Bundesgerichtshof Beschluss, 23. März 2017 - 2 StR 484/16
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers, zu Ziffer 1 auf Antrag des Generalbundesanwalts , am 23. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 430 Abs. 1 StPO beschlossen:
a) im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass von der Einziehung der unter Nummer 33 des Asservatenverzeichnisses aufgeführten Medikamente (Anabolika) abgesehen und die Verfolgung der Tat auf die anderen Rechtsfolgen beschränkt wird;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen we- gen „gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jah- ren an Personen unter 18 Jahren in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau vom 16. Juni 2014 – 4 Ds26 Js 1794/14 – nach Auflösung der darin gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es eine umfangreiche Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.
- 2
- 1. Der Senat hat auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren eingestellt (vgl. § 430 Abs. 1 StPO), soweit das Landgericht auch die sichergestellten und unter Nr. 33 des Asservatenverzeichnisses im Einzelnen aufgeführten Medikamente (Anabolika) eingezogen hat.
- 3
- 2. Die Nachprüfung des Urteils hat zu den Schuldsprüchen und zu den Aussprüchen über die Einzelstrafen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 4
- Jedoch begegnet die Bildung der Gesamtstrafe aus den Einzelstrafen für die verfahrensgegenständlichen Taten (zwei Mal zwei Jahre und sechs Monaten und zwei Jahre) und den im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung noch nicht erledigten Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Passau vom 16. Juni 2014 durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 5
- a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat das Amtsgericht Passau den Angeklagten mit Urteil vom 16. Juni 2014 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten mit Bewährung verurteilt. Das Amtsgericht hat für die beiden am 23. November 2009 begangenen Taten Einzelstrafen von zwei Monaten und vier Monaten festgesetzt. Der Zeitpunkt der Rechtskraft dieses Urteils ist nicht festgestellt.
- 6
- b) Entgegen der Annahme des Landgerichts liegen die Voraussetzungen für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) nicht vor, weil die Taten am 23. November 2009 und damit vor der noch unerledigten Vorverurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Waldbröl vom 15. September 2010 begangen worden sind, das Zäsurwirkung entfaltet. Die unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Waldbröl vom 6. Januar 2010 gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr wurde im Jahr 2011 zwar teilweise vollstreckt; ein Strafrest ist jedoch durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer Dortmund zur Bewährung ausgesetzt und war im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht erlassen.
- 7
- Der hierin liegende Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Bei der neu vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung wird das Landgericht das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO zu beachten haben (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – 4 StR 388/16). Appl Krehl Bartel Wimmer Grube
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Bleibt der Einziehungsbeteiligte in der Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Terminsnachricht aus, kann ohne ihn verhandelt werden; § 235 ist nicht anzuwenden. Gleiches gilt, wenn sich der Einziehungsbeteiligte aus der Hauptverhandlung entfernt oder bei der Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ausbleibt.
(2) Auf Beweisanträge des Einziehungsbeteiligten zur Frage der Schuld des Angeklagten ist § 244 Absatz 3 Satz 2, Absatz 4 bis 6 nicht anzuwenden.
(3) Ordnet das Gericht die Einziehung eines Gegenstandes nach § 74b Absatz 1 des Strafgesetzbuches an, ohne dass eine Entschädigung nach § 74b Absatz 2 des Strafgesetzbuches zu gewähren ist, spricht es zugleich aus, dass dem Einziehungsbeteiligten eine Entschädigung nicht zusteht. Dies gilt nicht, wenn das Gericht eine Entschädigung des Einziehungsbeteiligten nach § 74b Absatz 3 Satz 2 des Strafgesetzbuches für geboten hält; in diesem Fall entscheidet es zugleich über die Höhe der Entschädigung. Das Gericht weist den Einziehungsbeteiligten zuvor auf die Möglichkeit einer solchen Entscheidung hin und gibt ihm Gelegenheit, sich zu äußern.
(4) War der Einziehungsbeteiligte bei der Verkündung des Urteils nicht zugegen und auch nicht vertreten, so beginnt die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels mit der Zustellung der Urteilsformel an ihn. Bei der Zustellung des Urteils kann das Gericht anordnen, dass Teile des Urteils, welche die Einziehung nicht betreffen, ausgeschieden werden.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Februar 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung und unbefugten Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 15. Juli 2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die allgemein auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zu den Schuldsprüchen und zu den Aussprüchen über die Einzelstrafen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die Verurteilung wegen unbefugten Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs hält rechtlicher Nachprüfung stand. Die freibeweislichen Ermittlungen des Senats haben ergeben, dass insoweit ein Verfahrenshindernis (§ 248b Abs. 3 StGB) nicht besteht.
- 3
- 2. Jedoch begegnet die Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe aus den Einzelfreiheitsstrafen für die verfahrensgegenständlichen Taten (Tatzeiten: 10. Februar und 16. März 2015) und der zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung noch nicht erledigten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 15. Juli 2015, rechtskräftig seit dem 17. November 2015, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 4
- a) Nach den Feststellungen wurde die der einbezogenen Strafe zugrunde liegende Tat am 17. April 2014 begangen. Bis zu ihrer Aburteilung durch das Amtsgericht Dortmund wurde der Angeklagte noch am 4. Februar 2015 durch das Amtsgericht Recklinghausen rechtskräftig wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Den Vollstreckungsstand dieser Verurteilung teilt das angefochtene Urteil nicht mit. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die vom Amtsgericht Recklinghausen verhängte Geldstrafe im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts Dortmund am 15. Juli 2015 noch nicht erledigt war und deshalb zwischen der vom Amtsgericht Dortmund für die Tat vom 17. April 2014 verhängten Freiheitsstrafe und der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 4. Februar 2015 eine Gesamtstrafenlage im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bestand. Die Verurteilung vom 4. Februar 2015 hätte dann Zäsurwirkung entfaltet. Aus der Gesamtstrafe für die neu abgeurteilten Taten und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung, der in einem solchen Fall gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zukommt (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74), hätte dann keine Gesamtstrafe gebildet werden dürfen. Diese Grundsätze gelten nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob eine Gesamtstrafe nachträglich gebildet wurde oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276 mwN). Die nicht ausschließbar fehlerhafte Gesamtstrafenbildung kann den Angeklagten beschweren.
- 5
- b) Die Sache bedarf daher insoweit neuer Entscheidung. Dabei wird das mit Blick auf die alleinige Revision des Angeklagten geltende Verbot der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu beachten sein, das im Falle der fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung den Angeklagten davor bewahrt , dass ihm der durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangte Vorteil wieder genommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1955 – 3 StR 369/55, BGHSt 8, 203, 205; Beschluss vom 8. Juni 2016 aaO; vgl. auch BayObLG, Urteil vom 7. Oktober 1970 – RReg, 5 St 95/70, NJW 1971, 1193).
Bender Quentin