Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2010 - 4 StR 518/09

bei uns veröffentlicht am21.01.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 518/09
vom
21. Januar 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag - hinsichtlich der Beschränkung
mit Zustimmung - des Generalbundesanwalts und nach Anhörung
der Beschwerdeführer am 21. Januar 2010 gemäß §§ 154 a Abs. 2, 206 a
Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird, soweit es den Angeklagten H. betrifft, im Fall II. 5 der Urteilsgründe (Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr) eingestellt. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen. 2. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts wird das Verfahren gemäß § 154 a Abs. 2 StPO beschränkt,
a) soweit es den Angeklagten S. betrifft, im Fall II. 1 der Urteilsgründe auf den Vorwurf der schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl und Sachbeschädigung, im Fall II. 2 der Urteilsgründe auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung sowie im Fall II. 3 der Urteilsgründe auf den Vorwurf des Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und Sachbeschädigung,
b) soweit es den Angeklagten H. betrifft, im Fall II. 1 der Urteilsgründe auf den Vorwurf der schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl und Sachbeschädigung sowie im Fall II. 3 der Urteilsgründe auf den Vorwurf des Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung und Sachbeschädigung. 3. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 13. Februar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit es den Angeklagten S. betrifft, im gesamten Strafausspruch,
b) soweit es den Angeklagten H. betrifft, im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 1 und II. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, soweit es den Angeklagten H. betrifft , über die weiteren Kosten seines Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 5. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schwerem Diebstahl und Sachbeschädigung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl sowie wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Den Angeklagten H. hat es wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schwerem Diebstahl und Sachbeschädigung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl, wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung, wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt; ferner hat es gegenüber dem Angeklagten H. Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen und rügen die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten H. wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II. 5 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt.
3
Das Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage vom 28. Mai 2008 in der Hauptverhandlung beschlossen, in der die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Jugendschöffen besetzt war. Damit hat es entgegen der gesetzlich vorgesehenen Besetzung - drei Berufsrichter unter Ausschluss der Schöffen - entschieden, was nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis führt (BGHSt 50, 267, 269; Senatsbeschlüs- se vom 28. August 2007 - 4 StR 212/07 und vom 31. Juli 2008 - 4 StR 251/08) und die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (§ 206 a Abs. 1 StPO analog).

II.


4
1. Die von den Angeklagten S. und H. erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den vom Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften vom 6. November 2009 dargelegten Gründen ohne Erfolg.
5
2. a) In dem nach Verfahrensbeschränkung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO verbleibenden Umfang sind die Schuldsprüche rechtsfehlerfrei. Auch insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts.
6
b) Die Rechtsfolgenaussprüche können in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang nicht bestehen bleiben. Die Verfahrensbeschränkung führt beim Angeklagten S. zur Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe. Beim Angeklagten H. haben die Einzelstrafen in den Fällen II. 1 und 3 der Urteilsgründe sowie die Gesamtstrafe keinen Bestand. Es bedarf insoweit der Zumessung der Strafe durch den neuen Tatrichter, da der Senat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann, dass sich die aus der Beschränkung ergebenden Änderungen der Schuldsprüche Einfluss auf die Bemessung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafen haben.
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović Ernemann Franke

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Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2007 - 4 StR 212/07

bei uns veröffentlicht am 28.08.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 212/07 vom 28. August 2007 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag bzw. nach Anhörung des
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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2018 - 4 StR 395/18

bei uns veröffentlicht am 20.12.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 395/18 vom 20. Dezember 2018 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Verdachts der besonders schweren räuberischen Erpressung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:201218U4STR395.18.0 Der 4. Strafsenat des Bund

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 212/07
vom
28. August 2007
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag bzw. nach Anhörung
des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am
28. August 2007 gemäß §§ 44 Satz 1, 46 Abs. 1, 206 a entspr., 346 Abs. 2, 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 3. Januar 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 14. März 2007, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, gegenstandslos. Die Kosten der Wiedereinsetzung hat der Angeklagte zu tragen. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil
a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen II 29, 31, 32 und 38 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insoweit wird das Verfahren eingestellt und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen;
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 34 Fällen, des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln schuldig ist;
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 38 Fällen, davon in 37 Fällen in nicht geringer Menge, und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in drei Fällen, davon in einem Fall in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, den Verfall von insgesamt 45.624,14 Euro und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 50.000 Euro angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte - allgemein - die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge nur den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Dem Angeklagten ist auf seinen Antrag nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil ihn an der Fristversäumung kein Verschulden trifft (§ 44 Satz 1 StPO). Damit ist der Beschluss des Landgerichts vom 14. März 2007, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, gegenstandslos.
3
2. Der Schuldspruch in den Fällen II 29, 31, 32 und 38 der Urteilsgründe (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen [Fälle 31, 32 und 38] sowie unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln [Fall 29]) kann nicht bestehen bleiben, weil es - wie der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat - im Hinblick auf die der Verurteilung insoweit zu Grunde liegende Anklage vom 28. November 2006 an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss fehlt. Dieses von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens in den genannten Fällen (vgl. BGHSt 50, 267, 271). Zur Frage der Fortsetzung des Verfahrens insoweit und zur Beachtung des Verschlechterungsverbots verweist der Senat auf die Ausführungen hierzu in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
4
3. Die Teileinstellung führt zur Änderung des Schuldspruchs, zum Wegfall der für die eingestellten Fälle verhängten Einzelstrafen (zwei Jahre, zweimal ein Jahr neun Monate sowie neun Monate Freiheitsstrafe), zur Aufhebung der Gesamtstrafe mit den insoweit getroffenen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zur Festsetzung einer neuen Gesamtstrafe. Zwar erscheint die festgesetzte Gesamtstrafe von vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe nicht überhöht; der Senat kann jedoch nicht sicher ausschließen, dass sie ohne Berücksichtigung der Einzelstrafen in den Fällen II 29, 31, 32 und 38 niedriger ausgefallen wäre.
5
Die Verfallsentscheidung wird von der Teileinstellung nicht berührt, weil sich die eingestellten Fälle auf die Verfallsberechnung nicht ausgewirkt haben.
6
4. Der neue Tatrichter wird neben der Gesamtstrafe auch den Anrechnungsmaßstab für die vom Angeklagten in Spanien erlittene Freiheitsentziehung zu bestimmen haben (§ 51 Abs. 4 Satz 2 StGB; vgl. BGHR StGB § 51 Abs. 3 Anrechnung 4; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 51 Rdn. 18 f.). Eine Anordnung, dass die Anrechnung wegen der Flucht des Angeklagten ins Ausland (UA 4) unterbleibt (§ 51 Abs. 1 Satz 2 StGB; vgl. BGH MDR (H) 1979, 454), ist wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) nicht mehr möglich, wenn sich dadurch das Maß der vom Angeklagten zu verbüßenden Strafe erhöhte (vgl. BGHR StGB § 51 Abs. 1 S. 2 Prozessverhalten 2; Franke in MünchKomm, StGB § 51 Rdn. 15).
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible