Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - 5 StR 214/05

bei uns veröffentlicht am14.06.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 214/05

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Juni 2005
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juni 2005

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 26. August 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räu berischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und wegen räuberischer Erpressung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen : Der zwischen April 1999 und November 2002 überwiegend wegen Verkehrsdelikten zu Geldstrafen verurteilte, 1979 geborene Angeklagte holte nach einer Maurerlehre das Abitur nach und absolvierte 2003 erfolgreich eine Lehre als Bauzeichner. Das Landgericht konnte nicht feststellen, wovon er außerhalb der Lehrzeiten seinen Unterhalt bestritten hat.
Der Angeklagte und der ehemalige Mitangeklagte L wollten als Türsteher während einer von den Zeugen H und C geplanten Großparty für die Sicherheit sorgen. Während einer Besprechung in seiner Wohnung knüpfte der Angeklagte am 9. November 2003 seine beabsichtigte Mitwirkung an die Bedingung, während der Party Drogen verkaufen zu können. Nachdem C dies abgelehnt hatte, holte der Angeklagte eine Axt hervor, hielt diese in die Höhe und drohte C , ihm eine Hand abzuhacken. Davon nahm der Angeklagte Abstand, nachdem der Zeuge unter dem Eindruck der Bedrohung sich bereit erklärt hatte, dem Angeklagten ohne Rechtsgrund 1000 € zu zahlen. C beschaffte 500 € sogleich und übergab das Geld dem Angeklagten. Dieser suchte dann mit L am Nachmittag des 14. November 2003 die Arbeitsstelle des C und die Wohnung des Zeugen auf, um die restlichen 500 € entgegenzunehmen. C ließ sich durch seine Eltern verleugnen. Die Täter drohten, der Zeuge sei „jetzt dran“.
Gegen Abend des gleichen Tages verschafften sich der Angeklagte und L im Anschluß an den dem Wohnungsinhaber bekannten Zeugen S Zutritt zur Wohnung des Hö . L schlug Hö mit einem Faustschlag nieder und verletzte ihn erheblich. In Anwesenheit weiterer Zeugen verlangte der Angeklagte von den Zeugen Hö und K die Zahlung von 500 € anstelle einer solchen durch C . Unter dem Eindruck des rücksichtslosen Auftretens des Angeklagten und der massiven Gewaltanwendung des L übergaben Hö und K 55 €. Einer der Täter drohte damit, im Fall der Nichtzahlung der restlichen Forderung den Bedrohten ein Messer in den Bauch zu stecken.
2. Die Revision des Angeklagten beanstandet mit einer Beweisantrags - und einer Aufklärungsrüge, daß es das Landgericht zu Unrecht unterlassen habe, einen Sachverständigen zur Aufklärung der Schuldfähigkeit des Angeklagten heranzuziehen. Auf diese Rügen kommt es indes nicht an, weil schon die allgemeine Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führt. Soweit sich die Revision gegen den Schuldspruch richtet, ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat kann ausschließen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben war.
Das Landgericht hat sich in seiner Beweiswürdigung nicht mit allen Umständen auseinander gesetzt, die den Angeklagten hätten entlasten können (vgl. BGHSt 29, 18, 20; 14, 162, 164 f.). Es läßt ohne Würdigung der dafür geeigneten Umstände offen, ob der Angeklagte zur Tatzeit drogenabhängig war. Damit hat sich das Landgericht den Blick darauf verstellt, daß auch dann, wenn die Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht erheblich war, die Schuld des Angeklagten bei bestehender Drogenabhängigkeit gemindert gewesen sein kann (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1974, 544; BGH NStZ 1992, 381; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 330 m.w.N.). Ferner hat das Landgericht eine Würdigung unterlassen, ob eine Drogenabhängigkeit des Angeklagten einen Hang im Sinne des § 64 StGB begründet und die Gefahr besteht, daß der Angeklagte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Das Landgericht hat die Zeugenaussage des ehemaligen Mitangeklagten L , der Angeklagte habe in starkem Maße fast täglich Kokain zu sich genommen und Alkohol getrunken, nicht als Beleg für eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln angesehen und diese Aussage nicht im Zusammenhang mit weitergehenden Feststellungen über eine Affinität des Angeklagten zu Drogen gewürdigt. Als solche kommen folgende Umstände in Betracht: Der offensichtlich erwerbslose Angeklagte, der auch keine Sozialleistungen bezog, strebte an, während der geplanten Großparty Drogen zu verkaufen. Die ausgeurteilten Taten sind durch Besonderheiten gekennzeichnet, die im Zusammenhang mit einem erheblichen Drogenkonsum des Angeklagten stehen könnten. Die massive Vorgehensweise des Angeklagten steht in einem gewissen Mißverhältnis zur Höhe der erstrebten Vermögensvorteile. Die Taten offenbaren bei dem bis dahin im wesentlichen unauffällig lebenden Angeklagten eine durch große Gewaltbereitschaft gekennzeichnete Wesensveränderung. Sie richteten sich ferner gegen Angehörige seines weiteren Bekanntenkreises und unterlagen hierdurch und im Blick auf ihre offene Ausführung einem hohen Entdeckungsrisiko. Nachdem der Versuch am 14. November 2002 endgültig gescheitert war, von C weitere 500 € zu erpressen , gingen die Täter ohne zeitliche Zäsur zur nächsten Erpressung über. Diese Umstände hätten Anlaß gegeben, in gewissem Umfang eine drogenbedingte Realitätsverkennung und ein dringendes Bedürfnis zur Erlangung von Bargeld zur Drogenbeschaffung zu erwägen. Davon war das Landgericht durch den Hinweis, daß der Angeklagte auf die Kammer jedenfalls einen vollkommen gesunden Eindruck hinterlassen hat (UA S. 16), nicht entbunden. Der Angeklagte befand sich vor Beginn der Hauptverhandlung sieben Monate in Untersuchungshaft. Dies konnte sein Erscheinungsbild und seinen Gesundheitszustand naheliegend verändert haben.
3. Der neue Tatrichter wird demnach die Umstände, die eine Drogenabhängigkeit des Angeklagten begründen können, neu aufzuklären und zu bewerten und neue Strafen festzusetzen haben – auch im Blick auf die Voraussetzungen des § 21 StGB. Er wird seine Untersuchung naheliegend auf die im Hilfsbeweisantrag genannte Behandlung und Medikation des Angeklagten durch die Ärzte der Justizvollzugsanstalten erstrecken und sich jedenfalls für die mögliche Prüfung einer Maßregel nach § 64 StGB sachverständiger Hilfe zu bedienen haben (§ 246a StPO).
Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - 5 StR 214/05

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - 5 StR 214/05

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - 5 StR 214/05 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - 5 StR 214/05 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2005 - 5 StR 214/05.

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. März 2007 - 5 StR 32/07

bei uns veröffentlicht am 28.03.2007

5 StR 32/07 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 28. März 2007 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen besonders schweren Raubes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. März 2007 beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Angeklagten wi

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.