Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2011 - 4 ARs 27/10

bei uns veröffentlicht am18.01.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs 27/10
vom
18. Januar 2011
in den Maßregelvollstreckungssachen
gegen
1.
- 5 StR 394/10 -
2.
- 5 StR 440/10 -
3.
- 5 StR 474/10 -
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 9. November 2010
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Januar 2011 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 4. Strafsenats, der an dieser fest hält.

Gründe:


1
Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:
2
Aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihrer Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ergibt sich für die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keine die Rückwirkung generell hindernde andere Bestimmung im Sinne des § 2 Abs. 6 StGB.
3
Er hat daher mit Beschluss vom 9. November 2010 beim 4. Strafsenat angefragt, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, bei den anderen Strafsenaten, ob dieser Rechtsauffassung zugestimmt wird.
4
Der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats entgegen (Beschluss vom 12. Mai 2010 – 4 StR 577/09, EuGRZ 2010, 359 = NStZ 2010, 567). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest und bemerkt ergänzend:
5
1. Die Ausführungen im Anfragebeschluss zur Beachtlichkeit des Willens des innerstaatlichen Gesetzgebers vermögen nicht zu überzeugen.
6
Ohne eine entsprechende, ausdrückliche Aussage des Bundesgesetzgebers ist die Annahme, dass sich dieser mit neuem innerstaatlichem Recht über die durch Ratifizierung der MRK übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland hinwegsetzen wollte, nicht gerechtfertigt. Nur wenn feststehen würde, dass insoweit eine eindeutige Abweichung gewollt war, würde einer Konventionsregelung eine abweichende, innerstaatliche Regelung trotz Verstoßes gegen Völkerrecht vorgehen (vgl. dazu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Einf. MRK/IPBPR Rn. 43 m.w.N.). Abgesehen davon, dass eine solche Annahme schon im Hinblick auf die verfassungsrechtlich verankerte Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechts- und Verfassungsordnung fern liegt (vgl. dazu Streintz in Sachs, GG, 5. Aufl., Art. 24 Rn. 6; Art. 25 Rn. 9 sowie Art. 59 Rn. 65a), ergeben die vom anfragenden Senat in Bezug genommenen Gesetzesmaterialien aus den Beratungen zum 2. Strafrechtsreformgesetz dafür keinen Anhalt. Der Gesetzgeber war lediglich der Auffassung, die getroffene Regelung verstoße im Ergebnis nicht gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK; der Wille zur bewussten Missachtung dieser Gewährleistung der Konvention kann den Materialien nicht entnommen werden. Dies widerspräche im Übrigen Art. 27 Satz 1 des Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (VtrRKonvG), wonach kein Vertragsstaat völkervertragsrechtlich übernommene Verpflichtungen unter Berufung auf innerstaatliches Recht missachten darf. Ein abweichender Wille des historischen Gesetzgebers wäre außerdem spätestens durch das Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl I S. 2300) als überholt anzusehen.
7
Abschließend verweist der Senat in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen in der jüngst ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zur Reichweite des konventionsrechtlichen Rückwirkungsverbotes im Recht der Sicherungsverwahrung , in denen auf die Verpflichtung der einzelnen Staaten zur Beseitigung von Konventionsverstößen in Parallelfällen hingewiesen wird (EGMR, Urteil vom 13. Januar 2011, K. gegen Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17792/07, Tz. 78 – 83).
8
2. Eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der eine Rückwirkung enthaltenden Regelungen zur Sicherungsverwahrung in ihrer hier anzuwendenden Fassung mit dem Grundgesetz bleibt dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2011 - 4 ARs 27/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2011 - 4 ARs 27/10

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena
Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2011 - 4 ARs 27/10 zitiert 5 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


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Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Mai 2010 - 4 StR 577/09

bei uns veröffentlicht am 12.05.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 577/09 vom 12. Mai 2010 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
8 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Jan. 2011 - 4 ARs 27/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2011 - 5 StR 474/10

bei uns veröffentlicht am 23.05.2011

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB § 2 Abs. 6, § 67d Abs. 3 Satz 1 In Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Ge

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2011 - 5 StR 440/10

bei uns veröffentlicht am 23.05.2011

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB § 2 Abs. 6, § 67d Abs. 3 Satz 1 In Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Ge

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2011 - 5 StR 394/10

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Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB § 2 Abs. 6, § 67d Abs. 3 Satz 1 In Fällen, in denen die erstmalige Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung wegen Taten angeordnet wurde, die vor Inkrafttreten des Ge

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2011 - 4 StR 650/10

bei uns veröffentlicht am 20.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 650/10 vom 20. Januar 2011 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu Ziff. 1 auf dessen Antrag, am 20. J

Referenzen

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 577/09
vom
12. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. Mai 2010 gemäß §§ 349
Abs. 4, 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Betroffenen wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juli 2009 aufgehoben.
2. Der Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt dem Landgericht vorbehalten.
4. Der Unterbringungsbefehl des Landgerichts Saarbrücken vom 15. Juni 2007 wird aufgehoben. Der Betroffene ist in dieser Sache sofort auf freien Fuß zu setzen.
5. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Rechtsmittelkosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:


1
Das Landgericht Saarbrücken hat mit Urteil vom 17. Juli 2009 gegen den Betroffenen (erneut) die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwah- rung gemäß § 66 b Abs. 3 StGB angeordnet. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts; das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Der wiederholt, unter anderem wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung vorbestrafte Betroffene war durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989 wegen vorsätzlichen Vollrausches zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hatte das Landgericht seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Der Verurteilte hatte nach Ansicht der damals erkennenden Strafkammer in einem Rausch jedenfalls die Tatbestände der Körperverletzung und des versuchten Totschlags durch Unterlassen verwirklicht. Die Anordnung der Maßregel hatte das Landgericht damit begründet, dass der Verurteilte auf Grund einer Persönlichkeitsstörung zur Begehung schwerster , sexuell motivierter Straftaten neige.
3
Durch Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 wurde in einem Sicherungsverfahren erneut die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gegenstand dieses Verfahrens war eine gefährliche Körperverletzung, die der Verurteilte am 23. Februar 1990 während einer Flucht aus dem Maßregelvollzug begangen hatte.
4
Der Verurteilte befand sich anschließend nahezu ununterbrochen im Maßregelvollzug. Mit Beschluss vom 28. November 2005 erklärte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Saarbrücken gemäß § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB beide Unterbringungsanordnungen für erledigt, da ein Zustand im Sinne des § 20 StGB nicht (mehr) gegeben sei; gleichwohl sei der Verurteilte weiterhin als gefährlich für die Allgemeinheit einzustufen. Seit dem 23. Dezember 2005 befand sich der Verurteilte sodann in Strafhaft. Er verbüßte bis zum 22. Juni 2007 die Restfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 28. September 1989. Seitdem ist er einstweilen untergebracht (§ 275 a Abs. 5 StPO).
5
Mit Urteil vom 4. April 2007 hatte das Landgericht Saarbrücken auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2006 im Hinblick auf die Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 gegen den Betroffenen gemäß § 66 b Abs. 3 StGB nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dieses Urteil hatte der Senat durch Beschluss vom 10. Februar 2009 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückverwiesen. Aufhebungsgrund war, dass der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 - GSSt 1/08 - (BGHSt 52, 379) entschieden hatte, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht auf Fälle anwendbar ist, in denen der Betroffene nach Erklärung der Erledigung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 67 d Abs. 6 StGB) noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, auf die zugleich mit der Unterbringung erkannt worden ist.
6
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht erneut die nachträgliche Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und nunmehr die Anordnung der Unterbringung auf das Urteil des Landgerichts Trier vom 28. Februar 1991 gestützt, in der gegen den Betroffenen - weil schuldlos handelnd - nur auf die Unterbringung nach § 63 StGB erkannt worden war.

II.


7
Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand. Zwar hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei bejaht, jedoch ist diese Bestimmung gemäß § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK nicht auf Taten anwendbar, die vor ihrem Inkrafttreten begangen worden sind.
8
1. a) Nach dem Urteil der Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Fünfte Sektion) in der Rechtsache M. gegen Bundesrepublik Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04) vom 17. Dezember 2009 (EuGRZ 2010, 25; auszugsweise auch abgedruckt in NStZ 2010, 263; vgl. hierzu auch Kinzig NStZ 2010, 233) ist die Sicherungsverwahrung - ungeachtet ihrer Bezeichnung im deutschen Recht als „Maßregel der Besserung und Sicherung“ - im Sinne der MRK als Strafe zu qualifizieren, für die das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 MRK gilt (Rdnrn. 124 - 133). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dies unter anderem damit begründet, dass die Sicherungsverwahrung wie eine Freiheitsstrafe mit Freiheitsentziehung verbunden sei und es in der Bundesrepublik Deutschland keine wesentlichen Unterschiede zwischen dem Vollzug einer Freiheitsstrafe und dem der Sicherungsverwahrung gebe (Rdnrn. 127 bis 130). Er hat daher in jenem Fall die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von Schadensersatz an den dortigen Beschwerdeführer verurteilt, da die Anwendung des § 67 d StGB in der Fassung vom 26. Januar 1998 (BGBl. I 160), in welchem die Höchstfrist der Sicherungsverwahrung für Erstverwahrte von zehn Jahren in § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F. abgeschafft worden war, auf Altfälle gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK verstoße (Rdnrn. 135 ff.). Diese Entscheidung ist endgültig, nachdem der Antrag der Bundesregierung auf Verweisung der Rechtsache an die Große Kammer am 10. Mai 2010 abgelehnt worden ist (Artt. 43 Abs. 2, 44 Abs. 2 Buchst. c MRK).
9
b) Nach Maßgabe dieses Urteils verstößt im vorliegenden Fall die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK, da das Tatzeitrecht für die Anlasstat nicht die Anordnung von Sicherungsverwahrung androhte.
10
Der Betroffene hat die Tat, die der Verurteilung durch das Landgericht Trier vom 28. Februar 1991 zugrunde liegt, am 23. Februar 1990 begangen. Nach der rechtlichen Würdigung des Landgerichts handelte er bei ihrer Begehung nicht ausschließbar im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB). Danach kam bereits aus diesem Grund eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in Betracht. Denn § 66 Abs. 1 StGB, sowohl in der zum Tatzeitpunkt gültigen Fassung vom 10. März 1987 (BGBl. I 945) als auch in allen späteren Fassungen, setzte und setzt als Anlasstat die Begehung einer vorsätzlichen, d.h. schuldhaft begangenen, Tat voraus, für die zudem auf eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden sein muss.
11
Im Übrigen wären aber auch bei schuldhafter Tatbegehung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfüllt gewesen, weil der Betroffene vor der (neuen) Tat nicht im Sinne dieser Bestimmung bereits zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Zwar war er - neben der Verurteilung durch das Landgericht Saarbrücken vom 28. September 1989 - weiterhin durch Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9. Mai 1980 wegen einer am 30. Juli 1979 begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Diese Tat wäre indes nach § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB a.F. (= § 66 Abs. 4 Satz 3 und 4 StGB in der jetzt geltenden Fassung ) nicht berücksichtigungsfähig gewesen, da der Betroffene nach Verbüßung der damals erkannten Freiheitsstrafe für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren nicht wieder straffällig geworden war.
12
Erstmals § 66 b Abs. 3 StGB, auf den das Landgericht die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Betroffenen gestützt hat, ermöglichte hier die Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung. Diese Bestimmung ist jedoch erst nach Begehung der Anlasstat durch Gesetz vom 23. Juli 2004 (BGBl. I 1838) eingeführt worden und am 29. Juli 2004 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf Altfälle steht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 daher Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK entgegen.
13
c) Dass gegen den Betroffenen - anders als in dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedenen Fall - bereits mit der Anlassverurteilung auf eine von vorneherein zeitlich nicht befristete Maßregel (vgl. § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB in der auch zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung) erkannt worden war, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung (anders OLG Saarbrücken , Beschluss vom 7. April 2010 - 1 Ws 73/10). Insoweit ist zu berücksichtigen , dass schon vor Einführung des § 67 d Abs. 6 Satz 1 StGB nach der Rechtsprechung der Vollstreckungsgerichte die Erledigung der Maßregel bei Wegfall einer ihrer Voraussetzungen auch dann zu beschließen war, wenn die Gefährlichkeit des Untergebrachten fortbestand (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt NStZ 1993, 252 sowie hierzu auch BVerfG NStZ 1995, 174, 175). Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber in § 67 d Abs. 6 StGB lediglich festschreiben wollen (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13 f.). Nach dem zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Recht hätte somit die angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus für erledigt erklärt werden und der Betroffene in Freiheit entlassen werden müssen, ohne dass an ihre Stelle die Sicherungsverwahrung treten konnte.
14
d) Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind - ungeachtet ihrer auf den Einzelfall beschränkten Bindungswirkung (vgl. Art. 46 Abs. 1 MRK sowie hierzu Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. MRK Verfahren Rdnr. 76) - bei der Auslegung innerdeutschen Rechts zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 6 StGB ist daher mit Blick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 dahin auszulegen, dass § 66 b Abs. 3 StGB nicht rückwirkend auf vor seinem Inkrafttreten begangene Taten angewendet werden darf.
15
Zwar handelt es sich bei der Sicherungsverwahrung nach innerdeutschem Recht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, für die nach § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich das Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung gilt. § 2 Abs. 6 StGB schreibt die Maßgeblichkeit des zum Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechts jedoch nur vor, „wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Eine derartige andere Bestimmung stellt hier Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte dar.
16
Bei der MRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der durch den Bundesgesetzgeber in das deutsche Recht transformiert worden ist. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung steht die MRK im Range einfachen Bundesrechts. Deutsche Gerichte haben daher die Konvention wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden (BVerfGE 111, 307, 316 ff.; BVerfG EuGRZ 2010, 145, 147; Gollwitzer aaO Einführung Rdnrn. 39, 43 jeweils m.w.N.). Dabei sind auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, weil sich in ihnen der aktuelle Entwicklungsstand der Konvention widerspiegelt. Das nationale Recht ist wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unabhängig vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit den Bestimmungen der MRK auszulegen (BVerfGE 111, 307, 324; Gollwitzer aaO).
17
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist bei konventionsgemäßer Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB die Regelung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK als (einfach -) gesetzliche Ausnahmeregelung zu bewerten, die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung die Maßgeblichkeit des Tatzeitrechts vorsieht. Nach dem zur Tatzeit geltenden Recht war jedoch - wie bereits ausgeführt - die Anordnung der Sicherungsverwahrung gegen den Betroffenen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
18
2. Der hier vorgenommenen Auslegung des § 2 Abs. 6 StGB steht nicht die Bindungswirkung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar 2004 (BVerfGE 109, 133) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der Höchstdauer der erstmaligen Sicherungsverwahrung entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in jener Entscheidung ausgesprochen, dass die Sicherungsverwahrung keine Strafe darstellt und eine nachträgliche Änderung ihrer Höchstdauer nicht gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt (BVerfGE 109, 133, 167 ff.). Bei der Frage, ob entsprechend dem Gesetzesvorbehalt in § 2 Abs. 6 StGB eine Maßregel der Besserung und Sicherung von der Maßgeblichkeit des Rechts des Zeitpunkts der Entscheidung auszunehmen ist, handelt es sich indes um eine solche einfachen Rechts. Dem Gesetzgeber steht es im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens frei, für einzelne Maßregeln der Besserung und Sicherung in Abweichung von dem Grundsatz des § 2 Abs. 6 StGB die Geltung des Tatzeitrechts anzuordnen; er hat hiervon in der Vergangenheit wiederholt Gebrauch gemacht (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 57. Aufl. § 2 Rdnr. 15 und speziell Art. 93 des 1. StrRG). Ebenso kann dies Folge der gebotenen Berücksichtigung einer ebenfalls im Range einfachen Bundesrechts stehenden Bestimmung der MRK sein. Der Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts, dass nach deutschem Verfassungsrecht die Sicherungsverwahrung nicht dem Rückwirkungsverbot unterfällt, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Einfaches Recht hat zwar die Vorgaben des Grundgesetzes zu wahren, es kann aber im Einzelfall über die dort festgelegten Mindestanforderungen hinausgehen.
19
3. Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs steht der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Die Frage, ob § 2 Abs. 6 StGB i.V.m. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK einer Anwendung des § 66 b Abs. 3 StGB auf Altfälle entgegensteht, ist - soweit ersichtlich - vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden worden. Der 1. Strafsenat hat in seinem Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 595/09 [zu § 66 b Abs. 2 StGB] mögliche Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 auf den zu entscheidenden Fall offen gelassen und dies mit der fehlenden Endgültigkeit der Entscheidung begründet. Soweit der 1. Strafsenat in seinem Urteil vom 9. März 2010 - 1 StR 554/09 die Auffassung vertreten hat, dass die Ausführungen in der - damals ebenfalls noch nicht endgültigen - Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG auf einen Altfall nicht entgegenstehen, hat er dies mit hier nicht einschlägigen Besonderheiten des Jugendstrafrechts begründet. Im Übrigen ist, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am 10. Mai 2010 gemäß Art. 43 Abs. 2, Art. 44 Abs. 2 Buchst. c MRK endgültig gewor- den ist, eine neue Rechtslage gegeben, die eine etwaige Bindung an frühere entgegenstehende Rechtsprechung entfallen lassen würde (vgl. hierzu Hannich in KK 6. Aufl. § 132 GVG Rdnr. 8).
20
4. Die Maßregelanordnung war daher aufzuheben; gleichzeitig war in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO der Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen und der Betroffene sofort auf freien Fuß zu setzen.
21
Die Entscheidung über die Entschädigung des Betroffenen wegen der seit Ende der Strafhaft erlittenen Strafverfolgungsmaßnahmen bleibt wegen der größeren Sachnähe dem Landgericht vorbehalten.
RiBGH Athing ist im Ernemann Solin-Stojanović Ruhestand und daher an der Unterschrift gehindert Ernemann Cierniak Franke