu entscheiden. Im vorliegenden Fall greifen derartige Bedenken jedoch schon im Hinblick auf den Grad der Integration der Eltern der Klägerin zu 3 nicht durch. Diese haben zwar vor allem in sprachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht hier noch nicht in einer Weise Fuß gefasst, dass sie Inländern vergleichbar wären. Sie arbeiten jedoch an der Verbesserung der Sprachkenntnisse, verhalten sich entsprechend der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung - die eingeholten Auskünfte aus dem Zentralregister vom 04.10.2010 weisen keine Eintragungen auf -, engagieren sich hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten (so etwa die Klägerin zu 2 als Elternvertreterin oder der Kläger zu 1 beim Fußball seiner Kinder) und sind um die Erlangung einer qualifizierteren und besser bezahlten Erwerbstätigkeit bemüht. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall die Diskrepanz zwischen Unterhaltsbedarf und eigenem Einkommen mit 260 EUR relativ betrachtet gering und allein durch die bedarfserhöhend angesetzten Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II bedingt. Ein fiktiver Abzug von letztlich tatsächlich vorhandenem Einkommen zu Lasten des Ausländers ist bei einem aus dem Völkerrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht mit dessen Wertentscheidung nicht in Einklang zu bringen.
76 
b.) Die Klägerin zu 3 ist weder im Besitz eines eigenen Passes noch ist sie in dem der Klägerin zu 2 am 24.06.2009 ausgestellten irakischen Reisepass eingetragen (siehe zu dieser Möglichkeit der Erfüllung der Passpflicht § 2 Satz 1 AufenthV). Es liegt jedoch ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG vor. Der Zweck der Passpflicht besteht darin, durch den Besitz eines gültigen Passes den Behörden die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit sowie der Rückkehrberechtigung seines Inhabers ohne weiteres zu ermöglichen (Renner, a.a.O., § 5 Rn. 14 und Nr. 3.0.8 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 26.10.2009, abgedr. in Renner, a.a.O. vor § 3; GK-AufenthG, § 3 Rn. 14). Nach der Bestätigung der irakischen Botschaft in Berlin vom 11.02.2009 hat die Klägerin zu 3 die regulär geforderten irakischen Unterlagen für die Ausstellung der neuen irakischen Reisepässe mit dem Serienbuchstaben G eingereicht, und der Antrag ist an das zuständige irakische Innenministerium nach Bagdad weitergeleitet worden. Diese Bestätigung liegt mit gleichem Datum auch hinsichtlich ihres Vaters, des Klägers zu 1, vor. Wie die Prozessbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert hat, ist im Hinblick auf unterschiedliche Auffassungen zur richtigen Schreibweise des Vornamens des Klägers zu 1, was auch Auswirkungen auf die Pässe der Kinder hat, während des Verfahrens die Erneuerung seines Personalausweises gefordert worden. Der Kläger zu 1 hat dies daraufhin beantragt. Nunmehr sind alle Kläger im Besitz von am 08.08.2010 in Kirkuk ausgestellten irakischen Identitätskarten, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegt worden sind. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Eltern der Klägerin zu 3 bereits alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen für die Ausstellung eines Reisepasses vorgenommen haben, kann die lange Dauer des Verfahrens durch die Heimatbehörden in Passangelegenheiten, die auch Erkenntnissen des Auswärtige Amt entspricht (siehe etwa Lagebericht vom 28.11.2010, S. 36 f. zur Tätigkeit der irakischen Botschaft), nicht zu Lasten der Klägerin zu 3 gehen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 58; Renner, a.a.O., § 5 Rn. 13). Für eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung in einem solchen Fall spricht auch, dass der Klägerin zu 3 ein sich aus dem Völkerrecht ergebender Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels zusteht. Im Übrigen können auch wesentliche Funktionen der Passpflicht mit den in der Berufungsverhandlung vorgelegten Unterlagen hinreichend abgedeckt werden. So ist insbesondere die irakische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 3 nach der im Original vorgelegten irakischen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen für ihre Eltern, von denen sie durch Abstammung ihre Staatsangehörigkeit ableitet, unzweifelhaft.
II.)
77 
Der seit dem 31.01.2002 geduldete Kläger zu 4 hat ebenfalls einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
78 
Entsprechend den allgemeinen Darlegungen oben unter I.) führt der Kläger zu 4 im Bundesgebiet ein schutzwürdiges Privatleben, das durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Der am 01.11.1998 geborene Kläger zu 4 lebt seit über acht Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet und besucht hier altersentsprechend die 6. Klasse der Hauptschule. Seine deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift entsprechenden denjenigen von Mitschülern deutscher Herkunft. Er hat einen auch deutsche Freunde umfassenden Freundeskreis, mit dem er verschiedene Aktivitäten außerhalb der Schule durchführt (wie etwa Fahrradtouren oder Theaterspiel) und spielt in einem Verein Fußball. Ebenso wie bei seiner älteren Schwester ist auch für den Kläger zu 4 aus den dort allgemein angestellten Erwägungen heraus eine Duldung nicht ausreichend, um sein Privatleben in einer der Konvention entsprechenden Weise führen zu können. Dass es durch eine Duldung dem Kläger zu 4 nicht möglich ist, etwa an Fußballturnieren und entsprechenden Freizeitaktivitäten seines Vereins außerhalb Baden-Württembergs teilzunehmen, obwohl er dies möchte, d.h. dass dieses Verbot eine Belastung für ihn darstellt, ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wie auch schon beim Verwaltungsgericht im Einzelnen deutlich worden.
79 
Der Kläger zu 4 ist in einer Weise in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integriert, die im Wesentlichen derjenigen der Klägerin zu 3 entspricht. Er hat in etwa drei Viertel seines bisherigen Lebens im Bundesgebiet verbracht und geht in eine Regelschule. Nach dem zuletzt erteilten Zeugnis der Hauptschule (Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10) ist für Deutsch die Note „ausreichend“ vergeben worden; die Leistungen in den übrigen Fächern und Fächerverbünden sind mit „befriedigend“ und „ausreichend“, in einem Fach mit „gut“ bewertet worden. Die in dem Zeugnis ebenfalls enthaltene verbale allgemeine Beurteilung der Arbeitshaltung, Selbstständigkeit und Zusammenarbeit in der Klassen- und Schulgemeinschaft zeigt zwar noch etliche Defizite beim Kläger zu 4 auf (wie etwa schwankende Unterrichtsbeteiligung, Störung des Unterrichts). Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass es sich hierbei nicht um alters- und entwicklungstypische Erscheinungen handeln würde. Im Übrigen arbeitet der Kläger zu 4 an der Verbesserung seiner Leistungen. Nach einem Schreiben der Kontaktgruppe Asyl ... vom 29.07.2009 erhält er durch den Asylkreis Hilfe bei den Hausaufgaben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten komme er zuverlässig zu den Terminen. Er habe Erklärungen in Mathematik und Deutsch schnell verstanden und habe sich die Methoden und Regeln merken können. Er sei auch zu zusätzlichen Leistungen bereit, doch brauche er weiterhin viel Übung, um seine schulischen Leistungen deutlich verbessern zu können. Auch die Sorgfalt und das Gefühl der Verantwortung für seine schulischen Leistungen müssten noch wachsen. Er müsse noch begreifen, wie wichtig Bildung für seinen weiteren Lebensweg sei. Doch sei er auf einem guten Weg. Diese Nachhilfe nimmt er nach wie vor in Anspruch und hat nach einem am 08.12.2010 vorgelegten Schreiben seiner „Nachhilfelehrerein“ erhebliche Fortschritte gemacht. Der Kläger zu 4 ist in der 6. Klasse von seinen Mitschülern zum Klassensprecher gewählt worden, nachdem er zuvor stellvertretender Klassensprecher gewesen war.
80 
Der Kläger zu 4 ist auch außerhalb seines Schulalltags fest in die hier gegebenen gesellschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse eingebunden. In seiner Freizeit spielt er schon seit längerem beim TSV H. Fußball. Er ist - nach seinen Angaben seit zwei Jahren - Kapitän der D-Jugendmannschaft und nimmt auch an Turnieren teil. Zusätzlich spielt er außerhalb des Vereins Fußball und ist auch im Übrigen sportlich sehr aktiv. Nach einer Stellungnahme von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Arbeitskreises Asyl vom 02./03.12.2010 trainiert der Kläger zu 4 ferner in einem Boxverein und nimmt außerdem Angebote der evangelischen Kirchengemeinde ... für Kinder wahr. Als jüngeres Kind hat er am Laternenumzug teilgenommen. Ebenso wie seine ältere Schwester engagiert sich der Kläger zu 4 seit April 2010 bei dem Theaterprojekt „Yourstory“ des Jugendhauses ... in Kooperation mit der „freien bühne ...“. Nach den für den Kläger zu 4 erstellten Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé ... vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme er häufig zu den verschiedenen Angeboten des Schülercafés. Er nehme regelmäßig an einem wöchentlichen Fußballprogramm teil. Er komme zum Jungentreff und nutze am Freitagabend gerne das Angebot des Teenietreffs. In den Pfingstferien 2009 sei er Teilnehmer der viertägigen Fahrradfreizeit gewesen. Er beteilige sich rege am Geschehen in der Einrichtung. Meistens nutze er mit gleichaltrigen Freunden die Angebote. Er sei sehr aktiv und voll integriert. Insgesamt gesehen unterscheidet sich die Lebensweise des Klägers zu 4 in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht von derjenigen, wie sie auch von gleichaltrigen Schülern deutscher Herkunft gelebt wird. Unter Berücksichtigung des Maßes der Integration unter wirtschaftlicher Hinsicht und mit Blick auf den Duldungsstatus bereits oben unter I. 3.) getroffenen Feststellungen, die für den Kläger zu 4 gleichermaßen gelten, ist auch bei ihm davon auszugehen, dass er in erheblichem Maße im Bundesgebiet integriert ist.
81 
In Ansehung des erreichten Integrationsstands ist ihm auch trotz seines stets nur geduldeten Aufenthalts eine Rückkehr in den Irak ebenfalls nicht zuzumuten. Der Kläger zu 4 lebt im Bundesgebiet seitdem er drei Jahre alt gewesen ist. Den Irak kennt er aus eigenem Erleben nicht mehr. Er kann sich zwar in der Muttersprache seiner Eltern verständigen, hat jedoch keine Kenntnisse der Schriftsprache. Auf eine Hilfestellung seiner Eltern bei der - erstmaligen -Integration in seinen Passstaat kann er nicht verwiesen werden, weil diese auch ihm gegenüber entsprechend den Ausführungen oben unter I. 4.c.) nicht in der Lage wären, die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Entsprechend den Darlegungen oben unter I. 5.) stehen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht entgegen.
III.)
82 
Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht mit Rücksicht auf die stets gelebte und dem Schutz von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unterfallende familiäre Lebensgemeinschaft mit den Klägern zu 3 und 4 ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Zwar könnte eine Trennung von den Klägern zu 3 und 4 auch dadurch vermieden werden, dass die Abschiebung der übrigen Familienmitglieder weiter ausgesetzt wird. Das Rechtsinstitut der Duldung ist jedoch nicht dazu bestimmt, einen nach der Verfassung gebotenen dauernden Aufenthalt zu sichern und zu ermöglichen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.11.2009 - 13 S 2002/09 - juris Rn. 42; vgl. auch GK-AufenthG, § 60a Rn. 133 ff.). Hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen gelten mit Blick auf den verfassungsrechtlich gebotenen weiteren Aufenthalt die Ausführungen unter I. 5.) entsprechend.
IV.)
83 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO.
84 
Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. Nr. 1 VwGO. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Rechtsfrage, ob bei einem im Bundesgebiet - mit Blick auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat - stets nur geduldeten Aufenthalt der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet ist, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig
85 
Beschluss vom 13. Dezember 2010
86 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG auf 25.000,-- EUR festgesetzt.
87 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den von den Klägern jeweils geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG bejaht. Die zulässigen Verpflichtungsklagen sind begründet; die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.05.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Die Klägerin zu 3 hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aus dem Recht auf Achtung ihres Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung ihres Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (I.). Der sachliche und personelle Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK ist eröffnet. Auch ein Ausländer, der seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nur über einen geduldeten Aufenthalt nach § 60a Abs. 2 AufenthG verfügt, kann sich auf das Recht auf Achtung seines Privatlebens berufen. Der prekären aufenthaltsrechtlichen Situation ist im Rahmen der Prüfung des Art. 8 Abs. 2 EMRK nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen (1.). Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens besteht darin, dass durch die Vorenthaltung eines verlässlichen Aufenthaltsstatus das Privatleben der Klägerin zu 3 unverhältnismäßig beeinträchtigt wird (2.). Sie ist in besonderem Maße im Bundesgebiet integriert (3.). Auch unter Berücksichtigung ihres prekären Aufenthaltsstatus kann ihr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht zugemutet werden (4.). Dem Anspruch der Klägerin zu 3 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehen die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG nicht entgegen (5.). Auch der Kläger zu 4 hat aus dem Recht auf Achtung seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung seines Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (II.). Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht ein Anspruch auf Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf die jeweils mit den Klägern zu 3 bzw. 4 gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zu (III.).
I.)
22 
Der Klägerin zu 3 ist nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
23 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Nach Satz 2 soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist.
24 
Die Klägerin zu 3 ist aufgrund der im Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohung gemäß Bescheid des Bundesamts vom 29.10.1999 vollziehbar ausreisepflichtig. Sie wird seit 31.01.2002 bis heute ununterbrochen („ketten“-)geduldet und damit um ein Vielfaches länger als der in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG definierte Zeitraum. Die - freiwillige - Ausreise der Klägerin zu 3 ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil einer solchen das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK entgegensteht. Der Begriff der Ausreise umfasst die zwangsweise Abschiebung und die freiwillige Ausreise (BVerwG, Urteile vom 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 12 und vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 15). Da die Ausreise eine unvertretbare Handlung darstellt, ist die Unmöglichkeit im Hinblick auf den betroffenen Ausländer zu prüfen. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn es diesem Ausländer aus Rechtsgründen nicht zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Allgemeine Widrigkeiten oder Überlegungen humanitärer Art, die keine Abschiebungshindernisse zur Folge haben, bleiben dabei unberücksichtigt. Somit ist die Ausreise unzumutbar und damit unmöglich, wenn rechtliche zielstaats- und/oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 17). Zu den inlandsbezogenen Abschiebungsverboten zählen auch die Verbote, die aus Verfassungsrecht (z.B. Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006, a.a.O.).
25 
1.) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klägerin zu 3 die Berufung auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK nicht deshalb verwehrt, weil die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG nicht erfüllt worden sind. Die Klägerin zu 3 und ihre Familie haben sich zum Stichtag am 01.07.2007 nicht - wie von § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für Familien mit minderjährigen Kindern gefordert - seit mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet aufgehalten. Sie sind zwar erstmals im Juli 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Allerdings kann auf diesen Zeitpunkt nicht abgestellt werden, weil die Familie den Angaben im Asylfolgeverfahren zufolge nach Erlass des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 29.10.1999 zunächst in der Türkei gegangen ist, um dort zu leben (siehe im Einzelnen den Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 28.03.2002 im Verfahren A 2 K 10431/02). In einem solchen Fall liegt keine unschädliche Unterbrechung der Aufenthaltszeiten vor (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 22 ff.; GK-AufenthG, § 104a Rn. 12 ff.). Erst mit ihrer Rücküberstellung aus Schweden am 23.01.2002 - dorthin war die Familie nach ihrer Abschiebung in den Irak durch die türkischen Behörden zum Zwecke der Asylantragstellung gereist - hat daher der für § 104a AufenthG relevante Aufenthaltszeitraum zu laufen begonnen. Aus der Existenz von Bleiberechts- und Altfallregelungen ergibt sich jedoch keine Sperrwirkung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (so aber Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14; Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 Rn. 661, 664). Systematisch stehen die Altfallregelungen der §§ 104a und 104b AufenthG neben § 25 Abs. 5 AufenthG (näher Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 25 Rn. 78; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 42). Die in den Altfallregelungen normierten generalisierten Fallkonstellationen, die rechtspolitisch begründet und nicht etwa verfassungs- bzw. völkerrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers geschuldet sind, berühren die hiervon losgelöste Einzelfallbetrachtungen auf der Grundlage der Menschenrechtskonvention nicht (vgl. auch VGH Bad-Württ., Urteil vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 19 und Beschluss vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - juris Rn. 12).
26 
a.) Mit Blick auf den Aufenthalt umfasst das Recht auf Achtung des Privatlebens die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275, 277 m.w.N.). Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Nach der ständigen Spruchpraxis des EGMR lässt sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich kein irgendwie geartetes Recht dahingehend ableiten, ein Ausländer dürfe sich einen Aufenthaltsort in einem Konventionsstaat frei wählen. Vielmehr ist den Konventionsstaaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Einwanderung in ihr Hoheitsgebiet zulassen wollen. Unter anderem in seinen Entscheidungen vom 16.09.2004 (11103/03 - - NVwZ 2005, 1046), vom 07.10.2004 (33743/03 - - NVwZ 2005, 1043) und vom 18.10.2006 (46410/99 - <Üner> - NVwZ 2007, 1279) hat der EGMR ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Konvention nicht das Recht eines Ausländers garantiere, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen bzw. abgeschoben zu werden. Die Vertragsstaaten haben vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden (siehe hierzu auch BVerwG, Urteile vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 - NVwZ 1998, 742 und vom 29.09.1998 - 1 C 8.98 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschluss vom 10.05.2006 - 11 2345/05 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - juris und Beschluss vom 15.02.2006 - 7 TG 106/06 - InfAuslR 2006, 217; NdsOVG, Beschlüsse vom 11.05.2006 - 12 ME 138/06 - InfAuslR 2006, 329 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2006 - 18 B 44/06 -AuAS 2006, 144).
27 
Dessen ungeachtet kann nach der Rechtsprechung des EGMR unter anderem in den Sachen „Silvenko“ (Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - EuGRZ 2006, 560), „Sisojeva I und II“ (Urteil vom 16.06.2005 - 60654/00 - EuGRZ 2006, 554 und Entscheidung vom 15.01.2007 - InfAuslR 2007, 140), „Rodrigues da Silva und Hoogkammer“ (Urteil vom 31.01.2006 - 50435/99 - EuGRZ 2006, 562) sowie „Mendizabal“ (Urteil vom 17.01.2006 - 51431/99 - InfAuslR 2006, 297) ausnahmsweise auch die Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung der Legalisierung des Aufenthalts einen - rechtfertigungsbedürftigen - Eingriff in das Privatleben darstellen, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt. Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt danach für solche Ausländer in Betracht, die auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 8.96 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - VBlBW 2009, 357 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -).
28 
Für diese den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnende Verbundenheit ist das Bestehen wirtschaftlicher Bindungen zwar regelmäßig typisch, aber nicht unerlässlich. Bei Kindern, die - wie die Klägerin zu 3 - der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, nicht erwerbstätig sein dürfen und daher in wirtschaftlicher Hinsicht grundsätzlich noch keine eigenen Bindungen an die Bundesrepublik aufgebaut haben, wäre andernfalls eine Berufung auf das Recht auf Privatleben von vornherein ausgeschlossen, was der Konzeption des Art. 8 EMRK als Menschenrecht widerspräche. Wären wirtschaftliche Bindungen dem Recht auf Achtung des Privatlebens immanente Tatbestandsvoraussetzungen, so wären gerade Kinder, die diese nicht eigenständig begründen können, insoweit vom Schutz der Konvention ausgeschlossen. Dass der eigenständige Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage für ein schützenswertes Privatleben nicht zwingend konstitutiv sein muss, lässt sich auch aus einem Vergleich mit Art. 16 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (Gesetz vom 17.02.1992, BGBl II S. 121) ersehen, in dem die Vertragsstaaten ausdrücklich vereinbart haben, den Schutz des Privatlebens eines Kindes prinzipiell anzuerkennen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gedanke der „starken persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen“ vor allem auch dazu dient, solche Konstellationen aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK „herauszufiltern“, bei denen es nicht gerechtfertigt ist, im Rahmen der Schranken des Absatzes 2 überhaupt in eine umfassende Interessens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung einzutreten. Jedenfalls dann, wenn aber - quantitativ betrachtet - ein längerer Aufenthalt vorliegt und - unter einem qualitativen Aspekt - besondere Integrationsleistungen erbracht wurden, ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet (GK-AufenthG, § 60a Rn. 174 f.). Auch der EGMR geht etwa im Urteil vom 18.10.2006 in der Rechtssache „Üner“ (46410/99 - NVwZ 2007, 1279) von einem denkbar weiten Schutzbereich aus und erachtet als Bestandteil des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK „die Gesamtheit der sozialen Beziehungen“. Dies entspricht der europäischen Tradition des „in dubio pro libertate“.
29 
Gemessen hieran verfügt die Klägerin zu 3 über Bindungen zum Bundesgebiet, die dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens unterfallen. Die am 26.04.1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit über acht Jahren ununterbrochen hier auf und besucht mittlerweile die 7. Klasse der Hauptschule. Ihre Fähigkeiten in der deutschen Sprache entsprechen, wie sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte, denjenigen von Kindern deutscher Herkunft, die ihr in Alter und Bildungsstand vergleichbar sind. Sie verfügt über einen - auch deutsche Freunde umfassenden -Freundeskreis und ist im Vereinsleben (als Mannschaftsfußballspielerin) und auch im sonstigen gesellschaftlichen Leben (unter anderem in einem Theaterprojekt) aktiv.
30 
Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, dass unter aufenthaltsrechtlichen Aspekten auch wirtschaftliche Bindungen für die Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens unerlässlich wären und bei Minderjährigen deshalb insoweit auf ihre Sorgeberechtigten abzustellen wäre, würde dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn beide Elternteile verfügen über hinreichend qualifizierte wirtschaftliche Kontakte. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. als geringfügig Beschäftigte. Der Kläger zu 1 ist seit 2005 überwiegend - wenn auch in unterschiedlichem Umfang und den Lebensunterhalt nicht allein deckend - erwerbstätig.
31 
b.) Der Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens steht ferner nicht entgegen, dass die Klägerin zu 3 während ihres gesamten bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet keinen Aufenthaltstitel besessen hat.
32 
aa.) Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob sich Ausländer, deren Aufenthalt stets lediglich geduldet worden ist, auf den Schutz der Achtung des Privatlebens berufen können (dies bejahend: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 - juris Rn. 80 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 17, vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - InfAuslR 2009, 72 und vom 25.10.2007 - 11 S 2019/07 - InfAuslR 2008, 29; BremOVG, Beschluss vom 22.11.2010 - 1 A 383/09 - juris Rn. 14 ff.; VG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2009 - 7 K 1621/08.F - InfAuslR 2010, 302; VG Stuttgart, Urteil vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 28 f.; GK-AufenthG, § 25 Rn. 150; HK-AuslR, § 25 Rn. 56; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 44 f.; Bergmann, Aufenthaltsrecht aufgrund von Verwurzelung, ZAR 2007, 128 ff.; Thym, Menschenrecht auf Legalisierung des Aufenthalts?, EuGRZ 2006, 541, 546 ff.; ders., Humanitäres Bleiberecht zum Schutz des Privatlebens?, InfAuslR 2007, 133, 138; Benassi, Die Bedeutung der humanitären Aufenthaltsrechte des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG im Lichte des Art 8 EMRK, InfAuslR 2006, 397, 401 ff.; Hoppe, Verwurzelung von Ausländern ohne Aufenthaltstitel - Wann kann Art. 8 Abs. 1 EMRK zu einem Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verhelfen?, ZAR 2006, 125, 128 f.; Marx, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung, ZAR 2006, 261, 266; Sander, Der Schutz des Aufenthalts durch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2008, S. 346; Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482, 523) oder ob ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt (in diesem Sinne: NdsOVG, Beschlüsse vom 12.08.2010 - 8 PA 182/10 - juris Rn. 5, vom 14.05.2009 - 8 LB 158/06 - juris Rn. 24, vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris Rn. 2 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - ZAR 2006, 413; Hailbronner, Ausländerrecht, § 25 Rn. 131; Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 25 Rn. 31; Fritzsch, Der Schutz sozialer Bindungen von Ausländern, 2009, S. 102 ff., 149 ff. 188 f.; ders., Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14, 16 ff.; Bundesministerium des Innern, Bericht zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung des Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), Juli 2006, Nr. 2.3.10.1.6, S. 80; dies offenbar grundsätzlich annehmend auch BVerwG, Urteile vom 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 14 und vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn. 20).
33 
Soweit sich das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung, der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK sei auch bei nur Geduldeten eröffnet, auf das Urteil des EGMR vom 16.06.2005 (60654/00 - - InfAuslR 2005, 349) berufen hat, wonach dieser explizit keine willentliche Legalisierung verlange (so etwa auch Benassi, InfAuslR 2006, 397, 403), ergibt sich das in dieser Allgemeinheit aus der Entscheidung nicht. Denn die dortigen Beschwerdeführer hatten jahrelang rechtmäßig in der früheren Sowjetunion (im Gebiet des heutigen Lettland) und auch danach noch in Lettland selbst gelebt und ihnen war erst später zum Teil als staatenlos gewordene russische Volkszugehörige ein Aufenthaltsrecht bestritten worden, nachdem sie nach 1989 sogar noch zeitlich befristete Aufenthaltstitel erhalten hatten (vgl. näher Thym, EuGRZ 2006, 541, 545 ff.). Die Entscheidung ist Teil der einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR, in der dieser bislang nicht ausdrücklich entschieden hat, ob ein - jedenfalls zeitweiliger - rechtmäßiger Aufenthalt Voraussetzung für die Begründung schutzwürdiger sozialer Bindungen ist (vgl. aus der Rechtsprechung des EGMR etwa Urteile vom 06.02.2001 - 44599/98 -, NVwZ 2002, 453, 455, vom 16.09.2004 - 11103/03 - , a.a.O., vom 07.10.2004 - 3374/03 , a.a.O. und vom 08.04.2008 - 21878/06 - ). Zwar hat der EGMR im Urteil vom 30.01.2006 (50435/99 - - a.a.O.) ausgeführt, „dass Personen, die, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden eines Vertragsstaates mit ihrer Anwesenheit in diesem Staat konfrontieren, im Allgemeinen nicht erwarten können, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht zugesprochen wird.“ Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, der Schutzbereich im Falle einer nicht erfolgten ausdrücklichen Legalisierung wäre von vornherein verschlossen. Das Recht der Vertragsstaaten auf Kontrolle ihrer Zuwanderung gebietet keine solche Auslegung. Ihr Recht, über die Zuwanderung von Ausländern eigenständig zu bestimmen, wird allein dadurch, dass einem Ausländer die Berufung auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK ermöglicht wird, nicht tangiert. Dies kann vielmehr erst Ergebnis der im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK durchzuführenden Prüfung sein, bei der auch die Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern als legitime Ziele eines Eingriffs einzustellen sind. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten selbst über Einreise- und Aufenthaltsrechte disponieren können, hat keinen Absolutheitsanspruch. Auch aus der Freizügigkeitsregelung in Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur Menschrechtskonvention folgt nicht, dass die Begründung eines schutzwürdigen Privatlebens nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt im Vertragsstaat in Betracht kommt (so aber Fritzsch, ZAR 2010, 14, 19). Nach dessen Art. 2 Abs. 1 hat jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen. Dieses Zusatzprotokoll dient ausdrücklich dazu, „gewisse Rechte und Freiheiten zu gewährleisten, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind“. Soweit für die Gewährung von Freizügigkeit auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abgestellt wird, erfolgt dies mit Blick auf diese besondere Gewährleistung, dient aber nach der Intention des Zusatzprotokolls keinesfalls dazu, den Schutzbereich des bereits durch die Konvention selbst gewährten Rechts auf Achtung des Privatlebens einschränkend zu bestimmen. Eine Unterscheidung in unterschiedlich werthaltige Privatleben ist Art. 8 EMRK nicht immanent (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Darüber hinaus ist ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll. Abgesehen davon, dass diese Begrenzung des Schutzbereiches durch die Aufnahme des „Vertrauensmerkmals“ wenig konturenscharf ist, steht ein zu eng gefasster Schutzbereich einem einzelfallbezogenen gerechten Interessenausgleich oftmals entgegen und ist zudem geeignet, die Wirksamkeit des konventionsrechtlichen Schutzes zu schmälern (GK-AufenthG, § 60a Rn. 173 f. m.w.N.). Gerade bei Personen, die aus Krisengebieten kommen und bei denen über Jahre hinweg die Abschiebung ausgesetzt worden ist, verbaut eine vorschnelle Ausgrenzung aus dem Schutzbereich die Möglichkeit, den Fallkonstellationen angemessen Rechnung tragen zu können, in denen die Ausländerbehörde in der Vergangenheit über Jahre hinweg nur „Kettenduldungen“ erteilt hatte, obwohl im Grunde realistischer Weise keine Abschiebungs- und Ausreisemöglichkeit bestanden hatte. Solchen Personen, die im Hinblick auf die Verhältnisse in ihrem Heimatland geduldet werden, wird mit der Aussetzung der Abschiebung faktisch eine „Hand zum Verbleib“ gereicht; der Staat zwingt den Ausländer gerade nicht dazu, das Land seines jetzigen Aufenthalts zu verlassen (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Dies zeigt sich insbesondere im vorliegenden Fall, in dem - mit Blick auf die seit 2003 herrschende Situation im Irak - zu keinem Zeitpunkt auf die Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin zu 3 und ihrer Familie hingewirkt worden ist. Vielmehr ist ihren Eltern im Januar 2008 die Beschäftigung sogar uneingeschränkt erlaubt worden, was den weiteren Aufbau wirtschaftlicher Bindungen begünstigt. Ein weiter Schutzbereich mit einer Verlagerung der Aufenthaltsstatusfragen in die Schrankenprüfung erlaubt daher eher dem Einzelfall adäquate Lösungen als eine zu enge Definition des Schutzbereichs. Mögliche Missbrauchsfälle sind kein generelles Argument hiergegen. Zwar ist nach dem Bericht des Bundesinnenministeriums zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes „die lange Aufenthaltsdauer in der Mehrzahl der Fälle der langjährig Geduldeten auf Verfahrensverschleppungen, missbräuchliche Antragstellungen und fehlende Mitwirkungsbereitschaft zurückzuführen“ (a.a.O. Nr. 2.3.10.3, S. 84). Solche Fälle können jedoch stets im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK „ausgesondert“ werden. Eine weite Fassung des Rechts auf Achtung des Privatlebens entspricht im Übrigen auch der Grundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts bei Art. 2 Abs. 1 GG, das insoweit ebenfalls von einem weiten Schutzbereich ausgeht (siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - juris).
34 
bb.) Erst recht ist im Übrigen die Eröffnung des Schutzbereichs bei Geduldeten anzunehmen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Rechtsordnung in der Vergangenheit einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgesehen hat, der im Einzelfall auch zu realisieren gewesen wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 - in Unkenntnis der Rechtslage - keinen entsprechenden Antrag bei der Ausländerbehörde gestellt hatten. Auch ein in der Vergangenheit nach dem Ausländerrecht bestehender, durch die Behörde aber nicht erfüllter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, stellt eine „Handreichung des Staates“ dar.
35 
Die Kläger zu 1 bis 4 waren aufgrund der Abschiebungsandrohung mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.10.1999 seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.01.2001 vollziehbar ausreisepflichtig und ab 31.01.2002 geduldet. Nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 konnte einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig war, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorlagen, weil seiner freiwilligen Ausreise Hindernisse entgegenstanden, die er nicht zu vertreten hatte. Die Regelung ermöglichte die Legalisierung eines schon länger geduldeten Aufenthalts, wobei als Ermessenkriterien die Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigungen im Fall der Ausreise, die Dauer der Abschiebungshindernisse und die Art der Duldungsgründe herangezogen werden konnten (Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl. 1993, § 30 Rn. 9). Nach § 34 AuslG konnte die Aufenthaltsbefugnis für jeweils längstens zwei Jahre erteilt und verlängert werden, wobei die jeweilige Frist nach der Art der Erteilungsgründe und der Möglichkeit ihres Fortfalls zu bemessen war (Kanein/Renner, a.a.O., § 34 Rn. 2).
36 
Weshalb die Klägerin zu 3 und ihre Familie nach der Entscheidung des Bundesamts über ihren Folgeantrag mit Bescheid vom 05.02.2002 danach im Jahre 2002 und Anfang 2003 geduldet wurden, obwohl ordnungsgemäß ausgefüllte Anträge auf Ausstellung eines Passersatzes vorlagen, erschließt sich anhand der Akten nicht. Auch die Beklagte und das beigeladene Land haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierfür keinen nachvollziehbaren Grund benennen können. In der Folgezeit waren die am 20.03.2003 im Irak begonnene Militäraktion und die danach nicht bestehenden Rückführungsmöglichkeiten ursächlich für die Aussetzung der Abschiebung (vgl. auch Schreiben des Innenministeriums vom 27.11.2003 und vom 29.07.2004 - jew. Az.:4-13-IPK/12). Nachdem im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.08.2003 die Rückkehrmöglichkeiten aus dem Ausland in den Irak aufgrund der von den Nachbarländern geschlossenen Grenzen verneint worden waren, wurden im Lagebericht vom 06.11.2003 die Möglichkeiten dargestellt, wie auf dem Landweg und mit welchen Dokumenten eine Einreise in den Irak erfolgen konnte (siehe im Einzelnen S. 15 f.). Eine Rückkehr über Kuwait, Iran, Türkei oder Saudi-Arabien war für aus westlichen Ländern kommende Iraker aufgrund der ganz oder jedenfalls für diesen Personenkreis immer wieder geschlossenen Grenzen praktisch nicht realisierbar. Grundsätzlich kam aber eine Einreise über Jordanien oder Syrien in den Irak in Betracht. Aus Deutschland kehrten Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration über Jordanien zurück (Taxi Amman - Bagdad). Auf dieser Route waren grundsätzlich irakische Pässe erforderlich. Ferner bestand die Möglichkeit, ab Damaskus mit Kleinbussen nach Bagdad zu fahren; syrische Grenzbehörden akzeptierten neben den irakischen Reisepässen auch Ersatzdokumente. In den folgenden Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vom 07.05.2004, 02.11.2004 und 24.11.2005) wurden insoweit keine grundsätzlichen Änderungen berichtet. Zwar hätten die Klägerin zu 3 und ihre Familie danach theoretisch den Irak auf dem Landweg erreichen können, wobei die Kläger allerdings erst in ihrer Herkunftsregion Kirkuk eine notwendige Unterstützung durch dort noch lebende Verwandte hätten erlangen können. Eine freiwillige Ausreise war ihnen in Anbetracht der schon mit der Reise über den Landweg unmittelbar verbundenen Gefahren - so war etwa auf Straßenverbindungen wie beispielsweise der Straße von Bagdad nach Amman, der wichtigsten Verbindung Bagdads mit dem Ausland, ständig mit bewaffneten Überfällen zu rechnen, bei denen auch Menschen zu Tode kamen (näher Lageberichte vom 07.05.2004, S. 8 ff. und vom 02.11.2004, S. 12 ff.) - aber auch mit Blick auf die katastrophale Versorgungssituation, die sie im damaligen Irak vorgefunden hätten, nicht zumutbar gewesen. Die Klägerin zu 2 war schwanger mit der am 04.06.2004 geborenen Klägerin zu 5 und der Kläger zu 4 gerade erst fünf Jahre alt. Eine Schwangere sowie kleine Kindern sind jedoch in besonderem Maße auf die ihren Bedürfnissen entsprechende Versorgung mit sauberem Wasser und Lebensmitteln, aber auch auf die Verfügbarkeit medizinischer Hilfe angewiesen. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.04.2003 beschrieb die medizinische Versorgung, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie Strom und Wasser als angespannt und kritisch (siehe im Einzelnen S. 2 f.). Die Lageberichte vom 07.08.2003 und 06.11.2003 zeichneten kein grundlegend anderes Bild. Im letztgenannten Lagebericht hieß es, dass sich die Stromversorgung nach der Besetzung des Landes drastisch verschlechtert habe, die Wasserversorgung von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen worden und weiterhin kritisch sei, die medizinische Versorgung angespannt bleibe, da viele Krankenhäuser - sofern sie überhaupt in Betrieb seien - unter schlechten hygienischen Bedingungen und mangelnder Energieversorgung litten und für die Versorgung der Bevölkerung Nahrungsmittel verteilt werden müssten. Diese Einschätzung wurde auch in den folgenden Lageberichten vom 07.05.2004 (vgl. dort S. 10 ff.), 02.11.2004 (S. 15 f., 19) und 24.11.2005 (S. 27 f.) im Wesentlichen aufrechterhalten.
37 
Selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Ausländerbehörde aufgrund der Veränderbarkeit persönlicher Verhältnisse und der Zustände im Herkunftsland zeitlich ein Spielraum zugebilligt werden musste, bevor die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG in Betracht kam, wäre eine solche unter Reduzierung des eingeräumten Ermessens auf Null jedenfalls spätestens im Laufe des Jahres 2004 zu erteilen gewesen. Dem stand nicht entgegen, dass nach dem Schreiben des Innenministeriums an die nachgeordneten Ausländerbehörden zur Rückführung irakischer Staatsangehöriger vom 27.11.2003 im Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit und Zumutbarkeit einer freiwilligen Rückkehr in den Irak die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG „in der Regel nicht mehr in Betracht kommt“ und nach den Angaben eines Vertreters des beigeladenen Landes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihm landesweit kein Fall bekannt sei, in dem eine Familie, die sich in einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation befand, Aufenthaltsbefugnisse erhalten hätte. Denn ein Anspruch der Klägerin zu 3 und ihrer Familie auf - zeitweilige - Legalisierung ihres Aufenthalts hätte sich - auch als Ausnahmefall von der grundsätzlichen Zumutbarkeit im Sinne des Erlasses des Innenministeriums - unmittelbar aus § 30 Abs. 3 AuslG ergeben.
38 
Die Realisierbarkeit dieses Anspruchs wäre auch nicht aufgrund von § 11 Abs. 1 AuslG 1990 zu verneinen gewesen. Danach konnte einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hatte, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es forderten. Die Vorschrift war zwar auf das von den Eltern der Klägerin zu 3 im Januar 2002 in Gang gesetzte Asylfolgeverfahren anwendbar (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.04.1996 - 11 S 156/96 - InfAuslR 1996, 303, 304), das bestandskräftig erst mit dem Beschluss des erkennenden Gerichtshofs vom 30.08.2006 abgeschlossen wurde. Allerdings hätten - nach entsprechendem Hinweis der Ausländerbehörde - die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 den Asylfolgeantrag zurücknehmen und damit die „Sperrwirkung“ des § 11 Abs. 1 AuslG beseitigen können.
39 
cc.) Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begründet, komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht, gebietet der vorliegende Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Die Klägerin zu 3 verfügt mit Blick auf die Situation im Irak seit vielen Jahren über jeweils auf drei Monate befristete Duldungen, die nahtlos ineinander übergehen. Diese „Kettenduldungen“ haben ihre Ursache nicht in einer mangelnden Mitwirkung an der Aufenthaltsbeendigung oder in einem sonstigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten, waren doch Passanträge ausgefüllt worden. Ihnen liegt vielmehr zugrunde, dass der Staat es der Ausländerin gerade nicht zumutet, in ihr Heimatland zurückzukehren, in dem er auch selbst nichts unternahm oder unternimmt, eine Aufenthaltsbeendigung zwangsweise durchzusetzen. Einem auf der Grundlage derartiger „zweitklassiger Aufenthaltstitel“ (vgl. Bergmann, ZAR 2007, 128, 129) gelebten Privatleben den Schutz des Art. 8 EMRK von vornherein zu versagen, wäre konventionswidrig.
40 
2.) Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 liegt darin, dass ihr eine Rückkehr in die Lebensverhältnisse ihres Herkunftsstaats nicht mehr zumutbar ist und durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels ihr Privatleben unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.
41 
a.) Zwar ist nicht ersichtlich, dass das beigeladene Land derzeit oder in absehbarer Zeit eine Aufenthaltsbeendigung der Klägerin zu 3 und ihrer Familie anstreben und ihre Abschiebung in den Irak in die Wege leiten würden. Im vorliegenden Fall reicht jedoch eine Duldung nicht aus, um der Konvention zu entsprechen (vgl. näher Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41, 43; Bergmann, ZAR 2007, 128, 131). Die Duldung begrenzt den Aufenthalt der Klägerin zu 3 kraft Gesetzes auf das Land Baden-Württemberg (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Zusätzlich ist die Wohnsitznahme in Stuttgart angeordnet (vgl. die der Klägerin zu 3 zuletzt am 11.10.2010 ausgestellte Duldungsbescheinigung). Will sie sich - und sei es auch nur kurzzeitig - außerhalb Baden-Württembergs aufhalten, bedarf es nach § 12 Abs. 5 AufenthG der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis, die nach Satz 2 grundsätzlich im Ermessen der Ausländerbehörde steht und auf die nur in den engen Grenzen des Satzes 3 ein Rechtsanspruch besteht. Ein spontanes vorübergehendes Verlassen des auf der Grundlage des Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs ist außer in den im Leben der Klägerin zu 3 praktisch nicht relevant werdenden Fällen des § 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG (Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen das persönliche Erscheinen des Ausländers erforderlich ist) nicht möglich. Gerade alterstypische Aktivitäten, an denen sie regelmäßig teilnimmt, wie (Schul-)ausflüge, Ferienfreizeiten oder Fußballturniere, sind - sofern sie außerhalb Baden-Württembergs stattfinden - für sie auf der Grundlage einer Duldung gar nicht oder jedenfalls nur mit erheblichem (Verwaltungs-)Aufwand realisierbar. Ohne Aufenthaltserlaubnis bleibt ihr etwa die im Frühling 2011 vorgesehene Teilnahme ihres Vereins an einem Mädchenfußballturnier in Spanien, wovon die Klägerin zu 3 in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berichtet hat, in jedem Fall verwehrt. Aktivitäten und soziale sowie gesellschaftliche Bindungen, die schon jetzt für ihr Privatleben konstitutiv sind (siehe nachfolgend 3.), und die mit fortschreitendem Alter bei einem Heranwachsenden für seine Sozialisation und Entwicklung der Persönlichkeit von wachsender Bedeutung werden, kann die Klägerin zu 3 nur auf der Grundlage eines legalisierten Aufenthalts in einer dem Recht auf Privatlebenden genügenden Weise „ausleben“. Im Übrigen leidet die Klägerin zu 3 auch psychisch in einer ihr Privatlebenden beeinträchtigenden Weise unter der seit Jahren andauernden, ungewissen und unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation. Dies ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme der PBV vom 09.04.2010. In dieser heißt es, dass das Mädchen unter anderem auf die langjährige Unsicherheit, hier in Deutschland bleiben zu dürfen mit einer längeren, phasenweise verlaufenden Anpassungsstörung reagiert und ein sicherer Aufenthaltsstatus für eine stabile Psyche notwendig ist.
42 
b.) Ob der Eingriff in das geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, ist bei der im Alter von 4 Jahren eingereisten Klägerin zu 3 nach ähnlichen Kriterien zu prüfen, wie sie normalerweise bei Einwanderern der zweiten Generation angewendet werden (EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 - InfAuslR 2006, 3). Insoweit ist das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse der Klägerin zu 3 an der Aufrechterhaltung ihrer faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476 und vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> -InfAuslR 2005, 450). Maßgebend sind dabei vor allem die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, der Stand der gesellschaftlichen und sozialen Integration (Sprachkenntnisse, Schule/Beruf, Freizeitgestaltung/Freundeskreis), das Fehlen von Straftaten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen. Hierbei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - 59643/00 - ). Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten sowie der Hilfe durch die Eltern bei Minderjährigen. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob und gegebenenfalls wie lange der Aufenthalt des Betroffenen legal war und damit - im Sinn einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein „Hierbleibendürfen“ entwickelt werden konnte (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 20 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -; Renner, a.a.O., § 25 Rn. 80 ff.).
43 
3.) Die im April 1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit Januar 2002 ununterbrochen in Deutschland auf und hat daher etwa zwei Drittel ihres Lebens hier verbracht. Sie besucht derzeit die 7. Klasse Hauptschule der Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule H. Ihre Fähigkeiten in Deutsch entsprechen denjenigen gleichaltriger Hauptschüler deutscher Herkunft. Ihre Klassenlehrerin bewertet in einer Stellungnahme vom 22.09.2010 die Kenntnisse der Klägerin zu 3 in Deutsch in Wort und Schrift mit „befriedigend“. Dies entspricht auch der Zeugnisnote im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10. In der aktualisierten Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, die Klägerin zu 3 beherrsche die deutsche Sprache in Wort und Schrift, sie könne sich mittlerweile sicher ausdrücken und habe auch ihr Leseverständnis stark verbessert. Dass sich die Klägerin zu 3, die in ihrer Freizeit inzwischen auch Bücher liest, ihrem Alter und Bildungsstand entsprechend sicher in der deutschen Sprache bewegt, hat auch ihre Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. Soweit ihr eine kontinuierliche Verbesserung in Deutsch und auch in den übrigen Schulfächern, die im letzten Zeugnis mit Noten von „gut“ bis „ausreichend“ bewertet worden sind, vor allem bisher deshalb gelungen ist, weil sie die Hilfe einer Hausaufgabenbetreuung in Anspruch nehmen kann, steht dies der positiven Bewertung ihrer Deutschkenntnisse und schulischen Leistungen im Rahmen der Würdigung als Integrationsmerkmal nicht entgegen. Denn die Inanspruchnahme von Hilfe bei den Hausaufgaben ist mittlerweile für deutsche Schüler ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Ausweislich der Stellungnahmen der Klassenlehrerin vom 27.11.2010 und 22.09.2010 ist die Klägerin zu 3, die in diesem Jahr von ihren Mitschülern zum zweiten Mal als Klassensprecherin gewählt worden ist, auch stets bereit, Aufgaben zum Wohl der Klasse oder der Schule zu übernehmen und engagiert sich sehr für die Interessen der Schüler. Zudem ist sie von den Klassensprechern der Schule in das drei Schüler umfassende Team der Schülervertretung gewählt worden, das auch Mitglied der Schulkonferenz ist (vgl. die Bestätigung der Schulleitung der GHS H. vom 10.11.2010).
44 
Die Klägerin zu 3 ist auch außerhalb ihres Schulalltags fest in die sozialen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Bundesrepublik eingebunden. Sie hat einen - auch deutsche Freunde umfassenden - Freundeskreis, mit dem sie in ihrer Freizeit ins Schwimmbad geht oder an organisierten Jugendprojekten teilnimmt. Nach den schriftlichen Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé Alberta - Offener Treff für Kinder und Jugendliche und Soziale Schülerbetreuung - vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme die Klägerin zu 3 häufig zu verschiedenen Angeboten des Schülercafés, dessen Schwerpunkt offene Angebote, Hausaufgabenbetreuung, Ferienprogramme und Freizeiten seien. Die Klägerin zu 3 treffe dort ihre Freundinnen aus dem Stadtbezirk und beteilige sich aktiv an den verschiedenen Programmen. Auch an dem Kooperationsprojekt MISS (Mädchen im Stadtbezirk ...) mit dem Jugendhaus ... und der Mobilen Jugendarbeit nehme sie regelmäßig teil. Sie habe einen Workshop zum Thema Selbstbehauptung besucht sowie an einem Fußballturnier und einem Bootsausflug für Mädchen teilgenommen. Den genannten Berichten zufolge ist sie voll in ihren Freundeskreis integriert, bringt sich persönlich und aktiv in das soziale Geschehen ein und übernimmt für sich und die Gruppe Verantwortung in Konfliktfällen. Ferner nimmt die Klägerin zu 3 seit April 2010 regelmäßig an einem integrativen Jugendtheaterprojekt teil, an dem Schülerinnen und Schüler verschiedener Nationalität und aus den unterschiedlichsten Schulformen von Förderschule bis zum Gymnasium beteiligt sind (vgl. hierzu die Teilnahmebestätigung des Jugendhauses ... vom 10.12.2010). Die Klägerin zu 3 ist auch bereits bei verschiedenen Ferienfreizeiten gewesen, unter anderem - nach ihren Angaben als einziges ausländisches Kind - an einer von der Caritas organisierten Jugendfreizeit in .... Sie spielt seit Sommer 2009 Fußball in einer Mädchenmannschaft. Nach der Bescheinigung des Jugendleiters des TSV H. vom 01.05.2010 nimmt sie seitdem regelmäßig am Trainings- und Verbandsspielbetrieb der Mädchenfußballmannschaft der C-Juniorinnen teil, zeigt ihre Integrationsbereitschaft und akzeptiert die Mannschafts- und Spielregeln.
45 
Auch im Übrigen lebt die Klägerin zu 3 - wie ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht haben - in einer Weise, wie sie auch unter Gleichaltrigen deutscher Herkunft praktiziert wird. Sie erhält mittlerweile Klavierunterricht und hört am liebsten Musik der Richtung „Hip hop“. Sie schaut in ihrer Familie oder gemeinsam mit Freunden und Freundinnen Fernsehsendungen deutscher Privatsender. Die Klägerin zu 3 kleidet sich in einer Art, wie sie auch unter jungen deutschen Mädchen üblich ist. Sie geht mit einem Bikini ins Schwimmbad und trägt kurze Hosen sowie dekolletierte Oberbekleidung.
46 
Der Bewertung der Integration in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht als außerordentlich gelungen steht nicht entgegen, dass die - nicht strafmündige - Klägerin zu 3 am 20.03.2010 wegen Körperverletzung angezeigt worden ist und ihr Verhalten in Konfliktsituationen - so etwa im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2008/09 zu lesen - als „nicht immer der Situation angepasst“ beschrieben wird. Diese Handlungen der Klägerin zu 3 sind nicht Ausdruck einer integrationsfeindlichen Gesinnung, sondern durch eine der Behandlung bedürfenden Verhaltensproblematik bedingt.
47 
Die Klägerin zu 3 hat wegen einer generalisierten Angststörung des Kindesalters und einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom von 29.08.2007 bis 17.09.2008 eine ambulante Psychotherapie absolviert, die vom Gesundheitsamt der Beklagten befürwortet worden war. Wegen einer drastischen Verschlechterung der Symptome (suizidale Vorstellungen und Gedanken) ist die Therapie ab 08.04.2009 wieder aufgenommen worden (vgl. näher PBV, Kurzbericht vom 25.10.2007, Bescheinigung vom 19.05.2009 und Zwischenbericht vom 09.04.2010). Das Gesundheitsamt der Beklagten hat unter dem 18.08.2009 ausgeführt, eine Langzeittherapie sei als Verhaltenstherapie wegen der Schwere des Krankheitsbildes und der bisher nicht erfolgten Stabilisierung des Mädchens medizinisch sinnvoll und begründet. Nach dem Bericht der PBV vom 09.04.2010 ist Grund für die erneute Therapieaufnahme eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und eine massive Problematik im Bereich des Sozialverhaltens gewesen; es lägen aggressive und dissoziale Züge vor, d.h. Nichtbefolgen von Regeln und Vorschriften der Lehrer, zahlreiche Streitigkeiten mit Mitschülern mit massiven verbalten Attacken und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Vermutlich stünden die Schwierigkeiten im Sozialkontakt in engem Zusammenhang mit massiven häuslichen Konflikten und Spannungen. Allerdings heißt es in dem genannten Bericht auch, dass sich durch die regelmäßigen Therapiebesuche deutliche Verbesserungen zeigten; die Lehrerin habe diese ebenfalls im letzten Lehrergespräch benannt. Diese positive Entwicklung spiegelt sich auch in den Beurteilungen der Schule wieder. Das Versetzungszeugnis zum Ende der Klasse 6 bescheinigt der Klägerin zu 3, dass es ihr immer besser gelinge, die Ordnung des Schulalltags einzuhalten; ferner arbeite sie mit anderen Kindern zusammen und bei Auseinandersetzungen sei sie zunehmend in der Lage, Kompromisse zu schließen. In ihrer Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, es gelinge der Schülerin im Umgang mit Mitschülern und Lehrern immer besser, den angemessenen Ton zu treffen und ihr Temperament zu beherrschen. Daran arbeite sie hart und habe bemerkenswerte Fortschritte gemacht. In diesen Kontext ist auch die Anzeige des Vaters einer Freundin der Klägerin zu 3 einzuordnen. Nach einer Mitteilung der Polizeirevierstation ... an die Beklagte vom 18.10.2010 ist die Klägerin zu 3 wegen einer am 20.03.2010 begangenen Körperverletzung angezeigt worden. Zwischen ihr und ihrer Freundin sei es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf sie ihre Freundin mehrfach gegen den Oberschenkel getreten habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Verfügung vom 02.11.2010 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen. Die Klägerin zu 3 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich geschildert, wie es zu dieser - letztlich handgreiflich verlaufenden - Auseinandersetzung auf einem Spielplatz gekommen ist, bei der sich beide Mädchen zuvor mit „Matsch“ bespritzt hatten. Beide Kinder sind nach wie vor miteinander befreundet. Die von der Schulsozialarbeiterin in ihrem Bericht über die Klägerin zu 3 vom 29.11.2010 vorgenommene Wertung, zwischen den beiden Mädchen bestehe eine sehr intakte und stabile Freundschaft und bei der Anzeige habe es sich um ein bedauerliches Missverständnis gehandelt, umschreibt die Situation zutreffend.
48 
In wirtschaftlicher Hinsicht liegt keine eigene Integrationsleistung der Klägerin zu 3 vor. Aufgrund ihres Alters unterliegt sie noch der allgemeinen Schulpflicht. Ob die Klägerin zu 3, der die Klassenlehrerin „aus schulischer Sicht gute Perspektiven für ein Leben in Deutschland“ bescheinigt, einmal erfolgreich die Schule abschließen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wird, steht naturgemäß noch nicht fest. Dies führt allerdings nicht dazu, dass die Frage nach wirtschaftlichen Bindungen bei Minderjährigen für die Feststellung des Ausmaßes ihrer Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse generell obsolet wäre. Die Klägerin zu 3 hat nach der deutschen Rechtsordnung einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern (§ 1601 BGB), so dass es insoweit auf deren Unterhaltsleistung und damit inzident auf deren wirtschaftliche Integration ankommt (GK-AufenthG, § 60a Rn. 188; gegen eine isolierte Betrachtung Minderjähriger auch SaarlOVG, Urteil vom 15.10.2009 - 2 A 329/09 - juris Rn. 39). Dabei ist nicht allein maßgebend, ob der Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 3 - rechnerisch gesehen - kontinuierlich von ihren Eltern erfüllt worden ist und wird. Für die Frage der wirtschaftlichen Integration sind auch die Unterhaltsansprüche ihrer ebenfalls minderjährigen Geschwister sowie der Bedarf der Eltern einzustellen (vgl. auch §§ 1609, 1603 Abs. 2 BGB). Die Kläger zu 1 und 2 sind zwar derzeit in der Lage, die Lebenshaltungskosten der Familie - ermittelt auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes - zu bestreiten und erhalten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr (vgl. insoweit noch Bescheid des Sozialamtes der Beklagten vom 14.09.2010 sowie die Mitteilung unter dem 18.10.2010, dass die Leistungen nunmehr eingestellt worden sind). Diese erst in den letzten Monaten eingetretene positive Entwicklung ist jedoch noch nicht hinreichend verfestigt, insbesondere ist eine unumkehrbare Verankerung der Kläger zu 1 und 2 in den deutschen Arbeitsmarkt und eine auskömmliche Sicherung des Bedarfs der Familie noch nicht anzunehmen.
49 
Die Kläger leben nach wie vor in einer Wohnung einer städtischen Asylunterkunft, für die Benutzungsgebühren erhoben werden. Die Familie hat ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet in der Vergangenheit überwiegend durch volle oder jedenfalls aufstockende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz finanziert, wobei die monatlichen Sozialleistungen unterschiedlich hoch gewesen sind und zwischen 300 EUR und 1176 EUR betragen haben (vgl. im Einzelnen die Auflistung Bl. 166 der Ausländerakte für den Kläger zu 1). Erst seit Januar 2008 ist die Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 uneingeschränkt erlaubt. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. vormittags als Putzhilfe und bezieht eine Entlohnung als geringfügig Beschäftigte. Soweit die Klägerin zu 2 - insoweit entgegen dem Inhalt der Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 08.12.2010 und der Verdienstabrechnung vom September 2010, die ausdrücklich den 23.11.2009 als Eintrittsdatum ausweisen - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, sie sei seit etwa einem halben Jahr dort beschäftigt, handelt es sich offensichtlich um ein sprachliches Missverständnis. Je nach Arbeitsanfall erhält sie zwischen 322 und 399 EUR netto im Monat, im Durchschnitt etwa 370 EUR. Wie sie im Einzelnen erläutert hat, hat sie einen zeitgleich vormittags stattfindenden Integrationskurs abgebrochen, um - mangels realisierbarer Beschäftigungsalternativen - diese Arbeit aufnehmen zu können. Der Kläger zu 1 ist seit Januar 2005 verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen, unter anderem als Fahrzeugpfleger bei der Firma B. Automobile, deren Umfang jedoch durch die beschränkte Zustimmungsentscheidung der Agentur für Arbeit ausweislich der Duldungsbescheinigungen vom 03.01.2005 bzw. 12.10.2005 auf zwanzig, später auf zehn Wochenstunden begrenzt gewesen ist. Zum 31.05.2006 hat die Firma B. dem Kläger zu 1 fristlos gekündigt. Von Januar bis März 2008 hat er mit einem monatlichen Auszahlungsbetrag zwischen 243,97 und 522,79 EUR gearbeitet. Ab 01.06.2008 ist der Kläger zu 1 mit einem monatlichen Brutto-Lohn von 1.385 EUR in Vollzeit bei einer Kfz-Werkstatt tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis ist zum 31.01.2009 aus betrieblichen Gründen gekündigt worden. Seit 01.09.2010 arbeitet der Kläger bei „...“ mit einer 40-Stunden-Woche als Hilfskraft im Gebrauchtwagenhandel und erhält monatlich 1.253,53 brutto (=1.000 EUR netto). Zusätzlich arbeitet er seit September 2010 als Aushilfe bei R. S. Baustahlarmierungen und bezieht hier monatlich 392,40 EUR.
50 
Für ein dauerhaftes wirtschaftliches „Fußfassen“ im Bundesgebiet ist es nicht zwingend erforderlich, dass die ausgeübte Tätigkeit eine besonders qualifizierte Berufstätigkeit darstellt. Auch kommt es letztlich nicht darauf an, dass der Kläger zu 1 in seiner Erwerbsbiographie stets Arbeitgeber ausländischer Herkunft gehabt hat und dass - gemessen an der gesamten Aufenthaltsdauer in Deutschland - erst relativ spät eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen worden ist. Allerdings kann von einer wirtschaftlich tragfähigen selbstständigen Existenzgrundlage allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Lebensphase des Bezugs von Sozialleistungen dauerhaft überwunden ist. Zur Feststellung der wirtschaftlichen Integration ist es dabei erforderlich, dass die Betroffenen, sofern - wie hier - kein nennenswertes Vermögen vorliegt, regelmäßige Einnahmen erzielen, die vom Umfang und der Stetigkeit ihres Zuflusses über den Regelbedarfssätzen nach den SGB II oder XII liegen und nicht etwa ständig um diese Grenzen oszillieren (näher GK-AufenthG, § 60a Rn 184 ff.). Ausgehend davon ist noch keine wirtschaftliche Verfestigung im Bundesgebiet gegeben.
51 
Die Kläger zu 1 und 2 erwirtschaften derzeit gemeinsam etwa 1.762 EUR monatlich. Dem steht rechnerisch ein Bedarf von etwa 2.117 EUR gegenüber. Dabei sind der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II noch nicht berücksichtigt. Der sich nach dem SGB II ergebende Unterhaltsbedarf für die Kläger zu 1 und 2 beträgt je 323 EUR (vgl. § 20 Abs. 3 SGB II, 90 % von der Regelleistung 359 EUR). Für die drei Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren sind jeweils 251 EUR anzusetzen (70 % von der Regelleistung 359 EUR, vgl. § 28 SGB II). Insgesamt beträgt der Unterhaltsbedarf der Kläger 1.399 EUR. Hinzukommen die Kosten für die Unterkunft, die das Sozialamt der Beklagten im Bescheid über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 14.09.2010 pro Person der Bedarfsgemeinschaft mit einer Grundmiete von 143,76 EUR angesetzt hat, insgesamt 718,80 EUR. Dieser Betrag entspricht dem Höchstbetrag, der für Paare mit zwei oder mehr zum Haushalt angehörenden unverheirateten Kindern als Gebühr für die Benutzung der Flüchtlingsunterkunft erhoben werden darf (vgl. die Satzung der Beklagten über die Benutzung von Unterkünften des Sozialamts für Wohnsitzlose und Flüchtlinge vom 25.03.2010 - abrufbar unter www.stuttgart.de). Auch ist zu bedenken, dass die Kläger zu 1 und 2 keine in Deutschland anerkannten Berufsausbildungen haben und lediglich als Hilfskräfte beschäftigt sind, mithin auf Positionen, die in besonderem Maße vom Verlust des Arbeitsplatzes bei konjunkturellen Schwankungen bedroht sind. Des Weiteren sind auch die Deutschkenntnisse des Klägers zu 1 nach dem Eindruck des Senats noch nicht von einer solchen Qualität, dass er jede für ihn in Frage kommende Tätigkeit annehmen und daher den Verlust eines Arbeitsplatzes kurzfristig kompensieren könnte. Er versteht zwar - wie seine Reaktionen in der Berufungsverhandlung gezeigt haben - Deutsch jedenfalls teilweise und kann sich nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten auch auf einfache Art in Deutsch unterhalten. Allerdings ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine Anhörung nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich gewesen. Dass die Klägerin zu 2, die sich - wie ihre Anhörung ergeben hat - flüssig auf einfache Art und Weise verständlich machen kann, ihre Beschäftigung zukünftig ausdehnen kann und wird, lässt sich nicht verlässlich annehmen. Ausweislich der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 sieht sie sich an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in zeitlich längerem Umfang dadurch gehindert, dass ihr Ehemann nicht zuverlässig nach den Kindern schaue. Insgesamt gesehen verfügen die Eltern der Klägerin zu 3 zwar durchaus über wirtschaftliche Bindungen, eine in wirtschaftlicher Hinsicht gelungene Integration der Kläger zu 1 und 2 liegt jedoch noch nicht vor.
52 
Weiter ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass ihr Aufenthalt nach der Rücküberstellung in das Bundesgebiet im Januar 2002 nie durch einen Aufenthaltstitel legalisiert worden ist. Der Klägerin zu 3 und den übrigen Familienmitgliedern ist verbal in der jeweils ausgestellten Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung stets vor Augen geführt worden, dass die Duldung keinen Aufenthaltstitel darstellt und deren Inhaber vollziehbar ausreisepflichtig ist. Aber auch mit Blick auf diesen tendenziell eher gegen die Führung eines schutzwürdigen Privatlebens sprechenden Umstand ist in der Gesamtschau der für die Feststellung des Ausmaßes der Integration relevanten - jeweils für und gegen die Klägerin zu 3 - streitenden Faktoren davon auszugehen, dass sie in erheblichem und schutzwürdigem Maße im Bundesgebiet „verankert“ ist.
53 
4.) In Ansehung des erreichten Integrationsstandes ist der Klägerin zu 3 nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch mit Blick auf den stets nur geduldeten Aufenthalt eine Rückkehr in den Irak nicht zuzumuten.
54 
a.) Die Klägerin zu 3 ist seit ihrem 5. Lebensjahr nicht mehr im Irak gewesen und hat aus eigenem Erleben keine Erinnerung an dieses Land. Die Lebensverhältnisse im Irak kennt sie allenfalls aus Erzählungen ihrer Eltern oder aus dem kurdischen Fernsehen. Sie kann sich zwar in Sorani mündlich verständigen, in schriftlicher Form fehlt es jedoch an Kenntnissen einer im Irak üblichen Sprache. Allerdings gilt für minderjährige Kinder der Grundsatz, dass bei der Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat entscheidend auf die Eltern und deren Hilfestellung abzustellen ist. Die familien- und aufenthaltsrechtliche Stellung minderjähriger Kinder gebietet es, dass diese prinzipiell aufenthaltsrechtlich das Schicksal der Eltern teilen (zu dieser sog. familienbezogenen Gesamtbetrachtung VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 31, vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 -juris Rn. 81 und vom 27.06.2006 - 11 S 951/06 - VBlBW 2006, 442 sowie Beschlüsse vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - juris und vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 -; NdsOVG, Beschluss vom 16.03.2010 - 8 ME 47/10 - juris Rn. 3; VG Stuttgart, Urteile vom 20.07.2006 - 4 K 921/06 - juris Rn. 57 und vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 39, 47; VG Koblenz, Urteile vom 11.01.2010 - 3 K 74/09.KO - juris Rn. 64 und vom 08.02.2010 - 3 K 206/09.KO - juris Rn. 79; GK-AufenthG, § 60a Rn. 179, 192; ein dogmatisch anderer Ansatz findet sich - allerdings in anderer Konstellation - in der Rechtsprechung des EuGH, vgl. Urteil vom 19.10.2004 - Rs. C-200/02 - InfAuslR 2004, 413). Das durch Art. 6 GG geschützte elterliche Sorgerecht umfasst unter anderem die Personensorge für das minderjährige Kind, die die Eltern auch dazu berechtigt, seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB). Dieses umfassende Recht der Eltern schränkt rechtlich zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen ein. Dieser ist nicht berechtigt, seinen Aufenthaltsort selbstständig und frei zu wählen. Dass Kinder mit zunehmendem Alter an Eigenständigkeit gewinnen, ändert an der Personensorge und dem hieraus folgenden Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern bis zum Eintritt der Volljährigkeit nichts. Diese rechtliche Ausgangssituation prägt auch die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung. Bei einem minderjährigen Kind ist daher maßgeblich die Situation der Eltern in den Blick zu nehmen. Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland bzw. fehlender „Entwurzelung“ über Art. 8 EMRK kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren ist und/oder dort lange Zeit gelebt hat und hier integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Eine prinzipiell andere Sichtweise würde dazu führen, dass minderjährige Kinder ihren nicht - oder jedenfalls nicht zulänglich - integrierten Eltern ein Aufenthaltsrecht verschaffen würden, obwohl diesen selbst eine Rückkehr in das Herkunftsland ohne weiteres zumutbar wäre. Im Ergebnis würden damit die Eltern das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer minderjährigen Kinder teilen, was mit den im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK ebenfalls einzustellenden einwanderungspolitischen Interessen des Staates grundsätzlich nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. auch NdsOVG, Urteil vom 29.01.2009 - 11 LB 136/07 - juris Rn. 75).
55 
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es jedoch gebieten, seinerseits Ausnahmen von der familieneinheitlichen Betrachtung zu machen. Ist kein Elternteil trotz der ihm aus seiner Stellung als Personensorgeberechtigter erwachsenden Pflichten in der Lage, die notwendige Hilfe bei der (Re-) Integration in den Herkunftsstaat zu erbringen, so fehlt der familienbezogenen Gesamtbetrachtung regelmäßig die Grundlage. Darüber hinaus kommt eine Ausnahme mit Blick auf die Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Wertvorstellungen dann in Betracht, wenn aufgrund der spezifischen Verhältnisse im Land der Staatsangehörigkeit ein „Einleben“ dort nur unter Inkaufnahme einer gravierenden Änderung der bisherigen Persönlichkeit und der durch diese bedingten Lebensführung möglich wäre. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in Deutschland heranwachsende Mädchen durch die hier erfolgte Sozialisation in einer Art und Weise geprägt sind, dass eine Verweisung auf ein Leben in ihrem Passstaat sie zwingen würde, ihre bisherige Identität und ihr Verständnis von der Bedeutung der Frau aufgeben zu müssen, weil die traditionelle Rolle der Frau und insbesondere ihre Stellung in der Öffentlichkeit in dem dortigen Gesellschaftssystem in unüberbrückbarem Gegensatz zu den auch von ihr im Bundesgebiet praktizierten Lebensverhältnissen stehen (GK-AufenthG, § 60a Rn 191; Bergmann, ZAR 2007, 128, 132). Diese Ausnahme trifft auf die Klägerin zu 3 zu.
56 
b.) Zwar wird die Klägerin zu 3 erst in einigen Monaten 14 Jahre alt. Sie ist jedoch ungeachtet ihres Alters in der hiesigen Gesellschaftsordnung und in ihren Wertvorstellungen in einer Weise „verwurzelt“, dass ihr eine Rückkehr in den Irak aufgrund der dort derzeit landesweit herrschenden Verhältnisse vor allem mit Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen nicht zugemutet werden kann.
57 
aa.) Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010 hat sich die Sicherheitslage im Irak zwar erheblich verbessert, sie ist aber im weltweiten Vergleich immer noch verheerend. Danach kommt es immer noch wöchentlich zu ca. 200 Anschlägen, bei denen im Schnitt pro Woche ca. 150 Todesopfer zu beklagten sind. Schwerpunkte terroristischer Anschläge bleiben weiterhin Bagdad und der Zentralirak, v.a. im Nordosten (Diyala, Salahaddin) sowie die Provinzen Tamin mit der Hauptstadt Kirkuk und Niniwe mit der Hauptstadt Mosul. Neuerdings werden auch Anschläge von Al-Qaida im Raum Basra verzeichnet. Die hohe Gewaltrate im Irak hat immer noch erhebliche Auswirkungen im alltäglichen Leben, wobei den Großteil der Opferlast die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung trägt. Immer wieder sind Zivilisten Opfer nicht nur politisch motivierter Gewalt, sondern auch organisierter Kriminalität wie Entführungen, Erpressungen und Morde (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 14 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 15). Die Sicherheitslage im von der Regionalregierung der Region Kurdistan-Irak (KRG) kontrollierten Gebiet ist deutlich besser als im Rest des Landes. Allerdings steigt in den außerhalb der kurdischen Autonomiezone liegenden Gebieten des Nordirak die Zahl der Anschläge und der Todesopfer. Besonders kritisch ist die Lage im erdölreichen Kirkuk, der Herkunftsregion der Klägerin zu 3 und ihrer Familie. Dieses gehört zu den umstrittenen Gebieten des Irak, in dem Araber und Kurden um die Vorherrschaft ringen und sowohl die Zentralregierung als auch die Regionalregierung Kurdistan-Irak die Kontrolle anstreben (vgl. näher Europäisches Zentrum für Kurdische Studien vom 07.07.2010 an VG Stuttgart; AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 15 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 16).
58 
Die Menschenrechtslage im Irak bleibt prekär. Zwar gibt es langsame Fortschritte; Verstöße gegen die Menschenrechte sind jedoch weiterhin weit verbreitet. Der Staat ist nicht in der Lage, die Sicherheit der Zivilbevölkerung und die Ausübung der in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten landesweit zu ermöglichen. Auch von der Region Kurdistan-Irak wird von schweren Menschenrechtsverstößen berichtet (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 28 ff. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 16 ff.).
59 
Zu den Hauptleidtragenden der gegenwärtigen Umstände im Irak gehören nach der Auskunftslage die Kinder. Die Folgen des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen und deren langsamer Wiederaufbau betreffen vor allem Familien, die auf Krankenhäuser, Schulen und Lebensmittelhilfen besonders angewiesen sind. Der Gesundheitszustand der Kinder hat sich seit März 2003 deutlich verschlechtert. Das Gesundheits- und Erziehungswesen im Irak liegt darnieder. Es mangelt an allem und die Grundversorgung ist unzureichend gesichert. Die Alphabetisierungsrate im Irak ist in den letzten 15 Jahren stark gefallen. Nur noch drei von vier Jugendlichen können lesen und schreiben. Die Möglichkeit des Schulbesuchs ist in Anbetracht der Sicherheitslage für viele Kinder noch eingeschränkt und mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Seit einiger Zeit werden Kinder Ziel von kriminellen Lösegelderpressern. Die Schulen sind oftmals in einem schlechten baulichen Zustand; es fehlt an sanitären Einrichtungen. Viele Schulen haben immer noch aus Mangel an Lehrpersonal geschlossen (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 19 f., 35 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 20, 34). Für die Situation von Schülerinnen und Schüler im Nordirak ergibt sich insoweit kein grundlegend anderes Bild (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe , Irak: Die sozio-ökonomische Situation im Nordirak, 07.06.2010, S. 14 ff.).
60 
Speziell was die Situation von Frauen und Mädchen anbelangt, so hat sich deren Stellung im Vergleich zur Zeit des Regimes unter Saddam Hussein deutlich verschlechtert. In der Verfassung aus dem Jahre 2005 ist die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter zwar formal festgeschrieben. Auch steht Frauen der Zugang zu Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt im Grundsatz offen. Die Verfassung garantiert ferner die soziale Sicherheit für Frauen und Kinder. Diese Prinzipien sind in der Praxis jedoch nicht umgesetzt (Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen). Die zunehmende Radikalisierung von Teilen der irakischen Gesellschaft hin zu fundamentalistisch radikalislamischen Überzeugungen stellt insbesondere für die Sicherheit der Frau eine Gefährdung dar. Darüber hinaus hat die allgemein prekäre Sicherheitslage erhebliche negative Auswirkungen auf das Alltagsleben der Frauen (siehe hierzu und zum folgenden AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 20 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 20 ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Geschlechtsspezifische Verfolgung für ausgewählte Herkunftsländer, April 2010, S. 96 ff. ; EZKS vom 15.08.2008 an VG Göttingen; Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen; SFH vom 20.11.2007 - Irak: Rückkehr einer verwitweten schiitischen Frau mit einem ehelichen und einem unehelichen Kind).
61 
Gewalt gegen Frauen ist im Irak weit verbreitet. Die Situation der Frauen wird als Privatangelegenheit einer Familie betrachtet und selten an staatliche Stellen herangetragen. Staatliche Schutzmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Nach dem Strafgesetzbuch ist der Ehemann berechtigt, seine Ehefrau zu bestrafen. Es gibt auch keine Vorschrift, nach der Vergewaltigung in der Ehe strafbar wäre. Zwangsverheiratung wird praktiziert. Die Tradition der Verheiratung junger Mädchen (ab 14 Jahre) existiert, besonders in den ländlichen Gebieten. Familienmitglieder verkaufen auch Mädchen und Frauen, um wirtschaftlichen Zwangslagen zu entgehen, Schulden zu bezahlen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen Familien zu überwinden. Frauen werden Opfer der im Irak nicht verbotenen und vor allem im stark patriarchalisch strukturierten Nordirak praktizierten Genitalverstümmelung. Auch Ehrenmorde sind noch immer in allen Teilen des Landes verbreitet. Schließlich nehmen in der irakischen Gesellschaft (insbesondere im schiitisch dominierten Süden) die Tendenzen zur Durchsetzung islamischer Regeln zu, z.B. Kleidervorschriften wie Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten. Frauen werden auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene mit dem Ziel unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und die Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Von Frauen wird verlangt, einen Schleier zu nehmen, keine Kleidung im westlichen Stil zu tragen und zu Hause zu bleiben. Frauen werden vor allem zur Zielscheibe islamischer Extremisten, wenn sie ein normales Leben nach westlichen Maßstäben führen wollen. Frauen, die von Gewaltakten betroffen werden, finden, insbesondere wenn es sich um Fälle häuslicher Gewalt handelt, bei staatlichen Stellen keinen Schutz.
62 
bb.) Für die Frage, ob in Anbetracht der derzeitigen Situation im Irak der Klägerin zu 3 eine Rückkehr zumutbar ist, kommt es aufgrund des unterschiedlichen Maßstabs nicht darauf an, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG hinsichtlich des Irak derzeit regelmäßig nicht vorliegen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.08.2010 - A 2 S 1134/10 - juris; OVG NRW, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - ; BayVGH, Urteil vom 21.01.2010 - 13a B 08.30283 -, wonach der westliche Habitus weiblicher irakischer Staatsangehöriger nicht als individuell gefahrenerhöhender Umstand berücksichtigt werden könne). Bei der einzelfallbezogenen Prüfung im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK geht es nicht primär um „Gefahrenlagen“, sondern um die Feststellung und Bewertung des Ausmaßes der Entfremdung vom Herkunftsstaat.
63 
Die Klägerin zu 3 hat aufgrund der von ihr als prägend erfahrenen Sozialisation im Bundesgebiet die Lebensweise der „westlichen Welt“ in Theorie und Praxis verinnerlicht. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer Art sich zu kleiden, sondern vor allem aus der oben unter 3.) im Einzelnen dargestellten Weise, ihre Freizeit zu verbringen und im Schulalltag aufzutreten. Die Klägerin zu 3 lebt auch in dem selbstverständlichen Bewusstsein, dass Jungen und Mädchen die gleichen Rechte haben und verhält sich dementsprechend. In dieser Art der Lebensführung wird sie von ihren Eltern bestärkt. Diese akzeptieren ihr Hobby Mädchenfußball und die Schwimmbadbesuche ebenso wie ihre Kontakte und Zusammenarbeit mit Jungen in der Schule (unter anderem im Team der Schülervertretung) oder Freizeit. Traditionelle oder gar archaische Vorstellungen werden in der Familie nicht gelebt. Weder ist das Tragen eines Kopftuchs üblich, noch spielt sich das Leben der Klägerin zu 3 und der weiteren weiblichen Familienmitglieder vor allem im häuslichen Bereich ab. Gerade die Klägerin zu 2 ist auch sehr darum bemüht, ihre Tochter auf deren Weg zu einem allgemein anerkannten Bildungsabschluss zu unterstützen. Bei der Bewertung, dass ihr vor diesem Hintergrund die erstmalige Integration in den Irak nicht angesonnen werden kann, spielt als solches keine Rolle, dass die Klägerin zu 3 dort ihren Hobbys nicht mehr nachgehen könnte und auch nicht die gleichen Bildungschancen hätte wie im Bundesgebiet sowie als Heranwachsende prinzipiell noch „entwicklungsfähig“ ist. Gewisse Anpassungen an das, was in seinem Herkunftsland üblich ist, können einem Ausländer abverlangt werden. Entscheidend ist jedoch der Umstand, dass die derzeitige gesellschaftliche Praxis im Irak, die bestimmt, was Frauen und junge Mädchen im Irak tun dürfen und können, diametral dem entgegensteht, was die Persönlichkeit der Klägerin zu 3 bisher geprägt hat und Ausdruck ihrer Individualität ist. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation für Frauen und Mädchen im Irak in überschaubarer Zukunft entscheidend verbessern würde, lassen sich den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht entnehmen; im Gegenteil: In den verwerteten Erkenntnismitteln kommt unübersehbar eine „schleichende“ Verschlechterung der Situation von Frauen und Mädchen zum Ausdruck. Die Aufgabe ihrer selbst - dies würde eine Verweisung auf ein Leben im Irak mit sich bringen - kann der Klägerin zu 3 nicht abverlangt werden.
64 
Selbst wenn man im Übrigen die Auffassung der Beklagten zugrunde legen würde, einem jungen Mädchen wäre aufgrund ihrer altersbedingt noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsbildung eine Integration in die Verhältnisse des Herkunftsstaates prinzipiell möglich und zumutbar, würde dies im vorliegenden Fall deshalb nicht gelten, weil die Klägerin zu 3 psychisch gar nicht in der Lage wäre, eine Rückkehr in den Irak mit der notwendigen Anpassung an den dortigen Lebensstil zu bewältigen. Dies hat die die Klägerin zu 3 betreuende Diplompsychologin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überzeugend dargelegt. Dies entspricht im Übrigen auch Erkenntnissen, die zu einer Rückkehr von Mädchen in den Irak nach langjährigem Auslandsaufenthalt im Westen vorliegen. Nach der Auskunft des EZKS vom 15.08.2008 an das Verwaltungsgericht Göttingen hat sich in den Fällen, in denen ganze Familien freiwillig in den Nordirak zurückgekehrt sind, diese Rückkehr vor allem für junge Frauen und Mädchen in der Pubertät, die einen wesentlichen Teil ihrer Sozialisation in Form eines westlich geprägten Lebensstils erfahren haben, als Katastrophe erwiesen und unter anderem unterschiedlichste psychische Störungen und Krankheiten, insbesondere Depressionen und Essstörungen, zur Folge gehabt.
