Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2018 - 1 StR 196/18

bei uns veröffentlicht am01.08.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 196/18
vom
1. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2018:010818B1STR196.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO am 1. August 2018 beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 22. Dezember 2017 mit Ausnahme der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Ihr hiergegen mit der Sachrüge begründetes Rechtsmittel führt mit Ausnahme der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen zur Aufhebung des Urteils.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Im Spätsommer bis Herbst 2016 wurde die damals 21 Jahre alte Angeklagte von ihrem Lebensgefährten ungewollt schwanger. Die Angeklagte, die bereits mit 17 Jahren erstmals schwanger gewesen war, aber von ihrem damaligen Partner nach Mitteilung der Schwangerschaft derart in den Bauch getreten und geschlagen wurde, dass sie eine Fehlgeburt erlitten hatte, verdrängte die Schwangerschaft zunächst. Aus ihrem persönlichen Umfeld wiederholt auf körperliche Veränderungen angesprochen, stellte sie eine Schwangerschaft entschieden in Abrede. Spätestens im Februar 2017 wusste die Angeklagte aufgrund der Kindsbewegungen, dass sie schwanger war. Sie bestritt dies aber gegenüber ihrem Umfeld „vehement, energisch und teilweise regelrecht genervt“. Sie trug weitgeschnittene Kleidung und schränkte intimen Kontakt mit ihrem Partner weitgehend ein. Ihrer Mutter gegenüber gab sie wahrheitswidrig an, ein Arzt habe ihr bestätigt, nicht schwanger zu sein.
4
Die Angeklagte handelte so, da sie kein Kind wollte und nicht bereit war, ihren Lebenszuschnitt aufzugeben oder einem Kind unterzuordnen. An eine Geburt mit anschließender Weggabe des Babys dachte die Angeklagte nur kurz. „Vielmehr befasste sie sich nicht nur allgemein mit dem Vorhaben, die Schwangerschaft bis zuletzt zu verdecken und damit diese auch nach einer Geburt nicht offenbar werden zu lassen, sondern auch gedanklich damit, das Neugeborene als reinen ‚Störfaktor‘ zu ‚beseitigen‘, ‚verschwinden zu lassen‘ bzw. zu töten.“
5
Zwar ging die Angeklagte davon aus, dass alsbald die Geburt bevorstand , dennoch trat sie am 17. Mai 2017 „ohne Rücksicht auf die bevorstehen- de Geburt unbekümmert“ zusammen mit ihrem Partner einen einwöchigen Ur- laub mit Freunden am 800 km von ihrem Zuhause entfernten W. an. Während des einwöchigen Aufenthalts in einem Ferienhaus ging die Angeklagte weiter davon aus, sie könne das Baby nach der Geburt unbemerkt „beseiti- gen“ bzw. töten. Als sie am Abreisetag, dem 24. Mai 2017 Krämpfe bekam, trat die Gruppe gemeinsam die etwa neunstündige Heimreise an. Dabei fuhr die Angeklagte im Fahrzeug ihres Partners, die Freunde in einem anderen Fahrzeug. Jedoch fuhren die Fahrzeuge hintereinander her und hatten Funkkontakt, so dass Pausen während der gesamten Rückfahrt von der Gruppe gemeinsam verbracht wurden. Auf Wunsch der Angeklagten erfolgten mehrere Pausen.
6
Wegen des Einsetzens der Wehen wurde der Angeklagten klar, dass die Geburt kurz bevor stand. Ihrem Partner, der mehrmals fragte, ob sie nicht einen Arzt oder ein Krankenhaus aufsuchen sollten, teilte sie dies allerdings nicht mit. Gegen 23 Uhr bat sie ihren Partner erneut um eine Rast, da sie ein „kleines Problem“ erledigen müsse. So hielt die Kolonne auf einer Bundesstraße in Hö- he eines landwirtschaftlichen Anwesens. Die Angeklagte gab an, wegen der Schmerzen kurze Zeit allein sein zu wollen und begab sich auf einen 40 m entfernten unbeleuchteten Grünstreifen. Zur Übergabe der von ihrem Partner erbetenen Küchenrolle ging sie ihm entgegen. Sodann legte sie sich hinter mehreren Strohballen auf den Rücken und gebar ein lebensfähiges Mädchen. Aus Angst vor Entdeckung unterdrückte sie dabei Schreie. Sie biss die Nabelschnur mit den Zähnen durch. Als das Kind schrie, entschloss sie sich „jetzt – und un- beeindruckt von dem direkt vor ihr liegenden strampelnden Neugeborenen – endgültig und geleitet von ihren selbstsüchtigen Motiven dazu, das Neugebore- ne zu töten.“ Hierzu hielt sie dem Baby den Mund zu und formte aus der Kü- chenrolle einen Pfropfen, den sie ihm tief in den Mund- und Rachenraum stopfte. Sie ließ das Baby nackt in der Wiese liegen und ging zurück zu ihren Begleitern. Dort wischte sie sich ihre blutverschmierten Arme und Beine ab, wechselte die Hose und gab als Erklärung an, sie habe sich eine Zyste gezogen. Das Baby erstickte wenige Minuten später.
7
Nach Hause zurückgekehrt, verhielt sich die Angeklagte „als seinichts gewesen“ und nahm ihren üblichen Tagesablauf auf. Nachdem der Leichnam ihres Kindes gefunden und darüber berichtet worden war, konfrontierte sie eine ihrer Begleiterinnen bei der Fahrt über ihren Partner mit dem Vorwurf, sie sei die Mutter. Daraufhin offenbarte sie sich ihrem Partner und begab sich in ein Krankenhaus, wo ein Dammriss operativ versorgt werden musste.
8
Das Landgericht hat die Tat als aus niedrigen Beweggründen begangen gewertet. Der Angeklagten sei es um die Beseitigung eines Störfaktors bei der ungehinderten Fortsetzung ihres bisherigen Lebens gegangen. Dies offenbare eine besonders krasse Selbstsucht, was durch die im gesamten Tatgeschehen zum Ausdruck kommende „erschreckende Gleichgültigkeit gegenüber dem Le- ben des eigenen Neugeborenen“, welches sie als „kleines Problem“ wie „Abfall entsorgt“ habe, belegt werde. Die im Persönlichkeitsbefund der Angeklagten enthaltenen naiven, unbedarften und unreifen Züge hätten bei der inneren Tatseite hingegen ersichtlich keine Rolle gespielt, da die Tat durch besondere Zielgerichtetheit , Zielstrebigkeit, Durchsetzungskraft, Kontrolle und Stringenz gekennzeichnet gewesen sei.

