Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2015 - 2 StR 263/14

bei uns veröffentlicht am08.01.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 2 6 3 / 1 4
vom
8. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Januar 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Februar 2014 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, wegen Nachstellung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und Sachbeschädigung sowie wegen Nachstellung in Tateinheit mit 13 rechtlich zusammentreffenden Fällen der Beleidigung und mit 18 zusammentreffenden Fällen der versuchten Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat im Wesentlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen litt der Angeklagte zum Zeitpunkt der Taten unter einer krankhaften wahnhaften Störung in Form einer paranoiden Psychose. Das Landgericht ist insoweit davon ausgegangen, dass er aufgrund einer fehlerhaften Selbsteinschätzung die Reaktionen seiner Mitmenschen nicht nachvollziehen könne und ihre Verhaltensweisen als unangemessen empfinde. Insbesondere könne er keine Ablehnung und Zurückweisung akzeptieren, weshalb er versuche, durch sein eigenes Verhalten zu provozieren, um seine Gegenüber zu weiteren Reaktionen zu veranlassen. Die Strafkammer ist - sachverständig beraten - der Ansicht, dass es sich bei dieser Erkrankung, bei der immer wieder Grenzen überschritten und gerichtliche Anordnungen missachtet würden, um eine schwere seelische Störung handele, die zu den Tatzeitpunkten zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB führe (UA S. 17, 23 f.). Darauf gestützt hat das Landgericht die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
3
2. Die Maßregelanordnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken , weil die Feststellungen des Landgerichts zur psychischen Erkrankung des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Anlasstaten einer tragfähigen Tatsachengrundlage entbehren.
4
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeits- prognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2014 - 4 StR 183/14).
5
b) Diesem Maßstab wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
6
Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer paranoiden Psychose leidet, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFO 2011, 55; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37). Das Landgericht beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die gutachterliche Einschätzung in ihrem Ergebnis darzulegen, ohne zu erörtern, worauf dieses im Einzelnen beruht. Dies versteht sich auch bei dem bisher lediglich wegen Erschleichens von Leistungen und einer Bedrohung im Jahre 2012 auffällig gewordenen Angeklagten nicht von selbst. Dies gilt um so mehr, als der Angeklagte bisher von "schwerwiegenden Krankheiten und Unfällen verschont geblieben" ist (UA S. 4), es also offensichtlich keine "Krankheitsvorgeschichte" gibt, die die jetzt vorgenommene Einschätzung bestätigen könnte. Der Umstand allein, dass das beschriebene Krankheitsbild die abgeurteilten Straftaten grundsätzlich zu erklären vermag, ist für sich noch keine tragfähige Grundlage für den gutachterlichen Befund, weil der Senat ohne nähere Erläuterung nicht ausschließen kann, dass dieser allein auf einem Rückschluss aus den abgeurteilten Straftaten beruht, ohne dass erwogen worden ist, ob es auch andere denkbare Auslöser für die Straftaten gegeben hat. Im Übrigen erlaubt dieser Umstand dem Senat noch nicht die Beurteilung, ob der angenommene psychische Defekt, der entweder plötzlich hervorgetreten sein oder länger bestehen muss, ohne sich auf das Verhalten des Angeklagten ausgewirkt zu haben , als eine schwere seelische Störung einzuordnen und von längerer Dauer ist.
7
Darüber hinaus erweist sich das der landgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegende Gutachten aus einem weiteren Grund nicht als nachvollziehbar. Der Sachverständige hatte in seinem schriftlichen Gutachten ursprünglich die Ansicht vertreten, die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei eingeschränkt gewesen, hat daran aber in seinem mündlichen Gutachten nicht mehr festgehalten. Der Senat kann - ohne dass ihm im Einzelnen dargelegt wird, aufgrund welcher Umstände der Sachverständige zu seiner damaligen Einschätzung gelangt ist, und warum er daran nicht weiter festhält - nicht nachvollziehen, ob das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die paranoiden Vorstellungen des Angeklagten seine Einsichtsfähigkeit unberührt gelassen, aber gleichwohl zu einer erheblichen Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit geführt haben.
8
Die Sache bedarf insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung, wobei nahe liegend ein neuer Sachverständiger mit der Begutachtung beauftragt werden sollte. Dabei wird auch sorgfältiger als bisher zu prüfen sein, ob von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Juli 2013 - 2 BvR 298/12, R & P 2014, 31).
9
3. Der Senat hebt auch den Schuld- und Strafausspruch auf; er kann - ohne genaue Kenntnis von der Erkrankung des Angeklagten - nicht ausschließen , dass diese womöglich sogar zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten geführt hat. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den objektiven Tatgeschehen bleiben davon unberührt und können bestehen bleiben. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2015 - 2 StR 263/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2015 - 2 StR 263/14

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2015 - 2 StR 263/14 zitiert 3 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2015 - 2 StR 263/14 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Jan. 2015 - 2 StR 263/14 zitiert 4 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2014 - 4 StR 183/14

bei uns veröffentlicht am 30.07.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR183/14 vom 30. Juli 2014 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2014 gemäß § 34

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13

bei uns veröffentlicht am 30.07.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 275/13 vom 30. Juli 2013 in der Strafsache gegen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2013 - 4 StR 520/12

bei uns veröffentlicht am 16.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 520/12 vom 16. Januar 2013 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 S

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Sept. 2010 - 5 StR 229/10

bei uns veröffentlicht am 14.09.2010

5 StR 229/10 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 14. September 2010 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. September 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten w

Referenzen

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 520/12
vom
16. Januar 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Beschuldigten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersicht- lichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen beleidigte der allein im Haus seiner verstorbe- nen Eltern wohnende Beschuldigte zwei Nachbarinnen, indem er sie als „fette Sau“ (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und „Fezerhure“ (Fall II. 2der Urteilsgründe) bezeichnete. Einen Tag nach dem letztgenannten Vorfall rannte er vor seinem Wohnanwesen brüllend auf den Postzusteller H. zu, als dieser ihm die Post bringen wollte. Dabei war der Beschuldigte mit einem Brotmesser (Klingenlänge 10 cm) „bewaffnet“. Der Zeuge H. ergriff aus Angst vor Verletzungen die Flucht. Als der Beschuldigte zu seinem Haus zurückging, blieb der Zeuge H. stehen und wartete einen Augenblick. Daraufhin setzte der Beschuldigte „erneut zum Angriff an“ und lief wieder brüllend auf den Zeugen H. zu. Dieser eilte nun endgültig davon und sah von einer Postzustellung bei dem Beschuldigten ab (Fall II. 3 der Urteilsgründe). Etwa 90 Minuten nach diesem Vorfall warf der Beschuldigte „einen festen Gegenstand ähnlich einem Kürbis“ gegen den Autoreifen eines fahrenden Fahrzeugs. Anschließend verfolgte er die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende 15-jährige Schülerin C. K. . Dabei schrie er: „Du Hure, ich bring dich um, wenn ich dich erwische“. C. K. hatte deshalb Angst um ihr Leben und beschleunigte ihre Fahrt. Als der Beschuldigte seinerseits von einem eingreifenden Nachbarn angeschrien wurde, ließ er von C. K. ab. C. K. war aufgrund dieses Vorfalls fünf Tage krankgeschrieben und litt noch zwei Wochen unter Schlafstörungen. Sie hat auch weiterhin mit Alpträumen zu kämpfen und befindet sich deshalb in psychologischer Behandlung (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Etwa vier Wochen später befuhr der Beschuldigte mit seinem Pkw der Marke Opel Corsa die rechte Fahrspur der Bundesautobahn A 8. Als er einen vor ihm fahrenden Lkw unter Benutzung der Standspur rechts überholen wollte und dazu bereits auf die Standspur ausgeschert war, erkannte er ein hinter ihm fahrendes Polizeifahrzeug und ordnete sich wieder auf der rechten Fahrspur ein. Die Polizeibeamten wollten den Beschuldigten daraufhin einer Kontrolle unterziehen. Sie setzten sich deshalb mit ihrem Dienstfahrzeug vor den Pkw des Beschuldigten und forderten ihn mit dem Anhaltestab zum Anhalten auf. Dieser Aufforderung kam der Beschuldigte bewusst nicht nach und fuhr stattdessen über die mittlere auf die linke Fahrspur. Die Polizeibeamten setzten ihr Dienstfahrzeug nun erneut vor den Pkw des Beschuldigten und blendeten auf der Signalanlage die Anordnung „Bitte Folgen“ ein. Der Beschuldigte lenkte sein Fahrzeug nun „ruckartig“ nach rechts und hielt auf der Standspur an. Nachdem die Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug etwa 100 Meter vor dem Pkw des Beschuldigten zum Stehen gebracht hatten, setzten sie auf der Standspur zurück. Währenddessen fuhr der Beschuldigte unvermittelt los und scherte von der Standspur auf die rechte Fahrspur ein, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten. Dabei ging es ihm allein darum, sich der Kontrolle durch die Polizeibeamten zu entziehen. Der Fahrer eines auf der rechten Fahrspur herannahenden Sattelzuges konnte einen Unfall nur noch durch ein ruckartiges Ausweichmanöver auf die mittlere Fahrspur vermeiden, auf der sich zu diesem Zeitpunkt kein Fahrzeug befand. Anschließend fuhr der Beschuldigte mit 60 bis 70 km/h zur nächsten Tankstelle. Bei der dort durchgeführten Kontrolle musste er von den Polizeibeamten gefesselt werden, weil er aggressiv wurde und eine bedrohliche Haltung einnahm (Fall II. 5 der Urteilsgründe ).
3
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als Beleidigung in zwei Fällen (§ 185 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung (§§ 185, 241 StGB) und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen Dr. M. angeschlossen. Danach leide der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Er sei nicht in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und sich anzupassen. Der Beschuldigte zeige einen gesteigerten Antrieb, sei umtriebig und leicht reizbar. Die paranoide Komponente seiner Erkrankung sei stets handlungsleitend. Bei ihm bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber sämtlichen Behörden und seiner Umgebungswelt. Nach seiner eigenen Wahrnehmung drangsaliere nicht er seine Nachbarschaft, sondern diese ihn. Es sei beabsichtigt , ihn aus seinem Haus zu vertreiben. Die Polizei ermittle stets zu seinem Nachteil. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei deshalb zur Tatzeit sicher erheblich eingeschränkt und möglicherweise sogar vollständig aufgehoben gewesen (UA 11). Da dem Beschuldigten die Krankheitseinsicht fehle, müsse damit gerechnet werden, dass er nach seiner Entlassung aus dem psy- chiatrischen Krankenhaus die Medikation absetzen und auf ein „Krankheitslevel“ wie zum Zeitpunkt der Anlasstaten zurücksinken werde. Es sei daher wahrscheinlich, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung auch in Zukunft den Anlasstaten ähnliche Taten begehen werde. Es bestehe daher die Gefahr der Fremdgefährdung, was nicht zuletzt im Fall der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (Fall II. 5 der Urteilsgründe) ersichtlich geworden sei. Sowohl diese, als auch die mit einem Brotmesser zum Nachteil des Postzustellers begangene Tat (Fall II. 3 der Urteilsgründe) seien als erheblich einzustufen. Für die Gefährlichkeitsprognose spreche weiter, dass die überraschenden Angriffe des Beschuldigten neben den angeführten Fällen auch im Fall der Fahrradfahrerin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) gegen Zufallsopfer gerichtet gewesen seien (UA 13). Auch hätten Zeugen in der Haupt- verhandlung über weitere – nie zur Anzeige gebrachte – Vorfälle mit erheblichem Gefahrenpotential (Werfen eines unbekannten Gegenstandes gegen einen Pkw, Werfen einer Flasche in Richtung einer Nachbarin) berichtet (UA 14). Eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung sei aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten und seiner sozialen Situation nicht möglich (UA 14 f).

II.


4
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Beschluss vom 29. August 2012 – 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27).
6
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 8; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen über bei dem Beschuldigten beobachtete Auffälligkeiten. Dass es sich hierbei um zeitstabile Beeinträchtigungen seines psychischen Zustandes handelt, wird nicht aufgezeigt. Die mitgeteilte stationäre Unterbringung des Be- schuldigten wegen „psychischer Auffälligkeiten“ im Jahr 1993 (UA 3) ist insoweit ohne Aussagekraft, weil sich nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Bezug zu der diagnostizierten schizoaffektiven Störung nicht herstellen lässt.
7
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
9
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der inzwischen 42 Jahre alte Beschuldigte nur in den Jahren 2002 und 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Eine zweijährige Bewährungszeit vermochte er durchzustehen und im Jahr 2007 einen Straferlass zu erreichen (UA 4). Der länger währenden Straffreiheit des Beschuldigten käme jedenfalls dann eine prognosegünstige Bedeutung zu, wenn bei ihm in diesen Zeiträumen bereits die diagnostizierte schizoaffektive Störung vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2012 – 5 StR 295/12, NStZ-RR 2012, 366, 367; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Ob dies der Fall gewesen ist, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Auch wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen ver- laufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (Hoff/Sass in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 84 f.; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181 f.; MüllerIsberner /Venzlaff in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 181 f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.

III.