65 
c.) Im Übrigen ergibt sich eine Ausnahme von der familienbezogenen Gesamtbetrachtung auch daraus, dass die Kläger zu 1 und 2 derzeit und bis auf Weiteres nicht in der Lage sind, der Klägerin zu 3 die für ein - erstmaliges -Einleben im Irak notwendige Hilfestellung zu gewähren. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellen würde, dass ihre Tochter auf den „Kulturschock“ nicht mit einer (psychischen) Erkrankung reagieren würde und sich der für sie dort erforderliche Aufwand an Betreuungs- und Beistandsleistungen nicht von dem unterscheidet, der auch ihren Geschwistern entgegen gebracht werden muss.
66 
Zwar sind die Kläger zu 1 und 2 selbst nicht „entwurzelt“. Sie haben den Irak erst als Erwachsene mit über 30 Jahren verlassen und dort einen höherwertigen Bildungsabschluss erlangt. Die Klägerin zu 2 hat im Irak das Gymnasium besucht und dort zunächst in einer Bank und später als Lehrerin gearbeitet. Sie spricht fließend Türkisch, Arabisch, Kurdisch und Farsi. Der Kläger zu 1 beherrscht ebenfalls diese Sprachen und verfügt auch über Kenntnisse der englischen Sprache. Außerdem leben noch Verwandte im Irak, unter anderem zwei Brüder und eine Schwester der Klägerin zu 2 in Kirkuk. Beide sind auch durch Berichte von Verwandten und das kurdische Fernsehen, das sie regelmäßig schauen, über die aktuellen Verhältnisse im Irak hinreichend informiert. So berichtet die Klägerin zu 2 einem Schreiben von Pfarrer B. - Arbeitskreis Asyl ... - vom 04.10.2010 zufolge bei Plenumssitzungen im Rahmen der „Aktuellen Runde“ über die Situation der Frauen im Irak. Allerdings sind die Kläger zu 1 und 2 aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastungen und Erkrankungen nicht in der Lage sein, ihrer Tochter die unerlässliche Hilfe zu geben, die diese nach einem langen und ihr Leben prägenden Aufenthalt im Bundesgebiet bräuchte, um sich im Irak einleben zu können.
67 
Die Klägerin zu 2 ist seit dem Jahre 2007 bis heute bei der PVB wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung. Das Gesundheitsamt der Beklagten hat aufgrund einer amtsärztlich-psychiatrischen Untersuchung der Klägerin zu 2 am 19.12.2007 ein erheblich ausgeprägtes depressives Syndrom (mittelschwere bis schwere Episode) mit Somatisierung vor einem posttraumatischen Hintergrund diagnostiziert. Nach einer erneuten Untersuchung vom 26.10.2009 und unter Berücksichtigung eine Stellungnahme der PBV vom 21.07.2009 hat gerade auch der Amtsarzt eine Fortsetzung der Therapie wegen eines erheblich ausgeprägten depressiven Syndroms mit Somatisierung auf posttraumatischer Grundlage befürwortet. Wie die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwesende Diplompsychologin überzeugend geschildert hat, ist die Klägerin zu 2 aufgrund der Behandlung und der sie umgebenden „Netzwerke“ mittlerweile in der Lage, ihr Leben zu bewältigen. Durch die psychologische Betreuung und die ihr hier ermöglichten Tätigkeiten - wie etwa das gelegentliche und ehrenamtliche Übersetzen für andere Flüchtlinge oder das „Sich-Einbringen“ in der Schule ihrer Kinder oder während ihrer Erwerbstätigkeit - erfährt die Klägerin zu 2 die für sie erforderliche innere Stabilität. Dass die Klägerin zu 2 für die Erlangung bzw. Aufrechterhaltung eines seelischen Gleichgewichts ungeachtet dessen, dass sie selbst aktiv hieran arbeitet, auf Unterstützung durch Dritte angewiesen ist, hat auch die die Kläger betreuende Sozialarbeiterin, die mit der Familie ständigen Kontakt hat, im Einzelnen dargelegt. Sie sieht die Klägerin zu 2 am Rande der Belastbarkeit stehen und dringend auf die Einbindung durch ihr soziales Engagement in ihrem derzeitigen Umfeld angewiesen. Würde die Klägerin zu 2 auf ein Leben in den Irak verwiesen, so wäre sie dort für einen unabsehbaren Zeitraum nicht in der Lage, ihren Kindern zu helfen, weil sie selbst eine Rückkehr in den Irak psychisch nicht verkraften würde. Diese schon in verschiedenen schriftlichen Stellungnahmen der PBV zum Ausdruck gebrachte Prognose hat die vom Senat angehörte Psychologin nochmals bekräftigt und darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin zu 2 zumindest mit einer schweren Depression zu rechnen wäre. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine psychische Erkrankung der Klägerin zu 2 im Irak grundsätzlich behandelbar wäre, würde die Notwendigkeit, mit den eigenen Problemen kämpfen zu müssen, bei ihr zwangsläufig so sehr im Vordergrund stehen, dass sie vorhersehbar nicht in der Lage wäre, ihren Kindern diejenige Hilfestellung zu bieten, auf die diese bei der von ihnen zu leistenden erstmaligen Integration in ein fremdes Land existentiell angewiesen wären.
68 
Auch der Kläger zu 1 könnte seine Kinder bei einer Rückkehr in den Irak nicht adäquat unterstützen. Er leidet an einem behandlungsbedürftigen Alkoholproblem und hat deswegen auch schon einen Arzt konsultiert. Seine Ursache hat der Alkoholkonsum nach der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 aber auch nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter anderem darin, dass ein Bruder von ihm im Jahre 2003 in Kirkuk durch ein Attentat getötet worden sei. Er ist darüber hinaus wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Aufgrund seiner Labilität würde er - wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen der PBV und den mündlichen Angaben der Psychologin ergibt - selbst eine Rückkehr in den Irak nicht verkraften und erst Recht nicht die notwendige Hilfestellung gegenüber der Klägerin zu 3 leisten können. Der lange und das Mädchen prägende Aufenthalt im Bundesgebiet, ihr vollständig fehlender Bezug zum Irak, die bei ihr nicht vorhandenen Kenntnisse einer im Irak üblichen Schriftsprache, die prekäre allgemeine (Sicherheits-)Lage, die beschränkten Schulmöglichkeiten und die unzureichend gesicherte Grundversorgung würden an den Erziehungsberichtigen besonders hohe Anforderungen hinsichtlich der Unterstützungsleistungen stellen, die im konkreten Einzelfall aufgrund der bei ihm fehlenden eigenen Belastbarkeit nicht erbracht werden könnten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in dieser Konstellation Verwandte oder sonstige Dritte im Irak die den Eltern obliegenden Aufgaben der Begleitung bei der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse (vorübergehend) in der notwendigen Art und Weise übernehmen könnten.
69 
d.) Im Rahmen dieser Bewertung, dass der Klägerin zu 3 in Anbetracht ihres erreichten Integrationsstands eine Rückkehr in den Irak nicht zugemutet werden kann, spielt es keine entscheidende Rolle, dass ihr Aufenthalt zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich legalisiert gewesen ist. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Aussetzung der Abschiebung seit Jahren mit Blick auf die Verhältnisse im Irak vorgenommen worden ist und wird. Dies folgt aus den zur „Rückführung irakischer Staatsangehöriger“ ergangenen Schreiben des Innenministerium vom 18.06.2003, vom 27.11.2003, vom 29.07.2004 und vom 12.03.2007 in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Fassung gemäß ZV-AufenthG (Abschn. D - Irak Nr. 3). Dem entsprechend haben die Beklagte oder das beigeladene Land zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anstrengungen unternommen, den Aufenthalt der Klägerin zu 3 und ihrer Familie zu beenden. Dass die Situation im Irak auch aus Sicht der Ausländerbehörden nicht ohne weiteres für jeden im Bundesgebiet lebenden ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen zu bewältigen ist, lässt sich daran ersehen, dass bislang nur straffällig gewordene Iraker abgeschoben worden sind, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, die Schutzfunktionen übernehmen und den betreffenden Rückkehrern Zugang zu Wohnmöglichkeiten und anderen Grundversorgungen verschaffen können (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 38 sowie ZV-AufenthG Abschn. D - Irak Nr. 3). Aufgrund dieser Besonderheiten ist dem aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkt der Begrenzung und Steuerung von Zuwanderern im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.
70 
5.) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK steht nicht entgegen, dass bei ansonsten vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen der Lebensunterhalt nicht vollständig gesichert ist und die Klägerin zu 3 selbst nicht über einen Pass verfügt. Insoweit liegen Ausnahmen von den Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG vor.
71 
a.) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft unter Berücksichtigung der von ihm angestrebten Aufenthaltsdauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. zur Prognose GK-AufenthG § 2 Rn. 41 ff.). Bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs kommt es auf den Bedarf der Kernfamilie an, d.h. bei der Prognose, ob der Lebensunterhalt der Klägerin zu 3 künftig voraussichtlich gesichert ist, ist der Bedarf der Kläger zu 1 und 2 sowie 4 und 5 ebenfalls zu berücksichtigen. Bei erwerbsfähigen Ausländern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs seit dem 01.01.2005 nach den entsprechenden Bestimmungen des 2. Sozialgesetzbuchs (SGB II). Dabei sind bei der Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens grundsätzlich der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu Lasten des Ausländers anzusetzen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 und 1 C 21.09 - bisher nur Pressemitteilung sowie Urteile vom 07.04.2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -NVwZ 2009, 248 ). Gemessen hieran kann prognostisch nicht von einer Sicherung des Lebensunterhalts ausgegangen werden.
72 
Die Kläger zu 1 und 2 verdienen derzeit gemeinsam monatlich etwa 1.762 EUR netto. Es bestehen zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschäftigungen der Klägerin zu 2, die bereits über ein Jahr bereits ausgeübt wird, und diejenige des Klägers zu 1 demnächst wieder entfallen könnten. Wie die Metzgerei Z. in der Arbeitsbescheinigung vom 08.12.2010 ausgeführt hat, ist die Klägerin zu 2 bis auf weiteres in der Filiale in S. beschäftigt, wo man mit ihrer Arbeit zufrieden sei. Auch hinsichtlich des Klägers zu 1 ist von einer weiteren Erwerbstätigkeit auszugehen. Der den Kläger zu 1 hauptberuflich beschäftigende Arbeitgeber hat unter dem 08.12.2010 schriftlich sowie ergänzend in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen, er sei mit dessen Arbeit stets sehr zufrieden gewesen. Daher habe er ihn im September 2010 festangestellt. Auch könne die vom Kläger zu 1 zusätzlich ausgeübte Nebentätigkeit als geringfügig Beschäftigter problemlos mit seiner Tätigkeit als Aushilfsarbeiter bei ihm in Einklang gebracht werden. Es ist auch nicht zu erkennen, dass einer weiteren Erwerbstätigkeit der Eltern der Klägerin zu 3 rechtliche Hindernisse entgegen stehen könnten. Zwar berechtigt der auch ihnen zu erteilende humanitäre Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG (siehe unten III.) nicht schon kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Allerdings ist prognostisch davon auszugehen, dass den Klägern zu 1 und 2 die Ausübung der Erwerbstätigkeit erlaubt werden wird (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2 AufenthG). Denn selbst als nur Geduldeten wird ihnen seit Januar 2008 die Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt. Dass die Zulassung einer Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 nunmehr auf der Grundlage eines - letztlich an die Stelle der Duldung tretenden - zunächst nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für sechs Monate befristeten humanitären Aufenthaltstitels unter arbeitsmarktspezifischen Aspekten anders zu bewerten wäre, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu auch § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV). Andererseits steht aber auch nicht zu erwarten, die Kläger zu 1 und 2 könnten in einem überschaubaren Zeitraum ein deutlich höheres Einkommen erzielen. Zwar ist dem Kläger zu 1 eine höhere Entlohnung bei der Firma ... ... in Aussicht gestellt worden, wenn er - auf der Grundlage eines Aufenthaltstitel - für den Betrieb flexibler verwendungsfähig wäre und etwa auch Autos ins Ausland verbringen könnte. Eine konkrete Zusage des Arbeitgebers, die prognostisch Berücksichtigung finden müsste, liegt jedoch nicht vor.
73 
Ausgehend von einer sozialversicherungspflichtigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu 1 auf der Grundlage eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht den Eltern zukünftig jedoch Kindergeld zu, das nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Einkommen zu berücksichtigen ist. Nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld unter anderem derjenige, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzt und sich seit mindestens drei Jahren geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist. Nach § 6 Abs. 1 BKGG beträgt das Kindergeld für die Klägerin zu 3 und den Kläger zu 4 jeweils 184 EUR sowie für die Klägerin zu 5 190 EUR, mithin zusammengerechnet 558 EUR. Insgesamt werden den Klägern daher bei einem Einkommen von 1.762 EUR zukünftig 2.320 EUR zur Verfügung stehen.
74 
Dem steht ein Bedarf von 2.580 EUR gegenüber. Dieser errechnet sich zunächst anhand der von den Klägern zu tragenden Gebühren für die Unterkunft in Höhe von etwa 718 EUR und des - auf der Grundlage der Regelsätze des SGB II ermittelten - Bedarfs von 1.399 EUR (siehe hierzu oben unter 3.). Des weiteren sind sowohl für den Kläger zu 1 als auch für die Klägerin zu 2 jeweils ein Betrag von 100 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II anzusetzen. Schließlich sind zu Lasten der Erwerbstätigen aus einem durchschnittlich monatlich zugrunde gelegten Nettoeinkommen der Klägerin zu 2 in Höhe von 370 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II ein Betrag von 54 EUR und für den Kläger zu 1 bei einem Gesamt-Nettoeinkommen von 1.329 EUR ein solcher von etwa 209 EUR anzusetzen.
75 
Allerdings gebietet der Schutz des Privatlebens der Klägerin zu 3 im Sinne des Art. 8 EMRK die Annahme eines Ausnahmefalles (zur Atypik aufgrund völker- oder verfassungsrechtlicher Wertentscheidung siehe etwa BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn.13 ff.; GK-AufenthG § 5 Rn. 28; Renner, a.a.O. § 5 Rn. 21 ff.). Die Klägerin zu 3 kann aufgrund des Ausmaßes ihrer Integration im Bundesgebiet bei gleichzeitiger „Entwurzelung“ nicht auf ein Leben im Irak verwiesen werden, sondern ist auf ein Verbleiben in der Bundesrepublik angewiesen. Diese für einen Ausnahmefall streitende Wertentscheidung des Art. 8 EMRK ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb in einem anderen Licht zu sehen, weil die Ausländerin minderjährig ist. Zwar könnte die Bejahung eines atypischen Falles in einer solchen Konstellation dazu führen, dass über den Rechtsanspruch des Kindes - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht - nicht integrationswillige oder -fähige Eltern wegen der grundsätzlich schutzbedürftigen familiären Lebensgemeinschaft ein rechtlich legalisiertes Bleiberecht vermittelt werden könnte, was nicht nur einwanderungspolitisch bedenklich wäre, sondern auch dem von der Konvention anerkannten Recht eines Konventionsstaats zuwiderlaufen würde, über den Zuzug von Ausländern und dessen Voraussetzungen selbst zu entscheiden. Im vorliegenden Fall greifen derartige Bedenken jedoch schon im Hinblick auf den Grad der Integration der Eltern der Klägerin zu 3 nicht durch. Diese haben zwar vor allem in sprachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht hier noch nicht in einer Weise Fuß gefasst, dass sie Inländern vergleichbar wären. Sie arbeiten jedoch an der Verbesserung der Sprachkenntnisse, verhalten sich entsprechend der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung - die eingeholten Auskünfte aus dem Zentralregister vom 04.10.2010 weisen keine Eintragungen auf -, engagieren sich hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten (so etwa die Klägerin zu 2 als Elternvertreterin oder der Kläger zu 1 beim Fußball seiner Kinder) und sind um die Erlangung einer qualifizierteren und besser bezahlten Erwerbstätigkeit bemüht. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall die Diskrepanz zwischen Unterhaltsbedarf und eigenem Einkommen mit 260 EUR relativ betrachtet gering und allein durch die bedarfserhöhend angesetzten Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II bedingt. Ein fiktiver Abzug von letztlich tatsächlich vorhandenem Einkommen zu Lasten des Ausländers ist bei einem aus dem Völkerrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht mit dessen Wertentscheidung nicht in Einklang zu bringen.
76 
b.) Die Klägerin zu 3 ist weder im Besitz eines eigenen Passes noch ist sie in dem der Klägerin zu 2 am 24.06.2009 ausgestellten irakischen Reisepass eingetragen (siehe zu dieser Möglichkeit der Erfüllung der Passpflicht § 2 Satz 1 AufenthV). Es liegt jedoch ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG vor. Der Zweck der Passpflicht besteht darin, durch den Besitz eines gültigen Passes den Behörden die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit sowie der Rückkehrberechtigung seines Inhabers ohne weiteres zu ermöglichen (Renner, a.a.O., § 5 Rn. 14 und Nr. 3.0.8 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 26.10.2009, abgedr. in Renner, a.a.O. vor § 3; GK-AufenthG, § 3 Rn. 14). Nach der Bestätigung der irakischen Botschaft in Berlin vom 11.02.2009 hat die Klägerin zu 3 die regulär geforderten irakischen Unterlagen für die Ausstellung der neuen irakischen Reisepässe mit dem Serienbuchstaben G eingereicht, und der Antrag ist an das zuständige irakische Innenministerium nach Bagdad weitergeleitet worden. Diese Bestätigung liegt mit gleichem Datum auch hinsichtlich ihres Vaters, des Klägers zu 1, vor. Wie die Prozessbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert hat, ist im Hinblick auf unterschiedliche Auffassungen zur richtigen Schreibweise des Vornamens des Klägers zu 1, was auch Auswirkungen auf die Pässe der Kinder hat, während des Verfahrens die Erneuerung seines Personalausweises gefordert worden. Der Kläger zu 1 hat dies daraufhin beantragt. Nunmehr sind alle Kläger im Besitz von am 08.08.2010 in Kirkuk ausgestellten irakischen Identitätskarten, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegt worden sind. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Eltern der Klägerin zu 3 bereits alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen für die Ausstellung eines Reisepasses vorgenommen haben, kann die lange Dauer des Verfahrens durch die Heimatbehörden in Passangelegenheiten, die auch Erkenntnissen des Auswärtige Amt entspricht (siehe etwa Lagebericht vom 28.11.2010, S. 36 f. zur Tätigkeit der irakischen Botschaft), nicht zu Lasten der Klägerin zu 3 gehen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 58; Renner, a.a.O., § 5 Rn. 13). Für eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung in einem solchen Fall spricht auch, dass der Klägerin zu 3 ein sich aus dem Völkerrecht ergebender Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels zusteht. Im Übrigen können auch wesentliche Funktionen der Passpflicht mit den in der Berufungsverhandlung vorgelegten Unterlagen hinreichend abgedeckt werden. So ist insbesondere die irakische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 3 nach der im Original vorgelegten irakischen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen für ihre Eltern, von denen sie durch Abstammung ihre Staatsangehörigkeit ableitet, unzweifelhaft.
II.)
77 
Der seit dem 31.01.2002 geduldete Kläger zu 4 hat ebenfalls einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
78 
Entsprechend den allgemeinen Darlegungen oben unter I.) führt der Kläger zu 4 im Bundesgebiet ein schutzwürdiges Privatleben, das durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Der am 01.11.1998 geborene Kläger zu 4 lebt seit über acht Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet und besucht hier altersentsprechend die 6. Klasse der Hauptschule. Seine deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift entsprechenden denjenigen von Mitschülern deutscher Herkunft. Er hat einen auch deutsche Freunde umfassenden Freundeskreis, mit dem er verschiedene Aktivitäten außerhalb der Schule durchführt (wie etwa Fahrradtouren oder Theaterspiel) und spielt in einem Verein Fußball. Ebenso wie bei seiner älteren Schwester ist auch für den Kläger zu 4 aus den dort allgemein angestellten Erwägungen heraus eine Duldung nicht ausreichend, um sein Privatleben in einer der Konvention entsprechenden Weise führen zu können. Dass es durch eine Duldung dem Kläger zu 4 nicht möglich ist, etwa an Fußballturnieren und entsprechenden Freizeitaktivitäten seines Vereins außerhalb Baden-Württembergs teilzunehmen, obwohl er dies möchte, d.h. dass dieses Verbot eine Belastung für ihn darstellt, ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wie auch schon beim Verwaltungsgericht im Einzelnen deutlich worden.
79 
Der Kläger zu 4 ist in einer Weise in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integriert, die im Wesentlichen derjenigen der Klägerin zu 3 entspricht. Er hat in etwa drei Viertel seines bisherigen Lebens im Bundesgebiet verbracht und geht in eine Regelschule. Nach dem zuletzt erteilten Zeugnis der Hauptschule (Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10) ist für Deutsch die Note „ausreichend“ vergeben worden; die Leistungen in den übrigen Fächern und Fächerverbünden sind mit „befriedigend“ und „ausreichend“, in einem Fach mit „gut“ bewertet worden. Die in dem Zeugnis ebenfalls enthaltene verbale allgemeine Beurteilung der Arbeitshaltung, Selbstständigkeit und Zusammenarbeit in der Klassen- und Schulgemeinschaft zeigt zwar noch etliche Defizite beim Kläger zu 4 auf (wie etwa schwankende Unterrichtsbeteiligung, Störung des Unterrichts). Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass es sich hierbei nicht um alters- und entwicklungstypische Erscheinungen handeln würde. Im Übrigen arbeitet der Kläger zu 4 an der Verbesserung seiner Leistungen. Nach einem Schreiben der Kontaktgruppe Asyl ... vom 29.07.2009 erhält er durch den Asylkreis Hilfe bei den Hausaufgaben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten komme er zuverlässig zu den Terminen. Er habe Erklärungen in Mathematik und Deutsch schnell verstanden und habe sich die Methoden und Regeln merken können. Er sei auch zu zusätzlichen Leistungen bereit, doch brauche er weiterhin viel Übung, um seine schulischen Leistungen deutlich verbessern zu können. Auch die Sorgfalt und das Gefühl der Verantwortung für seine schulischen Leistungen müssten noch wachsen. Er müsse noch begreifen, wie wichtig Bildung für seinen weiteren Lebensweg sei. Doch sei er auf einem guten Weg. Diese Nachhilfe nimmt er nach wie vor in Anspruch und hat nach einem am 08.12.2010 vorgelegten Schreiben seiner „Nachhilfelehrerein“ erhebliche Fortschritte gemacht. Der Kläger zu 4 ist in der 6. Klasse von seinen Mitschülern zum Klassensprecher gewählt worden, nachdem er zuvor stellvertretender Klassensprecher gewesen war.
80 
Der Kläger zu 4 ist auch außerhalb seines Schulalltags fest in die hier gegebenen gesellschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse eingebunden. In seiner Freizeit spielt er schon seit längerem beim TSV H. Fußball. Er ist - nach seinen Angaben seit zwei Jahren - Kapitän der D-Jugendmannschaft und nimmt auch an Turnieren teil. Zusätzlich spielt er außerhalb des Vereins Fußball und ist auch im Übrigen sportlich sehr aktiv. Nach einer Stellungnahme von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Arbeitskreises Asyl vom 02./03.12.2010 trainiert der Kläger zu 4 ferner in einem Boxverein und nimmt außerdem Angebote der evangelischen Kirchengemeinde ... für Kinder wahr. Als jüngeres Kind hat er am Laternenumzug teilgenommen. Ebenso wie seine ältere Schwester engagiert sich der Kläger zu 4 seit April 2010 bei dem Theaterprojekt „Yourstory“ des Jugendhauses ... in Kooperation mit der „freien bühne ...“. Nach den für den Kläger zu 4 erstellten Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé ... vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme er häufig zu den verschiedenen Angeboten des Schülercafés. Er nehme regelmäßig an einem wöchentlichen Fußballprogramm teil. Er komme zum Jungentreff und nutze am Freitagabend gerne das Angebot des Teenietreffs. In den Pfingstferien 2009 sei er Teilnehmer der viertägigen Fahrradfreizeit gewesen. Er beteilige sich rege am Geschehen in der Einrichtung. Meistens nutze er mit gleichaltrigen Freunden die Angebote. Er sei sehr aktiv und voll integriert. Insgesamt gesehen unterscheidet sich die Lebensweise des Klägers zu 4 in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht von derjenigen, wie sie auch von gleichaltrigen Schülern deutscher Herkunft gelebt wird. Unter Berücksichtigung des Maßes der Integration unter wirtschaftlicher Hinsicht und mit Blick auf den Duldungsstatus bereits oben unter I. 3.) getroffenen Feststellungen, die für den Kläger zu 4 gleichermaßen gelten, ist auch bei ihm davon auszugehen, dass er in erheblichem Maße im Bundesgebiet integriert ist.
81 
In Ansehung des erreichten Integrationsstands ist ihm auch trotz seines stets nur geduldeten Aufenthalts eine Rückkehr in den Irak ebenfalls nicht zuzumuten. Der Kläger zu 4 lebt im Bundesgebiet seitdem er drei Jahre alt gewesen ist. Den Irak kennt er aus eigenem Erleben nicht mehr. Er kann sich zwar in der Muttersprache seiner Eltern verständigen, hat jedoch keine Kenntnisse der Schriftsprache. Auf eine Hilfestellung seiner Eltern bei der - erstmaligen -Integration in seinen Passstaat kann er nicht verwiesen werden, weil diese auch ihm gegenüber entsprechend den Ausführungen oben unter I. 4.c.) nicht in der Lage wären, die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Entsprechend den Darlegungen oben unter I. 5.) stehen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht entgegen.
III.)
82 
Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht mit Rücksicht auf die stets gelebte und dem Schutz von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unterfallende familiäre Lebensgemeinschaft mit den Klägern zu 3 und 4 ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Zwar könnte eine Trennung von den Klägern zu 3 und 4 auch dadurch vermieden werden, dass die Abschiebung der übrigen Familienmitglieder weiter ausgesetzt wird. Das Rechtsinstitut der Duldung ist jedoch nicht dazu bestimmt, einen nach der Verfassung gebotenen dauernden Aufenthalt zu sichern und zu ermöglichen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.11.2009 - 13 S 2002/09 - juris Rn. 42; vgl. auch GK-AufenthG, § 60a Rn. 133 ff.). Hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen gelten mit Blick auf den verfassungsrechtlich gebotenen weiteren Aufenthalt die Ausführungen unter I. 5.) entsprechend.
IV.)
83 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO.
84 
Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. Nr. 1 VwGO. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Rechtsfrage, ob bei einem im Bundesgebiet - mit Blick auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat - stets nur geduldeten Aufenthalt der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet ist, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig
85 
Beschluss vom 13. Dezember 2010
86 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG auf 25.000,-- EUR festgesetzt.
87 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

