Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11

bei uns veröffentlicht am31.03.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 109/11
vom
31. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2011 gemäß den
§§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 30. November 2010 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem hat es ihn in einer Entziehungsanstalt untergebracht sowie zu einer Schadensersatz- und einer Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten verurteilt. Die hiergegen gerichtete , ausschließlich auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349 Abs. 4 StPO) und bleibt im Übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
2. Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte am 24. Oktober 2009 gegen 5.00 Uhr einer Spielhalle verwiesen worden, nachdem er das in einem Automaten steckende Geld eines anderen Gastes eigenmächtig verspielt hatte. Aus „Frust“ hierüber entschloss er sich, den ihm unbekannten , zufällig begegnenden A. zusammenzuschlagen. Während dieser deutlich alkoholisiert war, hatte der Angeklagte eine die Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigende Blutalkoholkonzentration zwischen 0,27 und 0,69 Promille. In der Folge schlug und trat der Angeklagte seinem Zufallsopfer derart ins Gesicht, dass es mit mehreren Frakturen „regungslos und röchelnd“ am Boden liegen blieb und mehrfach operiert werden musste.
3
Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht festgestellt: Dieser ist im Oktober 2002 nach Deutschland übergesiedelt. Sowohl in den ersten sechs Monaten hier als auch zuvor in seinem Herkunftsland Kasachstan hat er „fast jeden Tag“ vor allem Bier und Wodka konsumiert, „bis er betrunken war“. Bereits in der Folge hat er seinen Alkoholkonsum reduziert, weil er deshalb „Probleme im Zusammenhang mit Schlägereien bekam“ und deswegen verurteilt wurde. Den Vorstrafen des Angeklagten, der letztmals am 2. Januar 2006 straffällig geworden ist, liegen dementsprechend u.a. drei im Jahr 2003 jeweils unter Alkoholeinfluss begangene - mit zwei Geldstrafen zu je 50 Tagessätzen sowie einer zweimonatigen Freiheitsstrafe geahndete - Körperverletzungen zugrunde. Nach der jetzigen Tat hat er seinen Alkoholkonsum auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ reduziert und an Wochenenden lediglich noch im Kreis seiner Familie Alkohol getrunken. Der Angeklagte hat Ende 2006 geheiratet und lebt mit seiner Frau und seiner im Folgejahr geborenen Tochter zusammen. Seit Ende 2005 ist er ununterbrochen bei einer Firma als angelernter Fassadenbauarbeiter beschäftigt.
4
3. Die vom Landgericht bejahten Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) liegen danach nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einem Hang, Alkohol „im Übermaß“ zu sich zu nehmen. Deshalb braucht der Senat der Frage, ob die gefährliche Körperverletzung hier als Symptomtat i.S.d. § 64 StGB angesehen werden könnte, nicht nachzugehen.
5
a) Ein Hang i.S.d. § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine chronische, auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist - hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte - oder ohne körperliche Abhängigkeit eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren, und zwar „im Übermaß“. Dies wäre zu bejahen, wenn der Angeklagte aufgrund einer - allein in Betracht kommenden - psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erschiene. Da er keine sog. Beschaffungstat begangen hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210), könnte hierauf indiziell hindeuten , wenn der Angeklagte Alkohol in einem solchen Umfang zu sich nehmen würde, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 406/03, BGHR StGB § 64 Hang 2; BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384; BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08).
6
b) Solches lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Das Landgericht hat vielmehr festgestellt, dass der Angeklagte seit Ende 2005 ohne Unterbrechung beim selben Arbeitgeber im Fassadenbau arbeitet, nachdem es ihm bereits etwa zwei Jahre zuvor, also im Alter von 20 Jahren, gelungen war, weniger Alkohol zu trinken. Der Angeklagte lebt seit mehreren Jahren mit seiner Familie zusammen. Auch der Umstand, dass er im Anschluss an die mehr als 13 Monate vor dem Urteil begangene Tat seinen Alkoholkonsum durchaus steuern, nämlich auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ erneut reduzieren und an Wochenenden lediglich noch auf im Kreis der Familie getrunkenen Alkohol beschränken konnte, spricht gegen eine psychische Abhängigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR 111/08). Die Tat selbst hat der Angeklagte nur geringfügig alkoholisiert, insbesondere ohne erhebliche Einschrän- kung seiner Steuerungsfähigkeit verübt. Da maßgeblich für die Feststellung des Hanges der Zeitpunkt des Urteils ist, kam den im Jahr 2003 unter Alkoholeinfluss begangenen drei Körperverletzungen entgegen der Ansicht des Landgerichts keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kein Raum.
7
4. Da das Landgericht die für die Beurteilung eines Hanges wesentlichen Umstände festgestellt hat, kann der Senat vorliegend ausschließen, dass eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384 mwN).
8
5. Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig , den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Es ist nicht erkennbar, dass der Angeklagte das Urteil nicht angefochten hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden wäre (vgl. BGH aaO). Richter am Bundesgerichtshof Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Graf Elf Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung


(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Ansc

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

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bei uns veröffentlicht am 06.11.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 406/03 vom 6. November 2003 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2003 beschlossen

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3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 31. März 2011 - 1 StR 109/11.

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Tenor I. Der Angeklagte E., ist schuldig des Betrugs in 14 tateinheitlichen Fällen (Tatkomplex I) in Tatmehrheit mit Betrug in 23 tateinheitlichen Fällen (Tatkomplex II) in Tateinheit mit Betrug in 27 tateinheitlichen F

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 406/03
vom
6. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Landshut vom 16. Juni 2003 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Strafkammer hat ohne Rechtsfehler eine erheblich verminderte
Schuldfähigkeit des Angeklagten zu den Tatzeiten verneint. Der Angeklagte,
der mit Haschisch im Kilogrammbereich Handel trieb (zweimal 5 kg, einmal 10
kg), hat zwar wegen seines langjährigen Konsums von Kokain insoweit ein Abhängigkeitssyndrom
entwickelt. Gleichwohl liegt eine erheblich verminderte
Steuerungsfähigkeit bei der hier gegebenen Konstellation - Handeltreiben mit
großen Mengen eines anderen Rauschgiftes - eher fern. Die Strafkammer hat
deshalb zutreffend darauf abgestellt, daß der Angeklagte immer wieder Jobs
fand und zuletzt als Essensausfahrer tätig war. Er hatte eine Freundin kennen
gelernt, zu dieser eine Beziehung aufgebaut und derentwegen auch seinen
Kokainkonsum gedrosselt. Schwere oder gar schwerste Persönlichkeitsveränderungen
oder starke Entzugserscheinungen lagen ebensowenig vor wie eine
bestimmende Furcht vor solchen. Unter diesen Umständen hat das Landgericht
zu Recht die Frage einer etwaigen Erheblichkeit verminderten Steuerungsver-
mögens verneint und ist insoweit von der Bewertung des Sachverständigen
abgewichen.
Letzteres ist ebenfalls rechtens: Der Senat hat wiederholt hervorgehoben
, daß es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit
"erheblich" im Sinne des § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt. Diese hat
der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten.
Dabei fließen normative Erwägungen mit ein. Die rechtliche Erheblichkeit
der Verminderung des Hemmungsvermögens hängt überdies von den Anforderungen
ab, die die Rechtsordnung an das Verhalten des einzelnen zu
stellen hat. Dies zu bewerten und zu entscheiden ist Sache des Richters. Allein
zur Beurteilung der Vorfrage nach den medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen
bedarf er sachverständiger Hilfe, sofern er hierzu nicht aufgrund
eigener Sachkunde befinden kann (BGHSt 43, 66, 77; BGH StV 1999,
309, 310; BGH, Urt. vom 10. September 2003 - 1 StR 147/03).
2. Von Rechts wegen ist schließlich nichts dagegen zu erinnern, daß die
Strafkammer davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt anzuordnen (§ 64 StGB). Voraussetzung für eine solche
Unterbringung ist unter anderem ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß
zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte
, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene
intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren,
wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht
haben muß (vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Körner BtMG 5. Aufl. §
35 Rdn. 297; Hanack in LK 11. Aufl. § 64 Rdn. 40, jeweils m.w.N.). "Im Übermaß"
bedeutet, daß der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang
zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch
erheblich beeinträchtigt wird (BGH NStZ-RR 2003, 106; Körner aaO.; Hanack
aaO. Rdn. 44 m.w.N. in Fußn. 12). Solches ist den Urteilsgründen hier nicht zu
entnehmen. Zudem ist auch die Verneinung des symptomatischen Zusammenhanges
zwischen dem Hang des Angeklagten, Kokain zu sich zu nehmen und
den abgeurteilten Fällen des Handeltreibens mit Haschisch in nicht geringen
Mengen rechtsfehlerfrei (vgl. dazu nur BGH NStZ 2003, 86).
Nack Boetticher Schluckebier
Hebenstreit Elf

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 451/03
vom
6. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Mannheim vom 3. Juni 2003 wird mit der Maßgabe
verworfen, daß die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt entfällt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem wurde er in einer Entziehungsanstalt untergebracht (§ 64 StGB) und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Geschädigten verurteilt. Der Verurteilung liegt folgendes zu Grunde: R. L. hatte den Angeklagten gegenüber der Polizei verdächtigt, am 30. Juli 2002 ihre Scheckkarte entwendet zu haben. Die Polizei fand die Scheckkarte bei ihm, außerdem hatte er kurz nach dem Verschwinden der Scheckkarte damit Geld vom Konto der R. L. abgehoben. Der Angeklagte forderte seinen Bekannten W. S. , den Freund der R. L. auf, diese zur Rücknahme der Anzeige zu bewegen. S. wei-
gerte sich jedoch. Aus Ärger hierüber drang der Angeklagte am 8. August 2002 in angetrunkenem Zustand gewaltsam in die im vierten Stock gelegene Wohnung S. s ein, zog den ebenfalls angetrunkenen, ihm körperlich unterlegenen S. gewaltsam aus dem Bett und warf ihn schließlich aus dem Fenster aus über zehn Meter Höhe in den Garten. S, wurde schwer verletzt und überlebte nur dank glücklicher Umstände.

II.

Die auf mehrere Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349 Abs. 4 StPO), bleibt aber im übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Hinsichtlich der Verfahrensrügen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug. 2. Hinsichtlich des Schuldspruchs, des Strafausspruchs und des Schmerzensgeldes hat die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 3. Die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt liegen dagegen nicht vor.
a) Der Angeklagte trinkt seit etwa 20 Jahren, zwar zunehmend, aber nach wie vor nur „gelegentlich Alkohol im Übermaß“. Er hat ein „sich anbahnendes Alkoholproblem“. Der sich daraus ergebende Hang zeige sich „andeutungsweise“ auch schon in den Taten, die früheren Verurteilungen zu Grunde liegen. Die – zahlreichen – früheren Taten sind detailliert mitgeteilt, ein Zusammenhang mit Alkohol ist jedoch nur vereinzelt er-
sichtlich. Letztmals war der Angeklagte danach bei einem 1994 began- genen Einbruch in ein Büro angetrunken, die letzte Vorstrafe überhaupt (30 Tagessätze wegen Diebstahls einer Klingelanlage) erfolgte 1998.
b) Die Annahme, ein Alkoholproblem bahne sich erst an, erscheint mit der Annahme, ein Hang zu Alkoholmissbrauch zeige sich auch an Taten, die schon etliche Jahre zurück liegen, nicht ohne weiteres vereinbar. Der Senat braucht dem aber nicht näher nachzugehen. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine chronische , auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist, oder wenn zwar noch keine körperliche Abhängigkeit besteht, jedoch eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4, 5; BGH b. Detter NStZ 2003, 133, 138; Hanack in LK 11. Aufl. § 64 Rdn. 40 jew. m.w.N.) Für all dies fehlen jedoch Anhaltspunkte.
c) Hinzukommen müßte außerdem, daß der Angeklagte die Rauschmittel „im Übermaß“ konsumiert. Dies bedeutet, daß er sie in einem solchen Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (BGH b. Detter aaO; Körner BtMG 5. Aufl. § 35 Rdn. 297; Hanack aaO Rdn. 44 m.w.N. in Fußn. 12). Die Strafkammer stellt demgegenüber ausdrücklich fest, daß der Angeklagte „gesund“ und „uneingeschränkt arbeitsfähig“ ist.
d) Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kein Raum. Gelegentliches Sich-Betrinken in Verbindung mit Straffälligkeit im Rausch genügt hierfür nicht (BGH, Beschluß
vom 15. Oktober 1996 – 1 StR 591/96; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1 m.w.N.). 4. Unter den hier gegebenen Umständen kann der Senat ausschließen, daß eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Februar 2003 – 1 StR 7/03; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 354 Rdn. 32 m.w.N.).

III.

Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Es ist nämlich nicht erkennbar, daß der Angeklagte das Urteil nicht angefochten hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden wäre ( BGH aaO; BGH NStZ-RR 1998, 70 m.w.N.). Der Angeklagte hat die Tat in der Hauptverhandlung bestritten. Mit seinen Verfahrensrügen hat er unter anderem geltend gemacht, sein früheres Geständnis sei unverwertbar gewesen und die Feststellung, daß eine Zeugin das Tatgeschehen beobachtet hat, sei nicht rechtsfehlerfrei getroffen worden. Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 56/08
vom
1. April 2008
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 1. April 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Oktober 2007 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen schweren Raubes in Tateinheit mit räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner eine isolierte Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Das Rechtsmittel hat jedoch insoweit Erfolg , als das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen.
3
1. Nach den Feststellungen konsumiert der Angeklagte bereits seit seinem 16. Lebensjahr in großen Mengen Alkohol. Ab Anfang des Jahres 2007, mithin auch während des Tatzeitraums, hatte er zwei- oder dreimal wöchentlich einen Vollrausch. Insbesondere an den Wochenenden trank er acht bis zehn halbe Liter Bier und bis zu einer Flasche Wodka täglich. Mit 17 Jahren begann er zusätzlich Haschisch zu rauchen und ab dem 20. Lebensjahr zeitweise täglich Kokain zu schnupfen. Bei Begehung sämtlicher Taten war der Angeklagte alkoholisiert und stand teilweise zusätzlich unter erheblichem Drogeneinfluss. Während des ca. 1 ½ Stunden dauernden Raubgeschehens zum Nachteil der Nebenklägerin trank der Angeklagte mindestens vier Flaschen Bier. Bei Begehung der letzten Tat, bei der es anlässlich seiner Festnahme zu Widerstandsund Körperverletzungshandlungen kam, wies der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration von über 2 ‰ auf. Der wegen Körperverletzungsdelikten vorgeahndete Angeklagte weiß, dass er unter Alkoholeinfluss zu aggressivem Verhalten neigt. Bei drei der fünf ausgeurteilten Taten hat das Landgericht nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte infolge einer akuten Alkohol- bzw. Drogenintoxikation im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert steuerungsfähig war.
4
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen einen Hang des Angeklagten, berauschende Mittel, nämlich Alkohol und Drogen, im Übermaß zu sich zu nehmen, "noch nicht" anzunehmen vermocht. Zwar lie- ge beim Angeklagten ein problematischer Umgang mit Suchtmitteln vor, eine erhebliche Beeinträchtigung der Arbeits-, Gesundheits- und Leistungsfähigkeit im Sinne einer schweren süchtigen Fehlhaltung könne bei ihm jedoch noch nicht festgestellt werden.
5
2. Diese Begründung lässt besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
6
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 210). Insoweit kann auch dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen erheblich beeinträchtigt ist, indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus.
7
Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier schon angesichts der getroffenen Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten auf. Aber auch die festgestellte Neigung des Angeklagten, unter Alkoholeinfluss Aggressionshandlungen zu begehen, deutet auf eine abhängigkeitsbedingte soziale Gefährdung und Gefährlichkeit des Angeklagten hin, zumal dieser in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Körperverletzungsde- likten verurteilt worden ist. Der Bejahung eines Hanges steht demgegenüber nicht entgegen, dass der Angeklagte nach seiner Inhaftierung körperliche Entzugserscheinungen nicht aufwies, mithin eine körperliche Abhängigkeit (noch) nicht festgestellt werden konnte. Ebenso wenig ist für die Annahme eines Hanges - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - erforderlich, dass bei dem Täter infolge der Rauschmittelabhängigkeit bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (vgl. BGH NStZ 2007, 697; BGH NStZ-RR 2008, 8).
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Auch der Symptomwert der festgestellten Taten für den Hang des Angeklagten liegt - entgegen der Auffassung des Landgerichts - nahe mit Blick auf dessen Neigung, nach übermäßigem Rauschmittelkonsum Aggressionshandlungen - wie sie hier mit Ausnahme der Trunkenheitsfahrt durchweg vorliegen - zu begehen. Anhaltspunkte dafür, dass eine stationäre Therapie bei dem vergleichsweise jungen und bislang noch nicht behandelten Angeklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB), oder dass andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen, ergeben die bisherigen Feststellungen nicht.
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Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb der erneuten Prüfung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls § 67 Abs. 2 StGB n.F. zu beachten haben.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 451/03
vom
6. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. November 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts Mannheim vom 3. Juni 2003 wird mit der Maßgabe
verworfen, daß die Unterbringung des Angeklagten in einer
Entziehungsanstalt entfällt.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem
Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem wurde er in einer Entziehungsanstalt untergebracht (§ 64 StGB) und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Geschädigten verurteilt. Der Verurteilung liegt folgendes zu Grunde: R. L. hatte den Angeklagten gegenüber der Polizei verdächtigt, am 30. Juli 2002 ihre Scheckkarte entwendet zu haben. Die Polizei fand die Scheckkarte bei ihm, außerdem hatte er kurz nach dem Verschwinden der Scheckkarte damit Geld vom Konto der R. L. abgehoben. Der Angeklagte forderte seinen Bekannten W. S. , den Freund der R. L. auf, diese zur Rücknahme der Anzeige zu bewegen. S. wei-
gerte sich jedoch. Aus Ärger hierüber drang der Angeklagte am 8. August 2002 in angetrunkenem Zustand gewaltsam in die im vierten Stock gelegene Wohnung S. s ein, zog den ebenfalls angetrunkenen, ihm körperlich unterlegenen S. gewaltsam aus dem Bett und warf ihn schließlich aus dem Fenster aus über zehn Meter Höhe in den Garten. S, wurde schwer verletzt und überlebte nur dank glücklicher Umstände.

II.

Die auf mehrere Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349 Abs. 4 StPO), bleibt aber im übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Hinsichtlich der Verfahrensrügen nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug. 2. Hinsichtlich des Schuldspruchs, des Strafausspruchs und des Schmerzensgeldes hat die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 3. Die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt liegen dagegen nicht vor.
a) Der Angeklagte trinkt seit etwa 20 Jahren, zwar zunehmend, aber nach wie vor nur „gelegentlich Alkohol im Übermaß“. Er hat ein „sich anbahnendes Alkoholproblem“. Der sich daraus ergebende Hang zeige sich „andeutungsweise“ auch schon in den Taten, die früheren Verurteilungen zu Grunde liegen. Die – zahlreichen – früheren Taten sind detailliert mitgeteilt, ein Zusammenhang mit Alkohol ist jedoch nur vereinzelt er-
sichtlich. Letztmals war der Angeklagte danach bei einem 1994 began- genen Einbruch in ein Büro angetrunken, die letzte Vorstrafe überhaupt (30 Tagessätze wegen Diebstahls einer Klingelanlage) erfolgte 1998.
b) Die Annahme, ein Alkoholproblem bahne sich erst an, erscheint mit der Annahme, ein Hang zu Alkoholmissbrauch zeige sich auch an Taten, die schon etliche Jahre zurück liegen, nicht ohne weiteres vereinbar. Der Senat braucht dem aber nicht näher nachzugehen. Ein Hang im Sinne des § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine chronische , auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist, oder wenn zwar noch keine körperliche Abhängigkeit besteht, jedoch eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 4, 5; BGH b. Detter NStZ 2003, 133, 138; Hanack in LK 11. Aufl. § 64 Rdn. 40 jew. m.w.N.) Für all dies fehlen jedoch Anhaltspunkte.
c) Hinzukommen müßte außerdem, daß der Angeklagte die Rauschmittel „im Übermaß“ konsumiert. Dies bedeutet, daß er sie in einem solchen Umfang zu sich nimmt, daß seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (BGH b. Detter aaO; Körner BtMG 5. Aufl. § 35 Rdn. 297; Hanack aaO Rdn. 44 m.w.N. in Fußn. 12). Die Strafkammer stellt demgegenüber ausdrücklich fest, daß der Angeklagte „gesund“ und „uneingeschränkt arbeitsfähig“ ist.
d) Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kein Raum. Gelegentliches Sich-Betrinken in Verbindung mit Straffälligkeit im Rausch genügt hierfür nicht (BGH, Beschluß
vom 15. Oktober 1996 – 1 StR 591/96; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1 m.w.N.). 4. Unter den hier gegebenen Umständen kann der Senat ausschließen, daß eine neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Februar 2003 – 1 StR 7/03; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 354 Rdn. 32 m.w.N.).

III.

Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). Es ist nämlich nicht erkennbar, daß der Angeklagte das Urteil nicht angefochten hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden wäre ( BGH aaO; BGH NStZ-RR 1998, 70 m.w.N.). Der Angeklagte hat die Tat in der Hauptverhandlung bestritten. Mit seinen Verfahrensrügen hat er unter anderem geltend gemacht, sein früheres Geständnis sei unverwertbar gewesen und die Feststellung, daß eine Zeugin das Tatgeschehen beobachtet hat, sei nicht rechtsfehlerfrei getroffen worden. Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.