Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juli 2019 - 3 StR 498/18

bei uns veröffentlicht am23.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 498/18
vom
23. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
ECLI:DE:BGH:2019:230719B3STR498.18.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am23. Juli 2019 gemäß §§ 44, 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung von Verfahrensrügen für die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 25. Januar 2018 wird zurückgewiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten haben sowohl Rechtsanwalt B. als auch Rechtsanwalt S. mit der allgemeinen Sachrüge rechtzeitig begründet. Erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat Rechtsanwalt T. mehrere Verfahrensrügen sowie eine nicht näher ausgeführte Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Nachdem der Generalbun- desanwalt auf die Unzulässigkeit der von Rechtsanwalt T. nicht fristgerecht ausgeführten Verfahrensrügen hingewiesen hatte, hat dieser Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur - ergänzenden - Revisionsbegründung beantragt.
2
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist dahin auszulegen, dass der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein begehrt, um trotz Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist Verfahrensrügen anzubringen. Da der Senat bereits aufgrund der Sachbeschwerden der weiteren Verteidiger eine umfassende materiell-rechtliche Nachprüfung des Urteils vorzunehmen hat, ist die Fristversäumung insoweit ohne Belang (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 - 3 StR 525/18, juris Rn. 2).
3
2. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig, weil die Revision des Angeklagten infolge der durch Rechtsanwälte B. und S. rechtzeitig erhobenen allgemeinen Sachrügen form- und fristgerecht begründet worden ist. Dass der Angeklagte durch drei Rechtsanwälte verteidigt wird, von denen zwei die Sachrüge fristgerecht erhoben haben, der dritte aber die Frist zur Geltendmachung von Verfahrensbeschwerden versäumt hat, ändert hieran nichts; denn es handelt sich bei der Revision des Angeklagten unabhängig von der Zahl seiner Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist. Eine von der Rechtsprechung anerkannte besondere Verfahrenslage , in der die Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensbeanstandungen ausnahmsweise gewährt werden kann, liegt nicht vor. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn dies - anders als hier - zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 - 3 StR 239/08, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 14 Rn. 2; vom 19. Februar 2019 - 3 StR 525/18, juris Rn. 3).
4
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Schäfer Gericke Spaniol Berg Hoch

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juli 2019 - 3 StR 498/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juli 2019 - 3 StR 498/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Juli 2019 - 3 StR 498/18 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Feb. 2019 - 3 StR 525/18

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Referenzen

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

2
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist dahin auszulegen, dass der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein begehrt, um trotz Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist die weiteren Verfahrensrügen anzubringen. Da der Senat die Verfahrensvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen und im Rahmen der bereits auf die allgemeine Sachbeschwerde gebotenen umfassenden Nachprüfung des Urteils die verspätet eingegangenen materiellrechtlichen Beanstandungen zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01, juris Rn. 2), ist die Fristversäumung insoweit ohne Belang.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 239/08
vom
10. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur versuchten Erpressung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 10. Juli
2008 gemäß §§ 44, 46, 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung von Verfahrensrügen wird zurückgewiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. November 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur versuchten Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat Rechtsanwältin L. am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Zwei Tage nach Ablauf der Frist hat Rechtsanwalt K. , der mit Rechtsanwältin L. in einer Sozietät zusammen arbeitet, für den Angeklagten zwei Verfahrensrügen erhoben und die Sachrüge näher ausgeführt. Am selben Tag hat der Angeklagte durch Rechtsanwalt K. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Hinblick auf die Verfahrensrügen beantragt, weil er infolge eines Bü- roversehens in der Kanzlei seiner Verteidiger, in der die Revisionsbegründungsfrist falsch notiert worden sei, diese unverschuldet versäumt habe.
2
1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig, weil die Revision des Angeklagten infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 3, 7). Dass der Angeklagte durch zwei Rechtsanwälte verteidigt wird, von denen einer die Sachrüge fristgerecht erhoben, der andere aber die Frist zur Geltendmachung von Verfahrensbeschwerden versäumt hat, ändert hieran nichts. Denn es handelt sich bei der Revision des Angeklagten unabhängig von der Zahl seiner Verteidiger um ein einheitliches Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist (BGH StV 2008, 301; Beschl. vom 7. Mai 2004 - 2 StR 458/03). Eine von der Rechtsprechung anerkannte besondere Verfahrenslage, in der die Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensrügen ausnahmsweise gewährt werden kann, liegt nicht vor. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn dies zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschl. vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07). Dies ist hier nicht der Fall. Soweit sich der Angeklagte demgegenüber auf den Beschluss des Senats vom 13. September 2000 (3 StR 342/00 = bei Becker NStZ-RR 2001, 259 Nr. 6) beruft, übersieht er, dass dort die fertiggestellte Revisionsbegründung bereits am letzten Tag der Revisionsbegründungsfrist vollständig vorlag und es lediglich aufgrund eines Büroversehens unterblieb , deren zweiten Teil noch vor Fristablauf per Telefax an das Gericht zu übermitteln. Es handelt sich mithin um einen nicht vergleichbaren Sachverhalt.
3
Danach kann dahinstehen, ob angesichts der Auffälligkeiten des vorliegenden Falles - die in der selben Sozietät arbeitende zweite Verteidigerin übersendet ihre Revisionsbegründung mit der Sachrüge genau am Tag des Fristablaufs , obwohl in der Kanzlei die Frist falsch notiert worden sein soll - die Wiedereinsetzungsgründe hinreichend glaubhaft gemacht sind.
4
2. Die Verfahrensrügen hätten im Übrigen auch in der Sache keinen Erfolg :
5
Die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Verhandlung waren trotz der widersprüchlichen Beschilderung am Eingang zum Sitzungssaal am 31. Juli 2007 gewährleistet. Denn die Wachtmeister, die die Zugangskontrollen durchführten , dirigierten die Zuschauer und die auf freiem Fuß befindlichen Verfahrensbeteiligten zur Tür des Verhandlungssaales, falls eine Unsicherheit auftrat.
6
Das in der Sitzung vom 31. August 2007 gestellte Befangenheitsgesuch hat die Strafkammer in der gemäß § 27 Abs. 1 StPO zuständigen Besetzung mit zutreffender Begründung zurückgewiesen (vgl. BGHR StPO § 268 Abs. 2 Verlesen der Gründe 1).
7
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dabei hat der Senat - wie auch der Generalbundesanwalt - die die Sachbeschwerde betreffenden Ausführungen aus der verspäteten Revisionsbegründung berücksichtigt.
RiBGH Pfister befindet sich im Urlaubundistdahergehindert zuunterschreiben. Becker Miebach Becker von Lienen Sost-Scheible

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

2
1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist dahin auszulegen, dass der Angeklagte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein begehrt, um trotz Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist die weiteren Verfahrensrügen anzubringen. Da der Senat die Verfahrensvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen und im Rahmen der bereits auf die allgemeine Sachbeschwerde gebotenen umfassenden Nachprüfung des Urteils die verspätet eingegangenen materiellrechtlichen Beanstandungen zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01, juris Rn. 2), ist die Fristversäumung insoweit ohne Belang.