II.

9
Die Feststellungen zur Motivlage der Angeklagten und damit der Schuldspruch wegen Mordes können auf die sachlich-rechtliche Überprüfung hin keinen Bestand haben.
10
1. Die diesbezüglichen Feststellungen entbehren teilweise schon einer tragfähig belegten Beweisgrundlage, teilweise erweist sich die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung als lückenhaft.
11
a) So ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Angeklagte sich schon nach dem Bemerken der Schwangerschaft gedanklich damit befasste, das Neugeborene als „reinen ‚Störfaktor‘ zu beseitigen, ‚verschwinden zu lassen ‘ bzw. zu töten“, da sie nicht bereit gewesen sei, ihren Lebenszuschnitt und insbesondere die Beziehung zu ihrem Partner wegen eines Kindes aufzugeben oder einem Kind unterzuordnen. Dabei bleibt aber offen, worauf es diese Überzeugung von einem frühen Heranreifen des Tötungsplans und der als krass selbstsüchtig eingeordneten Motivlage stützt.
12
Die Angeklagte, die das objektive Tatgeschehen umfassend eingeräumt hat, darunter nach Auffassung der Strafkammer auch „wenig schmeichelhafte Details“ wie „wechselnde Männerbekanntschaften“ – nach den Feststellungen war der Kindsvater der vierte Mann, mit dem die Angeklagte eine Beziehung führte –, hat ausgeführt, sich keine weiteren Gedanken dazu gemacht zu haben , wie es nach der Geburt hätte weitergehen sollen. Vorbereitungen habe sie nicht getroffen. Allein das Ausbleiben solcher Bemühungen um eine anderweitige Abwendung der mit der Erwartung eines Kindes verbundenen einschneidenden Änderungen lässt jedenfalls ohne nähere Auseinandersetzung nicht den Schluss darauf zu, die Angeklagte habe das Kind als reinen Störfaktor entsorgen wollen. Dies gilt umso mehr, als die Urteilsgründe an anderer Stelle davon ausgehen, dass die Angeklagte wusste, dass der Kindsvater zu ihr und dem Kind gestanden hätte. Wieso sie deswegen davon hätte ausgehen sollen, ein Kind würde ihre Beziehung gefährden und diese Gefahr könne sie durch die Tötung des Kindes abwenden, hätte näherer Erörterung bedurft.
13
b) Die Beweiswürdigung zur Motivlage erweist sich aber vor allem – auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Überprüfungsmaßstabs – als lückenhaft. So weist es verschiedenen Verhaltensweisen der Angeklagten im Vortat- und Tatgeschehen jeweils eine Bewertungsrichtung zu, ohne sich mit anderen Deutungsmöglichkeiten, deren Erörterung sich wegen konkreter Anhaltspunkte aufdrängte, auseinanderzusetzen.
14
aa) Die Formulierung der Angeklagten gegenüber ihrem Partner, sie müsse „ein kleines Problem“ erledigen, wird von dem Landgericht als „über- deutlicher“ Beleg für ihre Einstellung gegenüber dem Neugeborenen als Störfaktor , den es zu beseitigen galt, gesehen. Die Festlegung, ob diese Wortwahl tatsächlich Rückschlüsse auf die Einstellung der Angeklagten zu ihrem Kind zulässt, hätte aber eine Einbeziehung der konkreten Rahmenbedingungen, unter denen diese Äußerung gefallen war, in die Würdigung erforderlich gemacht, woran es fehlt. So hätte in Bedacht gezogen werden müssen, dass die Äußerung auch nur den Zweck verfolgt haben könnte, das Misstrauen des Partners wegen einer erneuten Rast zu zerstreuen und ihn davon abzuhalten, sich ihr zu nähern.
15
bb) Vor allem aber entbehrt die Würdigung, die Tat sei durch besondere Zielgerichtetheit, Zielstrebigkeit, Durchsetzungskraft, Kontrolle und Stringenz gekennzeichnet, weswegen die bei der Angeklagten festzustellenden naiven, unbedarften und unreifen Züge bei der Bewertung der inneren Tatseite keine Rolle gespielt hätten, der erforderlichen Auseinandersetzung mit allen das Geschehen prägenden Umständen. So wird zunächst nicht in den Blick genommen , dass der mit dem gemeinsamen Aufenthalt in einem Ferienhaus verbundene Urlaub eine heimliche Tötung erheblich zu erschweren geeignet war. Mit einer zielstrebig durchgeführten, lange geplanten Tat lassen sich dies und die Rückfahrt mit einsetzenden Wehen in der Autokolonne – was letztlich auch zur Aufdeckung ihrer Täterschaft geführt hat – schwerlich vereinbaren. Auch die eigentliche Tatsituation weist Besonderheiten auf, die sich nicht ohne weitere Erörterung mit einer stringenten und kontrollierten Tatausführung vereinbaren lassen. So hatte die Angeklagte sich in Erwartung der Geburt bereits zurückgezogen , als sie sich die Küchenrolle übergeben ließ, wofür sie sich aus der bereits eingenommenen Geburtshaltung lösen musste. Zum Durchschneiden der Nabelschnur hatte sie auch keinerlei Werkzeug mitgenommen, was ihr vor dem Hintergrund der später präsentierten Ausrede, sich eine Zyste gezogen zu haben , wohl möglich gewesen sein könnte. Dass ihre Begleiter den Erklärungsversuch der Angeklagten für ihre Abwesenheit und ihre blutbefleckte Kleidung hingenommen haben, könnte auch eher deren mangelnden Willen zur Aufklärung dokumentieren als eine Fähigkeit der Angeklagten, ihren Partner trotz der Geburt steuern zu können und sich „schlüssige“ Erklärungen auszudenken.