10
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten und die Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB können bestehen bleiben. Sollte der neue Tatrichter – was nahe liegt – wieder zu der Annahme gelangen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte, wird bei der Prüfung der Gefährlichkeit auch die Todesdrohung (§ 241 StGB) zum Nachteil der Zeugin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) als erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 StGB gewertet werden können (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271).
Roggenbuck Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR183/14
vom
30. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 27. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils.
2
1. Nach den Feststellungen brach beim Angeklagten spätestens im Februar 2013 eine schizophrene Psychose aus, die mit akustischen Halluzinationen verbunden ist und sich zwischenzeitlich chronifiziert hat. Vor den jeweiligen Anlasstaten - fünf vollendete und zwei versuchte Körperverletzungen sowie eine Beleidigung, die der Angeklagte jeweils in seinem näheren Wohnumfeld gegen ihm nicht oder nur vom Sehen bekannte Geschädigte beging - glaubte der Angeklagte , die Geschädigten würden ihn beschimpfen und beleidigen, und fühlte sich von ihnen provoziert. Diese wahnhaften Vorstellungen führten beim Angeklagten zu aggressiven Impulsen, für die es nach objektiver Betrachtung keine Anlässe gab. Im Rahmen der aggressiven Impulse war er nicht oder jedenfalls nur vermindert in der Lage, sich diesen Impulsen zu widersetzen und sein Verhalten zu steuern.
3
Ihre Feststellungen zur psychischen Erkrankung des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Anlasstaten stützt die Strafkammer auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, nach denen für das Bestehen einer schizophrenen Psychose vor allem die im Rahmen der Exploration abgegebene Darstellung des Angeklagten spreche, die Geschädigten hätten seine Handlungen durch Beschimpfungen und Beleidigungen provoziert. Die vom Angeklagten wahrgenommenen Beschimpfungen und Beleidigungen hätten offensichtlich auf akustischen Halluzinationen beruht, wodurch sich beim Angeklagten wahnhafte Vorstellungen entwickelt hätten. Durch die von ihm erlebten Beschimpfungen und Beleidigungen sei der Angeklagte zumindest in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen, weil er nicht oder nur vermindert in der Lage gewesen sei, den wegen der von ihm wahrgenommenen Provokation aufkommenden aggressiven Impuls kognitiv zu bewerten, diesem die Erfordernisse der Realität entgegenzusetzen und sich für diese Erfordernisse zu entscheiden.
4
2. Die Maßregelanordnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken , weil die Feststellungen des Landgerichts zur psychischen Erkrankung des Angeklagten und deren Auswirkungen auf die Anlasstaten einer tragfähigen Tatsachengrundlage im Rahmen der Beweiswürdigung entbehren.
5
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, insoweit in NStZ 2013, 424 nicht abgedruckt; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13 Rn. 5).
6
b) Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Angeklagte an einer schizophrenen Psychose mit akustischen Halluzinationen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs - und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 - 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55; vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12 aaO; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37). Es fehlt eine nähere Darstellung der vom Angeklagten im Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen gemachten Angaben, so dass nicht beurteilt werden kann, ob seine Schilderung angeblicher Beschimpfungen und Beleidigungen von Seiten der jeweils Geschädigten den Schluss auf ein psychotisches Erleben in der jeweiligen Tatsituation zu tragen vermögen oder es sich bei den entsprechenden Äußerungen des Angeklagten lediglich um den vergeblich unternommenen Versuch gehandelt hat, sein strafbares Tun gegenüber dem Sachverständigen in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Mit der letztgenannten Möglichkeit hat sich das Landgericht nicht ausei- nandergesetzt. Darüber hinaus bleibt in den Urteilsgründen unerörtert, welche Erkenntnisse zu einer möglichen psychischen Erkrankung des Angeklagten sich aus der auf landesrechtlicher Grundlage erfolgten zweiwöchigen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus im Juni 2013 und der seit Dezember 2013 vollzogenen einstweiligen Unterbringung ergeben haben.
7
