Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2012 - 1 StR 208/12

bei uns veröffentlicht am23.05.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 208/12
vom
23. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2012 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 17. Januar 2012 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde nach Verständigung (§ 257c StPO) wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen (unberechtigter Vorsteuerabzug von fast 1,3 Mio. € aus „Abdeckrechnungen“ und unzutreffenden Gutschriften) zu drei Jahren und drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
2
Seine Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Zusammenfassend und ergänzend zu den zutreffenden, auch von der Erwiderung der Revision nicht entkräfteten Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
4
1. Die Revision meint, die Bewertung des Geständnisses des Angeklagten als glaubhaft beruhe auf unzureichender Grundlage. Die maßgeblichen Vernehmungen des Angeklagten und von Zeugen hätten, wie sich aus der mitgeteilten jeweiligen Dauer der einzelnen Verfahrensabschnitte ergibt, insgesamt nur 83 Minuten gedauert, abzüglich noch der für zugleich durchgeführte formale Vorgänge benötigten Zeit.
5
Das Vorbringen versagt.
6
Die Revision erwähnt in diesem Zusammenhang schon nicht, dass die Feststellungen auch auf ein umfangreiches Selbstleseverfahren gestützt sind. Auch unabhängig davon ist der Senat nicht der Auffassung, schon der genannte zeitliche Rahmen ergäbe, dass Feststellungen zu einem Geständnis hinsichtlich eines - zumal für eine Wirtschaftsstrafkammer - leicht erfassbaren Sachverhalts und zu dessen Überprüfung nicht Ergebnis der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) sein könnten. Sollte die Revision dahin zu verstehen sein, der Senat möge den Ablauf der Hauptverhandlung im Detail überprüfen, um so festzustellen, dass speziell vorliegend keine ordnungsgemäße Beweiserhebung vorliegen könne, wäre verkannt, dass das Revisionsgericht Gang und Inhalt der Beweisaufnahme nicht rekonstruiert (vgl. schon BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151 mwN). Sollte darüber hinaus zum Ausdruck gebracht sein, ein im Rahmen einer Verständigung (§ 257c StPO) abgelegtes Geständnis sei schon im Ansatz intensiver zu überprüfen als ein nicht im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis, wäre dem ebenfalls nicht zu folgen. Die Beweiswürdigung hat stets auch solche Gesichtspunkte erkennbar zu erwägen, die auf Grund der Urteilsfeststellungen nahe liegen und die gegen das gefundene Ergebnis sprechen können.
7
Es gibt keine forensische Erfahrung, wonach bei einem Geständnis stets oder jedenfalls dann, wenn es im Rahmen einer Verständigung abgelegt wurde, ohne weiteres regelmäßig mit einer wahrheitswidrigen Selbstbelastung zu rechnen sei. Dies gilt auch dann, wenn - wie nach Auffassung der Revision möglicherweise hier - der Angeklagte durch ein unwahres Geständnis Sohn und/oder Lebensgefährtin vor einer Bestrafung schützen würde. Allein die gesetzlichen Wertungen in § 52 StPO, § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB und § 258 Abs. 6 StGB können die für eine solche Annahme erforderlichen konkreten Anhaltspunkte nicht ersetzen. Derartige konkrete Anhaltspunkte sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein die (theoretische) Denkbarkeit eines Geschehensablaufs führt nicht dazu, dass er zu erörtern wäre (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 20. September 2011 - 1 StR 120/11, NStZ-RR 2012, 72, 73 mwN).
8
Soweit die Revision zugleich auch § 244 Abs. 2 StPO für verletzt hält, ist entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO weder mitgeteilt, welcher Beweismittel sich die Strafkammer noch hätte bedienen sollen, noch mitgeteilt, welche konkreten Erkenntnisse davon zu erwarten gewesen wären.
9
2. Die Revision macht geltend, das angeordnete Selbstleseverfahren sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Innerhalb von vier Tagen, darunter ein Wochenende, hätte das Gericht insgesamt 674 Seiten (vielfach mit wenigen Zeilen beschriebene Rechnungen) nicht ordnungsgemäß zur Kenntnis nehmen können.
10
Eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO (vgl. allgemein zu Notwendigkeit der Herbeiführung eines Gerichtsbeschlusses als Zulässigkeitsvoraussetzung einer ein Selbstleseverfahren betreffenden Verfahrensrüge BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 422/10, NStZ 2011, 300, 301) ist nicht herbeigeführt worden.
11
Die Revision ist der Auffassung, § 238 Abs. 2 StPO sei hier deshalb unanwendbar , weil es nur um die Frage gehe, ob die Mitglieder der Strafkammer, insbesondere die Schöffen, die Urkunden in der gebotenen Intensität zur Kenntnis genommen hätten. Darüber hinaus sei die sog. Widerspruchslösung hier schon im Ansatz unanwendbar, da dem Verfahren eine Verständigung zu Grunde liege.
12
Beides ist unzutreffend.
13
a) Ist, wie hier, eine ordnungsgemäße Durchführung des Selbstleseverfahrens durch das Hauptverhandlungsprotokoll belegt, kann erfolgreiches Revisionsvorbringen nicht auf Überlegungen zu einer - jedenfalls objektiv - fehlen- den „Wahrhaftigkeit“ der zu Grunde liegenden richterlichen Erklärungen ge- stützt werden (zum umgekehrten Fall, dass das Hauptverhandlungsprotokoll die gebotene Kenntnisnahme durch die Richter nicht belegt vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 1 StR 33/11, StV 2011, 462, 463).
14
b) Es ist auch nicht ersichtlich, warum eine vorangegangene Verständigung eine sonst für eine Verfahrensrüge notwendige Voraussetzung entfallen lassen könnte. Auch die Revision nennt keine Gründe, die nach ihrer Auffassung die von ihr aufgestellte gegenteilige Behauptung stützen könnten.
15
Im Übrigen entbehrte die Behauptung, es sei „nicht plausibel, dass u.a. ein Glasermeister, der an Werktagen in aller Regel arbeitet, von dem ihm zum Selbstlesen zugewiesenen Urkunden und Schriftstücken“ ordnungsgemäß im Selbstleseverfahren Kenntnis genommen hätte, jeglicher Grundlage.
16
3. Auch unter Berücksichtigung des gesamten Revisionsvorbringens, wonach es gegen Verfassungs- und Menschenrecht verstoße, dass die Strafkammer eine Strafe verhängt habe, die zwar innerhalb des im Rahmen der Verständigung genannten Strafrahmens liege, nicht aber dessen Untergrenze (drei Jahre) bilde, sieht der Senat keine Veranlassung, von der - von der Revi- sion angeführten - gegenteiligen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen. Ein im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis ist die Voraussetzung dafür, dass die Strafe nur dem zuvor genannten Strafrahmen zu entnehmen ist; es führt aber nicht dazu, dass eine andere als eine die Untergrenze des Strafrahmens überschreitende Strafe nicht mehr verhängt werden dürfte. Einen entsprechenden Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht geschaffen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10).
Nack Wahl Hebenstreit Jäger Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2012 - 1 StR 208/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2012 - 1 StR 208/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