16
cc) Das Landgericht schließt zudem aus, dass die Angeklagte von Gefühlen wie Angst, Ratlosigkeit oder Verzweiflung geleitet war. Dies stützt es unter anderem darauf, dass sich die Angeklagte in der Hauptverhandlung selbst als Problemlöserin bezeichnet hat. Diese Einschätzung hätte das Landgericht nicht übernehmen dürfen, ohne sich mit gegenläufigen Umständen auseinanderzusetzen. Festgestellt ist, dass sich die Angeklagte gegen eine unberechtigte Forderung des Finanzamtes gar nicht zur Wehr setzte, obwohl die daraufhin erfolgende Pfändung ihre finanziellen Möglichkeiten deutlich einschränkte. Vor diesem Hintergrund und des gezeigten Verhaltens vor der Geburt ist eine Charakterisierung als Problemlöserin nicht naheliegend und hätte näherer Erörterung bedurft.
17
c) Soweit das Landgericht die Bewertung der Motivlage auch daran festgemacht hat, dass die Angeklagte während der Schwangerschaft keinen Arzt aufsuchte, Alkohol- und Zigarettenkonsum nicht einschränkte und hochschwan- ger „unbekümmert“ eine viele Kilometer lange Urlaubsfahrt antrat, ist dies allen- falls geeignet, einen leichtfertigen Umgang mit dem Wohl des ungeborenen Lebens zu belegen, zeigt aber keine über die vorsätzliche Tötung hinausgehende besonders verwerfliche Einstellung auf. Dies gilt auch, insoweit das Landgericht damit zum Ausdruck bringen wollte, die Angeklagte habe ihre eigenen Interessen verfolgt. Denn dass der Täter bei einer vorsätzlichen Tötung auch eigene Interessen verfolgt, ist der Regelfall und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne weiteres die Qualifikation als Mord (BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 4 StR 352/08, NStZ 2009, 210; zu den auf Ausnahmefälle beschränkenden Anforderungen an niedrige Beweggründe in Fällen der Kindstötung BGH aaO; Urteile vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08, NStZ-RR 2008, 308 und vom 5. Juni2003 – 3 StR 55/03, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1; vgl. auch BT-Drucks. 13/8587 S. 34). Diesen Maßstab stellt das Landgericht zwar selbst seinen Erörterungen voran, die nachfolgende Begründung der Beweggründe als niedrig lässt allerdings besorgen, dass es den sachlichen Gehalt dessen aus dem Blick verloren hat.
18
Dass die Angeklagte großes Interesse an Partner, Hund, Auto, Tuningszene und ihren künstlichen Fingernägeln hatte, bringt allein eine gewisse moralische Missbilligung ihrer Lebensführung (vgl. hierzu MünchKomm/Schneider, StGB, 3. Aufl., § 211 Rn. 72) zum Ausdruck, was aber für die Bewertung der Motivlage der Tötung ebenfalls unergiebig ist. Die Betonung der „erschrecken- de(n) Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben des eigenen Neugeborenen“ lässt zudem befürchten, dass der Angeklagten die Begehung der Tat als solche und der Umstand, dass die Tat sich gegen ihr leibliches Kind richtete, als über die vorsätzliche Tötung hinausgehende besonders verwerfliche Haltung angelastet worden ist.
19
d) Die Urteilsgründe lassen eine ausdrückliche Erörterung vermissen, ob die Angeklagte die Umstände, die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausgemacht haben sollen, im Tatzeitpunkt in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen und erkannt hat (BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 – 3 StR55/03, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Kindstötung 1). Dies war auch nicht entbehrlich, da die Angeklagte die ihr angelasteten beherrschenden Beweggründe nicht eingeräumt hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Oktober 2008 – 4 StR 352/08, NStZ 2009, 210).
20
2. Zwar ist der Tötungsvorsatz rechtsfehlerfrei festgestellt, der Senat hat jedoch die gesamten Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum objektiven Tatgeschehen aufgehoben, um dem neuen Tatgericht eine in sich geschlossene Würdigung der subjektiven Tatseite zu ermöglichen. Raum Jäger Cirener Hohoff Pernice

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2018 - 1 StR 196/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2018 - 1 StR 196/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.
Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2018 - 1 StR 196/18 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2018 - 1 StR 196/18 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2018 - 1 StR 196/18 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08

bei uns veröffentlicht am 19.06.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 105/08 vom 19. Juni 2008 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin a

Bundesgerichtshof Urteil, 30. Okt. 2008 - 4 StR 352/08

bei uns veröffentlicht am 30.10.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 352/08 vom 30. Oktober 2008 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Oktober 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzend

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 352/08
vom
30. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. März 2008 wird verworfen.
2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sie beanstandet insbesondere die Annahme des mordqualifizierenden Merkmals der Tötung aus niedrigen Beweggründen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Im Januar 2007 wurde die Angeklagte nach einem intimen Kontakt mit einer Diskothekenbekanntschaft schwanger. Dies wollte sie jedoch nicht wahrhaben. Vielmehr hielt sie ihre Schwangerschaft selbst gegenüber ihrer engsten Umgebung - so auch gegenüber ihrem heutigen Verlobten, der bereits seinerzeit mit ihr zusammen im Haus ihrer Eltern lebte - geheim. Als sie in der ersten Oktoberwoche Kindsbewegungen in ihrem Körper feststellte, beschloss sie für sich, dass sie dieses Kind "nicht haben wollte". Alternative Möglichkeiten wie die Freigabe zur Adoption oder die Abgabe in einer Babyklappe verwarf sie. Dass sie bereits in diesem Zeitpunkt vorhatte, das Kind zu töten, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. In der Nacht zum 18. Oktober 2007 brachte sie im Badezimmer - ohne dass ihr heutiger Verlobter davon etwas mitbekam - einen männlichen Säugling zur Welt. Spätestens in diesem Augenblick entschloss sie sich, das Kind zu töten. "Sie befürchtete, ihr bisheriges Leben, das sich im Wesentlichen dadurch auszeichnete, dass sie keinerlei Verantwortung für sich oder andere trug, in den Tag hinein lebte und von ihren Eltern unterstützt wurde , nicht fortsetzen zu können. Sie fühlte sich zu jung für ein Kind und wollte 'noch etwas erleben' ... . Daneben spielte auch die untergeordnete und diffuse Angst davor eine Rolle, dass ihr heutiger Verlobter die Beziehung zu ihr beenden würde. Dies wollte die Angeklagte verhindern". Sie nahm das Kind und warf es über einen hölzernen Sichtschutz hinweg in den hinter dem elterlichen Anwesen entlang führenden Mühlgraben. In diesem Zeitpunkt war das Kind nicht ausschließbar infolge Einatmens von zu viel Fruchtwasser bereits verstorben. Die Angeklagte selbst ging jedoch bis zum Schluss davon aus, dass das Kind noch lebe.

II.


3
1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen im Sinne des Mordtatbestandes des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt , begegnet entgegen der Auffassung der Revision, der der Generalbundesanwalt beigetreten ist, keinen rechtlichen Bedenken.
4
a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als ein Totschlag - verachtenswert erscheinen , hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei den insoweit zu treffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08). Danach ist die Annahme niedriger Beweggründe hier aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
5
Die Angeklagte wollte, als sie sich zur Tötung des Kindes entschloss, nach ihren eigenen Angaben "noch etwas erleben" und jetzt noch nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen. Demgegenüber war - wie das Landgericht mit tragfähiger Begründung ausgeführt hat - die diffuse Angst der Angeklagten, ihr heutiger Verlobter könne sich wegen des Kindes womöglich von ihr trennen, nur von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr wollte die Angeklagte nach der rechtsfehlerfrei gewonnenen Überzeugung des Landgerichts "entscheidungslenkend" das Kind als "Störfaktor" beseitigen, um ihr bisheriges Leben in gewohnter Form fortsetzten zu können. Dass der Täter auch eigene Interessen verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Deshalb wird auch nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6. StrRG (vgl. dazu BTDrucks 13/8587 S. 34) in den Fällen der Kindstötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt ist. So liegt es hier.
6
b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landgericht nicht ausdrücklich erörtert hat, dass die Angeklagte die Umstände , die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausmachen, im Tatzeitpunkt in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen und erkannt hat. Näherer Ausführungen hierzu bedurfte es vorliegend nicht. Die An- geklagte war im Tatzeitpunkt trotz der Belastung durch die Geburt nach den Ausführungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen, denen die Kammer gefolgt ist und gegen die auch die Revision nichts einwendet, uneingeschränkt schuldfähig. Sie hat sich zudem im Laufe des Verfahrens mehrfach ausdrücklich zu dem festgestellten, von Eigensucht geprägten Motiv bekannt. Mag manches - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat zu bedenken gegeben hat - in dem Verhalten und in den Äußerungen der Angeklagten auch für eine gewisse Naivität und Unreife sprechen, vermag dies gleichwohl die subjektive Tatseite nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Denn die Angeklagte hat sich auch im Nachhinein nicht etwa von ihren sie bei der Tat beherrschenden Beweggründen distanziert, sondern hat noch in der Hauptverhandlung "schnippisch und zumeist genervt" auf ihrem Standpunkt beharrt. Unter diesen Umständen hat der Umstand, dass die Angeklagte nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen eine hohe Impulsivität und eine Neigung zum Blockieren aufweist, für die innere Tatseite ersichtlich keine Bedeutung. Hinzu kommt, dass auch die Art und Weise der Tatausführung selbst (der Wurf des Kindes über die Holzbarriere hinweg in den Mühlgraben) eine erschreckende „Wegwerfmentalität“ offenbart.
7
2. Der in Anbetracht der Tatumstände vergleichsweise milde Strafausspruch weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
8
Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 105/08
vom
19. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien
und die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 6. November 2007 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision der Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen. 4. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagte und - zu ihren Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen; die Angeklagte erhebt darüber hinaus die nicht ausgeführte Verfahrensrüge. Während die Angeklagte mit ihrem Rechtsmittel insbesondere die Nichtannahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit beanstandet und eine niedrigere Strafe erstrebt, möchte die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes erreichen. Das Rechtsmittel der Angeklag- ten hat zum Strafausspruch Erfolg; dagegen bleibt der - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt.

I.

2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Die zur Tatzeit 27-jährige Angeklagte war von 2001 bis 2005 mit Enrico W. fest liiert. Aus dieser Beziehung stammt eine Tochter. Zwei weitere Schwangerschaften während ihrer Beziehung zu Enrico W. brach sie ab. Seit dem Sommer 2005 unterhielt sie eine Beziehung zu dem verheirateten Tino H. Als sie erstmals vom ihm schwanger wurde, ließ sie auch diese Schwangerschaft abbrechen. Die Beziehung zu Tino H. endete im Juli 2006. Im Dezember 2006 stellte die Angeklagte fest, dass sie von Tino H. erneut schwanger geworden war. Inzwischen hatte sie aber bereits die Verbindung zu Enrico W. wieder aufgenommen, der zwar zwischenzeitlich geheiratet hatte, aber von seiner Ehefrau getrennt lebte und bei dem es sich um den Mann handelte, den sie "immer wollte".
4
Die Angeklagte verbarg ihre erneute Schwangerschaft erfolgreich vor anderen und traf auch keinerlei Vorbereitungen für die bevorstehende Geburt. Auch ihrer Mutter, die ihre wichtigste Bezugsperson ist, erzählte sie nichts, weil sie Vorwürfe bezüglich ihrer Lebensführung fürchtete. Ebenso setzte sie auch Tino H. von ihrer Schwangerschaft nicht in Kenntnis, da ihr aufgrund seines früheren Verhaltens klar war, dass er das Kind nicht würde haben wollen.
5
Am Tattag, dem 28. Februar 2007, spürte die Angeklagte morgens Bauchschmerzen, dachte aber noch nicht an eine bevorstehende Geburt, mit der sie erst im April rechnete. Im Laufe des Vormittags fühlte sie jedoch, dass es sich bei den Bauchschmerzen um Geburtswehen handelte. Wenig später brachte sie im Bad problemfrei ein gesundes Mädchen zur Welt. Sie durchtrennte die Nabelschnur und säuberte das Kind. Dann reinigte sie das Bad. Während sie damit beschäftigt war und anschließend überlegte sie über einen Zeitraum von drei bis vier Stunden nach der Geburt unentschieden hin und her, ob sie das Kind umbringen oder behalten solle. Das Aufsuchen eines Krankenhauses oder die Abgabe des Kindes in eine so genannte Babyklappe zog sie nicht in Betracht, weil sie glaubte, dass hierbei sie als Mutter des Kindes und Tino H. als dessen Erzeuger bekannt würden. Das wollte sie aber wegen der befürchteten Vorwürfe ihrer Mutter, der Ablehnung von Tino H. sowie ihres eigenen Interesses an der wieder aufgenommenen Beziehung zu Enrico W. vermeiden. Sie verspürte Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung und war von der Geburt auch körperlich erschöpft. Als nunmehr das Kind zu schreien begann, nahm sie es auf den Arm und entschied sich dann, es zu töten. Sie drückte es mit Mund und Nase so gegen ihren Oberkörper, dass das Kind nicht mehr atmen konnte, legte es sodann auf dem Boden ab und überzeugte sich davon, dass es kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Anschließend steckte sie die Kindesleiche in einen Plastiksack, den sie zunächst in einem Schrank im Bad versteckte. In der folgenden Nacht brachte sie den Sack mit der Kinderleiche zu einem nahe gelegenen See.

II.

6
Das Landgericht hat die geständige Angeklagte des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Mit dem gehörten psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. M. hat es eine Aufhebung (§ 20 StGB) oder auch nur erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ver- neint. Zwar weise die Angeklagte eine selbstunsichere Persönlichkeit mit schizoiden und emotional instabilen Elementen auf. Gerade der mehrstündige Prozess des Hin- und Herüberlegens zeige aber, dass sie den Tatanreizen in ganz beträchtlichem Maße Widerstand entgegenzusetzen vermocht habe. Eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes hat das Schwurgericht abgelehnt, weil das allein in Betracht zu ziehende mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen nicht vorliege. Gegen eine solche Wertung sprächen die Angst der Angeklagten vor Vorwürfen ihrer Mutter, die sie dabei bewegenden Gefühle der Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung und auch ihre mögliche Sorge um den Bestand der Ehe des Erzeugers. Zudem spreche das mehrstündige Hin- und Herüberlegen vor der endgültigen Entscheidung zur Tötung gegen eine besondere Geringschätzung des fremden Lebens.

III.

7
Revision der Staatsanwaltschaft
8
Die Staatsanwaltschaft dringt mit ihrer Beanstandung, die Schwurgerichtskammer habe zu Unrecht das mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen verneint, nicht durch.
9
Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als ein Totschlag - verachtenswert erscheinen , hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters, und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; jew. m.w.N.). Die Ablehnung niedriger Beweggründe im angefochtenen Urteil ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat alle wesentlichen für die Beurteilung maßgebenden Umstände in seine Abwägung mit einbezogen. Mit ihren Einwänden unternimmt die Beschwerdeführerin lediglich den Versuch, die in erster Linie dem Tatrichter vorbehaltene Wertung durch eine eigene Würdigung zu ersetzen. Damit kann sie angesichts des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes nicht gehört werden. Dass die Angeklagte bei ihren stundenlangen Überlegungen , ob sie das Kind leben lassen oder es töten solle, auch ihre Beziehung zu ihrer Mutter und zu Enrico W. und die Haltung des Kindesvaters Tino H. im Blick hatte, hat das Landgericht nicht verkannt. Die Verfolgung eigener Interessen und ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat sind der Regelfall der vorsätzlichen rechtswidrigen Tötung eines anderen. Dass die Tat der Angeklagten demgegenüber von besonders krasser Selbstsucht geprägt war, die allein die Qualifizierung der Tat als mit lebenslanger Freiheitsstrafe statt als mit zeitiger Freiheitsstrafe bedrohter Totschlag rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls liegt ein die Revision begründender Rechtsfehler nicht darin, dass das Landgericht der von Angst, Ratlosigkeit, Verzweiflung geprägten psychischen Verfassung der Angeklagten, zu der die körperliche Erschöpfung nach der Geburt hinzukam, ein solches Gewicht beigemessen hat, dass deswegen die Mordqualifikation zu verneinen war.

IV.

