Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 280/18

bei uns veröffentlicht am06.02.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 280/18
vom
6. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2019:060219B3STR280.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Februar 2019 einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Kammergerichts vom 18. Januar 2018 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Das Revisionsvorbringen zu vier im Zusammenhang mit der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus G-10-Beschränkungsmaßnahmen erhobenen Verfahrensrügen , das sich offensichtlich an dem Beschluss des Senats vom 3. Mai 2017 (3 StR 498/16, juris) ausrichtet, gibt Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen: Anders als in jenem Verfahren geht es vorliegend nicht darum, dass aus G-10-Beschränkungsmaßnahmen stammende Erkenntnisse unmittelbar als Beweismittel zur Überführung des Angeklagten verwertet worden sind. Die Erkenntnisse aus den G-10-Beschränkungsmaßnahmen mündeten vielmehr in ein Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz, das - neben weiteren polizeilichen Erkenntnissen - vom Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Tiergarten zur Begründung des Anfangsverdachts einer Straftat nach § 89a StGB und zum Erlass darauf aufbauender Durchsuchungsbeschlüsse herangezogen worden ist. Im Rahmen des Vollzugs dieser Beschlüsse wurden ein Laptop und ein Mobiltelefon des Angeklagten sichergestellt, auf denen sich WhatsApp- und Skype-Chats befanden, die das Kammergericht als Beweismittel verwertet hat, um den Beschwerdeführer wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 Variante 1 StGB zu verurteilen. Für diese Verfahrenskonstellation gilt Folgendes: 1. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung reicht der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht aus, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (vgl. hierzu: BGH, Beschlüsse vom 12. August 2015 - StB 8/15, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 3; vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, BGHR StPO § 102 Tatverdacht 2; LR/Tsambikakis, StPO, 26. Aufl., § 102 Rn. 12, § 105 Rn. 65). Dabei können Behördenzeugnisse zur Begründung eines Anfangsverdachts grundsätzlich herangezogen werden, wobei der konkrete Beweiswert des Zeugnisses von seinem Inhalt und davon abhängig ist, ob es - wie hier - lediglich dem Beleg eines Anfangsverdachts oder der Begründung eines höheren Verdachtsgrades dient (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Februar 2018 - AK 5/18; vom 30. November 2017 - AK 61/17; vom 8. November 2017 - AK 54/17; vom 17. August 2017 - AK 34/17; vom 4. Januar 2013 - StB 10/12; vom 14. Oktober 2011 - AK 17/11; alle Beschlüsse zitiert nach juris).
Es ist danach nicht zu beanstanden, dass der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Tiergarten sich zur Begründung des Anfangsverdachts (auch) auf das Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz gestützt hat. Dieses ging seinem Inhalt nach über die pauschale Behauptung hinaus, der Beschwerdeführer sei Unterstützer des IS und möglicherweise in Anschlagsplanungen in Berlin involviert; die in dem Behördenzeugnis genannten Anhaltspunkte wurden durch polizeilichen Erkenntnisse gestützt, so dass bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte vorlagen, auf die ein Anfangsverdacht gestützt werden konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2016 - AK 46/16, juris Rn. 17; vom 12. August 2015 - StB 8/15, BGHR § 102 Tatverdacht 3). 2. Angesichts dessen war der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Tiergarten von Rechts wegen nicht gehalten, Informationen über die Rechtmäßigkeit der G-10-Maßnahme einzuholen, etwa die Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz anzufordern und nach gegebenenfalls abgegebener Sperrerklärung des Bundesministeriums des Inneren Gegenvorstellung zu erheben. Konkrete Anhaltspunkte, die gegen die Rechtmäßigkeit der G-10-Maßnahme sprachen , lagen nicht vor; ein pauschales Misstrauen gegenüber den in die Beantragung , Anordnung und Kontrolle der Beschränkungsmaßnahmen involvierten Behörden und Gremien, die an Recht und Gesetz gebunden sind, ist nicht angezeigt (so auch: OLG München, Beschluss vom 2. Februar 2018 - 9 St 10/17, BeckRS 2018, 9058 Rn. 17). 3. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Kammergericht verpflichtet gewesen ist, Aufklärungsbemühungen zur Rechtmäßigkeit der G-10Maßnahmen zu entfalten, kann offen bleiben, weil die von ihm ergriffenen Maßnahmen - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragschrift zutreffend ausgeführt hat - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats (vgl.
BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 - 3 StR 498/16, juris Rn.14 mwN) jedenfalls ausreichend gewesen sind. 4. In der konkreten Verfahrenskonstellation wäre richtiger Bezugspunkt einer etwaigen Rechtmäßigkeitsprüfung allerdings nicht - wie vom Beschwerdeführer und ihm folgend vom Kammergericht angenommen - die G-10Maßnahme , sondern die Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten gewesen, weil diese die ermittlungsrichterlichen Entscheidungen darstellten, auf deren Grundlage die verwerteten Beweismittel gewonnen wurden. Für die insoweit vorzunehmende Prüfung gelten die allgemeinen Grundsätze zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit ermittlungsrichterlicher Beschlüsse (vgl. zum Prüfungsmaßstab BGH, Urteil vom 16. Februar 1995 - 4 StR 729/94, BGHSt 41, 30, 31 ff.; Beschlüsse vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 365 f.; vom 26. Februar 2003 - 5 StR 423/02, BGHSt 48, 240, 248; vom 8. Februar 2018 - 3 StR 400/17, NJW 2018, 2809 Rn. 17) und aus einer etwaigen Rechtswidrigkeit gegebenenfalls zu ziehenden Konsequenzen (zur in ständiger Rechtsprechung des BGH vertretenen Abwägungslösung vgl. etwa BGH, Urteile vom 13. Januar 2011 - 3 StR 332/10, BGHSt 56, 127 Rn. 13 mwN; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 47 ff. mwN; BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, BVerfGE 130, 1, 29 ff.; zur Frage der sog. Fernwirkung vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1 Rn. 21 ff.; zur Begründung eines Anfangsver- dachts durch einem Verwertungsverbot unterliegende Beweismittel vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NJW 2011, 2417 Rn. 42).
Schäfer Gericke Spaniol Berg Hoch

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat


(1) Wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 od

Strafprozeßordnung - StPO | § 102 Durchsuchung bei Beschuldigten


Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowo
Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2019 - 3 StR 280/18 zitiert 5 §§.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 498/16
vom
3. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2017:030517B3STR498.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Juni 2016 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte die Unverwertbarkeit nach dem G-10-Gesetz gewonnener Erkenntnisse geltend macht.
3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Das Bundesamt für Verfassungsschutz führte Beschränkungsmaßnahmen nach dem G-10-Gesetz in Form der Telekommunikationsüberwachung gegen den Angeklagten sowie die Mitangeklagten R. und A. durch; es stützte sie auf § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB. Die erhobenen Telekommunikationsüberwachungsdaten übermittelte es den Strafverfolgungsbehörden , worauf diese das gegenständliche Strafverfahren einleiteten.
5
In der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht hat die Verteidigerin des Angeklagten der Verwertung nach dem G-10-Gesetz gewonnener Erkenntnisse im Anschluss an einige (nicht alle) diesbezügliche Beweiserhebungen widersprochen. Sie hat dies damit begründet, dass die verschriftlichten Verfahrensvorgänge zu den G-10-Beschränkungsmaßnahmen (Antrag des Bundesamts für Verfassungsschutz, Anordnung des Bundesministeriums des Innern , Billigung der G-10-Kommission) nicht Akteninhalt geworden seien. Daraufhin hat die Senatsvorsitzende das Bundesamt für Verfassungsschutz zweimal um die Vorlage der entsprechenden Dokumente gebeten, was dieses jeweils abgelehnt hat. Hiergegen hat die Vorsitzende auf Antrag der Verteidigerin Gegenvorstellung bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben, die ebenso erfolglos geblieben ist.
6
2. Der Beschwerdeführer erachtet die Verwertung der nach dem G-10Gesetz gewonnenen Erkenntnisse deshalb für rechtsfehlerhaft, weil die Verfahrensbeteiligten ohne die beim Bundesamt für Verfassungsschutz angeforderten Dokumente nicht hätten überprüfen können, inwieweit die Anordnungen nach der damaligen Verdachtslage vertretbar gewesen seien. Soweit bei einzelnen Beweiserhebungen ein Widerspruch unterblieben sei, schade dies nicht; denn das Tatgericht habe die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären.
7
3. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.
8
a) Der Beschwerdeführer macht die Unverwertbarkeit der nach dem G-10-Gesetz gewonnenen Erkenntnisse ohne Erfolg geltend.
9
aa) Ein generelles Verbot der Verwertung dieser Erkenntnisse besteht nicht. Die Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe der erhobenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden regelt § 4 Abs. 4 Nr. 2 G 10. § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet ihre Verwendung zu Beweiszwecken im Strafverfahren. Die Verwertung setzt dabei im Grundsatz die Rechtmäßigkeit der vorausgegangenen Datenerhebung voraus (vgl. - zu präventiv-polizeilich gewonnenen Erkenntnissen - BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 83 Rn. 37 [bezüglich § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO]; Beschluss vom 26. Januar 2017 - StB 26 u. 28/14, juris, Rn. 52; KK-Griesbaum, StPO, 7. Aufl., § 161 Rn. 40). Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation durch das Bundesamt für Verfassungsschutz regeln § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 2 G 10.
10
bb) Nach diesem gesetzlichen Maßstab ist die Rechtswidrigkeit der G10 -Beschränkungsmaßnahmen nicht erwiesen.
11
Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Anordnungen nicht durch die vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeführten Vorschriften der § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB gedeckt waren, dass mithin zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden, der Angeklagte sowie die Mitangeklagten R. und A. unterstützten eine ausländische terroristische Vereinigung. Dies wird von der Revision schon nicht bestimmt behauptet. Zwar weist sie im Ansatz zutreffend darauf hin, dass dem Beschwerdeführer insoweit ein den An- forderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügender Tatsachenvortrag unmöglich sei, weil ihm die entsprechenden Verfahrensvorgänge nicht bekannt seien. Die Unvollständigkeit der Akten zieht jedoch grundsätzlich kein Verwertungsverbot nach sich; denn es fehlt eine tatsächliche Grundlage für eine revisionsrechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnungen im Freibeweis (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 367; ferner BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - 3 StR 337/10, NStZ 2011, 471, 472; zum Beweismaß s. auch KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 41 mwN).
12
b) Eine Rüge, das Oberlandesgericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen , die von den G-10-Beschränkungsmaßnahmen vorausgesetzte Verdachtslage zum Anordnungszeitpunkt zu rekonstruieren, ist hingegen nicht erhoben.
13
Das Tatgericht hat die Verfahrenstatsachen, die für die Beurteilung der Verwertbarkeit der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung maßgebend sind, aufzuklären und zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das gilt auch dann, wenn die Erkenntnisse in einem fremden Verfahren angefallen sind. In einem solchen Fall sind regelmäßig Akten oder Aktenbestandteile dieses anderen Verfahrens in dem für die Beurteilung der Verwertbarkeit erforderlichen Umfang auszuwerten. Unterlässt das Tatgericht eine mögliche und zur Aufklärung gebotene Maßnahme, begründet dies einen eigenständigen Rechtsfehler (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, aaO, S. 367 f.).
14
Freilich hat das Oberlandesgericht den aufgezeigten Prüfungsmaßstab nicht missachtet; es hat seine Pflicht, sich die Unterlagen zu den G-10-Beschränkungsmaßnahmen zu verschaffen, zutreffend erkannt. Um dies zu erreichen , hat es aber nicht alle ihm offen stehenden, nicht von vornherein aussichtslosen Möglichkeiten ausgeschöpft. Das Oberlandesgericht wäre - neben den oder anstelle der diversen an das Bundesamt für Verfassungsschutz gerichteten Ersuchen - zur Herbeiführung einer Entscheidung des Bundesministeriums des Innern verpflichtet gewesen. Dieses allein wäre nach § 96 StPO als oberste Dienstbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz zu einer strafprozessual beachtlichen Sperrerklärung befugt gewesen. Zugleich war das Bundesministerium des Innern auch die Stelle, welche die G-10-Beschränkungsmaßnahmen angeordnet hatte. Gegebenenfalls wäre dort eine Gegenvorstellung zu erheben gewesen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 448 Rn. 15; MüKoStPO/Hauschild, § 96 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 96 Rn. 9, jew. mwN).
15
Mit der Stoßrichtung, das Oberlandesgericht habe nicht die ihm möglichen , nicht von vorneherein aussichtslosen Schritte zur Aufklärung der G-10Verfahrensvorgänge unternommen, ist die Verfahrensrüge indes nichterhoben (zur Maßgeblichkeit der Angriffsrichtung s. BGH, Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94 mwN). Ein derartiges rechtsfehlerhaftes Unterlassen wird nicht geltend gemacht und ist daher nicht Gegenstand der Rüge. Schon gar nicht legt die Revision dar, zu welchen Schritten Anlass bestanden hätte. Soweit sie ausführt, dass das Tatgericht die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären habe, steht dies im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines - vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bezüglich einzelner Beweiserhebungen nicht erklärten - Verwertungswiderspruchs.
16
Ein entsprechendes Rügevorbringen war hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Mit dem dem Senatsbeschluss vom 1. August 2002 (3 StR 122/02, BGHSt 47, 362) zugrundeliegenden Sachverhalt ist der gegenständliche Fall schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier das Oberlandesgericht den Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Verwertbarkeit gerade nicht grundlegend verkannt hat (vgl. hingegen dort S. 368).
17
c) Inwieweit ein Beweisverwertungsverbot ausnahmsweise für den Fall in Betracht kommen könnte, dass sämtliche zur Rekonstruktion der Verdachtslage gebotenen tatrichterlichen Maßnahmen erfolglos geblieben sind, braucht der Senat nach alledem nicht zu entscheiden. Insbesondere kann dahinstehen, inwieweit ein Angeklagter gehalten ist, einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung zu stellen, um eine Sperrerklärung vor den Verwaltungsgerichten anzufechten; nur ihm, nicht dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft dürfte der Verwaltungsrechtsweg offen stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 - 5 StR 383/06, NJW 2007, 3010, 3012 Rn. 28; ferner Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 96 Rn. 14 mwN). Becker Spaniol Tiemann Berg RiBGH Hoch befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Eine schwere staatsgefährdende Gewalttat ist eine Straftat gegen das Leben in den Fällen des § 211 oder des § 212 oder gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b, die nach den Umständen bestimmt und geeignet ist, den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.

(2) Absatz 1 ist nur anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er

1.
eine andere Person unterweist oder sich unterweisen lässt in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn- oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer der in Absatz 1 genannten Straftaten dienen,
2.
Waffen, Stoffe oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art herstellt, sich oder einem anderen verschafft, verwahrt oder einem anderen überlässt oder
3.
Gegenstände oder Stoffe sich verschafft oder verwahrt, die für die Herstellung von Waffen, Stoffen oder Vorrichtungen der in Nummer 1 bezeichneten Art wesentlich sind.

(2a) Absatz 1 ist auch anzuwenden, wenn der Täter eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er es unternimmt, zum Zweck der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder der in Absatz 2 Nummer 1 genannten Handlungen aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen, um sich in einen Staat zu begeben, in dem Unterweisungen von Personen im Sinne des Absatzes 2 Nummer 1 erfolgen.

(3) Absatz 1 gilt auch, wenn die Vorbereitung im Ausland begangen wird. Wird die Vorbereitung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union begangen, gilt dies nur, wenn sie durch einen Deutschen oder einen Ausländer mit Lebensgrundlage im Inland begangen wird oder die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland oder durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.

(4) In den Fällen des Absatzes 3 Satz 2 bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. Wird die Vorbereitung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen, bedarf die Verfolgung der Ermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, wenn die Vorbereitung weder durch einen Deutschen erfolgt noch die vorbereitete schwere staatsgefährdende Gewalttat im Inland noch durch oder gegen einen Deutschen begangen werden soll.

(5) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Täter freiwillig die weitere Vorbereitung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat aufgibt und eine von ihm verursachte und erkannte Gefahr, dass andere diese Tat weiter vorbereiten oder sie ausführen, abwendet oder wesentlich mindert oder wenn er freiwillig die Vollendung dieser Tat verhindert. Wird ohne Zutun des Täters die bezeichnete Gefahr abgewendet oder wesentlich gemindert oder die Vollendung der schweren staatsgefährdenden Gewalttat verhindert, genügt sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, dieses Ziel zu erreichen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
S t B 8 / 1 5
vom
12. August 2015
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen des Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers am 12. August
2015 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. April 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.


1
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer und weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens "Oldschool Society". Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 30. April 2015 (3 BGs 59/15) die Durchsuchung der Person und Wohnung des Beschwerdeführers sowie des von ihm genutzten Kraftfahrzeugs nach näher umschriebenen Beweismitteln angeordnet. Die Durchsuchung ist am 6. Mai 2015 vollzogen worden; die Durchsicht aufgefundener Datenträger dauert noch an. Am 2. Juni 2015, eingegangen beim Bundesgerichtshof am 6. Juni 2015, hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung eingelegt. Er beanstandet im Wesentlichen, dass der an- gefochtene Beschluss ausschließlich auf "Angaben vom Hörensagen" beruhe, die aus unzulässiger Quelle von geringer Glaubwürdigkeit, nämlich dem Verfassungsschutz , stammten; Beweisergebnisse würden zudem nicht ausreichend konkret mitgeteilt. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2015 nicht abgeholfen und die Sache am selben Tag dem Senat zur Entscheidung übersandt.

II.


2
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
3
1. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) waren gegeben. Hierzu gilt:
4
a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, NStZ-RR 2009, 142, 143). Auch Behördenzeugnisse der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder können dazu beitragen, einen konkreten Verdacht in diesem Sinne zu begründen. Zwar handelt es sich hierbei regelmäßig nur um sekundäre Beweismittel, welche die unmittelbaren Quellen der dort wiedergegebenen Erkenntnisse nicht oder nur unvollständig offen legen und daher einer vorsichtigen Würdigung und der Her- anziehung weiterer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247 zu einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO). Dies nimmt Behördenzeugnissen jedoch nicht von vornherein jeglichen Beweiswert. Der Umfang ihrer Beweiskraft bedarf vielmehr einer Prüfung im Einzelfall. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob sie lediglich zum Beleg eines Anfangsverdachts (§ 160 Abs. 1 StPO) oder zur Begründung einer höheren Verdachtsstufe herangezogen werden. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen. Insoweit kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder Objektivierung anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel.
5
b) Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Hinsichtlich der nach § 129a StGB erforderlichen Organisationsstruktur des Personenzusammenschlusses ergibt sich der Anfangsverdacht daraus, dass die Gruppe unter dem Namen "Oldschool Society" ein Facebook-Profil unterhielt (etwa Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015, im Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2015 enthaltener Screenshot), auf dem Beiträge veröffentlicht wurden, die einen auf Dauer angelegten und organisierten Personenverbund beschreiben; so etwa der Beitrag vom 15. September 2014 (",Oldschool Society` erhebt sich… Nicht mit uns, wir stehen zusammen, aktiv für unser Vaterland, für die Ehre unserer Ahnen und die Zukunft unserer Kinder…") und der von der "Abteilung für Presse und Öffentlichkeit der OSS" veröffentlichte Beitrag vom 24. September 2014, in dem die "Ideen und Lösungen" der Gruppe vorgestellt wurden (beide Beiträge auszugsweise zitiert im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Dass ein höherer Organisationsgrad bestand und die Mitglieder bereit waren, sich dem Gruppenwillen unterzuordnen, legt die - auf dem FacebookPortal veröffentlichte (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015) - Satzung nahe, aus der sich unter anderem eine Führungsebene ("President", "Vice-president") und die Aufgabenverteilung auf verschiedene Funktionsträger ergibt, so etwa auf den "Press chief", den "chief of security" und den "Seargent at arms", der Strafen zur Wahrung der Gruppendisziplin umsetzt (hierzu Behördenzeugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz vom 20. März 2015 mit auszugsweise wörtlicher Wiedergabe der "OSS-Regeln": "…Den Anweisungen der Führungsebene ist Folge zu leisten…Zuwiderhandlung wird mit Ausschluss geahndet"). Gestützt werden diese Erkenntnisse durch den Facebook-Beitrag der Gruppe zum "1. Treffen in B. (L. )" nebst der namentlichen Benennung der Teilnehmer (Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2015 mit dort enthaltenen Screenshots des Facebook-Beitrags).
6
Konkrete Anhaltspunkte, dass die Ziele der Organisation darauf gerichtet waren, terroristische Taten im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB zu begehen, ergaben sich aus Folgendem:
7
Innerhalb der Gruppe wurde konkret über die Begehung entsprechender Straftaten, insbesondere von Brandanschlägen diskutiert; dies belegen Äußerungen der OSS-Mitglieder R. und O. vom 4. Februar 2015 (u.a.: "… man könnte ja in win paar Häuser wo Ausländer drin wohnen ne Brand oder Farbe Bombe rein werfen" [Fehler wie im Original], Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 8. April 2015). Auch aus dem im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015 aus- zugsweise wörtlich wiedergegebenen Telefonat zwischen den Mitbeschuldigten K. L. und D. G. vom 25. Dezember 2014 ergibt sich, dass entsprechende Taten Gesprächsthema innerhalb der Gruppe waren ("…Da werden Pläne geschmiedet, wir machen dies und machen das, wir zünden Asylantenheime an und am Ende verläuft das Gespräch wieder im Nichts und nichts ist passiert…", "…Zum Beispiel halt, dass man überall paar Dreiergrup- pen hat, muss ja nicht überall sein, nur da wo ein paar Leut´ wohnen und dann werden halt gezielt Objekte raus gepickt und heißt so jetzt, des und des Wochenende geht es los und dann wird es einfach gemacht. Und wer dann nichts macht fliegt gnadenlos raus, ganz einfach…"). Die Ernsthaftigkeit dieser Ideen wird gestützt durch die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 8. April 2015 mitgeteilten Äußerungen des Mitbeschuldigten O. vom 9. März 2015, wonach die Gruppe nicht legale Ziele verfolgte ("Wir wollen über Tehmen reden, die man nicht im Internet oder am Handy bespricht. Desweiteren haben wir vor ein bis zwei drei ... Aktionen zu starten" [Fehler wie im Original ]). Diesen Erklärungen entspricht, dass die Gruppenmitglieder H. und O. in einem Telefonat vom 8. Januar 2015 über die Beschaffung von Schusswaffen diskutierten (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Auch das aggressive Auftreten der Organisation , wie es etwa in der auf Facebook am 15. Oktober 2014 eingestellten und im Durchsuchungsbeschluss inhaltlich näher dargestellten Grafik ("Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut, auf dem Asphalt…") zum Ausdruck kommt, deutet auf eine Gewaltbereitschaft der Gruppe hin.
8
Soweit in den jeweiligen Behördenschreiben und -zeugnissen die oben aufgeführten Beweismittel, insbesondere Beiträge in Internetchats, auf Internetplattformen und Telefongespräche, nur - auszugsweise - wiedergegeben werden, bestehen keine Anhaltspunkte, dass die in den Schreiben enthaltene, überwiegend wörtliche Wiedergabe - die auch Fehler im Original übernommen hatte - unzutreffend sein könnte.
9
Vor diesem Hintergrund wird der konkrete Verdacht, dass die Beschuldigten Ziele im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB verfolgt haben , ergänzend dadurch gestützt, dass bei dem Gruppentreffen vom 15. November 2014 über den "bewaffneten Kampf gegen Salafisten" gesprochen worden sein soll (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilten Erkenntnisse sind insoweit zwar oberflächlich gehalten, insbesondere bleibt unklar, aus welcher Quelle - ebenso wie auch die Erkenntnisse zu den im Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz wörtlich wiedergegebenen Äußerungen vom 4. Februar und vom 9. März 2015 - sie stammen. Angesichts der vorstehend dargestellten weiteren objektivierten Verdachtsmomente sind sie aber gleichwohl geeignet, den Anfangsverdacht weiter zu verstärken.
10
Der Beschwerdeführer ist auch verdächtig, Mitglied der "Oldschool Society" gewesen zu sein. Hinsichtlich der Verdachtsmomente wird auf die im angefochtenen Beschluss enthaltenen Ausführungen verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Facebook-Beitrag der Vereinigung ein "M. " als anwesende Person genannt wird und auf dem dort eingestellten Gruppenfoto eine Person zu sehen ist, die starke Ähnlichkeit mit dem Beschuldigten aufweist (vgl. Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2014, dort enthaltener Screenshot des Facebook-Beitrags, sowie Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 17. März 2015, dort abgebildetes Lichtbild des Beschwerdeführers).
11
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand auch kein gleich wirksames milderes Mittel zur Verfügung. Schließlich stand die Anordnung der Durchsuchung in einem angemessenen Verhältnis zur Stärke des bestehenden Tatverdachts.
12
3. Ob eine erhebliche Überschreitung der Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO im Einzelfall einer Beschwerde (mit) zum Erfolg verhelfen kann (vgl. KG, Beschluss vom 27. Oktober 2014 - 2 Ws 360/14, NStZ-RR 2015, 18 mwN), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Zwar wurde die Beschwerde nicht gemäß § 306 Abs. 2 StPO innerhalb von drei Tagen nach deren Eingang am 6. Juni 2015, sondern erst mit der Abhilfeentscheidung vom 23. Juni 2015 dem Senat vorgelegt. Indes war diese Verzögerung schon nicht erheblich im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung.
13
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Becker Schäfer Spaniol

Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 61 u. 62/17
vom
30. November 2017
in dem Strafverfahren
gegen
1.
2.
wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen
Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2017:301117BAK61.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie der Angeschuldigten und ihrer Verteidiger am 30. November 2017 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Kammergericht übertragen.

Gründe:

I.

1
Die Angeschuldigten wurden am 9. Mai 2017 festgenommen und befinden sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft, der Angeschuldigte A. auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 2017 (2 BGs 586/17), abgeändert und neugefasst durch dessen Haftbefehl vom 25. Oktober 2017 (2 BGs 941/17), der Angeschuldigte S. auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 2017 (2 BGs 611/17).
2
Gegenstand des gegen den Angeschuldigten A. vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe – von Anfang 2012 bis Mitte 2013 in Deir Ezzor, Tabka, Tuinan und ande- ren Gebieten im Osten Syriens sich an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("Jabhat al-Nusra") als Mitglied beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen, und – durch eine weitere rechtlich selbständige Handlung seit Mitte 2013 bis zu seiner Festnahme am 9. Mai 2017 in Al Tayyana, Tabka und anderen Regionen im Osten Syriens sowie in Deutschland sich an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("Islamischer Staat") als Mitglied beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB zu begehen,
3
4
Gegenstand des gegen den Angeschuldigten S. vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe sich "im September 2012" in Tabka an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ("Jabhat al-Nusra") als Mitglied beteiligt , deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) sowie gemeingefährliche Straftaten in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 4 StGB und Straftaten nach § 22a Abs. 1 bis 3 KWKG zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, 4, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2 StGB.
5
Mit Anklageschrift vom 21. November 2017 hat der Generalbundesanwalt die öffentliche Klage gegen die Angeschuldigten zum Kammergericht erhoben.

II.

