Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 3 StR 476/10

bei uns veröffentlicht am15.03.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 476/10
vom
15. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 15. März
2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 17. Juni 2010 im Fall II. 1. der Urteilsgründe sowie im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern sowie wegen versuchter sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf eine Verfahrensrüge sowie sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält der Schuldspruch wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176a Abs. 2 Nr. 1, § 22 StGB) der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Auf die allein für diese Tat relevante Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Januar 2001 - 3 StR 528/00, bei Becker NStZ-RR 2002, 102) kommt es deshalb nicht an.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts forderte der Angeklagte die 10jährige Y. auf, an ihm den Oralverkehr auszuüben, was das Kind "kategorisch ablehnte. Der Angeklagte erkannte, dass er aufgrund der Weigerung der Zeugin sein Vorhaben in dieser Form nicht mehr durchsetzen konnte, ergriff daraufhin Y. von hinten und zog sie halb tragend, halb schleppend" aus dem Erdgeschoss seines Hauses "die Treppe in sein Schlaf- und Arbeitszimmer im Obergeschoss hinauf. Dort angekommen warf er sie auf das Bett und verschloss die Zimmertür mit einem Schlüssel" (UA S. 3 f.). Sodann zog er Y. die Hose aus, legte sich auf das Kind und rieb sein Glied bis zum Samenerguss an dessen Scheide.
4
Das Landgericht hat das Geschehen im Erdgeschoss im Ausgangspunkt zutreffend als Versuch eines schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern eingeordnet. Seine Annahme, der Angeklagte sei von diesem Versuch nicht strafbefreiend zurückgetreten, hat es damit begründet, der Angeklagte habe "nach der Weigerung von Y. erkannt, dass er den Oralverkehr mit ihr nicht mehr durchführen konnte". Dies entbehrt indes einer tragfähigen Beweiswürdigung.
5
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv - sei es auch nur wegen aufkommender innerer Hemmungen - die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Hält er dagegen die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für erreichbar, wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 347/06, NStZ 2007, 91; Beschluss vom 9. Juli 2009 - 3 StR 257/09, NStZ 2009, 688).
6
Worauf der Schluss beruht, der Angeklagte habe die Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr vollenden können, teilt das Urteil nicht mit. Dessen hätte es aber bedurft, nachdem der Angeklagte unmittelbar danach das Kind mit körperlicher Gewalt in das erste Stockwerk verbracht und dort auf das Bett geworfen, das Zimmer abgeschlossen und sich auf das Kind gelegt hat. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte auch nach seiner eigenen Vorstellung die von ihm ausgeübte körperliche Gewalt im unmittelbaren Handlungszusammenhang noch hätte steigern und so an sein Ziel gelangen können. Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass der Angeklagte sodann das Kind auf andere, die Qualifikation des § 176a StGB nicht erfüllende Weise missbraucht hat, ändert dies an der Beurteilung der Rücktrittsfrage nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2002 - 4 StR 520/01, NStZ-RR 2002, 168).
7
Die Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern muss deshalb aufgehoben werden. Davon wird auch die Verurteilung wegen des tateinheitlich abgeurteilten sexuellen Kindesmissbrauchs erfasst.
8
2. Im Fall II. 2. der Urteilsgründe ist gegen den Schuldspruch nichts zu erinnern. Indes begegnet der Strafausspruch durchgreifenden rechtlichen Bedenken , da das Landgericht die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nicht erörtert hat.

9
Nach den Feststellungen leidet der bislang nicht bestrafte, heute 75 Jahre alte Angeklagte an einer Herzerkrankung. Zum Zeitpunkt des Übergriffs auf das 10jährige Kind (Tat 1) war er 67 Jahre alt. Drei Jahre später erschien er an einem Vormittag mit heruntergelassener Hose im Wohnzimmer seiner 79jährigen Nachbarin, packte die Frau an den Schultern und warf sie auf das Sofa, um dort mit ihr gewaltsam sexuelle Handlungen auszuführen (Tat 2). Hierbei hatte er "einen Gesichtsausdruck, als ob er neben sich stünde, und grinste" (UA S. 4). Angesichts dieser Umstände durfte das Landgericht nicht ohne jegliche Erörterung von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgehen. Es hätte vielmehr der ausdrücklichen Prüfung bedurft, ob bei dem Angeklagten der Altersabbau bereits ein Stadium erreicht haben könnte, in dem eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschlüsse vom 6. November 1992 - 2 StR 480/92, NStZ 1993, 332, sowie vom 8. September 1993 - 3 StR 471/93, BGHR StGB § 21 Sachmangel 2; Urteil vom 13. Oktober 2005 - 5 StR 347/05, StV 2006, 13; zu den Indizien für eine hirnorganische Beeinträchtigung vgl. auch Kröber NStZ 1999, 298).
10
Der Fehler gefährdet den Schuldspruch nicht, da ausgeschlossen werden kann, dass sich der Angeklagte bei der Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit befunden hat.
Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 3 StR 476/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 3 StR 476/10

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2011 - 3 StR 476/10 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen

Referenzen - Urteile

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 528/00
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwaltes, zu Ziffer 2. auf dessen Antrag, am
30. Januar 2001 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 5. Mai 2000 im Strafausspruch hinsichtlich der Einzelstrafe von zwölf Jahren wegen versuchten Mordes mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:



Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen und wegen versuchten Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlußformel ersichtlichen Erfolg.
Mit Recht beanstandet die Revision, daß die Hauptverhandlung unter Verstoß gegen § 230 Abs. 1, § 247 Satz 1 StPO zeitweise in Abwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat (§ 338 Nr. 5 StPO). Dies ergibt sich aus folgendem :
Das Landgericht hatte den Angeklagten während der Vernehmung seiner Schwester, der Zeugin K. , gemäß § 247 Satz 1 StPO aus dem Sitzungszimmer entfernt. In Abwesenheit des Angeklagten wurde jedoch nicht nur seine Schwester vernommen, sondern während deren Aussage auch ein Brief der Zeugin an das Tatopfer A. in Augenschein genommen. Durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung wird bewiesen (§ 274 StPO), daß es sich dabei um eine förmliche Beweisaufnahme in Form der Einnahme eines richterlichen Augenscheins handelte, denn der Brief wurde laut Protokoll "mit den Beteiligten und der Zeugin K. in Augenschein genommen und erörtert". Da Umstände, die die Beweiskraft des Protokolls in Zweifel ziehen könnten, nicht ersichtlich sind, kann der Senat nicht davon ausgehen, der Brief sei der Zeugin K. im Rahmen der Vernehmung lediglich als Vernehmungsbehelf vorgehalten worden (vgl. BGH NStZ 1999, 522, 523).
Die Inaugenscheinnahme des Briefes in Abwesenheit des Angeklagten war durch den Beschluß nach § 247 StPO nicht gedeckt. Da sie auch nicht später in Anwesenheit des Angeklagten wiederholt wurde, liegt damit der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO vor. Der Senat muß sich daher nicht mit der weiteren Rüge der Revision befassen, dieser Revisionsgrund sei auch deswegen gegeben, weil der Angeklagte während der Verhandlung über die Entlassung der Zeugin noch nicht wieder im Sitzungszimmer anwesend war.
Der dargestellte Verfahrensverstoß führt hier indessen nur zur Aufhebung der gegen den Angeklagten wegen versuchten Mordes verhängten Einzelstrafe von zwölf Jahren. Auch wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 StPO gegeben ist, gefährdet dies den Bestand des angefochtenen Urteils nicht, soweit ein Einfluß des Verfahrensfehlers auf das Urteil zum Nachteil des Beschwerdeführers denkgesetzlich ausgeschlossen ist (BGH NJW 1977, 443; BGHR StPO § 338 Beruhen 1). Dies ist hier hinsichtlich des Schuldspruchs, der beiden lebenslangen Einzelfreiheitsstrafen wegen vollendeten Mordes und der lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe der Fall. Die Inaugenscheinnahme des Briefes diente allein der Aufklärung eines möglichen Tatmotivs des Angeklagten. Dieses war aber ausschließlich für die Strafzumessung wegen des versuchten Mordes von Bedeutung (vgl. BGH NStZ 1983, 375 m.w.Nachw.). Denn das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten wegen zweifachen vollendeten und eines versuchten Mordes rechtsfehlerfrei auf das Mordmerkmal der Heimtücke gestützt, für welches das Tatmotiv des Angeklagten ohne Belang war. Da für die vollendeten Morde die absolute Strafandrohung des § 211 Abs. 1 StGB gilt, konnte sich das Tatmotiv auch nicht auf die Zumessung der wegen der beiden vollendeten Delikte festzusetzenden Einzelstrafen auswirken. Ebenso bleibt die als Gesamtstrafe verhängte lebenslange Freiheitsstrafe von dem Rechtsfehler denknotwendig unberührt, da sie schon wegen der beiden lebenslangen Einzelfreiheitsstrafen zu verhängen war (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StGB). Dagegen ist nicht ausschließbar (allein fehlendes Beruhen im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO genügt wegen der Vermutung des § 338 StPO nicht), daß es sich bei der Festsetzung der wegen versuchten Mordes zu verhängenden zeitigen Einzelfreiheitsstrafe zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt hätte , wenn durch eine verfahrensfehlerfreie Beweisaufnahme möglicherweise die Beziehung zwischen dem Tatopfer A. und der Schwester des Ange-
klagten als Tatmotiv positiv festgestellt worden wäre. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer hat daher ausschließlich die wegen versuchten Mordes zu verhängende und in die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehende Einzelstrafe neu zuzumessen.
Im übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwaltes genannten Gründen keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, der zu einer weitergehenden Aufhebung des Urteils führt (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere könnte die vom Angeklagten erhobene Rüge, das Landgericht habe sich im Zusammenhang mit der Vernehmung der Zeugin K. s eine Überzeugung nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gebildet und damit gegen § 261 StPO verstoßen, aus den dargelegten Gründen ebenfalls nur zur Aufhebung der Einzelstrafe wegen versuchten Mordes führen, da das Urteil nur insoweit auf dem Verfahrensverstoß beruhen kann (§ 337 Abs. 1 StPO).
Kutzer Miebach Winkler von Lienen Becker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 347/06
vom
26. September 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
zu Ziff. 1. und 2.: wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
zu Ziff. 3.: wegen Beihilfe zur versuchten schweren räuberischen Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 26. September 2006 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 5. April 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt:
2
- den Angeklagten H. wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit unerlaubtem Führen einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren;
3
- den Angeklagten N. wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung und mit Beihilfe zum unerlaubten Führen einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und
4
- den Angeklagten M. wegen Beihilfe zur versuchten schweren räuberischen Erpressung und zum unerlaubten Führen einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
5
Ferner hat es die Einziehung eines Kraftfahrzeugs des Angeklagten H. angeordnet.
6
Die Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg.
7
Die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts der Angeklagten H. und N. von dem mittäterschaftlich begangenen Versuch der schweren räuberischen Erpressung und des Angeklagten M. von der hierzu geleisteten Beihilfe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
1. Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte H. - notfalls mit Gewalt - die Herausgabe eines Spielautomaten erzwingen, obwohl er entgegen den getroffenen Vereinbarungen den Kaufpreis nicht bezahlt hatte. Die Angeklagten N. und M. fuhren mit dem Angeklagten H. zu der Halle der Spielautomatenfirma, um den Angeklagten H. bei seinem Vorhaben zu unterstützen. Die zuvor vom Angeklagten H. beschaffte funktionsfähige Pumpgun, die mit mindestens sechs Plastikschrotpatronen geladen und gesichert war, sollte lediglich als Drohmittel eingesetzt werden. Während der Angeklagte M. zunächst in dem Pkw des Angeklagten H. , in dem die Pumpgun verblieb, wartete, gingen die Angeklagten H. und N. in die Halle. Gemeinsam versuchten sie den Verkäufer Serkan A. zur Herausgabe des Spielautomaten zu veranlassen. Der Angeklagte H. bedrohte Serkan A. und Sinan Ö. , der beschwichtigen wollte, mit einem Klappmesser. Nachdem der Angeklagte H. das Messer beiseite geworfen hatte, veranlasste er den Angeklagten N. , die Pumpgun zu holen. Als dieser mit der Waffe in die Halle zurückkehrte und sie dem Angeklagten H. aushändigte , kam der Angeklagte M. in die Halle, um durch seine Anwesenheit dazu beizutragen, dass der Angeklagte H. sein Vorhaben durchsetzen konnte. Der Angeklagte H. richtete die Waffe auf Serkan A. und Sinan Ö. . Er repetierte dreimal, so dass jeweils eine Schrotpatrone aus der Waffe ausgeworfen wurde, und schlug auf Sinan Ö. , der ihm die Waffe aus der Hand reißen wollte, mit dem Griffstück der Pumpgun ein. Um sich weiterer Angriffe zu erwehren, ergriff Sinan Ö. einen Monitor und warf ihn in Richtung des Angeklagten H. . Danach verließen die Angeklagten unter Mitnahme der noch mit mindestens drei Patronen geladenen Pumpgun die Halle.
9
2. Die Frage eines strafbefreienden Rücktritts hat das Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung nur hinsichtlich des Angeklagten H. näher erörtert und einen Rücktritt "entsprechend § 24 StGB" verneint, weil "alleiniger Grund für die Aufgabe der weiteren Tatausführung war, dass der Angeklagte H. erkennen musste und auch erkannt hat, dass er allein durch Drohungen den Automaten nicht erhalten würde. Der Zeuge Sinan Ö. , der dem Verkäufer A. zu Hilfe geeilt war, ließ sich weder durch das Messer noch die Pumpgun nachhaltig beeindrucken. Ein möglicher scharfer Schusswaffengebrauch, um doch noch das Geldspielgerät zu bekommen, war vom Angeklagten H. aber nicht beabsichtigt und gewollt. Der Versuch der Erpressung war damit mit den zur Verfügung stehenden Tatmitteln gescheitert und fehlgeschlagen".
10
Diese Begründung lässt besorgen, dass die Strafkammer dem Tatplan für die Beurteilung der Rücktrittsfrage eine Bedeutung zugemessen hat, die ihr nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mehr zukommt (vgl. BGHSt 31, 170, 175; 35, 90, 93; 39, 221, 227). Entscheidend ist danach nicht, ob der Angeklagte seinen ursprünglichen Tatplan nicht verwirklichen konnte, sondern ob ihm infolge einer Veränderung der Handlungssituation oder aufkommender innerer Hemmungen das Erreichen seines Zieles nicht mehr möglich erschien. War der Angeklagte aber noch Herr seiner Entschlüsse, hielt er die Ausführung der Tat - wenn auch mit anderen Mitteln - noch für möglich , dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Angeklagte aus sittlich billigenswerten Motiven oder aus anderen Gründen von weiteren Angriffen absah (vgl. BGH StV 1993, 189; StV 2003, 217, jew. m.w.N.).
11
Die Frage, ob nach den vorgenannten Grundsätzen ein fehlgeschlagener Versuch, oder was nach den bisherigen Feststellungen nahe liegt, ein unbeendeter Versuch vorliegt, hätte gemäß § 28 Abs. 2 StGB für jeden Angeklagten gesonderter Prüfung bedurft. Zwar haben die Angeklagten H. und N. als Mittäter und der Angeklagte M. als Gehilfe gehandelt, so dass die Vorschrift des § 24 Abs. 2 StGB zu erörtern war. Auch wenn danach der Rücktritt eines Tatbeteiligten nicht ohne Weiteres zu Gunsten anderer Tatbeteiligter wirkt, kann es hierfür jedoch ausreichen, wenn die Tatbeteiligten nach unbeendetem Versuch einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie dies hätten tun können (vgl. BGHSt 42, 158, 162; 44, 204, 208; BGH StraFo 2003, 207), wobei es ausreicht, dass ein Tatbeteiligter mit dem die Tatvollendung verhindernden Rücktritt eines anderen Tatbeteiligten einverstanden ist (vgl. BGHSt 44, 204, 208 m.w.N.). Da nach den bisherigen Feststellungen, auch soweit es die Angeklagten N. und M. betrifft, die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts in Betracht kommt, bedarf die Sache insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
VRi'inBGH Dr. Tepperwien RiBGH Maatz ist Athing ist krankheitsbedingt an der urlaubsbedingt an der Unterzeichnung gehindert. Unterzeichnung gehindert. Athing Athing
Solin-Stojanović Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 257/09
vom
9. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.;
hier: Revision des Angeklagten S. Ö.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 9. Juli 2009 gemäß § 349 Abs. 4,
§ 357 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten S. Ö. wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 13. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben, auch soweit es den Angeklagten O. Ö. betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten S. Ö. , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten S. Ö. und O. Ö. der versuchten schweren räuberischen Erpressung und des Diebstahls schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten S. Ö. zu einer Jugendstrafe von neun Monaten und den Angeklagten O. Ö. zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten S. Ö. hat mit der Sachrüge Erfolg. Sein Rechtsmittel führt nach § 357 StPO auch zur Aufhebung der Verurteilung des Mitangeklagten O. Ö. .

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kamen die Angeklagten überein, ein Lebensmittelgeschäft zu überfallen. Sie beabsichtigten, die Inhabe- rin durch Bedrohung mit einem Klappmesser zur Herausgabe von Geld zu veranlassen ; einen "über die Drohung hinausgehenden Einsatz des Messers zum Zwecke der Verletzung anderer Personen schlossen sie jedoch von vornherein in jedem Fall aus". Nach dem Betreten des Geschäfts ging der Angeklagte O. Ö. zur Theke, hielt der Inhaberin das Messer vor und sagte "Geld her". Als die Inhaberin resolut entgegnete "ihr kriegt hier nichts", entschlossen sich beide Angeklagte, das Geschäft unverrichteter Dinge zu verlassen. Beim Hinausgehen entnahm der Angeklagte S. Ö. im Einverständnis mit dem Mitangeklagten zwei Zigarettenschachteln aus einem Regal und steckte sie ein.
3
2. Auf dieser Grundlage kann der Schuldspruch wegen schwerer räuberischer Erpressung keinen Bestand haben. Die Feststellungen legen die Möglichkeit nahe, dass die Angeklagten mit strafbefreiender Wirkung vom Erpressungsversuch zurückgetreten sein könnten (§ 24 Abs. 2 Satz 1 StGB). Hiermit hat sich das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht auseinandergesetzt.
4
a) Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB werden bei Tatbeteiligung mehrerer diejenigen Beteiligten nicht wegen Versuchs bestraft, die freiwillig die Tatvollendung verhindern. Hierfür kann es genügen, wenn Mittäter im Falle eines unbeendeten Versuchs einvernehmlich nicht mehr weiterhandeln, obwohl sie dies tun könnten (BGHSt 42, 158, 162; BGH NStZ 2007, 91, 92 m. w. N.). Dies gilt zwar dann nicht, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist. Das ist aber nur dann der Fall, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv - sei es auch nur wegen aufkommender innerer Hemmungen (BGH NStZ 2007, 91) - die Vollendung nicht mehr für möglich hält; abzustellen ist daher nicht auf den ursprünglichen Tatplan, sondern auf den Erkenntnishorizont des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (BGH NStZ 2008, 393). Ein Fehlschlag liegt nicht bereits darin, dass der Täter die Vorstellung hat, er müsse , um den Erfolg herbeizuführen, von seinem Tatplan abweichen. Hält er vielmehr die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich, wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH NStZ 2007, 91). Fehlgeschlagen ist der Versuch erst, wenn der Täter erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs (BGHSt 39, 221, 232; 41, 368, 369). Der ursprüngliche Tatplan kann je nach Fallgestaltung nur insoweit eine Rolle für den Erkenntnishorizont des Täters spielen, als die von ihm nach dem Scheitern seiner bisherigen Bemühungen erkannte Notwendigkeit , Tathandlung und -ablauf grundlegend zu ändern oder ein ganz anderes als das bisher verwendete Tatmittel einzusetzen, ein gewichtiges Indiz dafür darstellen kann, dass aus seiner Sicht der Versuch fehlgeschlagen ist (vgl. BGH NStZ 2008, 393).
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b) Zu den Vorstellungen der Angeklagten nach Misslingen des zunächst ins Auge gefassten Tatablaufs - nach der Weigerung der Geschädigten, Geld herauszugeben - teilt das Urteil nichts mit. Selbst wenn die Feststellungen des Landgerichts dahin zu verstehen sein sollten, dass die Angeklagten unüberwindliche Hemmungen hatten, das Messer über ein bloßes Mittel der Bedrohung hinaus einzusetzen, und insoweit nicht Herr ihrer Entschlüsse waren, verstünde es sich indes nicht von selbst, dass sie keine weitere Handlungsalternative mehr sahen, mit der sie im unmittelbaren Fortgang noch hätten zur Tatvollendung gelangen können. Insbesondere lässt die Feststellung, der Angeklagte O. Ö. habe der Geschädigten das Messer "vorgehalten", nicht erkennen, welche Intensität die Bedrohung bereits erreicht hatte. Ein fehlgeschlagener Versuch ist damit nicht belegt.
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3. Um dem Landgericht in Anbetracht des eng zusammenhängenden Geschehensablaufs insgesamt neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat das Urteil auch hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Diebstahls auf.

II.


7
In Bezug auf den Mitangeklagten O. Ö. hat der Senat nach § 357 Satz 1 StPO so zu erkennen, als ob dieser gleichfalls Revision eingelegt hätte. Das Urteil gegen diesen beruht auf demselben sachlich-rechtlichen Mangel, an dem auch der Schuldspruch gegen den Beschwerdeführer leidet.
8
Eine Entscheidung nach §§ 357 Satz 2, 47 Abs. 3 StPO ist nicht veranlasst , da das Landgericht den Haftbefehl gegen den Angeklagten O. Ö. bereits vor Eintritt der Rechtskraft aufgehoben hat.
Becker von Lienen Sost-Scheible RiBGH Dr. Schäfer ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Becker Mayer

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

5 StR 347/05

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 13. Oktober 2005
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Oktober
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 30. März 2005 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e 1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 38 Fällen, davon in zwölf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Nach den Feststellungen des Landgerichts missbrauchte der Angeklagte im Zeitraum von April 1998 bis zum 23. Februar 2001 seine zu den Tatzeiten zehn- bis 13-jährigen Enkelinnen sexuell. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Rechtsfolgenausspruch. Mit einer Verfahrensrüge und der allgemeinen Sachrüge greift er die Nichtberücksichtigung von Strafmilderungsgründen an. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 15. August 2005 ausgeführt: „Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, da das Landgericht seinem Urteil ohne jegliche Erörterung die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten zugrunde gelegt hat.
Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass bei Ersttätern im vorgerückten Alter im Bereich des Sexualstrafrechts die Frage der erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) infolge altersbedingter psychischer Veränderungen zu erörtern ist (vgl. u. a. BGH NJW 1964, 2213; BGHR StGB § 21 Sachmangel 1, 2, 3; Sachverständiger 5; Senat, Urteil vom 25. April 1995 – 5 StR 148/95 –; Beschluss vom 12. Juli 1995 – 5 StR 297/95 –; Beschluss vom 6. September 1995 – 3 StR 339/95 –; Beschluss vom 11. Januar 2005 – 3 StR 450/04; s. a. BGHR StGB § 21 Sachverständiger 6; StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 8; BGH NStZ 1983, 34).
So liegt der Fall auch hier. Der nicht vorbestrafte Angeklagte war zu Beginn der Missbrauchsfälle 63 Jahre alt. Im sexuellen Bereich sind zuvor keine Auffälligkeiten festgestellt worden. Die Kammer hat zur gesundheitlichen Situation angeführt, dass der Angeklagte seit etwa 1987 an Depressionen leide, welche mit Medikamenten behandelt werden.
Über den Strafausspruch ist daher insgesamt neu zu entscheiden. Nach den getroffenen Feststellungen ist auszuschließen, dass der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldunfähig war.
Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, ob zur Beurteilung der Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten ein Sachverständiger mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiete des Alters- abbaus in Anspruch zu nehmen sein wird (vgl. u. a. BGH StV 1989, 102; 1994, 14; Kröber, NStZ 1999, 298, 299).“ Der Senat vermag sich diesen Ausführungen nicht zu verschließen.
3. Danach kommt es auf die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, die Strafkammer habe eine Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzende rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in den Urteilsgründen nicht erörtert und bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt, nicht mehr an. Sollte die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer insgesamt eine von Justizorganen zu vertretende schwerwiegende Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes feststellen, läge ein weiterer selbständiger Strafmilderungsgrund vor. In diesem Fall wäre das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (st. Rspr., vgl. zusammenfassend BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13 m.w.N.).
Harms Basdorf Gerhardt Raum Schaal