Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2016 - 2 StR 417/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Januar 2016 beschlossen :
Der Senat hält die Zuständigkeit des 4. Strafsenats für gegeben. Er möchte die Sache an diesen Senat abgeben und fragt dort an, ob die Sache übernommen wird.
Gründe:
Das Landgericht Hanau hat den Angeklagten mit Urteil vom 19. Juni- 1
- 2015 wegen Raubes und schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu II. Fall 5 der Urteilsgrün2 de ließen sich der Angeklagte, der Mitangeklagte W. , der keine Revision eingelegt hat, und zwei weitere Personen am 5. August 2014 mit dem Taxi des Zeugen C. nach H. fahren. Der Taxifahrer hielt das Taxi nach Weisung des Angeklagten, der auf dem Beifahrersitz saß, in Höhe eines Getränkemarktes in H. an, „ließ den Motor seines Taxis laufen, beließ das Automatikge- triebe fahrbereit auf ‚D‘ und holte seine Geldbörse aus dem Seitenfach, um die Fahrtkosten von dem Angeklagten M. zu kassieren“ (UA S. 12). Der Angeklagte gab dem Zeugen C. tatplangemäß einen - wie er wusste - gefälschten 100 € Schein, um damit die Fahrtkosten von etwa 10 € zu bezahlen. Der Zeuge bemerkte, dass sich der Schein „anders als gewohnt anfühlte“, und fragte den Angeklagten, ob dieser das Fahrgeld passend habe. Nunmehr ent- schloss sich der Angeklagte spontan, dem Taxifahrer die Geldbörse, die dieser in seiner linken Hand hielt, zu rauben; er „griff mit der einen Hand nach der Geldbörse und zog mehrmals heftig - gegen den Widerstand des Zeugen C. , der die Absicht des Angeklagten sofort erkannte - daran“, während der Angeklagte mit der anderen Hand auch noch nach dem gefälschten 100 € Schein griff. Nachdem der Angeklagte dem Zeugen die Geldbörse entrissen hatte,
- 3
- wobei sich deren gesamter Inhalt auf dem Gehweg entleerte, sprang jener aus dem Taxi, ergriff einige Geldscheine und flüchtete vom Tatort. „Der Zeuge C. musste das Getriebe seines Taxis auf ‚P‘ stellen, um das Taxi gefahrlos verlassen zu können und lief eine kleine Wegstrecke hinter dem Angeklagten M. her“ (UA S. 13), gab aber dann die Verfolgung auf. Der Angeklagte greift das Urteil mit seiner Revision insgesamt an. Der
- 4
- Generalbundesanwalt hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Der Senat ist der Ansicht, dass eine Änderung des Schuldspruchs da5 hin in Betracht kommt, dass ein Fall des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer vorliegt (vgl. auch BGH, Urteil vom 23. Februar 2006 - 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185 f.; Beschluss vom 28. Juni 2005 - 4 StR 299/04, BGHR StGB § 316a Abs. 1 Straßenverkehr 20; Beschluss vom 27. November 2003 - 4 StR 338/03, BGHR StGB § 316a Abs. 1 Straßenverkehr 17). § 358 Abs. 2 StPO steht einer dahin gehenden Änderung des Schuldspruchs nicht entgegen, obwohl nur der Angeklagte Revision eingelegt hat. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs ist der
- 6
- 4. Strafsenat unter anderem zuständig für "die Revisionen in Verkehrsstrafsachen (einschließlich des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer sowie der Eisen- bahn- und Luftunfälle und der Fälle, in denen eine Verkehrsordnungswidrigkeit mit anderen Straftaten zusammentrifft) außer Fahren ohne Fahrerlaubnis, sofern dies mit anderen Straftaten zusammentrifft". Das betrifft auch den vorliegenden Fall. Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng
Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2016 - 2 StR 417/15
Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2016 - 2 StR 417/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2016 - 2 StR 417/15 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie erstrebt eine Verurteilung des Angeklagten (auch) wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316 a StGB). Ferner beanstandet sie, dass das Landgericht zu Gunsten des zur Tatzeit alkoholisierten Angeklagten bei der Bemessung der verhängten Strafe von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht hat.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen bestieg der Angeklagte nach dem Besuch zweier Gaststätten, in denen er zuvor Wein und Bier in erheblichen Mengen zu sich genommen hatte, am frühen Morgen des 10. November 2004 ein Taxi. Als das Fahrtziel erreicht war, hielt der Taxifahrer gegen 3.10 Uhr – aufgrund der Tageszeit herrschte kein Verkehrsaufkommen – das Fahrzeug im Kreuzungsbereich zweier Straßen an, schaltete die Innenraumbeleuchtung ein und brachte bei laufendem Motor den Wählhebel für die Getriebeautomatik in die Parkstellung. Anschließend bat er den im Fahrzeugfond sitzenden Angeklagten um die Entrichtung des Fahrpreises in Höhe von 9,80 Euro. Spätestens jetzt entschloss sich der erheblich angetrunkene Angeklagte, den Taxifahrer unter Einsatz eines mitgeführten Pfeffersprays an der Geltendmachung des Fahrpreises zu hindern. Er beugte sich vor, sprühte dem völlig überraschten Tatopfer Pfefferspray in das Gesicht und flüchtete nach einem kurzen Gerangel aus dem Fahrzeug. Als er wenig später stürzte, konnte er von dem nacheilenden Taxifahrer überwältigt werden. Durch den Einsatz des Pfeffersprays erlitt der Fahrer des Taxis Reizungen und Schmerzen an den Augen.
- 4
- 2. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht im Ergebnis zu Recht eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 316 a StGB verneint.
- 5
- a) Allerdings war das Tatopfer zum Zeitpunkt des auf ihn verübten Angriffs (noch) Führer eines Kraftfahrzeugs und damit taugliches Tatobjekt einer Straftat nach § 316 a StGB. Führer eines Kraftfahrzeuges im Sinne dieser Bestimmung ist, wer das Fahrzeug in Bewegung zu setzen beginnt, es in Bewegung hält oder allgemein mit dem Betrieb des Fahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist (BGHSt 49, 8, 14). Befindet sich das Fahrzeug nicht mehr in Bewegung, so ist darauf abzustellen, ob das Opfer als Fahrer noch mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst ist (BGH aaO). Dies ist, auch bei einem nicht verkehrsbedingten Halt, regelmäßig der Fall, wenn – wie hier - der Motor des Fahrzeugs noch in Betrieb ist (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2005, 2564, 2565).
- 6
- b) Liegt ein Angriff auf den Führer eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 316 a StGB vor, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Täter „dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ ausgenutzt hat. Danach ist erforderlich , dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen wird (BGHSt 49, 8, 11). Das ist (objektiv) der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt des Angriffs noch in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deshalb leichter zum Angriffsobjekt eines Überfalls werden kann (BGH aaO S. 14 f.). Verübt der Täter den Angriff im fließenden Verkehr oder bei einem verkehrsbedingten Halt, stellt dies ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass er dabei auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt. Aber auch bei einem nicht verkehrsbedingten Halt (hier: zu dem Zweck, den Fahrpreis für die Beförderung zu kassieren) kann im Einzelfall eine Gegenwehr des angegriffenen Fahrzeugführers infolge spezifischer Bedingungen des Straßenverkehrs erschwert sein (vgl. die Beispielsfälle in BGH NJW 2005, 2564, 2565). Hierfür genügt jedoch nicht, dass der Fahrzeugmotor noch läuft und der Fahrer (allein) deshalb mit dem Betrieb des Fahrzeugs beschäftigt ist (BGH aaO). Vielmehr müssen weitere verkehrsspezifische Umstände vorliegen, die zu einer Beeinträchtigung der Abwehrmöglichkeiten des angegriffenen Fahrzeugführers geführt haben. Derartige Umstände hat das Landgericht mit dem Hinweis verneint, dass zur Tatzeit am Tatort kein Verkehrsaufkommen bestand, mithin das Tatopfer zum Zeitpunkt des Angriffs nicht mit der Bewältigung von Betriebs– oder Verkehrsvorgängen in einer Art und Weise beschäftigt war, die ihn in seiner Abwehrmöglichkeit beeinträchtigte. Dies ist nach den dargelegten Grundsätzen rechtlich nicht zu beanstanden, zumal die Feststellungen zudem belegen, dass auch das Fahrzeug des Tatopfers zum Tatzeitpunkt keiner besonderen Überwachung durch den Fahrer bedurfte, da es durch Einlegen des Automatikhebels in die Parkstellung gegen ein Wegrollen oder ungewolltes Beschleunigen hinreichend gesichert war.
- 7
- 3. Auch die vom Landgericht nach Maßgabe der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommene Strafrahmenverschiebung weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
- 8
- Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit – wie hier – auf zu verantwortender Trunkenheit, spricht dies in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung nach den genannten Bestimmungen, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht hat. Ob dies der Fall ist, hat der Tatrichter im Rahmen des ihm gesetzlich eingeräumten Ermessens in wertender Betrachtung zu bestimmen; seine Entscheidung unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung (BGHSt 49, 239; Senatsurteil vom 15. Dezember 2005 – 4 StR 314/05).
- 9
- Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Landgerichts , den Strafrahmen des § 250 Abs. 3 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern, nicht zu beanstanden. Die erkennende Strafkammer hat bei ihrer Entscheidung in erster Linie darauf abgestellt, dass der Angeklagte bislang noch nicht wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden ist und damit zum Ausdruck gebracht, dass eine in der Person des Angeklagten begründete, für ihn vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund seiner Alkoholisierung in Bezug auf die ausgeurteilte Tat nicht gegeben war. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen lag auch keine für den Angeklagten vorhersehbare Risikoerhöhung aufgrund der situativen Verhältnisse vor. Der Angeklagte befand sich nicht in einer gefahrträchtigen Lage, als er den Alkohol zu sich nahm. Auch danach hat er sich weder bewusst noch leichtfertig in die Tatsituation gebracht (vgl. hierzu BGHSt 49, 239, 243 f). Der Angeklagte hat – wovon das Landgericht in zutreffender Anwendung des Zweifelssatzes ausgegangen ist – den Tatentschluss spontan erst unmittelbar vor Begehung der Tat gefasst. In Bezug auf die mitgeführte Pfefferspraydose hat er sich unwiderlegt dahin eingelassen, diese zu seinem Selbstschutz mit sich geführt zu haben.
- 10
- 4. Die Nachprüfung des Urteils hat auch im Übrigen keinen den Angeklagten begünstigenden oder benachteiligenden (vgl. § 301 StPO) Rechtsfehler ergeben.
Solin-Stojanović Ernemann
(1) Wer zur Begehung eines Raubes (§§ 249 oder 250), eines räuberischen Diebstahls (§ 252) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
BUNDESGERICHTSHOF
(1) Wer zur Begehung eines Raubes (§§ 249 oder 250), eines räuberischen Diebstahls (§ 252) oder einer räuberischen Erpressung (§ 255) einen Angriff auf Leib oder Leben oder die Entschlußfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs oder eines Mitfahrers verübt und dabei die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.