Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 4 StR 322/12

bei uns veröffentlicht am29.08.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 322/12
vom
29. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. August 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Mai 2012 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg.
2
Zum Schuldspruch ist das Rechtsmittel aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 6. August 2012 dargelegten Gründen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Strafzumessung hält dagegen - auch unter Zugrunde- legung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. Senatsurteil vom 5. April 2007 – 4 StR 5/07, wistra 2007, 341, 342) - rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Das Landgericht hat strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte "seit geraumer Zeit in kontinuierlicher Weise Straftatbestände begeht" und die Strafkammer "keine Anzeichen [dafür sieht], dass aufgrund des jetzigen Verfahrens bei dem Angeklagten eine Einsicht eingetreten wäre, hieran in Zukunft etwas zu ändern. Insbesondere war nicht zu erkennen, dass der Angeklagte in Zukunft von dem Handel mit Betäubungsmitteln absehen wird." (UA 11). Da der Angeklagte aber lediglich den Besitz von Haschisch und Marihuana zum Eigenkonsum eingeräumt, die Absicht der gewinnbringenden Veräußerung und damit den Vorwurf des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jedoch bestritten hat, durften ihm fehlende Schuldeinsicht und fehlende innere Abkehr von der Tat nicht zum Vorwurf gemacht werden (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 15. Mai 2012 – 3 StR 121/12, StraFo 2012, 281; Beschluss vom 25. April 1997 – 3 StR 25/97, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 24 mwN; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2000 – 4 StR 179/00, bei Pfister NStZ-RR 2000, 353, 362 mwN).
4
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch auf diesem Rechtsfehler beruht. Bei der deshalb erforderlichen neuen Bemessung der Strafe wird die Strafkammer auch zu bedenken haben, dass die Erwägung, der Angeklagte begehe „seit geraumer Zeit in kontinuierlicher Weise Straftat- bestände“, jedenfalls in dieser Allgemeinheitvon den Feststellungen nicht getragen wird.
Mutzbauer Franke Schmitt
Quentin Reiter

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 4 StR 322/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 4 StR 322/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 4 StR 322/12 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 4 StR 322/12 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2012 - 4 StR 322/12 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Apr. 2007 - 4 StR 5/07

bei uns veröffentlicht am 05.04.2007

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 5/07 vom 5. April 2007 in der Strafsache gegen wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. April 2007, an der teilgenomme

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2000 - 4 StR 179/00

bei uns veröffentlicht am 13.06.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 179/00 vom 13. Juni 2000 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. Juni 200

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Mai 2012 - 3 StR 121/12

bei uns veröffentlicht am 15.05.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 121/12 vom 15. Mai 2012 in der Strafsache gegen wegen versuchten Betrugs Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 5/07
vom
5. April 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. April 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Richterinnen am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 5. September 2006 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Betruges und wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage in neun Fällen, davon in zwei Fällen tateinheitlich begangen mit Beihilfe zum versuchten Betrug, unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Paderborn vom 17. Mai 2004 und Auflösung der darin gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision , mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Hintergrund der jetzt abgeurteilten Straftaten sind "Unregelmäßigkeiten" des Angeklagten bei seiner beruflichen Tätigkeit als Prüfingenieur bei der Technischen Prüf- und Überwachungsgesellschaft mbH (TPÜ), die Gegenstand der Verurteilung durch das Landgericht Paderborn vom 17. Mai 2004 sind, aus der das Landgericht im nunmehr angefochtenen Urteil die Einzelstrafen gemäß § 55 Abs. 1 StGB einbezogen hat. Nach den dazu mitgeteilten Feststellungen behielt der Angeklagte im Zeitraum von Dezember 1999 bis Ende September 2001 von ihm für Fahrzeuguntersuchungen nach § 29 StVZO eingenommene Beträge teilweise pflichtwidrig für sich, woraus sich ein Schaden für die TPÜ in Höhe von mindestens 95.214,50 DM ergab. Im November 2002 erging deshalb gegen ihn wegen Untreue ein Strafbefehl, gegen den der Angeklagte aber Einspruch einlegte. Darüber hinaus wurde der Angeklagte von der TPÜ vor dem Arbeitsgericht Paderborn auf Ersatz des Schadens in Anspruch genommen. Um den Beweis seiner Pflichtwidrigkeiten zu vereiteln, ließ der Angeklagte Unterlagen aus dem Firmengebäude entwenden, wobei die von ihm instruierten Täter auch noch Geld mitnahmen. Das Amtsgericht Paderborn verurteilte den Angeklagten deshalb wegen Untreue und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Auf die Berufungen sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Angeklagten verurteilte das Landgericht Paderborn den Angeklagten – wie erwähnt – am 17. Mai 2004 unter Verwerfung der weiter gehenden Berufungen wegen Untreue in 22 Fällen und wegen gemeinschaftlichen Diebstahls zu einer nicht zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, wobei es an Einzelstrafen neben drei Geldstrafen (zwischen 60 und 120 Tagessätzen) auf 20 Freiheitsstrafen von insgesamt sieben Jahren und einem Monat (fünfmal drei Monate , neunmal vier Monate, dreimal fünf Monate, zweimal sechs Monate und einmal sieben Monate) erkannte.
3
Gegenstand des nunmehr angefochtenen Urteils ist das Verhalten des Angeklagten im Rahmen des von der TPÜ gegen ihn angestrengten arbeitsgerichtlichen Verfahrens und des vorerwähnten Strafverfahrens. In dem Arbeits- rechtsstreit schloss der Angeklagte im Januar 2002 mit der TPÜ einen Vergleich , in dem er sich zur Zahlung von etwas mehr als 48.000 Euro verpflichtete. Später entschloss er sich jedoch, den Vergleich anzufechten, um sich zu Unrecht von seiner Zahlungspflicht zu befreien. Hierzu veranlasste er zwei Zeugen, im Termin vor dem Arbeitsgericht am 4. Juni 2003 wahrheitswidrig zu behaupten, der Angeklagte sei durch den Handlungsbevollmächtigten der TPÜ, Dr. B. , zum Abschluss des Vergleichs unter massiver Bedrohung mit Gefahr für Leib und Leben für sich und seine Familie genötigt worden. Das Arbeitsgericht glaubte den beiden Zeugen nicht und stellte die wirksame Beendigung des Verfahrens durch den Vergleich mit Urteil vom selben Tage fest. Die Berufung des Angeklagten wies das Landesarbeitsgericht durch Versäumnisurteil zurück. In dem Strafverfahren wegen Untreue wiederholten die beiden Zeugen auf Veranlassung des Angeklagten ihre bereits vor dem Arbeitsgericht gemachten wahrheitswidrigen Aussagen. Des Weiteren benannte der Angeklagte im Berufungsverfahren vor dem Landgericht fünf weitere Zeugen aus seinem Verwandten - und Freundeskreis, die auf seine Veranlassung der Wahrheit zuwider aussagten , die Manipulationen bei der Abrechnung seien auf Veranlassung und in Absprache mit dem Firmenchef der TPÜ geschehen. Das Landgericht schenkte den Zeugen keinen Glauben und verurteilte den Angeklagten deshalb am 17. Mai 2004 wie angegeben.
4
2. Die Überprüfung des Strafausspruchs aufgrund der erhobenen Sachrüge weist durchgreifende Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf, die zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs zwingen.
5
Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters und ein Eingriff des Revisionsgerichts nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHSt 34, 345, 349).
6
Aber auch unter Zugrundelegung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes halten weder die Einzelfreiheitsstrafaussprüche (sechs Monate für den versuchten Betrug, jeweils neun Monate für die beiden Anstiftungen zur uneidlichen Falschaussage, tateinheitlich begangen mit Beihilfe zum versuchten Betrug , und jeweils sechs Monate für die sieben Anstiftungen zur uneidlichen Falschaussage) noch der Gesamtstrafenausspruch von zwei Jahren der rechtlichen Nachprüfung stand. Schon für sich gesehen sind sowohl die Einzelstrafen als auch die Gesamtstrafe angesichts der Hartnäckigkeit, mit der der Angeklagte auch dann noch sein kriminelles Tun fortgesetzt hat, als seine „Unregelmäßigkeiten“ bei der TPÜ bereits aufgedeckt waren und er deshalb auch schon sowohl zivil- als auch strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen worden war – ungewöhnlich milde. Die Strafbemessung wird dem Tatunrecht ungeachtet der dem Angeklagten vom Landgericht zugute gehaltenen Umstände nicht gerecht.
7
Davon abgesehen, erweisen sich die Strafzumessungserwägungen im angefochtenen Urteil zu Gunsten des Angeklagten auch als lücken- und deshalb als rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat zwar ganz allgemein den „beachtlichen Aufwand“, mit dem der Angeklagte in krimineller Weise tätig geworden ist und sein „erhebliches kriminelles Potential“, welches er an den Tag gelegt hat, zu seinen Lasten gewertet. Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin jedoch , dass das Landgericht im Rahmen der Strafzumessungserwägungen völlig außer Acht gelassen hat, dass der Angeklagte den Zeugen Dr. B. über mehrere Jahre hinweg in Bezug auf das Zustandekommen des arbeitsgerichtlichen Vergleichs in massiver Weise bewußt fälschlich eines auch strafrechtlich relevanten , besonders verwerflichen Vorgehens bezichtigt hat. Auch wenn der Tatrichter nicht gehalten ist, sämtliche Strafzumessungsgründe in den Urteilsgründen anzugeben (vgl. Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 267 Rdn. 18), durfte die Strafkammer diesen fraglos „bestimmenden“ (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO) Gesichtspunkt nicht außer Betracht lassen.
8
Angesichts der auffallend milden Einzelstrafen und der Gesamtstrafe ist zudem zu besorgen, dass der Tatrichter Gesichtspunkte der Strafzumessung im Sinne der Findung einer schuldangemessenen Strafe mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung vermengt und die Bemessung der Strafen so vorgenommen hat, dass die Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (vgl. BGHSt 29, 319, 321; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29).
9
3. Über den Strafausspruch ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden.
10
Soweit die Beschwerdeführerin die strafmildernde Bewertung des Geständnisses des Angeklagten mit der Behauptung angreift, dieses sei erst erfolgt, nachdem das Landgericht dem Angeklagten in Aussicht gestellt habe, im Falle eines Geständnisses im Höchstmaß eine Freiheitsstrafe mit Bewährung zu verhängen, ist dies urteilsfremd und kann daher im Revisionsverfahren keine Beachtung finden. Eine Verfahrensrüge - etwa im Rahmen eines Ablehnungsgesuchs - hat die Staatsanwaltschaft nicht erhoben.
11
4. Mit der Aufhebung des Urteils im Strafausspruch und der Zurückverweisung der Sache an das Landgericht ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Urteils gegenstandslos. Davon abgesehen, zeigt die Beschwerdeführerin auch nicht auf, inwieweit diese Entscheidung fehlerhaft sein könnte.
Tepperwien Maatz Kuckein
Solin-Stojanović Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 121/12
vom
15. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Betrugs
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 15. Mai
2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 7. Dezember 2011 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt sowie angeordnet, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate hiervon als verbüßt gelten. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat das Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des versuchten Betruges schuldig ist, und im Strafausspruch aufgehoben. Das Landgericht hat nunmehr erneut eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verhängt , von denen sechs Monate als verbüßt gelten sollen. Die hiergegen gerichtete , auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat bezüglich des Strafausspruchs Erfolg.
2
Nach den Feststellungen veranlasste der die Tat bestreitende Angeklagte einen Dritten, ein in seinem Eigentum stehendes Gebäude in Brand zu setzen , um die Auszahlung von Versicherungsleistungen zu erreichen. Anschließend machte er bei seiner Feuerversicherung Ersatzansprüche geltend. Nachdem die Versicherung die Schadensregulierung abgelehnt hatte, erhob der Angeklagte gegen sie Klage auf Feststellung der Deckungspflicht. Diese wurde in erster Instanz abgewiesen. Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein und hielt das Rechtsmittel auch nach Rechtskraft des Schuldspruchs in dem hiesigen Strafverfahren aufrecht. Im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, bei dem die Stadt W. den Angeklagten auf Erstattung der Löschkosten in Anspruch nimmt, trug der Angeklagte ebenfalls vor, er habe den Brand nicht verursacht.
3
1. Der Strafausspruch hält materiellrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
4
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten straferschwerend angelastet, dass er seine Klage gegen die Versicherung in der Berufungsinstanz weiter verfolge, auch nachdem der Schuldspruch in dem hiesigen Strafverfahren rechtskräftig geworden sei, was auf eine ausgeprägte Rechtsfeindschaft des Angeklagten schließen lasse. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken.
5
aa) Einem Angeklagten darf es nicht zum Nachteil gereichen, dass er die Tat bestreitet und infolgedessen keine Schuldeinsicht und Reue zeigt. Dies gilt auch dann, wenn nach einem rechtskräftigen Schuldspruch nur noch über den Strafausspruch verhandelt wird. Zum Nachteil des Angeklagten darf selbst in diesem Verfahrensstadium nicht verwertet werden, dass er sich etwa "mit Rücksicht auf das noch nicht abgeschlossene Zivilverfahren bislang nicht entschuldigt" (BGH, Beschluss vom 4. November 2008 - 3 StR 336/08, NStZ-RR 2009, 148), kein Mitgefühl und keine Schuldeinsicht gezeigt (BGH, Beschluss vom 16. September 1988 - 2 StR 124/88, StV 1989, 199), sich nicht um die Wiedergutmachung des Schadens bemüht hat (BGH, Beschluss vom 23. September 1992 - 1 StR 501/92, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 19) oder das Tatopfer noch einmal vernommen werden muss (BGH, Beschluss vom 20. März 2002 - 2 StR 48/02, StV 2002, 599). Eine andere Bewertung ist nur zulässig, wenn der Angeklagte bei seiner Verteidigung ein Verhalten an den Tag legt, das im Hinblick auf die Art der Tat und die Persönlichkeit des Täters auf besondere Rechtsfeindlichkeit und Gefährlichkeit schließen lässt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 7. November 1986 - 2 StR 563/86, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 4; vom 4. November 1993 - 1 StR 655/93, StV 1994, 125).
6
bb) Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Der Angeklagte war von Rechts wegen auch nach Rechtskraft des strafrechtlichen Schuldspruchs nicht gehindert, die Tat weiterhin zu leugnen und die ihm nach seinem Vorbringen gegen die Feuerversicherung zustehenden Ansprüche zivilrechtlich weiter zu verfolgen. Im deutschen Rechtssystem ist das Zivilverfahren grundsätzlich nicht durch das Ergebnis des Strafverfahrens präjudiziert. Vielmehr findet dort an den Sachvortrag der Parteien anknüpfend gegebenenfalls eine eigenständige Beweisaufnahme statt, die grundsätzlich durchaus zu einem anderen Ergebnis als die im Strafprozess unter Beachtung der Offizialmaxime durchgeführte Sachverhaltsermittlung führen kann. Deshalb war der Angeklagte - worauf die Erwägungen des Landgerichts im Ergebnis hinausliefen - nicht verpflichtet, sei- ne Berufung gegen das erstinstanzliche zivilrechtliche Urteil nach Rechtskraft des strafrechtlichen Schuldspruchs zurückzunehmen. Allein aus der legitimen Fortführung des Zivilprozesses kann daher nicht auf eine besondere Rechtsfeindschaft des Angeklagten geschlossen werden. Darüber hinausgehende Umstände, die einen solchen Schluss rechtfertigen könnten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 12. Juni 1986 - 4 StR 245/86, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 1; Urteil vom 8. Juni 1988 - 3 StR 9/88, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 14), sind nicht festgestellt.
7
b) Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht, welches in die Prüfung , ob von der Regelwirkung des § 263 Abs. 3 StGB abzusehen ist, den Versuch als vertypten Milderungsgrund nicht eingestellt, den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Satz 1 StGB aber nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert und gleichwohl dieselbe Strafe wie in der ersten tatrichterlichen Entscheidung verhängt hat, ohne die rechtsfehlerhafte Erwägung auf eine niedrigere Sanktion erkannt hätte. Ein Vorgehen nach § 354 Abs. 1a StPO kommt nicht in Betracht.
8
2. Die Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Strafzumessungstatsachen feststellen, die den bisherigen nicht widersprechen.
9
3. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache nach § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO an ein zu demselben Land gehörendes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.
Becker Pfister Mayer
Schäfer Menges

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 179/00
vom
13. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. Juni 2000 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 5. August 1999 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die zur Schuldfähigkeit getroffenen Feststellungen bestehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 16 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zum Maßregelausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 2. Mai 2000.
2. Dagegen hält der Strafausspruch der sachlichrechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Die Einzelstrafaussprüche in den Fällen II 1 bis 7, 10 und 16 können nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat in diesen Fällen jeweils einen minder schweren Fall des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 2. Alt. StGB bejaht, der Strafzumessung aber einen von sechs Monaten anstatt von einem Monat (§ 38 Abs. 2 2. Halbs. StGB) bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe reichenden Strafrahmen zugrundegelegt. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts kann der Senat schon deshalb nicht ausschließen, daß sich die fehlerhafte Bestimmung der Strafuntergrenze zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, weil das Landgericht in diesen Fällen die Einzelstrafen ausdrücklich dem "unteren Bereich des Strafrahmens" (UA 33) entnommen hat.

b) Zu Recht sehen der Beschwerdeführer und der Generalbundesanwalt einen Rechtsfehler auch darin, daß das Landgericht bei der Bemessung der Einzelstrafen wegen der zum Nachteil seiner Stieftochter Je. begangenen Taten (Fälle II 9 bis 16 der Urteilsgründe) zu Ungunsten des Angeklagten ge-
wertet hat, "daß er, um von den Taten abzulenken, Verschwörungstheorien ... aufbaute" und deshalb "die Hauptverhandlung durch Vernehmung verschiedener Zeugen deutlich verlängert werden (mußte), obgleich zum Tatgeschehen selbst gar nichts ermittelt werden konnte" (UA 35). Ein zulässiges Verteidigungsverhalten des ganz oder teilweise bestreitenden Angeklagten darf grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, so wie es auch fehlerhaft ist, in diesem Zusammenhang fehlende “tiefere Einsicht des Angeklagten und Reue für seine Taten” (UA 35) zu seinen Ungunsten zu werten (st. Rspr.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17).

c) Bedenken begegnet auch, daß das Landgericht im Rahmen der strafschärfenden Erwägungen bei den zum Nachteil von J. H. und Je. begangenen Taten darauf hinweist, daß der Angeklagte sich mit seiner pädophilen Neigung auseinandergesetzt habe, "ohne ... daß er konsequenterweise eine Therapiemöglichkeit eingeleitet oder Kontakt zu Kindern vermieden hätte" (UA 34). Damit lastet das Landgericht dem Angeklagten im Ergebnis das Fehlen von Milderungsgründen (vgl. BGHSt 34, 345, 350) an und wertet zu seinem Nachteil, daß er die abgeurteilten Taten überhaupt begangen hat, anstatt davon Abstand zu nehmen. Dies ist unzulässig (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 14). Schließlich verstößt die Erwägung gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, "daß ein solches Verhalten von der Gesellschaft nicht hinnehmbar ist, insbesondere weil die freie ungehinderte sexuelle Entwicklung von Kindern dadurch erheblich beeinträchtigt wird" (UA 36). Zweck der Vorschrift des § 176 StGB ist, Kinder von vorzeitigen sexuellen Erlebnissen freizuhalten, um dadurch deren ungestörte geschlechtliche Entwicklung zu schützen (Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 176 Rdn. 1 mit Nachw.). Deswegen ist es unzulässig, eine nur allgemeine, nicht konkretisierte Störung der sexuellen
Entwicklung strafschärfend zu werten (st. Rspr.; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 176 Rdn. 14 mit Nachw.). Zwar hat das Landgericht die zuletzt genannte Erwägung nur im Rahmen der Begründung der Gesamtstrafe erörtert. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, daß sie sich allgemein, mithin auch bei allen Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen deshalb zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs.
Meyer-Goßner Maatz Athing Ernemann