Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2018 - 4 StR 320/18

bei uns veröffentlicht am28.08.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 320/18
vom
28. August 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:280818B4STR320.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. August 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 4. April 2018 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen , wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in fünf Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in acht Fällen“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
3. Der gesamte Strafausspruch hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
a) Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung bei allen Taten zu Lasten des Angeklagten „auch bedacht, dass der Geschädigte [L. Z. ] zwar nach der Therapie von seiner Mutter als fröhliches Kind bezeichnet wurde, aber dass dadurch keinesfalls eine vollständige Heilung eingetreten ist. Vielmehr kann die schwere Verletzung seiner Integrität auch Jahre später und immer wieder sein Leben beeinflussen und ihn belasten. Gleiches gilt auch für die beiden Schwestern, die Geschädigten M. und S. Z. .“Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten unzulässigerweise (§ 46 Abs. 3 StGB) den Strafzweck des § 176 StGB, der in dem Schutz der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes liegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 1998 – 4 StR 300/98, StV 1998, 656; vom 13. Juni 2000 – 4 StR 179/00, StV 2002, 74, 75; vom 20. August 2003 – 2 StR 285/03, NStZ-RR 2004, 41; vom 8. Oktober 2013 – 4 StR 379/13), strafschärfend angelastet hat. Im Übrigen lassen diese Ausführungen auch besorgen, dass die Strafkammer verkannt hat, dass der Zweifelssatz uneingeschränkt auch für die Strafzumessung gilt (vgl. BGH, Urteile vom 28. Juli 1983 – 4 StR 310/83, StV 1983, 456; vom 15. Mai 1985 – 2 StR 149/85, StV 1986, 5). Kann das Gericht keine sicheren Feststellungen über Folgen der Tat treffen, darf sich dies nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken. Eine zum Nachteil des Angeklagten auf bloße Vermutungen hinsichtlich möglicherweise auftretender Spätfolgen der Tat gestützte Strafzumessung ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Januar 1997 – 4 StR 601/96, NStZ 1997, 336, 337; vom 7. Juli 1998 und vom 20. August 2003, jeweils aaO).
6
b) Soweit der Generalbundesanwalt meint, hierauf beruhe der Strafausspruch nicht, jedenfalls seien die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn der Strafausspruch leidet an einem weiteren durchgreifenden Rechtsfehler: Das Landgericht hat im Rahmen seiner straferschwerenden Erwägungen weiter darauf abgestellt, dass der Angeklagte im Ermittlungsverfahren zunächst behauptet habe, die Geschädigten hätten seinen Misshandlungen durch ihr Verhalten zugestimmt. Wörtlich fährt es sodann fort: „Aufgrund dessen wurde ein aussagepsychologisches Gutachten zu allen Geschädigten eingeholt. Hierdurch mussten sich alle drei Kinder noch einmal intensivst mit den Taten auseinandersetzen.“ Auch diese Strafzumessungserwägung ist rechtsfehlerhaft. Die Glaubhaftigkeitsbegutachtung der Geschädigten war nur deshalb erforderlich , weil der Angeklagte die Taten abgeschwächt hat, wozu er hier befugt war. Ein zulässiges Prozessverhalten des Angeklagten darf aber nicht zu seinen Lasten bewertet werden, da hierin eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge (BGH, Beschlüsse vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, NStZ 1996, 80; vom 22. Mai 2013 – 4 StR 151/13, StraFo 2013, 340; vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 282/13; vom 8. Januar 2014 – 3 StR 272/13; vom 4. Februar 2014 – 3 StR 332/13).
7
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe von den aufgezeigten Rechtsfehlern beeinflusst sind. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird darauf hingewiesen, dass auch die strafschärfende Berücksichtigung der „Steigerung der Intensität seiner Übergriffe“ angesichts des festgestellten Tatbildes – jedenfalls in dieser Pauschalität – Bedenken begegnet.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Franke Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2018 - 4 StR 320/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2018 - 4 StR 320/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer d
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2018 - 4 StR 320/18 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer d

