Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2016 - 4 StR 311/16

bei uns veröffentlicht am28.09.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 311/16
vom
28. September 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280916B4STR311.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 28. September 2016 gemäß §§ 44, 46 Abs. 1, 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung bzw. Ergänzung einer (weiteren ) Verfahrensrüge wird zurückgewiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 17. Februar 2016 wird als unbegründet verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten zur Ergänzung einer von ihm erhobenen bzw. zur Anbringung einer weiteren Verfahrensrüge (eidesstattlichen Versicherung der Nebenklägerin) ist unzulässig.
3
Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt wurde (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinem Verteidiger fristgerecht mit der Sachrüge und mehreren Verfahrensrügen begründet worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 121/13, NStZ 2013, 541 mwN).
4
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 21. Juli 2016 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2016 - 4 StR 311/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2016 - 4 StR 311/16

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

Strafprozeßordnung - StPO | § 46 Zuständigkeit; Rechtsmittel


(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre. (2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung. (3) Gegen die den Antrag verwerfende E
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2016 - 4 StR 311/16 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung


War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

Strafprozeßordnung - StPO | § 46 Zuständigkeit; Rechtsmittel


(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre. (2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung. (3) Gegen die den Antrag verwerfende E

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Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 4 StR 121/13

bei uns veröffentlicht am 22.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 121/13 vom 22. Mai 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag

Referenzen

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Über den Antrag entscheidet das Gericht, das bei rechtzeitiger Handlung zur Entscheidung in der Sache selbst berufen gewesen wäre.

(2) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung unterliegt keiner Anfechtung.

(3) Gegen die den Antrag verwerfende Entscheidung ist sofortige Beschwerde zulässig.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 121/13
vom
22. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 22. Mai
2013 gemäß §§ 44, 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Anbringung einer weiteren Verfahrensrüge wird zurückgewiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 23. November 2012 wird als unbegründet verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachbeschwerde und mit Verfahrensrügen. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Das Wiedereinsetzungsgesuch des Angeklagten zur Anbringung einer weiteren Verfahrensrüge („fehlendes Negativattest gemäß § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO“) ist unzulässig.
3
Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinem Verteidiger mit der Sachrüge und mehreren Verfahrensrügen fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44; vom 27. März 2008 – 3 StR 6/08, StV 2008, 394; vom 11. Mai 2010 – 4 StR 117/10, Rn. 1; vom 28. Dezember 2011 – 2 StR 411/11, Rn. 2).
4
Ob hier im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 zur Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des Verständigungsgesetzes (BVerfG, NJW 2013, 1058 ff.) eine besondere Verfahrenslage gegeben ist, bei der ausnahmsweise zur Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung zur Nachholung einer Verfahrensrüge in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 1993 – 5 StR 162/93, wistra 1993, 347, zur Wiedereinsetzung bei Änderung der Rechtsprechung), bedarf keiner Entscheidung. Denn das Wiedereinsetzungsgesuch entspricht nicht den Anforderungen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO, die auch bei der Nachholung von Verfahrensrügen zu beachten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Mai 2008 – 3 StR 173/08, NStZ-RR 2008, 282, 283, und vom 27. August 2008 – 2 StR 260/08, NStZ 2009, 173 f.; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 44 Rn. 7a). Danach ist der Antrag binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Damit die Einhaltung der Wochenfrist überprüft werden kann, bedarf es zur formgerechten Anbringung eines Wiedereinsetzungsgesuchs in den Fällen, in denen dies nach Aktenlage nicht offensichtlich ist, der Mitteilung, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. August 2008 – 2 StR 365/10, Rn. 3; vom 11. Mai 2011 – 2 StR 77/11, Rn. 3; vom 8. Dezember 2011 – 4 StR 430/11, NStZ 2012, 276, 277). Der Antrag des Verteidigers auf Wiedereinsetzung vom 24. April 2013 verhält sich indes nicht dazu, wann der Angeklagte, dessen Kenntnis für den Fristbeginn entscheidend ist, über das verfassungsgerichtliche Urteil und die mögliche Rüge des fehlenden Negativattestes (§ 273 Abs. 1a Satz 3 StPO) unterrichtet wurde. Entsprechende Angaben waren vorliegend auch nicht entbehrlich. Da dem Verteidiger nach seinem Vortrag die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 frühzeitig bekannt war und Gründe, die einer zeitnahen Unterrichtung des Angeklagten und fristgerechten Antragstellung entgegenstanden, nicht ersichtlich sind, bestand im Hinblick auf den erheblichen Zeitablauf bis zur Einreichung des Wiedereinsetzungsgesuchs Anlass, auch dazu vorzutragen, wann der Angeklagte über die neue Rechtslage in Kenntnis gesetzt wurde.
5
2. Auch bei Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bliebe die Rüge ohne Erfolg; denn sie wäre unbegründet. Aus dem Rügevorbringen ergibt sich, dass Verständigungsgespräche zu keinem Zeitpunkt stattgefunden haben (Schriftsatz vom 24. April 2013, S. 5 f.). Es kann somit sicher ausge- schlossen werden, dass das Urteil auf eine gesetzwidrige „informelle“ Abspra- che oder diesbezügliche Gesprächsbemühungen zurückgeht (BVerfG, NJW 2013, 1058, 1067).
6
3. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
7
Zu der Verfahrensrüge, die Angaben des Polizeibeamten S. über die körperliche Reaktion des Angeklagten nach Konfrontation mit dem Tod des Unfallopfers seien unter Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO verwertet worden, bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:
8
Nach den Feststellungen des Landgerichts erlitt der Angeklagte einen „Zusammenbruch“, als der ermittelnde Polizeibeamte ihn an seinem Arbeitsplatz „mit dem Tod C. s konfrontierte“ (UA S. 19). Die körperliche Reaktion des Angeklagten, der die Strafkammer indizielle Bedeutung beigemessen hat, erfolgte somit im unmittelbaren Zusammenhang mit der Eröffnung des Tatvorwurfs nach § 163a Abs. 4 Satz 1 StPO und vor der Einlassung des Angeklagten zur Sache. Zu diesem Zeitpunkt bestand noch keine Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO (vgl. HK-StPOAhlbrecht , 5. Aufl., § 136 Rn. 16; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 136 Rn. 6).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.