6
Die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft und ihre Fortdauer über sechs Monate hinaus liegen für beide Angeschuldigte vor.
7
1. Die Angeschuldigten sind der ihnen in den Haftbefehlen vom 25. Oktober 2017 (A. ) bzw. vom 5. Mai 2017 ( S. ) zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.
8
a) Nach dem bisherigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
9
aa) Die außereuropäischen terroristischen Vereinigungen
10
(1) Die "Jabhat al-Nusra" ("Jabhat al-nusra li-ahli ash-sham" [Hilfsfront für das Volk Großsyriens]) wurde Ende 2011 von Abu Muhammad al-Jawlani und anderen syrischen Mitgliedern der seinerzeitigen Organisation "Islamischer Staat im Irak" (ISI) im Auftrag deren Anführers Abu Bakr al-Baghdadi in Syrien gegründet und sollte als Ableger der irakischen Organisation im Nachbarland operieren. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im Internet veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den zwei Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als al-Baghdadi die Vereinigung der Teilorganisationen ISI und Jabhat al-Nusra im neu ausgerufenen "Islamischen Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) verkündete. Al-Jawlani wies dies als Anführer der Jabhat alNusra zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf den Emir der Kern-al-Qaida, Ayman al-Zawahiri, ab; sie fungierte danach als Regionalorganisation von al-Qaida in Syrien. In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Jabhat al-Nusra und dem ISIG.
11
Gemäß einer Videoverlautbarung von al-Jawlani vom 28. Juli 2016 benannte sich die Jabhat al-Nusra um in "Jabhat Fath al-Sham" (Front zur Eroberung Großsyriens) und löste sich einvernehmlich von der Kern-al-Qaida. Im Januar 2017 schloss sich die Jabhat Fath al-Sham wiederum mit anderen jihadistischen Gruppierungen zu dem Bündnis "Hai'a Tahrir al-Sham" (Vereinigung zur Befreiung Großsyriens) zusammen. Sie soll in diesem al-Qaida-nahen Bündnis, dessen militärische Führung al-Jawlani übernahm, vollständig aufgegangen sein.
12
Ziel der Jabhat al-Nusra war der Sturz des Assad-Regimes in Syrien, das sie durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Sharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Befreiung" des historischen Großsyrien, das heißt Syriens einschließlich von Teilen der südlichen Türkei, des Libanon, Jordaniens, Israels und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Operationen, aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen, gezielte Tötungen von Angehörigen des syrischen Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.
13
Die Jabhat al-Nusra war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer al-Jawlani war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter Shura-Rat zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Kommandeure der insge- samt aus mehreren Tausend Personen bestehenden kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hinweise auf sogenannte "Sharia-Komitees" in den von der Organisation kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle , über die sie im Internet Verlautbarungen, Operationsberichte und Anschlagsvideos verbreitete. Darüber hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in Syrien, die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichten.
14
(2) Der "Islamische Staat" (IS) ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region "ashSham" - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden "Gottesstaat" unter Geltung der Sharia zu errichten und dazu die schiitisch dominierte Regierung im Irak und das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden , der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als "Feind des Islam" begreift; die Tötung solcher "Feinde" oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht die Vereinigung als legitimes Mittel des Kampfes an.
15
Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des "Kalifats" im Juni 2014 aus "Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien" (ISIG) in "Islamischer Staat" (IS) umbenannte - wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm -, hat seit 2010 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Hinweise , dass er zwischenzeitlich getötet wurde, konnten bisher nicht verifiziert wer- den. Bei der Ausrufung des Kalifats war al-Baghdadi von seinem Sprecher zum "Kalifen" erklärt worden, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Dem "Kalifen" unterstehen ein Stellvertreter sowie "Minister" als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein "Kriegsminister" und ein "Propagandaminister". Zur Führungsebene gehören außerdem beratende "Shura-Räte". Veröffentlichungen werden in der Medienabteilung "Al-Furqan" produziert und über die Medienstelle "al-I'tisam" verbreitet, die dazu einen eigenen Twitter-Kanal und ein Internetforum nutzt. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem "Prophetensiegel", einem weißen Oval mit der Inschrift "Allah - Rasul - Muhammad", auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die mehreren Tausend Kämpfer sind dem "Kriegsminister" unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.
16
Die von ihr besetzten Gebiete hat die Vereinigung in Gouvernements eingeteilt und einen Geheimdienstapparat eingerichtet; diese Maßnahmen zielen auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen , ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsanspruch des IS in Frage stellen, sehen sich Verhaftung, Folter und Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen wurden mehrfach vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht der IS immer wieder Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung und außerhalb seines Machtbereichs Terroranschläge. So hat er auch für Anschläge in Europa, etwa in Frankreich und Belgien, die Verantwortung übernommen.
17
bb) Die Tathandlungen des Angeschuldigten A.
18
(1) Der Angeschuldigte A. schloss sich in der ersten Jahreshälfte 2012 in Deir Ezzor der Jabhat al-Nusra an. Er stieg dort in kurzer Zeit zu einem ranghohen Befehlshaber der Organisation im östlichen Syrien auf. In dieser Funktion war er insbesondere im Frühjahr 2013 an der Eroberung des Gasfelds bei Tuinan in der Nähe von Palmyra beteiligt, das er im weiteren Verlauf des Jahres 2013 für die Jabhat al-Nusra verwaltete. Des Weiteren nahm er als ein militärischer Anführer der zu dieser Vereinigung gehörenden Kampfeinheit "Liwa Owais Al Qorani" im Februar 2013 an der Eroberung der Stadt Tabka sowie den Kämpfen um den dortigen Flughafen teil.
19
(2) Nachdem der IS die Kontrolle über seine Heimatstadt, Deir Ezzor, übernommen hatte, schloss sich der Angeschuldigte A. Mitte 2014 dieser Vereinigung an. Zunächst war er für sie an kleineren Kampfhandlungen, wie insbesondere der Einnahme des Ortes Al Tayyana in der Nähe von Deir Ezzor im Juli 2014, beteiligt. Alsbald wies der IS ihm zwischen Mitte 2014 und Mitte 2015 die Aufgabe zu, den 2013 eroberten - strategisch wichtigen - EuphratStaudamm nahe Tabka für die Organisation zu verwalten.
20
(3) Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Anklagesatz der Anklageschrift vom 21. November 2017 Bezug genommen.
21
cc) Die Tathandlungen des Angeschuldigten S.
22
Der Angeschuldigte S. schloss sich zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor dem 17. September 2012 der Jabhat al-Nusra an. In der Folge nahm er bis November 2013 für die zu dieser Vereinigung gehörende Kampfeinheit "Liwa Owais Al Qorani" an bewaffneten Kampfhandlungen gegen die Truppen des syrischen Regimes des Präsidenten Bashar al-Assad im Raum Tabka teil. So wirkte er unter anderem am 17. September 2012 an einem Angriff auf eine Kolonne des syrischen Militärs mit, in dessen Verlauf mindestens sieben Soldaten getötet wurden; im November 2013 beteiligte er sich an der Eroberung eines großen Waffenlagers der syrischen Armee nahe der Stadt Mahin.
23
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus Folgendem:
24
aa) Bezüglich der außereuropäischen terroristischen Vereinigungen Jabhat al-Nusra und IS gründet er sich auf die islamwissenschaftlichen Gutachten und sonstigen Dokumente, die der Generalbundesanwalt zu diesen Organisationen in den sieben Stehordnern "Strukturerkenntnisse" zusammengetragen hat. Erkenntnisse zu den die Jabhat al-Nusra betreffenden jüngeren Entwicklungen sind namentlich in dem Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 13. Oktober 2016, der Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 6. Februar 2017 sowie dem Auswertebericht "Zwischenstand März 2017" des Bundeskriminalamts und dessen Vermerk vom 27. Juni 2017 enthalten (s. Band 3.1 Bl. 144 ff., 155 ff., 172 ff., 199 ff.). Dass es sich bei der Gruppe "Liwa Owais Al Qorani" mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine unselbständige Kampfeinheit der Jabhat al-Nusra handelte, beruht vor allem auf den Angaben der anderweitig verfolgten Alg. und Al. sowie Zeugenaussagen , insbesondere derjenigen einer vom Generalbundesanwalt vernommenen (gesperrten) Person, der gemäß § 68 Abs. 2, 3 StPO gestattet wurde, Personalien und Anschrift nicht zu benennen. Die Angaben werden gestützt durch mehrere auf der Internetplattform "YouTube" gesicherte Videoaufnahmen (s. auch Senatsbeschlüsse vom 13. Juli 2017 - AK 31/17, juris Rn. 11, 17; vom 13. September 2017 - AK 38-40/17, juris Rn. 17, 22).
25
bb) Die Angeschuldigten haben die ihnen vorgeworfenen Beteiligungshandlungen bislang im Wesentlichen bestritten. Nach Aktenlage kann der jeweilige Nachweis voraussichtlich wie folgt geführt werden:
26
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeschuldigten A. angelasteten Handlungen beruht auf den Angaben des anderweitig verfolgten Alg. . Diese werden bestätigt durch die Ergebnisse der Internetauswertung (drei den Angeschuldigten betreffende Videoaufnahmen mit Bezug zur Jabhat al-Nusra und eine mit Bezug zum IS; relevante Facebook-Veröffentlichungen ), das Gutachten des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt zur visuellen Personenidentifizierung vom 23. Januar 2017, das Behördenzeugnis des sachsen-anhaltinischen Verfassungsschutzes zu Angaben eines namentlich nicht bekannten Hinweisgebers vom 20. Dezember 2016 sowie die Aussagen der Zeugen K. , H. und Alt. .
27
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeschuldigten S. zur Last gelegten Tathandlungen folgt aus den Angaben des anderweitig verfolgten Al. , die ebenfalls in diversen weiteren Ergebnissen der Ermittlungen ihre Bestätigung finden, namentlich denjenigen zu einem dem Angeschuldigten zuordenbaren Facebook-Account (Lichtbilder), der Internetplattform "YouTube" sowie seinem Mobiltelefon.
28
Im Hinblick auf beide Angeschuldigte wird der dringende Tatverdacht jeweils nicht zuletzt durch die Facebook-Kommunikation verfestigt, die sie am 23. September 2015 miteinander führten.
29
cc) Wegen der Einzelheiten der Beweisführung und (vorläufigen) -würdigung wird auf das in der Anklageschrift vom 21. November 2017 dargelegte wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verwiesen. In Bezug auf den Ange- schuldigten A. hat sich die Beweislage gegenüber den Angaben in dem Haftbefehl vom 25. Oktober 2017 lediglich insoweit wesentlich verändert, als nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen davon auszugehen ist, dass er erst Mitte des Jahres 2014 zum IS wechselte.
30
c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus:
31
aa) Der Angeschuldigte A. ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, § 53 StGB dringend verdächtig, indem er sich zunächst der Jabhat al-Nusra und sodann dem IS anschloss und sich für beide Organisationen betätigte. Der Angeschuldigte S. ist der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB dringend verdächtig, indem er der Jabhat al-Nusra beitrat und Betätigungsakte für diese ausführte. Darauf, inwieweit neben § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB auf weitere Zielsetzungen des § 129a Abs. 2 Nr. 1 bis 5 StGB zurückzugreifen ist, kommt es vorliegend nicht an.
32
bb) Für die Angeschuldigten gilt nach § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 4 StGB deutsches Strafrecht (zum Strafanwendungsrecht im Einzelnen s. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).
33
cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderlichen Ermächtigungen zur strafrechtlichen Verfolgung liegen hinsichtlich der Jabhat al-Nusra und des IS vor.
34
2. Bei den Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO.
35
Die Angeschuldigten haben im Fall ihrer Verurteilung jeweils empfindliche , einen hohen Fluchtanreiz begründende Strafen zu erwarten. Beide terroristischen Vereinigungen sind als außerordentlich gefährlich einzustufen; in besonderer Weise gilt dies, den Angeschuldigten A. betreffend, für den IS, der sich durch ein ausnehmend grausames Vorgehen gegen seine Gegner auszeichnet. Darüber hinaus haben die den Angeschuldigten zur Last gelegten mitgliedschaftlichen Betätigungshandlungen, namentlich die Kampfeinsätze in Syrien, ganz erhebliches Gewicht. Der Angeschuldigte A. hatte noch dazu mutmaßlich eine herausgehobene Stellung als militärischer Anführer und bedeutender Verwalter inne.
36
Dem von der Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine fluchthindernden Umstände gegenüber. Insbesondere verfügen die Angeschuldigten im Inland nicht über familiäre oder soziale Bindungen; beide reisten erst 2015 nach Deutschland ein.
37
Überdies ist der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO, auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN), gegeben.
38
3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist unter den gegebenen Umständen nicht erfolgversprechend.
39
4. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben; der außergewöhnliche Umfang der Ermittlungen und deren besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft :
40
Die Sachakten umfassen mittlerweile 41 Stehordner. Die Ermittlungen gestalteten sich zeitaufwändig. Insbesondere waren in erheblichem Umfang sichergestellte fremdsprachige Textdateien auszuwerten. So fielen allein in Bezug auf die Auswertung des Mobiltelefons des Angeschuldigten A. 13 Stehordner Chat-Verkehr an, der zu übersetzen und auszuwerten war. Darüber hinaus wurden zahlreiche Zeugen vernommen und vom Angeschuldigten A. zu seiner Entlastung vorgebrachte Beweise erhoben. Die vollständigen Übersetzungen der zu sichtenden Chat-Nachrichten wurden dem Generalbundesanwalt am 18. Oktober 2017 vorgelegt; erst danach konnte er die Auswertung in dem für die Anklageerhebung gebotenen Umfang beenden.
41
Wenngleich die kriminalpolizeilichen Ermittlungen hinsichtlich des Angeschuldigten S. bereits Anfang September 2017 abgeschlossen waren, war der Generalbundesanwalt durch das Beschleunigungsgebot nicht gehalten, vorab Anklage nur gegen diesen Angeschuldigten zu erheben. Denn beide Angeschuldigte waren nach den bisherigen Ergebnissen der Ermittlungen Angehörige der Kampfeinheit "Liwa Owais Al Qorani" und nahmen als solche an den Kampfhandlungen im Raum Tabka teil. Der Generalbundesanwalt war daher nicht gehindert, mit der Anklageerhebung bis zum damals bereits absehbaren Abschluss der Ermittlungen bezüglich des Angeschuldigten A. abzuwarten, um etwaige noch zu gewinnende Erkenntnisse auch für denAngeschuldigten S. verwerten zu können und eine einheitliche Aufklärung der die Angeschuldigten gemeinsam betreffenden Geschehnisse in der Hauptverhandlung zu gewährleisten.
42
In Anbetracht dessen und der unter dem 21. November 2017 erhobenen Anklage ist das Ermittlungsverfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
43
5. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nach alledem nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Spaniol Berg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 54/17
vom
8. November 2017
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:081117BAK54.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft München sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 8. November 2017 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.

1
Der Beschuldigte wurde am 8. April 2017 festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst auf Grund Haftbefehls der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Nürnberg vom 9. Januar 2017 und sodann auf Grund Haftbefehls der Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts München vom 12. Mai 2017.
2
Gegenstand des aktuell vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe als Heranwachsender – sichan einer Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Völkermord (§ 6 VStGB) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11, 12 VStGB) zu begehen, als Mitglied beteiligt und – durch dieselbe Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er eine andere Person unterwiesen habe oder sich habe unterweisen lassen in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn - oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dienen,
3
4
Der Beschuldigte sei am 4./5. September 2016 von Deutschland aus in das syrische Bürgerkriegsgebiet gereist und habe sich dort der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabhat Fath al-Sham" angeschlossen. Er habe sich einer mehrwöchigen Kampfausbildung unterzogen sowie anschließend von Ende Oktober bis Anfang November 2016 für die Vereinigung Wachdienste ausgeübt und sich an Kampfhandlungen in Aleppo beteiligt. Außerdem habe er sich Anfang Oktober 2016 erfolglos darum bemüht, von seiner Familie Geldmittel für den Kauf einer Kriegswaffe und sonstiger militärischer Ausrüstung zu erlangen.
5
Gegen diesen Haftbefehl legte der Beschuldigte Beschwerde ein, die der 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München mit Beschluss vom 27. Juni 2017 verwarf.

II.

6
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
7
1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 12. Mai 2017 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
8
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Geschehen auszugehen:
9
aa) Die "Jabhat Fath al-Sham"
10
Die "Jabhat Fath al-Sham" ("Front zur Eroberung Großsyriens") ist identisch mit der Vereinigung "Jabhat al-Nusra", die Ende 2011 von Abu Muhammad al-Jawlani und anderen syrischen Mitgliedern der seinerzeitigen Organisation "Islamischer Staat im Irak" (ISI) im Auftrag deren Anführers Abu Bakr alBaghdadi in Syrien gegründet wurde und als Ableger der irakischen Organisation im Nachbarland operieren sollte. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im Internet veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den beiden Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als al-Baghdadi die Vereinigung der Teilorganisationen ISI und Jabhat al-Nusra im neu ausgerufenen "Islamischen Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) verkündete. Muhammad alJawlani wies dies als Anführer der Jabhat al-Nusra zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf den Emir der Kernal -Qaida, Ayman al-Zawahiri, ab; sie fungierte danach als Regionalorganisation von al-Qaida in Syrien. In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Jabhat al-Nusra und dem ISIG.
11
Gemäß einer Videoverlautbarung von Muhammad al-Jawlani vom 28. Juli 2016 benannte sich die Jabhat al-Nusra um in Jabhat Fath al-Sham und löste sich einvernehmlich von der Kern-al-Qaida. Im Januar 2017 ging die Jabhat Fath al-Sham wiederum in dem al-Quaida-nahen Bündnis "Hai'a Tahrir al-Sham" (Vereinigung zur Befreiung Großsyriens) auf, dessen militärische Führung Muhammad al-Jawlani übernahm.
12
Ziel der Jabhat Fath al-Sham war der Sturz des Assad-Regimes in Syrien , das sie durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Sharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Befreiung" des historischen Großsyrien, das heißt Syriens einschließlich von Teilen der südlichen Türkei, des Libanon, Jordaniens, Israels und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Operationen , aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen , gezielte Tötungen von Angehörigen des syrischen Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.
13
Die Jabhat Fath al-Sham war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer Muhammad al-Jawlani war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter Shura-Rat zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Kommandeure der kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hinweise auf sogenannte "Sharia-Komitees" in den von der Organisation kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im Internet Verlautbarungen, Operationsberichte und Anschlagsvideos verbreitete. Darüber hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in Syrien, die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichten.
14
bb) Die Tathandlungen des Beschuldigten
15
Der Beschuldigte reiste am 4. September 2016 aus Deutschland aus und gelangte am 5. September 2016 über die Türkei unter Inanspruchnahme von Schleuserdiensten in das syrische Bürgerkriegsgebiet, wo er sich der Jabhat Fath al-Sham anschloss. Er gliederte sich in die Organisation ein und identifizierte sich mit der Ideologie, den Zielen und der Tätigkeit der Vereinigung.
16
In der Folge durchlief der Beschuldigte ein mehrwöchiges zweistufiges paramilitärisches Training, während dessen er unter anderem an Schusswaffen ausgebildet wurde, um sich an bewaffneten Kämpfen gegen das Assad-Regime in Aleppo zu beteiligen. Im Anschluss daran nahm er für die Jabhat Fath al-Sham von Ende Oktober bis Anfang November 2016 Wachdienste wahr und - wie beabsichtigt - an bewaffneten Kampfeinsätzen in Aleppo teil.
17
Darüber hinaus bemühte sich der Beschuldigte am 9./10. Oktober 2016 mehrfach über den Messengerdienst "WhatsApp" erfolglos darum, von seiner Mutter Geldmittel zu erlangen, um sich davon militärische Ausrüstungsgegenstände einschließlich einer Kriegswaffe zu kaufen. Weiterhin rief er jedenfalls am 7. Oktober 2016 auf seinem Instagram-Account andere ausreisewillige Kämpfer zur "Hijra" in das syrische Bürgerkriegsgebiet auf; in einer TelegramChatnachricht vom 29. Oktober 2016 gab er seinem Kommunikationspartner Rat zu im Rahmen der Ausreise benötigten Geldmitteln und kündigte an, ihn zu diesem Zweck an eine andere Person zu vermitteln.
18
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 12. Mai 2017 und den auf die Haftbeschwerde ergangenen Beschluss vom 27. Juni 2017 verwiesen.
19
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabhat Fath al-Sham" aus den "Strukturerkenntnissen" , die der Generalbundesanwalt zu dieser Organisation für das vorliegende Verfahren in der gleichnamigen Sachakte zusammengetragen hat, insbesondere dem Gutachten des islamwissenschaftlichen Sachverständigen Dr. S. vom 11. Dezember 2014 sowie - vor allem die jüngeren Entwicklungen betreffend - dem Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 13. Oktober 2016, der Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 6. Februar 2017 und dem Auswertebericht des Bundeskriminalamts ("Zwischenstand März 2017").
20
Hinsichtlich der Beweislage zu den Tathandlungen des - bislang zur Sache schweigenden - Beschuldigten nimmt der Senat zunächst Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 27. Juni 2017 (S. 6 ff.).
21
Die weiteren kriminalpolizeilichen Ermittlungen haben den dringenden Tatverdacht noch verfestigt. So hat der Zeuge Ö. ausgesagt, der Beschuldigte habe ihm nach seiner Ausreise über den Messengerdienst "WhatsApp" mitgeteilt, dass er für die Terrorvereinigung "al-Nusra" kämpfe. Der Zeuge K. hat bekundet, der Beschuldigte habe ihm vor der Abreise offenbart gehabt, dass er beabsichtige, sich an den bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien zu beteiligen; auf Grund vom Beschuldigten zuvor für die "Jabhat al-Nusra" geäußerter Sympathien sei ihm - dem Zeugen - klar gewesen , dass jener einen Anschluss an diese terroristische Vereinigung anstre- be. Ebenfalls erhärtet wird der dringende Tatverdacht durch die Auswertung der vom Beschuldigten über den Messengerdienst "Telegram" geführten Kommunikation. So bestätigte er etwa einem unbekannten Kommunikationspartner am 9. November 2016, drei Tage in Aleppo gewesen zu sein. Auf Telegram-Profilbildern ist der Beschuldigte in Militärkleidung mit einer Kalaschnikow zu erkennen. Auch die Ermittlungsergebnisse zum Onlinedienst "Instagram" belegen den dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalt. Sein ehemaliges dortiges Profil weist darauf hin, dass er Angehöriger der "Jabhat Fath al-Sham" war; zudem ergibt sich aus den Ermittlungen, dass er über "Instagram" andere zur Ausreise in das syrische Bürgerkriegsgebiet aufforderte. Bezüglich der weiteren Ermittlungen nach der Entscheidung über die Haftbeschwerde verweist der Senat ergänzend auf den "2. Sachstandsbericht" der Kriminalpolizei Nürnberg vom 8. September 2017.
22
Soweit die Verteidigung im Haftbeschwerdeverfahren geltend gemacht hat, die im Haftbefehl verwerteten WhatsApp-Chatnachrichten an die Familie des Beschuldigten stammten nicht von ihm, sondern seien durch Dritte gefertigt und versandt worden, vermag dies unter den gegebenen Umständen den dringenden Tatverdacht nicht zu entkräften. Ungeachtet dessen, dass kein Anhalt dafür besteht, dass der Account des Beschuldigten ohne sein Wissen zu Falschmeldungen missbraucht worden wäre, wird - in Anbetracht der Beweislage im Übrigen - nach derzeitigem Sachstand in der Hauptverhandlung zu klären sein, inwieweit sich der zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichts München von der Authentizität der Chatnachrichten zu überzeugen vermag.
23
Entgegen der im Haftprüfungsverfahren geäußerten Auffassung der Verteidigung entkräftet auch die - nach Aktenlage dem Beschuldigten zuzurechnende - Telegram-Chatnachricht vom 5. Oktober 2016, er sei "in der nähe von jizr (Stadt Jisr al-Shughur) bei junud al sham", nicht den dringenden Tatver- dacht hinsichtlich einer Mitgliedschaft in der Jabhat Fath al-Sham. Denn zum einen ist eine solche Bekundung, soweit ersichtlich, vereinzelt geblieben. Zum anderen könnte der Inhalt der Nachricht im Sinne einer Ortsangabe zu verstehen sein. Schließlich deutet eine WhatsApp-Chatnachricht des Beschuldigten vom 29. Oktober 2016 darauf hin, dass jihadistische Gruppierungen, so auch die Junud al-Sham, vereint unter dem Dach bzw. dem Kommando der Jabhat Fath al-Sham an bewaffneten Konflikten teilnahmen.
24
c) In rechtlicher Hinsicht folgt aus alledem, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1, 2 Nr. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, §§ 52, 53 StGB) strafbar gemacht hat.
25
aa) Indem sich der Beschuldigte der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabath Fath al-Sham" anschloss und sich auf verschiedene Weise , unter anderem als Kämpfer, für diese betätigte, beteiligte er sich an ihr als Mitglied.
26
(1) Soweit er sich dabei im Umgang mit Schusswaffen sowie in sonstigen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dienlichen Fertigkeiten unterweisen ließ, verwirklichte er - idealkonkurrierend mit dieser mitgliedschaftlichen Beteiligung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) - den Straftatbestand des § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB. Da nach den Ermittlungsergebnissen alles darauf hindeutet, dass sich die Kampfhandlungen, zu denen der Beschuldigte schon während seines paramilitärischen Trainings fest entschlossen war, (auch) gegen das Assad-Regime richten sollten, besteht kein Zweifel an der hinreichenden Konkretisierung der schweren staatsgefährden- den Gewalttat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, NJW 2017, 2928, 2929 f.).
27
Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, wie es konkurrenzrechtlich zu bewerten ist, wenn der die schwere staatsgefährdende Gewalttat Vorbereitende diese später tatsächlich begeht und sich dadurch nach anderen Strafvorschriften , beispielsweise wegen Tötungsdelikten, strafbar macht. Einerseits könnte auf allgemeine Grundsätze zum Verhältnis von Beteiligungsversuch im Vorfeld der Tat (§ 30 StGB), Versuch (§§ 22 ff. StGB) und Vollendung zurückgegriffen werden, so dass die Vorbereitungstat nach § 89a StGB als weniger intensive Deliktsverwirklichung gegenüber der - zunächst nur geplanten, dann aber - ausgeführten Gewalttat wegen Subsidiarität zurückträte (so MüKoStGB /Schäfer, 3. Aufl., § 89a Rn. 76 mwN; zu den für § 30 StGB geltenden rechtlichen Maßstäben s. BGH, Urteil vom 15. Mai 1992 - 3 StR 419/91, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Konkurrenzen 3; Beschluss vom 14. April 2010 - 2 StR 87/10, StraFo 2010, 296; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 30 Rn. 73); andererseits könnte gegen die Annahme von Gesetzeseinheit eingewandt werden, dass die auf die Gewalttat selbst anzuwendenden Strafvorschriften regelmäßig andere Rechtsgüter schützen (so S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 89a Rn. 24). Eine derartige Fallkonstellation ist hier allerdings nicht zu beurteilen; die Teilnahme des Beschuldigten an den Kampfhandlungen in Syrien lässt sich anhand der Ermittlungsergebnisse bislang nicht in dem Sinne näher bestimmen , dass sie sich unter eine andere Strafnorm subsumieren ließe.
28
(2) Soweit sich der Beschuldigte nach Aktenlage über das Sichunterweisenlassen im Sinne von § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB hinaus als Mitglied für die Jabhat Fath al-Sham betätigte, etwa indem er sich um Geldmittel für den Kauf von militärischer Ausrüstung bemühte oder zugunsten der Vereinigung zur Ausreise in das syrische Bürgerkriegsgebiet aufrief, erfüllt dieses Verhalten ne- ben § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB keinen weiteren Straftatbestand. Diese Betätigungsakte werden durch das Organisationsdelikt verklammert und treten in ihrer Gesamtheit als materiellrechtlich eigenständige Tat (§ 53 StGB) zu den auch gegen ein anderes Strafgesetz verstoßenden Beteiligungshandlungen hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 f., 319 f.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6).
29
Die verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit, in welche die ansonsten straflosen Betätigungsakte fallen, ist ebenfalls Gegenstand der Haftprüfung , weil sich der vollzogene und vorgelegte Haftbefehl vom 12. Mai 2017 in tatsächlicher Hinsicht auf einzelne dieser Handlungen bezieht (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 8 f.; vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22). So sind darin insbesondere auch die Bemühungen um Geldmittel angeführt.
30
bb) Deutsches Strafrecht ist gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2, 4 StGB und § 89a Abs. 3 Satz 2 Variante 1 StGB anwendbar (zum Strafanwendungsrecht in den Fällen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung s. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).
31
cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern der Jabhat Fath al-Sham - als Nachfolgerin der Jabhat al-Nusra - liegt in der Fassung vom 26. November 2015 vor. Die gemäß § 89a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB notwendige Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung des Beschuldigten wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wurde am 13. Oktober 2016 erteilt.
32
2. Beim Beschuldigten ist der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO, auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN), gegeben.
33
Das Oberlandesgericht München hat sich in dem auf die Haftbeschwerde des Beschuldigten ergangenen Beschluss vom 27. Juni 2017 eingehend mit dem Haftgrund der Schwerkriminalität befasst, dabei die hierfür geltenden rechtlichen Maßstäbe zutreffend wiedergegeben und die tatsächlichen Umstände überzeugend dargelegt, auf Grund derer eine Flucht des Beschuldigten - wenn er auf freien Fuß entlassen würde - nicht auszuschließen wäre. Der Senat schließt sich der Bewertung des Beschwerdegerichts an. Von besonderer Bedeutung ist dabei Folgendes:
34
Zwar kehrte der Beschuldigte am 8. April 2017 freiwillig mit dem Flugzeug nach Deutschland zurück und ließ hierüber durch einen seiner Verteidiger den kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter informieren, was die Festnahme des Beschuldigten bei seiner Ankunft am Düsseldorfer Flughafen zur Folge hatte. Dies bietet jedoch keine hinreichende Gewähr dafür, dass er sich künftig dem Strafverfahren zuverlässig zur Verfügung stellt. Der Beschuldigte erwies sich in der Vergangenheit als charakterlich labil und einfach zu verleiten, was nicht zuletzt in den Tathandlungen aufscheint. Auch die Verteidigung charakterisiert ihn als "unselbständig, beinflussbar und leichtgläubig". Trotz einer intakten, ihm vertrauensvoll zugewandten familiären Umgebung und offenbar stabiler sozialer Verhältnisse verschwand der Beschuldigte mit nur drei bis vier Tagen Vorlauf , um sich - mit hoher Wahrscheinlichkeit - von Unbekannten nach Syrien schleusen zu lassen und dort auf der Seite einer islamistischen Terrororganisation an bewaffneten Kampfhandlungen teilzunehmen. Es spricht nichts dafür, dass er sich zwischenzeitlich von seiner extremistisch-islamischen Einstellung gelöst hätte.
35
Auch im Zusammenhang mit seiner Rückkehr nach Deutschland verhielt sich der Beschuldigte nach Aktenlage wankelmütig: Zwischen dem Beschuldigten und seiner Mutter bestand wieder seit dem 18. Februar 2017 Kontakt mittels ihrer - später sichergestellten - Mobiltelefone. Zunächst zeigte er sich unbeeindruckt von deren Ansinnen, ihn zu einer Rückreise zu bewegen. Am 10. März 2017 war es der Mutter dann gelungen, ihn zu überzeugen; er erklärte , "gerettet" werden zu wollen, obgleich er befürchtete, inhaftiert zu werden. Bis zum 19. März 2017, nachdem sein Vater in die Türkei gereist war, hatte der Beschuldigte es sich allerdings wieder anders überlegt. Am 21. März 2017 war er dann - offenbar wieder rückkehrwillig - in der Türkei eingetroffen, wo er den Angaben seines Vaters zufolge in eine Art Polizeigewahrsam genommen wurde.
36
Gewichtige Gründe, die gegen die Annahme von Fluchtgefahr sprechen und somit hier den Haftgrund der Schwerkriminalität als unverhältnismäßig erscheinen ließen (s. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, BGHR StPO § 112 Abs. 3 Fluchtgefahr 2), liegen demnach nicht vor. Dass die die Fluchtgefahr begründenden Umstände nur noch geringeres Gewicht haben, hindert die Aufrechterhaltung des auf § 112 Abs. 3 StPO gestützten Haftbefehls nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2002 - StB 17/02, BGHR StPO § 112 Abs. 3 Fluchtgefahr 1).
37
3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist unter diesen Umständen nicht erfolgversprechend.
38
4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
39
5. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gegeben; der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:
40
Die Sachakten umfassen mittlerweile 14 Bände. Die Ermittlungen gestalteten sich bislang aufwendig. Die Ermittlungsbehörden hatten erhebliche Datenmengen auszuwerten. Allein die Erkenntnisse zu der über den Messengerdienst "Telegram" geführten Kommunikation, die in den vier Bänden der Teilermittlungsakte IV in der Form von - zwischen dem 30. Juni und dem 15. September 2017 erstellten - Auswertungsvermerken mit Anlagen niedergelegt sind, haben einen Umfang von mehr als 1.200 Blatt.
41
Im Hinblick auf die noch nicht hinreichend gesicherte Beweislage wurden Durchsuchungsmaßnahmen bei einer Mehrzahl von Kontaktpersonen des Beschuldigten zeitgleich am 4. August 2017 vollzogen. Erst anschließend konnten etliche der Personen als Zeugen vernommen werden. Bei den Durchsuchungen wurden weitere auszuwertende Daten gesichert. Darüber hinaus wurden - am 25. Juni 2017 angeordnete - Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchgeführt, insbesondere auch Telegram-Chatverkehr überwacht. Ferner wurde ein Rechtshilfeersuchen in die Schweiz veranlasst, dessen Erledigung noch aussteht.
42
Nachdem die Kriminalpolizei Nürnberg unter dem 8. September 2017 einen ausführlichen "2. Sachstandsbericht" gefertigt hatte, hat die Generalstaatsanwaltschaft München in der Haftprüfungsvorlage vom 28. September 2017 angekündigt, "in Kürze" Anklage zu erheben. Angesichts des bereits weit fortgeschrittenen Ermittlungsstandes wird sich die Generalstaatsanwaltschaft um eine zügige Umsetzung ihrer Ankündigung zu bemühen haben. Becker Spaniol Berg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
___________
AK 17/11
vom
14. Oktober 2011
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 14. Oktober
2011 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.


1
Der Beschuldigte, der deutscher Staatsangehöriger ist, wurde am 22. Februar 2011 vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag mit einer Unterbrechung zwischen dem 22. Juli 2011 und dem 30. August 2011 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2011 (2 BGs 64/11).
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich seit dem 1. September 2009 als Mitglied an der "Islamischen Bewegung Usbekistan" und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
3
Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur Verfolgung aller bereits begangenen und zukünftigen Taten im Zusammenhang mit der "Islamischen Bewegung Usbekistan" liegt seit dem 23. Oktober 2009 vor.

II.


4
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus sind gegeben.
5
1. Der Beschuldigte ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, der "Islamischen Bewegung Usbekistan", dringend verdächtig.
6
a) Bei der im Jahr 1998 gegründeten Gruppierung "Islamische Bewegung Usbekistan" handelt es sich nach den Behördenzeugnissen des Bundesnachrichtendienstes vom 26. März 2009, vom 18. Februar 2011 und vom 30. Juni 2011 sowie den Gutachten des Dr. Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin, Stand: Oktober 2009 und Juli 2011, um eine im Ausland bestehende Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Mord oder Totschlag zu begehen:
7
Das in Zentralasien gelegene Ferganatal bildete ursprünglich einen einheitlichen Kulturraum. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde es zwischen den usbekischen, tadschikischen und kirgisischen Sowjetrepubliken aufgeteilt.
8
Ab dem Jahr 1991 verstand sich die Vorgängerorganisation der "Islamischen Bewegung Usbekistan", deren Mitglieder überwiegend usbekische Islamisten sind, der aber auch Pakistanis und Deutsche angehören, als Befreiungsbewegung für das Ferganatal, wobei sie zunächst das säkulare Regime des Präsidenten Karimov in Usbekistan beseitigen und einen islamischen Staat errichten wollte. Etwa im Jahr 1998 verlegte sie ihr Operations- und Rückzugsgebiet nach Afghanistan. Am 16. Februar 1999 verübten Mitglieder einen Anschlag unter anderem auf den usbekischen Präsidenten, bei dem 13 Menschen starben und über 100 verletzt wurden. Nach der Tötung einer Vielzahl ihrer Mitglieder durch US-amerikanische Streitkräfte zog sie sich Ende des Jahres 2001 nach Waziristan zurück.
9
Nach der Abspaltung der "Islamischen Jihad Union" konzentrierten sich die Aktivitäten der "Islamischen Bewegung Usbekistan" auf einen Kampf gegen die pakistanische Regierung.
10
Spätestens seit dem Jahr 2008 richtete sich die "Islamische Bewegung Usbekistan" in stärkerem Maße international aus. Von ihr autorisierte Filmbotschaften definieren als Ziel des Jihad die Vertreibung der mit den USA verbündeten Streitkräfte aus Afghanistan und die Ausweitung des Wirkungsbereichs des Islam. Sie belegen die partnerschaftliche Kooperation der "Islamischen Bewegung Usbekistan" mit anderen terroristischen Vereinigungen im afghanisch -pakistanischen Grenzgebiet und ihre Bereitschaft, sich bei Einzelaktionen der Führung größerer Terrororganisationen unterzuordnen. Die "Islamische Bewegung Usbekistan" bekannte sich 2009 zu einem Selbstmordattentat, bei dem unter anderem sieben Zivilisten getötet wurden.
11
Die "Islamische Bewegung Usbekistan" ist als Personenverband hierarchisch strukturiert. Sie bindet ihre Mitglieder durch einen Gefolgschaftseid an die Gruppierung bzw. ihren Führer. Der Führungsspitze - seit dem Jahr 2009 um Usmon Odil - ist eine zehn- bis fünfzehnköpfige Shura nachgeordnet, die Organisationseinheiten in den Bereichen Sicherheit, Ausbildung, Finanzen, Medien / Propaganda sowie militärische Operationen umfasst.
12
b) Der Beschuldigte, der als deutscher Staatsangehöriger auch für in Pakistan begangene mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen nach § 129b Abs. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB deutscher Strafgewalt unterliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2009 - StB 34/09, BGHR StPO § 129b Anwendbarkeit 1; Beschluss vom 15. Dezember 2009 - StB 52/09, BGHSt 54, 264, 267), ist dringend verdächtig, seit dem 1. September 2009 Mitglied der "Islamischen Bewegung Usbekistan" zu sein:
13
Ausweislich der gemäß dem Artikel 10-Gesetz erstellten Gesprächsprotokolle , die zugleich die Einlassung des Beschuldigten widerlegen, er habe sich lediglich längere Zeit in der Türkei aufgehalten und dort einen Verkehrsunfall gehabt, reiste der Beschuldigte im Sommer 2009 von Deutschland nach Istanbul und anschließend weiter über den Iran nach Waziristan. Spätestens am 1. September 2009 erreichte er ein Ausbildungslager der "Islamischen Bewegung Usbekistan", absolvierte dort eine Ausbildung und wurde bei dem Umgang mit Kampfmitteln verletzt. Wegen der Einzelheiten des Tatvorwurfs nimmt der Senat im Übrigen Bezug auf den Inhalt des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2011.
14
Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis gliederte sich der Beschuldigte durch seine intensive Mitwirkung anlässlich seiner Ausbildung willentlich und mit dem Einverständnis der für sie verantwortlich Handelnden in die "Islamische Bewegung Usbekistan" ein. Zwar fehlt es bisher an unmittelbaren Beweisen dafür, dass der Beschuldigte einen Gefolgschaftseid leistete. Außerdem ist die Beteiligung an Kampfhandlungen nicht zweifelsfrei belegt, da sich der Beschuldigte Anfang des Jahres 2010 verletzte, ausweislich der Vermerke des Bundeskriminalamts vom 11. November 2010 (dort S. 55) und vom 31. Januar 2011 (dort S. 112) in den Wintermonaten aber witterungsbedingt die Ausbildung im Vordergrund steht und Kampfhandlungen erschwert sind. Die gemäß dem Artikel 10-Gesetz erstellten Gesprächsprotokolle ergeben aber, dass der Beschuldigte mit ausdrücklicher Zustimmung der dort Verantwortlichen Aufnahme in das nicht jedem Interessierten zugängliche Ausbildungslager fand und anschließend in enger persönlicher Verbindung mit dem laut Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 7. Januar 2010 hochrangigen Mitglied der "Islamischen Bewegung Usbekistan", Y. , stand, der den Kontakt zur Familie des Beschuldigten in Deutschland vermittelte. Diese Umstände belegen den Erwerb der Mitgliedschaft mit der zur Annahme eines dringenden Tatverdachts hinreichenden Sicherheit. In einer Hauptverhandlung wird Gelegenheit bestehen, zu dieser Frage - gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung - weitere Feststellungen zu treffen und abschließend zu klären, ob die Mitgliedschaft des Beschuldigten in der Organisation mit der zu einer Verurteilung erforderlichen Sicherheit zu belegen ist.
15
Die nach Erlass des Haftbefehls durchgeführten Ermittlungen haben den gegen den Beschuldigten bestehenden dringenden Tatverdacht noch verdichtet. Insbesondere ergibt die Auswertung von Asservaten jihadistischen Inhalts, die bei einer beim Beschuldigten am 22. Februar 2011 durchgeführten Durchsuchung sichergestellt wurden, Aufschluss über seine Motivation und seine fortdauernde Verbundenheit mit den Zielen der "Islamistischen Bewegung Usbekistan".
16
2. Es besteht aus den im Haftbefehl dargestellten Gründen nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), so dass es auf den weiteren Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO nicht ankommt. Dass der Beschuldigte - nach den Ergebnissen der Telekommunikationsüberwachung von seiner Familie nachdrücklich dazu angehalten - kurz vor seiner Verhaftung in eine Eheschließung nach islamischen Grundsätzen einwilligte, ändert daran nichts, weil er sich dadurch nicht an einem Verlassen Deutschlands gehindert sähe. Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden erheblichen Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
17
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen.
18
Seit der Inhaftierung des Beschuldigten wurden weitere Ermittlungen durchgeführt, die sich - auch wegen des Auslandsbezugs - als besonders schwierig erweisen. Beim Beschuldigten und weiteren Mitbeschuldigten wurden Wohn- und Geschäftsräume durchsucht. Dabei wurde eine Vielzahl von Beweismitteln sichergestellt. Deren Auswertung beansprucht einen erheblichen Zeitaufwand, weil ein großer Teil der Asservate nur mit Hilfe von Dolmetschern und Islamwissenschaftlern erschlossen werden kann.
19
Dies hat bisher ein Urteil nicht zugelassen. Indes geht der Senat davon aus, dass - wie vom Generalbundesanwalt angekündigt - gegen den Beschuldigten nunmehr alsbald Anklage erhoben werden wird.
Becker Pfister Menges
17
Entgegen der Auffassung des Verteidigers des Beschuldigten beruht die Annahme, die Kontaktpersonen des Beschuldigten seien dem indischen Geheimdienst zuzurechnen, nicht auf bloßen Vermutungen oder unbestätigten bzw. nicht belegbaren Behauptungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Zwar heißt es in dessen zu der Einleitung des Ermittlungsverfahrens führenden Behördengutachten vom 31. August 2015 zu Beginn: "Dienstlich wurde be- kannt, dass die genannten Kontaktpersonen (…) dem indischen Nachrichten- dienst angehören …", ohne dass dies an dieser Stelle näher ausgeführt wird. Eine solche bloße Behauptung bestimmter Tatsachen ohne nähere Erläuterung und ohne Offenbarung der Erkenntnisquellen hat nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur einen geringen Beweiswert (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247; vom 12. August 2015 - StB 8/15, NStZ 2016, 370; vom 10. April 2008 - AK 4-6/08, juris Rn. 18; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 29). Gleichwohl kann solchen Behördenzeugnissen nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden, dieser ist vielmehr in jedem Einzelfall zu bestimmen. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen; danach kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder die Objektivierung der genannten Erkenntnisse anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 - StB 8/15, NStZ 2016, 370).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
S t B 8 / 1 5
vom
12. August 2015
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen des Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers am 12. August
2015 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. April 2015 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.


1
Der Generalbundesanwalt führt gegen den Beschwerdeführer und weitere Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens "Oldschool Society". Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 30. April 2015 (3 BGs 59/15) die Durchsuchung der Person und Wohnung des Beschwerdeführers sowie des von ihm genutzten Kraftfahrzeugs nach näher umschriebenen Beweismitteln angeordnet. Die Durchsuchung ist am 6. Mai 2015 vollzogen worden; die Durchsicht aufgefundener Datenträger dauert noch an. Am 2. Juni 2015, eingegangen beim Bundesgerichtshof am 6. Juni 2015, hat der Beschwerdeführer Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung eingelegt. Er beanstandet im Wesentlichen, dass der an- gefochtene Beschluss ausschließlich auf "Angaben vom Hörensagen" beruhe, die aus unzulässiger Quelle von geringer Glaubwürdigkeit, nämlich dem Verfassungsschutz , stammten; Beweisergebnisse würden zudem nicht ausreichend konkret mitgeteilt. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Beschwerde mit Beschluss vom 23. Juni 2015 nicht abgeholfen und die Sache am selben Tag dem Senat zur Entscheidung übersandt.

II.


2
Das Rechtsmittel ist unbegründet.
3
1. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 StPO) waren gegeben. Hierzu gilt:
4
a) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. BVerfG Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, NJW 2007, 1443; BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, NStZ-RR 2009, 142, 143). Auch Behördenzeugnisse der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder können dazu beitragen, einen konkreten Verdacht in diesem Sinne zu begründen. Zwar handelt es sich hierbei regelmäßig nur um sekundäre Beweismittel, welche die unmittelbaren Quellen der dort wiedergegebenen Erkenntnisse nicht oder nur unvollständig offen legen und daher einer vorsichtigen Würdigung und der Her- anziehung weiterer zur Verfügung stehender Erkenntnismöglichkeiten bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 247 zu einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO). Dies nimmt Behördenzeugnissen jedoch nicht von vornherein jeglichen Beweiswert. Der Umfang ihrer Beweiskraft bedarf vielmehr einer Prüfung im Einzelfall. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob sie lediglich zum Beleg eines Anfangsverdachts (§ 160 Abs. 1 StPO) oder zur Begründung einer höheren Verdachtsstufe herangezogen werden. Soweit in den Behördenzeugnissen der Inhalt primärer Beweismittel wiedergegeben wird, beurteilt sich die Zuverlässigkeit dieser Angaben nach allgemeinen Grundsätzen. Insoweit kann etwa die Konkretheit der Ausführungen ebenso von Bedeutung sein wie deren Umfang oder Objektivierung anhand weiterer, unmittelbar vorliegender Beweismittel.
5
b) Gemessen an diesen Maßstäben lagen zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses sachlich zureichende Gründe für die Anordnung der Durchsuchung vor. Hinsichtlich der nach § 129a StGB erforderlichen Organisationsstruktur des Personenzusammenschlusses ergibt sich der Anfangsverdacht daraus, dass die Gruppe unter dem Namen "Oldschool Society" ein Facebook-Profil unterhielt (etwa Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015, im Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2015 enthaltener Screenshot), auf dem Beiträge veröffentlicht wurden, die einen auf Dauer angelegten und organisierten Personenverbund beschreiben; so etwa der Beitrag vom 15. September 2014 (",Oldschool Society` erhebt sich… Nicht mit uns, wir stehen zusammen, aktiv für unser Vaterland, für die Ehre unserer Ahnen und die Zukunft unserer Kinder…") und der von der "Abteilung für Presse und Öffentlichkeit der OSS" veröffentlichte Beitrag vom 24. September 2014, in dem die "Ideen und Lösungen" der Gruppe vorgestellt wurden (beide Beiträge auszugsweise zitiert im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Dass ein höherer Organisationsgrad bestand und die Mitglieder bereit waren, sich dem Gruppenwillen unterzuordnen, legt die - auf dem FacebookPortal veröffentlichte (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015) - Satzung nahe, aus der sich unter anderem eine Führungsebene ("President", "Vice-president") und die Aufgabenverteilung auf verschiedene Funktionsträger ergibt, so etwa auf den "Press chief", den "chief of security" und den "Seargent at arms", der Strafen zur Wahrung der Gruppendisziplin umsetzt (hierzu Behördenzeugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz Rheinland-Pfalz vom 20. März 2015 mit auszugsweise wörtlicher Wiedergabe der "OSS-Regeln": "…Den Anweisungen der Führungsebene ist Folge zu leisten…Zuwiderhandlung wird mit Ausschluss geahndet"). Gestützt werden diese Erkenntnisse durch den Facebook-Beitrag der Gruppe zum "1. Treffen in B. (L. )" nebst der namentlichen Benennung der Teilnehmer (Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2015 mit dort enthaltenen Screenshots des Facebook-Beitrags).
6
Konkrete Anhaltspunkte, dass die Ziele der Organisation darauf gerichtet waren, terroristische Taten im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB zu begehen, ergaben sich aus Folgendem:
7
Innerhalb der Gruppe wurde konkret über die Begehung entsprechender Straftaten, insbesondere von Brandanschlägen diskutiert; dies belegen Äußerungen der OSS-Mitglieder R. und O. vom 4. Februar 2015 (u.a.: "… man könnte ja in win paar Häuser wo Ausländer drin wohnen ne Brand oder Farbe Bombe rein werfen" [Fehler wie im Original], Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 8. April 2015). Auch aus dem im Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015 aus- zugsweise wörtlich wiedergegebenen Telefonat zwischen den Mitbeschuldigten K. L. und D. G. vom 25. Dezember 2014 ergibt sich, dass entsprechende Taten Gesprächsthema innerhalb der Gruppe waren ("…Da werden Pläne geschmiedet, wir machen dies und machen das, wir zünden Asylantenheime an und am Ende verläuft das Gespräch wieder im Nichts und nichts ist passiert…", "…Zum Beispiel halt, dass man überall paar Dreiergrup- pen hat, muss ja nicht überall sein, nur da wo ein paar Leut´ wohnen und dann werden halt gezielt Objekte raus gepickt und heißt so jetzt, des und des Wochenende geht es los und dann wird es einfach gemacht. Und wer dann nichts macht fliegt gnadenlos raus, ganz einfach…"). Die Ernsthaftigkeit dieser Ideen wird gestützt durch die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 8. April 2015 mitgeteilten Äußerungen des Mitbeschuldigten O. vom 9. März 2015, wonach die Gruppe nicht legale Ziele verfolgte ("Wir wollen über Tehmen reden, die man nicht im Internet oder am Handy bespricht. Desweiteren haben wir vor ein bis zwei drei ... Aktionen zu starten" [Fehler wie im Original ]). Diesen Erklärungen entspricht, dass die Gruppenmitglieder H. und O. in einem Telefonat vom 8. Januar 2015 über die Beschaffung von Schusswaffen diskutierten (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Auch das aggressive Auftreten der Organisation , wie es etwa in der auf Facebook am 15. Oktober 2014 eingestellten und im Durchsuchungsbeschluss inhaltlich näher dargestellten Grafik ("Schwarz ist die Nacht, in der wir euch kriegen. Weiß sind die Männer, die für Deutschland siegen. Rot ist das Blut, auf dem Asphalt…") zum Ausdruck kommt, deutet auf eine Gewaltbereitschaft der Gruppe hin.
8
Soweit in den jeweiligen Behördenschreiben und -zeugnissen die oben aufgeführten Beweismittel, insbesondere Beiträge in Internetchats, auf Internetplattformen und Telefongespräche, nur - auszugsweise - wiedergegeben werden, bestehen keine Anhaltspunkte, dass die in den Schreiben enthaltene, überwiegend wörtliche Wiedergabe - die auch Fehler im Original übernommen hatte - unzutreffend sein könnte.
9
Vor diesem Hintergrund wird der konkrete Verdacht, dass die Beschuldigten Ziele im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB verfolgt haben , ergänzend dadurch gestützt, dass bei dem Gruppentreffen vom 15. November 2014 über den "bewaffneten Kampf gegen Salafisten" gesprochen worden sein soll (Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 10. Februar 2015). Die vom Bundesamt für Verfassungsschutz mitgeteilten Erkenntnisse sind insoweit zwar oberflächlich gehalten, insbesondere bleibt unklar, aus welcher Quelle - ebenso wie auch die Erkenntnisse zu den im Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz wörtlich wiedergegebenen Äußerungen vom 4. Februar und vom 9. März 2015 - sie stammen. Angesichts der vorstehend dargestellten weiteren objektivierten Verdachtsmomente sind sie aber gleichwohl geeignet, den Anfangsverdacht weiter zu verstärken.
10
Der Beschwerdeführer ist auch verdächtig, Mitglied der "Oldschool Society" gewesen zu sein. Hinsichtlich der Verdachtsmomente wird auf die im angefochtenen Beschluss enthaltenen Ausführungen verwiesen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Facebook-Beitrag der Vereinigung ein "M. " als anwesende Person genannt wird und auf dem dort eingestellten Gruppenfoto eine Person zu sehen ist, die starke Ähnlichkeit mit dem Beschuldigten aufweist (vgl. Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 26. Februar 2014, dort enthaltener Screenshot des Facebook-Beitrags, sowie Vermerk des Bundeskriminalamtes vom 17. März 2015, dort abgebildetes Lichtbild des Beschwerdeführers).
11
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung war geeignet, zur Klärung des Tatverdachts beizutragen. Gegenüber der Durchsuchung stand auch kein gleich wirksames milderes Mittel zur Verfügung. Schließlich stand die Anordnung der Durchsuchung in einem angemessenen Verhältnis zur Stärke des bestehenden Tatverdachts.
12
3. Ob eine erhebliche Überschreitung der Vorlagefrist des § 306 Abs. 2 StPO im Einzelfall einer Beschwerde (mit) zum Erfolg verhelfen kann (vgl. KG, Beschluss vom 27. Oktober 2014 - 2 Ws 360/14, NStZ-RR 2015, 18 mwN), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Zwar wurde die Beschwerde nicht gemäß § 306 Abs. 2 StPO innerhalb von drei Tagen nach deren Eingang am 6. Juni 2015, sondern erst mit der Abhilfeentscheidung vom 23. Juni 2015 dem Senat vorgelegt. Indes war diese Verzögerung schon nicht erheblich im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung.
13
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Becker Schäfer Spaniol

Tenor

I. Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München vom 22.08.2017 (Az.: 53 OJs 16/17) wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München eröffnet.

II. Der Strafsenat ist in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt, weil nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung zweier weiterer Richter notwendig erscheint, § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG.

III. Die Untersuchungshaft der Angeklagten N. A. A. und I. S. dauert aus den Gründen ihrer Anordnung, Aufrechterhaltung und Fortdauer (Haftbefehle des Bundesgerichtshofs vom 31.10.2016, Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 23.02.2017, 14.06.2017, 12.10.2017) fort.

IV. Der Antrag der Angeklagten A. R. W. Hn., F. Hk. und B. Sa. auf Abtrennung der sie betreffenden Verfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.

Am 22.08.2017 erhob die Generalstaatsanwaltschaft München Anklage gegen die fünf Angeklagten wegen teils mittäterschaftlich begangener Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 S. 1 und S. 2, 25 Abs. 2 StGB, davon der Angeklagte A. A. in sieben Fällen, der Angeklagte S. in sechs Fällen und die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. in jeweils einem Fall.

II.

Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegen vor. Die Angeklagten sind der ihnen vorgeworfenen Taten im Sinne des § 203 StPO hinreichend verdächtig. Nach vorläufiger Tatbewertung auf der Grundlage des Ergebnisses der Ermittlungen ist eine Verurteilung der Angeklagten in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln zumindest wahrscheinlich (vgl. zum Maßstab des § 203 StPO BGH, Beschluss vom 22.04.2003, Az.: StB 3/03; BGH, Beschluss vom 15.10.2013, Az.: StB 16/13).

1. Wesentlicher Beweiswert wird insoweit den im Rahmen der G 10-Beschränkungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnissen zukommen. Nach vorläufiger Einschätzung besteht kein generelles Verbot der Verwertung dieser Telefongespräche, SMS und Urkunden.

a) Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation und für die Einsicht in den Postverkehr durch das Bundesamt für Verfassungsschutz regeln §§ 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2 G 10-Gesetz. Gemäß § 1 Nr. 1 G 10-Gesetz sind unter anderem die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen sowie die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen. Derartige Beschränkungen setzen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 G 10-Gesetz zusätzlich voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand z. B. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Straftaten nach den §§ 129a bis 130 StGB plant, begeht oder begangen hat und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

Das Verfahren für den Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt strengen Voraussetzungen und ist stark formalisiert. § 9 G 10-Gesetz verdeutlicht, dass bereits die dort genannten Behörden verantwortlich zu prüfen haben, ob die Durchführung der Beschränkungsmaßnahmen berechtigt und notwendig ist. Die auferlegte Begründung des Antrags muss die anordnende Behörde in die Lage versetzen, die Voraussetzungen für die G 10-Maßnahmen selbständig nachzuprüfen. Dabei werden ihr auch Kenntnisse nicht vorenthalten werden können, die aus Gründen der Staatssicherheit oder des Schutzes der Erkenntnisquelle geheimzuhalten sind (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der ersten Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.06.1967, Drucksache V/1880, S. 10). Die Regelungen zur Anordnung in § 10 G 10-Gesetz stellen unter anderem sicher, dass die Voraussetzungen der Beschränkungsmaßnahmen - ungeachtet § 11 Abs. 2 G 10-Gesetz - spätestens alle drei Monate erneut überprüft werden.

Darüber hinaus sieht § 1 Abs. 2 G 10-Gesetz eine Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und durch eine besondere Kommission (G 10-Kommission) vor. Damit wird Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG Rechnung getragen, da der Rechtsweg für den Betroffenen jedenfalls partiell beschränkt ist (vgl. § 13 G 10-Gesetz). Die G 10-Kommission stellt ein Organ eigener Art außerhalb der rechtsprechenden Gewalt dar, das an die Stelle des Rechtswegs tritt und als Ersatz für den fehlenden gerichtlichen Rechtsschutz dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.09.2016, BVerfGE 143, 1). Ihre Tätigkeit dient mithin dem Grundrechtsschutz für die Bürger, die ihre Rechte wegen der Unbemerkbarkeit der Eingriffe nicht selbst wahrnehmen können. Mit der besonderen Aufgabenstellung, Unabhängigkeit und Sachkunde der G 10-Kommission verbinden sich Elemente kompensatorischer demokratischer Repräsentation und Kontrolle (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.01.2008, NJW 2008, 2135). Sie hat die Möglichkeit, von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen zu entscheiden (§ 15 Abs. 5 G 10-Gesetz). Das parlamentarische Kontrollgremium wiederum ermöglicht einerseits eine wirksame parlamentarische Aufsicht und berücksichtigt andererseits die besonderen Sicherheitsbedürfnisse (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der ersten Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.06.1967, Drucksache V/1880, S. 11).

b) Der Senat hat die Unterlagen zu den G 10-Beschränkungsmaßnahmen (Antrag des Bundesamts für Verfassungsschutz an das Bundesministerium des Innern, Anordnung des Bundesministeriums des Innern, etwaige Entscheidung der G 10-Kommission, etwaige Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern) beim Bundesamt für Verfassungsschutz angefordert, um unter anderem die Verwertbarkeit der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung beurteilen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, NJW-Spezial 2017, 536). Die Anforderung an das Bundesamt für Verfassungsschutz vom 17.10.2017 wurde von deren oberster Dienstbehörde, dem Bundesministerium des Innern, mit Schreiben vom 27.11.2017 im Sinne einer Sperrerklärung nach § 96 StPO beantwortet. Hiergegen hat der Senat am 08.12.2017 eine Gegenvorstellung erhoben, auf die das Bundesministerium des Innern mit Schreiben vom 28.12.2017 replizierte.

c) Die Sperrerklärung des Bundesministeriums des Innern genügt den Anforderungen des § 96 StPO. Nach § 96 S. 1 StPO darf die Vorlegung oder Auslieferung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden und öffentliche Beamte nicht gefordert werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde.

Die nach § 96 StPO zuständige Behörde hat dem Gericht die Gründe ihrer Weigerung verständlich zu machen, schon um das Gericht in die Lage zu versetzen, auf die Beseitigung etwaiger Hindernisse hinzuwirken und auf die Bereitstellung des Beweismittels zu drängen. Das Gericht muss in der Lage sein zu prüfen, ob die behördliche Weigerung und die damit verbundene Einwirkung der Behörde auf die Gestaltung des Verfahrens aus rechtsstaatlichen Gründen hingenommen werden kann und ob die Durchführung eines fairen Verfahrens noch gewährleistet ist. Mit diesen Anforderungen ist es grundsätzlich nicht zu vereinbaren, wenn die Weigerung jegliche Begründung vermissen lässt und die Behörde nur formelhafte Wendungen für ihre Ablehnung verwendet. Eine detaillierte Begründung wird - weil schon dies die Geheimhaltung gefährden kann -nicht immer möglich sein. Es genügt dann der Hinweis auf diesen Sachverhalt und die Mitteilung des Ergebnisses der Ermessensentscheidung. Dem Strafgericht steht es nicht zu, diese Entscheidung auf sachliche Richtigkeit zu überprüfen. Es kann und muss zwar, wenn ihm die Entscheidung nicht plausibel ist, Gegenvorstellung erheben. Bleibt die oberste Dienstbehörde aber bei der abschließenden negativen Entscheidung - Nichtvorlage der Akten -, so hat das Strafgericht dies hinzunehmen (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO/Greven, 7. Auflage 2013, § 96 Rdnr. 17 m. w. N.; BGH, Urteil vom 05.11.1982, NJW 1983, 1005; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719).

(1) Das Bundesministerium des Innern hat in seinen Schreiben die Gründe für die Ablehnung der Herausgabe der erbetenen Unterlagen in vollständiger, in ausschnittsweiser wie auch in geschwärzter Fassung verständlich dargelegt. Das Bundesministerium des Innern hat das Wohl des Bundes, hier spezifiziert durch die Methoden, den Kenntnisstand und die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz sowohl im konkreten Fall, aber auch darüber hinausgehend im Grundsatz als Schutzgut hervorgehoben. In diesem Zusammenhang hat das Bundesministerium des Innern mitgeteilt, dass die angeforderten Unterlagen unter anderem detaillierte Angaben zu den tatsächlichen Anhaltspunkten für den gegen die Angeklagten gerichteten Verdacht der Unterstützung der Gruppierung Ahrar ash-Sham sowie Ausführungen dazu enthielten, warum die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert und aussichtslos gewesen wäre. Darüber hinaus hat es sich auf als „Geheim“ eingestufte Informationen eines ausländischen Partnerdienstes bezogen, die ohne dessen Zustimmung nicht an Dritte weitergegeben werden dürften, da sie durch sensible Methoden gewonnen worden seien und die konkrete Quelle des anlassgebenden Hinweises gefährdet wäre. Mit den G 10-Beschränkungsmaßnahmen sollten mutmaßliche Unterstützungshandlungen und die mögliche Einbindung der Angeklagten wie auch anderer Hauptbetroffener in islamistisch-terroristische Strukturen aufgeklärt werden.

Das Bundesministerium des Innern verhält sich zwar in seiner Sperrerklärung mit der Preisgabe von Einzelheiten zurückhaltend. Seine Erläuterungen zur Bedeutung der gesperrten Auskünfte über die vorgenommenen Amtshandlungen und zur Notwendigkeit des Quellenschutzes sind für den Senat nach vorläufiger Einschätzung jedoch zumindest plausibel und erscheinen nicht willkürlich. Dass es staatliche Aufgaben gibt, die zu ihrer Erfüllung der Geheimhaltung bedürfen, steht außer Frage. Damit einhergehend ist die Aufdeckung z. B. von Erkenntnissen und Arbeitsweisen der für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland tätigen Behörden im Strafverfahren nicht ausnahmslos geboten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719).

Das Bundesministerium des Innern hat auf die Gegenvorstellung des Senats hin zudem geprüft, ob es den Interessen der Angeklagten dadurch Rechnung tragen kann, dass es geschwärzte oder ausschnittsweise Fassungen vorlegt. Soweit es aufgrund seiner dargelegten Erwägungen dazu kommt, dass so viele Passagen unkenntlich gemacht werden müssten, dass jeder Sinnzusammenhang verloren ginge, ist dies vom Senat unter den oben zitierten Voraussetzungen hinzunehmen.

(2) Das Bundesministerium des Innern hat des Weiteren erkennbar das ihm eröffnete Ermessen im Sinne des § 96 StPO ausgeübt. Es hat in seine Abwägung unter anderem das Recht der Angeklagten auf eine angemessene Verteidigung, die zu ihren Gunsten bestehende Unschuldsvermutung, das Gewicht der den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten sowie die Folgen einer Offenlegung der Verfahrensweisen des Bundesamts für Verfassungsschutz einschließlich der Kooperation mit dem ausländischen Partnerdienst eingestellt.

Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Freiheitsanspruch der Angeklagten im Spannungsfeld mit der gerichtlichen Wahrheitsfindung zur Sicherung der Gerechtigkeit nicht das genügende Gewicht beigemessen hätte (vgl. zur Abwägung grundsätzlich BGH, Beschluss vom 05.06.2007, NJW 2007, 3010; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719), ist nicht ersichtlich. Den im Rahmen der G 10-Beschränkungsmaßnahmen gewonnenen Ergebnissen - vor allem in Form von Telefongesprächen, die zu einem erheblichen Teil zwischen den Angeklagten geführt wurden - wird als Beweisquelle voraussichtlich ein hoher Stellenwert zukommen. Sachnähere Beweismittel wie Zeugen oder infolge der Durchsuchungen und Beschlagnahmen aufgefundenen Urkunden sind nach bisheriger Aktenlage nur in reduziertem Umfang vorhanden. Die Angeklagten wiederum sind in ihrem Verteidigungsrecht dadurch eingeschränkt, dass sie nicht nachvollziehen können, wie und warum das Bundesamt für Verfassungsschutz auf ihre Person gestoßen ist und mit welcher Begründung die G 10-Beschränkungsmaßnahmen gegen sie eingeleitet und verlängert wurden. Andererseits können sich die Angeklagten im Rahmen der Sachaufklärung zu der Kommunikation, die ihnen zugeschrieben wird, inhaltlich äußern.

Strafverfahrensrechtliche Vorkehrungen, die geeignet wären, die Belange des Bundesamts für Verfassungsschutz zu wahren, liegen nach derzeitiger Einschätzung nicht vor. So ist es z. B. dem Senat mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG verwehrt, „in camera“ ohne Einbeziehung der anderen Verfahrensbeteiligten Einsicht in die Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz zu nehmen, um die Vorgänge bezüglich der G 10-Beschränkungsmaßnahmen zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719; a. A. für das Verwaltungsverfahren BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999, NJW 2000, 1175). Eine Handhabe zur Einwirkung auf die Zusammenarbeit des Bundesamts für Verfassungsschutz und des ausländischen Geheimdienstes steht dem Senat nicht zur Verfügung.

d) Anhaltspunkte, dass die Anordnungen, die zur Gewinnung vor allem der gegenständlichen Telefongespräche, SMS und Urkunden geführt haben, nicht durch die Vorschriften der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a G 10-Gesetz i.V.m. §§ 129a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1, 129b Abs. 1 StGB gedeckt waren und dass das im G 10-Gesetz vorgesehene Prozedere nicht eingehalten wurde, bestehen nach den bisherigen Erkenntnissen mithin nicht.

Das Bundesministerium des Innern hat überdies die Wahrung der gesetzlichen Vorgaben der §§ 9 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3, 10 Abs. 1 bis Abs. 3 und Abs. 5, 15 Abs. 5 und Abs. 6 G 10-Gesetz versichert. Ein pauschalisiertes Misstrauen gegenüber den in die Beantragung, Anordnung und Kontrolle der Beschränkungsmaßnahmen involvierten Behörden und Gremien, die an Recht und Gesetz gebunden sind, ist aus der Luft gegriffen.

Die Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe der erhobenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden regelt § 4 Abs. 4 Nr. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 6a G 10-Gesetz. § 161 Abs. 2 S. 1 StPO gestattet ihre Verwendung zu Beweiszwecken im Strafverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2017, NJW-Spezial 2017, 536).

Nach derzeitiger Sachlage - vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse in der Hauptverhandlung - sieht der Senat daher kein generelles Beweisverwertungsverbot für die nach dem G 10-Gesetz gewonnenen Resultate. Die Rechtsprechung greift in Fallgestaltungen, in denen sich das Geheimhaltungsinteresse der Exekutive nachteilig für den Angeklagten auswirkt, weil ein zentrales Beweismittel nicht unmittelbar oder überhaupt nicht in das Verfahren eingeführt werden kann, auf das Gebot einer besonders vorsichtigen Beweiswürdigung und gegebenenfalls auf die Anwendung des Zweifelssatzes zurück (vgl. BGH, Urteil vom 04.03.2004, NJW 2004, 1259; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981, NJW 1981, 1719; BGH, Beschluss vom 23.12.2009, NStZ 2010, 445). Es bleibt der Hauptverhandlung und der Würdigung der gesamten Beweisaufnahme vorbehalten, ob und inwieweit dieser Grundsatz im vorliegenden Fall zum Tragen kommt.

2. Der für die Eröffnung erforderliche hinreichende Tatverdacht der Unterstützung der Ahrar ash-Sham als terroristische Vereinigung im Ausland (vgl. BGH, Haftfortdauerbeschluss vom 14.06.2017) liegt nach dem vorläufigen Ermittlungsergebnis für alle Angeklagten in objektiver und subjektiver Hinsicht vor.

Unschädlich ist, dass das Bundesministerium der Justiz die Ermächtigung zur Verfolgung von Straftaten durch Mitglieder oder Unterstützer der Vereinigung Ahrar ash-Sham, die deutsche Staatsangehörige sind oder sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten oder hier tätig werden, erst am 25.07.2014 und somit nach Durchführung der G 10-Beschränkungsmaßnahmen erteilt hat. Das G 10-Gesetz sieht entsprechend seinem primären Zweck der Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes (§ 1 Abs. 1 G 10-Gesetz) die Notwendigkeit einer Verfolgungsermächtigung nicht vor. Erst die Strafverfolgungsbehörden, denen unter den engen Voraussetzungen des § 4 Abs. 4, Abs. 5 G 10-Gesetz Daten übermittelt werden dürfen, haben zu prüfen, ob die Strafverfolgungsvoraussetzungen gegeben sind; sie haben eine Ermächtigung ggf. sogar von Amts wegen einzuholen (vgl. Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage 2014, § 77e StGB Rdnr. 2).

III.

Der Senat hält die Voraussetzungen für eine weitere Untersuchungshaft gegen die Angeklagten N. A. A. und I. S. für gegeben.

IV.

Eine Abtrennung des Verfahrens gegen die Angeklagten A. R. W. Hn., F. Hk. und B. SA. kommt nicht in Betracht.

Der Senat verkennt nicht, dass die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. lediglich wegen jeweils einer einzigen Tat (von insgesamt neun Taten) der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung angeklagt sind. Dass sie durch die Hauptverhandlung, für die vorsorglich mehr als 30 Verhandlungstage angedacht sind, in ihrer Berufsausübung und ihrer privaten Dispositionsfreiheit beeinträchtigt werden, steht außer Zweifel.

Der Senat erachtet dennoch eine Abtrennung der drei genannten Angeklagten und die Durchführung einer gesonderten Hauptverhandlung für nicht zweckmäßig. Das den angeklagten Taten zugrundeliegende Geschehen kann nach vorläufiger Bewertung insbesondere in subjektiver Hinsicht sinnvollerweise nur einheitlich gewürdigt werden. Dies gilt insbesondere für die Auswertung der Kommunikation der Angeklagten untereinander und mit Dritten. Eine Aufspaltung des Verfahrens würde zudem dazu führen, dass ein wesentlicher Teil der Beweisaufnahme z. B. durch Vernehmung der Ermittlungsbeamten und Anhörung der Sachverständigen in zwei getrennten Verhandlungen gleichermaßen abgehandelt werden müsste.

Ob die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. zeitweise und im Einzelfall gemäß § 231c StPO beurlaubt werden können, bleibt der Hauptverhandlung vorbehalten.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 498/16
vom
3. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2017:030517B3STR498.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. Mai 2017 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Juni 2016 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte die Unverwertbarkeit nach dem G-10-Gesetz gewonnener Erkenntnisse geltend macht.
3
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Das Bundesamt für Verfassungsschutz führte Beschränkungsmaßnahmen nach dem G-10-Gesetz in Form der Telekommunikationsüberwachung gegen den Angeklagten sowie die Mitangeklagten R. und A. durch; es stützte sie auf § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB. Die erhobenen Telekommunikationsüberwachungsdaten übermittelte es den Strafverfolgungsbehörden , worauf diese das gegenständliche Strafverfahren einleiteten.
5
In der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht hat die Verteidigerin des Angeklagten der Verwertung nach dem G-10-Gesetz gewonnener Erkenntnisse im Anschluss an einige (nicht alle) diesbezügliche Beweiserhebungen widersprochen. Sie hat dies damit begründet, dass die verschriftlichten Verfahrensvorgänge zu den G-10-Beschränkungsmaßnahmen (Antrag des Bundesamts für Verfassungsschutz, Anordnung des Bundesministeriums des Innern , Billigung der G-10-Kommission) nicht Akteninhalt geworden seien. Daraufhin hat die Senatsvorsitzende das Bundesamt für Verfassungsschutz zweimal um die Vorlage der entsprechenden Dokumente gebeten, was dieses jeweils abgelehnt hat. Hiergegen hat die Vorsitzende auf Antrag der Verteidigerin Gegenvorstellung bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben, die ebenso erfolglos geblieben ist.
6
2. Der Beschwerdeführer erachtet die Verwertung der nach dem G-10Gesetz gewonnenen Erkenntnisse deshalb für rechtsfehlerhaft, weil die Verfahrensbeteiligten ohne die beim Bundesamt für Verfassungsschutz angeforderten Dokumente nicht hätten überprüfen können, inwieweit die Anordnungen nach der damaligen Verdachtslage vertretbar gewesen seien. Soweit bei einzelnen Beweiserhebungen ein Widerspruch unterblieben sei, schade dies nicht; denn das Tatgericht habe die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären.
7
3. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.
8
a) Der Beschwerdeführer macht die Unverwertbarkeit der nach dem G-10-Gesetz gewonnenen Erkenntnisse ohne Erfolg geltend.
9
aa) Ein generelles Verbot der Verwertung dieser Erkenntnisse besteht nicht. Die Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe der erhobenen Daten an die Strafverfolgungsbehörden regelt § 4 Abs. 4 Nr. 2 G 10. § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gestattet ihre Verwendung zu Beweiszwecken im Strafverfahren. Die Verwertung setzt dabei im Grundsatz die Rechtmäßigkeit der vorausgegangenen Datenerhebung voraus (vgl. - zu präventiv-polizeilich gewonnenen Erkenntnissen - BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 83 Rn. 37 [bezüglich § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO]; Beschluss vom 26. Januar 2017 - StB 26 u. 28/14, juris, Rn. 52; KK-Griesbaum, StPO, 7. Aufl., § 161 Rn. 40). Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation durch das Bundesamt für Verfassungsschutz regeln § 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 2 G 10.
10
bb) Nach diesem gesetzlichen Maßstab ist die Rechtswidrigkeit der G10 -Beschränkungsmaßnahmen nicht erwiesen.
11
Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Anordnungen nicht durch die vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeführten Vorschriften der § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB gedeckt waren, dass mithin zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden, der Angeklagte sowie die Mitangeklagten R. und A. unterstützten eine ausländische terroristische Vereinigung. Dies wird von der Revision schon nicht bestimmt behauptet. Zwar weist sie im Ansatz zutreffend darauf hin, dass dem Beschwerdeführer insoweit ein den An- forderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügender Tatsachenvortrag unmöglich sei, weil ihm die entsprechenden Verfahrensvorgänge nicht bekannt seien. Die Unvollständigkeit der Akten zieht jedoch grundsätzlich kein Verwertungsverbot nach sich; denn es fehlt eine tatsächliche Grundlage für eine revisionsrechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnungen im Freibeweis (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 367; ferner BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - 3 StR 337/10, NStZ 2011, 471, 472; zum Beweismaß s. auch KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 41 mwN).
12
b) Eine Rüge, das Oberlandesgericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen , die von den G-10-Beschränkungsmaßnahmen vorausgesetzte Verdachtslage zum Anordnungszeitpunkt zu rekonstruieren, ist hingegen nicht erhoben.
13
Das Tatgericht hat die Verfahrenstatsachen, die für die Beurteilung der Verwertbarkeit der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung maßgebend sind, aufzuklären und zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das gilt auch dann, wenn die Erkenntnisse in einem fremden Verfahren angefallen sind. In einem solchen Fall sind regelmäßig Akten oder Aktenbestandteile dieses anderen Verfahrens in dem für die Beurteilung der Verwertbarkeit erforderlichen Umfang auszuwerten. Unterlässt das Tatgericht eine mögliche und zur Aufklärung gebotene Maßnahme, begründet dies einen eigenständigen Rechtsfehler (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, aaO, S. 367 f.).
14
Freilich hat das Oberlandesgericht den aufgezeigten Prüfungsmaßstab nicht missachtet; es hat seine Pflicht, sich die Unterlagen zu den G-10-Beschränkungsmaßnahmen zu verschaffen, zutreffend erkannt. Um dies zu erreichen , hat es aber nicht alle ihm offen stehenden, nicht von vornherein aussichtslosen Möglichkeiten ausgeschöpft. Das Oberlandesgericht wäre - neben den oder anstelle der diversen an das Bundesamt für Verfassungsschutz gerichteten Ersuchen - zur Herbeiführung einer Entscheidung des Bundesministeriums des Innern verpflichtet gewesen. Dieses allein wäre nach § 96 StPO als oberste Dienstbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz zu einer strafprozessual beachtlichen Sperrerklärung befugt gewesen. Zugleich war das Bundesministerium des Innern auch die Stelle, welche die G-10-Beschränkungsmaßnahmen angeordnet hatte. Gegebenenfalls wäre dort eine Gegenvorstellung zu erheben gewesen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 448 Rn. 15; MüKoStPO/Hauschild, § 96 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 96 Rn. 9, jew. mwN).
15
Mit der Stoßrichtung, das Oberlandesgericht habe nicht die ihm möglichen , nicht von vorneherein aussichtslosen Schritte zur Aufklärung der G-10Verfahrensvorgänge unternommen, ist die Verfahrensrüge indes nichterhoben (zur Maßgeblichkeit der Angriffsrichtung s. BGH, Urteil vom 26. August 1998 - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94 mwN). Ein derartiges rechtsfehlerhaftes Unterlassen wird nicht geltend gemacht und ist daher nicht Gegenstand der Rüge. Schon gar nicht legt die Revision dar, zu welchen Schritten Anlass bestanden hätte. Soweit sie ausführt, dass das Tatgericht die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären habe, steht dies im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines - vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bezüglich einzelner Beweiserhebungen nicht erklärten - Verwertungswiderspruchs.
16
Ein entsprechendes Rügevorbringen war hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Mit dem dem Senatsbeschluss vom 1. August 2002 (3 StR 122/02, BGHSt 47, 362) zugrundeliegenden Sachverhalt ist der gegenständliche Fall schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier das Oberlandesgericht den Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Verwertbarkeit gerade nicht grundlegend verkannt hat (vgl. hingegen dort S. 368).
17
c) Inwieweit ein Beweisverwertungsverbot ausnahmsweise für den Fall in Betracht kommen könnte, dass sämtliche zur Rekonstruktion der Verdachtslage gebotenen tatrichterlichen Maßnahmen erfolglos geblieben sind, braucht der Senat nach alledem nicht zu entscheiden. Insbesondere kann dahinstehen, inwieweit ein Angeklagter gehalten ist, einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung zu stellen, um eine Sperrerklärung vor den Verwaltungsgerichten anzufechten; nur ihm, nicht dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft dürfte der Verwaltungsrechtsweg offen stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007 - 5 StR 383/06, NJW 2007, 3010, 3012 Rn. 28; ferner Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 96 Rn. 14 mwN). Becker Spaniol Tiemann Berg RiBGH Hoch befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
17
In Bezug auf die Überprüfung der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gilt, dass dem eine solche Maßnahme anordnenden Richter bei der Prüfung nach § 100a StPO, ob ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Tatverdacht gegeben ist und der Subsidiaritätsgrundsatz nicht entgegensteht, ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Nachprüfung durch den Tatrichter - und durch das Revisionsgericht -, ob die Anordnung rechtmäßig war und die Ergebnisse der Überwachung verwertbar sind, ist daher auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt (BGH, Urteil vom 16. Februar 1995 - 4 StR 729/94, BGHSt 41, 30, 33 f.). Ist die Darstellung der Verdachts- und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss plausibel, kann sich der erkennende Richter in der Regel hierauf verlassen. Fehlt es jedoch an einer ausreichenden Begründung oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen, hat der erkennende Richter die Verdachts - und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen. War die Überwachung der Telekommunikation in einem anderen Verfahren angeordnet worden, hat er hierzu in der Regel die Akten dieses Verfahrens beizuziehen (BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 367). Um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob die jeweiligen Anordnungen der Überwachungsmaßnahmen ausreichend und plausibel begründet waren und das Kammergericht sich mangels konkreter Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnungsbeschlüsse auf deren Begründungen verlassen durfte, hätte der Revisionsführer jedenfalls alle in den hiesigen Verfahrensakten enthaltenen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse mitteilen müssen. Daran fehlt es hier, weil die gegen den gesondert Verfolgten A. erlassenen Beschlüsse 6 BGs 83/14 vom 8. April 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 113), 6 BGs 260/14 vom 30. Dezember 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 122), 6 BGs 80/14 vom 8. April 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 124), 6 BGs 141/14 vom 7. Juli 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 127), 6 BGs 202/14 vom 7. Oktober 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 130) und 6 BGs 259/14 vom 30. Dezember 2014 (Sbd. TKÜ Haftbefehl Bl. 133) nicht vorgelegt werden. Auch der ermittlungsrichterliche Beschluss vom 16. Juli 2015 - 6 BGs 251/15 - aus dem gegen K. geführten Verfahren ist Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten (Sbd. Kontakte D. - K. Bl. 83), wird jedoch von der Revision nicht mitgeteilt. Und schließlich legt der Beschwerdeführer nicht dar, welche Teile aus verfahrensfremden Akten Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten geworden sind. Damit ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob das Kammergericht bereits aufgrund der entsprechenden Akteninhalte die Rechtmäßigkeit der verfahrensfremden ermittlungsrichterlichen Anordnungen kontrollieren konnte oder ob es darüber hinaus die vollständigen Akten hätte beiziehen müssen.
13
a) Selbst bei rechtswidriger Beweisgewinnung ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz dahin fremd, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Vielmehr ist in diesen Fällen über die Verwertung der Beweise je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts - den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind - einschränkt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 87 mwN).
47
Nach ständiger Rechtsprechung führt nicht jeder Rechtsverstoß bei der strafprozessualen Beweisgewinnung zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der so erlangten Erkenntnisse. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art des etwaigen Beweiserhebungsverbots und das Gewicht des in Rede stehen- den Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (vgl. BGHSt 19, 325, 329 ff.; 27, 355, 357; 31, 304, 307 ff.; 35, 32, 34 f.; 37, 30, 31 f.; 38, 214, 219 ff.; 38, 372, 373 f.; 42, 372, 377; 44, 243, 249; BGH NStZ 2007, 601, 602; BVerfG NStZ 2006, 46; NJW 2008, 3053). Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts - den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind - einschränkt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt 37, 30, 32 m. w. N.; 44, 243, 249).
21
Im Fall einer Kette von aufeinander beruhenden Überwachungsmaßnahmen ist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit auf die Anordnung der Telekommunikations -Überwachungsmaßnahme beschränkt, der die verwerteten Erkenntnisse unmittelbar entstammen. Eine Fernwirkung durch die Rechtswidrigkeit nur einer vorgelagerten, für das Verfahren selbst nicht unmittelbar beweiserheblichen Telekommunikations-Überwachungsmaßnahme ergibt sich nicht (so auch OLG Hamburg StV 2002, 590, 592).