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 179/00
vom
13. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. Juni 2000 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 5. August 1999 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen bestehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zum Maßregelausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 2. Mai 2000.
2. Dagegen hält der Strafausspruch der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II 1 bis 7, 10 und 16 können nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat in diesen Fällen jeweils einen minder schweren Fall des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 2. Alt. StGB bejaht, der Strafzumessung aber einen von sechs Monaten anstatt von einem Monat (§ 38 Abs. 2 2. Halbs. StGB) bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen zugrundegelegt. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann der Senat schon deshalb nicht ausschließen, daß sich die fehlerhafte Bestimmung der Strafuntergrenze zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, weil das Landgericht in diesen Fällen die Einzelstrafen ausdrücklich dem "unteren Bereich des Strafrahmens" (UA 33) entnommen hat.

b) Zu Recht sehen der Beschwerdeführer und der Generalbundesanwalt einen Rechtsfehler auch darin, daß das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafen wegen der zum Nachteil seiner Stieftochter Je. begangenen Taten (Fälle II 9 bis 16 der Urteilsgründe) zu Ungunsten des Angeklagten ge-
wertet hat, "daß er, um von den Taten abzulenken, Verschwörungstheorien ... aufbaute" und deshalb "die Hauptverhandlung durch Vernehmung verschiedener Zeugen deutlich verlängert werden (mußte), obgleich zum Tatgeschehen selbst gar nichts ermittelt werden konnte" (UA 35). Ein zulässiges Verteidigungsverhalten des ganz oder teilweise bestreitenden Angeklagten darf grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, so wie es auch fehlerhaft ist, in diesem Zusammenhang fehlende “tiefere Einsicht des Angeklagten und Reue für seine Taten” (UA 35) zu seinen Ungunsten zu werten (st. Rspr.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17).

c) Bedenken begegnet auch, daß das Landgericht im Rahmen der strafschärfenden Erwägungen bei den zum Nachteil von J. H. und Je. begangenen Taten darauf hinweist, daß der Angeklagte sich mit seiner pädophilen Neigung auseinandergesetzt habe, "ohne ... daß er konsequenterweise eine Therapiemöglichkeit eingeleitet oder Kontakt zu Kindern vermieden hätte" (UA 34). Damit lastet das Landgericht dem Angeklagten im Ergebnis das Fehlen von Milderungsgründen (vgl. BGHSt 34, 345, 350) an und wertet zu seinem Nachteil, daß er die abgeurteilten Taten überhaupt begangen hat, anstatt davon Abstand zu nehmen. Dies ist unzulässig (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 14). Schließlich verstößt die Erwägung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, "daß ein solches Verhalten von der Gesellschaft nicht hinnehmbar ist, insbesondere weil die freie ungehinderte sexuelle Entwicklung von Kindern dadurch erheblich beeinträchtigt wird" (UA 36). Zweck der Vorschrift des § 176 StGB ist, Kinder von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen freizuhalten, um dadurch deren ungestörte geschlechtliche Entwicklung zu schützen (Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 176 Rdn. 1 mit Nachw.). Deswegen ist es unzulässig, eine nur allgemeine, nicht konkretisierte Störung der sexuellen
Entwicklung strafschärfend zu werten (st. Rspr.; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 176 Rdn. 14 mit Nachw.). Zwar hat das Landgericht die zuletzt genannte Erwägung nur im Rahmen der Begründung der Gesamtstrafe erörtert. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, daß sie sich allgemein, mithin auch bei allen Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen deshalb zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs.
Meyer-Goßner Maatz Athing Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 379/13
vom
8. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2013 gemäß § 206a,
§ 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 15. Mai 2013 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall B. II. 15 der Urteilsgründe wegen Verschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist; insoweit werden die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt;
b) das genannte Urteil im Schuldspruch dahin abgeändert, dass in den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen SichVerschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften entfällt;
c) das genannte Urteil im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Sich-Verschaffen des Besitzes kinderpornographischer Schriften in 29 Fällen, in 13 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes und in 16 weiteren Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, sowie wegen Verschaffen des Besitzes und Besitzes kinderpornographischer Schriften“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. In den Fällen B. II. 1 bis 21 der Urteilsgründe ist die Strafverfolgung wegen des Verstoßes gegen § 184b Abs. 2 StGB (Fall B. II. 15) bzw. gegen § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB (Fälle B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21) verjährt (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB). Insoweit beträgt die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre. Als erste die Verjährung unterbrechende Handlung kommt der am 15. November 2012 erlassene richterliche Durchsuchungsbeschluss in Betracht (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB). Damit ist die Strafverfolgung wegen des Dritt- oder Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften in den genannten Fällen verjährt, weil die insoweit abgeurteilten Taten vor dem 15. November 2007 beendet worden sind. Hiervon ist zu Gunsten des Angeklagten auch im Fall B. II. 15 der Urteilsgründe auszugehen. Der Verjährung steht in den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 nicht entgegen, dass die Vergehen nach § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB mit weiteren, nicht verjährten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung rechtlich zusammentreffen (st. Rspr.; vgl.
nur BGH, Beschluss vom 10. Juli 2007 – 4 StR 287/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 78a Rn. 5 mwN).
3
Die insoweit eingetretene Verjährung hat folgende Konsequenzen:
4
Im Fall B. II. 15 der Urteilsgründe ist das Verfahren wegen des Verfahrenshindernisses der Strafverfolgungsverjährung einzustellen. In diesem Fall ist der Angeklagte ausschließlich wegen (Dritt-)Verschaffens des Besitzes kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 2 StGB verurteilt worden; die insoweit verhängte Einzelstrafe von neun Monaten entfällt.
5
In den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 der Urteilsgründe hat der Senat den Schuldspruch entsprechend geändert; insoweit verbleibt es bei den nicht verjährten Straftaten des (schweren) sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen.
6
2. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen Sich-Verschaffens kinderpornographischer Schriften in den Fällen B. II. 1 bis 14 und 16 bis 21 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Strafaussprüche nach sich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht ohne diese Verurteilung auf geringere Strafen erkannt hätte, weil es die tateinheitliche Verwirklichung des § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB ausdrücklich strafschärfend gewertet hat. Es ist zwar zulässig, festgestelltes strafbares, wenngleich verjährtes Tatverhalten strafschärfend zu berücksichtigen. Indes kann das jedenfalls nicht zur gleichen Gewichtung jenes Verhaltens führen wie die Anlastung den Schuldspruch tragender Tatschuld (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 8. September 1993 – 5 StR 507/93 mwN, vom 11. September 2007 – 3 StR 330/07, vom 9. Januar 2008 – 2 StR 498/07, NStZ-RR 2008, 142, 143, und vom 23. Oktober 2008 – 4 StR 317/08).
7
Der Senat hebt auch die verbleibenden, von der Schuldspruchänderung nicht betroffenen Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter eine insgesamt ausgewogene Strafzumessung zu ermöglichen.
8
3. Hierzu weist der Senat darauf hin, dass die strafschärfende Erwägung, „die Nebenklägerin (sei) auf unbestimmte Zeit dem Risiko ausgesetzt, psychische Beeinträchtigungen infolge der Taten zu erleiden“, nach ständiger Recht- sprechung gegen § 46 Abs. 3 StGB verstößt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 1987 – 2 StR 641/86, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 5, vom 20. Oktober 2004 – 2 StR 398/04, BGHR StPO § 354 Abs. 1a Satz 1 Angemessen 1, und vom 7. Oktober 1997 – 4 StR 389/97, StV 1998, 657). Bedenken begegnet auch, dass das Landgericht den festgestellten Umstand, der Angeklagte habe ca. eineinhalb Jahre vor der Entdeckung der Taten die Übergriffe auf seine Tochter eingestellt, weil er „gewahr (wurde), dass er seiner Tochter Schaden zufügte und er begann, sie als Opfer seines Handelns wahrzuneh- men“, nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt hat.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 151/13
vom
22. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Mai 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. November 2012 im gesamten Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und in Höhe eines Betrages von 25.000 € den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.


