Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2012 - 4 StR 74/12

bei uns veröffentlicht am25.04.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 74/12
vom
25. April 2012
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. April 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 5. September 2011 mit den Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zu den einzelnen sexuellen Handlungen zum Nachteil der Geschädigten – aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat im Wesentlichen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Der Angeklagte war vom Jahr 2000 bis zu seiner Suspendierung vom Dienst am 11. März 2011 Sport- und Erdkundelehrer an einer Realschule. Zusätzlich bildete er für das Deutsche Rote Kreuz seit dem Jahr 2002 im Rahmen eines zusätzlichen, von ihm im Einvernehmen mit Schulaufsicht und Schulleitung eingerichteten freiwilligen Schulsanitätsdienstes Schüler und Schülerinnen ab der Klassenstufe 6 zu Schulsanitätern aus. Dabei handelte es sich um ein zusätzliches Angebot der Schule außerhalb des verpflichtend erteilten Unterrichts in Form einer Arbeitsgemeinschaft, weshalb eine Teilnahme daran lediglich ohne Benotung im Zeugnis vermerkt wurde. Der Angeklagte war ferner von 2003/2004 bis zum 31. Dezember 2010 Leiter des Deutschen Jugend-RotKreuzes (DJRK) in W. . Die im Tatzeitraum (22. Oktober 2010 bis 4. März 2011) überwiegend 14 und zuletzt 15 Jahre alte Geschädigte besuchte die Realschule, an der der Angeklagte tätig war. Er war jedoch weder ihr Klassenlehrer noch unterrichtete er sie, von Vertretungsfällen in nicht näher festgestelltem Umfang abgesehen, in einem bestimmten Fach. Seit dem Jahr 2008 nahm die Geschädigte an dem vom Angeklagten veranstalteten Schulsanitätsdienst sowie – in ihrer Freizeit – an den von ihm geleiteten Gruppenstunden im DJRK in W. teil.
4
Infolge der Trennung ihrer Mutter von ihrem Stiefvater, mit dem sie ein sehr enges Vertrauensverhältnis verbunden hatte, entwickelte die Geschädigte seit Februar 2009 eine massive Essstörung und magerte erheblich ab. Im Sommer 2010 aß sie fast nichts mehr und begann, sich durch Ritzen selbst zu verletzen. Zwischen dem Angeklagten, der ihre schlechte Verfassung bemerkt und ihr seine Hilfe angeboten hatte, und der Geschädigten, die sich daraufhin dem Angeklagten zuwandte und ihm rückhaltlos von ihren privaten Problemen berichtete, entstand in der Folgezeit eine enge persönliche Beziehung, in der es nach dem Austausch bloßer Zärtlichkeiten in der Zeit vom 22. Oktober 2010 bis zum 4. März 2011 zu den hier abgeurteilten sexuellen Handlungen kam. Der Angeklagte gab der Geschädigten in einem Fall einen Zungenkuss, veranlasste sie in drei Fällen dazu, bei ihm den Oralverkehr auszuführen und führte in acht Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durch, in einem Fall zusätzlich den Analverkehr.
5
2. Das Landgericht hat angenommen, die Geschädigte sei dem Angeklagten in dessen Eigenschaft als Lehrer zur Erziehung und zur Ausbildung im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB anvertraut gewesen, auch wenn er sie nicht selbst unterrichtet, sondern allenfalls Vertretungsstunden in ihrer Klasse gegeben habe. Er habe sie außerdem im Rahmen des Schulsanitätsdienstes, also aus Anlass einer schulischen Veranstaltung, ausgebildet und sei auch als Leiter einer Jugendgruppe beim DJRK ihr Ausbilder gewesen.

II.


6
Die Annahme eines Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird von den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht getragen.
7
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die berufliche Stellung des Angeklagten als Lehrer an der Schule, die die Geschädigte als Schülerin besuchte, ein Obhutsverhältnis zu ihr unter bestimmten Voraussetzungen ebenso zu begründen vermag wie seine Tätigkeit als Veranstalter der von der Geschädigten wahrgenommenen Arbeitsgemeinschaft „Schulsanitätsdienst“ oder als Leiter einer Jugendgruppe beim DJRK, deren Mitglied die Geschädigte war. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Voraussetzung eines Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Beziehung zwischen Täter und Opfer, aus der sich für den Täter das Recht und die Pflicht ergibt, Erziehung, Ausbildung oder Lebensführung des Schutzbefohlenen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (vgl. nur BGH, Beschluss vom 31. Januar 1967 – 1 StR 595/65, BGHSt 21, 196, 199 ff.; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 – 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661). Ein die Anforderungen der Vorschrift erfüllendes Anvertrautsein setzt ein den persönlichen, allgemein menschlichen Bereich erfassendes Abhängigkeitsverhältnis des Jugendlichen zu dem jeweiligen Betreuer im Sinne einer Unter- und Überordnung voraus (BGH, Beschluss vom 21. April 1995 – 3 StR 526/94, BGHSt 41, 137, 139). Es kann daher außer im schulischen Bereich auch in anderen, den Verhältnissen an einer Schule vergleichbaren Fällen vorliegen, etwa im Einzel- oder im Mannschaftssport (BGH, Urteil vom 3. April 1962 – 5 StR 74/62, BGHSt 17, 191 [Fußballtrainer ]; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 aaO [Tennistrainer]), ebenso in einem anderweitigen Ausbildungsverhältnis (BGH, Beschluss vom 31. Januar 1967 aaO [Fahrlehrer]). Maßgebend sind indes in jedem Fall die konkreten, tatsächlichen Verhältnisse (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1963 – 2 StR 357/63, BGHSt 19, 163, 166; Beschluss vom 31. Januar 1967 aaO, S. 202; Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 aaO; SSW-StGB/Wolters, § 174 Rn. 6). Mag sich daher die Obhutsbeziehung mit dem von der Strafvorschrift vorausgesetzten Anvertrautsein bei einem Lehrer im Verhältnis zu den von ihm als Klassen- oder Fachlehrer unterrichteten Schülern von selbst verstehen, kann es bei Vorliegen anderer Fallgestaltungen genauerer Darlegung der erforderlichen Voraussetzungen bedürfen. So liegt es hier.
8
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte weder Klassen- noch Fachlehrer in der Klasse der Geschädigten, sondern erteilte lediglich Vertretungsunterricht. Danach versteht sich insoweit ein Obhutsverhältnis nicht von selbst. Jedenfalls an größeren Schulen mit einem für den einzelnen Schüler nur schwer überschaubaren Lehrerkollegium ergibt es sich nicht schon aus der bloßen Zugehörigkeit von Lehrern und Schülern zu derselben Schule, sondern regelmäßig erst mit der Zuweisung eines Schülers an einen bestimmten Lehrer, der dadurch die in § 174 Abs. 1 StGB vorausgesetzten Pflichten übernimmt (so BGH, Urteil vom 30. Oktober 1963 aaO; anders für den Leiter einer Schule: BGH, Urteil vom 24. November 1959 – 5 StR 518/59, BGHSt 13, 352, 355). Welchen Umfang die Vertretungstätigkeit des Angeklagten in der Klasse der Geschädigten hatte, ergibt sich aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils nicht.
9
b) Zwar kann die Annahme eines Obhutsverhältnisses zwischen Lehrer und Schüler auch unabhängig von der eigentlichen Unterrichtserteilung entstehen , etwa bei Aufsichtstätigkeiten oder im Rahmen besonderer Veranstaltungen der Schule, zu denen auch die Durchführung einer von den Schulbehörden genehmigten , nicht zum regulären Unterricht zählenden Arbeitsgemeinschaft zählt. Ob die Ausrichtung des Schulsanitätsdienstes unter der persönlichen Leitung des Angeklagten die Voraussetzungen einer solchen Obhutsbeziehung erfüllt, ist jedoch ebenfalls nicht ausreichend dargetan. Zwar steht dem die Freiwilligkeit der Teilnahme an dieser Veranstaltung nicht entgegen (BGH, Urteil vom 3. April 1962 – 5 StR 74/62, BGHSt 17, 191, 193). Gleichwohl fehlt es an näheren Feststellungen zur Häufigkeit der Durchführung und dazu, ob der Angeklagte diese Arbeitsgemeinschaft auch noch nach seinem Ausscheiden aus dem DJRK mit Ablauf des 31. Dezember 2010 fortführte.
10
Insoweit begegnet es auch durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn die Strafkammer die Tätigkeit des Angeklagten als Leiter einer Gruppe im DJRK, der auch die Geschädigte angehörte, zur Begründung des Obhutsverhältnisses herangezogen hat. Wie bereits erwähnt, beendete der Angeklagte diese Tätigkeit mit Ende des Jahres 2010; jedenfalls die Taten in den Fällen II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe, die die Strafkammer zeitlich nach dem ersten Geschlechtsverkehr („an einem nicht näher bestimmbaren Donnerstag im Dezember 2010 oder Januar 2011“) einordnet, ereignetensich demnach in einem Zeitraum, in dem der Angeklagte beim DJRK nicht mehr tätig war. Ein „nachwirkendes“ Obhutsverhältnis erfüllt den Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht (Senatsbeschluss vom 26. Juni 2003 – 4 StR 159/03, NStZ 2003, 661).

III.


11
Die Aufhebung des angefochtenen Urteils erfasst die zugehörigen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen, die das Landgericht zu den konkreten sexuellen Handlungen getroffen hat. Diese werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können daher aufrecht erhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2012 - 4 StR 74/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2012 - 4 StR 74/12

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen


(1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsver
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2012 - 4 StR 74/12 zitiert 3 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 174 Sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen


(1) Wer sexuelle Handlungen 1. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsver

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2012 - 4 StR 74/12 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2003 - 4 StR 159/03

bei uns veröffentlicht am 26.06.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 159/03 vom 26. Juni 2003 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2

Referenzen

(1) Wer sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder
2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 159/03
vom
26. Juni 2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Juni 2003 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 9. Dezember 2002 1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte im Fall 3 der Urteilsgründe des (vollendeten) sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen schuldig ist, 2. mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in 24 Fällen und wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit er in den Fällen 1 bis 13 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insbesondere belegen die Urteilsgründe, daß der Angeklagte , der zu den Tatzeiten Konrektor an der Schule des Tatopfers und gleichzeitig ihr Klassenlehrer war, die Taten – wie in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert – im Rahmen eines Obhutsverhältnisses und unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs- und Betreuungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit der Schutzbefohlenen begangen hat. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts Bezug genommen werden. Allerdings hat das Landgericht im Fall 3 der Urteilsgründe, in welchem es zwar nicht zu dem vom Angeklagten angestrebten Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer, wohl aber zu anderen sexuellen Handlungen an diesem kam, zu Unrecht („versehentlich“, vgl. UA 11) lediglich eine Versuchstat angenommen. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. Die insoweit verhängte Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe kann jedoch bestehen bleiben , da ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung als vollendete Tat auf eine geringere Strafe erkannt hätte.

2. Keinen Bestand kann hingegen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe haben.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen kam es in den Monaten Mai bis August 2001 in weiteren zwölf Fällen zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer zum Geschlechtsverkehr. Die einzelnen Tattage konnten nicht näher konkretisiert werden. Der letzte Geschlechtsverkehr fand in den Sommerferien 2001, die vom 5. Juli bis 18. August 2001 dauerten, „vor der Urlaubsreise des Angeklagten“ statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Geschädigte die Schule, an der der Angeklagte tätig war, bereits verlassen, um an einer anderen Schule ihre Schulausbildung fortzusetzen.
Mit Ausscheiden des Tatopfers aus der Schule des Angeklagten und mit der damit verbundenen Beendigung des bis dahin bestehenden LehrerSchüler -Verhältnisses ist bereits das Vorhandensein eines Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht belegt. Zwar war der Angeklagte , worauf das Landgericht ergänzend ebenfalls abgestellt hat, auch Tennistrainer der Geschädigten. Voraussetzung für das Vorliegen eines Obhutsverhältnisses ist jedoch, daß ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (std. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1 und 2). Dies versteht sich bei einer Tätigkeit als Tennistrainer nicht von selbst (zum Fußballtrainer vgl. BGHSt 17, 191, 192/193), sondern hätte vielmehr näherer Darlegung bedurft. Gleiches gilt für die vom Angeklagten weiterhin wahrgenommene Tätigkeit als Nachhilfelehrer, zumal den Urteilsfeststellungen nicht entnommen
werden kann, ob der Angeklagte der Geschädigten auch nach ihrem Ausscheiden aus der Schule, an der er unterrichtete, noch Nachhilfeunterricht erteilt hat.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 14 bis 25, da die Urteilsgründe weder den genauen Zeitpunkt des Ausscheidens der Geschädigten aus der Schule mitteilen noch mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lassen, welche der der Verurteilung zugrunde liegenden einzelnen sexuellen Handlungen davor oder danach begangen worden sind. Bei Anwendung des Zweifelssatzes kann daher auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß die für den Tatzeitraum „Mai bis August 2001“ ausgeurteilten Taten zu einem Zeitpunkt begangen worden sind, in welchem die Geschädigte die Schule des Angeklagten schon verlassen hatte und das aufgrund des Lehrer-SchülerVerhältnisses bestehende Obhutsverhältnis bereits beendet war. Die Sache bedarf daher insoweit der erneuten Verhandlung und Entscheidung.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Wer sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,
2.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder
3.
an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehegatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,
vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(2) Mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren wird eine Person bestraft, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, und die sexuelle Handlungen

1.
an einer Person unter sechzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
unter Ausnutzung ihrer Stellung an einer Person unter achtzehn Jahren, die zu dieser Einrichtung in einem Rechtsverhältnis steht, das ihrer Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung dient, vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
Ebenso wird bestraft, wer unter den Voraussetzungen des Satzes 1 den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen an oder vor einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt.

(3) Wer unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2

1.
sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen, oder
2.
den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, daß er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder mit Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn das Unrecht der Tat gering ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 159/03
vom
26. Juni 2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Juni 2003 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 9. Dezember 2002 1. im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte im Fall 3 der Urteilsgründe des (vollendeten) sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen schuldig ist, 2. mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen in 24 Fällen und wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben, soweit er in den Fällen 1 bis 13 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Insbesondere belegen die Urteilsgründe, daß der Angeklagte , der zu den Tatzeiten Konrektor an der Schule des Tatopfers und gleichzeitig ihr Klassenlehrer war, die Taten – wie in § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefordert – im Rahmen eines Obhutsverhältnisses und unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs- und Betreuungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit der Schutzbefohlenen begangen hat. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts Bezug genommen werden. Allerdings hat das Landgericht im Fall 3 der Urteilsgründe, in welchem es zwar nicht zu dem vom Angeklagten angestrebten Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer, wohl aber zu anderen sexuellen Handlungen an diesem kam, zu Unrecht („versehentlich“, vgl. UA 11) lediglich eine Versuchstat angenommen. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. Die insoweit verhängte Einzelstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe kann jedoch bestehen bleiben , da ausgeschlossen werden kann, daß das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung als vollendete Tat auf eine geringere Strafe erkannt hätte.

2. Keinen Bestand kann hingegen die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen 14 bis 25 der Urteilsgründe haben.
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen kam es in den Monaten Mai bis August 2001 in weiteren zwölf Fällen zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer zum Geschlechtsverkehr. Die einzelnen Tattage konnten nicht näher konkretisiert werden. Der letzte Geschlechtsverkehr fand in den Sommerferien 2001, die vom 5. Juli bis 18. August 2001 dauerten, „vor der Urlaubsreise des Angeklagten“ statt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Geschädigte die Schule, an der der Angeklagte tätig war, bereits verlassen, um an einer anderen Schule ihre Schulausbildung fortzusetzen.
Mit Ausscheiden des Tatopfers aus der Schule des Angeklagten und mit der damit verbundenen Beendigung des bis dahin bestehenden LehrerSchüler -Verhältnisses ist bereits das Vorhandensein eines Obhutsverhältnisses im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht belegt. Zwar war der Angeklagte , worauf das Landgericht ergänzend ebenfalls abgestellt hat, auch Tennistrainer der Geschädigten. Voraussetzung für das Vorliegen eines Obhutsverhältnisses ist jedoch, daß ein Verhältnis besteht, kraft dessen einer Person das Recht und die Pflicht obliegen, die Lebensführung des Jugendlichen und damit dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten (std. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 174 Abs. 1 Obhutsverhältnis 1 und 2). Dies versteht sich bei einer Tätigkeit als Tennistrainer nicht von selbst (zum Fußballtrainer vgl. BGHSt 17, 191, 192/193), sondern hätte vielmehr näherer Darlegung bedurft. Gleiches gilt für die vom Angeklagten weiterhin wahrgenommene Tätigkeit als Nachhilfelehrer, zumal den Urteilsfeststellungen nicht entnommen
werden kann, ob der Angeklagte der Geschädigten auch nach ihrem Ausscheiden aus der Schule, an der er unterrichtete, noch Nachhilfeunterricht erteilt hat.
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils in den Fällen 14 bis 25, da die Urteilsgründe weder den genauen Zeitpunkt des Ausscheidens der Geschädigten aus der Schule mitteilen noch mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen lassen, welche der der Verurteilung zugrunde liegenden einzelnen sexuellen Handlungen davor oder danach begangen worden sind. Bei Anwendung des Zweifelssatzes kann daher auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß die für den Tatzeitraum „Mai bis August 2001“ ausgeurteilten Taten zu einem Zeitpunkt begangen worden sind, in welchem die Geschädigte die Schule des Angeklagten schon verlassen hatte und das aufgrund des Lehrer-SchülerVerhältnisses bestehende Obhutsverhältnis bereits beendet war. Die Sache bedarf daher insoweit der erneuten Verhandlung und Entscheidung.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible