Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juli 2012 - 1 StR 302/12

bei uns veröffentlicht am24.07.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 302/12
vom
24. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schweren Bandendiebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juli 2012 beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ulm vom 23. Februar 2012 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts merkt der Senat an: Die Aufklärungsrügen (§ 244 Abs. 2 StPO) der Angeklagten K. und Ka. sind nicht schon deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2StPO), weil die Aktenstellen der Beweismittel nicht angegeben sind. Zum einen haben die Revisionsführer die Fundstellen angegeben, soweit die Beweismittel sich bei den Akten befinden, zum anderen müssen die Aktenstellen zur Zulässigkeit der Rüge nicht angegeben werden (vgl. hierzu u.a. Senatsurteil vom 15. März 2011 - 1 StR 33/11, NStZ-RR 2011, 253 ff. mwN; BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 - 4 StR 157/02, NStZ-RR 2003, 334). Die vom Generalbundesanwalt als Gegenmeinung angeführte Entscheidung (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1966 - 4 StR 458/66, VRS 32, 305 ff.) steht schon deshalb nicht entgegen, weil es sich dort um Stellen in den Akten eines früheren Verfahrens gehandelt hat. Die Rügen sind aber deshalb unzulässig, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, weil es an bestimmten Beweisbehauptungen fehlt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden, dass die geschädigte Firma tatsächlich mit den Diebstählen einverstanden war. Es drängte daher nichts dazu, die von den Revisionen vermissten Beweiserhebungen vorzunehmen.
Nack Rothfuß Hebenstreit Sander Cirener

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juli 2012 - 1 StR 302/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juli 2012 - 1 StR 302/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juli 2012 - 1 StR 302/12 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 1 StR 33/11

bei uns veröffentlicht am 15.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 33/11 vom 15. März 2011 in der Strafsache gegen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen: Di

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Mai 2003 - 4 StR 157/02

bei uns veröffentlicht am 21.05.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 157/02 vom 21. Mai 2003 in der Strafsache gegen wegen Bestechung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. und 4. auf dessen Antra

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 33/11
vom
15. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juli 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen (bezogen auf Heroingemische mit einem Wirkstoffgehalt von in einem Fall 27 %, in den anderen Fällen von mindestens jeweils 30 %, in einem Fall etwas höher, im Gewicht zwischen etwa 300 g und 550 g) und einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (bezogen auf ein Kokaingemisch von 300 g mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 30 %) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt.
2
Seine auf mehrere Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
1. Für die - nach forensischer Erfahrung ohnehin ziemlich fern liegende - Behauptung, entgegen § 226 StPO sei am zweiten Verhandlungstag kein Protokollführer anwesend gewesen (§ 338 Nr. 5 StPO), gibt es keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte. Das Hauptverhandlungsprotokoll beweist das Gegenteil. Danach wurde die unterbrochene Hauptverhandlung „in gleicher Besetzung wie Bl. 2 des Protokolls fortgesetzt“. Bl. 2 ergibt, dass am ersten Hauptverhandlungstag Justizangestellte M. als Protokollführerin mitgewirkt hat. Die Revision, die diesen Hinweis für nicht „ausreichend“ hält, verkennt offenbar, dass bei Fortset- zungsterminen die Namen der gemäß § 272 Nr. 2 StPO im Protokoll zu nennenden Verfahrensbeteiligten nicht wiederholt werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 3 StR 462/00, BGHR StPO § 274 Beweiskraft 24; KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., § 272 Rn. 2). Ebenso wenig wie der genannte Hinweis spricht der von der Revision für auch nicht ausreichend gehaltene, nach ihrer Bewertung „unleserliche Namenszug“ am Ende des Protokolls von diesem Verhandlungstag dafür, dass ihre Behauptung der Wahrheit entspräche. Abgesehen davon, dass die allein behauptete bloße Unleserlichkeit einer Unterschrift rechtlich ohnehin bedeutungslos ist (vgl. zur Unterschrift eines Richters unter einem Urteil BGH, Beschluss vom 30. August 1988 - 1 StR 377/88, BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 1 Unterschrift 1; zur Unterschrift eines Verteidigers unter einer Revisionsbegründung BGH, Urteil vom 7. Januar 1959 - 2 StR 550/58, BGHSt 12, 317, 319), spräche eine solche Unterschrift unter einem Protokoll offensichtlich nicht dafür, dass der Eindruck erweckt werden soll, es sei eine in Wirklichkeit abwesende Person bei der Protokollierung anwesend gewesen. Darauf, dass, so der Generalbundesanwalt, die Unterschrift von Frau M. durchaus lesbar ist, kommt es daher nicht mehr an.
4
2. Am 22. März 2010 wies die Strafkammer durch ein Vorsitzendenschreiben an die Verteidiger auf ihre Auffassung hin, dass die Angaben des Angeklagten „keine Einlassung im Sinne einer Verständigung“ seien; deshalb sei die Strafkammer „nicht an (…) Zusagen über bestimmte Freiheitsstrafen gebunden“. Im nächsten Hauptverhandlungstermin wurde der Angeklagte befragt, „ob die bisherigen Aussagen aufrechterhalten (blieben) oder nicht“. Im Falle der Bestätigung „ohne den Hintergrund einer möglichen Verständigung“ stehe § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO ihrer Verwertung nicht entgegen. In der Hauptverhandlung vom 30. März 2010 wurde dieser Brief verlesen und der Angeklagte wie angekündigt befragt. Er erklärte, so auch die Revision, „dass es bei seinen bisherigen Angaben verbleibe und er diese weiterhin zum Inhalt seiner Einlassung macht“.
5
a) Hierauf gestützt meint die Revision zunächst, eine Loslösung von einer früheren Zusage müsse in Form eines Beschlusses geschehen (so auch Niemöller in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren , § 257c StPO Rn. 113). Ob dies zwingend oder nur zweckmäßig ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 257c StPO Rn. 29 „am besten in Form eines Beschlusses“), mag dahinstehen, da die Verlesung des Briefes der Sache nach die Verkündung eines Beschlusses ist. Der Umstand, dass dies schon zuvor den Verteidigern - letztlich um aus Gründen der Fürsorgepflicht eine Vorbereitung auf das für den nächsten Hauptverhandlungstag vorgesehene Geschehen zu ermöglichen - in Form eines Briefs angekündigt wurde und dieser Brief dann nicht umformuliert und ausdrücklich als Beschluss bezeichnet wurde, ändert daran nichts. An der in einer derartigen Verfahrenslage entscheidenden Rechtsklarheit für die Beteiligten (Niemöller aaO) können hier keine Zweifel bestehen.
6
b) Insbesondere ergibt sich aus diesem Beschluss (Brief) mit gebotener Klarheit, dass die Strafkammer frühere Aussagen für unverwertbar hielt und sie nur im Falle einer bestätigenden Wiederholung berücksichtigen würde, die in Kenntnis des Umstandes, dass eine Vereinbarung nicht mehr im Raum steht, erklärt worden ist. Im Blick auf diese vorangegangene eingehende und präzise Belehrung bestehen auch unter Berücksichtigung des gesamten hierauf bezogenen Revisionsvorbringens gegen die Verwertung der Aussagen vom 30. März 2010 keine rechtlichen Bedenken. Die vorangegangenen Aussagen hat die Strafkammer entsprechend ihrer Ankündigung nicht verwertet, anderes behauptet auch die Revision nicht. Daher kann auf sich beruhen, dass, so die Revision, der Angeklagte vor Abgabe dieser dann nicht verwerteten Aussagen nicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden war. Es ist im Blick auf das nachfolgende Verfahrensgeschehen nicht erkennbar, wie sich ein solcher Verfahrensverstoß noch ausgewirkt haben könnte.
7
3. Insbesondere hinsichtlich der festgestellten Bandenabrede haben Erkenntnisse aus im Lauf des Ermittlungsverfahrens angefallenen Überwachungsprotokollen Bedeutung. Über einen Teil dieser Protokolle wurde in der Hauptverhandlung Beweis erhoben, hinsichtlich eines anderen näher gekennzeichneten Teils wurde ein Selbstleseverfahren angeordnet. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung stellte der Vorsitzende nach dessen Abschluss fest, dass die Schöffen Gelegenheit zur Kenntnisnahme der genannten Urkunden hatten. Hierauf gestützt macht die Revision geltend, die in Rede stehenden Urkunden, die, wie sie behauptet, aber nicht näher ausführt, in das Urteil eingeflossen seien, seien nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden.
8
a) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen nicht.
9
(1) Allerdings wurde die genannte Feststellung in der Hauptverhandlung vom 20. Juli 2010 getroffen, nicht, so aber die Revision, im Termin vom 13. Juli 2010. Dies ist unschädlich, da es auf den exakten Zeitpunkt in der Hauptverhandlung hier nicht ankommt. Da zur Glaubhaftmachung einer geltend gemachten Verfahrensrüge Beweismittel, wie etwa Aktenstellen, überhaupt nicht angegeben werden müssen (BGH, Beschluss vom 22. September 2006 - 1 StR 298/06, BGH StV 2007, 569), führt auch die Angabe einer falschen Aktenstelle als Beleg für einen tatsächlich geschehenen, aus einer anderen Stelle der Akten ersichtlichen Vorgang nicht dazu, dass die entsprechende Rüge nicht zulässig erhoben wäre. Gleichwohl bemerkt der Senat, dass der entsprechende Hinweis in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft sachgerecht ist, da er die Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen des Revisionsvorbringens erleichtert hat.
10
(2) Der Generalbundesanwalt hat erwogen, ob die in Rede stehende Feststellung Teil der Durchführung des Selbstleseverfahrens sei. Dann sei, so folgert er aus dem Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2010 (1 StR 422/10), die Rüge unzulässig, da der Angeklagte nach der genannten Feststellung durch den Vorsitzenden keine Entscheidung des gesamten Spruchkörpers herbeigeführt hätte. Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass die Feststellungen, die nach Abschluss der Durchführung des Selbstleseverfahrens hierüber zu treffen sind, Teil der Durchführung dieses Verfahrens sind. Im Übrigen lag jener Entscheidung zu Grunde, dass erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht wurde, aus in der Person des Angeklagten liegenden Gründen hätte kein Selbstleseverfahren angeordnet und/oder so, wie geschehen, durchgeführt werden dürfen. Mit dem hier vorliegenden Fall, dass sich der Angeklagte gegen die für ihn nur aus dem Protokoll ersichtliche Art der Durchführung des Selbstleseverfahrens durch die Richter wendet, ist jener Fall auch und gerade im Blick auf eine Notwendigkeit, schon in der Hauptverhandlung vorgesehene Möglichkeiten zu nutzen, auf die Beseitigung von dann im Revisionsverfahren geltend gemachter Fehler hinzuwirken, nicht vergleichbar.
11
(3) Der Generalbundesanwalt hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge auch deshalb geltend gemacht, weil die Revision nicht vorträgt, dass für zahlreiche Überwachungsprotokolle nicht das Selbstleseverfahren angeordnet wurde, sondern hierüber in der Hauptverhandlung Beweis erhoben wurde. Daher könne der Senat den Einfluss der Verlesung der nicht mitgeteilten Protokolle auf die Überzeugungsbildung der Kammer nicht prüfen.
12
Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Aus den nicht vorgetragenen Beweiserhebungen können sich möglicherweise Gesichtspunkte dafür ergeben, dass das Urteil auf dem geltend gemachten Fehler nicht beruhen kann. Sowenig ein Revisionsführer in der Regel zum Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler vortragen muss - mag auch solcher Vortrag je nach Fallgestaltung zweckmäßig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09; BGH bei Sander/Cirener NStZ-RR 2008, 1, 3 Nr. 4 jew. mwN) -, so wenig ist eine Rüge deshalb nicht zulässig erhoben, weil Tatsachen, die gegen ein Beruhen sprechen könnten, nicht vorgetragen sind. Der unterbliebene Vortrag hierzu ist nicht mit dem je nach den Umständen des Falles erforderlichen Vortrag zu „rügevernichtenden Umständen“ (z.B. der Wiederholung eines Teils der Hauptverhandlung, in dem ein früherer, der Rüge zu Grunde liegender Verfahrensvorgang wiederholt wurde) oder „Negativtatsachen“ (wenn eine dem geltend gemachten Verfahrensfehler entgegenstehende Verfahrenslage ernsthaft in Frage kommt) zu vergleichen (vgl. Sander/Cirener aaO Nr. 3c, d; Mosbacher NStZ 2008, 263 jew. mwN).
13
b) Der geltend gemachte Rechtsfehler liegt vor.
14
Der Generalbundesanwalt hat in diesem Zusammenhang zutreffend folgendes ausgeführt:
15
„Die Durchführung eines Selbstleseverfahrens kann als wesentliche Verfahrensförmlichkeit nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden (§ 274 StPO). Die Feststellung, dass die Schöffen Gelegenheit hatten, von den im Selbstleseverfahren eingeführten Urkunden Kenntnis zu nehmen (Feststellung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung …), belegt im Umkehrschluss, dass die Berufsrichter diese Gelegenheit nicht hatten (vgl. BGH wistra 2010, 31). Außerdem genügt, wie die Revision zutreffend bemerkt, die Gelegenheit zur Kenntnisnahme nur für weitere Verfahrensbeteiligte, für Berufsrichter und Schöffen muss [unterschiedslos] die erfolgte Kenntnisnahme festgestellt werden (§ 249 Abs. 2 Satz 1 StPO)“.
16
Die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden, wonach „sowohl die Berufsrichter als auch die Schöffen (…) hinsichtlich der Urkunden (…) nicht nur Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatten, sondern auch Kenntnis von den Urkunden genommen haben“, ist im Ansatz nicht geeignet, die alleinige Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) in Frage zu stellen. Anhaltspunkte für die Grundlage eines - zu Recht nicht durchgeführten - Protokollberichtigungsverfahrens (BGH - Großer Senat für Strafsachen -, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298), also etwa dafür, dass die gebotenen Feststellungen in der Hauptverhandlung getroffen, aber versehentlich nicht protokolliert wurden, liegen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2009 - 2 StR 54/09; BGHSt 54, 37; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09 mwN).
17
c) Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf dem genannten Fehler beruht. In den Urteilsgründen wird in den unterschiedlichsten Zusammenhängen , insbesondere aber hinsichtlich der strukturellen Verbindung des Angeklagten mit weiteren Tätern, häufig auf die Aussagen von (etlichen) Polizeibeamten verwiesen, die jeweils im Einzelnen über ebenfalls geschilderte Einzelerkenntnisse hinaus die Gesamtergebnisse der von ihnen ausgewerteten Überwachungserkenntnisse dargelegt haben. All dies hat der Generalbundesanwalt zutreffend im Einzelnen dargelegt. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Revision mitgeteilten Überwachungsergebnisse spezielle konkrete Erkenntnisse enthielten, die, ohne von den insbesondere durch die Polizeibeamten eingeführten Gesamtergebnissen umfasst zu sein, in irgendeinem Zusammenhang auf die Urteilsfeststellungen Einfluss gewonnen hätten, sind nicht ersichtlich. Auch die Revision äußert sich hierzu nicht konkret. Dies ist, wie dargelegt, rechtlich nicht geboten. Das Vorbringen ist aber auch nicht geeignet, das dargelegte Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Beruhensprüfung in Frage zu stellen.
18
4. Die Sachrüge ist unbegründet.
19
Zum Schuldspruch ist lediglich anzumerken, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Bemühungen, auch noch mit Kokain zu handeln, bereits konkrete Erwerbsvereinbarungen getroffen hatte. Zweifel an vollendetem Handeltreiben bestehen daher nicht. Der Wirkstoffgehalt, von dem die Strafkammer bei dem nicht sichergestellten Kokaingemisch von 300 g ausgegangen ist, erscheint sehr gering (vgl. demgegenüber Körner, BtMG, 6. Aufl., § 29a Rn.116 ff. mwN). Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist nicht erkennbar. Für eine Anwendung von § 64 StGB, deren Unterlassung den Angeklagten ohnehin nicht beschwert , fehlen, wie die Strafkammer rechtsfehlerfrei darlegt, die Grundlagen, weil der Angeklagte „bewusst einen weit überhöhten Drogenkonsum behauptet, um (…) die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (...) zu erreichen“.
Nack Wahl Elf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 157/02
vom
21. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Bestechung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. und 4. auf dessen Antrag
– gemäß §§ 154 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4 StPO am 21. Mai 2003 beschlossen
:
1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung
der Revision gegen das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 1. Oktober 2001 zu gewähren, ist gegenstandslos.
2. Das Verfahren wird gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt,
soweit der Angeklagte im Fall III B 8 der Urteilsgründe
wegen Bestechung verurteilt worden ist. Insoweit trägt die
Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen
Auslagen des Angeklagten.
3. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete
Urteil im Schuldspruch dahin geändert, daß die Verurteilung
wegen Bestechung im Fall III B 8 der Urteilsgründe
entfällt.
4. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.
5. Der Angeklagte hat die übrigen Kosten seines Rechtsmittels
zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechung in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sachrüge, die er nach fristgerecht eingelegter Revision und nach Zustellung einer unvollständigen Ausfertigung des Urteils binnen Monatsfrist allgemein – verbunden mit einem uneingeschränkten Aufhebungsantrag – erhoben hat. Die Sachrüge hat er auf eine erneute, nunmehr ordnungsgemäße Zustellung des Urteils mit vollständigen Urteilsgründen erst nach Ablauf eines weiteren Monats näher ausgeführt. Insoweit hat der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt.
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist gegenstandslos, weil die Revision fristgerecht begründet worden ist. Nach Urteilsverkündung kann die Sachrüge gemäß §§ 344 Abs. 2, 345 Abs. 1 StPO („spätestens“) bis zum Ablauf der einmonatigen Revisionsbegründungsfrist in allgemeiner Form erhoben werden. Dies ist mit der ersten Revisionsbegründungsschrift des Verteidigers geschehen. Der Umstand, daß eine wirksame – wegen vorangegangener Mängel erneute – Zustellung des Urteils für den Beginn dieser Begründungsfrist noch ausstand (§§ 343 Abs. 2, 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) und erst später nachgeholt wurde, berührt die Zulässigkeit der bereits erhobenen Rüge nicht (vgl. OLG Köln VRS 70, 370, 371; Kuckein in KK 4. Aufl. § 345 Rdn. 9; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 345 Rdn. 3). Dabei steht es dem Beschwerdeführer offen, die Sachrüge bis zur Entscheidung des Revisionsgerichts näher auszuführen (BGH NStZ 1988, 17, 20), ohne nach der erneuten Zustellung des Urteils an
die Frist des § 345 Abs. 1 StPO gebunden zu sein. Eine Wiedereinsetzung ist somit weder möglich noch erforderlich, da der Senat auf die ordnungsgemäß erhobene Sachrüge hin verpflichtet ist, das Urteil unter jedem Gesichtspunkt auf eine Verletzung des materiellen Rechts zu prüfen (BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 9, 10 a.E.). Da der Angeklagte in seiner zweiten Revisionsbegründungsschrift darüber hinaus keine weitergehenden Revisionsanträge oder Verfahrensrügen gemäß § 344 Abs. 2 StPO (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 11) erhoben hat, geht sein Wiedereinsetzungsantrag ins Leere. Über diesen war daher nicht zu entscheiden.
2. Der Senat stellt das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte wegen Bestechung im Fall III B 8 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Die aufgrund dieser Teileinstellung erfolgte Änderung des Schuldspruchs führt zum Wegfall der wegen dieser Tat verhängten Einzelfreiheitsstrafe von drei Monaten. Der Senat kann im Hinblick auf die Höhe der verbleibenden elf Einzelfreiheitsstrafen (Freiheitsstrafen von drei bis acht Monaten) ausschließen, daß sich der Wegfall dieser Strafe auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe ausgewirkt hätte.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen unter Berücksichtigung der teilweisen Verfahrenseinstellung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Bei der ursprünglichen Datumsangabe „1966“ (statt 1996) als Tatzeit im Fall III B 1 der Urteilsgründe (UA 16) handelte es sich um ein für alle Verfah-
rensbeteiligten aus Urteil und Anklageschrift offenkundiges Schreibversehen, wie dies durch den späteren Berichtigungsbeschluß des Landgerichts klargestellt worden ist (vgl. BGHSt 12, 374, 376 ff.; BGHR StPO § 267 Berichtigung 2 m.w.N.).
Tepperwien Maatz Kuckein