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Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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Strafprozeßordnung - StPO | § 52 Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen des Beschuldigten


(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt 1. der Verlobte des Beschuldigten;2. der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;2a. der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteh

Strafprozeßordnung - StPO | § 238 Verhandlungsleitung


(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden. (2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person

Strafgesetzbuch - StGB | § 258 Strafvereitelung


(1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren ode

Strafgesetzbuch - StGB | § 35 Entschuldigender Notstand


(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies g

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(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Zur Verweigerung des Zeugnisses sind berechtigt

1.
der Verlobte des Beschuldigten;
2.
der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn die Ehe nicht mehr besteht;
2a.
der Lebenspartner des Beschuldigten, auch wenn die Lebenspartnerschaft nicht mehr besteht;
3.
wer mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist oder war.

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

(3) Die zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Personen, in den Fällen des Absatzes 2 auch deren zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts befugte Vertreter, sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zu belehren. Sie können den Verzicht auf dieses Recht auch während der Vernehmung widerrufen.

(1) Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. Dies gilt nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen; jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden, wenn der Täter nicht mit Rücksicht auf ein besonderes Rechtsverhältnis die Gefahr hinzunehmen hatte.

(2) Nimmt der Täter bei Begehung der Tat irrig Umstände an, welche ihn nach Absatz 1 entschuldigen würden, so wird er nur dann bestraft, wenn er den Irrtum vermeiden konnte. Die Strafe ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder einer Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) unterworfen wird, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer absichtlich oder wissentlich die Vollstreckung einer gegen einen anderen verhängten Strafe oder Maßnahme ganz oder zum Teil vereitelt.

(3) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die für die Vortat angedrohte Strafe.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) Wegen Strafvereitelung wird nicht bestraft, wer durch die Tat zugleich ganz oder zum Teil vereiteln will, daß er selbst bestraft oder einer Maßnahme unterworfen wird oder daß eine gegen ihn verhängte Strafe oder Maßnahme vollstreckt wird.

