Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2010 - 1 StR 181/10

bei uns veröffentlicht am08.06.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 181/10
vom
8. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 3. November 2009 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Es kann dahinstehen, ob die Rüge (Nr. III) der Verletzung des § 244 Abs. 5 StPO im Hinblick auf die Darlegungserfordernisse des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO in zulässiger Form erhoben wurde.
Denn es kann jedenfalls ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf einer Nichtberücksichtigung des in der Revisionsbegründung zitierten Gesprächsteils beruhen kann. Die Strafkammer hat aufgrund einer sehr ausführlichen und sorgfältigen Beweiswürdigung ihre Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der umfassenden und sehr differenzierten Angaben der Geschädigten gewonnen, insbesondere von deren Erlebnisbezug. Das Landgericht hat sich dabei mit allen in Frage stehenden Gegenhypothesen auseinandergesetzt, so auch mit der Möglichkeit einer Fremdsuggestion. Dafür, so die Strafkammer, wäre die Mutter der Geschädigten grundsätzlich in Betracht gekommen. Die Strafkammer hat es jedoch schon rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass es in der Kürze der für eine Einflussnahme zur Verfügung stehenden Zeit möglich gewesen wäre, eine derartig komplexe Aussage der Tochter zu suggerieren (UA S. 67). Außerdem ergab die in der Hauptverhandlung umfassend angehörte (Privat-)aufzeichnung der Befragung der Geschädigten am 21. September 2009 durch die Mutter und die Zeugin K. ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 68) „nicht, dass die Zeugin [die Geschädigte] in suggestiver Weise befragt wurde“. Darauf, dass sich die Mutter in dem in Frage stehenden Gesprächsausschnitt vom Tag zuvor einer entsprechenden Einflussmöglichkeit zu berühmen scheint, kommt es daher nicht an. Der Senat weist erneut darauf hin, dass es bei einer nur ausschnittsweisen Verlesung eines Schriftstücks - bzw., wie hier, einer nur teilweisen Anhörung eines aufgenommenen Gesprächs - der genauen Bezeichnung der verlesenen bzw. angehörten Abschnitte in der Sitzungsniederschrift bedarf. Die bloße Dokumentation einer „teilweisen“ Verlesung oder Anhörung genügt in aller Regel nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Juli 2003 - 1 StR 34/03; 25. Oktober 2006 - 1 StR 424/06; 21. November 2006 - 1 StR 477/06).
Eine Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) hätte im vorliegenden Fall möglicherweise zur Klärung des Umfangs der Anhörung des aufgezeichneten Gesprächs in der Hauptverhandlung beitragen können und wäre deshalb zweckmäßig gewesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2006 - 1 StR 503/06 Rdn. 10; 11. April 2007 - 3 StR 114/07 Rdn. 11; 19. Februar 2008 - 1 StR 62/08). Nack Rothfuß Hebenstreit Graf Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2010 - 1 StR 181/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2010 - 1 StR 181/10

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 347 Zustellung; Gegenerklärung; Vorlage der Akten an das Revisionsgericht


(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine sch
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2010 - 1 StR 181/10 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 347 Zustellung; Gegenerklärung; Vorlage der Akten an das Revisionsgericht


(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine sch

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Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2010 - 1 StR 181/10 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Okt. 2006 - 1 StR 503/06

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 34/03 vom 17. Juli 2003 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2003 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das U
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2010 - 1 StR 181/10.

Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2019 - 3 StR 462/17

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 34/03
vom
17. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2003 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 2. August 2002 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg: Die Strafkammer hat handschriftlich von der Zeugin I. A. niedergelegte Schriftstücke, vornehmlich Briefe, zur Beweisführung gegen den die Taten bestreitenden Angeklagten verwendet, die nicht vollen Umfangs Gegenstand der Beweiserhebung waren. Zu Recht beanstandet die Revision, daß das Landgericht bei seiner Beweisführung Beweismittel verwertet, die es nicht prozeßordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt hat und deshalb seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht vollständig aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft hat (§ 261 StPO).
1. Die Strafkammer stellt für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin I. A. , der Schwiegertochter des Angeklagten und den Urteilsgründen zufolge Opfer der Vergewaltigungen, maßgeblich auch darauf ab, daß der Angeklagte der Zeugin mehrere Briefe und eine Bestätigung "Wort für Wort" diktiert habe. Die Verteidigung hatte diese Texte im Verfahren - zum Teil in Kopie - vorgelegt, um zu belegen, daß die Zeugin I. A. sich gegen ihre eigenen Eltern gewandt habe und daß sie Gerüchten entgegengetreten sei, sie werde in der Familie ihres Ehemannes und ihres Schwiegervaters - des Angeklagten - isoliert und schlecht behandelt. I. A. hat hingegen ausgesagt , sie habe die Schriftstücke auf Veranlassung des Angeklagten schreiben müssen; dieser habe ihr die Texte, die auch unzutreffende Behauptungen enthalten hätten, Wort für Wort diktiert. Die Strafkammer hat die Aussage I. A. s für glaubhaft erachtet. Sie ist ihr auch insoweit gefolgt, als sie bekundet hat, der Angeklagte habe sie angehalten, die Texte zu schreiben und ihr diese wörtlich diktiert. Dabei stützt sich die Strafkammer auf das aussagepsychologische Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. , dem die Texte der Zeugin I. A. als Anknüpfungstatsachen zur Verfügung standen; darüber hinaus nimmt sie aber auch eine eigenständige Bewertung der Schriftsücke vor. Sie hebt hervor, daß „die Formulierungen, der Satzbau und die gesamte Diktion der Briefe (Bl. 92/99 und 101/106 d.A.)“ eindeutig dagegen sprächen, daß diese dem Inhalt nach von I. A. stammten (UA S. 152). 2. Die in Rede stehenden, handschriftlich von der Zeugin I. A. verfaßten Urkunden sind in den Urteilsgründen vollständig in Ablichtung wiedergegeben ("hineinkopiert"; UA S. 14 a bis 14 n) worden. In der Beweisaufnahme sind sie laut Protokoll überwiegend nur "auszugsweise" verlesen worden (§ 249 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die verlesenen Teile wurden dabei - entgegen § 273 Abs. 1 StPO (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 273 Rdn. 16)
nicht bezeichnet. Im Hinblick auf die insoweit unklare Sitzungsniederschrift hat der Senat auf entsprechenden Vortrag der Revision im Wege des Freibeweises zum Umfang der Verlesung Dienstliche Äußerungen der berufsrichterlichen Mitglieder der Strafkammer eingeholt. Diese ergaben, daß weite Teile der Schreiben nicht Gegenstand der Urkundsbeweiserhebung waren. 3. Die Strafkammer hat damit ihre Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nicht allein aus dem Inhalt der Hauptverhandlung geschöpft (§ 261 StPO).
a) Die von I. A. niedergelegten Texte sind in ihrer Deutung tragende Elemente der Beweisführung des Landgerichts. Sie sind mehrere Seiten lang; die Strafkammer stellt auf die Formulierungen, namentlich den Satzbau und den Stil ab. Sie durften daher nicht nur im Wege der Zeugenaussage auf Vorhalt hin und als Anknüpfungstatsachen durch das Sachverständigengutachten in die Beweisaufnahme eingeführt werden; sie bedurften vielmehr des Urkundsbeweises , wenn die Strafkammer unmittelbar auf sie zurückgreifen und nicht nur das Sachverständigengutachten als Beweismittel heranziehen wollte (vgl. BGHSt 11, 159).
b) Die Strafkammer hat die Texte auch zum Zwecke des Beweises verwertet , nicht nur zur Vervollständigung der Urteilsgründe mit nicht beweisbedürftigen Tatsachen (vgl. BGHSt 11, 159, 162). Die Formulierungen der Texte werden für die Bewertung herangezogen, daß diese in ihrem gedanklichen Inhalt und in der Fassung vom Angeklagten herrühren und dieser sie der Zeugin I. A. diktiert habe. Dies aber ist mittragend dafür, daß die Strafkammer die Aussage I. A. s für glaubhaft erachtet hat.
4. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß das Urteil auf dem Verfahrensverstoß beruht. Die Existenz, den Inhalt und die eigenhändige Niederschrift der Urkunden durch die Zeugin I. A. haben Verteidigung und Angeklagter zwar nicht bestritten, vielmehr die Schriftstücke als von I. A. verfaßt vorgelegt. Für die Beweiswürdigung ist es danach aber weiter darauf angekommen, ob die Texte nach Formulierung und Diktion vom Angeklagten diktiert waren und auch gedanklich von ihm stammten, wie die Zeugin A. bekundet hat. Daß für die Beweisführung hier möglicherweise schon die auszugsweise Verlesung weiter Teile der Schriftstücke und das Sachverständigengutachten eine hinreichend tragfähige Beweisgrundlage hätten abgeben können, muß dahingestellt bleiben. Die Strafkammer hat die Texte vollständig in die Urteilsgründe eingefügt und sie damit von Anfang bis Ende beweiskräftig festgestellt. Sie hat sie - neben dem Sachverständigengutachten - einer Würdigung unterzogen, bei der sie u.a. auf die "gesamte Diktion" abhebt und in Klammern zudem die Blattzahlen der Aktenfundstellen zitiert, welche die Schriftstücke vollumfänglich bezeichnen. Daraus erhellt, daß sie bei ihrer Beweiswürdigung auf die gesamten Urkunden zugegriffen hat. An dieser Bewertung mußten die beiden Schöffen teilhaben, die ihr Richteramt gleichwertig ausüben, denen aber der "Blick in die Akten" grundsätzlich verwehrt ist. Unter diesen Umständen steht fest, daß die Strafkammer - unter Mitwirkung der Schöffen - die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten auch auf der Grundlage der vollständigen, originalgetreu im Wege der Ablichtung in die Urteilsgründe aufgenommenen in Rede stehenden Schriften der Zeugin I. A. gewonnen hat, diese aber nicht vollständig Gegenstand einer prozeßordnungsgemäßen Beweiserhebung waren.
Das angefochtene Urteil unterliegt infolgedessen der Aufhebung; die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Nack Schluckebier Herr RiBGH Dr. Kolz ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack
Hebenstreit Frau Richterin am BGH Elf ist in Urlaub und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack

(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Wird das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten, so gibt der Staatsanwalt in dieser Frist eine Gegenerklärung ab, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird. Der Angeklagte kann die Gegenerklärung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgeben.

(2) Nach Eingang der Gegenerklärung oder nach Ablauf der Frist sendet die Staatsanwaltschaft die Akten an das Revisionsgericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 503/06
vom
24. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Oktober 2006 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Kempten (Allgäu) vom 5. Juli 2006 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Der zur Tatzeit fast 19 Jahre alte Angeklagte wurde wegen Mordes zu Jugendstrafe verurteilt. Seine Revision, die auf eine Reihe von Verfahrensrügen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützt ist, ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Revision rügt, es sei "keine ordnungsgemäße Terminsladung gegenüber der Jugendgerichtshilfe" erfolgt. Sollte damit gemeint sein, dass die Jugendgerichtshilfe nicht zur Hauptverhandlung geladen worden sei, wäre der Vortrag unwahr (vgl. SA Bd. III Bl. 624, SA Bd. IV Bl. 654). Sollte gemeint sein, die Jugendgerichtshilfe sei zwar geladen worden, aber nicht ordnungsgemäß, wäre der Vortrag mangels weiterer Darlegungen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) aus sich heraus nicht verständlich. Die Bewertung eines Vorgangs als nicht ordnungsgemäß kann Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung dieses Vorgangs sein, die konkrete Angabe von Tatsachen, die diese Bewertung tragen sollen, aber nicht ersetzen (vgl. BGH NJW 2006, 1220, 1222).
3
2. Ist die Jugendgerichtshilfe geladen, ergibt sich allein daraus, dass in der Hauptverhandlung niemand von der Jugendgerichtshilfe anwesend war, kein Rechtsfehler (BGH StraFo 2003, 379 m. w. N.). Die auch im Übrigen unzutreffende Auffassung der Revision, Hinweise gemäß § 265 StPO müssten auch gegenüber der Jugendgerichtshilfe erteilt werden, geht auch deshalb ins Leere.
4
3. Soweit die Revision rügt, der Jugendhilfebericht sei in der Hauptverhandlung verlesen worden, trägt sie nicht vor, dass dies im allseitigen Einverständnis geschah (SA Bd. IV Bl. 678). Damit fehlt auch insoweit gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotener Vortrag. Der Hinweis auf das allseitige Einverständnis zeigt nämlich die Rechtsgrundlage auf, auf die die Verlesung gestützt wurde. Dies ist für die Prüfung der Zulässigkeit der Verlesung wesentlich. Das Ergebnis dieser Prüfung könnte unterschiedlich ausfallen, je nachdem, ob die Verlesung etwa auf § 256 StPO gestützt war (vgl. hierzu Diemer in KK 5. Aufl. § 256 Rdn. 5; Laubenthal, Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren 1993 S. 118 m. w. N.), oder wie offenbar hier, auf § 251 Abs.1 Nr.1 StPO (vgl. zum inhaltlich identischen § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO a. F. Laubenthal aaO S. 118, 119). Näher nachzugehen braucht der Senat alledem im Hinblick auf den unzureichenden Revisionsvortrag aber nicht. Da die Revision auch den Inhalt des Jugendhilfeberichts nicht mitteilt, könnte der Senat im Übrigen selbst dann, wenn feststünde , dass die Verlesung fehlerhaft war - was nicht der Fall ist -, ohnehin nicht prüfen, ob sie sich zum Nachteil des Angeklagten auf das Urteil ausgewirkt haben kann.
5
4. Die Revision macht geltend, es sei keine Gelegenheit zur Stellungnahme nach der Verlesung des Jugendhilfeberichts erteilt worden.
6
Hinsichtlich des Angeklagten ist dies ausweislich des (von der Revision auch insoweit nicht vorgetragenen) Hauptverhandlungsprotokolls falsch (SA Bd. IV Bl. 678).
7
Dem Verteidiger ist die Befugnis, sich nach einer Beweiserhebung zu äußern - ebenso wie dem Staatsanwalt - nur auf Verlangen einzuräumen, § 257 Abs. 2 StPO. Dementsprechend muss derjenige, der eine Verletzung dieses Rechts rügen will, vortragen, dass er sich zu Wort gemeldet habe, um eine solche Erklärung abzugeben, ihm dies aber verwehrt worden sei (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 257 Rdn. 26). Schon daran fehlt es. Ebenso wenig ist vorgetragen, dass der als Voraussetzung für eine derartige Verfahrensrüge in der Regel erforderliche Gerichtsbeschluss (§ 238 Abs. 2 StPO) eingeholt wurde (vgl. Julius in HK 3. Aufl. § 257 Rdn. 10, 12; Diemer in KK 5. Aufl. § 257 Rdn. 5), und warum, vor allem im Hinblick auf die Schlussausführungen (§ 258 Abs. 1 StPO), die behauptete Verletzung von § 257 Abs. 2 StPO auf das Urteil irgend einen Einfluss gehabt haben könnte (vgl. Julius aaO Rdn. 12; Gollwitzer aaO Rdn. 27, 28 m. w. N.).
8
5. Die Revision macht geltend, es wäre möglich gewesen, einen während der Hauptverhandlung gemäß § 265 StPO erteilten Hinweis schon in einem früheren Stadium der Hauptverhandlung zu erteilen. Es trifft zu, dass ein Hinweis gemäß § 265 StPO zu erteilen ist, sobald sich erstmals die Möglichkeit einer anderen rechtlichen Beurteilung ergibt, also so früh wie möglich (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 265 Rdn. 32; Engelhardt in KK 5. Aufl. § 265 Rdn. 18 m. w. N.). Ob dies hier der Fall war, mag dahinstehen. Eine Verfahrensrüge , der Hinweis sei verspätet erfolgt, kann jedoch in aller Regel keinen Erfolg haben, wenn - wie auch hier - kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt worden war (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 1982 - 2 StR 182/82; Engelhardt aaO). Hierauf hat auch der Vertreter der Nebenklage im Rahmen seines Schriftsatzes vom 14. September 2006 zur Erwiderung auf das vom 14. September 2006 zur Erwiderung auf das Revisionsvorbringen zutreffend hingewiesen. Gründe des Einzelfalls, die vorliegend ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar.
9
6. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, wie dies auch der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend vorgetragen hat.
10
7. Der Senat bemerkt, dass es zweckmäßig gewesen wäre, wenn die Staatsanwaltschaft gemäß § 347 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Möglichkeit einer Revisionsgegenerklärung Gebrauch gemacht hätte (vgl. BGH StV 2006, 286, 287 m. w. N.). Insbesondere Hinweise auf die Ladung der Jugendgerichtshilfe (vgl. oben 1.), das allseitige Einverständnis mit der Verlesung des Jugendhilfeberichts (vgl. oben 3.) und die Beachtung von § 257 Abs.1 StPO in der Hauptverhandlung (vgl. oben 4.) hätten die Überprüfung des entsprechenden Revisionsvorbringens nicht unerheblich erleichtert (Nr. 162 Abs. 2 RiStBV). Auch Hinweise des Vorsitzenden auf die genannten Punkte hätten hilfreich sein können (vgl. BGH StraFo 2003, 379, 380 m. w. N.). Nack Wahl Boetticher Kolz Elf