Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2012 - 3 StR 17/12

bei uns veröffentlicht am28.02.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 17/12
vom
28. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin
und des Generalbundesanwalts am 28. Februar 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 23. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachbeschwerde Erfolg; auf die Verfahrensbeanstandung kommt es nicht an.
2
1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, denn das Urteil entbehrt einer die Annahme von Tötungsvorsatz tragenden lückenlosen Beweiswürdigung.
3
a) Nach den Feststellungen fügte die Angeklagte ihrem Ehemann, der mit einem Blutgerinnungshemmer medikamentiert wurde, mit direktem Tötungsvorsatz um die Mittagszeit des 14. März 2010 unter Zuhilfenahme eines halbscharfen Gegenstands, möglicherweise einer Schere, vier Rissverletzun- gen am Kopf zu, die zu einem starken Blutverlust, dadurch verursacht einem Kreislaufzusammenbruch und binnen einer halben Stunde zu seinem Tod führten. Eine Blutuntersuchung der alkoholabhängigen und unter einer komplexen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und zwanghaften Anteilen leidenden Angeklagten ergab am gleichen Tag um 21.38 Uhr eine Blutalkoholkonzen- tration von 2,3 ‰.
4
Auf den direkten Tötungsvorsatz der die Tat bestreitenden und wegen ihrer Alkoholisierung in Kombination mit ihrer Persönlichkeitsstörung nicht ausschließbar in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich verminderten Angeklagten hat das Landgericht aufgrund der Gefährlichkeit der Tatausführung, der Kenntnis der Angeklagten von der Medikamentierung des Opfers und desUnterlassens von Rettungsbemühungen nach der Tat geschlossen. Im Übrigen hat es ausgeführt , es hätten sich "keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass bei der Angeklagten in der unmittelbaren Tatsituation irgendwelche Umstände vorgelegen hätten, die ihre Fähigkeit, die Lebensgefährlichkeit ihres Handelns zu erkennen oder einen Tötungsvorsatz willentlich zu bilden, eingeschränkt hätten".
5
b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
6
Der Schluss von der Gefährlichkeit der Tatausführung auf den Tötungsvorsatz ist nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjektiven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Ergebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme von direktem Tötungsvorsatz (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 225/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 27. Oktober 2011 - 3 StR 351/11, juris Rn. 5). Es versteht sich nicht von selbst, dass ein Täter, der - wenn auch lediglich nicht ausschließbar - aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und Alkoholintoxikation in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermin- dert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tod des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2011, aaO). Im Übrigen kann insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das selbständig neben dem Wissenselement stehende voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Urteil vom 25. November 2011 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339).
7
Danach hätte sich das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes auch damit auseinandersetzen müssen, ob die Umstände, die es zur Annahme einer nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten veranlassten, das kognitive Vorsatzelement tangierten. Zu dieser Prüfung hätte es umso mehr Anlass gehabt, als die dem Opfer beigebrachten Risswunden auch mit Rücksicht auf seine Medikamentierung keine Verletzungen darstellten, deren Lebensbedrohlichkeit ohne weiteres erkennbar gewesen wäre. Da das Landgericht bei der Angeklagten im Tatzeitpunkt einen "affektiven Ausnahmezustand" festgestellt sowie dargelegt hat, der Tatablauf deute "auf eine abrupte Entladung einer schweren Anspannung in Form eines plötzlichen, explosionsartigen Aggressionsdurchbruchs", hätte es sich außerdem unter diesem Gesichtspunkt näher mit dem voluntativen Vorsatzelement befassen müssen.
8
c) Die Aufhebung des Schuldspruchs führt auch zur Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Wegen der nach Sachlage erforderlichen Gesamtwürdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände gibt der Senat dem neuen Tatrichter Gelegenheit, nicht nur zur inneren Tatseite, sondern insgesamt neue Feststellungen zu treffen.
9
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
10
Der neue Tatrichter wird bei der neuerlichen Prüfung der Schuldfähigkeit der Angeklagten bei Tatbegehung in Rechnung zu stellen haben, dass ihr Verhalten mehrere Stunden nach der Tat nur begrenzt Rückschlüsse auf ihre Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt zulässt. Sollte der neue Tatrichter eine Schuldunfähigkeit ausschließen, sich aber nicht von (wenigstens bedingtem) Tötungsvorsatz im Zeitpunkt der Verletzungshandlung überzeugen, wird er Anlass haben, das Tatgeschehen unter dem Aspekt einer Körperverletzung mit Todesfolge und eines Totschlags durch Unterlassen zu würdigen.
Becker Hubert Schäfer Mayer Menges

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2012 - 3 StR 17/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2012 - 3 StR 17/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2012 - 3 StR 17/12 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

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Referenzen

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Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt, doch ist dieser nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55 mwN). Dies gilt erst recht bei der Annahme von direktem Tötungsvorsatz. Vorliegend fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung sowie der affektiven Aufladung der minderbegabten Angeklagten im Tatzeitpunkt, die zur Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt hatten. Das Landgericht setzt sich zudem damit, dass die Angeklagte unmittelbar nach den beiden Stichen die Polizei telefonisch auf den Schwerverletzten aufmerksam machte, ebenso wenig auseinander wie mit dem Umstand, dass die Stichtiefe von 7,5 cm bei einer Klingenlänge von 18,5 cm der Annahme eines "mit großer Wucht geführten Stiches" entgegenstehen könnte. Hinzu kommt, dass das Landgericht ein Motiv der Angeklagten für ihre Tat nicht festgestellt hat. Warum sie den ihr seit vielen Jahren bekannten Mann, der ebenfalls ganz erheblich alkoholisiert war (BAK 3,65 ‰) und unmittelbar vor den tödlichen Stichen zu ihrer Bekannten lediglich verbal aggressiv war, hätte töten wollen, erschließt sich auch sonst aus dem Urteil nicht.
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Zwar ist das Würgen eines Menschen über mehrere Minuten eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, deren Lebensbedrohlichkeit für gewöhnlich ohne weiteres erkennbar ist und die deshalb grundsätzlich darauf schließen lässt, der Täter habe den Tod des Opfers beabsichtigt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen. Rechtsfehlerfrei ist ein solcher Schluss jedoch nur dann, wenn der Tatrichter auch alle nach Sachlage in Betracht kommenden subjektiven und objektiven Umstände in seine Erwägungen einbezieht, die dieses Ergebnis in Frage stellen können; dies gilt insbesondere bei der Annahme direkten Tötungsvorsatzes (BGH, Beschluss vom 2. August 2011 - 3 StR 225/11). So versteht es sich etwa nicht von selbst, dass ein Täter, der in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Maße alkoholisiert ist, noch erkennt, dass seine Gewalthandlung zum Tode des Opfers führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51).

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.