(6) Wer die Tat zugunsten eines Angehörigen begeht, ist straffrei.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 120/11
vom
20. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. September 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 26. November 2010 werden mit der Maßgabe verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen Totschlags zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und bei Anordnung eines Vorwegvollzugs von zehn Jahren Strafe in einer Entziehungsanstalt untergebracht.
2
Die mit der ausgeführten Sachrüge begründeten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten führen zum Wegfall der Unterbringung, bleiben aber im Übrigen erfolglos.
3
1. Dem Schuldspruch liegen folgende Feststellungen zu Grunde:
4
Der Angeklagte lebte mit der Freundin des inhaftierten L. zusammen und hatte deshalb mit dessen Freund K. Streit. Am späten Abend des 28. März 2009 stritten sie zunächst vor dem Wohnhaus des Angeklagten und entfernten sich dann zu Fuß. Ihnen folgten die Zeugen C. , Cu. - sie hatten zuvor mit dem Angeklagten gezecht - und F. , die den Angeklagten auf dessen Wunsch erforderlichenfalls bei einer tätlichen Auseinandersetzung unterstützen wollten. Obwohl höchstens 50 m entfernt, sahen sie den Angeklagten und K. nicht mehr, als diese in eine dunkle Hofeinfahrt gingen. Dort kam es auch zu Tätlichkeiten. Der Angeklagte bedrohte K. mit einem eigens wegen der bevorstehenden Auseinandersetzung mitgenommenen kleineren Messer. Auch K. hatte ein Messer und spottete über die geringe Größe des Messers des Angeklagten. Darauf versetzte ihm dieser spontan einen wuchtigen Stich „Richtung Herz“- an anderer Stelle des Urteils heißt es „zielgerichtet gegen den Oberkörper“; auch von einem Stich „in die Brust“ und „den Brustbereich“ ist die Rede - und traf ihn mitten ins Herz. K. brach zusammen, der Angeklagte sagte den hinzugekommenen C. , Cu. und F. , er habe K. in die Brust gestochen, sie sollten sich um ihn kümmern und ging fort. Er reinigte und versteckte das Tatmesser. Er wurde zu anderweitiger Strafvollstreckung noch in der Nacht in seiner Wohnung in einem Schrank versteckt festgenommen. Als Verantwortlicher für den nach einigen Tagen eingetretenen Tod K. s wurde er erst später ermittelt.
5
2. Hinsichtlich des Schuldspruchs wendet sich die Revision des Angeklagten im Wesentlichen gegen den (bedingten) Tötungsvorsatz.
6
a) Entgegen ihrer Auffassung ergeben sich insoweit keine Bedenken im Blick auf das nicht immer mit denselben Worten bezeichnete Ziel des Stiches.
Die Strafkammer hat näher begründet rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der An- geklagte wuchtig und gezielt jedenfalls in den „Brustbereich“ gestochen hat. Ein solcher Stich ist, wie auch die Strafkammer näher ausführt, eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, die regelmäßig für Tötungsvorsatz spricht. Eine Stelle im vorderen Bereich des Oberkörpers, die den Tötungsvorsatz deshalb in Frage stellte, weil ein wuchtiger Stich gerade hierhin zielte, ist kaum vorstellbar (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2006 - 1 StR 307/06), bei einem Stich in den Brustbereich ist dies jedenfalls nicht der Fall.
7
b) Auch sonst ist die nicht zuletzt auch auf den äußeren Geschehensablauf gestützte Annahme eines Tötungsvorsatzes rechtsfehlerfrei (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Dezember 2001 - 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541 f.; hierzu Schneider in MüKomm-StGB, § 212 Rn. 9 jew. mwN). Die Annahme, dass die Aufforderungen des Angeklagten gegenüber C. , Cu. und F. , ihn zu begleiten bzw. (später), sich um den Verletzten zu kümmern, zwar gegen eine von langer Hand geplante Tat, aber nicht gegen einen spontanen Tatent- schluss sprächen, ist nicht zu beanstanden. Auch die festgestellte „affektive Erregung“ des Angeklagten bei der Tat spricht nichtgegen einen Tötungsvorsatz , da eine gewisse affektive Erregung bei einem tödlichen Angriff normal ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2006 - 2 StR 284/06). Außerdem ist rechtsfehlerfrei - auch die Revision macht insoweit nichts anderes geltend - die uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten festgestellt. Dies spricht regelmäßig für eine realistische Wahrnehmung des Bedeutungsgehalts der Tat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2009 - 1 StR 520/09 Rn. 18 mwN), zumal hier die Bewertung eines wuchtigen Stichs in den Brustbereich keine komplizierten Überlegungen erfordert. Auch die planmäßige Spurenbeseitigung alsbald nach der Tat spricht gegen eine ungewöhnliche psychische Ausnahmesituation bei der Tat, die unter irgendeinem Gesichtspunkt eine breitere Erörterung des Vorsatzes gebieten könnte.
8
3. Ebenso wenig wie der Schuldspruch enthält der Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
9
4. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung wegen heimtückisch begangenen Mordes. Ein Rechtsfehler liegt jedoch nicht vor.
10
a) Heimtücke ist verneint, weil der Angeklagte im Rahmen der vorangegangenen Auseinandersetzung K. das Messer gezeigt und ihn vonvorne ins Herz gestochen habe. Dies folgt den Angaben des Angeklagten, die insoweit von den maximal 50 m entfernten Begleitern bestätigt werden, als sie angeben , die tätliche Auseinandersetzung nicht gesehen, aber entsprechende Geräusche gehört zu haben. Auch hatte der Angeklagte bei seiner Festnahme kleinere Verletzungen, die auf die Auseinandersetzung zurückgehen können.
11
b) Die Staatsanwaltschaft hält insbesondere die tätliche Auseinandersetzung nicht für bewiesen.
12
(1) Mangels näherer Ausführungen dazu, was die Zeugen gehört haben, sei nicht überprüfbar, was mit „Geräuschen“ gemeint sei. Ein gängiger Begriff verdeutlicht aber auch ohne weitere Umschreibung, was gemeint ist. Es ist nicht ersichtlich, dass der Strafkammer unbekannt sei, welche Geräusche bei einer tätlichen Auseinandersetzung entstehen.
13
(2) Im Übrigen seien nur Schlussfolgerungen rechtsfehlerfrei, die „zwin- gend“ aus den Feststellungen folgten. Dem entsprechend ist eine Reihe- teil- weise untereinander unvereinbarer, teilweise nur abstrakter - Möglichkeiten aufgezählt, die im Ergebnis deshalb erörterungsbedürftig seien, weil sie denkgesetzlich nicht ausschließbar sind, z.B.
- die Geräusche könnten an (irgend)einem anderen Ort entstanden sein;
- selbst wenn sie aus dem Hof stammten, könnten sie (irgend)eine andere Ursache gehabt haben;
- es spräche gegen eine Auseinandersetzung, wenn K. keine hierauf hindeutenden Verletzungen gehabt hätte;
- die Verletzungen des Angeklagten könnten auch durch ihn selbst oder durch die Polizei bei seiner Verhaftung im Schrank verursacht worden sein.
14
Bei alledem ist verkannt, dass richterliche Überzeugung keine absolute, das Gegenteil zwingend ausschließende, letztlich mathematische Gewissheit erfordert (st. Rspr.; vgl. z.B. BGH, Urteile vom 4. Dezember 2008 - 1 StR 327/08 und 7. November 2006 - 1 StR 307/06 mwN). Allein die Denkbarkeit eines Geschehensablaufs, für den die Urteilsgründe keine Anhaltspunkte bieten , führt daher nicht dazu, dass er zu Gunsten (BGH aaO) oder gar zu Lasten des Angeklagten zu unterstellen oder auch nur erörterungsbedürftig wäre (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 mwN). Aufklärungsrügen zum Beleg der genannten Vermutungen sind nicht erhoben.
15
c) Im Übrigen ist kaum erkennbar, was hier - Streit; der tödliche Stich mit dem zuvor gezeigten Messer erfolgte von vorne; auch K. hatte ein Messer - noch tragfähig (innerpsychische) Arg- und darauf beruhend Wehrlosigkeit des Verstorbenen belegen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186, 188; BGH, Urteil vom 13. November 1985 - 3 StR 273/85, BGHSt 33, 363, 365).
16
d) Auch sonst sind weder zum Schuldspruch noch zum Strafausspruch den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler ersichtlich.
17
5. Die Staatsanwaltschaft hält die Unterbringungsanordnung mangels Erfolgsaussichten für rechtsfehlerhaft, der Angeklagte wendet sich gegen die Dauer des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe.
18
Im Ergebnis wird von beiden Revisionen übereinstimmend die Unterbringungsanordnung insgesamt angefochten, da sie sich beide gegen den Schuldspruch richten. Führten die behaupteten Mängel des Schuldspruchs zu Aufhebung und Zurückverweisung, entfiele auch eine Unterbringung. Sie könnte nicht allein auf der Grundlage einer Prognose des Senats Bestand haben, auch nach erneuter Verhandlung über den Schuldspruch werde diese Maßregel wieder geboten sein (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 - 1 StR 268/95 zu § 63 StGB).
19
Hier haben sich allerdings weder zu Gunsten noch zu Lasten des Angeklagten Rechtsfehler im Schuld- oder Strafausspruch ergeben.
20
a) Daraus folgt hinsichtlich der Revision der Staatsanwaltschaft: Eine Unterbringung gemäß § 64 StGB beschwert den Angeklagten (BGH, Urteil vom 21. März 1979 - 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 331; v. Gemmeren in MüKommStGB , § 64 Rn. 101; vgl. auch § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Senat hatte daher - unbeschadet § 301 StPO - zu prüfen, ob die Staatsanwaltschaft den Wegfall der Unterbringung nur als notwendige Folge der von ihr wegen (behaupteter ) Fehlerhaftigkeit des Schuldspruchs zum Nachteil des Angeklagten angestrebten Urteilsaufhebung ansieht oder ob sie den Wegfall unabhängig vom Bestand des Schuldspruchs auf jeden Fall anstrebt. Insoweit läge eine gemäß § 296 Abs. 2 StPO zulässige Revision der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten vor. Eine Revision der Staatsanwaltschaft kann hinsichtlich des Schuldspruchs einerseits und einer Maßregel andererseits von unterschiedlicher Zielrichtung sein, auch wenn hier die den Angeklagten begünstigende Anfechtung der Unterbringung nur bei Erfolglosigkeit der zu seinem Nachteil zum Schuldspruch eingelegten Revision eigenständige Bedeutung hat. Die Staatsanwaltschaft hat sich zu alledem entgegen Nr. 147 Abs. 1 Satz 3 RiStBV nicht geäußert (vgl. auch Hanack in LR-StPO, 25. Aufl., § 296 Rn. 10). Die Aufgabe des Senats, das Ziel des Rechtsmittels durch Auslegung der Rechtsmittelerklärungen zu ermitteln, ist davon jedoch unberührt (vgl. Hanack aaO; MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., § 296 Rn. 14 jew. mwN). Diese ergibt hier angesichts der eingehenden Darlegung, warum die Unterbringung aus vom Schuldspruch unabhängigen Gründen fehlerhaft sei, dass die Staatsanwaltschaft die Unterbringung auch unabhängig vom Ergebnis ihrer Revision hinsichtlich des Schuldspruchs auf jeden Fall anfechten will.
21
b) Aus den dargelegten Gründen kann auch eine gegen den Schuldspruch gerichtete Revision des Angeklagten eine zugleich angeordnete Unterbringung nicht vom Rechtsmittelangriff ausnehmen. Daher kann offen bleiben, ob hier die Revision, die im Ergebnis geltend macht, dieUnterbringung müsse früher beginnen, hinsichtlich der Maßregel auf die Dauer des Vorwegvollzugs beschränkt sein soll; dies wäre wegen der gleichzeitigen Anfechtung des Schuldspruchs unwirksam.
22
6. Die Unterbringungsanordnung kann nicht bestehen bleiben.
23
a) Schon die Feststellungen zu einem Hang sind nicht klar. Der Angeklagte konsumiert seit Jahren Heroin und Haschisch. Wie seine näher geschil- derten zahlreichen Vorstrafen belegen, geriet er immer mehr „in den Teufelskreis von Drogen und Beschaffungskriminalität“, während etlicheTherapiever- suche erfolglos blieben. Die Strafkammer geht jedoch nicht davon aus, dass die Tat auf einem Hang zu Drogenmissbrauch beruht, sondern auf einem Hang zu übermäßigem Alkoholkonsum. Hierzu ergeben die Feststellungen zu Vorleben und Vorstrafen jedoch nichts. Mitgeteilt ist lediglich, dass der Sachverständige den Angeklagten für „trinkgewohnt“ hält, ohne dass die tatsächlichen Grundlagen dieser Bewertung erkennbar wären. Freilich treten Alkoholmissbrauch und Drogenmissbrauch nicht selten gleichzeitig auf (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 3 StR 194/07; Schöch in LK-StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 80; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 64 Rn. 7a mwN). Es ist jedoch fraglich, ob allein die unausgeführte Annahme, ein Drogenkonsument sei trinkgewohnt, einen Hang zu Alkoholmissbrauch tragfähig belegt.
