Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Jan. 2017 - 2 StR 280/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 31. Januar 2017 gemäß § 206a Abs. 1, § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen :
1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kassel vom 16. März 2016 wird
a) das Verfahren, soweit es die Angeklagte M. betrifft , im Fall II.1 der Urteilsgründe eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend geändert , dass die Angeklagte des Betruges in 102 Fällen schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Beschwerdeführerin hat die verbleibenden Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in 103 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und hat insoweit zum Schuldspruch den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Der Senat hat das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, soweit die Angeklagte im Fall II.1 der Urteilsgründe wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt worden ist. Der Verfolgung der der Angeklagten im Fall II.1 der Urteilsgründe zur Last gelegten Tat steht das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen, § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB. Die für das Vergehen des Betruges maßgebliche Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB. Ihr Lauf beginnt mit der Erlangung des vom Tatvorsatz umfassten Vermögensvorteils (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 1983 – 2 StR 96/83, NJW 1984, 376; Fischer, StGB, 64. Aufl. § 78a Rn. 8a mwN). Auf die Rechnung der Angeklagten vom 12. August 2009 erfolgte ein Zahlungseingang am 24. August 2009. Die Verjährung wurde im Hinblick auf die Angeklagte M. frühestens am 9. September 2014 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB dadurch unterbrochen, dass sie der ermittelnde Polizeibeamte telefonisch auf ihren Beschuldigtenstatus hinwies. Der allein gegen den zu diesem Zeitpunkt alleinigen Beschuldigten V. gerichtete Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Kassel vom 30. Juli 2014 konnte gegenüber der Angeklagten keine verjährungsunterbrechende Wirkung entfalten, da diese Ermittlungshandlung nicht darauf gerichtet war, deren zu diesem Zeitpunkt noch nicht ersichtlichen Tatbeitrag aufzuklären (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 – 3 StR 33/11, NStZ 2011, 711 f.). Der durch die Teileinstellung bedingte Weg- fall der zugehörigen Einzelstrafe führt hier nicht zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Diese hat vielmehr Bestand. Angesichts der verbleibenden 102 Einzelfreiheitsstrafen (14-mal sieben Monate, 88-mal sechs Monate) ist mit Blick auf die im eingestellten Fall verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten auszuschließen, dass das Landgericht bei entsprechender Teileinstellung des Verfahrens auf eine niedrigere als die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten erkannt hätte. Appl Krehl Zeng Wimmer Grube
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Verjährung schließt die Ahndung der Tat und die Anordnung von Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8) aus. § 76a Absatz 2 bleibt unberührt.
(2) Verbrechen nach § 211 (Mord) verjähren nicht.
(3) Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist
- 1.
dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, - 2.
zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind, - 3.
zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind, - 4.
fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, - 5.
drei Jahre bei den übrigen Taten.
(4) Die Frist richtet sich nach der Strafdrohung des Gesetzes, dessen Tatbestand die Tat verwirklicht, ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind.
(1) Die Verjährung wird unterbrochen durch
- 1.
die erste Vernehmung des Beschuldigten, die Bekanntgabe, daß gegen ihn das Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, oder die Anordnung dieser Vernehmung oder Bekanntgabe, - 2.
jede richterliche Vernehmung des Beschuldigten oder deren Anordnung, - 3.
jede Beauftragung eines Sachverständigen durch den Richter oder Staatsanwalt, wenn vorher der Beschuldigte vernommen oder ihm die Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekanntgegeben worden ist, - 4.
jede richterliche Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnung und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten, - 5.
den Haftbefehl, den Unterbringungsbefehl, den Vorführungsbefehl und richterliche Entscheidungen, welche diese aufrechterhalten, - 6.
die Erhebung der öffentlichen Klage, - 7.
die Eröffnung des Hauptverfahrens, - 8.
jede Anberaumung einer Hauptverhandlung, - 9.
den Strafbefehl oder eine andere dem Urteil entsprechende Entscheidung, - 10.
die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Abwesenheit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens oder im Verfahren gegen Abwesende zur Ermittlung des Aufenthalts des Angeschuldigten oder zur Sicherung von Beweisen ergeht, - 11.
die vorläufige gerichtliche Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeschuldigten sowie jede Anordnung des Richters oder Staatsanwalts, die nach einer solchen Einstellung des Verfahrens zur Überprüfung der Verhandlungsfähigkeit des Angeschuldigten ergeht, oder - 12.
jedes richterliche Ersuchen, eine Untersuchungshandlung im Ausland vorzunehmen.
(2) Die Verjährung ist bei einer schriftlichen Anordnung oder Entscheidung in dem Zeitpunkt unterbrochen, in dem die Anordnung oder Entscheidung abgefasst wird. Ist das Dokument nicht alsbald nach der Abfassung in den Geschäftsgang gelangt, so ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem es tatsächlich in den Geschäftsgang gegeben worden ist.
(3) Nach jeder Unterbrechung beginnt die Verjährung von neuem. Die Verfolgung ist jedoch spätestens verjährt, wenn seit dem in § 78a bezeichneten Zeitpunkt das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist und, wenn die Verjährungsfrist nach besonderen Gesetzen kürzer ist als drei Jahre, mindestens drei Jahre verstrichen sind. § 78b bleibt unberührt.
(4) Die Unterbrechung wirkt nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Handlung bezieht.
(5) Wird ein Gesetz, das bei der Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert und verkürzt sich hierdurch die Frist der Verjährung, so bleiben Unterbrechungshandlungen, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts vorgenommen worden sind, wirksam, auch wenn im Zeitpunkt der Unterbrechung die Verfolgung nach dem neuen Recht bereits verjährt gewesen wäre.
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a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Betruges schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Die Tat des Angeklagten ist nicht verjährt; denn die Verjährung ist durch den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 19. Dezember 2005 unterbrochen worden (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Dem steht nicht entgegen, dass der genannte Beschluss gegen den damaligen Mitbeschuldigten T. ergangen ist und die Durchsuchung von dessen Wohnung, Neben- und Geschäftsräumen, Kraftfahrzeugen, sonstigen Sachen sowie dessen Person angeordnet hat.
- 3
- a) Gemäß § 78c Abs. 4 StGB wirkt die Verjährungsunterbrechung nur gegenüber demjenigen, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht. Die Handlung muss daher gegen eine bestimmte Person als Täter oder Teilnehmer gerichtet sein. Dies ist zu bejahen, wenn sie dazu dient, das den Täter oder Teilnehmer betreffende Verfahren fortzusetzen.
- 4
- Hierfür ist es jedenfalls nicht allein maßgebend, wer von einer Durchsuchung oder Beschlagnahme unmittelbar betroffen ist. Dies zeigt sich schon daran , dass die Strafprozessordnung einerseits in § 103 StPO Durchsuchungen auch zu Lasten nicht tatverdächtiger Dritter zulässt, während andererseits § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB jede Durchsuchungsanordnung für die Verjährungsunterbrechung genügen lässt. Sogar eine Maßnahme, die ausschließlich nicht tatverdächtige Dritte unmittelbar betrifft, ist daher grundsätzlich geeignet, die Verjährung gegenüber einem Beschuldigten zu unterbrechen (BGH, Beschluss vom 1. August 1995 - 1 StR 275/95, StV 1995, 585).
- 5
- Bei mehreren Tatverdächtigen kann sich eine Unterbrechungshandlung, von der nur ein Beschuldigter unmittelbar betroffen ist, dennoch nach Lage der Umstände ebenfalls auf die übrigen Beteiligten beziehen, indem sie deren Verfolgung erkennbar in den Blick nimmt (vgl. schon RG, Urteil vom 10. Juli 1903 - Rep. 2206/03, RGSt 36, 350, 351). Deshalb werden über unmittelbar Betroffe- ne hinaus auch andere an der Straftat Beteiligte erfasst, wenn die Handlung erkennbar bezweckt, auch deren Tatbeitrag aufzuklären. Dies ist bei Beschlagnahme - und Durchsuchungsanordnungen regelmäßig der Fall. Diese Unterbrechungshandlungen beziehen sich - anders als etwa eine Beschuldigtenvernehmung (BGH, Beschluss vom 2. September 1992 - 3 StR 110/92, StV 1993, 71) - nicht ihrer Natur nach lediglich auf den unmittelbar Betroffenen. Sie dienen vielmehr in der Regel einer umfassenden Sachaufklärung und richten sich daher , soweit keine Einschränkung ersichtlich ist, grundsätzlich gegen alle Tatverdächtigen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. April 1987 - 3 Ss 190/86, wistra 1987, 228, 229; OLG Hamburg, Urteil vom 26. Mai 1993 - 1 Ss 8/93, wistra 1993, 272, 273; LK/Schmid, StGB, 12. Aufl., § 78c Rn. 7; Schönke /Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 28. Aufl., § 78c Rn. 24 f.).
- 6
- b) Nach diesen Maßstäben bezog sich der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluss hier auch auf den Angeklagten. Dieser war im Beschlussrubrum als Mitbeschuldigter aufgeführt. Ausweislich der Beschlussbegründung diente die Ermittlungsmaßnahme gerade dazu, Beweismittel aufzufinden, die Zahlungen des Angeklagten für eine Brandlegung und somit seine Beteiligung an der Straftat belegen.
- 7
- 2. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe einen vollendeten Betrug in einem besonders schweren Fall nach § 263 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB begangen, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
- 8
- § 263 Abs. 3 StGB regelt besonders schwere Fälle des Betruges, wobei § 263 Abs. 3 Satz 2 StGB mehrere Regelbeispiele aufführt. Auch § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 StGB ist als unselbstständiges, strafschärfendes Regelbeispiel zum Betrug konzipiert (vgl. LK/Tiedemann, StGB, 11. Aufl., § 263 Rn. 302). Für eine Verurteilung wegen vollendeten Betruges in einem besonders schweren Fall genügt - den allgemeinen Grundsätzen entsprechend (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 88 ff.) - deshalb nicht, dass die Voraussetzungen dieses Regelbeispiels verwirklicht sind (vgl. hierzu Fischer aaO § 263 Rn. 222 ff.). Sie setzt daneben u.a. voraus, dass der Grundtatbestand - hier: des § 263 Abs. 1 StGB - vollendet ist. Dies wird durch die Feststellungen nicht belegt. Danach fehlt es jedenfalls am Eintritt eines Vermögensschadens; denn die vom Angeklagten nach dem Brand in Anspruch genommene Versicherung leistete keine Zahlungen.
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- 3. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden können, welche die Strafbarkeit des Angeklagten wegen vollendeten Betruges belegen. Er ändert deshalb den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst ab. Dem steht § 265 StPO nicht entgegen. Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten in ihrer Anklageschrift einen versuchten Betrug vorgeworfen. Das Landgericht hat das Hauptverfahren ohne abweichende rechtliche Würdigung eröffnet und erst am letzten Tag der Hauptverhandlung einen rechtlichen Hinweis dahin erteilt, es komme auch die Verurteilung wegen vollendeten Betruges in Betracht.
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- 4. Aufgrund der Änderung des Schuldspruchs kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Die zugrunde liegenden Strafzumessungstatsachen werden allerdings von dem Wertungsfehler nicht erfasst; sie können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind zulässig, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer