Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Apr. 2011 - 3 StR 66/11

bei uns veröffentlicht am05.04.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 66/11
vom
5. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 5. April 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 2. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen ging die Angeklagte am frühen Morgen des 1. Juni 2009 gegen 6.30 Uhr zu Fuß in Richtung ihrer Wohnung und überholte dabei den angetrunkenen Zeugen K. , von dem sie angesprochen wurde. Sie war wütend, reagierte gereizt und sagte dem Mann, er solle sie in Ruhe lassen. Es kam zwischen den Kontrahenten zu einem Wortwechsel mit gegenseitigen Beleidigungen. Als der Zeuge K. auf sie zutrat, zog die Angeklagte in der Annahme, sie werde geschlagen, ein Taschenmesser mit einer ca. 4,5 cm langen Klinge. Entgegen ihrer Erwartung bedrängte sie der Zeuge weiter. Es entwickelte sich ein Handgemenge, bei dem die Kopfhörer ihres MP3Players zerstört wurden und K. eine überwiegend oberflächliche Schnittverletzung an der linken Unterarmseite erlitt. Anschließend nahm die Angeklagte das auf den Boden gefallene Mobiltelefon des Zeugen an sich und erklärte, sie werde dieses erst herausgeben, wenn dieser für die zerstörten Kopfhörer Schadensersatz leiste. Dann setzte sie ihren Weg nach Hause fort.
3
Der Zeuge K. folgte der Angeklagten und verlangte von ihr immer wieder die Herausgabe seines Mobiltelefons. Die Angeklagte erwiderte, er bekomme es nur zurück, wenn er ihren Schaden ersetze. Beide Kontrahenten erwogen auch, zu einer nahe gelegenen Polizeistation zu gehen. Die Angeklagte drehte sich immer wieder um und zeigte K. das Messer, um ihn auf Abstand zu halten. Vor dem Haus, in dem sie wohnte, trat der Zeuge an sie heran und versuchte, ihr das Messer aus der Hand zu treten, um sein Mobiltelefon wieder an sich bringen zu können. Es entwickelte sich eine Auseinandersetzung , bei der der Zeuge der Angeklagten eine Verletzung im Gesicht zufügte. Diese stach schließlich mit dem Taschenmesser in die Brust des Zeugen, der eine potentiell lebensgefährliche Verletzung erlitt. Nach dem Stich warf die Angeklagte das Messer Weg und lief, von dem Geschädigten verfolgt, in ihre Wohnung. Bei Begehung der Tat war sie wegen einer Mischintoxikation aus Alkohol (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit maximal 1,52 ‰) und Cannabis im Zusammenwirken mit akzentuierten Persönlichkeitszügen in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
4
Das Landgericht hat einen bedingten Tötungsvorsatz sowie einen direkten Körperverletzungsvorsatz bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass die An- geklagte vom unbeendeten Versuch des Totschlags mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist.
5
2. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) nicht. Das Landgericht hat nicht geprüft, ob der Messerstich durch Notwehr gerechtfertigt war oder die Angeklagte ohne Schuld handelte. Hierzu bestand nach dem festgestellten Sachverhalt indes Anlass. Im Einzelnen:
6
a) Die Wegnahme des Mobiltelefons durch die Angeklagte kann möglicherweise durch Selbsthilfe gemäß § 229 BGB (vgl. zu deren Voraussetzungen im Einzelnen Staudinger/Repgen, BGB, Neubearb. 2009, § 229 Rn. 10 ff., 17 ff., 21 ff., 35 ff.; LK/Rönnau, StGB, 12. Aufl., vor § 32 Rn. 270 f.) gerechtfertigt gewesen sein. Danach handelt u.a. derjenige, der zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Einschreiten die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung eines Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Derjenige, dem ein Schaden zugefügt worden ist, kann grundsätzlich von einem unbekannten Schadensverursacher verlangen, zur eventuellen gerichtlichen Klärung des Schadensersatzanspruches die Personalien bekannt zu geben. Zur Sicherung dieses Anspruchs steht ihm unter den Voraussetzungen des § 229 BGB ein Festnahmerecht zu, wenn die Gefahr besteht, dass sich dieser der Feststellung seiner Personalien durch Flucht entziehen will. Um die Identifizierung eines fluchtverdächtigen Schuldners mit Namen und ladungsfähiger Anschrift zu ermöglichen und dadurch dessen Festnahme zu vermeiden, darf der Geschädigte grundsätzlich im Wege der Selbsthilfe eine dem Schuldner gehörende Sache wegnehmen (Staudinger/Repgen, aaO, § 229 Rn. 35 und § 230 Rn. 1; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., § 229 Rn. 12).
