Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09

bei uns veröffentlicht am18.03.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 555/09
vom
18. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit
Garantiefunktion u.a.,
hier: Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. März 2010 beschlossen:
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Das bloße Auslesen der auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion gespeicherten Daten, um mit diesen Daten Kartendubletten herzustellen, erfüllt nicht den Tatbestand des Ausspähens von Daten (§ 202 a Abs. 1 StGB n.F.).
Der Senat fragt daher beim 3. Strafsenat an, ob an dem Urteil vom 10. Mai 2005 - 3 StR 425/04 (NStZ 2005, 566) festgehalten wird. Ferner fragt er bei dem 1., 2. und 5. Strafsenat an, ob dortige Rechtsprechung entgegensteht.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. der gewerbs- und bandenmäßigen Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmäßigem Computerbetrug und mit dem Ausspähen von Daten in drei Fällen schuldig gesprochen. Diesen Schuldsprüchen liegt im Wesentlichen Folgendes zu Grunde:
2
Der Angeklagte und die gesondert verfolgten, aus Rumänien nach Deutschland eingereisten V. , N. und C. sowie der seit Jahren in Deutschland lebende P. schlossen sich Anfang Februar 2007 als Bande zusammen, um gewerbsmäßig zur Täuschung im Rechtsverkehr in einer Vielzahl von Fällen falsche Zahlungskarten mit Garantiefunktion herzustellen und mit diesen Karten im Ausland an Geldautomaten Geld abzuheben. Um sich die zum Nachmachen echter Zahlungskarten mit Garantiefunktion benötigten Daten zu verschaffen, die auf den Magnetstreifen solcher Karten gespeichert sind, setzten der Angeklagte und seine Mittäter ein mit einem Speichermedium versehenes Kartenlesegerät ein, das unauffällig vor den in die Geldautomaten eines bestimmten Typs eingebauten Einzugslesegeräten angebracht werden konnte. Die bei der Benutzung des Geldautomaten vom Inhaber der Zahlungskarte eingegebene PIN erlangten sie mittels eines über der Tastatur des Geldautomaten angebrachten, ebenfalls mit einem Speichermedium versehenen Tastaturaufsatzes. Auf diese Weise verschafften sich der Angeklagte und seine Mittäter am 17. Februar 2007 durch Anbringen solcher Geräte an einem Geldautomaten in einer Bank in M. 21 Datensätze von Zahlungskarten und die jeweils zugehörige PIN, am 24. Februar 2007 durch Anbringen der Geräte an einem Geldautomaten einer Bank in D. 21 Datensätze und am 7. Juli 2007 in O. weitere 35 Datensätze von Zahlungskarten. Nach dem Entfernen der Aufsatzgeräte von den Geldautomaten wurden die Speichermedien der Geräte jeweils vom Angeklagten allein oder mit Hilfe eines weiteren Mittäters ausgelesen. Mit den Datensätzen der echten Zahlungskarten wurden dann die Magnetstreifen von Payback-Karten, die Bandenmitglieder zuvor beschafft hatten, beschrieben. In der Folgezeit hoben Mitglieder der Bande unter Verwendung der nachgemachten Karten und der zu diesen Datensätzen jeweils zugehörigen PIN an Geldautomaten im Ausland Bargeld ab.
3
2. Der Senat beabsichtigt, das Urteil dahin zu ändern, dass in den vorgenannten Fällen jeweils der Schuldspruch wegen tateinheitlichen Ausspähens von Daten entfällt. Nach Auffassung des Senats erfüllt das bloße Auslesen der auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion gespeicherten Daten, um mit diesen Daten Kartendubletten herzustellen, nicht den Tatbestand des Ausspähens von Daten (vgl. Senatsbeschl. vom 14. Januar 2010 - 4 StR 93/09).
4
Zwar haben sich der Angeklagte und seine Mittäter mittels des an dem jeweiligen Geldautomaten angebrachten Lesegeräts unberechtigt den Zugang zu Daten verschafft, die nicht für sie bestimmt waren. § 202 a Abs. 1 StGB n.F. setzt aber darüber hinaus voraus, dass sich der Täter Daten, "die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft". Das ist jedoch nicht der Fall, wenn sich der Täter - wie hier - den Zugang zu den auf dem Magnetstreifen der Zahlungskarte gespeicherten Daten mittels eines vor dem Einzugslesegerät eines Geldautomaten angebrachten weiteren Lesegeräts verschafft (sog. Skimming), um mit diesen Daten in ihrer ursprünglichen Form den Magnetstreifen einer Kartendublette zu beschreiben.
5
Dass Daten magnetisch und damit nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind, stellt keine besondere Sicherung gegen unberechtigten Zugang dar. Vielmehr handelt es sich gemäß § 202 a Abs. 2 StGB n.F. nur bei Daten, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert oder übermittelt werden, um Daten im Sinne des Abs. 1 dieser Vorschrift. Demgemäß schützt § 202 a Abs. 1 StGB n.F. nur diejenigen nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten im Sinne des Abs. 2 dieser Vorschrift, die darüber hinaus besonders gesichert sind. Das sind nur solche Daten, bei denen der Verfügungsberechtigte durch seine Sicherung sein Interesse an der Geheimhaltung der Daten dokumentiert hat (vgl. BTDrucks. 10/5058, S. 29 zu § 202 a StGB a.F.; BTDrucks. 16/3656, S. 10). Erforderlich ist, dass der Verfügungsberechtigte - hier das Unternehmen, das die Zahlungskarte mit Garantiefunktion ausgegeben hat (vgl. BGH, Urt. vom 10. Mai 2005 - 3 StR 425/04, NStZ 2005, 566) - Vorkehrungen getroffen hat, den Zugriff auf die auf dem Magnetstreifen der Zahlungskarte gespeicherten Daten auszuschließen oder wenigstens nicht unerheblich zu erschweren (vgl. BTDrucks. 16/3656, S. 10; Fischer StGB 57. Aufl. § 202 a Rdn. 8, jew. m.w.N.). Eine Schutzvorkehrung ist jedoch nur dann eine Zugangssicherung im Sinne des § 202 a Abs. 1 StGB n.F., wenn sie jeden Täter zu einer Zugangsart zwingt, die der Verfügungsberechtigte erkennbar verhindern wollte (BTDrucks. 16/3656 aaO; Fischer aaO). Der Überwindung einer solchen Zugangssicherung bedarf es jedoch nicht, wenn die auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten lediglich ausgelesen werden. Dies ist ohne Weiteres mittels eines handelsüblichen Lesegeräts und der ebenfalls im Handel erhältlichen Software möglich.
6
Dass sich der Angeklagte und seine Mittäter mittels des an den jeweiligen Geldautomaten angebrachten Lesegeräts den Zugang auch zu jenen Daten verschafft haben, die in Verbindung mit der über eine Tastatur gesondert einzugebenden persönlichen Geheimzahl (PIN) vor der unbefugten Verwendung einer Zahlungskarte schützen sollen, führt entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zu keinem anderen Ergebnis. Zwar erfolgt die Autorisierung bei der Verwendung einer Zahlungskarte mit Garantiefunktion ausschließlich über die Eingabe der PIN (vgl. Gößmann in Schimansky/Bunte/Lwowski Bankrechts-Handbuch § 54 Rdn. 14 b). Diese wird aber nicht durch Lesen der Daten aus dem Magnetstreifen ermittelt, sondern mit dem Triple-DESAlgorithmus , einem 128-Bit-Schlüssel, aus der auf dem Magnetstreifen gespeicherten Konto-Nummer, der Kartenfolge-Nummer und der jeweiligen Bankleitzahl des Karten ausgebenden Instituts - nunmehr ausschließlich online (vgl. Gößmann aaO) - errechnet und mit der vom Benutzer des Geldautomaten eingegebenen PIN verglichen (vgl. BGH, Urt. vom 5. Oktober 2004 - XI ZR 210/03, BGHZ 160, 308, 311; Gößmann aaO; Koch/Vogel in Langenbucher/ Gößmann/Werner Zahlungsverkehr § 5 Rdn. 10). Die Sicherung der der Berechnung der PIN zu Grunde liegenden Daten mittels eines kryptografischen Schlüssels (vgl. Koch/Vogel aaO) schützt die auf dem Magnetstreifen einer Zahlungskarte gespeicherten Daten zwar vor unbefugter Verwendung der Da- ten, nicht aber vor dem unberechtigten Zugang zu diesen Daten durch Auslesen mittels eines Lesegeräts.
7
Es kann dahinstehen, ob auf den Magnetstreifen der von dem Angeklagten und seinen Mittätern ausgelesenen Magnetstreifen Daten auch in verschlüsselter Form gespeichert waren. Eine Verschlüsselung von Daten schützt nur vor der Erfassung des Bedeutungsgehalts (kryptierter) Daten (vgl. MünchKomm StGB/Graf § 202 a Rdn. 40 zu § 202 a StGB a.F.), nicht aber vor dem bloßen Auslesen und Abspeichern der verschlüsselten Daten auf einem Datenträger des Täters und erfüllt demgemäß nicht den Tatbestand des § 202 a StGB n.F., weil es hierzu nicht der Überwindung einer Zugangssicherung bedarf (vgl. Gröseling/Höfinger MMR 2007, 549, 551).
8
3. Der Senat sieht sich durch das Urteil des 3. Strafsenats vom 10. Mai 2005 - 3 StR 425/04 (NStZ 2005, 566) gehindert, wie beabsichtigt zu entscheiden. In jener Entscheidung hat der 3. Strafsenat - ohne nähere Begründung - bei identischem Sachverhalt die Verurteilung wegen Ausspähens von Daten (§ 202 a StGB a.F.) durch das Landgericht nicht beanstandet. Der Senat fragt daher gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei dem 3. Strafsenat an, ob an der genannten Rechtsauffassung festgehalten wird.
9
Vorsorglich fragt der Senat auch bei dem 1., 2. und 5. Strafsenat an, ob dortige Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung entgegensteht. Tepperwien Athing Solin-Stojanović Ernemann Mutzbauer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09

Referenzen - Gesetze

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena
Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09 zitiert 2 §§.

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Okt. 2004 - XI ZR 210/03

bei uns veröffentlicht am 05.10.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XI ZR 210/03 Verkündet am: 5. Oktober 2004 Weber, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja ______
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 18. März 2010 - 4 StR 555/09.

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2011 - 3 StR 419/10

bei uns veröffentlicht am 17.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 419/10 vom 17. Februar 2011 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ StGB § 30 Abs. 2, §§ 52, 53 Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses richte

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Mai 2010 - 1 ARs 6/10

bei uns veröffentlicht am 19.05.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 ARs 6/10 vom 19. Mai 2010 in der Strafsache gegen wegen gewerbs- und bandenmäßiger Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktionu.a. hier: Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG Der 1. Strafsenat des Bundesgericht

Referenzen

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 210/03 Verkündet am:
5. Oktober 2004
Weber,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
_____________________
BGB §§ 276 E, 676 f, 676 h; Bedingungen der Sparkassen für die Verwendung
der ec-Karte (Fassung Juni 1999) A. III. 2.4

a) Wird zeitnah nach dem Diebstahl einer ec-Karte unter Verwendung dieser Karte
und Eingabe der richtigen persönlichen Geheimzahl (PIN) an Geldausgabeautomaten
Bargeld abgehoben, spricht grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins
dafür, daß der Karteninhaber die PIN auf der ec-Karte notiert oder gemeinsam
mit dieser verwahrt hat, wenn andere Ursachen für den Mißbrauch
nach der Lebenserfahrung außer Betracht bleiben.

b) Die Möglichkeit eines Ausspähens der persönlichen Geheimzahl (PIN) durch
einen unbekannten Dritten kommt als andere Ursache grundsätzlich nur dann in
Betracht, wenn die ec-Karte in einem näheren zeitlichen Zusammenhang mit
der Eingabe der PIN durch den Karteninhaber an einem Geldausgabeautomaten
oder einem POS-Terminal entwendet worden ist.
BGH, Urteil vom 5. Oktober 2004 - XI ZR 210/03 - LG Duisburg
AG Duisburg
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe
und die Richter Dr. Müller, Dr. Wassermann, Dr. Appl und
Dr. Ellenberger

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 8. Mai 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin begehrt die Auszahlung von Geldbeträg en, die nach Abhebungen an Geldausgabeautomaten von der beklagten Sparkasse ihrem Girokonto belastet worden sind.
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten ein Giro konto. Für dieses erteilte die Beklagte der Klägerin im November 1999 eine ec-Karte und eine persönliche Geheimnummer (PIN). Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten für die Verwendung der ec-Karte enthielten unter anderem folgende Regelungen:
"Für Schäden, die vor der Verlustanzeige entstanden sind, haftet der Kontoinhaber, wenn sie auf einer schuldhaften Verletzung seiner Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten beruhen. ... Die Sparkasse übernimmt auch die vom Kontoinhaber zu tragenden Schäden, die vor der Verlustanzeige entstanden sind, sofern der Karteninhaber seine Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten ... nicht grob fahrlässig verletzt hat. Grobe Fahrlässigkeit des Karteninhabers liegt insbesondere vor, wenn - die persönliche Geheimzahl auf der ec-Karte vermerkt oder zusammen mit der ec-Karte verwahrt war (z.B. der Originalbrief, in dem die PIN dem Karteninhaber mitgeteilt wurde), - die persönliche Geheimzahl einer anderen Person mitgeteilt und der Mißbrauch dadurch verursacht wurde, ..." Mit der ec-Karte der Klägerin wurden an Geldausgab eautomaten zweier anderer Sparkassen ohne Fehlversuch unter Eingabe der richtigen PIN am 23. September 2000 gegen 17.30 Uhr zweimal 500 DM und am Morgen des folgenden Tages 1.000 DM abgehoben. Am 25. September 2000 veranlaßte die Klägerin die Sperrung ihrer ec-Karte. Die Beklagte belastete das Girokonto der Klägerin mit den abgehobenen Beträgen.
Die Klägerin macht geltend, ihr seien am 23. Septe mber 2000 zwischen 15.00 Uhr und 17.00 Uhr auf einem Stadtfest ihr Portemonnaie und die darin befindliche ec-Karte entwendet worden. Ihre persönliche Geheimzahl habe sie nirgendwo notiert, sondern ausschließlich als Telefonnummer in ihrem Mobiltelefon gespeichert gehabt. Dieses sei nicht gestohlen worden. Der Dieb müsse die persönliche Geheimzahl ent-
schlüsselt oder Mängel des Sicherheitssystems der Beklagten zur Geheimhaltung des Institutsschlüssels ausgenutzt haben.
Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 2.000 DM n ebst Zinsen gerichteten Klage stattgegeben, das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist unbegründet.

I.


Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wes entlichen wie folgt begründet:
Die Klage sei unbegründet. Die Beklagte habe das G irokonto der Klägerin zu Recht mit 2.000 DM belastet. Die Klägerin sei ihr wegen positiver Verletzung des Girovertrages in dieser Höhe zum Schadensersatz verpflichtet. Zugunsten der Beklagten spreche der Beweis des ersten Anscheins, daß die Klägerin ihre Sorgfaltspflichten zur Aufbewahrung der ec-Karte oder zur Geheimhaltung der persönlichen Geheimzahl grob fahrlässig verletzt habe. Insbesondere komme in Betracht, daß sie die persönliche Geheimzahl auf der ec-Karte vermerkt oder zusammen mit der ec-Karte verwahrt habe. Anders als durch ein grob fahrlässiges Ver-
halten der Klägerin seien die drei Barabhebungen an Geldautomaten durch einen unbefugten Dritten (den Dieb oder einen Komplizen) jeweils ohne jeglichen Fehlversuch bei der Eingabe der PIN nach der Lebenserfahrung nicht zu erklären.
Die PIN der Klägerin und der 128-BIT-Schlüssel des PIN-Systems der von der Beklagten im November 1999 an die Klägerin ausgegebenen ec-Karte hätten am 23. September 2000 nicht entschlüsselt werden können. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten sei es mathematisch ausgeschlossen, die PIN einzelner Karten mit Hilfe von auf ihnen gefundenen Informationen ohne die vorherige Erlangung des Institutsschlüssels zu errechnen; es sei auch mit größtmöglichem finanziellen Einsatz nicht möglich, einen Rechner zu bauen, der eine solche Berechnung des Institutsschlüssels erlaube. Die von dem Sachverständigen erwogenen anderen theoretischen Möglichkeiten, wie ein Täter ohne grob sorgfaltswidriges Verhalten der Klägerin an die PIN ihrer ec-Karte gekommen sein könnte, schlössen weder einen Anscheinsbeweis zu Lasten der Klägerin aus noch könnten sie hier diesen Anschein erschüttern. Denn sämtliche theoretische Möglichkeiten kämen entweder im allgemeinen oder im konkreten Fall ernsthaft nicht in Betracht. Ersteres gelte für sogenannte "Innentäterattacken", d.h. für Angriffe von Mitarbeitern des Kreditinstituts gegen den Institutsschlüssel, für Angriffe gegen die im Rechenzentrum des Kreditinstituts im Umfeld der TransaktionsAutorisierung ablaufende Software oder unbeabsichtigte Sicherheitslükken dieser Software, die eine Geldabhebung auch ohne zutreffende PIN erlauben oder einem Innentäter Angriffsmöglichkeiten bieten könnten. Nach den Ausführungen des Sachverständigen gebe es keine Hinweise dafür, daß solche Möglichkeiten jemals konkret für kriminelle Handlun-
gen entdeckt und ausgenutzt worden seien. Schließlich lägen im konkreten Fall auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß der Täter die PIN der Klägerin ausgespäht habe.

II.


Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruc h gemäß §§ 667, 675 Abs. 1, § 676 f BGB oder §§ 700 Abs. 1, 607 BGB a.F. auf Auszahlung der von einem Dritten unberechtigt abgehobenen 2.000 DM. Die Beklagte hat das Konto der Klägerin zu Recht mit den am 23. und 24. September 2000 an Geldausgabeautomaten erfolgten Barabhebungen in Höhe von insgesamt 2.000 DM belastet.
1. Die Beklagte hat zwar nach dem - hier gemäß Art . 229 § 2 Abs. 1 EGBGB bereits anwendbaren - § 676 h Satz 1 BGB keinen Aufwendungsersatzanspruch gemäß §§ 670, 675 Abs. 1, § 676 f BGB gegen die Klägerin. Die Beklagte hat nicht bewiesen, daß die hier in Rede stehenden Geldabhebungen von der Klägerin selbst oder mit ihrem Einverständnis durch einen Dritten vorgenommen worden sind. Vielmehr ist das Berufungsgericht zu der Feststellung gelangt, daß die Geldabhebungen durch einen unbefugten Dritten, nämlich den Dieb oder einen Komplizen mit Hilfe der Original-ec-Karte, erfolgt sind. Das wird auch von der Revisionserwiderung nicht in Zweifel gezogen.
2. Der Beklagten steht aber gegen die Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung zu, den sie in das Kontokorrent einstellen (vgl. BGHZ 84, 371, 376) und mit dem sie das Girokonto der Klägerin belasten durfte. Die Klägerin haftet für die durch die mißbräuchliche Verwendung ihrer ec-Karte entstandenen Schäden, weil diese auf einer grob fahrlässigen Verletzung der Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten der Klägerin beruhen. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, zugunsten der hierfür beweispflichtigen Beklagten spreche der Beweis des ersten Anscheins, daß die Klägerin ihre Pflicht zur Geheimhaltung der persönlichen Geheimzahl verletzt hat, indem sie diese auf der ec-Karte vermerkt oder zusammen mit der ecKarte verwahrt hat.

a) Das Vermerken der persönlichen Geheimzahl auf d er ec-Karte oder ihre Verwahrung zusammen mit dieser stellt - wovon auch Nr. A. III. 2.4 der Bedingungen für die Verwendung der ec-Karte ausgeht - eine grobe Fahrlässigkeit des Karteninhabers dar; dabei trägt die Bewertung dieser Handlungsweisen als grob fahrlässig dem Umstand Rechnung, daß dadurch der besondere Schutz, den die für Abhebungen neben der ec-Karte zusätzlich benötigte Geheimnummer bietet, aufgehoben wird, weil ein Unbefugter, dem ec-Karte und Geheimnummer gemeinsam in die Hände fallen, ohne weiteres Abhebungen vornehmen kann (BGHZ 145, 337, 340 f.).

b) Zu Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebn is gelangt, der Beweis des ersten Anscheins spreche dafür, daß die Klägerin die persönliche Geheimzahl auf ihrer ec-Karte vermerkt oder sie zusammen mit
dieser verwahrt habe. Diesen Beweis des ersten Anscheins hat die Klägerin nicht erschüttert.
aa) Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, u nterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGHZ 100, 31, 33; BGH, Urteil vom 17. Februar 1988 - IVa ZR 277/86, NJW-RR 1988, 789, 790). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins nur bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, d.h. in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (BGHZ 100, 31, 33; BGH, Urteile vom 23. Januar 1997 - I ZR 29/94, WM 1997, 1493, 1496 und vom 4. Dezember 2000 - II ZR 293/99, NJW 2001, 1140, 1141). Dabei bedeutet Typizität nicht, daß die Ursächlichkeit einer bestimmten Tatsache für einen bestimmten Erfolg bei allen Sachverhalten dieser Fallgruppe notwendig immer vorhanden ist; sie muß aber so häufig gegeben sein, daß die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BGH, Urteil vom 6. März 1991 - IV ZR 82/90, VersR 1991, 460, 462).
Spricht ein Anscheinsbeweis für einen bestimmten U rsachenverlauf , kann der Inanspruchgenommene diesen entkräften, indem er Tatsachen darlegt und gegebenenfalls beweist, die die ernsthafte, ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit einer anderen Ursache nahelegen (BGH, Urteile vom 3. Juli 1990 - VI ZR 239/89, NJW 1991, 230, 231 m.w.Nachw. und vom 17. Januar 1995 - X ZR 82/93, VersR 1995, 723, 724). Der Anscheinsbeweis kann auch erschüttert werden, wenn unstreitig oder vom Inanspruchgenommenen bewiesen ist, daß ein schädigen-
des Ereignis durch zwei verschiedene Ursachen mit jeweils typischen Geschehensabläufen herbeigeführt worden sein kann und jede für sich allein den Schaden verursacht haben kann; haftet der Inanspruchgenommene in einem solchen Fall nur für eine der möglichen Ursachen, sind die Regeln über den Anscheinsbeweis nicht anwendbar (BGHZ 24, 308, 313; BGH, Urteile vom 20. Juni 1978 - VI ZR 15/77, NJW 1978, 2032, 2033 und vom 17. Januar 1995 - X ZR 82/93, VersR 1995, 723, 724). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die eine oder andere Verursachungsmöglichkeit nach den Erfahrungen des täglichen Lebens die wahrscheinlichere ist (BGHZ 24, 308, 313; BGH, Urteil vom 17. Februar 1988 - IVa ZR 277/86, NJW-RR 1988, 789, 790 m.w.Nachw.).
bb) Nach diesen Maßstäben greift im Ergebnis der B eweis des ersten Anscheins zu Lasten der Klägerin ein, daß sie ihre persönliche Geheimzahl entweder auf ihrer ec-Karte notiert oder sie gemeinsam mit dieser aufbewahrt hat.
(1) Das Berufungsurteil ist allerdings rechtsfehle rhaft, soweit das Berufungsgericht einen Beweis des ersten Anscheins unter anderem dafür angenommen hat, daß die Klägerin ihre Sorgfaltspflichten zur Aufbewahrung der ec-Karte grob fahrlässig verletzt habe. Es besteht kein allgemeiner Erfahrungssatz des Inhalts, daß eine Person, der bei einem Straßenfest das Portemonnaie mit der darin befindlichen ec-Karte entwendet wird, diesen Diebstahl in grob fahrlässiger Weise ermöglicht hat. Feststellungen zur Art und Weise der Aufbewahrung von Portemonnaie nebst ec-Karte seitens der Klägerin hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß die Aufbe-
wahrung des Portemonnaie durch die Klägerin nicht sorgfaltswidrig war oder den Diebstahl in nur leicht fahrlässiger Weise ermöglicht hat.
(2) Der Senat hat bisher offengelassen, ob in Fäll en, in denen an Geldausgabeautomaten unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl Geld abgehoben wurde, der Beweis des ersten Anscheins dafür spricht, daß entweder der Kartenbesitzer als rechtmäßiger Kontoinhaber die Abhebungen selbst vorgenommen hat oder - was hier nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts allein in Betracht kommt - daß ein Dritter nach der Entwendung der ec-Karte von der Geheimnummer nur wegen ihrer Verwahrung gemeinsam mit der ec-Karte Kenntnis erlangen konnte (BGHZ 145, 337, 342). In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der Literatur wird ein entsprechender Beweis des ersten Anscheins zu Lasten des Kontoinhabers überwiegend angenommen (OLG Frankfurt - 8. Zivilsenat - WM 2002, 2101, 2102 f.; OLG Stuttgart WM 2003, 125, 126 f.; LG Hannover WM 1998, 1123 f.; LG Stuttgart WM 1999, 1934 f.; LG Frankfurt am Main WM 1999, 1930, 1932 f.; LG Darmstadt WM 2000, 911, 913 f.; LG Köln WM 2001, 852, 853; LG Berlin - 52. Zivilkammer - WM 2003, 128, 129; AG Diepholz WM 1995, 1919, 1920; AG Hannover WM 1997, 1207, 1208 f.; AG Wuppertal WM 1997, 1209; AG Charlottenburg WM 1997, 2082; AG Dinslaken WM 1998, 1126; AG Osnabrück WM 1998, 1127, 1128; AG Frankfurt am Main NJW 1998, 687 f. und BKR 2003, 514, 516; AG Flensburg VuR 2000, 131 f.; AG Hohenschönhausen WM 2002, 1057, 1058 f.; AG Regensburg WM 2002, 2105, 2106 f.; AG Nürnberg WM 2003, 531, 532 f.; AG Charlottenburg WM 2003, 1174, 1175; Werner WM 1997, 1516; Aepfelbach/Cimiotti WM 1998, 1218; Gößmann WM 1998, 1264, 1269; Palandt/Sprau, BGB 63. Aufl. § 676 h Rdn. 13; Musielak/Foerste,
ZPO 3. Aufl. § 286 Rdn. 26), von einem erheblichen Teil aber verneint (OLG Hamm WM 1997, 1203, 1206 f.; OLG Frankfurt - 7. Zivilsenat - WM 2001, 1898; OLG Frankfurt - 24. Zivilsenat - WM 2002, 1055, 1056 f.; LG Berlin - 51. Zivilkammer - WM 1999, 1920; LG Dortmund CR 1999, 556, 557; LG Mönchengladbach VuR 2001, 17, 18; LG Osnabrück WM 2003, 1951, 1953; AG Buchen VuR 1998, 42 f.; AG Hamburg VuR 1999, 88, 89 f.; AG Berlin-Mitte VuR 1999, 201, 202 f. und EWiR 2003, 891; AG Frankfurt am Main WM 1999, 1922, 1924 ff.; AG München NJW-RR 2001, 1056, 1057; AG Dortmund BKR 2003, 912, 913; AG Essen BKR 2003, 514; Pausch CR 1997, 174; Strube WM 1998, 1210, 1212 ff.; Zöller/Greger, ZPO 24. Aufl. vor § 284 Rdn. 31). Dabei betrifft der überwiegende Teil der veröffentlichten Entscheidungen und Literaturstimmen allerdings das ab Ende 1997 abgelöste alte Verfahren zur Erzeugung und Verifizierung der persönlichen Geheimzahl mit Hilfe eines geheimen Instituts- oder Poolschlüssels in einer Breite von 56 BIT und ist daher für die Beurteilung der Sicherheit der ab diesem Zeitpunkt eingeführten neuen Verschlüsselungsverfahren nur sehr eingeschränkt aussagekräftig.
(3) Mit dem Berufungsgericht ist der Senat der Auf fassung, daß in einem Fall der hier vorliegenden Art der Beweis des ersten Anscheins für ein grob fahrlässiges Verhalten des Karteninhabers im Zusammenhang mit der Geheimhaltung seiner persönlichen Geheimzahl spricht.
(a) Die Grundsätze über den Anscheinsbeweis sind e ntgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb unanwendbar, weil es mehrere theoretische und praktische Möglichkeiten der Kenntniserlangung von der persönlichen Geheimzahl durch einen Dritten gibt. Zu Recht ist das
Berufungsgericht vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, daß die hier in Rede stehenden Bargeldabhebungen mit Hilfe der Original-ec-Karte und richtiger PIN durch einen unbefugten Dritten anders als durch ein grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin nicht zu erklären seien, weil andere Ursachen zwar theoretisch möglich seien, bei wertender Betrachtung aber außerhalb der Lebenserfahrung lägen.
(b) Gegen die Anwendbarkeit der Grundsätze über de n Anscheinsbeweis vermag die Revision auch nicht anzuführen, ein Erfahrungssatz, daß die persönliche Geheimzahl auf der Karte notiert oder gemeinsam mit dieser verwahrt würde, sei nicht empirisch belegt. Empirischer Befunde bedarf es für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises nicht. Dieser setzt lediglich voraus, daß ein Sachverhalt feststeht, bei dem der behauptete ursächliche Zusammenhang typischerweise gegeben ist, beruht also auf der Auswertung von Wahrscheinlichkeiten, die aufgrund der Lebenserfahrung anzunehmen sind und die dem Richter hiernach die Überzeugung (§ 286 ZPO) vermitteln, daß auch in dem von ihm zu entscheidenden Fall der Ursachenverlauf so gewesen ist wie in den vergleichbaren Fällen (BGH, Urteil vom 17. Februar 1988 - IVa ZR 277/86, NJW-RR 1988, 789, 790).
(c) Das Berufungsgericht ist - sachverständig bera ten - zu der Feststellung gelangt, es sei auch mit größtmöglichem finanziellen Aufwand mathematisch ausgeschlossen, die PIN einzelner Karten aus den auf ec-Karten vorhandenen Daten ohne die vorherige Erlangung des zur Verschlüsselung verwendeten Institutsschlüssels in einer Breite von 128 BIT zu errechnen. Dies entspricht der Beurteilung, die das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik in einer schriftlichen Aus-
kunft vom 27. November 2001 für das vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband neu eingeführte PIN-Verfahren abgegeben hat. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung kann vom Senat lediglich daraufhin überprüft werden, ob sich das Berufungsgericht entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Streitstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (st.Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 11. Februar 1987 - IVb ZR 23/86, NJW 1987, 1557, 1558, vom 1. Oktober 1996 - VI ZR 10/96, NJW 1997, 796, 797 und vom 9. Juli 1999 - V ZR 12/98, WM 1999, 1889, 1890). Einen solchen Fehler weist die Revision nicht nach. Mit ihrer Rüge, die Lebenserfahrung spreche gerade in Zeiten beschleunigt fortschreitender Computerentwicklung und der vielfältigen Möglichkeiten des Internets gegen die Annahme einer fehlenden Entschlüsselungsmöglichkeit, versucht die Revision lediglich, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts durch eine andere, der Klägerin günstigere zu ersetzen.
(d) Die Regeln über den Anscheinsbeweis sind auch nicht deshalb unanwendbar, weil hier davon auszugehen wäre, daß der Schaden durch zwei verschiedene Ursachen herbeigeführt worden sein kann, die beide typische Geschehensabläufe sind, für die die Klägerin aber nur in einem Fall die Haftung zu übernehmen hätte. Das wäre dann der Fall, wenn als weiterer typischer Geschehensablauf in Betracht zu ziehen wäre, daß die Eingabe der zutreffenden PIN durch den Dieb der ec-Karte dadurch ermöglicht wurde, daß dieser zuvor die persönliche Geheimzahl des Karteninhabers ausgespäht hat, als dieser sie bei Abhebungen an Geldausgabeautomaten oder beim Einsatz der ec-Karte an einem POS-Terminal
zur Zahlung eines Geldbetrages eingab. Eine Ausspähung der PIN etwa mit Hilfe optischer oder technischer Hilfsmittel oder durch eine Manipulation des Geldausgabeautomaten oder ein aufmerksames Verfolgen der PIN-Eingabe an POS-Terminals oder Geldausgabeautomaten ohne ausreichenden Sichtschutz des Eingabetastenfeldes ist zwar durchaus denkbar. Als ernsthafte Möglichkeit einer Schadensursache, die den Beweis des ersten Anscheins für eine grob fahrlässige gemeinsame Verwahrung von ec-Karte und PIN durch den Karteninhaber bei Eingabe der zutreffenden PIN durch einen unbefugten Dritten entfallen läßt, kommt ein Ausspähen der PIN aber nur dann in Betracht, wenn die ec-Karte in einem näheren zeitlichen Zusammenhang mit der Eingabe der PIN durch den Karteninhaber entwendet worden ist. Durch Ausspähen erlangt der Täter zunächst nur Kenntnis von der PIN, gelangt aber nicht in den Besitz der ec-Karte. Da er den Karteninhaber regelmäßig nicht persönlich kennt, muß er die ec-Karte alsbald nach dem Ausspähen der PIN entwenden.
Dafür ist hier nichts vorgetragen. Die Klägerin ha t vielmehr im Gegenteil vorgebracht, sie habe am Tag des Diebstahls mit der ec-Karte kein Geld abgehoben; ein Ausspähen der PIN sei "nicht möglich gewesen". Der Täter habe "ausschließlich die Möglichkeit" gehabt, die "PIN durch eigene Computertechnik in Erfahrung zu bringen". Aufgrund dessen hat das Berufungsgericht, von der Revision unangegriffen, festgestellt , für ein Ausspähen der PIN gebe es hier keine Anhaltspunkte.
(e) Ohne Rechtsfehler mißt das Berufungsgericht fe rner sogenannten "Innentäterattacken", d.h. Angriffen von Bankmitarbeitern, etwa zur Ausspähung des der Verschlüsselung dienenden Institutsschlüssels, An-
griffen gegen die im Rechenzentrum des Kreditinstituts im Umfeld der Transaktionsautorisierung ablaufende Software und unbeabsichtigten Sicherheitslücken dieser Software keine einem Anscheinsbeweis zu Lasten des Kontoinhabers entgegenstehende Wahrscheinlichkeit zu. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang nicht einen Beweisantrag der Klägerin verfahrensfehlerhaft übergangen. Diese hat lediglich unter Sachverständigenbeweis gestellt, daß die Maßnahmen in Bankrechenzentren und Bankverlagen zum Schutz der Software, zur Geheimhaltung der Institutsschlüssel und zur Vermeidung anderer interner Angriffe auf das PIN-System nicht ausreichend seien, um erfolgreiche Angriffe auszuschließen. Daß derartige - von der Klägerin damit nicht substantiiert behauptete - Sicherheits- und Softwaremängel als Ursachen für die Möglichkeit eines Mißbrauchs einer gestohlenen ec-Karte theoretisch in Betracht kommen, ergab sich aber bereits aus dem vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten. Das Berufungsgericht hat diese Ursachen als rein theoretischer Natur und als im allgemeinen außerhalb der Lebenserfahrung liegend angesehen, weil es nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Hinweise darauf gebe, daß solche Möglichkeiten je konkret für kriminelle Handlungen entdeckt oder ausgenutzt worden seien. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat, bei ihr sei es nie zu einer "Innentäterattacke" gekommen. Auch die durch keinerlei Tatsachenvortrag gestützte Vermutung der Klägerin, der Institutsschlüssel der Beklagten könne in kriminellen Kreisen bekannt geworden sein, ist deshalb nicht geeignet, der Anwendung des Anscheinsbeweises die Grundlage zu entziehen.
(f) Die Revision vermag der Anwendung der Grundsät ze über den Anscheinsbeweis nicht entgegenzuhalten, daß sie in der Regel nicht geeignet seien, grobe Fahrlässigkeit von einfacher Fahrlässigkeit abzugrenzen. Der Anscheinsbeweis führt hier lediglich zur Annahme eines bestimmten tatsächlichen Verhaltens des Karteninhabers, nämlich daß er seine persönliche Geheimzahl entweder auf der ec-Karte notiert oder gemeinsam mit dieser aufbewahrt hat. Erst in einem weiteren Schritt wird dieses tatsächliche Verhalten entsprechend den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten für die Verwendung der ecKarte rechtlich als grob fahrlässig bewertet. Inhaltlich sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten insoweit nicht zu beanstanden. Sie lassen ein Notieren der PIN, auf das ein Teil der Bankkunden nicht verzichten kann, ohne weiteres zu; lediglich eine getrennte Verwahrung von ec-Karte und notierter PIN muß gewährleistet sein.
(g) Zu Unrecht ist die Revision weiter der Auffass ung, die Anwendung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis durch die Rechtsprechung führe in Fällen der vorliegenden Art im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr und bewirke eine verschuldensunabhängige, garantieähnliche Haftung des Bankkunden, weil der Karteninhaber nicht in der Lage sei, Sicherheitslücken im System aufzuzeigen. Der Anscheinsbeweis führt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu einer Umkehr der Beweislast (BGHZ 100, 31, 34 m.w.Nachw.). Wenn der Karteninhaber dem Anscheinsbeweis durch die konkrete Darlegung und gegebenenfalls den Nachweis der Möglichkeit eines atypischen Verlaufs die Grundlage entzieht, hat das Kreditinstitut den vollen Beweis zu erbringen, daß der Karteninhaber eine Abhebung am Geldausgabeauto-
maten selbst vorgenommen oder den Mißbrauch der ec-Karte durch einen unbefugten Dritten grob fahrlässig ermöglicht hat.
Es ist auch nicht generell so, daß der Karteninhab er nicht in der Lage ist, Sicherheitslücken im System des Kartenausgebers aufzuzeigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sekundären Darlegungslast kann es Sache einer nicht primär darlegungsund beweispflichtigen Partei sein, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei konkret zu äußern, wenn diese außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, ihr Prozeßgegner aber die wesentlichen Umstände kennt und es ihm zumutbar ist, dazu nähere Angaben zu machen (BGHZ 140, 156, 158 f.; 145, 35, 41; BGH, Urteile vom 24. November 1998 - VI ZR 388/97, NJW 1999, 714 f. m.w.Nachw. und vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, WM 2002, 347, 349). Das gilt auch für das kartenausgebende Kreditinstitut hinsichtlich der von ihm - im Rahmen des Zumutbaren und gegebenenfalls in verallgemeinernder Weise - darzulegenden Sicherheitsvorkehrungen. Dadurch wird der Karteninhaber in die Lage versetzt, Beweis für von ihm vermutete Sicherheitsmängel antreten zu können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 2003 - III ZR 7/02, BGHReport 2003, 891, 892). Das Kreditinstitut wird zudem aus dem mit dem Karteninhaber bestehenden Girovertrag regelmäßig als verpflichtet anzusehen sein, sämtliche in seinem Besitz befindlichen technischen Aufzeichnungen, die die streitigen oder vorangegangene Auszahlungsvorgänge betreffen oder hierüber Aufschluß geben können, bis zur Klärung der Angelegenheit aufzuheben und dem Kontoinhaber gegebenenfalls auch zugänglich zu machen (vgl. BGH, Urteil vom
21. November 1995 - VI ZR 341/94, NJW 1996, 779, 780 f.). Schließlich kann sich zugunsten des Karteninhabers auswirken, daß derjenige, der die Gegenpartei schuldhaft in der Möglichkeit beschneidet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern oder zu widerlegen, sich nicht auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises berufen kann (BGH, Urteil vom 17. Juni 1997 - X ZR 119/94, WM 1998, 204, 206).

III.


Die Revision der Klägerin war daher als unbegründe t zurückzuweisen.
Nobbe Müller Wassermann
Appl Ellenberger

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.