Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19

bei uns veröffentlicht am04.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5StR 154/19
vom
4. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:040719B5STR154.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 18. Oktober 2018 im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine auch auf Verfahrensrügen gestützte Revision hat mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Hinsichtlich des Schuldspruchs bedarf nur die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung der Erörterung. Sie ist nicht zu beanstanden.
3
Soweit die Feststellungen der Jugendstrafkammer zur Vorstellung des Angeklagten, die Nebenklägerin habe Gefallen an den – anfänglich gegen ihren Willen vorgenommenen – sexuellen Handlungen gefunden (UA S. 8), dahin zu verstehen sind, dass der Angeklagte auch von ihrer Einwilligung in die mit dem vaginalen Eindringen verbundene Körperverletzung ausging, schließt dies seine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung nicht aus. Denn auch nach der Vorstellung des Angeklagten fehlte es an der Einwilligungsfähigkeit der elf Jahre alten, zudem geistig behinderten Nebenklägerin.
4
Die im Vollzug des Geschlechtsverkehrs selbst liegende Körperverletzung des Opfers (üble und unangemessene Behandlung) mag zwar als notwendige , jedenfalls regelmäßige Erscheinungsform einer – hier von der Jugendstrafkammer allerdings nicht angenommenen – Vergewaltigung in dieser aufgehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2019 – 2 StR 562/18 mwN). Dies gilt freilich nicht für die mit der vaginalen Penetration der Nebenklägerin aufgrund ihres „kindlichen Körperbaus“ (UA S. 8) verbundene Verursachung nicht unerheblicher Schmerzen.
5
2. Jedoch ist der Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben.
6
Die Jugendstrafkammer hat es versäumt, in ihrem Urteil Einzelstrafen für die beiden Taten festzusetzen, so dass der Gesamtstrafe die Grundlage fehlt. Sie hat dies zwar durch Berichtigungsbeschluss vom 5. Dezember 2018 nachgeholt. Die nachträgliche Berichtigung der Urteilsgründe ist jedoch unwirksam.
7
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen, sobald ein Urteil vollständig verkündet worden ist, nur noch offensichtliche Schreibversehen und Unrichtigkeiten berichtigt werden (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 – 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5, 10; Beschluss vom 28. Mai 1974 – 4 StR 633/73, BGHSt 25, 333, 336). „Offensichtlich“ im Sinne dieser Rechtsprechung sind nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss – auch ohne Berichtigung – eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (BGH, Urteile vom 3. Februar 1959 – 1 StR 644/58, BGHSt 12, 374, 376, und vom 14. Januar 2015 – 2 StR 290/14, NStZ-RR 2015, 119, 120). Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn die Berichtigung sich nicht auf Nebensächlichkeiten, sondern auf wesentliche Elemente des Urteils bezieht, so dass durch sie zugleich ein dem Urteil in der ursprünglichen Fassung anhaftender rechtlicher Mangel beseitigt wird (vgl. BGHSt aaO, S. 377).
8
Im hier gegebenen Fall kann es danach nicht ausreichen, wenn die im Berichtigungsbeschluss erstmals angeführten Einzelstrafen lediglich in der mündlichen Urteilsbegründung genannt wurden, im Urteil selbst jedoch keine Stütze gefunden haben. Dies gilt auch, wenn – wie vorliegend – keiner der Verfahrensbeteiligten der Darstellung im Berichtigungsbeschluss in tatsächlicher Hinsicht entgegengetreten ist.
9
3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben und dürfen um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.
Mutzbauer Sander Schneider
König Berger

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19 zitiert 1 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 2 StR 562/18

bei uns veröffentlicht am 05.02.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 562/18 vom 5. Februar 2019 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. ECLI:DE:BGH:2019:050219B2STR562.18.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2015 - 2 StR 290/14

bei uns veröffentlicht am 14.01.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 290/14 vom 14. Januar 2015 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar 2015, an der t
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juli 2019 - 5 StR 154/19.

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Sept. 2019 - 2 StR 187/19

bei uns veröffentlicht am 18.09.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 187/19 vom 18. September 2019 in der Strafsache gegen wegen besonders schweren Raubes u. a. ECLI:DE:BGH:2019:180919B2STR187.19.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwal

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 562/18
vom
5. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:050219B2STR562.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2 auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 5. Februar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 19. Juli 2018
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung schuldig ist;
b) im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu drei Jahren und sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Der Angeklagte lockte die Geschädigte unter einem Vorwand in das Schlafzimmer seiner Wohnung, drückte sie dort mit seinem Arm gegen den Kleiderschrank, schob ihren Pullover hoch und berührte ihre Brüste mit seinen Händen und seinem Mund. Nachdem es der Geschädigten kurzzeitig gelungen war, den Angeklagten wegzuschubsen, hob dieser sie hoch, warf sie aufs Bett, öffnete deren Hose und versuchte, seinen Finger in ihren Intimbereich zu stecken. Obwohl der Angeklagte erkannt hatte, dass die Geschädigte zu sexuellen Handlungen keinesfalls bereit war, zog er ihr Hose und Unterhose herunter und führte seinen erigierten Penis „unter Hinzufügung von Schmerzen im Unterleib“, welche der Angeklagte billigend in Kauf nahm, in die Scheide, was aber nicht zum Riss des Jungfernhäutchens führte. Abgesehen von den Schmerzen während der Penetration hat die Geschädigte keine weiteren Verletzungen erlitten, in psychischer Hinsicht leidet sie noch an Ängsten und Albträumen.
4
b) Die durch das gewaltsame Eindringen verursachten Schmerzen hat die Strafkammer als Körperverletzung gewertet, das gesamte Geschehen als tateinheitlich verwirklichte Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und vorsätzliche Körperverletzung (§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 223 Abs. 1 StGB).
5
2. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zu einer Schuldspruchänderung und zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
6
a) Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung fußenden Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung. In Fällen des vollzogenen Beischlafs im Sinne des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB, welchen die Strafkammer ohne Rechtsfehler festgestellt hat, ist die Tat im Tenor als „Vergewaltigung“ zu bezeichnen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Januar 1999 – 3 StR 608/98, NJW 1999, 1041, 1042; MünchKomm-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 177 nF Rn. 209 mwN).
7
b) Demgegenüber hält die Verurteilung des Angeklagten wegen (mitverwirklichter ) vorsätzlicher Körperverletzung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Ein nicht einverständlicher Geschlechtsverkehr kann zwar eine üble, unangemessene Behandlung des Opfers darstellen. Eine mehr als unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens im Sinne der Misshandlungsalternative des § 223 Abs. 1 StGB liegt jedoch nicht vor, wenn sich bei der Geschädigten nach der Tat weder körperliche Auffälligkeiten noch Verletzungen finden und nicht festgestellt werden kann, dass eine durch die Tat eingetretene nachhaltige Traumatisierung des Opfers vom Täter (bedingt) vorsätzlich herbeigeführt worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR382/06, NStZ 2007, 218). So verhält es sich hier. Das Landgericht hat – rechtsfehlerfrei – festgestellt, dass die Tat des Angeklagten weder zu einer Defloration (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 – 4 StR 566/10, NStZ 2011, 456 f.) noch zu sonstigen körperlichen Verletzungen geführt hat. Die Ängste und Albträume, unter denen die Geschädigte in Folge der Tat leidet, können nicht ohne weiteres als Körperverletzungserfolg im Sinne des § 223 StGB bewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Februar 2015 − 4 StR 548/14, NStZ 2015, 269). Weitergehende Feststellungen hierzu sind ebenso wenig getroffen wie dazu, dass der Angeklagte diese Beeinträchtigungen (bedingt) vorsätzlich herbeigeführt hat. Das Urteil stützt sich ausdrücklich nur auf die dem Tatopfer durch das Eindringen zugefügten und vom Angeklagten billigend in Kauf genommenen Schmerzen.
9
Der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass in einer neuen Verhandlung weitere Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen Körperverletzung tragen könnten. Er ändert daher den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen.
10
c) Die Änderung des Schuldspruchs zieht hier die Aufhebung des Strafausspruchs und insoweit die Zurückverweisung an eine andere Strafkammer des Landgerichts nach sich. Da ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt wurde , dass durch die Tat „zwei weitere Straftatbestände mit eigenständigen Schutzrichtungen verwirklicht wurden“, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Strafbemessung zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat.
11
Die Feststellungen bleiben von dem allein den Schuldspruch betreffenden Wertungsfehler unberührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, wenn und soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
12
3. Der neue Tatrichter wird ferner in den Blick nehmen müssen, dass zwar das mit nicht ganz unerheblicher Krafteinwirkung verbundene Festhalten des Opfers (Drücken gegen den Schrank) ebenso wie die Überwindung von Gegenwehr – mag diese auch nur geringfügig sein – durch das mit dem Hochheben der Geschädigten verbundene Festhalten einerseits und das Stoßen auf das Bett andererseits als Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB qualifiziert werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 – 4 StR 566/10, NStZ 2011, 456 mwN zu § 177 StGB aF), dies aber im Verhältnis zu § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB nicht zu einer tateinheitlich verwirklichten weiteren Tat führt.
Franke Meyberg Grube Schmidt Wenske

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 290/14
vom
14. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklagevertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 28. Februar 2014 im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 5. der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen (Fälle II. 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe) sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Fall II. 5. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
3
2. Der Einzelstrafausspruch zu Fall II. 5. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken; im Übrigen weist die Strafzumessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
a) Die Zumessung der Einzelstrafen ist rechtsfehlerhaft.
5
aa) Die von der Strafkammer wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Fälle II. 1. - 4. der Urteilsgründe) und einem Jahr (Fall II. 6. der Urteilsgründe) bewegen sich nicht in dem gemäß § 176a Abs. 2 StGB vorgesehenen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren, von dessen Regelwirkung auch die Strafkammer ausgegangen ist.
6
bb) Im Fall II. 5. der Urteilsgründe, dem ein sexueller Missbrauch eines Kindes zugrunde lag, hat die Strafkammer eingangs ausgeführt, dass der Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB von zwei bis 15 Jahren zugrunde zu legen sei. Abschließend hat sie zwar dargelegt, dass wegen der unter Ziffer II. 5. festgestellten Tat von dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB auszugehen sei, der eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsehe. Es ist gleichwohl zu besorgen, dass die Strafkammer bei der Festsetzung der Einzelstrafe zu Fall II. 5. rechtsfehlerhaft den Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB zugrunde gelegt oder sich jedenfalls nicht im Klaren darüber war, welcher Strafrahmen ihr für die Verhängung der Einzelstrafe zur Verfügung gestanden hat. Dafür spricht, dass die Strafkammer auch bei Bemessung der Einzelstrafen in den Fällen II. 1. - 4. und II. 6. den von ihr selbst bestimmten Strafrahmen aus dem Auge verloren hat und dass die im Fall II. 5. für den sexuellen Missbrauch verhängte Einzelstrafe von vier Jahren in keinem angemessenen Verhältnis zu den in den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs verhängten Einzelstra- fen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr steht. Denn während dem Fall II. 5. die (bloße) Manipulation am Geschlechtsteil des Angeklagten zugrunde lag, betreffen die demgegenüber milder bestraften Fälle II. 1. - 4. und II. 6. das Eindringen mit dem Finger bzw. die Vollziehung des Beischlafs, also grundsätzlich schwerere Straftaten. Gleichwohl ist die vergleichsweise hohe Bestrafung im Fall II. 5. jenseits der in allen Fällen allgemein berücksichtigten strafschärfenden Umstände nicht besonders begründet worden, was aber erforderlich gewesen wäre.
7
b) Die Strafkammer hat zwar nach Eingang der Revisionsbegründung, in der insbesondere die rechtsfehlerhafte Strafzumessung im Fall II. 5. der Urteilsgründe gerügt wird, mit Beschluss vom 28. Mai 2014 die Urteilsgründe dahingehend berichtigt, dass sie in den Fällen II. 1. - 4. tatsächlich Einzelstrafen von jeweils zwei (statt einem) Jahren und sechs Monaten, im Fall II. 5. eine Einzelstrafe von einem (statt vier) Jahren und im Fall II. 6. eine solche von vier (statt einem) Jahr verhängt habe. Die nachträgliche Berichtigung der Urteilsgründe ist jedoch unwirksam.
8
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen, sobald ein Urteil vollständig verkündet worden ist, nur noch offensichtliche Schreibversehen und offensichtliche Unrichtigkeiten berichtigt werden (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 - 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5, 10; Beschluss vom 28. Mai 1974 - 4 StR 633/73, BGHSt 25, 333, 336). "Offensichtlich" im Sinne dieser Rechtsprechung sind aber nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss - auch ohne Berichtigung - eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (BGH, Urteil vom 3. Februar 1959 - 1 StR 644/58, BGHSt 12, 374, 376).
9
Bei Anlegung dieses strengen Maßstabs fehlt es an einer offensichtlichen Unrichtigkeit der schriftlichen Urteilsgründe. Dass die Strafkammer in den Fällen II. 1. - 4. tatsächlich Einzelstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und nicht - wie in den Urteilsgründen niedergelegt - von einem Jahr und sechs Monaten verhängen wollte, ergibt sich weder aus der Urteilsurkunde selbst noch aus sonstigen offenkundigen Tatsachen. Auch die mögliche Verwechslung der in den Fällen II. 5. und II. 6. festgesetzten Einzelstrafen drängt sich nicht derart auf, dass die Gefahr einer unzulässigen nachträglichen Abänderung der Urteilsurkunde auszuschließen wäre.
10
Die mündliche Urteilsbegründung, auf die die Strafkammer für das von ihr tatsächlich Gewollte und Entschiedene in dem Berichtigungsbeschluss Bezug nimmt, wurde im Hinblick auf die Einzelstrafen weder im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten noch durch einen der Verfahrensbeteiligten bestätigt. Sie findet auch keine Stütze in den schriftlichen Urteilsgründen oder in sonstigen Tatsachen, die den Verdacht einer späteren sachlichen Änderung des Urteils ausschließen könnten. Der Zusammenhang der Strafzumessungserwägungen deutet vielmehr darauf hin, dass die Strafkammer - wie ausgeführt - bei der Bemessung der Einzelstrafen den jeweiligen Strafrahmen nicht klar vor Augen hatte. Die Strafzumessung lässt ebenso wenig erkennen, dass die Strafkammer die Einzelstrafen tatsächlich so - wie es im Berichtigungsbeschluss ausgeführt wird - gewollt und entschieden hat, denn die Höhe der verhängten Einzelstrafen wird weder begründet noch finden sich jenseits allgemeiner Erwägungen Hinweise dafür, dass und aus welchen Gründen die Straf- kammer die Einzelstrafen unterschiedlich hoch bemessen hat. Es kann daher nicht ohne vernünftigen Zweifel ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer schon bei der Entscheidung über die Festsetzung der Einzelstrafen Verwechslungen oder Missverständnissen unterlegen war.
11
Da nur eine zulässige und damit wirksame Berichtigung geeignet ist, das schriftliche Urteil abzuändern, war nicht zunächst auf eine förmliche Zustellung des Berichtigungsbeschlusses durch das Landgericht hinzuwirken. Unzulässige Änderungen sind für das Revisionsgericht unbeachtlich. Sie führen nicht dazu, dass durch Zustellung des Berichtigungsbeschlusses die Revisionsbegründungsfrist erneut in Gang gesetzt würde (BGH, Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 310/90, NStZ 1991, 195).
12
c) Soweit in den Fällen II. 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft unangemessen milde Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr festgesetzt worden sind, ist der Angeklagte nicht beschwert. Im Fall II. 5. kann demgegenüber nicht ausgeschlossen werden, dass die verhängte Einzelstrafe ohne die aufgezeigten Rechtsfehler milder ausgefallen wäre.
13
3. Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall II. 5. zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Fischer Appl Schmitt
Ott Zeng