2
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. April 2013 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, haben die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen keinen Erfolg; auch hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

II.


3
Hingegen hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten bei den Erwägungen zur Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet und die Reichweite des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit aus dem Blick verloren hat.
4
1. Im Fall II. 2 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte nach den Feststellungen 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 20 % gewinnbringend an den Zeugen E.-M. für 22.000 € weiterverkaufte, hat das Landgericht ausgeführt, für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das Landgericht ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die Strafkammer sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien. Beide Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
2. Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 59 f.). Dementsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des nemotenetur -Grundsatzes – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teilweise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 aaO).
6
Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des Landgerichts im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Strafkammer herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der Wohnsitz-Koordinaten nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.

III.


7
Der Strafausspruch bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe kann der Senat, auch vor dem Hintergrund der festgestellten schlechten Qualität der Betäubungsmittel, nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Entscheidung über den in den einzelnen Fällen anzuwendenden Strafrahmen ohne die Wertungsfehler anders ausgefallen wäre. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kann der Senat den Rechtsfolgen- ausspruch auch nicht als „angemessen“ im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO an- sehen. Die zu Grunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich um Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
RinBGH Roggenbuck ist in- Cierniak Franke folge Urlaubs ortsabwesend und daher an der Unterschriftsleistung verhindert. Cierniak
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 282/13
vom
15. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag - am
15. Oktober 2013 gemäß § 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 18. Januar 2013 wird
a) das Verfahren hinsichtlich der Tatvorwürfe III. 3 und III. 4 der Urteilsgründe vorläufig eingestellt; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das Urteil aufgehoben, aa) im Fall III. 1 der Urteilsgründe; insoweit bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten ; bb) mit den zugehörigen Feststellungen im gesamten verbleibenden Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, sexueller Nötigung in drei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes im Fall III. 1 hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat insoweit zwar festgestellt, dass der Angeklagte die damals dreizehnjährige Schulfreundin seiner Stieftochter veranlasste, sein Geschlechtsteil in den Mund zu nehmen. Ein solches Verhalten erfüllt aber nur dann den subjektiven Tatbestand der § 176 Abs. 1 und § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, wenn der Täter bezüglich des kindlichen Alters seines Opfers zumindest bedingt vorsätzlich handelt (LK/Hörnle, StGB, 12. Aufl., § 176 Rn. 19 mwN). Hierzu hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. Dass der Angeklagte bei Begehung der Tat im Mai 2009 und damit rund sieben Monate vor dem 14. Geburtstag des Mädchens jedenfalls mit der Möglichkeit rechnete, dass das Tatopfer noch nicht vierzehn Jahre alt war, und dies billigend in Kauf nahm, lässt sich weder der Schilderung des äußeren Sachverhalts noch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen.
3
Das Urteil war deshalb insoweit aufzuheben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt können allerdings aufrechterhalten bleiben.
4
2. Hinsichtlich der Fälle III. 2, 5 und 6 der Urteilsgründe hat der Strafausspruch keinen Bestand. Die Strafkammer hat insoweit zuungunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Geschädigte sich tatbedingt nicht nur mehrfachen polizeilichen Vernehmungen und den Explorationsgesprächen für das aussagepsychologische Gutachten stellen musste, sondern auch der Zeugenvernehmung durch die Kammer. Die Vernehmungen der Geschädigten sowie deren Glaubhaftigkeitsbegutachtung, die durch Besonderheiten in ihrer Persönlichkeit veranlasst war, waren jedoch nur deshalb erforderlich, weil der Angeklagte die Tat bestritten hat. Hierzu war er befugt. Ein zulässiges Prozessverhalten des bestreitenden Angeklagten darf aber nicht zu seinen Lasten berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2000 - 2 StR 401/00, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Strafzumessung 4; vgl. auch Beschluss vom 13. Juni2000 - 4 StR 179/00, StV 2002, 74 f.). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die rechtsfehlerhafte Berücksichtigung der genannten Umstände bei den Einzelstrafen in den verbleibenden Fällen III. 2, 5 und 6 zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, war das Urteil in den Einzelstrafaussprüchen und damit auch im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben.
5
Der neue Tatrichter wird unter Berücksichtigung seiner Entscheidung im Fall III. 1 sowie der erfolgten Einstellungen den Schuldspruch insgesamt neu zu fassen haben.
Becker Pfister Schäfer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 272/13
vom
8. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Januar 2014 gemäß

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 25. Februar 2013 wird
a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen unter II. 10 und 14 verurteilt wurde; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sechs Fällen, des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in sieben Fällen, davon in einem Fall versucht handelnd, sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen unter Freispruch im Übrigen zu der Gesamtstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt auf Antrag des Generalbundesanwalts zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und zur entsprechenden Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die durch die teilweise Einstellung des Verfahrens bedingte Änderung des Schuldspruchs führt nicht zur Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe. Der Senat kann angesichts der verbleibenden Einzelstrafen von drei Mal zwei Jahren und sechs Monaten, jeweils zwei Mal drei Jahren, neun Monaten und vier Monaten sowie von drei Jahren und drei Monaten, zwei Jahren, einem Jahr und von sechs Monaten mit Blick auf die in den beiden eingestellten Fällen verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten ausschließen, dass das Landgericht im Falle einer Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in nur drei - statt fünf - Fällen auf eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.
3
Dies gilt auch, soweit die Strafkammer bei der Strafzumessung rechtsfehlerhaft das Einlassungsverhalten des Angeklagten berücksichtigt hat. Die Strafkammer hat insoweit zuungunsten des Angeklagten die Belastungen gewertet , die den Geschädigten daraus erwachsen sind, dass sie sich tatbedingt den polizeilichen Vernehmungen, Explorationsgesprächen im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtung und der Zeugenvernehmung durch die Kammer stellen mussten. Die Vernehmungen der Geschädigten sowie deren Glaubhaftigkeitsbegutachtung waren indes nur deshalb erforderlich, weil der Angeklagte die Tat bestritten hat, wozu er befugt war. Ein zulässiges Prozessverhalten des bestreitenden Angeklagten darf aber nicht zu seinen Lasten bewertet werden (BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2013 - 3 StR 282/13 mwN). Der Senat schließt jedoch aus, dass die Einzelstrafen wie die Gesamtstrafe bei Außerachtlassung der genannten Umstände, die lediglich ergänzend neben weiteren gravierenden Tatfolgen für die Geschädigten angeführt werden, angesichts der sonstigen den Angeklagten erheblich belastenden Umstände niedriger ausgefallen wären. Becker Hubert Schäfer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 332/13
vom
4. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Februar 2014 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Mönchengladbach vom 11. April 2013 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349
Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
Das Landgericht hat in der Strafzumessung zu Ungunsten des Angeklagten
berücksichtigt, dass die Geschädigte sich tatbedingt nicht nur
mehrfachen polizeilichen Vernehmungen und den Explorationsgesprächen
für das aussagepsychologische Gutachten stellen musste, sondern
auch der Zeugenvernehmung durch die Kammer. Diese Ermittlungshandlungen
waren indes nur deshalb erforderlich, weil der Angeklagte
die Taten bestritten hatte; die Strafkammer hat somit ein zulässiges
Verteidigungsverhalten zu seinen Lasten berücksichtigt. Dies ist
rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2013 - 3 StR
282/13).
Angesichts der milden Einzelstrafen und des deutlichen Zusammenzugs
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von lediglich drei Jahren und drei
Monaten kann der Senat indes ausschließen, dass der Strafausspruch
auf diesem Rechtsfehler beruht.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol