Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13

bei uns veröffentlicht am15.10.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 215/13
vom
15. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag -
am 15. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hannover vom 21. März 2013 wird

a) die Urteilsformel dahin ergänzt, dass der Angeklagte auch
einer tatmehrheitlich begangenen Bedrohung schuldig ist;

b) das vorgenannte Urteil im Maßregelausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den wegen Körperverletzung, Diebstahls und eines Straßenverkehrsdelikts vorbestraften Angeklagten wegen Diebstahls in drei Fällen, Beleidigung in zwei Fällen sowie falscher Verdächtigung zu einer Ge- samtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe sowie der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zur Ergänzung der Urteilsformel um eine tatmehrheitlich begangene Bedrohung (Fall II. 6. der Urteilsgründe). Im Übrigen hat es lediglich zum Maßregelausspruch Erfolg.
2
I. Schuld- und Strafausspruch weisen, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragschrift zutreffend ausgeführt hat, keinen durchgreifenden sachlichrechtlichen Fehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
II. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält materiellrechtlicher Prüfung dagegen nicht stand; denn die Strafkammer hat die nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei getroffen.
4
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142). Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedarf insgesamt einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 - 5 StR 199/11, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 32; vom 17. Februar 2009 - 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169). Diesen Maßstäben genügen die Erwägungen der Strafkammer nicht.
5
1. Das Landgericht hat ausgeführt, der Angeklagte leide bei einer dissozial geprägten Persönlichkeit an einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10: F 20.01); darüber hinaus bestehe eine Abhängigkeit von Cannabinoiden und Amphetaminen mit ständigem Substanzgebrauch (ICD 10: F 12.25). Bei den Diebstahlstaten sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB gewesen; bei den übrigen Taten sei dies nicht auszuschließen. Es müsse "auch zukünftig damit gerechnet werden", dass der Angeklagte Straftaten , "insbesondere im aggressiven körperlichen Bereich bis hin zu schweren Körperverletzungs- sowie Tötungsdelikten" begehen werde.
6
2. Es ist bereits fraglich, ob diesen Formulierungen entnommen werden kann, dass die Strafkammer ihre Entscheidung an dem nach ständiger Rechtsprechung anzuwendenden Maßstab einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades (BGH, Urteil vom 17. November 1999 - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27; Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 31) ausgerichtet hat. Jedenfalls hat sie bei ihrer Prognose, es sei mit Delikten bis hin zu schweren Körperverletzungs- und Tötungsstraftaten zu rechnen, wesentliche, in die erforderliche Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Taten einzustellende Umstände nicht berücksichtigt und deshalb ihre Erwartung nicht tragfähig begründet. Angeführt sind insoweit lediglich die Chronifizierung der Erkrankung des Angeklagten sowie dessen Verhalten anlässlich der ambulanten Behandlungstermine und der Explorationsgespräche , bei denen er verbal bedrohlich bzw. deutlich reizbar und aggressiv aufgetreten sei, ohne dass allerdings insoweit nähere Einzelheiten mitgeteilt werden. Dies reicht bereits für sich genommen nicht aus, um den dargelegten erhöhten Begründungsanforderungen gerecht zu werden. Hinzu kommt, dass das Landgericht in diesem Zusammenhang etwa nicht berücksichtigt hat, dass der Angeklagte bisher nur wegen vergleichsweise geringfügiger Delikte vorbestraft ist und auch den hier abgeurteilten Taten keine besonderen Hinweise auf seine Bereitschaft zu entnehmen sind, aggressiv und gewalttätig gegen Körper und Gesundheit anderer vorzugehen. Ebenso bleibt - im Gegensatz zur positiven Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nach § 56 Abs. 1, 2 StGB - unberücksichtigt, dass der Angeklagte nach Begehung der letzten Tat für den Zeitraum von mehr als eineinhalb Jahren nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und seine Lebensverhältnisse sich stabilisiert haben.
7
III. Über den Maßregelausspruch ist deshalb neu zu verhandeln und zu entscheiden.
Becker Pfister Schäfer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Feb. 2009 - 3 StR 27/09

bei uns veröffentlicht am 17.02.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 27/09 vom 17. Februar 2009 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dess

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2011 - 5 StR 199/11

bei uns veröffentlicht am 08.06.2011

5 StR 199/11 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 8. Juni 2011 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2011 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2013 - 4 StR 520/12

bei uns veröffentlicht am 16.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 520/12 vom 16. Januar 2013 in dem Sicherungsverfahren gegen Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 S
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Okt. 2013 - 3 StR 215/13.

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juni 2015 - 1 StR 190/15

bei uns veröffentlicht am 10.06.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 1 9 0 / 1 5 vom 10. Juni 2015 in der Strafsache gegen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf di

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 520/12
vom
16. Januar 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Beschuldigten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersicht- lichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen beleidigte der allein im Haus seiner verstorbe- nen Eltern wohnende Beschuldigte zwei Nachbarinnen, indem er sie als „fette Sau“ (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und „Fezerhure“ (Fall II. 2der Urteilsgründe) bezeichnete. Einen Tag nach dem letztgenannten Vorfall rannte er vor seinem Wohnanwesen brüllend auf den Postzusteller H. zu, als dieser ihm die Post bringen wollte. Dabei war der Beschuldigte mit einem Brotmesser (Klingenlänge 10 cm) „bewaffnet“. Der Zeuge H. ergriff aus Angst vor Verletzungen die Flucht. Als der Beschuldigte zu seinem Haus zurückging, blieb der Zeuge H. stehen und wartete einen Augenblick. Daraufhin setzte der Beschuldigte „erneut zum Angriff an“ und lief wieder brüllend auf den Zeugen H. zu. Dieser eilte nun endgültig davon und sah von einer Postzustellung bei dem Beschuldigten ab (Fall II. 3 der Urteilsgründe). Etwa 90 Minuten nach diesem Vorfall warf der Beschuldigte „einen festen Gegenstand ähnlich einem Kürbis“ gegen den Autoreifen eines fahrenden Fahrzeugs. Anschließend verfolgte er die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende 15-jährige Schülerin C. K. . Dabei schrie er: „Du Hure, ich bring dich um, wenn ich dich erwische“. C. K. hatte deshalb Angst um ihr Leben und beschleunigte ihre Fahrt. Als der Beschuldigte seinerseits von einem eingreifenden Nachbarn angeschrien wurde, ließ er von C. K. ab. C. K. war aufgrund dieses Vorfalls fünf Tage krankgeschrieben und litt noch zwei Wochen unter Schlafstörungen. Sie hat auch weiterhin mit Alpträumen zu kämpfen und befindet sich deshalb in psychologischer Behandlung (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Etwa vier Wochen später befuhr der Beschuldigte mit seinem Pkw der Marke Opel Corsa die rechte Fahrspur der Bundesautobahn A 8. Als er einen vor ihm fahrenden Lkw unter Benutzung der Standspur rechts überholen wollte und dazu bereits auf die Standspur ausgeschert war, erkannte er ein hinter ihm fahrendes Polizeifahrzeug und ordnete sich wieder auf der rechten Fahrspur ein. Die Polizeibeamten wollten den Beschuldigten daraufhin einer Kontrolle unterziehen. Sie setzten sich deshalb mit ihrem Dienstfahrzeug vor den Pkw des Beschuldigten und forderten ihn mit dem Anhaltestab zum Anhalten auf. Dieser Aufforderung kam der Beschuldigte bewusst nicht nach und fuhr stattdessen über die mittlere auf die linke Fahrspur. Die Polizeibeamten setzten ihr Dienstfahrzeug nun erneut vor den Pkw des Beschuldigten und blendeten auf der Signalanlage die Anordnung „Bitte Folgen“ ein. Der Beschuldigte lenkte sein Fahrzeug nun „ruckartig“ nach rechts und hielt auf der Standspur an. Nachdem die Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug etwa 100 Meter vor dem Pkw des Beschuldigten zum Stehen gebracht hatten, setzten sie auf der Standspur zurück. Währenddessen fuhr der Beschuldigte unvermittelt los und scherte von der Standspur auf die rechte Fahrspur ein, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten. Dabei ging es ihm allein darum, sich der Kontrolle durch die Polizeibeamten zu entziehen. Der Fahrer eines auf der rechten Fahrspur herannahenden Sattelzuges konnte einen Unfall nur noch durch ein ruckartiges Ausweichmanöver auf die mittlere Fahrspur vermeiden, auf der sich zu diesem Zeitpunkt kein Fahrzeug befand. Anschließend fuhr der Beschuldigte mit 60 bis 70 km/h zur nächsten Tankstelle. Bei der dort durchgeführten Kontrolle musste er von den Polizeibeamten gefesselt werden, weil er aggressiv wurde und eine bedrohliche Haltung einnahm (Fall II. 5 der Urteilsgründe ).
3
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als Beleidigung in zwei Fällen (§ 185 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung (§§ 185, 241 StGB) und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen Dr. M. angeschlossen. Danach leide der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Er sei nicht in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und sich anzupassen. Der Beschuldigte zeige einen gesteigerten Antrieb, sei umtriebig und leicht reizbar. Die paranoide Komponente seiner Erkrankung sei stets handlungsleitend. Bei ihm bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber sämtlichen Behörden und seiner Umgebungswelt. Nach seiner eigenen Wahrnehmung drangsaliere nicht er seine Nachbarschaft, sondern diese ihn. Es sei beabsichtigt , ihn aus seinem Haus zu vertreiben. Die Polizei ermittle stets zu seinem Nachteil. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei deshalb zur Tatzeit sicher erheblich eingeschränkt und möglicherweise sogar vollständig aufgehoben gewesen (UA 11). Da dem Beschuldigten die Krankheitseinsicht fehle, müsse damit gerechnet werden, dass er nach seiner Entlassung aus dem psy- chiatrischen Krankenhaus die Medikation absetzen und auf ein „Krankheitslevel“ wie zum Zeitpunkt der Anlasstaten zurücksinken werde. Es sei daher wahrscheinlich, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung auch in Zukunft den Anlasstaten ähnliche Taten begehen werde. Es bestehe daher die Gefahr der Fremdgefährdung, was nicht zuletzt im Fall der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (Fall II. 5 der Urteilsgründe) ersichtlich geworden sei. Sowohl diese, als auch die mit einem Brotmesser zum Nachteil des Postzustellers begangene Tat (Fall II. 3 der Urteilsgründe) seien als erheblich einzustufen. Für die Gefährlichkeitsprognose spreche weiter, dass die überraschenden Angriffe des Beschuldigten neben den angeführten Fällen auch im Fall der Fahrradfahrerin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) gegen Zufallsopfer gerichtet gewesen seien (UA 13). Auch hätten Zeugen in der Haupt- verhandlung über weitere – nie zur Anzeige gebrachte – Vorfälle mit erheblichem Gefahrenpotential (Werfen eines unbekannten Gegenstandes gegen einen Pkw, Werfen einer Flasche in Richtung einer Nachbarin) berichtet (UA 14). Eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung sei aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten und seiner sozialen Situation nicht möglich (UA 14 f).

II.


4
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Beschluss vom 29. August 2012 – 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27).
6
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 8; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen über bei dem Beschuldigten beobachtete Auffälligkeiten. Dass es sich hierbei um zeitstabile Beeinträchtigungen seines psychischen Zustandes handelt, wird nicht aufgezeigt. Die mitgeteilte stationäre Unterbringung des Be- schuldigten wegen „psychischer Auffälligkeiten“ im Jahr 1993 (UA 3) ist insoweit ohne Aussagekraft, weil sich nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Bezug zu der diagnostizierten schizoaffektiven Störung nicht herstellen lässt.
7
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
9
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der inzwischen 42 Jahre alte Beschuldigte nur in den Jahren 2002 und 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Eine zweijährige Bewährungszeit vermochte er durchzustehen und im Jahr 2007 einen Straferlass zu erreichen (UA 4). Der länger währenden Straffreiheit des Beschuldigten käme jedenfalls dann eine prognosegünstige Bedeutung zu, wenn bei ihm in diesen Zeiträumen bereits die diagnostizierte schizoaffektive Störung vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2012 – 5 StR 295/12, NStZ-RR 2012, 366, 367; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Ob dies der Fall gewesen ist, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Auch wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen ver- laufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (Hoff/Sass in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 84 f.; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181 f.; MüllerIsberner /Venzlaff in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 181 f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.

III.


10
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten und die Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB können bestehen bleiben. Sollte der neue Tatrichter – was nahe liegt – wieder zu der Annahme gelangen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte, wird bei der Prüfung der Gefährlichkeit auch die Todesdrohung (§ 241 StGB) zum Nachteil der Zeugin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) als erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 StGB gewertet werden können (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271).
Roggenbuck Cierniak Franke
Bender Quentin

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5 StR 199/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 8. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 31. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Im Wiederaufnahmeverfahren hat das Landgericht Chemnitz das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 24. Juni 1994, durch das der Angeklagte wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden war, aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen; zugleich hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Umfang der Aufhebung Erfolg; im Übrigen – die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten betreffend – ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
Am 25. August 1993 erschoss der aus Vietnam stammende Angeklagte in der Wohnung eines Landsmannes zwei weitere Vietnamesen mit einer kurz zuvor erworbenen Pistole. Er feuerte aus unmittelbarer Nähe und in schneller Folge mehrfach auf die beiden von dem Angriff völlig überraschten Opfer. Beide verstarben noch am Tatort. Einen Tag später stellte sich der Angeklagte der Polizei.
4
Die Schwurgerichtskammer gelangt zu der Überzeugung, dass der Angeklagte die Taten aufgrund einer durch eine schizophrene Psychose hervorgerufenen Wahnvorstellung beging. Sein angegebenes Tatmotiv, die Getöteten hätten ein Schutzgeld von ihm erpressen wollen, beruhe auf einer wahnhaften Verkennung der Wirklichkeit; der Angeklagte habe sich auch in der Wohnung von den später Getöteten bedroht gefühlt. Sachverständig beraten kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass beim Angeklagten eine paranoide Psychose vorlag, die „tat- und tatzeitbezogen nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, sondern im Wege der Nichtausschließbarkeit“ (UA S. 20) auch zu einer Aufhebung seiner Schuldfähigkeit im Tatzeitraum führte, und gelangt daher zu einem Freispruch des Angeklagten. Auf der Grundlage der Gutachten zweier psychiatrischer Sachverständiger sowie der Aussagen zweier sachverständiger Zeugen bejaht sie indes seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, die eine Unterbringung gemäß § 63 StGB erfordere.
5
2. Soweit das Landgericht beweiswürdigend eine nicht ausschließbare völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, möglicherweise sogar schon der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB), jedenfalls aber eine erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) annimmt, ist dies frei von Rechtsfehlern. Auch eingedenk des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO bleibt daher der Freispruch des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen bestehen.
6
3. Indes war der Maßregelausspruch aufzuheben. Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung , weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Dies gilt ungeachtet des Gewichts der Anlasstaten auch im vorliegenden Fall, in dem der Betroffene wegen der von ihm im nicht ausschließbaren Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Tat bereits seit 17 Jahren inhaftiert ist. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
7
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Wegen des immensen zeitlichen Abstands zu den Anlasstaten reicht hierfür der Charakter der Anlasstaten ausnahmsweise nicht aus. Das Landgericht hat sich darauf beschränkt , die Gefährlichkeitsbeurteilungen der beiden psychiatrischen Sachverständigen und der beiden sachverständigen Zeugen wiederzugeben, die seinen Schluss des Landgerichts zwar übereinstimmend stützen. Erforderlich wäre, die wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen der Sachverständigenbewertung im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis der gutachtlichen Äußerungen und zur Beurteilung ihrer Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 397/08; Urteil vom 19. Februar 2008 – 5 StR 599/07; BGH, Urteil vom 15. Januar 2003 – 5 StR 223/02, NStZ 2003, 307 f., Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232, jeweils mwN).
8
Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen und sachverständigen Zeugen werden aus der Schilderung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und insbesondere seines Verhaltens während der Haft nicht belegt. Dem Urteil ist lediglich Folgendes zu entnehmen: Während sein Vorleben vor der Tat, abgesehen von ehelichen Problemen, weitgehend unauffäl- lig war, fiel er zu Beginn seiner Haftzeit durch Verstöße gegen die Hausordnung auf, denen jedoch damals keine psychotische Bedeutung beigemessen wurde. Ab 1996 zeigten sich „zunehmend Verhaltensauffälligkeiten“, weshalb er sich wiederholt in psychiatrischer Behandlung befand. In diesem Zusammenhang werden nur vom Angeklagten berichtete Körperbeeinflussungsphänomene geschildert. Nachdem er sich deswegen in der Zeit von August 1997 bis Januar 1998 im Haftkrankenhaus befunden hatte, in dem ein schizoaffektives Syndrom diagnostiziert wurde, trat zunächst eine Beruhigung der Symptomatik ein. Im Jahr 2001 kam es zu erneuten Symptomen der psychiatrischen Erkrankung. Ab dem Jahr 2008 führte sich der Angeklagte weitgehend unauffällig.
9
Abgesehen von den anfänglichen Verstößen gegen die Hausordnung, denen für die Gefährlichkeitsprognose jedenfalls kein auf der Hand liegendes Gewicht zukommt, werden keine konkreten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten geschildert. Insbesondere finden sich keine Hinweise, auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten des Angeklagten im Strafvollzug. Über den Zeitraum zwischen 2001 und 2008 macht das Urteil keinerlei konkrete Angaben. Inwieweit der Angeklagte eine psychiatrische Behandlung erfuhr, ist nur in unzureichendem Maße ersichtlich. Das Urteil macht auch keine Ausführungen dazu, ob dem Angeklagten Vollzugslockerungen gewährt wurden und wie diese gegebenenfalls verlaufen sind. Angesichts dieser Darlegungsmängel vermag der Senat die Gefahrenprognose des Landgerichts nicht nachzuvollziehen.
10
4. Der Maßregelausspruch ist daher mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind die Feststellungen zum Geschehensablauf der rechtswidrigen Taten, die bestehen bleiben. Sie können durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden. das Landgericht entfällt der Ausspruch über den Ausschluss der Entschädigung ; über die Verpflichtung zur Entschädigung ist in der verfahrensabschließenden Entscheidung zu befinden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG).
Basdorf Raum Schneider
König Bellay

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 27/09
vom
17. Februar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
17. Februar 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 30. September 2008 im Maßregelausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in drei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat außerdem seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat zum Maßregelausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Angeklagte leidet etwa seit dem Jahr 2002 an einer wahnhaften Störung in Form eines Querulantenwahns. Seit Anfang 2005 wurde er wegen dieser Erkrankung vielfach, zuletzt aufgrund vormundschaftsgerichtlicher Anordnung in psychiatrischen Krankenhäusern behandelt. Nach den zu den An- lasstaten getroffenen Feststellungen warf der Angeklagte am 4. Oktober 2007 mit einem Telefon nach dem Rechtspfleger der Rechtsantragsstelle des Amtsgerichts W. , nachdem sich dieser geweigert hatte, ihm bei der Wohnungssuche behilflich zu sein. Das Telefon traf das Tatopfer am Kinn (Fall II 1). Nach seiner vormundschaftsgerichtlich angeordneten Einweisung in eine psychiatrische Klinik versetzte er am 4. April 2008 während der Oberarztvisite zwei Ärzten und einem Krankenpfleger mit einer Metallstange mehrere, zum Teil erhebliche Schläge, nachdem diese ihm erklärt hatten, eine Entlassung aus der Klinik komme im Hinblick auf die richterliche Anordnung nicht in Betracht (Fall II 2). Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten infolge seiner psychischen Erkrankung bei beiden Taten erheblich vermindert war.
3
2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Zwar begegnet die Annahme verminderter Schuldfähigkeit rechtlich keinen Bedenken. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die für die Anordnung nach § 63 StGB weitere Voraussetzung eines fortdauernden Zustandes beim Angeklagten gegeben ist.
4
Gleichwohl hat der Maßregelausspruch keinen Bestand, weil die Strafkammer die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat.
5
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 11 und 26). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, zwar bejaht, seine Begründung erschöpft sich jedoch in dem Hinweis, "es sei von einer erheblichen Wiederholungsgefahr bezüglich Gewaltdelikten auszugehen".
6
Den erhöhten Anforderungen, die an die Begründung der Gefährlichkeitsprognose zu stellen sind, ist damit nicht im Ansatz genügt.
7
Es ist bereits zu besorgen, dass das Landgericht seiner Beurteilung einen falschen Maßstab zugrunde gelegt und verkannt hat, dass die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nur angeordnet werden darf, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die Möglichkeit häufiger schwerer Störungen des Rechtsfriedens bestehen (BGH NStZ-RR 2006, 265).
8
Diese vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Gewalttaten ist auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen. Die bisherigen Feststellungen zu dem strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten belegen die Gefährlichkeitsprognose nicht. Der Angeklagte wurde zwar einmal im Jahr 1986 - mithin vor Ausbruch seiner psychischen Erkrankung - wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Ferner führte die Staatsanwaltschaft gegen ihn in den Jahren ab 2005 verschiedene Ermittlungsverfahren, u. a. wegen räuberischen Diebstahls und wegen Körperverletzungsdelikten, die wegen Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellt wurden. Die diesen Verfahren zugrunde liegenden Sachverhalte teilt das Urteil indes nicht mit. Ob diesen Taten Symptomcharakter für die Gefährlichkeit des Angeklagten zukommt, ist daher nicht zu erkennen.
9
Zwar können auch allein die Anlasstaten die Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit begründen. Dies hätte hier jedoch besonderer Prüfung und Erörterung bedurft, da es sich bei der Tat zum Nachteil des Rechtspflegers um einen eher geringfügigen Vorfall handelte, und die Tat zum Nachteil des Klinikpersonals im Rahmen der stationären Unterbringung des Angeklagten begangen wurde. Eine solche Tat ist jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden Situation hat, für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB nur eingeschränkt verwertbar (vgl. BGH StV 2005, 21). Auch hiermit hat sich die Strafkammer nicht auseinandergesetzt.
10
3. Die der Maßregelanordnung zugrunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da sie für sich genommen Rechtsfehler nicht aufweisen. Soweit zum strafrechtlichen Vorleben des Angeklagten ergänzende Feststellungen zu treffen sind, wird der neue Tatrichter dies nachzuholen und auf der erweiterten Tatsachengrundlage unter Hinzuziehung eines Sachverständigen die Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neu zu beurteilen haben. Becker Miebach von Lienen Sost-Scheible Schäfer

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.