7
Auf der Grundlage der Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagten objektiv ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen den Zeugen K. zustand. Denn dieser war auf die Angeklagte losgegangen und hatte sie gegen ihren Willen in ein Handgemenge verwickelt, bei dem der Kopfhörer ihres MP3-Players zerstört wurde. Daraufhin nahm die Angeklagte das Mobiltelefon an sich, um - wie sich aus ihren Äußerungen ergibt - Schadensersatz zu erlangen. Sofortige obrigkeitliche Hilfe durch die Polizei war für sie jedenfalls zum Zeitpunkt der Wegnahme des Mobiltelefons nicht zu erreichen , weil die Gefahr bestand, dass sich der Zeuge alsbald entfernte und deshalb der Schadensersatzanspruch gegen ihn nicht durchgesetzt werden konnte.
8
b) Sollte die Angeklagte das Mobiltelefon durch erlaubte Selbsthilfe (§ 229 BGB) an sich genommen haben, so könnte der von ihr gesetzte Messerstich möglicherweise durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt gewesen sein. Die Wegnahme einer Sache im Wege erlaubter Selbsthilfe ist rechtmäßig, sodass gegen sie kein Notwehrrecht besteht (Fischer, StGB, 58. Aufl., § 32 Rn. 22 mwN; Soergel/Wolf, aaO, § 229 Rn. 20, 24; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 229 Rn. 9). Insbesondere stellt sie sich - da das Gesetz die Wegnahme gestattet - nicht als verbotene Eigenmacht gemäß § 858 Abs. 1 BGB dar. Da im Falle erlaubter Selbsthilfe der Schuldner verpflichtet ist, die Selbsthilfehandlung hinzunehmen, könnte der Versuch des Zeugen K. , der Angeklagten das Mobiltelefon mit Gewalt wieder abzunehmen, ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff gewesen sein, gegen den sie sich im Rahmen des Erforderlichen und Gebotenen verteidigen durfte (HansOLG Hamburg, Urteil vom 14. April 1969 - 8 U 91/68, MDR 1969, 759; Staudinger/Repgen, aaO, § 229 Rn. 36, 38; Soergel /Wolf, aaO, § 229 Rn. 20).
9
c) Selbst wenn das Verhalten der Angeklagten nicht durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sein sollte, könnte sie irrig von den tatsächlichen Voraussetzungen einer Notwehrsituation ausgegangen sein (vgl. Fischer, aaO, § 32 Rn. 50 f.), einem Verbotsirrtums (vgl. Fischer, aaO, § 32 Rn. 52) unterlegen sein oder wegen eines intensiven Notwehrexzesses (§ 33 StGB) ohne Schuld gehandelt haben.
10
d) Ob eine der dargestellten Möglichkeiten vorliegend in Betracht kommt, kann der Senat anhand der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen. Diese sind sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht lückenhaft, sodass ihm eine rechtliche Bewertung aufgrund einer gesicherten Tatsachengrundlage verwehrt ist. Die zunächst berechtigte Selbsthilfe könnte etwa objektiv dadurch unerlaubt geworden sein, dass die Angeklagte nicht unverzüglich zu der nahe gelegenen Polizeistation gegangen ist, um mit Hilfe der Polizei die Personalien des Zeugen K. festzustellen. Aus welchen Gründen sie davon abgesehen hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Da die Angeklagte den Einsatz des Messers gegen den unbewaffneten Zeugen zuvor mehrmals angedroht hatte, fehlt es jedenfalls nicht von vorneherein an der Erforderlichkeit der Verteidigung.
11
3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
12
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass allein aus der Kenntnis des Täters von der Lebensgefährlichkeit einer Handlung nicht ohne Weiteres auf die billigende Inkaufnahme des Todes geschlossen werden kann. Vielmehr ist in Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit eine umfassende Würdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erforderlich. Wegen der regelmäßig hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung sind vor allem auch die konkrete Angriffsweise und Tatsituation sowie die psychische Verfassung des Täters sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung einzubeziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 62; Fischer, aaO, § 212 Rn. 6, 7 ff. mwN).
Becker Pfister von Lienen Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Apr. 2011 - 3 StR 66/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Apr. 2011 - 3 StR 66/11

Referenzen - Gesetze

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di
Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Apr. 2011 - 3 StR 66/11 zitiert 11 §§.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 858 Verbotene Eigenmacht


(1) Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht). (2) Der durch verbotene Eigenmacht erlangte B

Strafgesetzbuch - StGB | § 33 Überschreitung der Notwehr


Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 229 Selbsthilfe


Wer zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser

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Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Mai 2008 - 3 StR 142/08

bei uns veröffentlicht am 08.05.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 142/08 vom 8. Mai 2008 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO eins

Referenzen

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wer zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Wer zum Zwecke der Selbsthilfe eine Sache wegnimmt, zerstört oder beschädigt oder wer zum Zwecke der Selbsthilfe einen Verpflichteten, welcher der Flucht verdächtig ist, festnimmt oder den Widerstand des Verpflichteten gegen eine Handlung, die dieser zu dulden verpflichtet ist, beseitigt, handelt nicht widerrechtlich, wenn obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

(1) Wer dem Besitzer ohne dessen Willen den Besitz entzieht oder ihn im Besitz stört, handelt, sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet, widerrechtlich (verbotene Eigenmacht).

(2) Der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz ist fehlerhaft. Die Fehlerhaftigkeit muss der Nachfolger im Besitz gegen sich gelten lassen, wenn er Erbe des Besitzers ist oder die Fehlerhaftigkeit des Besitzes seines Vorgängers bei dem Erwerb kennt.

Überschreitet der Täter die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken, so wird er nicht bestraft.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 142/08
vom
8. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 21. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (Tötung aus niedrigen Beweggründen) zur Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
3
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet; vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4). Dabei wird in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommen wird, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Wird das Opfer in einer Weise verletzt , die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt (vgl. BGHR aaO 35 und 51), so liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHR aaO 57; BGH NStZ 2007, 150). Dass eine Hand- lung generell geeignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, macht hingegen eine sorgfältige Prüfung des bedingten Vorsatzes nicht entbehrlich. Der Schluss auf - bedingten - Tötungsvorsatz ist daher in solchen Fällen nur rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch diejenigen Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 50).
4
b) Gemessen daran ist der von der Schwurgerichtskammer allein aus der Art der Tatausführung - sechs mit voller Kraft geführte Hiebe mit einer 75 cm langen und gut ein Kilo schweren Eisenstange auf den Rumpf des Opfers - gezogene Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten schon für sich nicht tragfähig. Schläge auf den Rumpf eines Menschen führen grundsätzlich nicht ohne weiteres zu Verletzungen, die wegen ihrer Gefährlichkeit mit hoher oder gar sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. Dies gilt auch für die hier festgestellten Hiebe: Das Opfer hat im Wesentlichen Knochenbrüche im Bereich der Rippen, des Oberkörpers und an den Armen sowie großflächige Hämatome erlitten, war über mehrere Stunden nach der Tat bei Bewusstsein sowie ansprechbar und verstarb (erst) etwa drei Wochen später nach einer Lungenentzündung. Keinesfalls genügt den Anforderungen daher die pauschale Annahme des Landgerichts, dass ein Täter, der auf einem anderen in der festgestellten Art und Weise einschlage, eine für jedermann ersichtlich lebensbedrohliche Handlung vornehme und daher zumindest in der Weise mit Tötungsvorsatz handele, dass er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechne und sich mit dem Tod des Opfers abfinde, und zwar bereits bei dem ersten heftigen Schlag. Diese Begründung lässt vielmehr besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes bereits die abstrakte Lebensgefährlichkeit der Tathandlungen falsch eingeschätzt und zudem die konkreten Folgen der ausgeführten Schläge nicht genügend in den Blick genommen hat.
5
Hinzu kommt, dass das Landgericht weitere maßgebliche Umstände, die gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes, insbesondere des voluntativen Vorsatzelements, sprechen könnten, nicht in die anzustellende Gesamtabwägung einbezogen hat. Insoweit lassen die Erwägungen des Landgerichts namentlich die Berücksichtigung der Tatentstehung und des Nachtatverhaltens des Angeklagten vermissen. Das Landgericht hat bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes nicht bedacht, dass die Tathandlungen ihren Ausgangspunkt in einem strafbaren Verhalten des in der Wohnung des Angeklagten von diesem beherbergten Opfers hatten, dieses den Angeklagten auch zwischen den einzelnen Schlagserien mehrfach zur Wut provozierte und Täter wie Opfer dem Trinkermilieu angehörten. Ferner lässt das Landgericht unberücksichtigt, dass der Angeklagte bereits kurz nach der Tat einen Notruf absetzen wollte und in den folgenden etwa sieben Stunden mehrere Nachbarn hilfesuchend ansprach sowie schließlich selbst den Rettungsdienst herbeirief, wobei er allein wegen seiner Furcht vor Bestrafung so lange gezögert hatte. Schließlich hat das Landgericht die hohe Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit (3,55 o/oo lediglich im Zusammenhang mit der Frage erörtert, ob der Angeklagte deswegen daran gehindert war, die Lebensgefährlichkeit seines Handelns zu erkennen. Dieser Umstand hätte indes auch bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelementes Berücksichtigung finden müssen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 55).
6
Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung.
7
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum einen (bedingten) Tötungsvorsatz bejahen, so wird er bei der Prüfung der Frage, ob die Tötung aus niedrigen Beweggründen begangen wurde, alle für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit (st. Rspr.; vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 9 m.
w. N.) umfassend in den Blick nehmen müssen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen liegt es fern, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB gehandelt haben könnte. RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Becker Kolz Hubert Schäfer

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.