I.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger beantragte am 26. Mai 1997 unter einer falschen Identität beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Asyl. Er gab an, sudanesischer Staatsangehöriger zu sein und sein Herkunftsland Ende März 1995 verlassen zu haben.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1997 wurde dieser Antrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Eine Vorführung bei der sudanesischen Botschaft in Bonn ergab, dass der Kläger nicht sudanesischer Staatsbürger sei. Er tauchte am 20. April 1998 unter.

Am 25. März 2004 reiste der am 1. Oktober 1964 geborene Kläger als nigerianischer Staatsangehöriger mit einem spanischen Aufenthaltstitel nach Deutschland ein und beantragte am 29. März 2004 die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung aufgrund der am 25. März 2004 in Dänemark mit einer deutschen Staatsangehörigen geschlossenen Ehe. Dem Kläger wurde daraufhin am 18. Mai 2004 eine zunächst bis 17. Mai 2005 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AuslG erteilt. Diese wurde dann bis 17. Mai 2007 als Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 AufenthG verlängert.

Am 6. Januar 2007 wurde der Sohn des Klägers, J., geboren. Am 18. Mai 2007 beantragte der Kläger die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Da die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht vorlagen, nahm er am 27. September 2007 seinen Antrag auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis zurück. Er erhielt daraufhin am 29. Oktober 2007 eine bis 11. Februar 2009 gültige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

Am 6. Dezember 2007 zeigte der Kläger an, dass er seit Oktober 2007 von seiner Ehefrau getrennt lebe. Am 11. Februar 2009 beantragte er bei der Beklagten die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 1 AufenthG.

Am 25. Juni 2009 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis 24. Juni 2010 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung des Umgangs mit seinem Sohn. Die Ehe des Klägers wurde am 21. September 2009 geschieden. Die geschiedene Ehefrau des Klägers gab zu den Kontakten des Klägers zu seinem Sohn an, dass dieser über das Jugendamt vereinbarte Besuchstermine im Haus ihrer Eltern nicht einhalte und keinen Unterhalt zahle. Der Sohn empfinde inzwischen den Stiefvater als eigentlichen Vater.

Am 22. April 2010 beantragte er eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für einen Sprachkurs. Den Antrag nahm er jedoch zurück, weil er wegen des laufenden Sozialleistungsbezugs offensichtlich erfolglos war. In der Folgezeit wurden ihm Fiktionsbescheinigungen ausgestellt. Schließlich erteilte ihm die Beklagte am 18. Juli 2011 eine bis 17. Juni 2012 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG.

Am 1. März 2012 beantragte der Kläger erneut eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und gab als Aufenthaltszweck völkerrechtliche, humanitäre und politische Gründe an. Inzwischen hatte er einen Arbeitsplatz gefunden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. November 2012 ab.

Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da zwischen ihm und seinem Sohn keine familiäre Lebensgemeinschaft bestehe. Zur Begründung bezog die Beklagte sich auf Schreiben der geschiedenen Ehefrau des Klägers vom 28. Februar 2009 und vom 10. Februar 2012, mit denen sie über ihren Bevollmächtigten vortragen ließ, dass der letzte persönliche Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Sohn ein Jahr und vier Monate zurückliege. Der Sohn habe einen guten Kontakt zu seinem Stiefvater. Der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt um einen Kontakt zu seinem Sohn bemüht. Die anfänglichen Kontakte hätten sich auf fünfminütige Treffen am Nürnberger Hauptbahnhof beschränkt, die alle zwei bis drei Monate stattgefunden hätten. Der Kläger habe nicht auf Einladungen reagiert. Er habe sich auch nie nach seinem Sohn erkundigt. Seit ihrem Wegzug aus Nürnberg habe es seitens des Klägers überhaupt keinen Kontakt mehr mit dem Sohn gegeben. Sie und der Sohn lehnten jeglichen Kontakt ab, da er sich in den letzten fünf Jahren praktisch nicht um ihn gekümmert habe. Nach Mitteilung des Jugendamts W. hätten am 10. Februar 2012 sowie am 2. November 2012 Umgangskontakte des Klägers mit seinem Sohn stattgefunden. Die anderen beiden geplanten Termine hätten abgesagt werden müssen, da der Sohn einen Termin bei einem Kindertherapeuten gehabt habe, einen Termin am 5. Oktober 2012 habe der Kläger abgesagt. Der erste Kontakt im Februar habe auf Initiative der Mutter stattgefunden. Der Sohn sei hierauf zunächst durch das Jugendamt vorbereitet worden. Bei dem Kontakt sei ein Dolmetscher anwesend gewesen, da der Kläger nur sehr schlecht Deutsch spreche. Der Termin habe nur eine Stunde gedauert und sei ohne nennenswerte Probleme verlaufen. Der zweite Termin am 2. November 2012 habe nur eine halbe Stunde gedauert, da der Sohn den Kontakt abgebrochen habe. Als große Barriere in der Beziehung sei zum einen die große räumliche Distanz genannt worden, jedoch auch, dass zwischen den Terminen kein Kontakt etwa in Form von Telefonaten oder Schriftverkehr bestanden habe. Zudem sei eine Verständigung zwischen Vater und Sohn kaum möglich, da der Kläger nur sehr schlecht Deutsch spreche. Auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG seien nicht erfüllt, da der Lebensunterhalt nicht gesichert sei ( 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).

Mit Urteil vom 5. März 2013 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Klage des Klägers ab. Im Klageverfahren hat dieser beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, hilfsweise unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu entscheiden. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, weil er nicht die Personensorge für seinen Sohn ausübe und auch nicht mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebe. Er habe sich von seiner Ehefrau im Oktober 2007 getrennt. Der gemeinsame Sohn sei erst im Januar 2007 geboren worden und sei zum Zeitpunkt der Trennung gerade neun Monate alt gewesen. Eine häusliche Gemeinschaft habe somit nie über einen längeren Zeitraum bestanden. Das alleinige Sorgerecht für das gemeinsame Kind sei durch gerichtliche Entscheidung vom 30. Oktober 2008 auf die Mutter übertragen worden. Die wesentliche Verantwortung für das Kind liege somit seit der Trennung der Eltern bei der Mutter. Die Mutter wohne mit dem Kind weit vom Kläger entfernt. Einen nennenswerten Beitrag zu den Erziehungsleistungen für das Kind könne er angesichts dieser Entfernung naturgemäß nicht leisten. Infolge der Trennung hätten sich die Umgangskontakte schwierig gestaltet. Von Dezember 2008 bis Ende 2009 hätten regelmäßige Kontakte (acht) stattgefunden. In dieser Zeit habe sich die Familie auf einem guten Weg befunden, ein problemloses und geordnetes Umgangsverhältnis zwischen Vater und Kind herzustellen. Auch die Mutter sei bereit gewesen, hieran konstruktiv mitzuwirken. In der Folgezeit habe sich der Umgang erheblich schwieriger gestaltet. Dem Schreiben des Jugendamtes der Stadt N. vom 8. März 2011 sei zu entnehmen, dass von Dezember 2009 bis Mitte April 2010 die Kontakte im Haus der Großeltern stattgefunden hätten. Sie seien immer schwieriger und deutlich kürzer gewesen. Das Kind habe zunehmend zu erkennen gegeben, nicht beim Vater bleiben zu wollen. Die Unstimmigkeiten zwischen den Eltern hätten zugenommen. Auszugehen sei davon, dass in den Jahren 2010 und 2011 nur sporadisch einige wenige Kontakte stattgefunden hätten. Im Jahr 2012 hätten nur zwei Besuchstermine stattgefunden. Die Kammer gehe davon aus, dass der Kläger über die seltenen Besuche hinaus keinen ernsthaften Anteil am täglichen Leben des Kindes nehme. Es sei aus den Akten und dem Vorbringen des Klägers nicht zu entnehmen, dass er sich in nennenswerter Weise für das Leben des Kindes interessiere. Der Kläger und sein Sohn sprächen keine gemeinsame Sprache. Die Kommunikation zwischen Vater und Sohn sei somit erheblich erschwert. Zudem habe der Kläger bis auf drei Zahlungen in Höhe von jeweils 100 Euro noch niemals Unterhalt für seinen Sohn bezahlt. Er sei überwiegend keiner geregelten Arbeit nachgegangen. Aber auch in den Zeiten, in denen er bei der Firma A. beschäftigt gewesen sei, habe er keinen Unterhaltsbeitrag geleistet. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergebe sich auch nicht aus § 25 Abs. 5 AufenthG. Zwischen dem Kläger und dem Sohn bestehe keine schützenswerte Beziehung. Insoweit werde auf die Stellungnahme des Jugendamtes des Kreises W. vom 25. Februar 2013 verwiesen. Dort sei nachvollziehbar begründet, dass in der jetzigen Situation ein Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet nicht ausschlaggebend für das Wohl des Kindes sei.

Mit Beschluss vom 24. Juni 2013 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. März 2013 zugelassen.

Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen,

hilfsweise: unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu entscheiden.

Das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung des Umgangsrechts eines ausländischen Vaters zu seinem deutschen Kind falsch eingeschätzt. Es habe zu Unrecht angenommen, dass der Kläger kein Interesse an einer Beziehung zu seinem Sohn habe. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch, dass er sich um einen Umgang mit seinem Sohn bemüht habe. Es sei eine Umgangspflegerin bestellt worden, um einen begleiteten Umgangskontakt zur Anbahnung weiterer Kontakte zwischen dem Kläger und seinem Sohn zu ermöglichen und durchzuführen. Das Umgangsrecht ergebe sich direkt aus Art. 6 Abs. 1 GG und dürfe daher nicht von weiteren Voraussetzungen wie z. B. Unterhaltszahlungen abhängig gemacht werden. Aus fehlenden Unterhaltszahlungen könne nicht auf ein fehlendes Interesse des Vaters an seinem Kind geschlossen werden. Der Kläger sei am 5. Juli 2013 zu einem Umgangstermin nach W. gefahren. Allerdings sei es nicht zu einem Treffen mit seinem Sohn gekommen, weil dieser sich geweigert habe. Er gehe davon aus, dass sein Sohn von der Mutter negativ beeinflusst werde. Sie wolle einen Kontakt des Klägers mit seinem Sohn vermeiden und arbeite daraufhin, dass er Deutschland verlassen müsse. In dem Alter könne man von dem Kind nicht erwarten, dass es sich gegen die Beeinflussung der Mutter durchsetzen könne. Der Kläger beabsichtige, in die Nähe seines Sohnes zu ziehen, um sein Umgangsrecht ausüben zu können.

Im Berufungsverfahren legte die Beklagte eine Stellungnahme der Umgangspflegerin sowie Stellungnahmen des Amtes für Kinder, Jugendliche und Familien (v. 9.7.2013 und 23.7.2013) und ein psychologisches Gutachten vom 17. Februar 2014 vor. Darin kommt die Gutachterin zu dem Ergebnis, dass der Sohn derzeit nur mit Gewalt zu einem Umgang mit dem Kläger gebracht werden könne. Eine solche Gewaltanwendung wäre mit dem Kindeswohl nicht vereinbar, auch wenn der Kontakt mit dem Vater an sich keine Kindesgefährdung beinhalte. Der Umgang solle daher für die Dauer etwa eines Jahres ausgeschlossen werden. Der Mutter solle im Interesse des Sohnes zur Auflage gemacht werden, die Zeit zu einer systemischen Familientherapie zu nutzen. Wenn das gelinge, sei der Umgang des Sohnes mit dem Kläger weder für ihn noch für seine Mutter eine Gefahr, so dass er dann wieder stattfinden könne. Der Sohn habe seinen Platz definitiv bei seiner Mutter und deren Familie. Dies solle auf keinen Fall geändert werden.

Der Kläger nahm mit Schriftsatz vom 23. Juli 2014 Stellung und teilte mit, er habe sich mit seiner geschiedenen Ehefrau darauf geeinigt, dass zunächst keine Umgangskontakte zwischen ihm und dem Sohn stattfänden. Er werde vor März 2015 keinen neuen Umgangsantrag stellen. Die Kindsmutter habe sich bereit erklärt, auf Vermittlung des Jugendamtes in eine systemische Familienberatung zu gehen. Er sei der Ansicht, dass seine weitere Anwesenheit erforderlich sei, um zu einem Therapieerfolg zu kommen und an den Identitätsproblemen des Sohnes zu arbeiten.

Mit Schreiben vom 24. März 2016 nahm die Beklagte im Berufungsverfahren Stellung. Der Bescheid vom 29. November 2012 sei rechtmäßig. Der Kläger habe keinen Anspruch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis als ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht. Eine Aufenthaltserlaubnis sei nur dann eine Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wenn sie nach den Vorschriften des 6. Abschnitts im Kapitel 2 des Aufenthaltsgesetzes zum Zwecke des Ehegattennachzugs erteilt worden sei. Der Kläger könne nicht geltend machen, dass er eine Aufenthaltserlaubnis auf anderer Rechtsgrundlage angestrebt habe, als ihm dann letztlich erteilt worden sei. Er sei zu diesem Zeitpunkt anwaltschaftlich vertreten gewesen. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu seinem deutschen Kind gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG scheide schon deswegen aus, weil der Kläger nicht das Sorgerecht für das deutsche Kind habe. Auch scheide die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG aus, weil eine familiäre Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nie gelebt worden sei und auch nicht gelebt werde. Auch im Jahr 2016 sei unter Würdigung der aktuellen Entwicklung zwischen dem Kläger und seinem Sohn nach wie vor keine familiäre Lebensgemeinschaft zu erkennen. Es werde insbesondere auf die Stellungnahme des Amtes für Kinder, Jugendliche und Familie des Kreises W. vom 23. Juli 2013 verwiesen. Der nunmehr bestellte Verfahrensbeistand spreche sich in seiner Stellungnahme vom 7. März 2016 für die Aufrechterhaltung der bestehenden Regelung aus. Zum jetzigen Zeitpunkt sollten keine Umgangskontakte vereinbart werden, da der Sohn kein Interesse am Kläger habe. Zudem werde auf die aktuelle Stellungnahme des Jugendamtes W. vom 10. März 2016 Bezug genommen. Darin werde angeregt, die derzeitige Umgangsregelung beizubehalten bzw. fortzuführen und dem Sohn das Tempo der Anbahnung der Kontakte zu seinem Vater zu überlassen. Es entspreche nicht dem Kindeswohl, einen Umgang mit dem Kläger zu erzwingen, und könne dazu führen, dass sich der Sohn dem Kläger wieder total verweigere. Aufgrund dieser fachlichen Einschätzung sei weiterhin nicht erkennbar, dass sich in nächster Zeit die Vater-Sohn-Bindung in dem Umfang verbessere, dass sich die kaum vorhandene Begegnungsgemeinschaft zu einer Beistandsgemeinschaft entwickle. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG sei hier nicht Verfahrensgegenstand. Bestimmt und begrenzt würde der Klagegegenstand durch die Aufenthaltszwecke und den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt. Der Kläger habe aber als Aufenthaltszweck keine humanitären Gründe, sondern zweifelsfrei familiäre Gründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis geltend gemacht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2016 teilte der Kläger mit, die Frage der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG sei bereits Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens gewesen. Aus dem Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 19. November 2012 ergebe sich, dass der Kläger am 1. März 2012 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen beantragt habe. Zudem habe das Verwaltungsgericht Augsburg in seinem Urteil vom 5. März 2013 über den Anspruch gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG entschieden. Dem Kläger sei bewusst, dass er keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG habe, weil er nicht das Sorgerecht für seinen Sohn innehabe. Auch bestehe keine schützenswerte Lebensgemeinschaft oder familiäre Bindung zwischen dem Kläger und seinem Sohn. Es bestehe aber ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung gemäß § 25 AufenthG aufgrund des Wunsches des Klägers auf Umgang mit seinem Sohn. Er habe sich immer um eine Kontaktanbahnung und Umgang mit seinem Sohn gekümmert. Er habe am 17. April 2016 einen neuerlichen Antrag zur Anbahnung von Umgang vor dem Familiengericht in W. gestellt, über den bisher noch nicht entschieden sei. Das eigene Tempo in der Anbahnung der Kontakte könne der Sohn nur dann entwickeln, wenn der Kläger sich in Deutschland aufhalte.

Die Beklagte erwiderte mit Schreiben vom 8. Juni 2016, der Kläger habe mit seinem Erstantrag vom 1. März 2012 ausschließlich die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt und nur darüber habe sie mit dem angefochtenen Bescheid vom 29. November 2012 entschieden. In jedem Fall bestehe aber kein Anspruch gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG. Der Kläger habe als Aufenthaltszweck keine humanitären Gründe, sondern ausschließlich familiäre Gründe für die Erteilung geltend gemacht. Durch die Versagung des Aufenthaltsrechts werde auch nicht in die Rechte des Klägers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK eingegriffen. Der Kläger habe nach wie vor keinen Umgang mit seinem Sohn. Daher verhindere die Versagung des Aufenthaltsrechtes auch nicht den Umgang.

Der Kläger verwies insofern auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21. Dezember 2010, wonach selbst die beabsichtigte Beziehung des Vaters zu seinem nichtehelichen Kind unter den Schutz des Familienlebens nach Art. 8 EMRK falle.

Mit Schreiben vom 31. August 2016 teilte der Kläger mit, dass in der Zwischenzeit eine Umgangspflegerin für seinen Sohn bestellt worden sei, weil die Mutter des Sohnes nach wie vor einen Umgang verhindere.

Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten, die Gerichtsakten und die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2016 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg hat die Klage auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 29. November 2012 und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. auf Neuverbescheidung des Antrags vom 1. März 2012 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels bzw. auf Neuverbescheidung seines Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder befristeten Aufenthaltserlaubnis wegen der Beziehung zu seinem am 6. Januar 2007 geborenen Sohn J. der deutscher Staatsangehöriger ist.

1. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Behauptung des Klägers, dass er einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts bzw. zur Neubescheidung habe. Der Kläger hat am 1. März 2012 die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen beantragt. Die Beklagte hat im Bescheid vom 29. November 2012 den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgelehnt. Das Verwaltungsgericht ist in seinem Urteil vom 5. März 2013 jedoch zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag vom 1. März 2012 nicht nur auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gerichtet war, sondern der Kläger die Erteilung eines Aufenthaltstitels begehrt, um den Umgang mit seinem Sohn ausüben zu können. Für die Auslegung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gilt nichts anders als für die Bestimmung des Streitgegenstandes einer Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dieser bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck und dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt, aus dem der Anspruch hergeleitet wird (vgl. VGH BW, B.v.17.12.2015 - 11 S 1998/15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Nach dem sog. Trennungsprinzip (BVerwG, U.v. 4.9.2007 - 1 C 43.06 - juris Rn. 26) ist der Ausländer zwar gehalten, seine aufenthaltsrechtlichen Ansprüche aus den Rechtsgrundlagen abzuleiten, die der Gesetzgeber für die spezifischen vom Ausländer verfolgten Aufenthaltszwecke geschaffen hat. Allerdings hat die Ausländerbehörde die Pflicht, im Wege der Auslegung aus der maßgeblichen Sicht ihres Empfängerhorizonts (vgl. § 133, 157 BGB entsprechend) zu ermitteln, welchen Aufenthaltszweck der jeweilige Ausländer unabhängig von der im Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis angegebenen Rechtsgrundlage verfolgt.

2. Das Verwaltungsgericht ist hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den Vorschriften des 6. Abschnitts über den Aufenthalt aus familiären Gründen (§§ 27 ff. AufenthG) herleiten kann.

2.1 Er hat keinen Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewesen ist. Eine solche Aufenthaltserlaubnis wurde dem Kläger jedoch nie erteilt. Vielmehr hat der Kläger nach Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft auf seinen Antrag vom 11. Februar 2009 am 25. Februar 2009 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG erhalten. Im Zeitpunkt der Antragstellung am 1. März 2012 bestand auch kein Anspruch auf Verlängerung der dem Kläger zur Ausübung der Personensorge für seinen Sohn erteilten Aufenthaltserlaubnis als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Denn diese Regelung lässt nur die Verlängerung einer zuvor erteilten akzessorischen Aufenthaltserlaubnis nach § 27, § 30 oder § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als eigenständiges Aufenthaltsrecht zu (Marx in Gemeinschaftskommentar Aufenthaltsgesetz, Stand: April 2016, § 31 Rn. 19).

2.2 Ebenso scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG aus. Alleinige Inhaberin des Sorgerechts für den minderjährigen Sohn des Klägers ist dessen geschiedene Ehefrau.

2.3 Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Nach dieser Regelung kann dem nicht sorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. Der Kläger lebt jedoch mit seinem Sohn nicht in familiärer Gemeinschaft. § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG setzt eine familiäre Gemeinschaft im Sinne einer Betreuungs- und Erziehungsgemeinschaft voraus. Gefordert wird hierfür in der Regel ein Zusammenleben mit dem Kind. Leben die Familienmitglieder getrennt, müssen zusätzliche Anhaltspunkte vorhanden sein, um eine familiäre Gemeinschaft annehmen zu können. Diese Anhaltspunkte können in intensiven Kontakten, gemeinsam verbrachten Urlauben oder in der Betreuung und Versorgung des Kindes bestehen. Unterhaltsleistungen sind ebenso zu berücksichtigen wie Kontakte per Telefon oder Brief. Hierbei ist eine differenzierte Bewertung des Einzelfalls erforderlich, eine schematische Einordnung verbietet sich. Zudem ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 1626 Abs. 3 Satz 1 BGB der Umgang mit beiden Elternteilen zum Wohl des Kindes gehört (vgl. Tewocht in Beck’scher Online-Kommentar, AufenthG, Stand: 1.2.2016, § 28 Rn. 27; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AufenthG § 28 Rn. 29 ff.). Bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen, die den Umgang mit einem Kind berühren, ist maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Dabei sind die Belange des Kindes und des Elternteils im Einzelfall umfassend zu berücksichtigen (BVerfG, B.v. 1.12.2008 - 2 BvR 1830/08 - juris Rn. 31).

Nach den vorliegenden aktuellen Stellungnahmen des Jugendamtes des Landkreises W. vom 10. März 2016 und des Verfahrensbeistandes des Sohnes des Klägers vom 7. März 2016 besteht eine den genannten Anforderungen entsprechende familiäre Gemeinschaft zwischen dem Kläger und seinem Sohn derzeit nicht. Der letzte persönliche Umgang zwischen dem Kläger und seinem Sohn fand im Jahr 2012 statt. Der Kläger und seine geschiedene Ehefrau haben sich in einem familiengerichtlichen Vergleich vom 11. Juni 2014 darauf geeinigt, dass es bis März 2015 keine weiteren Umgangskontakte zwischen dem Kläger und seinem Sohn geben solle. Die Exfrau erklärte sich im Gegenzug bereit, auf Vermittlung des Jugendamtes eine systemische Familienberatung in Anspruch zu nehmen. Ein direkter schriftlicher Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Sohn findet nicht statt. Im Rahmen der Therapie bestand für die Kindesmutter die Auflage, für den Kläger alle drei Monate einen Entwicklungsbericht über J. zu verfassen. Der Kläger hatte die Möglichkeit, über das Jugendamt Briefe und Pakete an seinen Sohn weiterzuleiten. Von diesem Angebot hat der Kläger regelmäßig Gebrauch gemacht. Eine Antwort auf die Briefe erfolgt aber nur über die Mutter an das Jugendamt. Ein telefonischer Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Sohn besteht nicht. Ein Angebot des Klägers, mit seinem Sohn zu telefonieren, hat dieser - wie sich aus der Stellungnahme des Jugendamtes W. vom 10. März 2016 ergibt - abgelehnt. Insgesamt kommen das Jugendamt und der Verfahrensbeistand übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass es aktuell nicht dem Kindeswohl entspreche, einen Umgang des Sohnes mit dem Kläger zu erzwingen. Zum jetzigen Zeitpunkt zeige der Sohn kein Interesse, an diesem Vorhaben mitzuwirken. Der aktuelle Kontakt mit den vierteljährlichen Briefen sei ausreichend.

Aus den genannten Stellungnahmen wird deutlich, dass eine verantwortungsvoll gelebte und dem Schutzzweck des Art. 6 GG entsprechende Eltern-Kind-Gemeinschaft (vgl. BVerfG, B.v. 8.12.2005 - 2 BvR 1001/04 - juris Rn. 21) zwischen dem Kläger und seinem Sohn schon angesichts des fehlenden persönlichen Kontakts nicht besteht. Eine kontinuierliche emotionale Bindung des Kindes zu dem Kläger ist nicht vorhanden. Einfluss auf die Entwicklung des Kindes kann der Kläger nicht nehmen. Ihn trifft an dieser Situation zwar kein Verschulden, weil er - auch unter Ausschöpfung der ihm gegebenen rechtlichen Möglichkeiten - stets versucht hat, sein Umgangsrecht mit seinem Sohn wahrzunehmen bzw. herzustellen. Dies ist aber aus den nachfolgenden Gründen letztlich nicht entscheidend.

Einer erweiternden Auslegung des Begriffes der familiären Gemeinschaft i. S. d. § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG aufgrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Dezember 2010 (Rs. 20578/07 - juris) bedarf es nicht (vgl. hierzu Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 28 Rn. 34). Nach Auffassung des EGMR kann die Versagung des Umgangs des leiblichen Vaters mit seinem Kind einen Eingriff in das gemäß Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens oder zumindest des Privatlebens darstellen, auch wenn der leibliche Vater noch keine sozialfamiliäre Beziehung zu seinem Kind aufbauen konnte. Zwar kann nach dieser Rechtsprechung der biologische Vater aus Art. 8 EMRK grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit seinem Kind ableiten, selbst wenn noch kein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, jedoch hat dies nicht zur Folge, dass dem durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG Rechnung getragen werden muss, solange die familiäre Gemeinschaft noch nicht gelebt wird. Sicherzustellen ist aufenthaltsrechtlich allenfalls, dass der Vater die Möglichkeit erhält, eine solche geschützte familiäre Beziehung aufzubauen, wenn dies dem Kindeswohl dient. Macht der nicht sorgeberechtigte ausländische Elternteil glaubhaft, dass er sich gegenüber dem das Umgangsrecht vereitelnden anderen Elternteil nachhaltig und ernsthaft um die Ausübung des Umgangsrechts mit dem Kind, etwa durch Einschaltung des zuständigen Jugendamtes, bemüht hat, kann ein beabsichtigtes Familienleben ausnahmsweise unter den Schutz des Art. 8 EMRK fallen. Wird die Herstellung einer beabsichtigten familiären Gemeinschaft verhindert, weil die Ausländerbehörde den ausländischen Vater zur Ausreise auffordert, stellt dies eine Verletzung von Art. 8 EMRK dar, es sei denn, dieser Eingriff ist „gesetzlich vorgesehen“, verfolgt ein oder mehrere Ziele, die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK legitim sind, und kann als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen werden“ (EGMR, U.v. 2.10.2010 - Rs. 20578/07 - juris Rn. 63). Es ist zu prüfen, ob die zur Rechtfertigung des Eingriffs vorgebrachten Gründe im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK zutreffend und ausreichend sind. Von entscheidender Bedeutung ist, ob der Umgang mit dem leiblichen Vater dem Wohl des Kindes dient. Je nach seiner Art und Bedeutung kann das Kindeswohl den Interessen des Elternteils vorgehen (EGMR, a. a. O. Rn. 65).

In Bezug auf den Kläger ist insoweit festzustellen, dass er nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft versucht hat, einen regelmäßigen Kontakt mit seinem damals noch kleinen Sohn aufrechtzuerhalten. Dies wurde zunehmend erschwert, weil die geschiedene Ehefrau des Klägers eine neue Familie gründete und verzog. Der Kläger versuchte, in einem familiengerichtlichen Verfahren sein Umgangsrecht durchzusetzen. Ihm kann daher nicht entgegengehalten werden, dass er kein Interesse an seinem Kind gezeigt und sich nicht ernsthaft um eine familiäre Beziehung bemüht hätte. Den Sohn betreffend lässt sich den vorgelegten fachbehördlichen Stellungnahmen entnehmen, dass dieser über die vierteljährlichen brieflichen Kontakte hinaus einen persönlichen Umgang mit dem Kläger ablehnt. Einen Telefonkontakt verweigert er mit der Begründung, dass er den Kläger nicht verstehen würde. Aus Sicht des Jugendamtes soll die bisherige Umgangsregelung (Briefe des Klägers an seinen Sohn) beibehalten und es dem Kind überlassen werden, ob es eine persönliche Kontaktaufnahme zum Kläger wünsche. Der Verfahrensbeistand hält es nicht für geboten, Umgangskontakte zwischen dem Sohn und dem Kläger zu vereinbaren, da der Sohn kein Interesse habe, bei diesem Vorhaben mitzuwirken. Er sei in seiner neuen Familie fest verwurzelt. Es widerspräche dem Wohl des Kindes, wenn gegen seinen Willen Umgangskontakte zum jetzigen Zeitpunkt stattfänden.

Bei dieser Sachlage ist daher der Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Herstellung des Umgangsrechts des leiblichen Vaters zu seinem Kind, der sich aus der erforderlichen Ausreise des Klägers aus dem Bundesgebiet ergibt, gerechtfertigt, weil ein intensiverer, ggf. erzwungener Kontakt gegen den Willen des Kindes nicht seinem Wohl entspricht. Der bisherige Kontakt des Klägers zu seinem Kind über Briefe, die ihm durch seine Großeltern bzw. das Jugendamt zugeleitet werden, lässt sich in gleicher Weise auch vom Ausland aus aufrechterhalten. Ein vollständiger Abbruch des Kontakt ist daher nicht zu befürchten.

2.4 Ein Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 28 Abs. 3 Satz 1 AufenthG i. V. m. § 31 Abs. 1 AufenthG. Es kann offen bleiben, ob sich der Kläger als bisheriger Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf diese Vorschrift überhaupt berufen kann (vgl. hierzu VGH BW, B.v. 2.12.2015 - 11 S 2155/15 - juris Rn. 5; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AufenthG § 28 Rn. 57; Hailbronner, AufenthG, Stand: April 2016, § 28 Rn. 44). Jedenfalls erfüllt der Kläger die Voraussetzung des § 31 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in entsprechender Anwendung nicht. Danach hätte er mindestens drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG sein müssen. Aufenthaltserlaubnisse wurden ihm jedoch nur für den Zeitraum vom 25. Juni 2009 bis 24. Juni 2010 und dann wiederum vom 28. Juli 2011 bis 17. Juni 2012 erteilt. Selbst unter Hinzurechnung etwaiger Fiktionszeiten für den zwischenliegenden Zeitraum ist die Dreijahresfrist des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt.

3. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung bzw. Herstellung des Umgangsrechts mit seinem Sohn besteht auch nicht nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG i. V. m. Art. 8 EMRK. Die Ausreise des Klägers ist nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Selbst wenn der Kläger das Bundesgebiet verlassen müsste, läge kein unverhältnismäßiger Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familien- und Privatleben und damit ein rechtliches Ausreisehindernis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vor (s.o. 2.3). Insoweit kann daher offen bleiben, ob die Anwendung des § 25 Abs. 5 AufenthG bereits deshalb ausscheidet, weil der Kläger einen Lebenssachverhalt zum Gegenstand seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis macht, für den der Gesetzgeber in den § 27 ff. AufenthG detaillierte und damit spezielle Voraussetzungen geschaffen hat (zum Verhältnis dieser Vorschriften: VGH BW, B.v. 10.3.2009 - 11 S 2990/08 - juris Rn. 22, U.v. 18.4.2007 - 11 S 105/6 - juris; NdsOVG, B.v. 12.3.2013 - 8 LA 13/13 - juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 22.7.2008 - 19 CE 08.781 - juris ).

Nach dem bereits erwähnten Urteil des EGMR (v. 21.12.2010 - Rs. 20578/07) kann zwar die Versagung des Umgangs des leiblichen Vaters mit seinem Kind einen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen, auch wenn der leibliche Vater noch keine sozialfamiliäre Beziehung zu seinem Kind aufbauen konnte. Der Herstellung des Umgangsrechts kommt hinsichtlich des Erfordernisses der Führung einer familiären Gemeinschaft mit dem Kind eine gewisse Vorwirkung zu (Marx in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, Stand: April 2016, § 28 Rn. 155). Für die Dauer der Durchsetzung eines Umgangsrechts vor den Familiengerichten und der Kontaktanbahnung kann dem Kläger zur effektiven Wahrung seiner Rechte aus Art. 8 EMRK jedoch im Übrigen auch eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilt werden (vgl. Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 28 Rn. 33 Praxishinweis).

5. Der Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden, bleibt ebenfalls ohne Erfolg, weil schon die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Anspruchsnormen nicht vorliegen. Auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung kommt es folglich nicht mehr an.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i. V. m. § 708 ff. ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt

(§ 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 GKG).

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 11. August 2017 weiter, mit dem er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde, die Abschiebung nach Afghanistan angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht und die Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung befristet wurden.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch ein Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 - 1 BvR 2453/12 - juris Rn. 16). Dies ist hier in Bezug auf die gegenüber dem Kläger erfolgte Ausweisung nicht der Fall.

a) Das Verwaltungsgericht hat die Ausweisung des Klägers als rechtmäßig erachtet, weil sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Interesse des Klägers am Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiege. Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass vom Kläger eine erhebliche Wiederholungsgefahr ausgehe, da er keine bzw. nur eingeschränkt Einsicht in seine Taten zeige, deren Aufarbeitung bislang unterblieben sei. Unabhängig davon sei der Kläger bereits kurz nach seiner Einreise und im Folgenden wiederholt polizeilich wegen Übergriffe auf die körperliche Unversehrtheit seiner damaligen Ehefrau und Dritter in Erscheinung getreten, auch wenn es diesbezüglich zu keiner Verurteilung gekommen sei. Die bislang erfolgten Therapiebestrebungen des Klägers änderten nichts an der Einschätzung der Wiederholungsgefahr. Es sei auch nicht zu erwarten, dass der Kläger in ein stabiles soziales Umfeld zurückkehre, sondern von seinem sozialen Empfangsraum in seiner frauenfeindlichen Haltung eher noch bestärkt werde. So sei ein Schwager, der Bruder der geschiedenen Ehefrau, Mittäter einer Straftat des Klägers gewesen. Seine Schwiegereltern hätten den Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen, würden aber den Kläger willkommen heißen. Das Ausweisungsinteresse wiege schwer. Das in den Taten zu Tage getretene Aggressionspotential sei enorm. Das diesen zugrundeliegende Frauenbild könne nicht akzeptiert werden und rechtfertige die Ausweisung selbst dann, wenn zugunsten des Klägers angenommen werde, dass seine Kinder zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung der Beziehung zum Kläger angewiesen wären, wobei hiervon aufgrund der Angaben des Klägers und der Stellungnahmen der eingebundenen Fachbehörden ohnehin nicht auszugehen sei. Auch die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen führten zu keinem anderen Abwägungsergebnis; von einer erfolgreichen wirtschaftlichen Integration könne beim Kläger nicht gesprochen werden. Die Befristungsentscheidung erweise sich als ermessensfehlerfrei.

b) Demgegenüber macht der Kläger im Berufungszulassungsverfahren geltend, dass die vom Verwaltungsgericht getroffene Prognoseentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Außer der Verurteilung durch das Landgericht München I vom 16. März 2017 lägen keine weiteren, vorangegangenen Verurteilungen vor. Mittlerweile habe die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg mit Beschluss vom 18. Juli 2018 den Kläger auf Bewährung aus der Haft entlassen. Die Bewährungszeit sei auf drei Jahre festgesetzt worden. Dem Beschluss liege ein forensisch-psychiatrisches Gutachten vom 30. Juni 2018 zugrunde, das zur Einschätzung gelangt sei, dass beim Kläger eine relativ geringe Gefahr des Fortbestehens der durch die Tat zu Tage getretenen Gefährlichkeit vorliege. Ferner habe der Kläger mittlerweile erfolgreich eine Gewalt-Präventions-Therapie abgeschlossen. Im Übrigen bestünden Zweifel an der Integrität der geschiedenen Ehefrau des Klägers, was zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen sie geführt habe. Rechtsfehlerhaft habe das Verwaltungsgericht angenommen, dass die Beziehung des Klägers zu seinen Kindern letztlich unbeachtlich sei. Ergänzend wies der Kläger darauf hin, dass er sich um Kontakt zu seinen Kindern bemühe, an einem Job-Coaching teilgenommen habe und aus Sicht des Bewährungshelfers kein Bedarf für eine weiterführende Interventionsmaßnahme bestehe, da er die Rückfallwahrscheinlichkeit als eher gering einschätze. Der Kläger zeige eine hohe Motivation zur künftig straffreien Lebensführung. Er habe sich zu einem Elternseminar angemeldet. Ferner legte er seine (aktuellen) wirtschaftlichen Verhältnisse dar.

c) Mit diesem Vorbringen hat der Kläger die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Ausweisung sei rechtmäßig, im Ergebnis nicht ernsthaft im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO in Zweifel gezogen.

Die Beurteilung, ob ein Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ist - sofern es wie vorliegend nach dem materiellen Recht auf den Entscheidungszeitpunkt ankommt - daher zu berücksichtigen. Die Änderung der Sach- und Rechtslage ist allerdings grundsätzlich nur in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen relevant (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Auflage 2018, § 124a Rn. 256 f.; vgl. auch BVerwG, B.v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744).

Entgegen den Ausführungen in der Zulassungsbegründung und auch unter Berücksichtigung der seit dem erstinstanzlichen Urteil eingetretenen Entwicklungen ist unter Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG weiterhin davon auszugehen, dass sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung und sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Der Kläger hat diese Annahme in seiner Zulassungsbegründung nicht durchgreifend in Frage gestellt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (vgl. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Auch der Rang des bedrohten Rechtsguts ist dabei zu berücksichtigen; an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit dürfen andererseits keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 14; B.v. 22.11.2016 - 10 CS 16.2215 - juris Rn. 6).

Einer Strafaussetzungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer - und gegebenenfalls den dieser zugrunde liegenden Gutachten und sonstigen Stellungnahmen, etwa der Justizvollzugsanstalt oder der Therapieeinrichtung - kommt zwar eine erhebliche indizielle Bedeutung zu. Die Ausländerbehörde und die Verwaltungsgerichte sind für die Frage der Beurteilung der Wiederholungsgefahr daran aber nicht gebunden; dabei bedarf es jedoch einer substantiierten Begründung, wenn von der strafgerichtlichen Entscheidung abgewichen wird (BVerfG, B.v. 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 - juris Rn. 21). Hier ist zu berücksichtigen, dass vorzeitige Haftentlassung und Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen und deshalb unterschiedlichen Regeln unterliegen: Bei Aussetzungsentscheidungen nach § 57 StGB geht es um die Frage, ob die Wiedereingliederung eines in Haft befindlichen Straftäters weiter im Vollzug stattfinden muss oder durch vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit ggf. unter Auflagen „offen“ inmitten der Gesellschaft verantwortet werden kann. Bei dieser Entscheidung stehen naturgemäß vor allem Resozialisierungsgesichtspunkte im Vordergrund; zu ermitteln ist, ob der Täter das Potenzial hat, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen. Demgegenüber geht es bei der Ausweisung um die Frage, ob das Risiko eines Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder von der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers getragen werden muss. Die der Ausweisung zu Grunde liegende Prognoseentscheidung bezieht sich folglich nicht nur auf die Dauer der Bewährungszeit, sondern hat einen längeren Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Denn es geht hier um die Beurteilung, ob es dem Ausländer gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen. Bei dieser längerfristigen Prognose kommt dem Verhalten des Ausländers während der Haft und nach einer vorzeitigen Haftentlassung zwar erhebliches tatsächliches Gewicht zu. Dies hat aber nicht zur Folge, dass mit einer strafrechtlichen Aussetzungsentscheidung ausländerrechtlich eine Wiederholungsgefahr zwangsläufig oder zumindest regelmäßig entfällt. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Täter im entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf tatsächlich vorhandene Integrationsfaktoren verweisen kann; das Potenzial, sich während der Bewährungszeit straffrei zu führen, ist nur ein solcher Faktor, genügt aber für sich genommen nicht (BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 10 C 10.12 - juris Rn. 19; BayVGH, B.v. 6.6.2017 - 10 ZB 17.588 - juris Rn. 5; B.v. 4.4.2017 - 10 ZB 15.2062 - juris Rn. 20 f.; B.v. 7.2.2018 - 10 ZB 17.1386 - juris Rn. 9).

Gemessen hieran spricht zwar zugunsten des Klägers neben der Teilnahme an einer Gewalt-Präventions-Therapie, dass auf der Grundlage des forensisch-psycholo-gischen Sachverständigengutachtens vom 30. Juni 2018 die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 18. Juli 2018 die weitere Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hat; der Kläger wurde am 19. Juli 2018 aus der Haft entlassen. Auch bemühte er sich in der Folgezeit darum, die Voraussetzungen für eine Wiederherstellung des Kontakts zu seinen Kindern zu schaffen und nahm Angebote der Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft wahr. Die Bewährungshilfe sieht aktuell keinen Bedarf einer weiterführenden Interventionsmaßnahme und bescheinigte dem Kläger in der aktuellsten Stellungnahme eine hohe Motivation zur künftig straffreien Lebensführung.

Gleichwohl kann auch unter Berücksichtigung der positiven Entwicklungen (noch) nicht der Schluss gezogen werden, dass damit die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen des Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet. Im Rahmen der längerfristig anzulegenden Prognose fällt zur Überzeugung des Senats (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Beurteilung, ob es dem Kläger gelingen wird, über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen, derzeit negativ aus.

Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger erst vor wenigen Monaten aus der Haft entlassen wurde und damit noch ganz am Anfang der vom Strafvollstreckungsgericht festgesetzten Bewährungszeit von drei Jahren steht. Das Strafvollstreckungsgericht hält u.a. die Weisungen für erforderlich, wonach sich der Kläger unverzüglich nach der Entlassung an die Bewährungshilfe zur Weiter- und Durchführung eines Gewaltpräventionsprogramms wendet und sich monatlich bei der Bewährungshilfe meldet. Der Umgang mit seinen drei Kindern darf nur nach den Vorgaben der festgelegten Umgangsregelung erfolgen. Bereits hieraus ergibt sich, dass eine relevante Rückfallgefahr keineswegs zu verneinen ist, sondern es lediglich als verantwortbar erachtet wird, zu erproben, ob der Kläger sich künftig straffrei führen wird. Ferner sind auch dem forensisch-psychologischen Sachverständigengutachten weiterhin Tendenzen des Klägers zu entnehmen, wonach er nur bedingt Einsicht in seine Taten zeigt. Dies war für das Erstgericht mitunter maßgeblich für die Annahme einer erheblichen Wiederholungsgefahr (s. UA S. 22 ff.). So wird von ihm auch jetzt noch bestritten, dass er gegenüber der Ehefrau - gemeint ist wohl vor der Trennung im September 2014 - gewalttätig gewesen sei (S. 21 des Gutachtens). Die Angaben zum Schuldvorwurf (S. 22-27 des Gutachtens) sind teils ausweichend bzw. verharmlosend („weiß nicht, was danach gewesen ist“, „das könne durchaus sein […] erinnert er nicht“). Mehrere konkrete Tatumstände der jeweiligen Anlasstaten werden erst auf entsprechende Vorhalte eingeräumt. Im Rahmen des Persönlichkeitsquerschnitts gelangte der Gutachter folglich zur Einschätzung, dass der Kläger bemüht gewesen sei, „seine Erfahrungen und seine Auffassung darzustellen, wobei er das Tatgeschehen sicher etwas aus seiner subjektiven Sichtweise, wenn auch nicht ganz unplausibel dargestellt hat, zumindest mit authentisch bedauerndem, und auch nicht übertreiben wirkendem Tonfall ohne dramatisierende Komponente“. Was den eigentlichen Tatablauf angehe, schildere er ihn jetzt analog der Verurteilung, bestreite aber weiterhin, dass es im Vorfeld zu Aggressionshandlungen gekommen sei (S. 39 des Gutachtens). Dies widerspricht jedenfalls den tatsächlichen Feststellungen, wie sie der vorliegenden Aktenlage zu entnehmen ist (s. bspw. Urteil des Amtsgerichts München, Schöffengericht, v. 13.12.2016, S. 18, Bl. 544 der Behördenakte; Stellungnahme der ambulanten Jugendhilfe v. 23.2.2014, Bl. 503 f. der Behördenakte; Stellungnahme Kriminalfachdezernat 2 München v. 8.6.2015, Bl. 505 ff. der Behördenakten).

Auffällig ist zudem, dass der Kläger hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes seine Handlungen damit erklärte, dass es „sein Ziel“ gewesen sei, dass seine Ehefrau „quasi durch seine Augen sieht und ihre Schuld erkennt“ (S. 25 des Gutachtens). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Erstgericht die Wiederholungsgefahr wegen der unbearbeiteten Gewaltproblematik gerade auch an dem sozialen Empfangsraum, in den Kläger nach seiner Haftentlassung voraussichtlich zurückkehren wird und der ihn in seiner frauenfeindlichen Gesinnung eher noch bestärkt, festgemacht hat. Der Gutachter geht ebenfalls davon aus, dass „eine gewisse Handlungsweise unter Gruppendruck gerade (…) bei soziokulturell sozial-mental streng tradierten Normen mehr als denkbar“ ist (S. 58 des Gutachtens) und der Kläger genügend soziale Bindungen zur Großfamilie habe (S. 63 des Gutachtens). Dass der Kläger sein bei den Straftaten zu Tage getretenes und auf tradierte Denkweisen beruhendes Frauen- und Familienbild (nachhaltig) geändert hätte, lässt sich den Ausführungen des Gutachters nicht entnehmen. Auch wenn dieser in Bezug auf Einsicht und Motivation dem Kläger eine aussichtsvolle postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung bescheinigt und ihn „als ausreichend günstig jedenfalls für eine Entlassung“ einstuft, so nimmt er dennoch eine Rückfallwahrscheinlichkeit von acht bzw. zehn Prozent nach sieben bzw. zehn Jahren an. Die vom Gutachter zu erwartende „rasche“ berufliche Integration des Klägers (S. 64 des Gutachtens), auf die die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung mit abstellte, ist ebenfalls noch nicht eingetreten.

Inwiefern die in der Zulassungsbegründung geltend gemachten Zweifel an der Integrität der geschiedenen Ehefrau ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen sollten, ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Schließlich kann der Kläger auch mit dem Einwand, dass neben der bisherigen Straffreiheit, den Zweifeln an der Integrität der Kindsmutter und der fehlenden Wiederholungsgefahr wegen der nicht „umkehrbaren, schweren Beeinträchtigung der Beziehung des Klägers zu seinen Kindern“ ein überwiegendes Bleibeinteresse des Klägers aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK abzuleiten sei und das Verwaltungsgericht rechtfehlerhaft die vorgenannten Belange nicht abgewogen habe, nicht durchdringen. Entgegen dem Vorbringen hat das Gericht die Bindungen des Klägers eingehend gewürdigt und sogar zu seinen Gunsten ein inniges Verhältnis zu seinen Kindern vor der Inhaftierung unterstellt (s. UA S. 27, 29). Das Verwaltungsgericht hat allerdings nachvollziehbar dargelegt, weshalb es zu der Auffassung gelangte, dass die Kinder nicht zu ihrem Wohl auf die Aufrechterhaltung der persönlichen Verbundenheit zum Kläger angewiesen sind (s. UA S. 30 f.). Dem ist der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht bzw. nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten. Vielmehr besteht nach dem insoweit unbestrittenen Vortrag der Beklagten derzeit kein Umgang mit den Kindern, auch wenn sich der Kläger um eine Wiederherstellung des Kontakts bemüht.

d) Unabhängig davon bestehen auch deswegen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, weil sich die Ausweisung jedenfalls aufgrund ihrer auch generalpräventiven Zielsetzung als rechtmäßig erweist. Zu den generalpräventiven Begründungselementen der Ausweisungsentscheidung verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht, obwohl die Beklagte zur Begründung des Ausweisungsinteresses neben spezialpräventiven auch generalpräventive Belange herangezogen hat (s. Bescheid S. 12). Das Verwaltungsgericht hat hierauf gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen und zudem generalpräventive Aspekte bei seiner Entscheidung (s. UA S. 27, 29) eingestellt. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 16 ff.) ist davon auszugehen, dass auch allein generalpräventive Gründe ein Ausweisungsinteresse begründen können. Nach den Ausführungen des Amtsgerichts - Schöffengericht - München im Urteil vom 13. Dezember 2016 waren die Gewalttaten des Klägers gegenüber seiner damaligen Ehefrau von seinen kulturell bedingten Vorstellungen, wie sich Frauen zu verhalten haben und wie auf deren „Verfehlungen“ zu reagieren sei (s. Bl. 543, 546 f. der Behördenakte), getragen. Die bei den Anlasstaten zu Tage getretenen Denkweisen weisen nicht derartig singuläre Züge auf, dass die an sie anknüpfende Ausweisung keine abschreckende Wirkung entfalten könnte. Angesichts der Schwere der Taten und auch aus integrationspolitischen Erwägungen besteht ein hohes öffentliches Interesse für eine ordnungsrechtliche Prävention. Schließlich ist das generalpräventive Ausweisungsinteresse gemessen an den vom Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung aufgestellten Maßstäben (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 23) zum maßgeblichen Zeitpunkt noch aktuell; die absolute Verjährungsfrist bei der vom Kläger u.a. begangenen gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB beträgt zwanzig Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Satz 2 StGB). Demzufolge bestehen im Hinblick auf das (auch) generalpräventiv zu begründende Ausweisungsinteresse jedenfalls keine ernstlichen Zweifel am Ergebnis der Entscheidung.

2. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO liegt ebenfalls nicht vor bzw. ist schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

a) Eine Aufklärungsrüge nach § 86 Abs. 1 VwGO, wie sie der Kläger u.a. erhoben hat, setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (BVerwG, B.v. 8.7.2009 - 4 BN 12.09 - juris Rn. 7).

Der Kläger trägt insoweit vor, dass präsente Zeugen Auskunft über die Beziehung des Klägers zu seinen Kindern vor seiner Inhaftierung hätten geben können. Das Verwaltungsgericht hat in Bezug auf das Verhältnis des Klägers zu seinen Kindern dessen Vortrag zu seinen Gunsten unterstellt (s. UA S. 29 f.) und damit seiner Erörterung und Bewertung zugrunde gelegt. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, inwiefern der klägerische Sachvortrag unrichtig oder unvollständig gewesen sein sollte, so dass sich insoweit eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht aufgedrängt hätte. Die Aufklärungspflicht verlangt nicht, dass das Gericht - aus seiner Sicht unnötige - Ermittlungen anstellt, deren Ergebnis nach seinem materiellrechtlichen Rechtsstandpunkt für den Ausgang des Rechtsstreits unerheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 5.8.2004 - 6 B 31.04 - juris Rn. 6; B.v. 13.9.2016 - 6 B 12.16 - juris Rn. 8 m.w.N.). Soweit der Kläger der Sache nach geltend macht, das Erstgericht hätte sich die rechtliche Auffassung des Klägers zu Eigen machen müssen, verkennt er, dass Rechtsfragen grundsätzlich einer Aufklärungsrüge nicht zugänglich sind, weil der Untersuchungsgrundsatz gemäß § 86 VwGO nur für die Ermittlung und Bewertung von Tatsachen gilt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 19. Aufl. 2019, § 86 Rn. 28).

b) Auch im Übrigen lässt die Würdigung des Tatsachenstoffes durch das Verwaltungsgericht einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht erkennen. Das Gericht darf nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn es nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (vgl. BVerwG, B.v. 9.6.2015 - 6 B 59.14 - juris Rn. 53). Anhaltspunkte hierfür hat der Kläger mit der Zulassungsbegründung nicht aufgezeigt.

c) Schließlich sind auch darüber hinaus keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Verfahrensmangels etwa unter dem Aspekt der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages (§ 86 Abs. 2 VwGO) ersichtlich.

Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO verstößt gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 10.8.2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 10; B.v. 8.3.2006 - 1 B 84.05 - juris Rn. 7), das heißt ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Ansatz rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 23.1.2018 - 10 ZB 17.31099 - juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 11.9.2018 - 10 ZB 18.437 - juris Rn. 19).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers schon deswegen nicht, weil er den Verfahrensmangel in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht konkret bezeichnet hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 124a Rn. 74; Roth in BeckOK, Posser/Wolf, VwGO, Stand 1.10.2018, § 124a Rn. 79 f.). Jedenfalls vermochte der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen nicht darzulegen, dass die Ablehnung seines Beweisantrags als für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts unerheblich im Prozessrecht keine Stütze findet. Denn das Verwaltungsgericht durfte den gestellten Beweisantrag wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit ablehnen, weil es nach seiner maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung davon ausgehen konnte, dass im Fall des Klägers ein überwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1a. AufenthG selbst dann besteht, wenn er bis zu seiner Inhaftierung eine innige und gute Beziehung zu seinen Kindern gehabt und sich um sie gekümmert hätte.

Die Kostenentscheidung folgt nach alledem aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.