24
b) Selbst wenn man aber von einem solchen Hang ausginge, fehlte es an den weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB. Erforderlich wäre, dass die rechtswidrige Tat entweder im Rausch begangen ist oder auf den Hang zurückgeht , wobei die erste dieser Alternativen ein Unterfall der zweiten Alternative ist (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96 mwN).
25
(1) „Im Rausch“ bedeutet, dass die Tat während des für das jeweilige Rauschmittel typischen, die geistig-psychischen Fähigkeiten beeinträchtigenden Intoxikationszustands begangen sein muss (Schöch in SSW-StGB, § 64 Rn. 26). Wie viel Alkohol der Angeklagte getrunken hatte, bevor K. kam, war nicht feststellbar, Spuren einer „deutlichen Intoxikation“ gibt es nicht. We- der ein Zeuge, noch der Angeklagte selbst hat von „erheblicher Alkoholisierung“ berichtet, bei seiner Festnahme wirkte er „in keiner Weise alkoholisiert oder drogenbeeinflusst“, eine nachfolgende Untersuchung ergab keine Hinweise auf Restalkohol. Auch die Feststellungen zur Tat einschließlich Vor- und Nachtat- geschehen zeigen, so die Strafkammer, „schlüssige und sinnvolle Handlungsabläufe“. Nach alledem spricht nichts dafür, dass die Tat i.S.d. §64 StGB im Rausch begangen wurde, der Zweifelssatz gilt insoweit nicht (v. Gemmeren aaO Rn. 36 mwN).
26
(2) Auch Anhaltspunkte dafür, dass die Tat, obwohl nicht im Rausch begangen , doch auf einen (etwaigen) Hang zum Alkohol- oder auch Drogenmissbrauch zurückginge, bestehen nicht. Dies setzte voraus, dass sie Symptomwert für den Hang hat, indem sich in ihr die hangbedingte Gefährlichkeit des Täters äußert. Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96 mwN). Darum geht es hier nicht. Andere Delikte kommen als Hangtaten dann in Betracht, wenn hierfür besondere Anhaltspunkte bestehen (BGH aaO). Bei Konflikttaten und (oder) Taten, denen eine Provokation des Täters durch das Opfer vorausging, liegt die Annahme eines Zusammenhangs mit einem Hang zum Missbrauch berauschender Mittel wenig nahe (v. Gemmeren aaO Rn. 37; vgl. auch Schöch in SSW-StGB, § 64 Rn. 27). Anhaltspunkte , dass hier bei einer spontanen Gewalttat aus Ärger über Vorhalte eines Außenstehenden wegen der Beziehung zu einer Frau, nahe liegend in Verbindung mit dem Gefühl (wegen des nur kleinen Messers) verspottet und nicht ernst genommen zu werden, ausnahmsweise ein solcher Zusammenhang möglich sein könnte, sind nicht ersichtlich. Der wenig klare Hinweis der Strafkammer , trotz nicht erkennbarer besonderer Alkoholisierung beruhe die Tat wegen der Enthemmung des Angeklagten auf seinem Hang zu Alkoholmissbrauch , ändert daran nichts.
27
c) Selbst wenn noch Feststellungen hinsichtlich eines generellen Hanges (auch) zu Alkoholmissbrauch möglich sein sollten, hält es der Senat für sicher ausgeschlossen, dass noch Feststellungen zu einem Rausch bei der Tat oder einem symptomatischen Zusammenhang zwischen der Tat und einem Hang zu Alkohol- oder auch Rauschgiftmissbrauch möglich sind. Daher erkennt er entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 15. April 2008 - 1 StR 167/08 mwN). Auf die für sich genommen zutreffenden Hinweise der Revisionen und des Generalbundesanwalts auf rechtliche Bedenken gegen die Annahme der Strafkammer, die gegenwärtigen Zweifel am Erfolg einer Unterbringung könnten nach Ablauf des (mit § 67 Abs. 2 StGB nicht zu vereinbarenden) Vorwegvollzuges von zehn Jahren Freiheitsstrafe ausgeräumt sein, kommt es daher nicht mehr an.
28
7. Der Senat hat geprüft, ob der Wegfall der Unterbringung den Bestand des für sich genommen rechtsfehlerfreien Strafausspruchs (vgl. oben 3, 4d) gefährdet. Dies wäre der Fall, wenn ein Einfluss der Maßregel auf die Strafhöhe möglich erschiene. Grundsätzlich besteht entsprechend der „Zweispurigkeit“ von Strafe und Maßregel zwischen beiden Rechtsfolgen keine Wechselwirkung, sie sollen unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365 mwN). Freilich sind die für Strafe und Unterbringungsanordnung wesentlichen Gesichtspunkte nicht stets streng voneinander zu trennen, z.B. kann ein Rausch auf die Bestimmung des Maßes der Schuld Einfluss haben und, sofern er hangbedingt ist, zugleich Grundlage einer Unterbringung sein. Derartige Zusammenhänge können nicht nur je nach den Umständen des Einzelfalles für die (vorliegend wegen umfassender Anfechtung des Urteils auch im Schuldspruch nicht einschlägige ) Frage der weiteren Beschränkbarkeit eines nicht gegen den Schuldspruch gerichteten Rechtsmittels im Zusammenhang mit der Unterbringungsanordnung bedeutsam sein (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. Juni 2011 - 2 StR 140/11; BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1993 - 2 StR 352/93, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 6), sondern auch im Blick auf eine die Unterbringung betreffende Entscheidung auf den Bestand des Strafausspruches Einfluss haben (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03, NStZ 2004, 111). Voraussetzung hierfür ist aber stets, dass die Urteilsgründe - auf diese kommt es an - konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Wechselwirkung zwischen der Entscheidung über die Höhe der Strafe und der Maßregel enthalten.
29
Dies ist hier in keiner Richtung der Fall.
30
8. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen waren der Staatskasse aufzuerlegen, auch soweit sie im Ergebnis zu Gunsten des Angeklagten erfolgreich war (vgl. zu den Kosten Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 473 Rn. 16 mwN); hinsichtlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten ergibt sich dies aus § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Kosten seiner Revision und die ihm dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat der Senat insgesamt dem Angeklagten auferlegt, § 473 Abs. 4 StPO. Nichts spricht dafür, dass er keine Revision eingelegt hätte, wenn seine Unterbringung gemäß § 64 StGB nicht angeordnet worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03 mwN).
Nack Wahl Rothfuß
Hebenstreit Sander

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 422/10
vom
14. Dezember 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Wuppertal vom 22. März 2010 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte war faktischer Geschäftsführer einer nominell von seiner früheren Ehefrau geführten Firma, die im Zusammenhang mit dem Handel mit gebrauchten Baumaschinen und Lastkraftwagen in ein näher beschriebenes, über Jahre bundesweit praktiziertes Steuerhinterziehungssystem einbezogen war. Insgesamt wurde allein Umsatzsteuer - ebenfalls hinterzogene Einkommenund Gewerbesteuer sind nicht mehr Verfahrensgegenstand - in Höhe von mehr als 1,5 Millionen € sowohl durch die Verschleierung von Umsätzen als auch durch unberechtigten Vorsteuerabzug auf der Grundlage fingierter Rechnungen hinterzogen.
2
Auf dieser Grundlage wurde der Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision erhebt eine Verfahrensrüge in Zusammenhang mit einem Selbstleseverfahren (§ 249 Abs. 2 StPO) und die näher ausgeführte Sachrüge. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Zur Verfahrensrüge:
4
Auf Anordnung des Vorsitzenden wurde ein Selbstleseverfahren durchgeführt , das sich auf eine zwei Seiten umfassende Tabelle bezog, die von der Überschrift: „Vorsteuerbeträge aus Rechnungseingängen der Firmen G. GmbH + T. GmbH / 2000 bis 2004“ abgesehen, weitgehend aus Zahlen besteht.
5
Hieran knüpft die Revision an:
6
Der aus Syrien stammende Angeklagte verfügt ausweislich der Urteilsgründe „über keine Schulbildung, kann nicht Lesen und Schreiben“. Ergänzend heißt es an anderer Stelle der Urteilsgründe, nach Angaben der früheren Ehefrau könne er „nur ein paar Worte und im übrigen nur Zahlen lesen“. Ergänzend trägt die Revision näher vor, dass und warum die (mit dem die Revision begründenden Verteidiger nicht identische) Verteidigerin im damaligen Hauptverhandlungstermin der Auffassung war, nähere Erläuterungen gegenüber dem Angeklagten zu diesem Selbstleseverfahren seien nicht erforderlich. Insgesamt, so die Revision , komme „ein Selbstleseverfahren mit einem leseunkundigen Angeklagten … nicht in Betracht“. Nachdem der Generalbundesanwalt die Zulässigkeit der Rüge bezweifelt hat, weil ein Widerspruch gegen die Anordnung des Selbstleseverfahrens gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erhoben worden sei, hat die Revision erwidert (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO), nicht die Anordnung des Selbstleseverfahrens sei fehlerhaft gewesen, sondern dessen Durchführung.
7
a) Der Vorsitzende bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen, ob ein Selbstleseverfahren durchzuführen ist (Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 249 Rn. 64). Dabei sind auch - hier, wie die Revision zutreffend vorträgt , schon im Ermittlungsverfahren aktenkundig gewordene - Anhaltspunkte für Analphabetismus in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 85). Einen Rechtssatz, dass in derartigen - nach forensischer Erfahrung nicht häufigen - Fällen ein Selbstleseverfahren keinesfalls zulässig sei, gibt es nicht. Wird ein solches - hier zwei Aktenseiten betreffendes - Verfahren für zweckmäßig gehalten, so ist die Situation damit vergleichbar, dass der Angeklagte Urkunden zwar lesen, aber mangels Sprachkenntnissen nicht verstehen kann. Auch dann ist ein Selbstleseverfahren möglich, jedoch muss das Gericht ermöglichen, dass ihm der Inhalt der Urkunde zur Kenntnis gebracht wird (vgl. Mosbacher aaO Rn. 80). Jedoch kann, von den hier nicht in Rede stehenden Richtern abgesehen , jeder Verfahrensbeteiligte, also auch der Angeklagte, auch darauf verzichten , vom Inhalt der Urkunden Kenntnis zu nehmen (vgl. Mosbacher aaO Rn. 82). Verzichtet er nicht, kann der Inhalt gegebenenfalls durch einen hierzu bereiten Verteidiger zur Kenntnis gebracht werden, sonst auf andere Weise. Es ist dem Strafprozessrecht auch sonst nicht fremd, dass erforderlichenfalls Urkunden vorgelesen werden (vgl. § 35 Abs. 3 StPO; zur Notwendigkeit des Vorlesens auch unter anderen als den in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen vgl. Graalmann-Scheerer aaO § 35 Rn. 27).
8
b) Weder auf (etwaige) Fehler bei der Anordnung, noch bei der Durchführung des Selbstleseverfahrens kann mit Erfolg eine Verfahrensrüge gestützt werden , wenn zuvor kein Gerichtsbeschluss herbeigeführt wurde. Hinsichtlich der Anordnung ist eine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO herbeizuführen, bei der das Ermessen des Spruchkörpers an die Stelle des Ermessens des Vorsitzenden tritt (Mosbacher aaO Rn. 76). Geht es nicht um die Anordnung, sondern die ebenfalls zunächst vom Vorsitzenden zu bestimmende Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens (Mosbacher aaO Rn. 81), ist eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen, wobei dann nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme zu überprüfen ist (Mosbacher aaO Rn. 103). Hier ist weder das eine noch das andere geschehen. Daher ist für eine Verfahrensrüge im Zusammen- hang mit dem Selbstleseverfahren kein Raum (Mosbacher aaO Rn. 110; Kindhäuser NStZ 1987, 529, 531< § 249 Abs. 2 Satz 2 StPO>; Mosbacher aaO Rn. 114 <§ 238 Abs. 2 StPO>). Soweit keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, ist ergänzend auf folgendes hinzuweisen: Der Bundesgerichtshof hat offen gelassen, ob eine Rüge auch dann daran scheitert, dass keine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde, wenn die behauptete Rechtsverletzung durch den Vorsitzenden nicht mehr mit der Einhaltung „der unumstößlichen, eindeutigen Grenzen zulässiger Verfahrensgestaltung“ vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, JR 2007, 381, 384). Der Senat braucht dieser Frage hier ebenfalls nicht näher nachzugehen, da es hier um die Wahrung eines Rechts geht, auf das der Angeklagte, wie dargelegt, nach seinem Belieben verzichten kann, ohne dass mit einem solchen Verzicht Prozessrecht verletzt wäre. Wird die Verletzung eines derartigen Rechts gerügt, bleibt es bei dem Grundsatz, dass eine solche Rüge nur Erfolg haben kann, wenn eine Entscheidung gemäß § 238 Abs. 2 StPO herbeigeführt wurde.
9
2. Mit der Sachrüge macht die Revision geltend, es bleibe unklar, auf welcher Feststellungsgrundlage die mitgeteilten Umsatzsteuerverkürzungen der Höhe nach berechnet seien. Insoweit ist der Revision zuzugestehen, dass die Urteilsgründe nicht ausdrücklich ergeben, wie hoch die Umsätze waren, die den vom Angeklagten begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen zu Grunde lagen. Dies gefährdet hier allerdings den Bestand des Urteils nicht.
10
Es ist zu differenzieren:
11
a) Soweit unberechtigter Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) auf der Grundlage von Scheinrechnungen erfolgte, reichte es für die Sachdarstellung in den Urteilsgründen aus, dass dessen Höhe beziffert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 StR 420/10). Aus dem Umstand, dass vorliegend den Scheinrechnungen keine tatsächlich erbrachten Leistungen zu Grunde lagen, folgt, dass der gesamte aus diesen Scheinrechnungen geltende gemachte Vorsteuerabzug zu Unrecht erfolgte. Besonderheiten des Einzelfalls, die vorliegend weitere Darlegungen erforderlich gemacht hätten, sind nicht ersichtlich.
12
b) Soweit Umsatzsteuer dadurch verkürzt wurde, dass in den Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen des Unternehmens steuerbare Umsätze verschwiegen wurden, wären demgegenüber - nicht mit erkennbarem Mehraufwand verbundene - Feststellungen zur Höhe der verschwiegenen Umsätze sachgerecht gewesen, um den Senat auch ohne aufwändige eigene Bemühungen die von ihm auf ihre rechtliche Tragfähigkeit zu überprüfenden tatsächlichen Grundlagen des Urteils erkennen zu lassen. Unter den gegebenen Umständen gefährdet dieser Mangel hier den Bestand des Urteils jedoch nicht:
13
Die Überzeugung von der Richtigkeit der im Urteil festgestellten Besteuerungsgrundlagen kann das Tatgericht auch anhand eines Geständnisses des Angeklagten, das das Tatgericht überprüft hat, oder anhand von verlässlichen Wahrnehmungen von Beamten der Finanzverwaltung, die diese in der Hauptverhandlung als Zeuge berichten, gewinnen. Angaben von Beamten der Finanzverwaltung zu tatsächlichen Gegebenheiten können - wie bei sonstigen Zeugen auch - taugliche Grundlage der Überzeugung des Tatgerichts sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546 Rn. 18 f.).
14
Erweist sich - wie hier - die Berechnung der verkürzten Steuern auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen als einfacher Rechenschritt (die festgestellte Hinterziehungssumme stellt nach dem zur Tatzeit geltenden Umsatzsteuersatz 16 % des zu Grunde liegenden Umsatzes dar), kann die Feststellung allein der hinterzogenen Steuern ausreichend sein. Anhaltspunkte da- für, dass der Strafkammer bei der Berechnung der hinterzogenen Umsatzsteuer (vgl. UA S. 16) bei der gegebenen Sachlage Rechtsanwendungsfehler zum Nachteil des Angeklagten unterlaufen sind, bestehen nicht, zumal der verteidigte Angeklagte die Richtigkeit des Zahlenwerks auch selbst anerkannt hat.
15
3. Auch im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Nack Wahl Hebenstreit RiBGH Prof. Dr. Sander befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift verhindert. Jäger Nack

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 33/11
vom
15. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (bezogen auf Heroingemische mit einem Wirkstoffgehalt von in einem Fall 27 %, in den anderen Fällen von mindestens jeweils 30 %, in einem Fall etwas höher, im Gewicht zwischen etwa 300 g und 550 g) und einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (bezogen auf ein Kokaingemisch von 300 g mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 %) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
2
Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Für die - nach forensischer Erfahrung ohnehin ziemlich fern liegende - Behauptung, entgegen § 226 StPO sei am zweiten Verhandlungstag kein Protokollführer anwesend gewesen (§ 338 Nr. 5 StPO), gibt es keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte. Das Hauptverhandlungsprotokoll beweist das Gegenteil. Danach wurde die unterbrochene Hauptverhandlung „in gleicher Besetzung wie Bl. 2 des Protokolls fortgesetzt“. Bl. 2 ergibt, dass am ersten Hauptverhandlungstag Justizangestellte M. als Protokollführerin mitgewirkt hat. Die Revision, die diesen Hinweis für nicht „ausreichend“ hält, verkennt offenbar, dass bei Fortset- zungsterminen die Namen der gemäß § 272 Nr. 2 StPO im Protokoll zu nennenden Verfahrensbeteiligten nicht wiederholt werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 3 StR 462/00, BGHR StPO § 274 Beweiskraft 24; KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 272 Rn. 2). Ebenso wenig wie der genannte Hinweis spricht der von der Revision für auch nicht ausreichend gehaltene, nach ihrer Bewertung „unleserliche Namenszug“ am Ende des Protokolls von diesem Verhandlungstag dafür, dass ihre Behauptung der Wahrheit entspräche. Abgesehen davon, dass die allein behauptete bloße Unleserlichkeit einer Unterschrift rechtlich ohnehin bedeutungslos ist (vgl. zur Unterschrift eines Richters unter einem Urteil BGH, Beschluss vom 30. August 1988 - 1 StR 377/88, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 1; zur Unterschrift eines Verteidigers unter einer Revisionsbegründung BGH, Urteil vom 7. Januar 1959 - 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317, 319), spräche eine solche Unterschrift unter einem Protokoll offensichtlich nicht dafür, dass der Eindruck erweckt werden soll, es sei eine in Wirklichkeit abwesende Person bei der Protokollierung anwesend gewesen. Darauf, dass, so der Generalbundesanwalt, die Unterschrift von Frau M. durchaus lesbar ist, kommt es daher nicht mehr an.
4
2. Am 22. März 2010 wies die Strafkammer durch ein Vorsitzendenschreiben an die Verteidiger auf ihre Auffassung hin, dass die Angaben des Angeklagten „keine Einlassung im Sinne einer Verständigung“ seien; deshalb sei die Strafkammer „nicht an (…) Zusagen über bestimmte Freiheitsstrafen gebunden“. Im nächsten Hauptverhandlungstermin wurde der Angeklagte befragt, „ob die bisherigen Aussagen aufrechterhalten (blieben) oder nicht“. Im Falle der Bestätigung „ohne den Hintergrund einer möglichen Verständigung“ stehe § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ihrer Verwertung nicht entgegen. In der Hauptverhandlung vom 30. März 2010 wurde dieser Brief verlesen und der Angeklagte wie angekündigt befragt. Er erklärte, so auch die Revision, „dass es bei seinen bisherigen Angaben verbleibe und er diese weiterhin zum Inhalt seiner Einlassung macht“.
5
a) Hierauf gestützt meint die Revision zunächst, eine Loslösung von einer früheren Zusage müsse in Form eines Beschlusses geschehen (so auch Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren , § 257c StPO Rn. 113). Ob dies zwingend oder nur zweckmäßig ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c StPO Rn. 29 „am besten in Form eines Beschlusses“), mag dahinstehen, da die Verlesung des Briefes der Sache nach die Verkündung eines Beschlusses ist. Der Umstand, dass dies schon zuvor den Verteidigern - letztlich um aus Gründen der Fürsorgepflicht eine Vorbereitung auf das für den nächsten Hauptverhandlungstag vorgesehene Geschehen zu ermöglichen - in Form eines Briefs angekündigt wurde und dieser Brief dann nicht umformuliert und ausdrücklich als Beschluss bezeichnet wurde, ändert daran nichts. An der in einer derartigen Verfahrenslage entscheidenden Rechtsklarheit für die Beteiligten (Niemöller aaO) können hier keine Zweifel bestehen.
6
b) Insbesondere ergibt sich aus diesem Beschluss (Brief) mit gebotener Klarheit, dass die Strafkammer frühere Aussagen für unverwertbar hielt und sie nur im Falle einer bestätigenden Wiederholung berücksichtigen würde, die in Kenntnis des Umstandes, dass eine Vereinbarung nicht mehr im Raum steht, erklärt worden ist. Im Blick auf diese vorangegangene eingehende und präzise Belehrung bestehen auch unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Revisionsvorbringens gegen die Verwertung der Aussagen vom 30. März 2010 keine rechtlichen Bedenken. Die vorangegangenen Aussagen hat die Strafkammer entsprechend ihrer Ankündigung nicht verwertet, anderes behauptet auch die Revision nicht. Daher kann auf sich beruhen, dass, so die Revision, der Angeklagte vor Abgabe dieser dann nicht verwerteten Aussagen nicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war. Es ist im Blick auf das nachfolgende Verfahrensgeschehen nicht erkennbar, wie sich ein solcher Verfahrensverstoß noch ausgewirkt haben könnte.
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3. Insbesondere hinsichtlich der festgestellten Bandenabrede haben Erkenntnisse aus im Lauf des Ermittlungsverfahrens angefallenen Überwachungsprotokollen Bedeutung. Über einen Teil dieser Protokolle wurde in der Hauptverhandlung Beweis erhoben, hinsichtlich eines anderen näher gekennzeichneten Teils wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung stellte der Vorsitzende nach dessen Abschluss fest, dass die Schöffen Gelegenheit zur Kenntnisnahme der genannten Urkunden hatten. Hierauf gestützt macht die Revision geltend, die in Rede stehenden Urkunden, die, wie sie behauptet, aber nicht näher ausführt, in das Urteil eingeflossen seien, seien nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden.
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a) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen nicht.
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(1) Allerdings wurde die genannte Feststellung in der Hauptverhandlung vom 20. Juli 2010 getroffen, nicht, so aber die Revision, im Termin vom 13. Juli 2010. Dies ist unschädlich, da es auf den exakten Zeitpunkt in der Hauptverhandlung hier nicht ankommt. Da zur Glaubhaftmachung einer geltend gemachten Verfahrensrüge Beweismittel, wie etwa Aktenstellen, überhaupt nicht angegeben werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, BGH StV 2007, 569), führt auch die Angabe einer falschen Aktenstelle als Beleg für einen tatsächlich geschehenen, aus einer anderen Stelle der Akten ersichtlichen Vorgang nicht dazu, dass die entsprechende Rüge nicht zulässig erhoben wäre. Gleichwohl bemerkt der Senat, dass der entsprechende Hinweis in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft sachgerecht ist, da er die Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen des Revisionsvorbringens erleichtert hat.
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(2) Der Generalbundesanwalt hat erwogen, ob die in Rede stehende Feststellung Teil der Durchführung des Selbstleseverfahrens sei. Dann sei, so folgert er aus dem Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2010 (1 StR 422/10), die Rüge unzulässig, da der Angeklagte nach der genannten Feststellung durch den Vorsitzenden keine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers herbeigeführt hätte. Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass die Feststellungen, die nach Abschluss der Durchführung des Selbstleseverfahrens hierüber zu treffen sind, Teil der Durchführung dieses Verfahrens sind. Im Übrigen lag jener Entscheidung zu Grunde, dass erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht wurde, aus in der Person des Angeklagten liegenden Gründen hätte kein Selbstleseverfahren angeordnet und/oder so, wie geschehen, durchgeführt werden dürfen. Mit dem hier vorliegenden Fall, dass sich der Angeklagte gegen die für ihn nur aus dem Protokoll ersichtliche Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens durch die Richter wendet, ist jener Fall auch und gerade im Blick auf eine Notwendigkeit, schon in der Hauptverhandlung vorgesehene Möglichkeiten zu nutzen, auf die Beseitigung von dann im Revisionsverfahren geltend gemachter Fehler hinzuwirken, nicht vergleichbar.
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(3) Der Generalbundesanwalt hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge auch deshalb geltend gemacht, weil die Revision nicht vorträgt, dass für zahlreiche Überwachungsprotokolle nicht das Selbstleseverfahren angeordnet wurde, sondern hierüber in der Hauptverhandlung Beweis erhoben wurde. Daher könne der Senat den Einfluss der Verlesung der nicht mitgeteilten Protokolle auf die Überzeugungsbildung der Kammer nicht prüfen.
12
Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Aus den nicht vorgetragenen Beweiserhebungen können sich möglicherweise Gesichtspunkte dafür ergeben, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Fehler nicht beruhen kann. Sowenig ein Revisionsführer in der Regel zum Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler vortragen muss - mag auch solcher Vortrag je nach Fallgestaltung zweckmäßig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; BGH bei Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1, 3 Nr. 4 jew. mwN) -, so wenig ist eine Rüge deshalb nicht zulässig erhoben, weil Tatsachen, die gegen ein Beruhen sprechen könnten, nicht vorgetragen sind. Der unterbliebene Vortrag hierzu ist nicht mit dem je nach den Umständen des Falles erforderlichen Vortrag zu „rügevernichtenden Umständen“ (z.B. der Wiederholung eines Teils der Hauptverhandlung, in dem ein früherer, der Rüge zu Grunde liegender Verfahrensvorgang wiederholt wurde) oder „Negativtatsachen“ (wenn eine dem geltend gemachten Verfahrensfehler entgegenstehende Verfahrenslage ernsthaft in Frage kommt) zu vergleichen (vgl. Sander/Cirener aaO Nr. 3c, d; Mosbacher NStZ 2008, 263 jew. mwN).
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b) Der geltend gemachte Rechtsfehler liegt vor.
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Der Generalbundesanwalt hat in diesem Zusammenhang zutreffend folgendes ausgeführt:
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„Die Durchführung eines Selbstleseverfahrens kann als wesentliche Verfahrensförmlichkeit nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden (§ 274 StPO). Die Feststellung, dass die Schöffen Gelegenheit hatten, von den im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden Kenntnis zu nehmen (Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung …), belegt im Umkehrschluss, dass die Berufsrichter diese Gelegenheit nicht hatten (vgl. BGH wistra 2010, 31). Außerdem genügt, wie die Revision zutreffend bemerkt, die Gelegenheit zur Kenntnisnahme nur für weitere Verfahrensbeteiligte, für Berufsrichter und Schöffen muss [unterschiedslos] die erfolgte Kenntnisnahme festgestellt werden (§ 249 Abs. 2 Satz 1 StPO)“.
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Die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, wonach „sowohl die Berufsrichter als auch die Schöffen (…) hinsichtlich der Urkunden (…) nicht nur Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatten, sondern auch Kenntnis von den Urkunden genommen haben“, ist im Ansatz nicht geeignet, die alleinige Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) in Frage zu stellen. Anhaltspunkte für die Grundlage eines - zu Recht nicht durchgeführten - Protokollberichtigungsverfahrens (BGH - Großer Senat für Strafsachen -, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298), also etwa dafür, dass die gebotenen Feststellungen in der Hauptverhandlung getroffen, aber versehentlich nicht protokolliert wurden, liegen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 2 StR 54/09; BGHSt 54, 37; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09 mwN).
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c) Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf dem genannten Fehler beruht. In den Urteilsgründen wird in den unterschiedlichsten Zusammenhängen , insbesondere aber hinsichtlich der strukturellen Verbindung des Angeklagten mit weiteren Tätern, häufig auf die Aussagen von (etlichen) Polizeibeamten verwiesen, die jeweils im Einzelnen über ebenfalls geschilderte Einzelerkenntnisse hinaus die Gesamtergebnisse der von ihnen ausgewerteten Überwachungserkenntnisse dargelegt haben. All dies hat der Generalbundesanwalt zutreffend im Einzelnen dargelegt. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Revision mitgeteilten Überwachungsergebnisse spezielle konkrete Erkenntnisse enthielten, die, ohne von den insbesondere durch die Polizeibeamten eingeführten Gesamtergebnissen umfasst zu sein, in irgendeinem Zusammenhang auf die Urteilsfeststellungen Einfluss gewonnen hätten, sind nicht ersichtlich. Auch die Revision äußert sich hierzu nicht konkret. Dies ist, wie dargelegt, rechtlich nicht geboten. Das Vorbringen ist aber auch nicht geeignet, das dargelegte Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Beruhensprüfung in Frage zu stellen.
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4. Die Sachrüge ist unbegründet.
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Zum Schuldspruch ist lediglich anzumerken, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Bemühungen, auch noch mit Kokain zu handeln, bereits konkrete Erwerbsvereinbarungen getroffen hatte. Zweifel an vollendetem Handeltreiben bestehen daher nicht. Der Wirkstoffgehalt, von dem die Strafkammer bei dem nicht sichergestellten Kokaingemisch von 300 g ausgegangen ist, erscheint sehr gering (vgl. demgegenüber Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn.116 ff. mwN). Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist nicht erkennbar. Für eine Anwendung von § 64 StGB, deren Unterlassung den Angeklagten ohnehin nicht beschwert , fehlen, wie die Strafkammer rechtsfehlerfrei darlegt, die Grundlagen, weil der Angeklagte „bewusst einen weit überhöhten Drogenkonsum behauptet, um (…) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (...) zu erreichen“.
Nack Wahl Elf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 345/10
vom
27. Juli 2010
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: nein
Veröffentlichung: ja
____________________
Gibt das Gericht gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO eine Ober- und Untergrenze
der Strafe an, ist es nicht gehindert, die angegebene Obergrenze als Strafe
zu verhängen.
BGH, Beschl. vom 27. Juli 2010 - 1 StR 345/10 - LG Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juli 2010 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 27. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Senat merkt an: Zutreffend hat der Generalbundesanwalt darauf hingewiesen, dass bei einer Verständigung gemäß § 257c StPO das Gericht nicht gehindert ist, die gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO angegebene Obergrenze der Strafe als Strafe zu verhängen. Gemäß § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO kann das Gericht unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Vereinbarung einer bestimmten Strafe ("Punktstrafe"; vgl. hierzu BGHSt 51, 84, 86) bleibt nach wie vor unzulässig. Das Gericht kann im Einverständnis mit den Verfahrensbeteiligten nur einen Strafrahmen, nicht aber eine bestimmte Strafe vereinbaren. Hierbei darf der Angeklagte aber nicht mit einer weit geöffneten "Sanktionsschere" unter Druck gesetzt werden. Die Angabe eines Strafrahmens entspricht dem Grundsatz, dass das Gericht bei der Bemessung der schuldangemessenen Strafe einen Beurteilungsspielraum hat, der nur eingeschränkt vom Revisionsgericht überprüft werden kann. Die Angabe eines Strafrahmens durch das Gericht führt aber nicht dazu, dass es nur die Strafuntergrenze als Strafe festsetzen darf. Einen derartigen Vertrauenstatbestand hat das Gericht nicht geschaffen (a.A. Meyer-Goßner StPO, 53. Aufl., § 257c Rdn. 20 ff.; derselbe ZRP 2009, 107, 109). Die Entscheidung über die konkrete Strafe bleibt der abschließenden Beratung durch das Gericht vorbehalten. Der Angeklagte kann nur darauf vertrauen, dass die Strafe innerhalb des angegebenen Strafrahmens liegt. Er muss daher auch damit rechnen, dass die Strafe die Strafrahmenobergrenze erreicht. Nack Wahl Rothfuß Jäger Sander