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Revision der Angeklagten
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Dagegen führt die Revision der Angeklagten auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
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1. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht eine erhebliche Verminderung ihrer Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt im Sinne von § 21 StGB verneint hat. Bei Kindstötungen wird selbst unter den engeren Voraussetzungen des früheren § 217 StGB (zu den Gründen der Aufhebung dieser Vorschrift durch das 6. StrRG vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 34 zu Nr. 26 und S. 81/82 zu Nr. 15) eine erhebliche Verminderung oder gar Aufhebung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine unabhängig hiervon bestehenden rechtlich relevanten körperlichen und geistig-seelischen Beeinträchtigungen vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 5. Juni 2003 - 3 StR 55/03). Dies gilt erst recht, wenn die Tat wie hier – anders als im früheren § 217 StGB vorausgesetzt – nicht „in oder gleich nach der Geburt“ erfolgt. Danach hat das Landgericht ungeachtet der Persönlichkeitsauffälligkeiten der Angeklagten zu Recht - darin den gehörten psychiatrischen Sachverständigen folgend - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB verneint.
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2. Gleichwohl hat der Strafausspruch keinen Bestand.
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Ohne Rechtsfehler hat das Schwurgericht allerdings das Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 StGB verneint und die Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Der Strafausspruch ist aber aufzuheben, weil nach den Feststellungen, die das Landgericht zur Schwere der Tat und zum Grad der persönlichen Schuld der Angeklagten getroffen hat, bei Abwägung der strafmildernden und der strafschärfenden Gesichtspunkte die verhängte Freiheitsstrafe unvertretbar hoch ist, das für vergleichbare Fälle übliche Maß erheblich überschreitet, damit den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr entspricht und deshalb rechtsfehlerhaft ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 9, 11, 12 m.w.N.). Nach den Erkenntnissen des Senats halten sich die in einschlägigen Fällen gegen die Kindesmütter verhängten Strafen deutlich unterhalb der hier erkannten Freiheitsstrafe. Dabei steht außer Frage, dass solche Taten objektiv schwerstes Unrecht darstellen. Angesichts einer sich in letzter Zeit ersichtlich häufenden Zahl einschlägiger Fälle dürfen bei der Findung des (noch) schuldangemessenen Strafmaßes auch generalpräventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. In erster Linie hat sich die Strafe indes nach dem Maß der Tatschuld im Einzelfall auszurichten. Bei deren Gewichtung darf insbesondere die häufig verzweifelte Situation der Kindesmütter nicht außer Betracht bleiben. Zwar hätte die Mutter der Angeklagten ihre Unterstützung nicht versagt und standen schon deshalb für die Angeklagte – wie das auch sonst bei solcher Sachlage regelmäßig der Fall ist – objektiv Lösungsmöglichkeiten für die Versorgung des Kindes zur Verfügung. Dass die Angeklagte davon keinen Gebrauch gemacht und sich schließlich für die Tötung des Kindes entschieden hat, ist aber nicht zuletzt den Besonderheiten in ihrer Persönlichkeit zuzuschreiben. Zu Recht hat das Landgericht der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne deshalb auch ihre "selbstunsichere Persönlichkeitsstörung" mit schizoiden und emotional instabilen Anteilen sowie ihre körperliche Erschöpfung durch die zuvor überstandene Entbindung zugute gehalten. Hinzu kommt, dass die psychische Verfassung der Angeklagten in der Tatsituation von Gefühlen der Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung geprägt war. Angesichts dieser schuldmildernden Umstände von Gewicht wird das hier im zweistelligen Bereich gefundene Strafmaß der Tatschuld der Angeklagten nicht mehr gerecht.
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3. Der Senat hebt deshalb auf die Revision der Angeklagten das Urteil im Strafausspruch auf. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Aufhebungsgrund nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben. Zugleich macht der Senat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an ein anderes Landgericht zurück. Tepperwien Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanović

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 352/08
vom
30. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. März 2008 wird verworfen.
2. Die Angeklagte trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sie beanstandet insbesondere die Annahme des mordqualifizierenden Merkmals der Tötung aus niedrigen Beweggründen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


2
Im Januar 2007 wurde die Angeklagte nach einem intimen Kontakt mit einer Diskothekenbekanntschaft schwanger. Dies wollte sie jedoch nicht wahrhaben. Vielmehr hielt sie ihre Schwangerschaft selbst gegenüber ihrer engsten Umgebung - so auch gegenüber ihrem heutigen Verlobten, der bereits seinerzeit mit ihr zusammen im Haus ihrer Eltern lebte - geheim. Als sie in der ersten Oktoberwoche Kindsbewegungen in ihrem Körper feststellte, beschloss sie für sich, dass sie dieses Kind "nicht haben wollte". Alternative Möglichkeiten wie die Freigabe zur Adoption oder die Abgabe in einer Babyklappe verwarf sie. Dass sie bereits in diesem Zeitpunkt vorhatte, das Kind zu töten, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. In der Nacht zum 18. Oktober 2007 brachte sie im Badezimmer - ohne dass ihr heutiger Verlobter davon etwas mitbekam - einen männlichen Säugling zur Welt. Spätestens in diesem Augenblick entschloss sie sich, das Kind zu töten. "Sie befürchtete, ihr bisheriges Leben, das sich im Wesentlichen dadurch auszeichnete, dass sie keinerlei Verantwortung für sich oder andere trug, in den Tag hinein lebte und von ihren Eltern unterstützt wurde , nicht fortsetzen zu können. Sie fühlte sich zu jung für ein Kind und wollte 'noch etwas erleben' ... . Daneben spielte auch die untergeordnete und diffuse Angst davor eine Rolle, dass ihr heutiger Verlobter die Beziehung zu ihr beenden würde. Dies wollte die Angeklagte verhindern". Sie nahm das Kind und warf es über einen hölzernen Sichtschutz hinweg in den hinter dem elterlichen Anwesen entlang führenden Mühlgraben. In diesem Zeitpunkt war das Kind nicht ausschließbar infolge Einatmens von zu viel Fruchtwasser bereits verstorben. Die Angeklagte selbst ging jedoch bis zum Schluss davon aus, dass das Kind noch lebe.

II.


3
1. Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen im Sinne des Mordtatbestandes des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt , begegnet entgegen der Auffassung der Revision, der der Generalbundesanwalt beigetreten ist, keinen rechtlichen Bedenken.
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a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiterreichendem Maße als ein Totschlag - verachtenswert erscheinen , hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130 m.w.N.). Bei den insoweit zu treffenden Wertungen steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 - 4 StR 105/08). Danach ist die Annahme niedriger Beweggründe hier aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
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Die Angeklagte wollte, als sie sich zur Tötung des Kindes entschloss, nach ihren eigenen Angaben "noch etwas erleben" und jetzt noch nicht die Verantwortung für ein Kind übernehmen. Demgegenüber war - wie das Landgericht mit tragfähiger Begründung ausgeführt hat - die diffuse Angst der Angeklagten, ihr heutiger Verlobter könne sich wegen des Kindes womöglich von ihr trennen, nur von untergeordneter Bedeutung. Vielmehr wollte die Angeklagte nach der rechtsfehlerfrei gewonnenen Überzeugung des Landgerichts "entscheidungslenkend" das Kind als "Störfaktor" beseitigen, um ihr bisheriges Leben in gewohnter Form fortsetzten zu können. Dass der Täter auch eigene Interessen verfolgt, ist zwar der Regelfall der vorsätzlichen Tötung eines Anderen und rechtfertigt deshalb noch nicht ohne Weiteres die Qualifikation der Tat als Mord. Deshalb wird auch nach Aufhebung des § 217 StGB a.F. durch das 6. StrRG (vgl. dazu BTDrucks 13/8587 S. 34) in den Fällen der Kindstötung die Annahme von Mord nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08). Anders verhält es sich jedoch, wenn die Tat von besonders krasser Selbstsucht geprägt ist. So liegt es hier.
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b) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht daraus, dass das Landgericht nicht ausdrücklich erörtert hat, dass die Angeklagte die Umstände , die die Niedrigkeit ihrer Beweggründe ausmachen, im Tatzeitpunkt in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen und erkannt hat. Näherer Ausführungen hierzu bedurfte es vorliegend nicht. Die An- geklagte war im Tatzeitpunkt trotz der Belastung durch die Geburt nach den Ausführungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen, denen die Kammer gefolgt ist und gegen die auch die Revision nichts einwendet, uneingeschränkt schuldfähig. Sie hat sich zudem im Laufe des Verfahrens mehrfach ausdrücklich zu dem festgestellten, von Eigensucht geprägten Motiv bekannt. Mag manches - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift an den Senat zu bedenken gegeben hat - in dem Verhalten und in den Äußerungen der Angeklagten auch für eine gewisse Naivität und Unreife sprechen, vermag dies gleichwohl die subjektive Tatseite nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Denn die Angeklagte hat sich auch im Nachhinein nicht etwa von ihren sie bei der Tat beherrschenden Beweggründen distanziert, sondern hat noch in der Hauptverhandlung "schnippisch und zumeist genervt" auf ihrem Standpunkt beharrt. Unter diesen Umständen hat der Umstand, dass die Angeklagte nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen eine hohe Impulsivität und eine Neigung zum Blockieren aufweist, für die innere Tatseite ersichtlich keine Bedeutung. Hinzu kommt, dass auch die Art und Weise der Tatausführung selbst (der Wurf des Kindes über die Holzbarriere hinweg in den Mühlgraben) eine erschreckende „Wegwerfmentalität“ offenbart.
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2. Der in Anbetracht der Tatumstände vergleichsweise milde Strafausspruch weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
8
Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Mutzbauer