c) Aufgrund der unterbliebenen Darstellung der vom Angeklagten im Rahmen der Exploration durch den Sachverständigen gemachten Angaben zu den angeblichen Beschimpfungen und Beleidigungen seitens der Geschädigten ist schließlich auch die Annahme des Landgerichts, die Anlasstaten seien durch psychotisches Erleben in Form akustischer Halluzinationen ausgelöst worden, nicht tragfähig belegt.
8
d) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13 Rn. 18, insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt ; vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13 Rn. 8). Der neu zur Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird in den Fällen II.6 und 8 der Urteilsgründe gegebenenfalls die Frage eines Rücktritts vom Versuch zu prüfen haben.
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin
5 StR 229/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. September 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. September 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 3. Dezember 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Bei dem zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 53 Jahre alten, nicht vorbestraften Angeklagten besteht seit vielen Jahren ein wahnhaftes paranoides Zustandsbild, das durch Wahninhalte im Sinne eines Verfolgungsund Bedrohungserlebens geprägt ist. Infolge seiner wahnhaften Erkrankung fühlte er sich zunehmend von Anderen verfolgt. Unter anderem trug er öfter ein Küchenmesser bei sich, wenn er seine Wohnung verließ, um sich gegen vermeintliche Angreifer verteidigen zu können.
4
Der Angeklagte lebte mit seiner Lebensgefährtin, der 72-jährigen Zeugin K. , in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Am Abend des 28. Juni 2008 bemerkten Gäste der später geschädigten 20-jährigen Zeugin M. , einer Mitbewohnerin des Mehrfamilienhauses, dass aus der gemeinsamen Wohnung des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin große Mengen Wasser flossen. Die jungen Leute gelangten zu der Vermutung, dass „die alte Frau Hilfe brauche“; den Angeklagten hatten sie bislang nicht als Mitmieter wahrgenommen. Sie begaben sich zu der verschlossenen Tür des Laubenganges, der zu der Wohnung führt, riefen und klingelten. Tatsächlich benötigte die Lebensgefährtin des Angeklagten keine Hilfe. Vielmehr hatte sie sich darüber geärgert, dass es in dem Hausflur vermeintlich nach Urin rieche und hatte mehrere Eimer Wasser in das Treppenhaus gegossen. Da keine Reaktion der Zeugin K. erfolgte, wurden die Zeugen in ihrer Annahme bestärkt, dass ein Unglücksfall vorliege. Sie traten daraufhin die Tür des Laubengangs ein und begaben sich zur Wohnungstür, die offen stand. Nach nochmaligem Klingeln und Rufen betraten die jungen Leute, voran der Zeuge W. , die Wohnung. Plötzlich stand der Angeklagte vor ihm, der die Situation verkannte und die vor der Wohnungstür stehenden Zeugen für Angreifer hielt. Der Angeklagte ergriff sein im Flur bereit liegendes Küchenmesser und stach damit mehrmals in Richtung des Zeugen W. , der reflexartig nach hinten auswich. Dadurch geriet die unmittelbar hinter ihm stehende Zeugin M. ins Straucheln und fiel zu Boden. Der Angeklagte stach viermal von oben auf sie ein und fügte ihr Stichverletzungen am linken Oberschenkel und linken Oberarm sowie an der linken Schulter zu.
5
Danach rannte er hinter den übrigen flüchtenden Zeugen in das Treppenhaus , wo er auf die bislang unbeteiligte Zeugin T. traf, die gerade das Haus verlassen wollte. Der Angeklagte erblickte die Zeugin, als sie angesichts der rasch an ihr vorbei laufenden jungen Leute verängstigt an die Wand des Treppenhauses gedrückt stand. Mit dem Messer stach er mindestens zweimal auf die Zeugin T. ein, die er zur Gruppe der vermeintlichen Angreifer zählte. Er traf sie im Bereich des Brustkorbes und des Bauches; sie erlitt eine erhebliche Nierenverletzung. Als zwei Polizeibeamte den Angeklagten kurz nach der Tat in seiner Wohnung festnehmen wollten, hielt er auch die beiden Beamten für Angreifer und widersetzte sich seiner Festnahme , indem er um sich schlug und trat.
6
b) Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund seiner paranoiden Erkrankung bei diesen Taten in einem Zustand, in dem bei ihm „sowohl die Einsichts- wie auch die Steuerungsfähigkeit“ aufgehoben war. Infolge seines Zustandes seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Krankenhauses des Maßregelvollzuges erfolgen.
7
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt. Die Anordnung nach § 63 StGB setzt insbesondere die positive Feststellung eines länger dauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; vgl. BGHSt 34, 22, 27). Sie bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
8
a) Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat schuldunfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer in rechtsfehlerhafter Weise einen Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit annimmt (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 21 Rdn. 5). Die Strafkammer schließt sich bei der Beurteilung der Frage der Schuldfähigkeit dem Sachverständigen an, ohne dessen wesentliche Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 – 5 StR 123/10 m.w.N.). Aus der Schilderung der Biografie des Angeklagten wird nicht nachvollziehbar, dass er „seit vielen Jahren“ an einem wahnhaft paranoiden Zustandsbild leidet. Der Angeklagte hat ein Philosophiestudium abgeschlossen und in der DDR als Fachbibliothekar, später als Büroangestellter gearbeitet und absolvierte erfolgreich eine Fortbildung im Bereich der Buchführung und des Rechnungswesens. Seine beruflichen Tätigkeiten beendete er 2001, da er sich überqualifiziert fühlte. In dem Mehrfamilienhaus wohnte er mit seiner Lebensgefährtin „seit vielen Jahren“, ohne dass er von einigen der ebenfalls dort wohnenden Zeugen überhaupt als Mitmieter wahrgenommen worden war. Die Feststellungen zur Biografie des Angeklagten ergeben keine Hinweise auf etwaige frühere Manifestationen seiner psychischen Erkrankung oder krankheitsbedingte Verhaltensauffälligkeiten ; zu der bisherigen Entwicklung der angenommenen psychischen Erkrankung des Angeklagten verhält sich das Urteil nicht.
9
Dem Zusammenhang der Feststellungen ist zu entnehmen, dass sich der Angeklagte nach der Tat über ein Jahr lang auf freiem Fuß befand, bevor er durch das Amtsgericht Lichtenberg in Berlin am 25. August 2009 gemäß § 8 PsychKG i.V.m. § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 70h FGG untergebracht wurde. Zum Grund seiner Unterbringung trifft das Urteil keine Feststellungen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Sachverständige im vorliegenden Verfahren den Angeklagten im Mai 2009 in dessen Wohnung untersucht hat, da dieser seine Wohnung aus Angst nicht verlassen wollte. Dabei hat der Sachverständige in der Wohnung „besondere Vorrichtungen“ bemerkt, die der Angeklagte aufgrund seiner Wahnvorstellungen zum Schutz vor Lausch- und Spähangriffen installiert hatte (Laufenlassen eines Zimmerspringbrunnens; Bekleben der Zimmerdecke mit Klebezetteln). Als Beleg dafür, dass sich der Angeklagte bei Begehung der Anlasstat in einem die Schuldfähigkeit ausschließenden Zustand befand, reicht dies indes nicht aus. http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE047603301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE008702307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 -
10
b) Darüber hinaus begegnet auch die Gefährlichkeitsprognose rechtlichen Bedenken. Angesichts des erheblichen Eingriffs, der mit der Unterbringung nach § 63 StGB verbunden ist, hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Insoweit hat es lediglich ausgeführt, die Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten ergebe, dass von ihm infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten „wie die verfahrensgegenständlichen“ zu erwarten seien. Dabei werden die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen nicht mitgeteilt. Nicht bedacht wird auch, dass es zu der Tat durch eine Verkettung von Umständen gekommen ist, die der Angeklagte nicht zu vertreten hatte und die nicht nur ihn, sondern auch seine Lebensgefährtin zu der irrigen Annahme veranlassten, die jungen Leute wollten sie beide angreifen (UA S. 6).
11
3. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09; Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 24a). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers, durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der An- http://www.juris.de/jportal/portal/t/3vd1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=1&fromdoctodoc=yes&doc.id=DRS-BT-16_1344&doc.part=D&doc.price=0.0#focuspoint - 7 - geklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks 16/1344 S. 17 f.).
Brause Raum Schaal
Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 275/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 30. Juli 2013 gemäß § 206a StPO
und § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 15. März 2013 wird 1. das Verfahren im Fall II. 5 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last; 2. das vorbezeichnete Urteil im Übrigen mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte freigesprochen, ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen richtet sich ihre auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision. Das Verfahren ist hinsichtlich einer Tat einzustellen , weil es an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt. Das Rechtsmittel hat auch im Übrigen Erfolg. Die Unterbringungsentscheidung ist nicht tragfähig begründet.

I.


2
Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet die Angeklagte an einer schizoaffektiven Psychose gemäß ICD 10, F 25.0. Im Jahr 2006 wurde sie erstmalig im Pfalzklinikum für Psychiatrie in Klingenmünster stationär aufgenommen. Danach kam es zu weiteren Aufenthalten u.a. wegen Ängsten vor ihrem Vater und Verfolgungsideen.
3
Am 24. Januar 2011 bezeichnete die Angeklagte die Zeugin H. anlässlich eines Gerichtstermins im Sorgerechtsverfahren über ihre Kinder als „Schlampe“ und versetzteihr eine Ohrfeige (Fall II. 10 der Urteilsgründe). Am 12. März 2011 entwendete sie in einem Drogeriemarkt einen Duftanhänger. Als sie deshalb von der Zeugin W. ins Büro gebeten wurde, bezeichnete sie diese als „blöde Fotze“ und entfernte sich. Kurze Zeitdarauf kehrte sie zurück und beleidigte die Zeugin W. erneut. Als sie die Filialleiterin daraufhin aus dem Geschäft verwies, schlug ihr die Angeklagte zweimal in das Gesicht und zerrte ihr an den Haaren. Dem eingreifenden Zeugen A. zerriss sie das Polo-Shirt, kratzte ihn und beschimpfte ihn als „Kanaken“ (Fall II. 11 der Urteilsgründe). Am 29. Juli 2011 trat die Angeklagte ihrer Schwester im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung auf den Fuß. Als sie von ihrer Schwester „in den Schwitzkasten“ genommen wurde, biss sie ihr in den linken Oberarm und in die linke Brust. Von dem Biss in die Brust konnte die Geschädigte nur mit Hilfe von Familienmitgliedern gelöst werden. Im weiteren Verlauf warf die Angeklagte ihrer Schwester einen Schlüssel in den Rücken und riss von hinten mit aller Kraft an ihrem Pullover. Infolgedessen konnte die Geschä- digte zwar noch atmen, aber nicht mehr richtig sprechen (Fall II. 1 der Urteilsgründe ). Im Verlauf des 13. November 2011 und am 18. November 2011 schickte die Angeklagte der Zeugin T. vier beleidigende Kurznachrichten (Fälle II. 2 bis 5 der Urteilsgründe) und zerkratzte am 25. November 2011 die Motorhaube des Pkw des Zeugen F. , wodurch ein Schaden in Höhe von ca. 500 Euro entstand (Fall II. 6 der Urteilsgründe). Am Nachmittag des 26. November 2011 bezeichnete die Angeklagte die jugendlichen Zeitungsausträger D. und A. K. , die auf der Straße mit ihren Fahrrädern un- terwegs waren, als „Juden“ und „Schwarzarbeiter“ und warf ihnen vor, zu „stinken“ und Menschen zu „killen“. Anschließend fuhr sie mit ihrem Pkw hinter den mit ihren Fahrrädern wegfahrenden Zeugen her. Als D. K. deshalb aus Angst in eine Seitenstraße abbog, folgte ihm die Angeklagte nach. Nachdem D. K. hinter einem Stromkasten Schutz gesucht hatte, fuhr die Angeklagte in einem Abstand von nur etwa 30 cm an ihm vorbei. D. K. kehrte daraufhin sogleich zu seinem Bruder A. zurück und warnte ihn vor der Angeklagten. Als beide mit ihren Fahrrädern nebeneinander auf der Straße und dem angrenzenden Gehweg fuhren, fuhr die Angeklagte mit ihrem Pkw zielgerichtet auf den Zeugen A. K. auf, der dadurch von seinem Fahrrad stürzte. A. K. spürte sofort Schmerzen am Rücken und hatte Schwierigkeiten beim Atmen. An seinem Fahrrad entstand ein Schaden in Höhe von ca. 100 Euro. Die Angeklagte beschleunigte ihr Fahrzeug und entfernte sich ohne anzuhalten (Fälle II. 7 bis 9 der Urteilsgründe).
4
Das Landgericht hat die Taten der Angeklagten ohne nähere Zuordnung als Beleidigung in neun Fällen, Sachbeschädigung in zwei Fällen, Diebstahl, unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB und Körperverletzung in sechs Fällen gewertet , wobei es sich in einem Fall um eine gefährliche Körperverletzung ge- mäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und in einem Fall um eine versuchte gefährliche Körperverletzung gehandelt haben soll (UA S. 15). Bei den Taten am 12. März 2011 (Fall II. 11 der Urteilsgründe), 29. Juli 2011 (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und 26. November 2011 (Fälle II. 7 bis 9 der Urteilsgründe) sei die Schuldfähigkeit der Angeklagten infolge der bestehenden schizoaffektiven Psychose sicher aufgehoben gewesen. Bezüglich der weiteren Taten könne dies nicht ausgeschlossen werden (UA S. 16 f.). Die Angeklagte sei deshalb von allen Vorwürfen freizusprechen. Ihre Unterbringung nach § 63 StGB habe angeordnet werden müssen, weil von ihr in Folge ihres Krankheitsbildes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Dabei könne es insbesondere auch zu erneuten Tätlichkeiten wie zum Nachteil der ZeugenK. kommen. Die Angeklagte sei deshalb für die Allgemeinheit gefährlich (UA S. 17).

II.


5
Im Fall II. 5 der Urteilsgründe ist das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen , weil es insoweit an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen schriftlichen (§ 158 Abs. 2 StPO) Strafantrag der von der beleidigenden Äußerung betroffenen Zeugin T. fehlt. Bei den Akten befindet sich lediglich ein Strafantrag dieser Zeugin vom 14. November 2011 (Fallakte III. Bl. 6), der sich nur auf die Vorfälle unter II. 2 bis 4 der Urteilsgründe bezieht.

III.


6
Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Die zu den Anlasstaten und dem psychischen Zustand der Angeklagten getroffenen Feststellungen und Wertungen sind lückenhaft und unklar.
8
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der den Anlass für die Unterbringung bildenden rechtswidrigen Taten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Hierzu enthält das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen.
9
aa) Soweit das Landgericht im Anschluss an die Sachverständige davon ausgeht, dass die Angeklagte an einer schizoaffektiven Psychose gemäß ICD 10, F 25.0 erkrankt ist, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs - und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 Rn. 8, NStZ 2013, 424 [insoweit nicht abgedruckt]; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10 Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen zu dem bei der Angeklagten seit dem Jahr 2006 bestehenden Krankheitserleben (UA S. 16). Zu den konkreten Auswirkungen der Erkrankung verhält sich das Urteil nicht, sodass weder die Diagnose noch der symptomatische Zusammenhang zwischen der Erkrankung der Angeklagten und ihren Taten nachvollzogen werden kann.
10
bb) Eine Schuldunfähigkeit der Angeklagten wird nur hinsichtlich der Taten vom 29. Juli 2011 (Fall II. 1 der Urteilsgründe), 12. März 2011 (Fall II. 11 der Urteilsgründe) und 26. November 2011 (Fälle II. 7 und 8 der Urteilsgründe) zweifelsfrei festgestellt (UA S. 16). Hinsichtlich der übrigen Taten vermochte das Landgericht lediglich nicht auszuschließen, dass die Angeklagte im Zeitpunkt der Tatbegehung schuldunfähig war (UA S. 17). Da es für diese Taten daneben an einer eindeutigen Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB fehlt, konnten sie nicht als Anlasstaten herangezogen werden.
11
b) Die Wertung des Landgerichts, die Angeklagte habe alsAnlasstaten unter anderem eine vollendete und eine versuchte gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen (UA S. 15), findet im Urteil keine Grundlage. Da das Landgericht auf eine Darlegung der rechtlichen Subsumtion verzichtet hat, bleibt unklar, welche der geschilderten Vorfälle diese Bewertung tragen sollen.
12
Das Auffahren mit dem Pkw auf das Fahrrad des ZeugenA. K. und dessen anschließender – zu Rückenschmerzen und Atemnot führender – Sturz (Fall II. 8 der Urteilsgründe) können die Annahme einer vollendeten gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht rechtfertigen. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12 Rn. 10, StV 2013, 438 f.; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11 Tz. 5). Wird – wie hier – eine Person durch ein gezieltes Anfah- ren mit einem Kraftfahrzeug zu Fall gebracht, setzt die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraus, dass bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen, die nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen sind, können für sich allein die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12 Rn. 10 aaO; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11 Tz. 5; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405).
13
Die Feststellungen zu dem Wurf mit dem Schlüssel (Fall II. 1 der Urteilsgründe ) lassen eine Bewertung als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht zu, weil schon nicht zu ersehen ist, ob hierdurch überhaupt eine Gesundheitsschädigung hervorgerufen wurde.
14
Auch das Vorliegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB) wird nicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Soweit die Angeklagte an dem hinter einem Stromkasten Schutz suchenden Zeugen D. K. mit ihrem Pkw in einem Abstand von 30 cm vorbeigefahren ist (Fall II. 8 der Urteilsgründe), bleibt offen, welches Ziel sie dabei verfolgte. Der für die Annahme einer Versuchsstrafbarkeit erforderliche Tatentschluss ist damit nicht dargetan.
15
2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12 aaO; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
17
b) Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie der Angeklagten und ihre Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Vor dem Hintergrund der eher dem unteren Kriminalitätsbereich zuzuordnenden verfahrensgegenständlichen Taten, wäre es insbesondere erforderlich gewesen , die früheren Straftaten der Angeklagten, die im Jahr 2007 wegen gefährlicher Körperverletzung, im Jahr 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Sachbeschädigung und versuchtem Diebstahl und im Jahr 2010 wegen Diebstahl, Betrug, Körperverletzung und Beleidigung jeweils zu Bewährungsstrafen verurteilt werden musste, näher zu erörtern und darzulegen, welche Schlüsse aus diesen Taten für das bei der Angeklagten bestehende individuelle Delinquenzrisiko zu ziehen sind (vgl. Boetticher/Kröber/ Müller-Isberner/Böhm/Müller-Metz/Wolf, NStZ 2006, 537, 543). Dies gilt umso mehr, als die 2010 abgeurteilten Taten „jeweils im Zustand verminderter Schuldfähigkeit“ (UA S. 5) begangen wurden und sich deshalb ein Bezug zur Krankheitsgeschichte der Angeklagten aufdrängt. Schließlich hätte auch erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass die Angeklagte im Oktober 2012 freiwillig das Pfalzklinikum zur Behandlung aufsuchte, nachdem sie im Sommer 2012 wieder verstärkt unter Verfolgungsideen litt (UA S. 3).
18
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein die Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben, hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12 aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, NStZ-RR 2011, 320; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09 Rn. 9).
Sost-Scheible Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin