Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 5 StR 249/18

bei uns veröffentlicht am16.01.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 249/18
vom
16. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:160119B5STR249.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 16. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, analog § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten Ö. und S. wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 4. Dezember 2017, soweit es diese Angeklagten betrifft, jeweils in den Strafaussprüchen zu den Einzelstrafen für die Beihilfetaten und zu den Gesamtstrafen aufgehoben; hinsichtlich des Angeklagten S. wird das vorgenannte Urteil zudem im Ausspruch über die Einziehung von Wertersatz dahin abgeändert, dass diese in Höhe von 41.292,09 € angeordnet wird.
Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Ö. wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 16 Fällen sowie wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Den Angeklagten

S.

hat es wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 40 Fällen
sowie wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Daneben hat es jeweils Einziehungsentscheidungen getroffen und als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung drei bzw. vier Monate der jeweils zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafen für vollstreckt erklärt.
2
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte Ö. mietete ab Februar 2006 in N. die Räume einer Gaststätte und meldete bei der Stadtverwaltung den Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft als Inhaber bzw. Einzelgewerbetreibender an. In seinem Lokal beschäftigte er ab März 2006 mehrere Personen, deren Tätigkeit den Trägern der Sozialversicherung teilweise verschwiegen, teilweise nicht mit der vollen Höhe der erzielten Löhne mitgeteilt wurde. Zu diesen Arbeitskräften zählte der Zeuge D. , für den keine Mitteilungen zur Sozialversicherung erfolgten. In Bezug auf ihn entstand in der Zeit von März 2006 bis Juni 2007 für insgesamt 16 Beitragsmonate ein Schaden von 4.070,62 € (Tatkomplex 1); soweit die Schadenshöhe in den Urteilsgründen (UA S. 16) mit 4.561,36 € angegeben ist, handelt es sich ersichtlich um ein Versehen.

5
2. lm Sommer 2007 entschloss sich der Angeklagte Ö. , wegen gesundheitlicher Probleme die Leitung der Gaststätte an seine Schwester Öz. abzugeben. Sein Steuerberater zeigte daraufhin gegenüber dem Finanzamt eine unentgeltliche Übertragung des Betriebes auf die Schwester an, die offiziell gegenüber der Stadt N. als Einzelgewerbetreibende angegeben wurde und zum 1. September 2007 mit in den Mietvertrag eintrat. Tatsäch- lich „gehörte“ das Unternehmen weiterhin dem AngeklagtenÖ. . Nach ihrer Übernahme der Leitung der Gaststätte ab September 2007 überließ der Angeklagte Ö. seiner Schwester die betrieblichen Entscheidungen und half ihr nur noch sporadisch, wie etwa mit einer von ihm vorgenommenen Einstellung einer Servicekraft im Juni 2008. Er rechnete bei der Übertragung der Betriebsleitung damit, dass seine Schwester die von ihm schon zuvor begründeten illegalen Beschäftigungsverhältnisse fortsetzen werde, und wollte als wirtschaftlicher Inhaber weiterhin von der Ersparnis an Sozialversicherungsbeiträgen profitieren. Neben anderen blieb auch der Arbeitnehmer D. in der Gaststätte tätig , ohne dass seine Beschäftigung der Sozialversicherung gemeldet wurde. Für den Zeitraum von September 2007 bis Juli 2008, in dem Öz. die Leitung des Betriebes übernommen hatte, summierten sich die den Arbeitnehmer D. betreffenden Beitragsschäden auf insgesamt 2.804,88 € (Tatkomplex 2).
6
3. Anfang August 2008 führte der Angeklagte Ö. mit dem Angeklagten S. und dem gesondert Verfolgten B. Verhandlungen über den Verkauf von Geschäftsanteilen an der Gaststätte. Er kam mit beiden dahin überein, dass sie sich zu 50 % (S. ) bzw. 25 % (B. ) in den Betrieb „einkaufen“ sollten, dessen Wert mit 190.000 € angesetzt wurde. Dieses Ergeb- nis, die Zahlungsweise in Raten und Details der Zusammenarbeit formulierte er in einem auf den 9. August 2018 datierten – im Urteil nicht näher mitgeteilten – Schreiben, das alle Beteiligten unterschrieben und dessen Inhalt sie unter dem 22. September 2018 noch einmal mit ihren Unterschriften bekräftigten. Die Vereinbarung wurde in ihren wesentlichen Grundzügen spätestens zum 1. Oktober 2008 ins Werk gesetzt, womit auch die Geschäftsführung und die formelle Inhaberschaft der Schwester des Angeklagten Ö. endeten. Dieser kannte bei der Übertragung der Geschäftsanteile die bestehenden illegalen Arbeitsverhältnisse und erwartete ihren Fortbestand. Außerdem nahm er in Kauf, dass neue illegale Beschäftigungsverhältnisse begründet würden, und wollte als Teilhaber des Unternehmens weiterhin von der Ersparnis an Sozialversicherungsbeiträgen profitieren. Die Gewinne des Lokals wurden mindestens bis Ende August 2009 intern in einem den drei Geschäftsanteilen entsprechenden Verhältnis gemäß den Vorgaben des Vertrages vom 9. August 2008 aufgeteilt. Ende August 2009 endete – für das Landgericht nicht ausschließbar (UA S. 19, 28, 51) – jede Beteiligung des Angeklagten Ö. am Betrieb der Gaststätte.
7
Von Oktober 2008 an bestimmte der Angeklagte S. „maßgeblich die Geschicke“ der Gaststätte, in der neben ihm ingeringerem Umfang und geringerer Bedeutung der Teilhaber B. leitende Tätigkeiten ausübte (UA S. 18, 19). Der Angeklagte S. traf die kaufmännischen Entscheidungen, stellte Mitarbeiter ein, sorgte für Schichteinteilungen und erstellte die Dienstpläne der Arbeitskräfte. Offiziell übernahm jedoch seine Nichte Sü. die Betriebsleitung. Ihr war Ende September 2008 von der Stadt N. eine vorläufige Erlaubnis zum Betrieb der Gaststätte erteilt worden; zuvor hatte die Vermieterin dem Angeklagten Ö. genehmigt, das Ladenlokal an Sü. unterzuvermieten. Tatsächlich fungierte die Nichte des Angeklagten S. , die nur kurzzeitig als Servicekraft in dem Betrieb tätig war, lediglich als „Strohfrau“. Ihre offizielle Gewerbeinhaberschaft endete zum 26. November 2009, nachdem das Lokal am 4. November 2009 durch Beamte des Hauptzoll- amts durchsucht worden war und der Teilhaber B. am 13. November 2009 bei der Stadt N. die Beendigung ihrer Inhaberstellung angezeigt und für sich selbst eine vorläufige Gaststättengenehmigung beantragt hatte. Diese wurde ihm am 27. November 2009 erteilt.
8
Zu Beginn der Geschäftsführung des Angeklagten S. Anfang Oktober 2008 waren die bisherigen betrieblichen Abläufe der Gaststätte im Wesentlichen beibehalten und bestehende illegale Beschäftigungsverhältnisse fortgesetzt worden. In der Folgezeit wurden durch ihn auch neue Arbeitsverhältnisse unter anderen mit Angehörigen seiner Familie begründet. Insgesamt elf Arbeitnehmer wurden im Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis zum 26. November 2009 entweder überhaupt nicht oder mit zu niedrigem Entgelt zur Sozialversicherung gemeldet. Dadurch entstand an entgangenen Beiträgen für insgesamt 40 Beitragsmonate ein Schaden von 41.292,09 € (Tatkomplex 3).
9
4. Mit dem Erhalt der Erlaubnis zum Betrieb der Gaststätte war der gesondert Verfolgte B. seit dem 27. November 2009 – trotz seiner Beteiligung von nur 25 % – offizieller Inhaber des Gaststättenbetriebes und führte dessen Geschäfte nunmehr „mindestens gleichberechtigt“ mit dem Angeklagten S. (UA S. 27), der in leitender Funktion im Lokal tätig blieb. Beim Wechsel der offiziellen Inhaberstellung, die sich wiederum ohne Änderungen für die betrieblichen Abläufe vollzog, wusste und billigte der Angeklagte S. , dass B. den Betrieb weiterhin unter Einsatz von „schwarz“ beschäftigten Arbeitskräften führen würde. Er unterstützte ihn zumindest durch seine Mitarbeit in der Geschäftsführung und profitierte als Teilhaber von der Beschäftigungsstruktur und neu geschaffenen Arbeitsverhältnissen. Für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Juni 2010 wurden im Gaststättenbetrieb insgesamt sieben jeweils schon im Tatzeitraum zuvor tätige Arbeitnehmer beschäftigt, die nicht zur Sozi- alversicherung gemeldete Lohnzahlungen erhielten. Dadurch entstand ein Schaden von 10.745,60 € (Tatkomplex 4).
10
5. Das Landgericht hat im Tatkomplex 2 das Verhalten des Angeklagten Ö. , seiner Schwester in Kenntnis des Einsatzes von Schwarzarbeitern und in der Erwartung, dass weiterhin Schwarzarbeiter beschäftigt würden, die Leitung des Gaststättenbetriebes überlassen zu haben und ihr dort jedenfalls sporadisch behilflich gewesen zu sein, als Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gewertet. Im Tatkomplex 3 hat es in der unter dem 9. August 2008 vereinbarten Übertragung der Geschäftsanteile zu 75 % an S. und B. in Kenntnis des Einsatzes von Schwarzarbeitern und in der Erwartung, dass diese weiter beschäftigt würden, ebenfalls eine Beihilfe des Angeklagten Ö. zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gesehen.
11
In Bezug auf den Angeklagten S. hat es die unterlassene Meldung und Abführung geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge als 40 Fälle des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gewertet. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Gaststätte nicht von einer als solcher im Rechtsverkehr auftretenden (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts, sondern formell als Einzelunternehmen betrieben worden sei, das von einer anderen Person als dem offiziellen Inhaber – nämlich dem Angeklagten S. als „faktischem In- haber“ – dominiertworden sei. Das Verhalten des Angeklagten S. im Tatkomplex 4 hat das Landgericht lediglich als Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gewertet, da er gegenüber dem gesondert Verfolgten B. keine überragende Stellung gehabt habe und deshalb nicht selbst Arbeitgeber gewesen sei.

II.


12
1. Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegten Gründen keinen Erfolg.
13
2. Die Revision des Angeklagten Ö. zeigt in Bezug auf den Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Sie führt jedoch zur Aufhebung der für die beiden Beihilfetaten verhängten Strafen, unter denen sich auch die Einsatzstrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe befindet.
14
a) Entgegen der Auffassung der Revision unterstützte der Angeklagte Ö. in den Tatkomplexen 2 und 3 sowohl seine Schwester nach deren Übernahme der Betriebsleitung als auch den nachfolgenden Betriebsinhaber S. (dazu näher unter II.3.a) bei der Fortführung des Gaststättenbetriebes und förderte hierdurch deren deliktisches Verhalten nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB. Denn neben der im Tatkomplex 2 seiner Schwester geleisteten Mithilfe in der Geschäftsführung ermöglichte er ihr durch die Weitergabe der Daten der von ihm als Erstbetreiber der Gaststätte ursprünglich angestellten Arbeitskräfte deren Weiterbeschäftigung. Im Tatkomplex 3 leistete er Beihilfe zudem durch die Übertragung von Geschäftsanteilen an den Angeklagten S. . Denn strafbare Beihilfe muss nicht zur Ausführung der Tat selbst geleistet werden; es genügt, dass ein Gehilfe die Haupttat im Vorbereitungsstadium fördert, solange die Teilnahmehandlung mit dem Willen und dem Bewusstsein geleistet wird, die Haupttat zu fördern (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115 mwN; vom 8. März 2001 – 4 StR 453/00, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 22, und vom 19. Dezember 2017 – 1 StR 56/17, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 35 mwN).
15
Eine solche Unterstützung bei den Haupttaten hat das Landgericht beweiswürdigend belegt. Danach sicherte der nach den Urteilsfeststellungen mit (doppeltem) Gehilfenvorsatz handelnde Angeklagte Ö. durch die Betriebsübergaben und die Übertragung der Geschäftsanteile die Fortführung der von ihm eingerichteten Gaststätte in den von ihm gemieteten Geschäftsräumen. Der Fortbestand des Unternehmens hing weiterhin von seinem Willen als wirtschaftlicher Inhaber (Tatkomplex 2) bzw. wirtschaftlicher Teilhaber (Tatkomplex 3) ab, und finanziell profitierte er fortdauernd von den Betriebsgewinnen.
16
b) Das Landgericht hat allerdings bei der zweiten einheitlichen Beihilfetat, die an die Betriebsübergabe zum 1. Oktober 2008 anknüpft, den Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt, so dass schon deshalb der diesbezügliche Strafausspruch aufzuheben ist. Denn es hat angenommen, dass sich die Beihilfe des Angeklagten Ö. auf den gesamten Zeitraum der Tatkomplexe 3 und 4 von Oktober 2008 bis Juni 2010 erstreckt habe und insoweit der Strafzumes- sung ein Beitragsschaden von 52.037,69 € zugrunde zu legen sei.
17
Die hierfür gegebene Begründung, der Wechsel der offiziellen Inhaberschaft zum gesondert Verfolgten B. Ende November 2009 bilde keine erhebliche Zäsur (UA S. 142), trägt diese umfassende Schadenszurechnung nicht. Sie lässt hinsichtlich der Frage seines Gehilfenvorsatzes unberücksichtigt , dass der Angeklagte Ö. an der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die aufgrund der unter dem 9. August 2008 getroffenen Vereinbarung entstanden war, nur bis zum 31. August 2009 beteiligt war. Damit hatte er aber – wie das Landgericht selbst erkannt hat (UA S. 147) – allenfalls bis zu diesem Zeitpunkt als Gesellschafter in Kenntnis der Geschäftsabläufe und Einfluss auf die Geschäftsführung. Überdies versteht sich nicht von selbst und findet in den Urteilsgründen keine Erklärung, weshalb der Angeklagte Ö. – anders als zuvor – auch noch nach der Durchsuchung des Gaststättenbetriebes am 4. November 2009 mit einer Fortsetzung illegaler Beschäftigungsverhältnisse rechnete und dies billigte.
18
c) Darüber hinaus ist für beide Beihilfetaten die Strafrahmenbestimmung jeweils rechtsfehlerhaft erfolgt.
19
Denn das Landgericht hat unerörtert gelassen, dass der Strafrahmen des § 266a Abs. 1 StGB nicht nur wegen § 27 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern war, sondern zusätzlich auch gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern gewesen sein könnte. Von einer solchen doppelten Strafrahmenmilderung kann in Fällen der vorliegenden Art nur dann abgesehen werden, wenn das Landgericht die Täterschaft des Angeklagten allein wegen Fehlens eines besonderen persönlichen Merkmals verneint hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 1975 – 2 StR 567/74, BGHSt 26, 53, 54 f.; vom 8. Februar 2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153, 155; vom 22. Januar 2013 – 1 StR 234/12, BGHSt 58, 115, 118, und vom 25. Oktober 2017 – 1 StR 310/16, NStZ 2018, 221, 223). Es lässt sich jedoch auch einer Gesamtschau der Urteilsgründe nicht entnehmen, ob das Landgericht schon die Art und Weise des Tatbeitrages des Angeklagten Ö. zum Anlass genommen hat, ihn lediglich wegen Beihilfe zu verurteilen. Die weitere Strafrahmenmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB hätte daher erörtert werden müssen.
20
Die Aufhebung der beiden für die Beihilfetaten erkannten Strafen entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage.

21
3. Auch in Bezug auf den Angeklagten S. weist der Schuldspruch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 40 Fällen sowie wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt im Ergebnis keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf. Auch bei ihm hält indes die Strafzumessung hinsichtlich der Beihilfetat rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
22
a) Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass nach dem Betriebsübergang zum 1. Oktober 2008 der Angeklagte S. strafrechtlich Verantwortlicher im Sinne von § 266a Abs. 1 und 2 StGB und gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV zur Abführung der Beiträge verpflichtet war.
23
Dabei hat die Wirtschaftsstrafkammer im rechtlichen Ausgangspunkt zunächst zutreffend angenommen, dass der Angeklagte S. zusammen mit dem Angeklagten Ö. und dem gesondert Verfolgten B. durch den unter dem 9. August 2008 geschlossenen Vertrag die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwecks Fortführung des Gaststättenbetriebes vereinbart hat. Ob auch ihre weitere Wertung, dass es sich bei der Rechtsbeziehung der drei nunmehr als Teilhaber an dem Unternehmen Beteiligten um keine Außen-, sondern um eine Innen-Gesellschaft bürgerlichen Rechts gehandelt habe, zutrifft, bedarf keiner Entscheidung.
24
aa) Zwar teilen die Urteilsgründe Näheres zu einer von den drei Gesellschaftern getroffenen gesellschaftsvertraglichen Regelung der Geschäftsfüh- rung (§ 709 Abs. 1 BGB) und einer hiermit verknüpften Vertretungsmacht (§ 714 BGB) sowie zu einem möglicherweise gebildeten Gesamthandsvermögen nicht mit. Den Feststellungen ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte S. nach dem Wechsel der Inhaberschaft im Einvernehmen mit den beiden Mitgesellschaftern für die in der Gaststätte Beschäftigten, die ursprünglich noch vom Angeklagten Ö. als Betriebsinhaber bzw. nachfolgend von dessen Schwester als Betriebsleiterin für das Einzelunternehmen eingestellt worden waren, als Geschäftsführer jedenfalls hinsichtlich der betrieblichen Abläufe verantwortlich war. Denn ihm oblagen die Entscheidungen über den Einsatz des Personals, die Einteilung der Arbeitskräfte in Schichten, die Abrechnung über Tageseinnahmen und die Zahlung von Gehaltsvorschüssen (UA S. 19). Daneben stellte er neue Mitarbeiter ein und führte mit ihnen die Lohnverhandlungen (UA S. 18, 20, 142 f.). Danach war der Angeklagte S. , soweit die Gesellschaft nach außen als solche im Rechtsverkehr aufgetreten sein sollte und es sich deshalb um eine rechtsfähige Personengesellschaft gehandelt hat (BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341), als geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter auch vertretungsberechtigt. Ihm wäre in diesem Fall über § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB die strafrechtliche Pflichtenstellung des Arbeitgebers als vertretungsberechtigter Gesellschafter der (Außen-)BGBGesellschaft zuzurechnen.
25
bb) Sollte – worauf das Landgericht unter Hinweis auf den Einsatz einer nur zum Schein als Betriebsinhaberin vorgeschobenen „Strohfrau“ abgestellt hat (UA S. 142) – die Zusammenarbeit der drei Teilhaber gerade darauf angelegt gewesen sein, nicht nach außen im Rechtsverkehr aufzutreten, läge eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts vor. Bei ihr werden die Geschäfte durch einen Gesellschafter oder durch einen beauftragten Dritten im eigenen Namen, wenn auch im Innenverhältnis für die gemeinsame Rechnung der Gesellschaf- ter, geführt (vgl. BGH, Urteile vom 24. Februar 1954 – II ZR 3/53, BGHZ 12, 308, 314; vom 26. Juni 1989 – II ZR 128/88, NJW 1990, 573, 574; OLG Düsseldorf , Urteil vom 10. März 1995 – 22 U 116/94, NJW-RR 1995, 1246, zur gemeinsamen Bewirtschaftung einer nach außen allein von einem Partner betriebenen Gaststätte durch eine Innengesellschaft; MüKo-BGB/Schäfer, BGB, 7. Aufl., § 705 Rn. 275, 279, 284; BeckOK BGB/Schöne § 705 Rn. 14, 158 ff.). Da es sich bei einer solchen Innengesellschaft nicht um eine rechtsfähige Personengesellschaft handelt, ist sie von § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht erfasst (vgl. BT-Drucks. 14/8998, S. 8; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 14 Rn. 2; MüKoStGB /Radtke, 3. Aufl., § 14 Rn. 85), so dass dem Angeklagten S. eine Arbeitgebereigenschaft über diese Zurechnungsnorm nicht zukäme. Er wäre dann jedoch unmittelbarer Normadressat des § 266a Abs. 1 und 2 StGB gewesen (vgl. MüKo-StGB/Radtke, aaO). Denn die Feststellungen der Wirtschaftsstrafkammer , wonach er als faktischer Betriebsinhaber der Gaststätte auftrat und auch gegenüber den Angestellten ein Direktionsrecht ausübte, lassen ihre Wertung zu, dass er die Arbeitgeberstellung hatte. Sie hat mit dieser Wertung auch dem von der ständigen Rechtsprechung zur Bestimmung der Arbeitgebereigenschaft aufgestellten Maßstab Rechnung getragen.
26
Danach richtet sich die Frage, ob eine Person dem Begriff des Arbeitgebers unterfällt, nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Dienstvertragsrecht der §§ 611 ff. BGB abstellt. Arbeitgeber ist mithin derjenige, dem gegenüber der Arbeitnehmer nichtselbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht. Dieses drückt sich vor allem durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers und durch dessen Weisungsrecht aus (arg. § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV; vgl. grundlegend BSGE 34, 111, 113 mwN, dort auch zur Fallgestaltung eines Auseinanderfallens der Personen des Betriebsinhabers und des „wirtschaftlichen Inhabers“). Entscheidend sind hierbei die tatsächlichen, in eine Gesamtbetrachtung einzustellenden Gegebenheiten (BGH, Beschlüsse vom 5. Juni 2013 – 1 StR 626/12, NStZ-RR 2013, 278; vom 4. September 2013 – 1 StR 94/13, BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 4; vom 24. Juni 2015 – 1 StR 76/15, BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 5, und vom 13. Dezember 2018 – 5StR 275/18; siehe auch OLG Braunschweig, Beschluss vom 27. Mai2015 – 1 Ss 14/15 zur Arbeitgebereigenschaft in einem von einem faktischen Be- triebsinhaber geleiteten Einzelunternehmen). Eine solche Betrachtung hat das Landgericht unter Abwägung der vorgenannten Umstände rechtsfehlerfrei vorgenommen.
27
b) Den Angeklagten S. beschwert der Schuldspruch zum Tatkomplex 4 nicht. Insofern hat die Wirtschaftsstrafkammer lediglich Beihilfe angenommen , da sie sichere Feststellungen zum Umfang seiner Leitungsaufgaben als Grundlage ihrer Prüfung einer Arbeitgeberstellung nach dem erneuten Wechsel der offiziellen Betriebsinhaberschaft nicht hat treffen können.
28
c) Das Landgericht hat allerdings auch bei der Strafrahmenwahl für die Beihilfetat des Angeklagten S. verkannt, dass in Betracht zu ziehen und mithin zu erörtern war, ob die zu verhängende Strafe nicht nur nach § 27 StGB, sondern zusätzlich gemäß § 28 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern gewesen wäre.
29
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Strafrahmenbestimmung für die Beihilfetat auf eine mildere Strafe erkannt hätte. Die Aufhebung der betreffenden Freiheitsstrafe von sechs Monaten entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.

30
4. Der Anordnung der Einziehung von Wertersatz gegen den Angeklagten S. gemäß § 73 Abs. 1, § 73c StGB liegt hinsichtlich der festgesetzten Höhe von 41.691,13 € ein Berechnungsfehler zugrunde, auf den das Landgericht in den Entscheidungsgründen bereits selbst hingewiesen hat (UA S. 154 f.). Danach sind in den Einziehungsbetrag versehentlich auch Sozialversiche- rungsbeträge von insgesamt 399,04 € für eine nicht festgestellte Beschäftigung des Arbeitnehmers E. B. im Monat November 2009 eingeflossen (siehe UA S. 86, 92). Der Senat hat die erforderliche Korrektur des Einziehungsbetrages in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst vorgenommen.

III.


31
Aufgrund der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils ist die Kostenbeschwerde des Angeklagten Ö. gegenstandslos.
Mutzbauer Schneider Berger
Hoch Köhler

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Jan. 2019 - 5 StR 249/18

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö
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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2013 - 1 StR 626/12

bei uns veröffentlicht am 05.06.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 626/12 vom 5. Juni 2013 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2013 beschlossen: 1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Jan. 2001 - II ZR 331/00

bei uns veröffentlicht am 29.01.2001

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL und VERSÄ UMNISURTEIL II ZR 331/00 Verkündet am: 29. Januar 2001 Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2011 - 1 StR 651/10

bei uns veröffentlicht am 08.02.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 651/10 vom 8. Februar 2011 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja _________________________ AO § 370 Abs. 1 EStG § 41a StPO § 267 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Treffen Arbeitgeber und Arbei

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2013 - 1 StR 234/12

bei uns veröffentlicht am 22.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 234/12 vom 22. Januar 2013 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja _____________________________ StGB § 283, § 28 Abs. 1 1. Zum Umgang mit effektiv versteckten Vermögenswerten bei der Be

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2017 - 1 StR 56/17

bei uns veröffentlicht am 19.12.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 56/17 vom 19. Dezember 2017 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ECLI:DE:BGH:2017:191217U1STR56.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2017 - 1 StR 310/16

bei uns veröffentlicht am 25.10.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 310/16 vom 25. Oktober 2017 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a. zu 2.: Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt u.a. ECLI:DE:BGH:2017:251017B1STR

Referenzen

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 56/17
vom
19. Dezember 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung
ECLI:DE:BGH:2017:191217U1STR56.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Dezember 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Bellay, Prof. Dr. Radtke und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Dr. Hohoff,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger,
Zolloberinspektor - in der Verhandlung -, Zolloberinspektor - in der Verhandlung -, Zollamtmann - in der Verhandlung - als Vertreter des Zollfahndungsamts Stuttgart, Dienstsitz Freiburg,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 4. Oktober 2016 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
2
Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen Rechts. Er beanstandet insbesondere, dass die Voraussetzungen des Beihilfevorsatzes bei sogenann- ten „berufstypischen“ Handlungen nicht gegeben seien und das Landgericht die Höhe des Steuerschadens im Urteil nicht nachvollziehbar dargestellt habe. Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte mit gebrauchten Maschinen zur Zigarettenherstellung, verkaufte an seine Kunden überwiegend nicht lauffähige Maschinen und hatte langjährige Erfahrungen, Fachwissen und Kontakte auf diesem spezialisierten Markt mit einer sehr begrenzten Anzahl von Teilnehmern.
4
Der Angeklagte verkaufte an die polnische Firma L. zwei 60 Jahre alte , nicht lauffähige Maschinen zu einem Preis von 60.000 Euro und 65.000 Euro und erhielt bei dem Abschluss des Kaufvertrags von dem polnischen Firmeninhaber erhebliche, betragsmäßig nicht mehr aufklärbare „Schwarzgeldzahlun- gen“. Der Angeklagte hielt es zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Lieferung der nicht lauffähigen Maschinen für „überwiegend wahrscheinlich“, dass diese nach Instandsetzung in der Firma L. zur illegalen Herstellung von Zigaretten verwendet werden würden, um in Polen Verbrauch- und Umsatzsteuern zu hinterziehen und nahm dies billigend in Kauf. Tatsächlich stellte die Firma L. spätestens ab Anfang des Jahres 2014 auf von den polnischen Behörden nicht genehmigten Herstellungslinien neben „legalen“ auch „illegale“ Zigaretten ohne Steuerbanderolen her und vertrieb diese. Die vom Angeklagten am 10. April 2013 gelieferten Maschinen waren in zwei der Herstellungslinien eingebaut. Eine davon wurde seit geraumer Zeit, jedenfalls vor dem 30. Januar 2015, zur illegalen Herstellung von Zigaretten verwendet, die andere befand sich zum Zeitpunkt der Durchsuchung im Testbetrieb.
5
Zwischen dem 30. Januar 2015 und dem 13. März 2015 stellten die polnischen Behörden acht Transporte der Firma L. sicher, die illegal produzier- te Zigaretten ohne Steuerzeichen aus ihren Produktionshallen transportiert hatte. Bei diesen acht Transporten hinterzog der Inhaber der Firma L. polnische Verbrauchsteuer in Höhe von 1.126.259,78 Euro, 1.169.971,20 Euro, 1.158.758,98 Euro, 1.167.046,27 Euro, 1.247.969,28 Euro, 1.252.649,16 Euro, 1.293.939,40 Euro und 1.253.169,15 Euro sowie polnische Umsatzsteuer in Höhe von 305.588,27 Euro, 317.448,48 Euro, 314.406,27 Euro, 316.654,86 Euro, 338.611,92 Euro, 339.881,71 Euro, 355.846,80 Euro und 340.022,80 Euro.
6
Bei der Durchsuchung vom 13. März 2015 wurden über 16 Millionen Stück Zigaretten verschiedener Marken ohne Steuerzeichen, zwei Millionen Kilogramm Rohtabak und Bargeld in Höhe von umgerechnet 8.250.000 Euro sichergestellt. Auf die an diesem Tag sichergestellten Zigaretten entfiel hinterzogene Verbrauchsteuer in Höhe von 3.227.047,63 Euro und hinterzogene Umsatzsteuer von 874.419,82 Euro.
7
Der in Polen entstandene Mindeststeuerschaden betrug 16.399.692 Euro.

II.


8
Die Nachprüfung des Urteils auf die Revision des Angeklagten hat nur im Strafausspruch einen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben. Der Schuldspruch wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung wird von den Feststellungen getragen. Die Feststellungen, insbesondere zum Gehilfenvorsatz des Angeklagten , beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
9
1. Der Angeklagte räumte den Verkauf, den Erhalt von „Schwarzgeld“ beim Verkauf und die Lieferung der nicht lauffähigen Maschinen ein, stellte jedoch in Abrede, Kenntnis von der illegalen Zigarettenproduktion gehabt zu haben.
10
Die Urteilsfeststellungen auf Grund einer fehlerfreien Beweiswürdigung tragen jedoch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe vorsätzlich bei der Herstellung illegaler Zigaretten durch Verkauf und Lieferung der Maschinen Hilfe geleistet.
11
Die Strafkammer hat sich aufgrund einer Gesamtschau verschiedener Indizien davon überzeugt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Lieferung der beiden Maschinen wusste oder es zumindest für „über- wiegend wahrscheinlich“ hielt, dass die Maschinen zur illegalen Herstellung von Zigaretten verwendet werden würden, um in Polen Verbrauch- und Umsatzsteuer zu hinterziehen, dies aber bei Vertragsschluss billigend in Kauf nahm, um Gewinn aus dem Verkauf der Maschinen erzielen zu können. Die Strafkammer war überzeugt davon, dass der Angeklagte wusste, dass osteuropäische Unternehmen illegal Zigaretten produzierten und nicht lauffähige Maschinen wie die beiden 60 Jahre alten „Museumsstücke“ nur von Firmen gekauft werden, die keine namhaften Zigaretten herstellen und die Maschinen vorwiegend zur illegalen Zigarettenproduktion verwenden. Sie hat sich insbesondere darauf gestützt, dass der Markt, auf dem gebrauchte Produktionsmaschinen für Zigaretten verkauft werden, sehr überschaubar ist, dem Angeklagten sehr gut bekannt war und er Kenntnis von den hohen Verbrauchsteuersätzen und dem daraus resultierenden hohen Anreiz hatte, Steuern zu hinterziehen.
12
Die Strafkammer hat anhand der aufgezeichneten Telekommunikation herausgearbeitet, dass der Angeklagte in mehreren der Lieferung nachfolgenden Telefonaten von der illegalen Produktion von Zigaretten erzählt und zum Ausdruck gebracht hatte, dass er ernsthaft damit rechnete, dass seine Kunden mit den von ihm gelieferten Maschinen illegal Zigaretten produzierten, er des- halb „immer mit einem Bein im Gefängnis“ stehe und die Firma L. neben der legalen Produktion auch noch eine illegale Zigarettenproduktion habe. Außerdem sprachen nach Überzeugung der Strafkammer auch das an den Ange- klagten bezahlte „Schwarzgeld“ dafür, dass dieser bereits zum Zeitpunkt des Verkaufs von der illegalen Produktion wusste oder dies für „sehr wahrscheinlich“ hielt, weil Schwarzgeld in diesem hoch besteuerten Bereich insbesondere aus den durch die illegale Produktion und den steuerfreien Verkauf der Zigaretten erzielten Gewinnen generiert wird.
13
2. Das Landgericht hat bei der Prüfung des Beihilfevorsatzes auch die Anforderungen beachtet, die der Bundesgerichtshof an eine Strafbarkeit bei berufstypischen „neutralen“ Handlungen stellt. Danach gilt das Folgende:
14
a) Strafbare Beihilfe ist die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer vorsätzlich begangenen Straftat eines anderen (§ 27 Abs. 1 StGB). Hilfeleistung in diesem Sinn stellt jede Handlung dar, die die Herbeiführung des Taterfolgs des Haupttäters objektiv fördert, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 109 mwN). Die Hilfeleistung muss auch nicht zur Ausführung der Tat selbst geleistet werden, es genügt die Unterstützung bei einer vorbereitenden Handlung (BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 22 mwN). Das kann auch durch äußerlich neutrale Handlungen gesche- hen (BGH, Urteil vom 23. Januar 1985 - 3 StR 515/84, HFR 1985, 429) wie hier durch Verkauf und Lieferung der Maschinen.
15
Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern; Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen. Ob der Gehilfe den Erfolg der Haupttat wünscht oder ihn lieber vermeiden würde, ist nicht entscheidend. Es reicht, dass die Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern oder zu erleichtern, und der Hilfeleistende dies weiß (BGH, Urteil vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 109 mwN).
16
b) Auch berufstypische Handlungen - wie Beratungs- oder Unterstützungshandlungen von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Bankmitarbeitern - können eine strafbare Beihilfe darstellen. Weder Alltagshandlungen noch berufstypische Handlungen sind in jedem Fall neutral; denn nahezu jede Handlung kann in einen strafbaren Kontext gestellt werden (BGH, Urteil vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 113). Es ist jedoch anerkannt, dass nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis tatfördernd auswirkt, als (strafbare) Beihilfe gewertet werden kann. Vielmehr bedarf es in Fällen, die sog. neutrale Handlungen betreffen, einer bewertenden Betrachtung im Einzelfall (vgl.BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten

22).


17
Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den „Alltagscharakter“; es ist als „Solidarisierung“ mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen.
18
Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen; es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 112/16, NStZ 2017, 337, 338 m. Anm. Kudlich; Urteile vom 22. Januar 2014 - 5 StR 468/12, wistra 2014, 176 und vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 112 ff.; Beschluss vom 20. September 1999 - 5 StR 729/98, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 20).
19
c) Im vorliegenden Fall hielt es der Angeklagte zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Lieferung der Maschinen zumindest für überwiegend wahrscheinlich , dass mit den (noch) nicht lauffähigen alten Maschinen illegal Zigaretten produziert und Umsatz- und Verbrauchsteuer nicht abgeführt werden würde. Das vom Angeklagten erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des Käufers, der bei Vertragsschluss auch Schwarzgeld bezahlt hatte, war nach der rechtsfehlerfreien Wertung des Landgerichts derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters, der zwingend auf die Lieferung der Maschinen und Ersatzteile für seine Tathandlung angewiesen war, angelegen sein ließ. Damit stellen Verkauf und Lieferung der Maschinen eine strafbare Beihilfe des Angeklagten dar. Angesichts dessen, dass der Angeklagte die Maschinen für eine zeitlich unbegrenzte Verwendung in einer fabrikmäßigen Produktion auch illegaler Zigaretten lieferte, erfasste sein Vorsatz auch Steuerschäden in der festgestellten Dimension.
20
d) Die Tatsache, dass die Beihilfehandlungen des Angeklagten erhebliche Zeit vor den Haupttaten lagen, steht ihrer tatsächlichen Förderung nicht entgegen. Es ist ausreichend, dass ein Gehilfe die Haupttat im Vorbereitungsstadium fördert (vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115; vom 21. Oktober 1999 - 4 StR 376/99, NStZ 2000, 86, 87 [dort nicht abgedruckt] und vom 24. April 1952 - 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 345 f.; Beschluss vom 26. Oktober 1984 - 3 StR 438/84, NJW 1985, 1035, 1036), solange die Teilnahmehandlung mit dem Willen und dem Bewusstsein geleistet wird, die Haupttat zu fördern (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115). Dies hat das Landgericht beweiswürdigend belegt.
21
3. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat bereits den Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt; denn die Darlegung der Berechnungsgrundlagen für die hinterzogenen Steuern entspricht nicht den Grundsätzen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei solchen Taten verlangt. Da auf der Grundlage der Feststellungen auszuschließen ist, dass überhaupt kein Steuerschaden entstanden ist, lässt dieser Rechtsfehler den Schuldspruch unberührt.
22
Die Strafkammer hat die Berechnung des in Polen entstandenen Steuerschadens bei der jeweiligen Haupttat im Urteil nicht dargestellt, sondern nur die auf die jeweilige Tat entfallende Stückzahl der Zigaretten, die jeweils angefallene polnische Verbrauch- und Umsatzsteuer, den Umrechnungskurs Zloty PLN/Euro genannt und auf Art. 10, 12, 99 und 99a des polnischen Verbrauchsteuergesetzes verwiesen. Den gewichteten durchschnittlichen (polnischen ) Kleinverkaufspreis, der für die Berechnung des Steuerschadens notwendig ist, teilt das Urteil nicht mit. Gleiches gilt für den zur Tatzeit geltenden allgemeinen Mehrwertsteuersatz in Polen (value added tax, VAT).
23
Ungeachtet dessen, ob der Steuerschaden aufgrund der mitgeteilten Daten in Verbindung mit den polnischen Rechtsquellen (Art. 10, 12, 99 und 99a des polnischen Verbrauchsteuergesetzes) errechenbar wäre, entspricht die Darstellung im Urteil jedenfalls nicht den vom Bundesgerichtshof gestellten Anforderungen. Die Ermittlung und Darlegung der Besteuerungsgrundlagen, die Anwendung steuerrechtlicher Vorschriften auf den festgestellten Sachverhalt und die auf den Besteuerungsgrundlagen aufbauende Berechnungsdarstellung ist Rechtsanwendung, die dem Tatrichter obliegt. Bei der Darlegung der Höhe der hinterzogenen Steuern sind in den Urteilsgründen die Berechnungsgrundlagen und die Berechnungen im Einzelnen wiederzugeben. Es genügt in der Regel nicht, lediglich die Summe der verkürzten Steuern anzugeben. Besonderheiten , die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Für die Berechnung ausländischer Steuern gelten keine geringeren Anforderungen.
24
Das Urteil muss auch zweifelsfrei erkennen lassen, dass das Tatgericht eine eigenständige Steuerberechnung als ihm obliegende Rechtsanwendung durchgeführt hat (BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10, NStZRR 2010, 207 und Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639, 640). Es ist dabei zwar nicht gehindert, sich Steuerberechnungen von Beamten der Finanzverwaltung oder Sachverständigen anzuschließen. Unzureichend ist es allerdings, lediglich auf Gutachten von Sachverständigen oder auf Steuerbescheide zu verweisen, und Ermittlungsergebnisse oder Aussagen, die Finanzbeamte als Zeugen oder Sachverständige in der Hauptverhandlung zur Behandlung steuerlicher Fragen gemacht haben, lediglich wiederzugeben (BGH, Urteil vom 12. Mai 2009 - 1 StR 718/08, NStZ 2009, 639, 640; Beschlüsse vom 13. Juli 2011 - 1 StR 154/11; vom 25. März 2010 - 1 StR 52/10, NStZ-RR 2010, 207; vom 13. Dezember 2005 - 5 StR 427/05, NStZ 2006, 634, 635; vom 30. Januar 2007 - 5 StR 517/06, NStZ 2007, 478 und vom 25. Oktober 2000 - 5 StR 399/00, NStZ 2001, 200). Die Darstellung im Urteil genügt daher nicht dem vom Bundesgerichtshof geforderten Maßstab.
25
Die der Strafzumessung zugrunde gelegten Feststellungen sind von dem Darstellungsmangel und dem Wertungsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.

III.


26
Für die neue tatgerichtliche Entscheidung weist der Senat noch auf Folgendes hin:
27
1. Es ist rechtsfehlerhaft, bei der Annahme eines besonders schweren Falls allein an das vom Haupttäter verwirklichte Regelbeispiel der Steuerverkürzung in großem Ausmaß anzuknüpfen; denn bei mehreren Tatbeteiligten ist für jeden von ihnen gesondert zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines besonders schweren Falls erfüllt sind. Das Ergebnis richtetsich - wenn auch unter Berücksichtigung der Tat des oder der anderen Beteiligten - jeweils nach dem Tatbeitrag und der Person des Teilnehmers, dessen Strafe zugemessen werden soll. Für die Bewertung der Tat des Gehilfen und des zugrunde zu legenden Strafrahmens ist somit entscheidend, ob sich die Beihilfe selbst - bei Berücksichtigung des Gewichts der Haupttat - als besonders schwerer Fall darstellt (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 17. Februar 1982 - 3 StR 19/82, NStZ 1982, 206; vom 12. Oktober 1987 - 2 StR 499/87; vom 17. März 1989 - 2 StR 712/88, BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Nr. 4, Gehilfe 2; vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, NJW 2009, 690; vom 13. September 2007 - 5 StR 65/07, wistra 2007, 461 und vom 31. Juli 2012 - 5 StR 188/12, NStZRR 2012, 342; Urteil vom 6. September 2016 - 1 StR 575/15, NStZ 2017, 356,

358).


28
2. Die Berechnung der polnischen Verbrauchsteuer richtet sich gemäß Art. 99 polnisches Verbrauchsteuergesetz nach dem Kleinverkaufspreis. Nach Art. 99 Abs. 9 Nr. 2 polnisches Verbrauchsteuergesetz ist für unrechtmäßig in den Verkehr gebrachte Zigaretten das Dreifache des gewichteten durchschnittlichen Kleinverkaufspreises anzusetzen. Die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer wird dies in ihrer Strafzumessung zu beachten haben. Denn der festgestellte steuerliche Schaden unterliegt einer Bewertung (vgl. Raum in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 4. Aufl., Kap. 4 Rn. 151 ff.), bei der im vorliegenden Fall Berücksichtigung finden muss, dass der steuerstrafrechtliche Schaden das Dreifache des Steuersatzes als bei einem legalen Handeln ausmacht. Zudem wird im Blick auf den Schadensumfang auch zu bedenken sein, dass der Angeklagte nur für zwei Herstellungslinien Maschinen lieferte, der Steuerschaden aber letztlich auf der Produktion von vier Herstellungslinien beruht. Raum Bellay Radtke Fischer Hohoff

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 651/10
vom
8. Februar 2011
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
Treffen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede, nach der für
das gesamte dem Arbeitnehmer gezahlte Gehalt weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge
abgeführt werden sollen, bedarf es im Falle der Verurteilung
des Arbeitgebers wegen Hinterziehung von Lohnsteuer weder Feststellungen
zu den individuellen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen Arbeitnehmer
, noch ist die Höhe der von den Arbeitnehmern hinterzogenen Einkommensteuer
im Urteil zu quantifizieren. Die Höhe der durch die Arbeitnehmer verkürzten
Einkommensteuer ist bei der Verurteilung des Arbeitgebers weder für den
Schuldspruch, noch für den Strafausspruch relevant.
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 - 1 StR 651/10 - LG Münster
in der Strafsache
gegen
wegen Untreue u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Februar 2011 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 12. April 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Untreue in 66 Fällen, wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwölf Fällen sowie wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte aus den Untreuetaten 205.927,39 Euro sowie die Verfallsbeteiligte A. aus der Vereitelung der Zwangsvollstreckung weitere - im Tenor des angefochtenen Urteils näher aufgeführte - Vermögenswerte erlangt hat und lediglich deshalb nicht auf Verfall von Wertersatz erkannt werden kann, weil Ansprüche Verletzter entgegenstehen (§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB).
2
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist erfolglos i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
3
Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
4
1. In den Fällen B. I. der Urteilsgründe (Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung in zwölf Fällen) hat das Landgericht der Strafzumessung im Ergebnis den zutreffenden Strafrahmen zu Grunde gelegt.
5
a) Zwar führt die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung bezüglich dieser Taten zur Strafrahmenwahl aus, dass hinsichtlich der tateinheitlich begangenen Beihilfe zur Steuerhinterziehung einerseits und zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt andererseits der identische, sich sowohl aus § 370 Abs. 1 AO, als auch aus § 266a Abs. 1 StGB ergebende Strafrahmen zu Grunde zu legen und dieser nach § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern sei. Insoweit hat das Landgericht ersichtlich nicht bedacht, dass hier hinsichtlich der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt neben der Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB an sich eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen war. Hiervon hätte nur dann abgesehen werden können, wenn das Landger icht die Täterschaft des Angeklagten allein schon wegen Fehlens eines besonderen persönlichen Merkmals verneint hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 1975 - 2 StR 567/74, BGHSt 26, 53, 54; BGH, Beschluss vom 22. April 1988 - 2 StR 111/88, wistra 1988, 303; BGH, Beschluss vom 1. März 2005 - 2 StR 507/04, NStZ-RR 2006, 109). Den Urteilsgründen lässt sich - auch in der Gesamtschau - nicht entnehmen, dass das Landgericht sich bei der Strafrahmenwahl von diesem Gesichtspunkt leiten ließ.
6
b) Allerdings war hier nach § 52 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StGB der Strafzumessung der allein nach § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zu Grunde zu legen. Denn die in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO angesprochene Pflicht, die vorliegend für die Haupttäter als Arbeitgeber aus § 41a EStG folgte, ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB (BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1). Weder insoweit, noch in anderem Zusammenhang hat sich damit die rechtsfehlerhafte Bestimmung des Strafrahmens für die Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.
7
2. Das Landgericht hat auch die Höhe der Lohnsteuer, zu deren Hinterziehung der Angeklagte durch seine Tatbeiträge Hilfe geleistet hat, zutreffend bestimmt. Mit der sachlich-rechtlichen Beanstandung, die Strafkammer hätte auf der Grundlage der ihr bekannten Anzahl der auf den Baustellen eingesetzten Arbeiter und der von diesen erbrachten Arbeitsstunden den jeweils an die illegal beschäftigten Arbeitnehmer konkret gezahlten Lohn und - davon ausgehend - die von jedem einzelnen Arbeitnehmer hinterzogene Einkommensteuer bestimmen können und den Betrag der Strafzumessung zu Grunde legen müssen , deckt die Revision keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
8
In Fällen der vorliegenden Art, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede dergestalt treffen, dass für das gesamte dem Arbeitnehmer gezahlte Gehalt weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden sollen, ist im Falle der Verurteilung des Arbeitgebers wegen Hinterziehung von Lohnsteuer die Höhe der durch die Arbeitnehmer verkürzte Einkommensteuer weder für den Schuldspruch, noch für den Strafausspruch bedeutsam. Es bedarf daher keiner Feststellungen zu den individuellen Besteuerungsmerkmalen der einzelnen Arbeitnehmer. Die Höhe der von den Arbeitnehmern hinterzogenen Einkommensteuer ist im Urteil nicht zu quantifizieren.
9
a) Insoweit gilt Folgendes:
10
aa) Die Lohnsteuer entspricht der Höhe nach der Einkommensteuer, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (vgl. § 38a Abs. 2 EStG). Bei der Lohnsteuer handelt es sich um eine Abzugssteuer i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, die gemäß § 38 Abs. 1 EStG durch Steuerabzug vom Lohn erhoben wird. Die nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG vorgesehene Anrechnung der vom Arbeitgeber einbehaltenen Lohnsteuer ist dabei nicht der materiell-rechtlichen Bestimmung des festzusetzenden Steueranspruchs des Staates gegenüber dem Arbeitnehmer, sondern dem verfahrensrechtlichen Bereich des Erhebungsverfahrens nach Festsetzung der vom Arbeitnehmer geschuldeten Einkommensteuer zuzuordnen (vgl. Brenner in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG [Stand: Juli 2002], § 36 Rn. A 2, A 232 mwN). Dabei tilgt die nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anzurechnende Lohnsteuer die Steuerschuld, mindert aber nicht die festgesetzte Einkommensteuerschuld (Heuermann in Blümich EStG [Stand: Oktober 2010], § 46 Rn. 19). Nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG wird zudem nur die erhobene Abzugssteuer, d.h. die vom Arbeitgeber einbehaltene Lohnsteuer (vgl. Brenner aaO Rn. D 80 mwN), angerechnet. Wurde die Lohnsteuer einbehalten, aber nicht an das Finanzamt abgeführt , besteht die Möglichkeit der Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nur, wenn der Arbeitnehmer davon keine Kenntnis hatte (BFH, DStRE 1999, 864). Die Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG setzt zudem eine Veranlagung des Arbeitnehmers voraus, die die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, für die die Lohnsteuer einbehalten wurde, erfasst.

11
Diese systemimmanente Trennung von Lohnsteuerabzug und Einkommensteuerveranlagung setzt sich auch im Haftungsverfahren nach § 42d EStG fort. Während des laufenden Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer des einzelnen Lohnzahlungszeitraums, selbst wenn zu vermuten ist, dass eine entsprechende Jahreslohnsteuerschuld des Arbeitnehmers nicht oder nicht in dieser Höhe bestehen wird (BFHE 74, 97 ff.). Wegen des Prinzips der Maßgeblichkeit der vom Arbeitgeber zu verwendenden Lohnsteuer-Abzugsmerkmale, das in § 39b EStG (Lohnsteuerkarte) und § 39e EStG (elektronische Lohnsteuer-Abzugsmerkmale) zum Ausdruck kommt, sind während des Abzugsjahres der Haftungsanspruch gegen den Arbeitgeber und der Steueranspruch gegen den Arbeitnehmer dem Umfang nach grundsätzlich identisch (BFHE 113, 157; vgl. auch Wagner in Blümich EStG [Stand: Oktober 2010], § 42d Rn. 31). Nach Ablauf des Kalenderjahres haftet der Arbeitgeber für die Jahreslohnsteuerschuld (§ 38a Abs. 1 Satz 1 EStG). Das ist die Lohnsteuer, die sich nach den Besteuerungsmerkmalen für den Jahresarbeitslohn ergibt (§ 38a Abs. 2 EStG). Steuermindernde Faktoren, die erst im Rahmen einer Veranlagung des Arbeitnehmers zu Tage treten, können insoweit bei einer Haftungsinanspruchnahme zugunsten des Arbeitgebers frühestens nach Abschluss des Veranlagungszeitraums berücksichtigt werden (im Einzelnen str.; vgl. Wagner aaO Rn. 32 ff.).
12
bb) In steuerstrafrechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass der Arbeitgeber, wenn er der ihm nach § 41a EStG obliegenden Pflicht zur Anmeldung der Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß nachkommt, eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AO begeht. An diesen jeweils eigenständigen Taten im materiell-rechtlichen Sinn kann sich der Arbeitnehmer als Täter oder Gehilfe beteiligen. Nach den Umständen des Einzelfalls kommt auch allein eine - dann in mittelbarer Täterschaft begangene - Steuerhinterziehung durch den Arbeitnehmer in Betracht (vgl. Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl., § 370 AO Rn. 201). Je nach dem, welche Lohnsteuer-Anmeldungszeiträume nach § 41a Abs. 2 EStG betroffen sind, kann es in einem Veranlagungszeitraum zu bis zu zwölf Hinterziehungstaten kommen.
13
Daneben tritt als weitere eigenständige Tat die Hinterziehung von Einkommensteuer durch den Arbeitnehmer, wenn eine Veranlagung des Arbeitnehmers nach dem Einkommensteuergesetz durchzuführen ist und der Arbeitnehmer insoweit unrichtige Erklärungen i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO abgibt oder die Abgabe einer Steuererklärung i.S.v. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO unterlässt. An dieser Tat kann sich der Arbeitgeber gegebenenfalls als Täter, regelmäßig aber als Gehilfe beteiligen.
14
cc) Das Nebeneinander von Lohnsteuerabzug durch den Arbeitgeber und dem Bestehen einer Einkommensteuerschuld des Arbeitnehmers führt in steuerstrafrechtlicher Hinsicht weiter dazu, dass die Hinterziehung der Lohnsteuer grundsätzlich eine „auf Zeit“ angelegte Tat ist, wenn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles damit zu rechnen ist, dass nach der Vorstellung der Tatbeteiligten eine Veranlagung des Arbeitnehmers und daran anschließend eine Anrechnung nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG erfolgen sollte (vgl. Joecks aaO § 370 AO Rn. 201, 204). Der Umfang der tatbestandlich verkürzten Lohnsteuern bemisst sich gleichwohl nach deren Nominalbetrag (vgl. zu dem ähnlich gelagerten Fall der Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe unrichtiger Unsatzsteuervoranmeldungen BGH, Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 21 ff.), der bei vollumfänglich illegalen Beschäftigungsverhältnissen auf der Grundlage des tatsächlich gezahlten Schwarzlohns nach den Steuersätzen der Lohnsteuerklasse VI (BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 - 5 StR 38/92, BGHSt 38, 285 ff.; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 16, 18; vgl. auch BFH/NV 2009, 1809 mwN), im Übrigen nach der jeweiligen Steuerklasse des betroffenen Arbeitnehmers zu berechnen ist. Dem Umstand, dass die lohnsteuerrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers im Ergebnis der Durchsetzung der einkommensteuerrechtlichen Pflichten des Arbeitnehmers dienen und insoweit derselbe Steueranspruch betroffen ist, ist allein bei der Strafzumessung Rechnung zu tragen.
15
(1) In Fällen der Hinterziehung von Lohnsteuer „auf Zeit“, die tatsächlich freilich selten gegeben sein dürften, ist bei der Strafzumessung grundsätzlich zu beachten, dass sich die dem Fiskus auf Dauer entzogenen Steuern nach den tatsächlichen Verhältnissen der Arbeitnehmer bemessen. Das Tatgericht muss sich hierüber erkennbar bewusst sein; es ist indes nicht gehalten, hierzu umfangreiche Beweiserhebungen und Darlegungen anzustellen. Ist die genaue Berechnung der endgültig geschuldeten Einkommensteuern nicht ohne weiteres möglich, kann das Tatgericht von geschätzten, niedrigeren Durchschnittssteuersätzen ausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1985 - 1 StR 284/85, NStZ 1986, 79; BGH, Urteil vom 13. Mai 1992 - 5 StR 38/92, NJW 1992, 2240). Wird sowohl die Hinterziehung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber als auch dessen Beteiligung an der Hinterziehung von Einkommensteuer durch den Arbeitnehmer geahndet, muss das Tatgericht zudem erkennbar zum Ausdruck bringen , dass es sich dem Verhältnis von Lohn- und Einkommensteuer bewusst war; die Höhe der durch die einzelnen Hinterziehungstaten verkürzten Steuern darf namentlich nicht addiert werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2002 - 5 StR 448/01, NStZ 2002, 485, 487). Nämliches gilt, soweit die Beteiligung des Arbeitnehmers an der Hinterziehung von Lohnsteuer einerseits und Einkommensteuer andererseits geahndet wird.
16
(2) Ist die Hinterziehung der Lohnsteuer demgegenüber „auf Dauer“ angelegt , ist die Höhe der durch die Arbeitnehmer verkürzten Einkommensteuer auch für den Strafausspruch nicht relevant. Denn dann besteht für die ordnungsgemäße Besteuerung eine besondere Gefahrenlage, der durch die Ausgestaltung der Lohnsteuer als Abzugssteuer gerade entgegengewirkt werden soll. Diese Gefahrenlage soll bei der auf Dauer angelegten Lohnsteuerhinterziehung nach dem Tatplan der an ihr Beteiligten auch nicht nachträglich wieder beseitigt werden.
17
(a) Eine solche Hinterziehung der Lohnsteuer „auf Dauer“ ist regelmäßig dann gegeben, wenn der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede treffen, sie sich mithin darüber einig sind, dass der Arbeitgeber für den gezahlten Barlohn weder Lohnsteuer, noch Sozialversicherungsbeiträge zahlen soll. In diesen Fällen sind die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht gegeben. Insoweit wird weder Lohnsteuer durch den Arbeitgeber einbehalten , noch wird - was dem Arbeitnehmer bekannt ist - Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt. Der Arbeitnehmer wird die Einkünfte aus dem illegalen Beschäftigungsverhältnis auch nicht gegenüber den Finanzbehörden (sei es nach § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG, sei es nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG) erklären. Eine Anrechnung der Lohnsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG scheidet demnach aus. Die grundsätzlich für eine Hinterziehung auf Zeit sprechenden Gesichtspunkte des Lohnsteuerverfahrens, namentlich die Anrechung der einbehaltenen Lohnsteuer auf die vom Arbeitnehmer geschuldete Einkommensteuer, sind in diesen Fällen nicht gegeben (vgl. bereits BGH, Urteil vom 24. September 1986 - 3 StR 336/86, NStZ 1987, 78).
18
Der Umstand, dass nach Bekanntwerden der Taten ein Haftungsbescheid nach § 42d EStG gegenüber dem Arbeitgeber unter Umständen auf die Höhe der vom Arbeitnehmer geschuldeten Einkommensteuer begrenzt wäre, steht dem nicht entgegen. Denn diese zwangsläufig nach Beendigung der einzelnen Hinterziehung von Lohnsteuer eintretende Reduzierung der Lohnsteuerhaftung und der im Vergleich zum Arbeitgeber unter Umständen geringere Schuldumfang der Einkommensteuerhinterziehung des Arbeitnehmers ergeben sich in Fällen der Schwarzlohnabrede regelmäßig allein aus der Entdeckung der Tat. Vor diesem Hintergrund stellen diese Umstände keinen bestimmenden Strafzumessungsgrund dar. Der möglicherweise geringere Umfang der vom Arbeitnehmer hinterzogenen Einkommensteuer ist daher in Fällen der Schwarzlohnabrede regelmäßig nicht zu quantifizieren, wenn allein die Hinterziehung der Lohnsteuer geahndet wird.
19
(b) Gleiches gilt regelmäßig in Fällen sog. Teilschwarzlohnabreden, bei denen einvernehmlich nur ein Teil des Lohns beim zuständigen Finanzamt angemeldet wird, während ein weiterer Teil des tatsächlich - regelmäßig bar - ausgezahlten Lohns nicht angemeldet wird. Auch hier ist eine Hinterziehung auf Dauer beabsichtigt. Freilich ist in diesen Fällen diejenige Lohnsteuerklasse bei der Berechnung der hinterzogenen Lohnsteuer zu Grunde zu legen, die sich aus der vorgelegten Lohnsteuerkarte ergibt. Das wird in den meisten Fällen nicht die Lohnsteuerklasse VI sein.
20
(c) Als eine „auf Dauer“ angelegte Hinterziehung von Lohnsteuer wird regelmäßig auch der Fall anzusehen sein, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer vom Bruttoarbeitsentgelt des Arbeitnehmers einbehält, diese aber ohne Wissen des Arbeitnehmers nicht abführt.
21
Auch hier wird nach der Vorstellung des Arbeitgebers eine Gefahrenlage für die ordnungsgemäße Besteuerung des Einkommens des Arbeitnehmers geschaffen, die - auch durch steuerehrliches Verhalten des Arbeitnehmers - in der überwiegenden Zahl dieser Fälle nicht nachträglich wieder beseitigt wird. Da der Arbeitnehmer auch in diesen Fällen die einbehaltene, aber nicht angemeldete und nicht abgeführte Lohnsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG anrechnen kann - was u.U. gar zu einer Erstattung von Einkommensteuer führt, obwohl der Fiskus die zu erstattende Steuer überhaupt nicht vereinnahmt hat (vgl. BFH DStRE 1999, 864) - verbleibt es bei der Haftung des Arbeitgebers nach § 42d EStG. Nur wenn der Arbeitgeber diese Haftungsschuld erfüllt, wird der bereits eingetretene Hinterziehungsschaden nachträglich beseitigt. Allein dieser Umstand ist dann - als nachträgliche Schadenswiedergutmachung - auch strafzumessungsrelevant.
22
b) Den vorgenannten Grundsätzen wird das landgerichtliche Urteil gerecht :
23
aa) Bei der Ermittlung des tatbestandlichen Hinterziehungsumfangs hat das Landgericht die tatsächlich gezahlten Schwarzlöhne, deren Höhe sich aus den sichergestellten Lohnaufzeichnungen des Haupttäters ergab, zu Grunde gelegt und davon ausgehend unter Anwendung des Eingangssteuersatzes der Steuerklasse VI die hinterzogene Lohnsteuer, die der Arbeitgeber nach § 41a EStG anzumelden hatte, berechnet.
24
Dieses Vorgehen begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Aufgrund der Tatsache, dass das Landgericht bei der Ermittlung der hinterzogenen Lohnsteuer den Eingangssteuersatz der Steuerklasse VI zu Grunde gelegt hat, war die Höhe der den einzelnen Arbeitnehmern ausgezahlten Schwarzlöhne für die Bestimmung des Steuerschadens ohne Bedeutung.
25
bb) Auch den der Strafzumessung zu Grunde zu legenden Steuerschaden hat das Landgericht zutreffend bestimmt.
26
(1) Da vorliegend zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Schwarzlohnabrede getroffen worden war, sollte die Lohnsteuer auf Dauer hinterzogen werden. Das Tatgericht war daher - wie oben dargelegt - nicht gehalten , bei der Strafzumessung zu Gunsten des Angeklagten die Höhe der tatsächlich von den Arbeitnehmern geschuldeten Einkommensteuer zu berücksichtigen.
27
(2) Dessen ungeachtet hat das Landgericht - ohne dass dies erforderlich gewesen wäre - die auf der genannten Grundlage berechnete Lohnsteuerverkürzung dem dauerhaft dem Fiskus verbleibenden Steuerschaden gegenüber gestellt. Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Steuerbelastung für die zu Grunde zulegenden Monatseinkommen der einzelnen Arbeitnehmer den Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI übersteigt. Die insoweit maßgeblichen Monatseinkommen der Arbeitnehmer hat das Landgericht dabei - wie sich aus der Gesamtschau der Urteilsgründe ergibt - im Wege der Schätzung gewonnen. Die diesbezüglichen Angriffe der Revision erschöpfen sich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, die - bei der Schätzung vorzunehmende - Beweiswürdigung des Tatgerichts durch eine eigene zu ersetzen. Rechtsfehler werden insoweit nicht aufgezeigt.
Herr RiBGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Nack Nack Hebenstreit Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 234/12
vom
22. Januar 2013
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
1. Zum Umgang mit effektiv versteckten Vermögenswerten bei der Begründung
der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit.
2. Bei der Vorschrift des § 283 StGB handelt es sich um ein echtes Sonderdelikt.
Täter, Mittäter oder mittelbarer Täter kann daher grundsätzlich nur die Person
sein, die für die Erfüllung der Verbindlichkeit haftet; dies gilt sowohl für die
Begehungsweise des Abs. 1 als auch für die des Abs. 2 der Norm. Bei der
Pflichtenstellung handelt es sich um eine solche höchstpersönlicher Art und
mithin um ein besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. 1 StGB.
BGH, Beschluss vom 22. Januar 2013 - 1 StR 234/12 - LG Augsburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Beihilfe zum Bankrott
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2013 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. November 2011 im Strafausspruch , auch soweit es die gegen die Mitangeklagte S. erkannte Gesamt- und Einzelstrafe für die Beihilfe zum Bankrott im Tatkomplex B.III.3. (Verkauf der Villa) betrifft, aufgehoben. Seine weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Beihilfe zum Bankrott unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Einzelfreiheitsstrafen von sechs und neun Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ausgesprochen, dass hiervon drei Monate als vollstreckt gelten. Die nicht revidierende Mitangeklagte S. hat es wegen Beihilfe zum Bankrott in vier Fällen und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte H. mit der Rüge der Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
2
1. Die von ihm erhobenen Verfahrensrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 27. Juli 2012 aufgezeigten Gründen jedenfalls unbegründet.
3
2. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
4
Die getroffenen Feststellungen belegen eine Bankrotttat des Mitangeklagten P. gemäß § 283 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StGB hinsichtlich der Villa in Südfrankreich. Aus der Gesamtheit der im Urteil mitgeteilten Umstände lassen sich insbesondere die für das Herbeiführen einer wirtschaftlichen Krise im Sinne des § 283 Abs. 2 StGB maßgeblichen Tatsachen ausreichend sicher feststellen. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit durch die Bankrotthandlungen des Haupttäters P. ist danach mit Ende des Jahres 2005 belegt, da das Beiseiteschaffen der noch vorhandenen Vermögenswerte dazu führte, dass die fälligen Verbindlichkeiten - schon ohne Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt vom Bundesministerium der Verteidigung noch geforderten Rückzahlung von 3,8 Mio. DM - aus dem liquiden Vermögen nicht mehr befriedigt werden konnten. Dabei waren die Steuerschulden für 1991 und 1992 freilich nicht auf dem Stand 10. Januar 2011, sondern mit der 2001 fällig gestellten Höhe abzüglich der beigetriebenen Summe von 450.110,98 Euro in Rechnung zu bringen. Mit dem zum 22. März 2007 erfolgten Kostenansatz der Gerichtskosten erhöhten sich die Verbindlichkeiten entsprechend, ohne dass zur Tilgung vorhandene Mittel hinzugekommen wären.
5
Zu Recht hat das Landgericht weder die durch die abgeurteilten Bankrotthandlungen des Mitangeklagten P. noch die möglicherweise bereits zuvor von ihm durch Verschleierung und Änderung der rechtlichen Zuordnung effektiv versteckten Vermögenswerte berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2001 - 4 StR 421/00, BGHR StGB § 283 Abs. 1 Nr. 1 Beiseite- schaffen 4), denn hierdurch wurde ein alsbaldiger Zugriff möglicher Gläubiger jedenfalls erheblich erschwert, wenn nicht sogar objektiv unmöglich gemacht (vgl. zu diesem Maßstab BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 3 StR 314/09, BGHSt 55, 107, 113). Würde man solche - hier bis heute nicht aufgedeckten, von der Strafkammer nur als möglich behandelten - Vermögenswerte bei der Begründung der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einer natürlichen Person als Aktiva bzw. als liquide Mittel einstellen, würde die Tatbestandsvoraussetzung der Krise im Sinne des § 283 Abs. 2 StGB kaum je anzunehmen sein, obwohl der Schuldner Vermögenswerte dem Zugriff seiner aktuellen Gläubiger entzogen hat (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1997, 551). Dies wäre mit dem durch die Vorschrift zu schützenden Rechtsgut der Interessen dieser Gläubiger an einer vollständigen oder möglichst hohen Befriedigung ihrer vermögensrechtlichen Ansprüche nicht zu vereinbaren (vgl. zu diesem Schutzzweck BVerfG, Beschluss vom 28. August 2003 - 2 BvR 704/01).
6
Auch der Gehilfenvorsatz des Angeklagten H. ist, wenngleich knapp, so doch hinreichend belegt (UA S. 23). Dies umschließt den bedingten Vorsatz hinsichtlich der vom Mitangeklagten P. vorgenommenen Tathandlung des Verheimlichens. Dass demgegenüber keine konkrete Kenntnis des Angeklagten H. von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung festgestellt ist, ist unschädlich. Denn diese begründet hier die gemäß § 283 Abs. 6 StGB erforderliche objektive Bedingung der Strafbarkeit, auf die sich der Vorsatz des Teilnehmers nicht zu beziehen braucht.
7
3. Der Strafausspruch kann jedoch keinen Bestand haben.
8
Die Strafkammer hat die Strafe für den Angeklagten H. dem nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 283 StGB entnommen. Die von § 28 Abs. 1 StGB zwingend (zu Ausnahmekonstellationen vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 1975 - 2 StR 567/74, BGHSt 26, 53, 54) vorgesehene Strafrahmenverschiebung hat es hingegen nicht erkennbar erwogen. Dies erweist sich hier als rechtsfehlerhaft.
9
Bei der Vorschrift des § 283 StGB handelt es sich um ein echtes Sonderdelikt. Täter, Mittäter oder mittelbarer Täter kann daher grundsätzlich nur die Person sein, die für die Erfüllung der Verbindlichkeit haftet (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 - 3 StR 372/08, vgl. auch Urteil vom 10. Mai 2000 - 3 StR 101/00); dies gilt sowohl für die Begehungsweise des Abs. 1 als auch für die des Abs. 2 der Norm. Bei dieser Pflichtenstellung handelt es sich - anders als bei der nach § 370 AO (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25. Januar1995 - 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 4) - um eine solche höchstpersönlicher Art und mithin um ein besonderes persönliches Merkmal gemäß § 28 Abs. 1 StGB (vgl. hierzu Radtke in Münchener Kommentar, StGB, 2006, § 283 Rn. 80).
10
Ist nicht allein schon wegen des Fehlens des strafbegründenden persönlichen Merkmals Beihilfe statt Täterschaft angenommen worden (BGH, Beschluss vom 8. Januar 1975 - 2 StR 567/74, BGHSt 26, 53, 54; BGH, Beschluss vom 1. März 2005 - 2 StR 507/04, NStZ-RR 2006, 106; zu weitgehend hierzu Tiedemann in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 283 Rn. 228), ist der Strafrahmen für den Teilnehmer gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu mildern (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 1994 - 1 StR 169/94; offen gelassen in BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1, 2; Reinhart in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2011, § 283 StGB Rn. 75; für Abs. 1 auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 283 Rn. 38; a.A. Lackner /Kühl, StGB, 27. Aufl., § 283 Rn. 25). Hier belegen die Urteilsausführungen, dass das Landgericht die Art und Weise des Tatbeitrags zum Anlass genommen hat, den Angeklagten H. lediglich wegen Beihilfe zu verurteilen. Die weitere Strafrahmenmilderung nach § 28 Abs. 1 StGB hätte daher erörtert werden müssen. Der Senat kann angesichts der Einzelstrafhöhe von zwei Jahren und neun Monaten ein Beruhen des Strafausspruchs auf diesem Unterlassen nicht ausschließen.
11
4. Nach § 357 Satz 1 StPO ist die Aufhebung auf die nicht revidierende Mitangeklagte S. zu erstrecken, soweit sie an der dem Angeklagten H. zur Last gelegten Tat beteiligt war (Tatkomplex B.III.3., Verkauf der Villa), denn insoweit beruht die Zumessung dieser Einzelstrafe von zwei Jahren auf demselben sachlich-rechtlichen Mangel. Dies führt zur Aufhebung auch der sie betreffenden Gesamtstrafe.
12
5. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer ist jedoch nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen.
13
Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im Strafausspruch grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135; BGH, Beschluss vom 25. September 2012 - 1 StR 212/12, wistra 2013, 35).
Nack Rothfuß Jäger
Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 310/16
vom
25. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a.
zu 2.: Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:251017B1STR310.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 25. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 24. Juni 2015
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte M. schuldig ist der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 25 Fällen, davon in 20 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur Erwerbstätigkeit von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang , der Angeklagte K. schuldig ist der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und zur Steuerhinterziehung in 25 Fällen, davon in 20 Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zur Erwerbstätigkeit von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge, hinsichtlich des Angeklagten K. auch mit den Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Lohnsteuer, aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Schwerin zurückverwiesen.
3. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen 25-facher Beihilfe zum Vorenthalten von Arbeitsentgelt in Tateinheit mit Beihilfe zur Beschäftigung von mehr als fünf Ausländern ohne Genehmigung, den Angeklagten K. darüber hinaus tateinheitlich wegen 25-facher Beihilfe zur Steuerhinterziehung verurteilt. Gegen den Angeklagten M. hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten, gegen den Angeklagten K. eine solche von acht Monaten verhängt, und deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt. Gegen diese Verurteilungen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen und erheben jeweils die ausgeführte Sachrüge, der Angeklagte M. auch Verfahrensrügen.
2
Die Rechtsmittel haben mit den Sachrügen den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Nach den Feststellungen des Landgerichts entschied der Geschäftsführer der Hotelanlage Y. zur Kosteneinsparung polnische Arbeiter im Rahmen von Werkverträgen auf der Hotelanlage einzuset- zen. Sie sollten nach Bedarf durch den Angeklagten M. in Polen akquiriert werden, dort ein Gewerbe anmelden und anschließend auf Grund von Werkverträgen in der Hotelanlage eingesetzt werden. Nachdem der Geschäftsführer der Hotelanlage die ersten Verträge aus dem Jahr 2006 unterschrieben hatte, unterzeichnete sie in der Folgezeit meist der Angeklagte K. als technischer Leiter der Hotelanlage. Der Angeklagte K. informierte auch jeweils den Angeklagten M. über die Anzahl der benötigten Hilfskräfte und der Angeklagte M. warb sie sodann in Polen an.
4
Die jeweils als Werkvertrag bezeichneten Verträge enthielten Beschreibungen von durchzuführenden Arbeiten wie den Transport und die Reparatur von Möbeln, Garten- oder Reinigungsarbeiten. Die polnischen Arbeitskräfte, die vor der Unterschrift unter diese Verträge in Polen ein Gewerbe angemeldet hatten , waren im Jahr 2007 in der Gärtnerei eingesetzt und führten Hilfsarbeiten beim Reinigen der Hotelanlage aus. Ab Frühjahr 2008 arbeiteten verstärkt polnische Frauen als Zimmermädchen. Die polnischen Arbeitskräfte waren wie Arbeitnehmer in den Betriebsablauf der Hotelanlage integriert, trugen die Dienstkleidung der Hotelanlage, erhielten Arbeits- und Putzmittel gestellt und unterlagen hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort den Anordnungen der Mitarbeiter der Hotelanlage. Die Lohnrechnungen schrieb der Angeklagte M. . Der Stundenlohn wurde regelmäßig für einen Zeitraum von etwa zwei Wochen abgerechnet und von einem der beiden Angeklagten an die polnischen Arbeitskräfte ausbezahlt.
5
Die in der Hotelanlage beschäftigten 90 polnischen Arbeitnehmer besaßen keine Genehmigung nach § 284 Abs. 1 SGB III in der jeweils gültigen Fassung und waren der Sozialversicherung und dem Finanzamt nicht gemeldet. Von Januar 2007 bis Januar 2009 wurden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 229.188,14 € und Lohnsteuer in Höhe von 108.255,67 € nicht abgeführt.

II.


6
Die auf die Sachrüge vorzunehmende Nachprüfung des angefochtenen Urteils hat hinsichtlich der Schuldsprüche keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen des Angeklagten M. bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen ohne Erfolg.
7
Die Schuldsprüche der beiden Angeklagten beruhen auf einer tragfähigen Beweiswürdigung und weisen – bis auf die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Vergehen nach dem Schwarzarbeitsgesetz (SchwarzArbG) – keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die Strafzumessung hält dagegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
1. Die Strafkammer hat zutreffend 25 Straftaten der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) und zur Hinterziehung von Lohnsteuer (§ 370 AO) angenommen.
9
Die Angeklagten haben in jedem der abgeurteilten 25 Monate jeweils mindestens einen Gehilfenbeitrag zu den von dem Geschäftsführer der Hotelanlage jeden Monat begangenen Haupttaten geleistet. Da sich derselbe Gehilfenbeitrag sowohl auf die Haupttat des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt als auch – beim Angeklagten K. – auf die Haupttat der Steuerhinterziehung auswirkt, ergeben sich insgesamt 25 Beihilfestraftaten.
10
Zugleich haben die Angeklagten mit ihren Handlungen Beihilfe zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG geleistet, soweit die Zahl der polnischen Beschäftigten fünf Beschäftigte pro Monat überstieg. Dies war nach den Urteilsfeststellungen in den Monaten Januar und Februar 2007, Januar und Februar 2008 und Januar 2009 nicht der Fall, weshalb sich die Angeklagten nur in 20 Fällen zu- gleich der Beihilfe zur Erwerbstätigkeit von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang schuldig gemacht haben. Der Schuldspruch war daher hinsichtlich der Anzahl der tateinheitlichen Verurteilungen wegen der Vergehen nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG, § 284 Abs. 1 SGB III zu korrigieren.
11
Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts scheidet eine (einheitliche ) Beihilfe zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG, die mit den 25 Straftaten der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und zur Hinterziehung von Lohnsteuer in Tateinheit steht, aus. Sie ist bereits mit den in jedem Monat erfolgten Beihilfehandlungen nicht vereinbar. Selbst wenn das Delikt aber als Dauerdelikt zu begreifen wäre, würde es durch die tateinheitlich verwirklichten Straftaten der Lohnsteuerhinterziehung und des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt „entklammert“, so dass die Beihilfe hierzu auch aus diesem Grund jeweils tateinheitlich neben die übrigen Taten träte (vgl. zur Entklammerung LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 52 Rn. 30 ff.).
12
Zwar kann ein Delikt, das sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt, andere Straftaten, die bei isolierter Betrachtung in Tatmehrheit zueinander stehen , zur Tateinheit verbinden, wenn es seinerseits mit jeder dieser Straftaten tateinheitlich zusammentrifft. Diese Wirkung tritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber dann nicht ein, wenn eine minderschwere Dauerstraftat jeweils mit schwereren Gesetzesverstößen zusammentrifft (BGH, Beschluss vom 4. April 2012 – 2 StR 70/12, NStZ 2013,158 mwN). Die Vergehen der Beihilfe zu § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG sind aufgrund ihres geringen Gewichts nicht geeignet, die übrigen Taten zu verklammern, so dass die Beihilfe nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG jeweils tateinheitlich neben die übrigen Taten tritt.
13
Das Vergehen nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG ist ferner gemäß der gesetzlichen Überschrift als „Beihilfe zur Erwerbstätigkeit von Ausländern ohne Genehmigung in größerem Umfang“ zu tenorieren (MüKo-StGB/Mosbacher NebenstrafR II, 2. Aufl., SchwarzArbG § 11 Rn. 21).
14
Der Senat kann den Schuldspruch entsprechend berichtigen. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich die Angeklagten nicht erfolgreicher als geschehen hätten verteidigen können.
15
2. Dagegen war der jeweilige Strafausspruch auf die Revisionen der Angeklagten aufzuheben. Die Strafkammer hat den Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt; denn die Darlegung der Berechnungsgrundlagen für die vorenthaltenen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge und die hinterzogene Lohnsteuer entsprechen nicht den Grundsätzen, die die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei solchen Taten verlangt.
16
Dem Tatgericht obliegt es nach dieser Rechtsprechung, die geschuldeten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (BGH, Beschlüsse vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93; vom 22. März 1994 – 1 StR 31/94 und vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 –, juris; Urteil vom 20. März 1996 – 2 StR 4/96, NStZ 1996, 543), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (BGH, Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376; Beschluss vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 –, juris). Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht mög- lich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09, NStZ 2010, 635 und vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 –, juris). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (BGH, Beschlüsse vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93, StV 1993, 364 und vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 –, juris; Urteil vom 11. August 2010 – 1 StR 199/10, NStZ-RR 2010, 376). Deshalb genügt es nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben (BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2002 – 5 StR 16/02, NJW 2002, 2480, 2483 und vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 –, juris). Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (BGH, Beschlüsse vom 4. März 1993 – 1 StR 16/93, StV 1993, 364 und vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 –, juris).
17
Den vorgenannten Anforderungen trägt das Urteil nicht ausreichend Rechnung. Bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge hat die Strafkammer die von der Mitarbeiterin der Rentenversicherung zur Verfügung gestellten Tabellen zugrunde gelegt. Anschließend hat sie auf der Grundlage der in bar ausgezahlten Löhne als Nettolöhne (§ 14 Abs. 2 SGB IV) nach einem im Berechnungsprogramm der Rentenversicherung Bund hinterlegten Faktor nach der Steuerklasse 6 den fiktiven Bruttolohn und von diesem ausgehend nach den in den jeweiligen Monaten geltenden Beitragssätzen die Renten-, Pflege-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungsbeiträge errechnet (UA S. 23 f.).
18
Bei der Bestimmung der Lohnsteuer ist die Strafkammer von der von dem zuständigen Finanzamt angefertigten und von Steueramtfrau H. als Zeugin erläuterten Berechnung des zugeflossenen Barlohns als Bruttolohn ausgegan- gen und hat davon nach der Steuerklasse 6 die Lohnsteuer und den Solidaritätsbeitrag abgezogen (UA S. 55).
19
Damit hat das Landgericht seine Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge allein auf die Berechnungen der Mitarbeiterin der Deutschen Rentenversicherung gestützt. Welche Beitragssätze letztlich der Berechnung zugrunde lagen, führt das Urteil nicht aus. Es beschränkt sich auf die Benennung der zuständigen Krankenkasse (UA S. 24). Die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ist damit auf Grund der unzureichenden Urteilsfeststellungen einer vollumfänglichen revisionsgerichtlichen Nachprüfung entzogen. Hinzu kommt, dass sich nicht erschließt, warum in zahlreichen Fällen (UA S. 26 ff.) bei demselben Arbeitnehmer in demselben Beschäftigungsmonat zwei oder mehr Berechnungsvorgänge erfolgt sind.
20
Auch die Berechnung der bei den polnischen Arbeitnehmern angefallenen Lohnsteuer ist nicht nachvollziehbar dargelegt und zudem in einigen Fällen unschlüssig. So ist z.B. bei Zugrundelegung der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c EStG) bei dem Arbeitnehmer C. nicht verständlich, wieso im April 2007 ein Bruttolohn von 340,90 € zu Lohnsteuer in Höhe von 89,21 € führt, aber bei dem Arbeitnehmer D. ein Lohn von 528 € nur zu Lohnsteuer in Höhe von 79,60 €. Bei dem Arbeitnehmer S. ergeben 409,08 € Bruttolohn im Vormonat sogar 113,59 € Lohnsteuer. Für M. warenim März 2007 für 681,78 € Bruttolohn 225,84 € Lohnsteuer abzuführen, für St. dagegen im Monat März 2007 bei 1.008 € brutto nur 218,25 € (jeweils UA S. 57).
21
Da auf der Grundlage der Feststellungen auszuschließen ist, dass nicht jeden Monat sowohl Beiträge zur Sozialversicherung vorenthalten als auch Lohnsteuer nicht abgeführt worden sind, lässt dieser Rechtsfehler den Schuld- spruch unberührt. Die rechtsfehlerhafte Bemessung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und der nicht abgeführten Lohnsteuer und damit des Schuldumfangs zieht allerdings die Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen nach sich. Der Senat kann infolge der fehlenden revisionsgerichtlichen Nachprüfbarkeit nicht ausschließen, dass die Strafkammer einen zu hohen Schaden und damit Schuldumfang angenommen hat und die Strafzumessung des angefochtenen Urteils auf den vorgenannten Mängeln beruht.
22
Das neue Tatgericht wird dementsprechend unter Beachtung obiger Ausführungen neue Feststellungen zur Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge und hinterzogenen Lohnsteuer zu treffen haben. Die übrigen Feststellungen des Landgerichts sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und bleiben insoweit bestehen.
23
3. Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, dass hinsichtlich der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt neben der Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommt (BGH, Beschluss vom 14. Juni 2011 – 1 StR 90/11, wistra 2011, 344, 346). Hiervon kann nur dann abgesehen werden, wenn das Landgericht die Täterschaft des Angeklagten allein schon wegen Fehlens eines besonderen persönlichen Merkmals verneint hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 1975 – 2 StR 567/74, BGHSt 26, 53, 54; vom 22. April 1988 – 2 StR 111/88, wistra 1988, 303; vom 1. März 2005 – 2 StR 507/04, NStZ-RR 2006, 109 und vom 8. Februar 2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153, 155).
24
Nach den Urteilsfeststellungen lag beim Angeklagten M. , der hierarchisch niedriger angesiedelt war als der Angeklagte K. als „Technischer Leiter“ und nur auf dessen Anweisung handelte (UA S. 96), bereits deshalb ei- ne Täterschaft fern und wurde von der Strafkammer auch nicht erörtert.
25
Bei ihm wäre die Strafe hinsichtlich der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt auch gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu mildern gewesen. Wegen der Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO war die Heranziehung des Strafrahmens von § 370 Abs. 1 AO nicht möglich.
26
Dagegen hat das Landgericht beim Angeklagten K. ausführlich geprüft (UA S. 21-23), ob dieser gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB auf Grund ihm übertragener Leitungsbefugnisse eine Arbeitgebereigenschaft hatte und damit Täter war. Sie hat dies verneint und ihn als Gehilfen eingestuft. Bei der Strafrahmenwahl hat die Strafkammer diesen Aspekt nicht aufgegriffen und nicht erkennen lassen, ob sie sich bei der Zumessung von diesem Gesichtspunkt leiten ließ.
27
Die Prüfung des § 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB könnte darauf hinweisen, dass das Landgericht die Täterschaft des Angeklagten K. nicht wegen Fehlens einer der allgemeinen Voraussetzungen der Täterschaft, sondern wegen Fehlens eines besonderen persönlichen Merkmals verneint und nur deshalb Beihilfe angenommen hat. Diese rechtliche Wertung stünde in Einklang mit den festgestellten Tatbeiträgen der beiden Angeklagten. Bei einem Sachverhalt, in dem lediglich wegen des Fehlens des besonderen persönlichen Merkmals Beihilfe bejaht wird, kommt nur eine einmalige Milderung in Betracht (§ 50 StGB), nicht eine doppelte nach § 27 Abs. 2 Satz 2 und § 28 Abs. 1 StGB – jeweils i.V.m.
§ 49 Abs. 1 StGB (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. April 1988 – 2 StR 111/88, wistra 1988, 303).
28
Allerdings ist bei dem Angeklagten K. ohnehin nach § 52 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StGB der Strafzumessung der allein nach § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO zu Grunde zu legen; denn die in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO angesprochene Pflicht, die vorliegend für den Haupttäter als Arbeitgeber aus § 41a EStG folgte, ist kein besonderes persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB (BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 – 5 StR 491/94, BGHSt 41, 1; Beschluss vom 8. Februar 2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153, 155).

III.


29
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein zu demselben Bundesland gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Raum Graf Jäger Radtke Fischer

(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(2) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilnehmer), bei dem sie vorliegen.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag hat der Arbeitgeber und in den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 auf die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben die Deutsche Rentenversicherung Bund zu zahlen. Die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gilt als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht. Ist ein Träger der Kranken- oder Rentenversicherung oder die Bundesagentur für Arbeit der Arbeitgeber, gilt der jeweils für diesen Leistungsträger oder, wenn eine Krankenkasse der Arbeitgeber ist, auch der für die Pflegekasse bestimmte Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag als gezahlt; dies gilt für die Beiträge zur Rentenversicherung auch im Verhältnis der Träger der Rentenversicherung untereinander.

(2) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Er kann die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Zahlt der Verleiher das vereinbarte Arbeitsentgelt oder Teile des Arbeitsentgelts an den Leiharbeitnehmer, obwohl der Vertrag nach § 9 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes unwirksam ist, so hat er auch den hierauf entfallenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Hinsichtlich der Zahlungspflicht nach Satz 3 gilt der Verleiher neben dem Entleiher als Arbeitgeber; beide haften insoweit als Gesamtschuldner.

(2a) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht, die sich für den Arbeitgeber knappschaftlicher Arbeiten im Sinne von § 134 Absatz 4 des Sechsten Buches ergibt, haftet der Arbeitgeber des Bergwerkbetriebes, mit dem die Arbeiten räumlich und betrieblich zusammenhängen, wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten nach § 13 Absatz 1 Satz 2 haften Arbeitgeber und Reeder als Gesamtschuldner.

(3a) Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Satz 1 gilt entsprechend für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge. Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend.

(3b) Die Haftung nach Absatz 3a entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Ein Verschulden des Unternehmers ist ausgeschlossen, soweit und solange er Fachkunde, Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers durch eine Präqualifikation nachweist, die die Eignungsvoraussetzungen nach § 6a der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz. AT 19.02.2019 B2) erfüllt.

(3c) Ein Unternehmer, der Bauleistungen im Auftrag eines anderen Unternehmers erbringt, ist verpflichtet, auf Verlangen der Einzugstelle Firma und Anschrift dieses Unternehmers mitzuteilen. Kann der Auskunftsanspruch nach Satz 1 nicht durchgesetzt werden, hat ein Unternehmer, der einen Gesamtauftrag für die Erbringung von Bauleistungen für ein Bauwerk erhält, der Einzugsstelle auf Verlangen Firma und Anschrift aller Unternehmer, die von ihm mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt wurden, zu benennen.

(3d) Absatz 3a gilt ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275 000 Euro, wobei für Schätzungen die Vergabeverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624) in der jeweils geltenden Fassung gilt.

(3e) Die Haftung des Unternehmers nach Absatz 3a erstreckt sich in Abweichung von der dort getroffenen Regelung auf das von dem Nachunternehmer beauftragte nächste Unternehmen, wenn die Beauftragung des unmittelbaren Nachunternehmers bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände als ein Rechtsgeschäft anzusehen ist, dessen Ziel vor allem die Auflösung der Haftung nach Absatz 3a ist. Maßgeblich für die Würdigung ist die Verkehrsanschauung im Baubereich. Ein Rechtsgeschäft im Sinne dieser Vorschrift, das als Umgehungstatbestand anzusehen ist, ist in der Regel anzunehmen,

a)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder selbst eigene Bauleistungen noch planerische oder kaufmännische Leistungen erbringt oder
b)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer weder technisches noch planerisches oder kaufmännisches Fachpersonal in nennenswertem Umfang beschäftigt oder
c)
wenn der unmittelbare Nachunternehmer in einem gesellschaftsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Hauptunternehmer steht.
Besonderer Prüfung bedürfen die Umstände des Einzelfalles vor allem in den Fällen, in denen der unmittelbare Nachunternehmer seinen handelsrechtlichen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat.

(3f) Der Unternehmer kann den Nachweis nach Absatz 3b Satz 2 anstelle der Präqualifikation auch für den Zeitraum des Auftragsverhältnisses durch Vorlage von lückenlosen Unbedenklichkeitsbescheinigungen der zuständigen Einzugsstellen für den Nachunternehmer oder den von diesem beauftragten Verleiher erbringen. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung enthält Angaben über die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und die Zahl der gemeldeten Beschäftigten.

(3g) Für einen Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, der im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig ist und der einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragt, gelten die Absätze 3a, 3b Satz 1, 3e und 3f entsprechend. Absatz 3b Satz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass die Präqualifikation die Voraussetzung erfüllt, dass der Nachunternehmer in einem amtlichen Verzeichnis eingetragen ist oder über eine Zertifizierung verfügt, die jeweils den Anforderungen des Artikels 64 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2017/2365 (ABl. L 337 vom 19.12.2017, S. 19) geändert worden ist, entsprechen. Für einen Unternehmer, der im Auftrag eines anderen Unternehmers Pakete befördert, gilt Absatz 3c entsprechend. Beförderung von Paketen im Sinne dieses Buches ist

a)
die Beförderung adressierter Pakete mit einem Einzelgewicht von bis zu 32 Kilogramm, soweit diese mit Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 Tonnen erfolgt,
b)
die stationäre Bearbeitung von adressierten Paketen bis zu 32 Kilogramm mit Ausnahme der Bearbeitung im Filialbereich.

(3h) Die Bundesregierung berichtet unter Beteiligung des Normenkontrollrates zum 31. Dezember 2023 über die Wirksamkeit und Reichweite der Haftung für Sozialversicherungsbeiträge für die Unternehmer im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe, die im Bereich der Kurier-, Express- und Paketdienste tätig sind und einen anderen Unternehmer mit der Beförderung von Paketen beauftragen, insbesondere über die Haftungsfreistellung nach Absatz 3b und Absatz 3f Satz 1.

(4) Die Haftung umfasst die Beiträge und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzung zu zahlen sind, sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (Beitragsansprüche).

(5) Die Satzung der Einzugsstelle kann bestimmen, unter welchen Voraussetzungen vom Arbeitgeber Vorschüsse auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag verlangt werden können.

(1) Die Führung der Geschäfte der Gesellschaft steht den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu; für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich.

(2) Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, so ist die Mehrheit im Zweifel nach der Zahl der Gesellschafter zu berechnen.

Soweit einem Gesellschafter nach dem Gesellschaftsvertrag die Befugnis zur Geschäftsführung zusteht, ist er im Zweifel auch ermächtigt, die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
und
VERSÄ UMNISURTEIL
II ZR 331/00 Verkündet am:
29. Januar 2001
Boppel
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja

a) Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit
sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten
begründet.

b) In diesem Rahmen ist sie zugleich im Zivilprozeß aktiv- und passiv parteifähig.

c) Soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts persönlich haftet, entspricht das Verhältnis zwischen der Verbindlichkeit
der Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters derjenigen
bei der OHG (Akzessorietät) - Fortführung von BGHZ 142, 315.
BGH, Urteil vom 29. Januar 2001 – II ZR 331/00 – OLG Nürnberg
LG Ansbach
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 8. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht, die
Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. März 2000 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und hinsichtlich der Abweisung der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das Vorbehaltsurteil der Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ansbach vom 26. November 1999 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte zu 1 neben den Beklagten zu 2 und 3 wie eine Gesamtschuldnerin verurteilt wird.
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 4 trägt die Klägerin. Die Beklagten zu 1, 2 und 3 tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Hinsichtlich des ersten Rechtszuges tragen die Beklagten zu 2 und 3 gesamtschuldnerisch und daneben die Beklagte zu 1 wie eine Gesamtschuldnerin 3/4 und die Klägerin 1/4 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in den Rechts- mittelinstanzen sowie die Gerichtskosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1 je zur Hälfte. Die Gerichtskosten der Revisionsinstanz tragen die Klägerin zu 4/5 und die Beklagte zu 1 zu 1/5.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Klägerin klagt im Wechselprozeß auf Zahlung der Wechselsumme von 90.000,00 DM zuzüglich Nebenforderungen gegen die Beklagte zu 1, eine bauwirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft (ARGE) in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, als Wechselakzeptantin und die früheren Beklagten zu 2 und 3 als deren Gesellschafterinnen. Die Haftung des Beklagten zu 4 für die Wechselforderung leitet sie aus Rechtsscheinsgesichtspunkten her. Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß gesamtschuldnerisch zur Zahlung verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage hinsichtlich der Beklagten zu 1 und 4 auf deren Berufung hin abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils begehrt.

Entscheidungsgründe:


Da die Beklagte zu 1 im Verhandlungstermin trotz dessen rechtzeitiger Bekanntgabe nicht vertreten war, ist über die sie betreffende Revision der Klägerin durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 557, 331 ZPO). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 82).
Die Revision hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage wendet. Im übrigen ist sie unbegründet.

A.


Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Klage gegen die Beklagte zu 1 unzulässig, weil es sich bei dieser um eine nicht parteifähige Gesellschaft bürgerlichen Rechts handele. Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Der Senat hält es unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung für geboten, die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts in dem Umfang als im Zivilprozeß parteifähig anzusehen (§ 50 ZPO), in dem sie als Teilnehmer am Rechtsverkehr Träger von Rechten und Pflichten sein kann.
I. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Gesamthandsgemeinschaft ihrer Gesellschafter im Rechtsverkehr grundsätzlich, das heißt soweit nicht spezielle Gesichtspunkte entgegenstehen, jede Rechtsposition einnehmen (BGHZ 116, 86, 88; 136, 254, 257; im Ansatz auch bereits BGHZ 79, 374, 378 f.). Soweit sie in
diesem Rahmen eigene Rechte und Pflichten begründet, ist sie (ohne juristische Person zu sein) rechtsfähig (vgl. § 14 Abs. 2 BGB).
1. Über die Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts finden sich im Gesetz keine umfassenden und abschließenden Regeln. Im ersten Entwurf des BGB war die Gesellschaft nach römischrechtlichem Vorbild als ein ausschließlich schuldrechtliches Rechtsverhältnis unter den Gesellschaftern ohne eigenes, von dem ihrer Gesellschafter verschiedenen, Gesellschaftsvermögen gestaltet (vgl. Mot. II 591 = Mugdan II 330). Die zweite Kommission konstituierte hingegen ein Gesellschaftsvermögen als Gesamthandsvermögen (vgl. die heutigen §§ 718, 719 BGB), ohne jedoch die aus dem Gesamthandsprinzip folgenden Konsequenzen im einzelnen zu regeln. Es ist vielmehr im wesentlichen bei der Regelung des Gesellschaftsverhältnisses als Schuldverhältnis geblieben, dem in unvollständiger Weise das Gesamthandsprinzip "darüber gestülpt" wurde (Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Bd. I/1 1977, S. 3 f.; vgl. auch Ulmer, FS Robert Fischer 1979, S. 785, 788 f.). Zum Inhalt des Gesamthandsprinzips heißt es in den Protokollen lediglich, die Meinungen "darüber, wie die Rechtsgemeinschaft der gesammten Hand theoretisch zu konstruiren sei und was man als das charakteristische Merkmal derselben anzusehen habe, (gingen) auseinander" (Prot. II 429 = Mugdan II 990). "Die Kom. glaubte, zu der wissenschaftlichen Streitfrage über das Wesen der gesammten Hand nicht Stellung nehmen zu sollen, vielmehr nur entscheiden zu müssen, welche Bestimmungen sachlich den Vorzug verdienen" (Prot. II 430 = Mugdan II 990).
2. Die Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung und das erkennbare Bestreben des historischen Gesetzgebers, eine konkrete Festlegung zu ver-
meiden, lassen Raum für eine an den praktischen Bedürfnissen der Verwirklichung des Gesamthandsprinzips orientierte Beurteilung der Rechtsnatur der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Danach verdient die Auffassung von der nach außen bestehenden beschränkten Rechtssubjektivität der bürgerlichrechtlichen Gesellschaft den Vorzug. Diese Auffassung geht auf die deutschrechtliche Gesamthandslehre des 19. Jahrhunderts zurück (vgl. Otto Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. 1 1895, S. 663 ff., 682). Sie wurde maßgeblich von Flume (aaO S. 50 ff.; ZHR 136 [1972], 177 ff.) in die moderne Diskussion eingeführt und hat sich im neueren Schrifttum weitgehend durchgesetzt (vgl. vor allem MünchKommBGB/Ulmer, 3. Aufl. § 705 Rdn. 130 ff. m.w.N. in Fn. 373; ders. AcP 198 [1998], 113 ff.; ebenso K. Schmidt, Gesellschaftsrecht 3. Aufl. § 8 III, S. 203 ff.; Wiedemann, WM 1994 Sonderbeilage 4, S. 6 ff.; Huber, FS Lutter 2000, 107, 122 ff.; Hüffer, Gesellschaftsrecht 5. Aufl. S. 47 ff.; DaunerLieb , Die BGB-Gesellschaft im System der Personengesellschaften, in: Die Reform des Handelsstandes und der Personengesellschaften [Schriftenreihe der Bayer-Stiftung für deutsches und internationales Arbeits- und Wirtschaftsrecht ] 1999, S. 95, 99 ff.; Reiff, ZIP 1999, 517, 518; Mülbert, AcP 1999, 39, 43 ff.; Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung 2000, S. 211 ff.).

a) Dieses Verständnis der Rechtsnatur der gesellschaftsrechtlichen Gesamthandsgemeinschaft bietet ein praktikables und weitgehend widerspruchsfreies Modell für die vom Gesetz (§§ 718-720 BGB) gewollte rechtliche Absonderung des Gesellschaftsvermögens vom Privatvermögen der Gesellschafter. Die sogenannte traditionelle Auffassung, die ausschließlich die einzelnen Gesellschafter als Zuordnungssubjekte der die Gesellschaft betreffenden Rechte und Pflichten ansieht (vgl. Zöllner, FS Gernhuber 1993, S. 563 ff.; ders. FS
Kraft 1998, S. 701 ff.; Hueck, FS Zöllner 1998, S. 275 ff.) weist demgegenüber konzeptionelle Schwächen auf. Betrachtet man die Gesellschaftsverbindlichkeiten lediglich als gemeinschaftliche Verbindlichkeiten der Gesellschafter gemäß § 427 BGB, widerspricht dies dem Gesamthandsprinzip. Der einzelne Gesellschafter kann, wenn sich der geschuldete Gegenstand im Gesellschaftsvermögen befindet, die Leistung wegen § 719 BGB nicht als Gesamtschuldner allein erbringen. Dies führt dazu, daß auch die Vertreter der traditionellen Auffassung zwischen der Gesellschaftsschuld und der Gesellschafterschuld differenzieren müssen. Bei der für die "Gesellschaft" abgeschlossenen Verbindlichkeit handele es sich um eine "einheitliche Verpflichtung mit doppelter Wirkung" in Bezug auf einerseits das Gesamthandsvermögen, andererseits das persönliche Vermögen der Gesellschafter (vgl. Hueck, FS Zöllner, S. 293; Zöllner, FS Gernhuber, S. 573). Dies verwischt aber die Grenzen zwischen Schuld und Haftung, denn eine Schuld kann immer nur Subjekte, nicht aber Vermögensmassen treffen (Aderhold, Das Schuldmodell der BGB-Gesellschaft 1981, S. 110 f.; Dauner-Lieb aaO, S. 100 ff.).

b) Ein für die Praxis bedeutsamer Vorzug der nach außen bestehenden Rechtssubjektivität der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im oben beschriebenen Sinne besteht darin, daß danach ein Wechsel im Mitgliederbestand keinen Einfluß auf den Fortbestand der mit der Gesellschaft bestehenden Rechtsverhältnisse hat (vgl. Senat, BGHZ 79, 374, 378 f.). Bei strikter Anwendung der traditionellen Auffassung müßten Dauerschuldverhältnisse mit der "Gesellschaft" bei jedem Wechsel im Mitgliederbestand von den Vertragsparteien neu geschlossen bzw. bestätigt werden. Wenn die Gesellschaft im Außenverhältnis nur ein Schuldverhältnis darstellt, können zwei aus verschiedenen Mitgliedern bestehende Schuldverhältnisse nicht identisch sein. Das Erfordernis von
Neuabschlüssen von Dauerschuldverhältnissen bei einem Gesellschafterwechsel ist aber ohne innere Rechtfertigung und würde die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft im Rechtsverkehr erheblich beeinträchtigen. Die traditionelle Auffassung vermag im übrigen keine befriedigende Erklärung dafür zu liefern, warum auch ein neu in die Gesellschaft eintretender Gesellschafter mit dem Gesellschaftsvermögen für Altschulden haften sollte. Die dafür angebotene Begründung, wonach der neue Gesellschafter in einer Art Gesamtrechtsnachfolge "in alle bestehenden Rechts- und Vertragspositionen hineinwachse" (Zöllner, FS Kraft, S. 715), läßt sich mit der Auffassung der Gesellschaft als reines Schuldverhältnis der Gesellschafter im Grunde nicht vereinbaren (dazu auch Ulmer, AcP 198 [1998], 113, 142).

c) Die hier vertretene Auffassung ist zudem eher in der Lage, identitätswahrende Umwandlungen von Gesellschaften bürgerlichen Rechts in andere Rechtsformen und aus anderen Rechtsformen zu erklären. Betreibt eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Gewerbe, dann wird sie von Gesetzes wegen ohne jeden Publizitätsakt zu einer personen- und strukturgleichen OHG, sobald das Unternehmen nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 105 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 HGB). Da der OHG jedenfalls Rechtssubjektivität im oben beschriebenen Sinne zukommt (vgl. § 124 Abs. 1 HGB), würden sich bei konsequenter Anwendung der traditionellen Auffassung die Eigentumsverhältnisse an den zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenständen mit der Umwandlung zur OHG ändern. Dies würde für die Praxis insbesondere deshalb schwierige Probleme bereiten (vgl. Reiff, ZIP 1999, 517, 518 f.), weil für den Übergang von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur OHG infolge des wertungsabhängigen Kriteriums des Erfordernisses eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs ein genauer
Zeitpunkt der Umwandlung kaum ausgemacht werden kann. Auch der Umstand , daß im neuen Umwandlungsrecht (§§ 190 ff., 226 ff. UmwG) Kapitalgesellschaften im Wege des identitätswahrenden Formwechsels in Personengesellschaften - auch in Gesellschaften bürgerlichen Rechts, vgl. § 191 Abs. 2 Nr. 1 UmwG - umgewandelt werden können, läßt sich auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung ohne weiteres, aus Sicht der traditionellen Auffassung aber - wenn überhaupt - nur mit Mühe erklären (vgl. dazu Wiedemann, ZGR 1996, 286, 289 f.; Mülbert, AcP 199 [1999], 38, 60 ff.; Timm, NJW 1995, 3209 ff.; Hueck, FS Zöllner, S. 280 ff.; Zöllner, FS Claussen 1997, 423, 429 ff.).

d) Schließlich unterstützt die Tatsache, daß der Gesetzgeber mittlerweile die Insolvenzfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts anerkannt hat (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO wie auch schon § 1 Abs. 1 GesO), die Gesellschaft mithin als Träger der Insolvenzmasse ansieht, ebenfalls die Annahme der Rechtssubjektivität.
3. Gegen diese Auffassung läßt sich nicht mit dem Gesetzeswortlaut insbesondere des § 714 BGB argumentieren. Zwar zeigt der Umstand, daß dort nur von einer Vertretungsmacht für die Gesellschafter, nicht aber für die "Gesellschaft" die Rede ist, daß bei der Formulierung der Norm an eine Verselbständigung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu einer verpflichtungsfähigen Organisation nicht gedacht worden ist (Senat, BGHZ 142, 315, 319 f.). Bedenkt man aber, daß die Vorschrift im Kern unverändert aus § 640 Abs. 1 des ersten Entwurfs (abgedruckt bei Mugdan II CVI) in das BGB übernommen wurde und dieser erste Entwurf das Gesamthandsprinzip noch nicht kannte, gibt der Wortlaut für eine Deutung der Rechtsnatur der bürgerlichrechtlichen Gesellschaft nichts her. Der Senat braucht insoweit nicht der Frage nachzugehen,
ob bereits der historische Gesetzgeber in Ansehung der deutschrechtlichen Gesamthandslehre des 19. Jahrhunderts die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft als ungeschriebenes geltendes Recht angesehen hat (dazu Wertenbruch aaO, S. 34 ff.). Entscheidend ist, daß er jedenfalls eine solche Annahme nicht hat ausschließen wollen.
4. In der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft liegt kein Widerspruch zu den §§ 21, 22, 54 BGB, wo mit Rechtsfähigkeit offensichtlich die Fähigkeit der Gesellschaft gemeint ist, Träger von Rechten und Pflichten aufgrund eigener Rechtspersönlichkeit und damit "als solcher" und nicht als Gruppe ihrer gesamthänderisch verbundenen Mitglieder zu sein. Wie § 14 Abs. 2 BGB zeigt, geht aber das Gesetz davon aus, daß es auch Personengesellschaften gibt, die Rechtsfähigkeit besitzen. So ist es praktisch unbestritten, daß OHG und KG Träger von Rechten und Pflichten sein können und damit rechtsfähig sind, ohne als Gesamthandsgemeinschaften den Status einer juristischen Person zu besitzen. Entsprechendes gilt nach ständiger Rechtsprechung (BGHZ 80, 129, 132; 117, 323, 326) für die Vorgesellschaften von Kapitalgesellschaften.
II. Erkennt man die Fähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts an, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, kann ihr die Parteifähigkeit im Zivilprozeß , die gemäß § 50 ZPO mit der Rechtsfähigkeit korrespondiert, nicht abgesprochen werden.
1. Die Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist die notwendige prozeßrechtliche Konsequenz der Anerkennung der Rechtssubjektivität der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten (bejahend auch Wiedemann
aaO, S. 9 f.; Hüffer, FS Stimpel 1985, S. 165, 168 ff.; Soergel/Hadding, BGB 11. Aufl. § 714 BGB Rdn. 52; Wertenbruch aaO, S. 213 ff.; MünchKomm ZPO/Lindacher, § 50 Rdn. 23 ff.; Musielak/Weth, ZPO 2. Aufl. § 50 Rdn. 22; für die Mitunternehmer-Gesellschaft auch K. Schmidt aaO, § 60 IV 1, S. 1805 ff.). Im Zivilprozeß ist aktivlegitimiert, das heißt "richtige" Partei, wer Inhaber des geltend gemachten Rechts ist; derjenige ist passivlegitimiert, also "richtiger" Beklagter, der Verpflichteter aus dem geltend gemachten Recht ist. Dieser Sachbefugnis entspricht - von den Fällen der Prozeßstandschaft abgesehen - grundsätzlich auch die Prozeßführungsbefugnis. Da nicht die einzelnen Gesellschafter , sondern die Gesellschaft materiell Rechtsinhaberin oder Verpflichtete ist, ist diese "richtige" Partei eines Rechtsstreits um eine Gesellschaftsforderung oder -verpflichtung und insoweit parteifähig und prozeßführungsbefugt.
2. Die Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist dem bisher praktizierten Modell, wonach die aktive und passive Prozeßführungsbefugnis hinsichtlich das Gesellschaftsvermögen betreffender Forderungen und Verbindlichkeiten bei den eine notwendige Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 Abs. 1 ZPO bildenden Gesellschaftern liegt (vgl. Senat, BGHZ 30, 195, 197; Urt. v. 12. März 1990 - II ZR 312/88, ZIP 1990, 715, 716; MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 718 Rdn. 42 f.; Stein/Jonas/Bork, ZPO 21. Aufl. § 50 Rdn. 17; Heller, Der Zivilprozeß der Gesellschaft bürgerlichen Rechts 1989, S. 56 ff., 110 ff.), in mehrfacher Hinsicht vorzuziehen.

a) Die notwendige Streitgenossenschaft der Gesellschafter kann nicht als adäquater Ersatz für die Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft angesehen werden, weil das Instrument der notwendigen Streitgenossenschaft
nicht die angemessenen prozessualen Konsequenzen aus den gesellschaftsrechtlichen Gesamthandsregeln zieht. Zwar stimmen notwendige Streitgenossenschaft und Gesamthandsprinzip insoweit überein, als die Klage nur gegen alle Gesamthänder erhoben werden kann und das Urteil einheitlich ergehen muß. Im übrigen gewährleistet aber die notwendige Streitgenossenschaft keine den Besonderheiten der gesellschaftsrechtlichen Gesamthand entsprechende Prozeßführung, denn bei der notwendigen Streitgenossenschaft betreibt jeder Streitgenosse seinen eigenen Prozeß (§ 63 ZPO). Die Verbindung mit den anderen Streitgenossen besteht lediglich in der erforderlichen Einheitlichkeit des Urteils und der Zurechnung des Verhandelns der anderen Streitgenossen im Falle der Säumnis eines Teils der Streitgenossen (§ 62 Abs. 1 ZPO). Es gibt bei der notwendigen Streitgenossenschaft aber keine Verpflichtung zur gemeinschaftlichen Vornahme von Prozeßhandlungen. Vielmehr kann jeder Streitgenosse unabhängig von den anderen Prozeßhandlungen mit Wirkung für sein Prozeßrechtsverhältnis vornehmen (BGHZ 131, 376, 379) und kann jeder Streitgenosse auch einen eigenen Prozeßbevollmächtigten bestellen. Sich widersprechenden Vortrag verschiedener Streitgenossen kann das Gericht gemäß § 286 ZPO frei würdigen (MünchKommZPO/Schilken, § 62 Rdn. 48; Heller aaO, S. 159). Jeder der Streitgenossen kann gesondert Rechtsmittel mit der Folge einlegen, daß das Urteil auch gegenüber den anderen Streitgenossen nicht rechtskräftig wird (BGHZ 131, 376, 382).
Es bestehen somit wesentliche Unterschiede zur materiellrechtlichen Vertretungs- und Verfügungsbefugnis bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Wenn beispielsweise nur ein Gesellschafter geschäftsführungsbefugt ist, können die anderen Gesellschafter materiellrechtlich für die Gesellschaft
keine wirksamen Erklärungen abgeben; wenn zwei nur gemeinschaftlich geschäftsführungsbefugte Gesellschafter sich widersprechende materiellrechtliche Erklärungen abgeben, kann keine davon wirksam sein. Das Modell der notwendigen Streitgenossenschaft ist also nicht in der Lage, eine den materiellrechtlichen Verhältnissen adäquate Prozeßführung zu gewährleisten, weil die Prozeßführung bei einer notwendigen Streitgenossenschaft anderen Regeln unterliegt als sie für die Vertretung der Gesellschaft gelten.
Dieses Ergebnis ließe sich allenfalls dadurch umgehen, daß man die materiellrechtliche Vertretungsbefugnis auf die Prozeßführungsbefugnis der Gesamthänder als Streitgenossen überträgt, die Gesellschafter prozessual als "Gruppe", vertreten durch ihren Geschäftsführer, behandelt und nur vom Geschäftsführer vorgenommene Prozeßhandlungen als wirksam anerkennt. Eine solche Lösung wäre jedoch mit den Grundprinzipien der notwendigen Streitgenossenschaft nicht vereinbar. Die Bevollmächtigung des Geschäftsführers im Gesellschaftsvertrag kann dem einzelnen als Streitgenossen verklagten Gesellschafter nicht die Prozeßführungsbefugnis in einem Prozeß nehmen, in dem er selbst Partei ist. Im Ergebnis liefe ein derartiger Korrekturversuch auf eine verschleierte Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft hinaus. Geht man hingegen offen von der Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus, läßt sich die gewünschte Übereinstimmung von Prozeßführungsund gesellschaftsrechtlicher Vertretungsbefugnis zwanglos und ohne Verletzung prozessualer Grundsätze erreichen. Es sind dann von vornherein nur diejenigen Prozeßhandlungen wirksam, die in Übereinstimmung mit den gesellschaftsrechtlichen Vertretungsregeln erfolgen.

b) Gegen das Modell der notwendigen Streitgenossenschaft der Gesellschafter spricht des weiteren, daß unter seiner Geltung sowohl im Aktiv- als auch im Passivprozeß immer sämtliche gegenwärtigen Mitglieder der Gesellschaft verklagt werden und klagen müssen, um einen Titel gegen und für die Gesamthand zu erhalten. Das kann den Gesellschaftsgläubigern bei größeren Gesellschaften und bei solchen mit häufigem Mitgliederwechsel erfahrungsgemäß erhebliche Probleme bereiten. Als Beispiele hierfür sei auf die den Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 12. März 1990 (Senat aaO, ZIP 1990, 715) und vom 15. Oktober 1999 (V ZR 141/98, ZIP 1999, 2009) zugrundeliegenden Sachverhalte verwiesen. Der Senat ist im erstgenannten Fall dem klagenden Gesellschaftsgläubiger, der aus eigener Kenntnis nicht über die Namen der inzwischen mehr als 70 Gesellschafter verfügte, dadurch entgegengekommen, daß er die korrekte Einbeziehung aller Gesellschafter in die Klage lediglich als einen Akt der Rubrumsberichtigung aufgefaßt hat (Senat aaO, ZIP 1990, 715, 716). Diese Lösung verläßt im Grunde bereits die Auffassung von den Gesellschaftern als notwendigen Streitgenossen, denn die unterbliebene Benennung aller aus materiellrechtlichen Gründen notwendigen Streitgenossen hätte zur Unzulässigkeit der Klage führen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 25. Oktober 1991 - V ZR 196/90, WM 1992, 313, 315; Stein/Jonas/Bork aaO, § 62 Rdn. 20 f., 25; Musielak/Weth aaO, § 62 Rdn. 11). Im Ergebnis ist dieser Fall bereits so behandelt worden, als sei die Gesellschaft selbst die beklagte Partei und mithin parteifähig. Vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen die Beteiligten auf der Grundlage der Streitgenossenschaftslösung auch in den nicht seltenen Fällen, in denen die Mitgliedschaft eines Gesellschafters unklar und streitig ist. In diesen Fällen muß - sei es im Aktivverfahren oder im Passivverfahren - vor einer Entscheidung in der Sache zunächst die mit dem Kern des Rechtsstreits in keiner Weise zusammenhängende Frage geklärt werden, inwiefern die fragliche
Person wirksam Mitglied geworden ist, bzw. inwiefern sie wirksam ausgeschieden ist. Auch hier hat sich die Rechtsprechung damit zu behelfen versucht, daß bei irrtümlich unterbliebener Aufführung eines Gesellschafters lediglich das Rubrum unrichtig sei (BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1996 - IX ZR 135/95, NJW 1997, 1236; vgl. auch OLG Hamburg LZ 1917, 78). Diese Hilfskonstruktionen der bisherigen Rechtsprechung, die es im Interesse der Sachgerechtigkeit ermöglichen sollten, trotz formalen Festhaltens am Streitgenossenschaftsmodell die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als parteifähig zu behandeln, können aber letztlich nicht überzeugen. Insbesondere versagen sie im Stadium der Zwangsvollstreckung, denn der Gerichtsvollzieher hat in Zweifelsfällen nicht die Möglichkeit zu prüfen, ob es sich bei den in einem Titel aufgeführten Gesellschaftern um sämtliche Gesellschafter handelt. Die Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist demgegenüber sowohl im Erkenntnis-, als auch im Vollstreckungsverfahren die einfachere und konsequentere Lösung.

c) Zu erheblichen Problemen, die praktisch nicht befriedigend gelöst werden können, kommt die Streitgenossenschaftslösung auch im Falle des Neueintritts und des Mitgliederwechsels während des Erkenntnis- und des Vollstreckungsverfahrens im Gesamthandsschuldprozeß. Die Vertreter der Streitgenossenschaftslösung gehen bei einem während des Erkenntnisverfahrens eingetretenen Parteiwechsel analog §§ 239, 241, 246 ZPO von einem gesetzlichen Parteiwechsel aus (MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 718 Rdn. 60 ff.; Heller aaO, S. 200 f.): Auf Antrag sei der Prozeß in diesem Fall analog § 246 ZPO bis zur Aufnahme des Verfahrens durch den neuen Gesellschafter zu unterbrechen; das Rubrum sei vom Gericht zu berichtigen; bleibe ein nach Rechtshängigkeit erfolgter Neueintritt oder Mitgliederwechsel bis zum Abschluß
des Erkenntnisverfahrens unbekannt, könne der Titel nachträglich analog § 727 ZPO auf den neueingetretenen Gesellschafter umgeschrieben werden; gleiches gelte für den nach Abschluß des Erkenntnisverfahrens und vor Beginn der Zwangsvollstreckung neu eingetretenen Gesellschafter.
Dieser Lösungsvorschlag ist in praktischer Hinsicht unzulänglich. So ist eine Titelumschreibung gemäß § 727 ZPO jedenfalls dann nicht mehr möglich, wenn der unerkannte Neueintritt oder Mitgliederwechsel vor Rechtshängigkeit der Klage erfolgt ist. Die Vorschrift ist nur auf nach Rechtshängigkeit eingetretene Rechtsänderungen anwendbar (BGHZ 120, 387, 392). Die Möglichkeit der Titelumschreibung versagt zudem, wenn der Gläubiger den Neueintritt nicht in der gemäß § 727 ZPO erforderlichen Art und Weise (Offenkundigkeit bei Gericht oder öffentliche bzw. öffentlich beglaubigte Urkunden) nachweisen kann. Er müßte dann erst Klage auf Klauselerteilung gemäß § 731 ZPO erheben. Im übrigen ist zu bedenken, daß bei Bekanntwerden eines vom Titel abweichenden Bestandes der Gesellschafter zunächst in jedem Fall erst einmal das Zwangsvollstreckungsverfahren eingestellt werden müßte. Etwa bereits eingeleitete Forderungspfändungen und andere Zwangsmaßnahmen gingen ins Leere und die Gesellschaft könnte inzwischen anderweitig über die zur Zwangsvollstreckung ausersehenen Gegenstände verfügen. Im übrigen könnte die Gesellschaft - die Gefahr ist insbesondere bei Publikumsgesellschaften gegeben - die Vollstreckung durch sukzessive Bekanntgabe immer weiterer Veränderungen im Gesellschafterbestand nahezu gänzlich unmöglich machen (vgl. Wiedemann aaO, S. 5). Die Streitgenossenschaftslösung kann demnach die infolge des Auseinanderfallens von materieller Berechtigung (die der Gesellschaft zukommt) und Prozeßführungsbefugnis (die bei den Gesellschaftern liegen soll) unweigerlich auftretenden Probleme nicht befriedigend lösen, sondern
verlagert sie lediglich vom Erkenntnis- in das Vollstreckungsverfahren. Bei Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft hindert eine Veränderung im Gesellschafterbestand - sei sie vor, während oder nach dem Prozeß erfolgt - die Rechtsdurchsetzung hingegen in keiner Weise.
3. Die Regelung des § 736 ZPO, wonach zur Zwangsvollstreckung in das Vermögen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein gegen alle Gesellschafter ergangenes Urteil erforderlich ist, steht der Anerkennung der Parteifähigkeit nicht entgegen. Ein gegen die Gesamtheit der gesamthänderisch verbundenen Gesellschafter als Partei ergangenes Urteil ist ein Urteil "gegen alle Gesellschafter" im Sinne des § 736 ZPO. Die Vorschrift verlangt weder vom Wortlaut noch vom Zweck her ein Urteil gegen jeden einzelnen Gesellschafter.

a) Aus der Entstehungsgeschichte des § 736 ZPO folgt, daß Zweck dieser Regelung die Verhinderung der Vollstreckung von Privatgläubigern einzelner Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen, nicht aber der Ausschluß der Parteifähigkeit der Gesellschaft ist (ausführlich Wertenbruch aaO, S. 122 ff.; vgl. auch Wiedemann aaO, S. 10). Nach § 645 des ersten Entwurfs (E I) zum BGB (abgedruckt bei Mugdan II CVII), der die Gesellschaft als römischrechtliche Bruchteilsgemeinschaft gestaltete, war die Verfügung des Gesellschafters über seinen Anteil nicht dinglich, sondern nur schuldrechtlich ausgeschlossen. Privatgläubiger einzelner Gesellschafter hätten im Rahmen der Zwangsvollstreckung also direkt Zugriff auf deren Anteile am Gesellschaftsvermögen gehabt. Um eine solche Vollstreckung von Privatgläubigern einzelner Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen zu verhindern, beschloß die zweite Kommission zunächst "in eventueller Abstimmung, für den Fall der Beibehaltung des § 645 des Entwurfs" (Prot. II 428 = Mugdan II 989) folgenden § 645 a:

"Die Zwangsvollstreckung in die gemeinschaftlichen Gegenstände findet nur aufgrund eines gegen sämmtliche Gesellschafter vollstreckbaren Schuldtitels statt. Aufgrund eines nur gegen einen Gesellschafter vollstreckbaren Schuldtitels findet die Zwangsvollstreckung nur in dasjenige statt, was dem Gesellschafter als Gewinnantheil oder bei der Auseinandersetzung zukommt. ..." (Prot. II 426 = Mugdan II 988). Im weiteren Verlauf der Beratungen entschied sich die zweite Kommission , an Stelle des § 645 E I das Prinzip der gesamten Hand zu setzen (Prot. II 428 ff. = Mugdan II 990 ff.), welches in § 658 des zweiten Entwurfs (abgedruckt bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs Bd. III 1983, S. 296) seinen Ausdruck fand. § 658 E II entspricht dem heutigen § 719 BGB und enthielt zunächst zusätzlich folgenden Absatz 3:
"Die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen findet nur aufgrund eines gegen sämmtliche Gesellschafter vollstreckbaren Schuldtitels statt." Später wurde dieser Abs. 3 aus dem zweiten Entwurf zum BGB gestrichen. "Als Ersatz" sollte "im Art. 11 des Einführungsgesetzes vor dem § 671 a folgender § 671 in die Civilprozeßordnung eingestellt werden" (Jakobs /Schubert aaO, S. 297 Fn. 20):
"Zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen einer nach § 745 des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingegangenen Gesellschaft ist ein gegen alle Gesellschafter vollstreckbares Urtheil erforderlich." Hieraus wurde schließlich die Bestimmung des § 736 ZPO.
Diese Entwicklung zeigt, daß die Regelung eine Ausprägung des Prinzips der gesamthänderischen Bindung des Gesellschaftsvermögens darstellt, mit dessen Übernahme der historische Gesetzgeber erreichen wollte, daß der einzelne Gesellschafter nicht über seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen verfügen (§ 719 Abs. 1 BGB), daß er sich nicht durch Aufrechnung mit einer ihm nur gegen einen der anderen Gesellschafter zustehenden Forderung aus einer Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft befreien (§ 719 Abs. 2 BGB) und daß nicht ein Gläubiger nur eines Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen vollstrecken können soll (§ 736 ZPO). Diese Zielsetzung ist in der dem Reichstag mit dem Gesetzentwurf des BGB vom Reichsjustizamt vorgelegten Denkschrift (Denkschrift zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs 1896, S. 87 f.) ausdrücklich in diesem Sinne formuliert worden. Die Regelung in § 736 ZPO stellt mithin als Ausdruck der gesamthänderischen Vermögensbindung das vollstreckungsrechtliche Pendant zu § 719 Abs. 1 BGB dar und wird treffend auch als "§ 719 Abs. 3 BGB" (Wertenbruch aaO, S. 124, 129) bezeichnet.
Das Ziel der Verhinderung einer Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen durch Gläubiger nur einzelner Gesellschafter wird bei Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft mindestens ebenso gut erreicht wie bei Zulassung von Klagen nur gegen die einzelnen Gesellschafter. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, daß die Regelung des § 736 ZPO zum Ziel hat, die Parteifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Zivilprozeß auszuschließen. Die Parteifähigkeit der Gesellschaft ist vom Gesetzgeber ebensowenig abschließend geregelt worden wie das "Wesen der Gesamthand" allgemein. Dementsprechend hat Gottlieb Planck, Generalreferent der zweiten Kommission, bereits in der im Jahre 1900 erschienenen ersten Auflage seines
Kommentars zum BGB trotz Ablehnung der Parteifähigkeit ausgeführt, die §§ 736, 859 ZPO berührten die Parteifähigkeit der Gesellschaft nicht, sie seien lediglich mit Rücksicht auf das Gesamthandsprinzip in das Gesetz aufgenommen worden (vor § 705 Anm. II 2, S. 453).

b) Kein durchgreifendes Argument gegen die Anerkennung einer Parteifähigkeit kann auch der amtlichen Begründung der CPO-Novelle zu § 670 b CPO (später § 736 ZPO) aus dem Jahre 1897 (Hahn/Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 8. Band, 1898, S. 138 f.) entnommen werden. Soweit es darin heißt, die Gesellschaft könne nicht "als solche" verklagt werden, muß das nicht im Sinne einer Ablehnung der Parteifähigkeit gemeint sein. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert galt der Begriff "Gesellschaft als solche" - wie Wertenbruch (aaO S. 9 ff.; 46 ff.; 132) nachgewiesen hat - als Umschreibung für juristische Person. So hieß es in Art. 231 ADHGB zur Aktiengesellschaft, diese könne "als solche" klagen und verklagt werden (vgl. auch den heutigen § 41 Abs. 1 AktG). Bei der OHG hingegen wurde der Zusatz, die Gesellschaft habe "als solche" ihre Rechte und Pflichten und ihr besonderes Vermögen, wie er noch in Art. 87 des preußischen Entwurfs zum ADHGB aus dem Jahre 1857 enthalten war, nicht in den späteren Art. 111 ADHGB (heute § 124 HGB) übernommen, weil darin eine Definition der juristischen Person zu sehen sei (vgl. Lutz, Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuches 1858, S. 156). Daß die Formulierung "als solche" in bezug auf die Aktiengesellschaft die Gestaltung als juristische Person zum Ausdruck bringen soll, geht auch aus den Ausführungen von Makower (HGB Band I 13. Aufl. 1906, § 210 Anm. I a) und Flechtheim (in Düringer/Hachenburg, HGB 3. Aufl. 1934, § 210 Anm. 2) hervor.

c) Die Bestimmung des § 736 ZPO wird durch die Anerkennung der Parteifähigkeit der Gesellschaft nicht überflüssig. Versteht man die Bestimmung so, daß der Gläubiger nicht nur mit einem Titel gegen die Gesellschaft als Partei in das Gesellschaftsvermögen vollstrecken kann, sondern auch mit einem Titel gegen alle einzelnen Gesellschafter aus ihrer persönlichen Mithaftung (vgl. auch MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 718 Rdn. 54), behält sie durchaus einen eigenständigen Regelungsgehalt. Die Rechtslage bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist insoweit anders als bei der OHG, wo gemäß § 124 Abs. 2 HGB eine Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ausschließlich mit einem gegen die Gesellschaft lautenden Titel möglich ist.
4. Auch der Umstand der fehlenden Registerpublizität der Gesellschaft bürgerlichen Rechts hindert nicht die Anerkennung ihrer Parteifähigkeit. Der Senat verkennt zwar nicht, daß es wegen der fehlenden Publizität in einigen Fällen schwierig werden könnte, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Prozeß so klar zu bezeichnen, daß eine eindeutige Identifizierung - vor allem auch im Vollstreckungsverfahren - möglich ist. Auch ist von außen nicht immer leicht zu ermitteln, inwieweit ein Zusammenschluß mehrerer tatsächlich als (Außen -)Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisiert ist (vgl. K. Schmidt aaO, § 60 IV 1, S. 1806 f.). Diese Schwierigkeiten wiegen aber nicht so schwer, daß daran die Anerkennung der Parteifähigkeit scheitern müßte.
Im Aktivprozeß der Gesellschaft ist es den für die Gesellschaft auftretenden Personen ohne weiteres zumutbar, die Gesellschaft - beispielsweise durch die möglichst exakte Bezeichnung der Gesellschafter, der gesetzlichen Vertreter und der Bezeichnung, unter der die Gesellschaft im Verkehr auftritt - identifizierbar zu beschreiben. Sollte sich im Verlauf des Prozesses heraus-
stellen, daß tatsächlich keine Außengesellschaft existiert, müßte zumindest derjenige für die Prozeßkosten aufkommen, der im Namen der vermeintlichen Gesellschaft den Prozeß als deren Vertreter ausgelöst hat. Im Falle des Auftretens für eine nicht existierende Partei trägt der in deren Namen auftretende und die Existenz der Partei behauptende Vertreter als Veranlasser des unzulässigen Verfahrens die Prozeßkosten (Sen.Urt. v. 25. Januar 1999 - II ZR 383/96, ZIP 1999, 489, 491 m.w.N.). Es ist also immer zumindest eine natürliche Person als Kostenschuldner vorhanden.
Im Passivprozeß ist es wegen der persönlichen Gesellschafterhaftung für den Kläger - wie bei der OHG (vgl. Behr, NJW 2000, 1137, 1139) - praktisch immer ratsam, neben der Gesellschaft auch die Gesellschafter persönlich zu verklagen. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn nicht sicher ist, ob eine wirkliche Außengesellschaft mit Gesamthandsvermögen existiert. Stellt sich während des Prozesses heraus, daß die Gesellschafter nicht als Gesamthandsgemeinschaft verpflichtet sind, sondern nur einzeln als Gesamtschuldner aus einer gemeinschaftlichen Verpflichtung schulden (§ 427 BGB), wird nur die Klage gegen die Gesellschaft - nicht aber die gegen die Gesellschafter persönlich - abgewiesen. Stellt sich erst während der Zwangsvollstreckung heraus, daß überhaupt kein Gesellschaftsvermögen vorhanden ist, bleiben dem Gläubiger noch die Titel gegen die einzelnen Gesellschafter. Es besteht also bei Annahme einer Parteifähigkeit der Gesellschaft kein Unterschied zur Situation, wie sie sich auf der Grundlage der Streitgenossenschaftslösung darstellt, denn auch hier wird zwischen der Klage gegen die Gesamthand (Gesamthandsschuldklage ) und gegen die Gesellschafter (Gesamtschuldklage) unterschieden (MünchKommBGB/Ulmer aaO, § 718 Rdn. 47 ff.; Heller aaO, S. 73 ff.). Im übrigen bleibt es dem Gesellschaftsgläubiger auch bei Anerkennung der Par-
teifähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts unbenommen, ausschließlich die Gesellschafter persönlich in Anspruch zu nehmen. Dem Gesellschaftsgläubiger wird die Rechtsverfolgung demnach durch die Anerkennung der Parteifähigkeit in keiner Weise erschwert.

B.


Die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage ist auch begründet. Insbesondere ist die Beklagte zu 1 wechselfähig. Die Gründe, die vom Bundesgerichtshof zur Begründung der Scheckfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts herangezogen worden sind (BGHZ 136, 254, 257 f.), sprechen in gleichem Maße auch für deren Wechselfähigkeit (vgl. auch Flume, Allgemeiner Teil aaO, S. 108 f.; Baumbach/Hefermehl, Wechselgesetz und Scheckgesetz, 21. Aufl. Einl. WG Rdn. 20 a).
Damit erweist sich das landgerichtliche Urteil, soweit es die Verurteilung der Beklagten zu 1, 2 und 3 betrifft, im Grunde als zutreffend. Im Urteilstenor war jedoch kenntlich zu machen, daß zwischen den Ansprüchen gegen die Beklagte zu 1 einerseits und denen gegen die Beklagten zu 2 und 3 andererseits kein echtes Gesamtschuldverhältnis besteht, jedoch die Beklagte zu 1 neben den ihrerseits untereinander gesamtschuldnerisch haftenden Gesellschafterinnen wie eine Gesamtschuldnerin verpflichtet ist. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27. September 1999 (BGHZ 142, 315, 318 ff.) die Frage der rechtlichen Einordnung der Gesellschafterhaftung noch offengelassen. Sie ist nunmehr in Konsequenz der Anerkennung der beschränkten Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts im Sinne einer akzessorischen Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten zu entscheiden. So-
weit der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft auch persönlich haftet (BGHZ 142, 315, 318), ist der jeweilige Bestand der Gesellschaftsschuld also auch für die persönliche Haftung maßgebend. Insoweit entspricht das Verhältnis zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterhaftung damit der Rechtslage in den Fällen der akzessorischen Gesellschafterhaftung gemäß §§ 128 f. HGB bei der OHG. Danach ist eine unmittelbare Anwendung der §§ 420 ff. BGB nicht möglich, weil kein echtes Gesamtschuldverhältnis besteht; es ist aber zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der jeweils verschiedenartigen Interessen der Beteiligten der Rechtsgedanke der §§ 420 ff. BGB im Einzelfall zur Anwendung kommt oder nicht (BGHZ 39, 319, 329; 44, 229, 233; 47, 376, 378 ff.; 104, 76, 78). Für die Gesellschaft als originär Verpflichtete ist die entsprechende Anwendung der Gesamtschuldregeln im Verhältnis zur Gesellschafterhaftung grundsätzlich angebracht. Stehen den Gesellschaftern beispielsweise individuelle Einreden im Sinne des § 425 BGB gegen ihre persönliche Inanspruchnahme zu, wäre es nicht gerechtfertigt, daß sich auch die Gesellschaft darauf berufen könnte.

C.


Hinsichtlich der Abweisung der gegen den Beklagten zu 4 gerichteten Klage auf Haftung kraft Rechtsscheins hält das Berufungsurteil den Angriffen der Revision stand. Eine Rechtsscheinhaftung des Beklagten zu 4 für die Wechselverbindlichkeit der Beklagten zu 1 käme in Betracht, wenn er gegenüber der Klägerin in zurechenbarer Weise den Eindruck erweckt hätte, er sei selbst Mitglied der ARGE und folglich persönlich haftender Gesellschafter (vgl. BGHZ 17, 13, 15). Das Berufungsgericht ist aber zu Recht davon ausgegangen , daß die von der Klägerin dargelegten Umstände nicht den Schluß darauf zulassen, der als Architekt tätige Beklagte zu 4 sei ihr gegenüber als Gesellschafter der ARGE aufgetreten.
Insbesondere reicht es für eine solche Schlußfolgerung nicht aus, daß der Beklagte zu 4 in dem von der ARGE gegenüber der Klägerin - die als Nachunternehmerin der ARGE beauftragt war - verwendeten Briefkopf aufgeführt ist. Dieser Briefkopf ist in der Form gestaltet, daß dort unter der hervorgehobenen Überschrift "Arbeitsgemeinschaft W. " die Beklagten zu 2 und 3 - beides Gesellschaften mit beschränkter Haftung - als "Technische Geschäftsführung" (Beklagte zu 2) und als "Kaufm. Geschäftsführung" (Beklagte zu 3) sowie der Beklagte zu 4 als "Bauleitung" bezeichnet werden. Läßt sich ein Architekt in dieser Weise im Briefkopf einer bauwirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft aufführen, muß er nicht damit rechnen, daß bei deren Nachunternehmern , denen gegenüber der Briefkopf verwendet wird, der Eindruck entsteht , er sei selbst Gesellschafter der Arbeitsgemeinschaft. Bei "technischer Geschäftsführung", "kaufmännischer Geschäftsführung" und "Bauleitung" handelt es sich gemäß § 5 des Mustervertrages des Hauptverbandes der Deut-
schen Bauindustrie für Arbeitsgemeinschaften (ARGE-Vertrag, abgedruckt bei Burchardt/Pfülb, ARGE-Kommentar, 3. Aufl.), der seit vielen Jahren verwendet wird, im Baugewerbe weit verbreitet ist (vgl. Langen in Kapellmann/Vygen, Jahrbuch Baurecht 1999, S. 64, 69) und auch im vorliegenden Fall zur Anwendung kam, um die nach außen in Erscheinung tretenden "Organe" der in Teilen körperschaftlich strukturierten Arbeitsgemeinschaften. Es ist deshalb anzunehmen , daß der baugewerbliche Rechtsverkehr bei einer Auflistung dieser Bezeichnungen im allgemeinen an eine Benennung der Gesellschaftsorgane, nicht aber an eine Benennung der Gesellschafter denkt. Zwar trifft es zu, daß nach dem personengesellschaftsrechtlichen Grundsatz der Selbstorganschaft als technische und kaufmännische Geschäftsführer nur Personen in Frage kommen, die auch Gesellschafter sind. Es würde aber zu weit gehen, würde man dem Rechtsverkehr ein Verständnis dahingehend unterstellen, daß die Nennung von Geschäftsführung und Bauleitung in einem Briefkopf darauf schließen ließe, auch der Bauleiter müsse Gesellschafter sein. Üblicherweise wird nämlich die Bauleitung auf solche Personen übertragen, die zwar Mitarbeiter eines Gesellschafters, nicht aber selbst Gesellschafter sind (Burchardt/Pfülb aaO, § 9 Rdn. 7, 12 ff.). In diese Richtung weist im vorliegenden Fall zudem der Umstand, daß im Vertragsformular des der Hingabe des Wechsels zugrunde liegenden Nachunternehmervertrages zwischen Klägerin und Beklagter zu 1 ausdrücklich zwischen der ARGE als "Auftraggeber und Bauherr i.S. dieses Vertrages" und dem Beklagten zu 4, der unter der Rubrik "Planung und Bauleitung" aufgeführt ist, differenziert wird.
Der Umstand, daß der Beklagte zu 4 nach dem Vortrag der Klägerin sämtliche Vertragsverhandlungen mit ihr geführt und auch das streitgegenständliche Wechselakzept im Namen der Beklagten zu 1 unterschrieben hat,
reicht für die Begründung einer Rechtsscheinhaftung ebenfalls nicht aus. Der Beklagte zu 4 war Geschäftsführer der ihrerseits als technische Geschäftsführerin der ARGE eingesetzten Beklagten zu 2 und in dieser Funktion allgemein zum Abschluß von Nachunternehmerverträgen für die ARGE befugt (§ 7.45 ARGE-Vertrag). Selbst wenn die Klägerin keine Kenntnis von dieser Funktion des Beklagten zu 4 gehabt hätte, hätte dessen Handeln nicht zwangsläufig darauf schließen lassen müssen, daß er in eigener Person Gesellschafter der ARGE ist. Es wäre vielmehr auch denkbar - wenn nicht sogar naheliegender - gewesen, daß Abschluß und Abwicklung des Nachunternehmervertrages von der Geschäftsführung der ARGE auf den Bauleiter als Unterbevollmächtigten weiterdelegiert worden ist, was durchaus zulässig gewesen wäre (vgl. Burchardt/Pfülb aaO, § 9 Rdn. 9) und ebenfalls nicht zu einer persönlichen Haftung des Beklagten zu 4 geführt hätte. Der von der Revision zur Begründung der Rechtsscheinhaftung schließlich noch herangezogene Vortrag der Klägerin, wonach der Beklagte zu 4 sämtliche Bankgeschäfte der ARGE erledigt habe, vermag eine Rechtsscheinhaftung gegenüber der Klägerin schon
deshalb nicht zu begründen, weil nicht ersichtlich ist, inwiefern es sich bei einem solchen Handeln des Beklagten zu 4 gegenüber Dritten um einen im Verhältnis zur Klägerin gesetzten Rechtsschein gehandelt haben könnte.

Röhricht Henze Goette
Kurzwelly Münke

(1) Handelt jemand

1.
als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs,
2.
als vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder
3.
als gesetzlicher Vertreter eines anderen,
so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Strafbarkeit begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen.

(2) Ist jemand von dem Inhaber eines Betriebs oder einem sonst dazu Befugten

1.
beauftragt, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten, oder
2.
ausdrücklich beauftragt, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen,
und handelt er auf Grund dieses Auftrags, so ist ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Merkmale die Strafbarkeit begründen, auch auf den Beauftragten anzuwenden, wenn diese Merkmale zwar nicht bei ihm, aber bei dem Inhaber des Betriebs vorliegen. Dem Betrieb im Sinne des Satzes 1 steht das Unternehmen gleich. Handelt jemand auf Grund eines entsprechenden Auftrags für eine Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, so ist Satz 1 sinngemäß anzuwenden.

(3) Die Absätze 1 und 2 sind auch dann anzuwenden, wenn die Rechtshandlung, welche die Vertretungsbefugnis oder das Auftragsverhältnis begründen sollte, unwirksam ist.

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

(1a) Eine Beschäftigung besteht auch in Zeiten der Freistellung von der Arbeitsleistung von mehr als einem Monat, wenn

1.
während der Freistellung Arbeitsentgelt aus einem Wertguthaben nach § 7b fällig ist und
2.
das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die vorausgegangenen zwölf Kalendermonate abweicht, in denen Arbeitsentgelt bezogen wurde.
Satz 1 gilt entsprechend, wenn während einer bis zu dreimonatigen Freistellung Arbeitsentgelt aus einer Vereinbarung zur flexiblen Gestaltung der werktäglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit oder dem Ausgleich betrieblicher Produktions- und Arbeitszeitzyklen fällig ist. Beginnt ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Zeit der Freistellung, gilt Satz 1 Nummer 2 mit der Maßgabe, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt in der Zeit der Freistellung nicht unangemessen von dem für die Zeit der Arbeitsleistung abweichen darf, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll. Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt besteht während der Zeit der Freistellung auch, wenn die Arbeitsleistung, mit der das Arbeitsentgelt später erzielt werden soll, wegen einer im Zeitpunkt der Vereinbarung nicht vorhersehbaren vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr erbracht werden kann. Die Vertragsparteien können beim Abschluss der Vereinbarung nur für den Fall, dass Wertguthaben wegen der Beendigung der Beschäftigung auf Grund verminderter Erwerbsfähigkeit, des Erreichens einer Altersgrenze, zu der eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, oder des Todes des Beschäftigten nicht mehr für Zeiten einer Freistellung von der Arbeitsleistung verwendet werden können, einen anderen Verwendungszweck vereinbaren. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigte, auf die Wertguthaben übertragen werden. Bis zum 31. Dezember 2024 werden Wertguthaben, die durch Arbeitsleistung im Beitrittsgebiet erzielt werden, getrennt erfasst; sind für die Beitrags- oder Leistungsberechnung im Beitrittsgebiet und im übrigen Bundesgebiet unterschiedliche Werte vorgeschrieben, sind die Werte maßgebend, die für den Teil des Inlandes gelten, in dem das Wertguthaben erzielt worden ist.

(1b) Die Möglichkeit eines Arbeitnehmers zur Vereinbarung flexibler Arbeitszeiten gilt nicht als eine die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber begründende Tatsache im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes.

(2) Als Beschäftigung gilt auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung.

(3) Eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt als fortbestehend, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Eine Beschäftigung gilt auch als fortbestehend, wenn Arbeitsentgelt aus einem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben bezogen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn Krankengeld, Krankentagegeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Pflegeunterstützungsgeld oder Mutterschaftsgeld oder nach gesetzlichen Vorschriften Erziehungsgeld oder Elterngeld bezogen oder Elternzeit in Anspruch genommen oder Wehrdienst oder Zivildienst geleistet wird. Satz 1 gilt auch nicht für die Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes.

(4) Beschäftigt ein Arbeitgeber einen Ausländer ohne die nach § 284 Absatz 1 des Dritten Buches erforderliche Genehmigung oder ohne die nach § 4a Absatz 5 des Aufenthaltsgesetzes erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt für den Zeitraum von drei Monaten bestanden hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 626/12
vom
5. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Juni 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Juni 2012 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit die Angeklagte im Fall 18 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung tateinheitlich mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das vorgenannte Urteil im Schuldspruch dahingehend geändert und klarstellend gefasst, dass die Angeklagte der Beihilfe zur Steuerhinterziehung tateinheitlich mit Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 17 Fällen schuldig ist;
c) das vorgenannte Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, zu treffen ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung tateinheitlich mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 18 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Die Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 9. Februar 2013 zutreffend dargelegten Gründen keinen Erfolg.

II.


4
1. Auf die Revision der Angeklagten ist das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, soweit die Angeklagte im Fall 18 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung tateinheitlich mit Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt worden ist. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, war die abgeurteilte Tat nicht Gegenstand der unverändert zugelassenen Anklage; eine Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO ist nicht erhoben worden.
5
2. In den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe weist der Schuldspruch wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
6
a) Aus den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit ist die Eigenschaft der Kolonnenführer als Arbeitgeber i.S.v. § 266a Abs. 1 und 2 StGB hinsichtlich der zur Durchführung der Bauarbeiten eingesetzten Arbeiter hinreichend deutlich zu entnehmen. Die Bestimmung des Arbeitgeberbegriffs in § 266a StGB richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das wiederum auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt (Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, § 266a Rn. 8 f. mwN). Arbeitgeber ist dementsprechend der nach §§ 611 ff. BGB Dienstberechtigte , also derjenige, dem der Arbeitnehmer nicht selbständige Dienste gegen Entgelt leistet und zu dem er in einem Verhältnis persönlicher Abhängigkeit steht, das sich vornehmlich in seiner regelmäßig mit einem Weisungsrecht des Arbeitgebers verbundenen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers äußert (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 266a Rn. 4 und 4a mwN; Matt in Matt/Renzikowski, StGB, § 266a StGB Rn. 16 mwN). Für die Beurteilung, ob ein sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis vorliegt, sind allein die tatsächlichen Gegebenheiten maßgeblich (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 1 StR 478/09, wistra 2010, 29; Urteil vom 2. Dezember 2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528). Nach der von der Strafkammer rechtsfehlerfrei insoweit als glaubhaft angesehenen Einlassung der Angeklagten hatte nicht die O. GmbH, sondern die Kolonnenführer dafür Sorge zu tragen, dass die für die Durchführung der Aufträge benötigten Arbeiter zur Verfügung standen. Entsprechend wurden die Planung und die Durchführung der Bauarbeiten von den den Auftraggebern unter den Namen „M. “, „P. “ und „E. “ bekannten Kolonnenführern übernommen,die auch die für die jeweilige Baustelle erforderlichen Arbeiter stellten und diese als „Bauleiter“ anwiesen und überwachten.
7
b) Indem die Kolonnenführer ihren steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Pflichten als Arbeitgeber zur monatlichen Abgabe von Lohnsteuer -Anmeldungen sowie zur Anmeldung und Abführung der Arbeitnehmerund Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung im Zeitraum Juli 2007 bis November 2008 nicht nachgekommen sind, haben diese sich wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB in jeweils 17 Fällen strafbar gemacht.
8
c) Zu diesen Taten hat die Angeklagte Hilfe geleistet (§ 27 StGB). Die Angeklagte ermöglichte es den Kolonnenführern, ihre Bauleistungen unter Einsatz nicht ordnungsgemäß bei dem zuständigen Finanzamt und den Sozialversicherungsträgern gemeldeter Arbeitnehmer „schwarz“ zu erbringen, indem sie ihnen die nur zum Schein als Baufirma auftretende O. GmbH zur Verfügung stellte. Die Angeklagte erstellte nach den Vorgaben der Kolonnenführer unter dem Namen der O. GmbH Rechnungen an die Auftraggeber. Nach Eingang der Zahlungen reichte die Angeklagte die Beträge nach Abzug einer Provision in Höhe von 8 % an die Kolonnenführer weiter, die die Gelder teils zur Auszahlung von Schwarzlöhnen verwendeten und teils als Gewinn behielten.
9
Das Landgericht hat die Beihilfehandlungen der Angeklagten zu Recht als rechtlich selbständige Fälle der Beihilfe zur Steuerhinterziehung tateinheitlich mit Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt beurteilt. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, erschöpfte sich die Hilfeleistung der Angeklagten nicht im Aufbau und der Aufrechterhaltung eines auf Straftaten ausgerichteten Betriebes („uneigentliches Organisationsdelikt“, vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 14. Juni 2011 - 1 StR 90/11, wistra 2011, 344; und vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 343; Urteile vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 184, und vom 11. Dezember 1997 - 4 StR 323/97, BGHR StGB § 263 Täterschaft 1). Vielmehr hat die Angeklagte durch Rechnungserstellung und Weiterleitung der Gelder in jedem der monatlichen Anmeldungs- bzw. Beitragszeiträume einen Beitrag zu jeder einzelnen Tat geleistet.
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3. Aufgrund der Verfahrenseinstellung im Fall 18 der Urteilsgründe war der Schuldspruch dahingehend zu ändern und klarstellend zu fassen, dass die Angeklagte der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 17 Fällen schuldig ist.
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4. Der Strafausspruch hat hinsichtlich der in den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen im Ergebnis Bestand.
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Zwar hat das Landgericht bei der Strafzumessung rechtsfehlerhaft eine Verurteilung der Angeklagten wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen aus dem Jahr 2006 berücksichtigt, obwohl gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 BZRG bereits Tilgungsreife eingetreten ist und diese damit nicht mehr zum Nachteil der Angeklagten hätte verwertet werden dürfen (§ 51 Abs. 1 BZRG). Die verhängten Einzelstrafen erweisen sich jedoch als angemessen i.S.v. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO.
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Die bei verfassungskonformer Auslegung erforderlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung nach dieser Vorschrift (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05, BVerfGE 118, 212) sind hier gegeben. Dem Senat steht ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung. Es gibt keine Anhaltspunkte für erst nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung eingetretene und dementsprechend bisher nicht berücksichtigte Entwicklungen oder Ereignisse, die ein neuer Tatrichter nahe liegend feststellen und zu Gunsten der Angeklagten berücksichtigen würde. Der Senat hat die Angeklagte zudem auf die aus seiner Sicht für eine Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO sprechenden Gründe hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
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Unter Abwägung aller für die Strafzumessung bedeutsamen Urteilsfeststellungen sowie unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verteidigers in dem Schriftsatz vom 11. Mai 2013 hält der Senat die vom Landgericht in den Fällen 1 bis 17 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen für angemessen. Die Angeklagte hat wesentliche Beiträge zu einem von Anfang an auf die Hinterziehung von Lohnsteuern und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen ausgelegten System geleistet, wodurch im Zeitraum Juli 2007 bis November 2008 Steuer- und Beitragsschäden von mehr als zwei Millionen Euro verursacht wurden. Den Straftaten der Angeklagten kam angesichts ihrer zeitlichen und sachlichen Verschränkung Seriencharakter zu, so dass bereits bei der Zumessung der Einzelstrafen die Gesamtserie und der dadurch verursachte Gesamtschaden in den Blick zu nehmen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. November 2011 - 1 StR 459/11, wistra 2012, 151; Urteil vom 17. März 2009 - 1 StR 627/08, BGHR StGB § 46 Begründung 1).
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5. Der Senat hat mit Blick auf die im eingestellten Fall verhängte Einzelfreiheitstrafe von einem Jahr und sieben Monaten den Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO, auch hinsichtlich der verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, zu treffen ist (§ 354 Abs. 1b StPO).
Wahl Rothfuß Graf Radtke Zeng

(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber

1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder
2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.

(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.

(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält,
2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält,
3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet,
4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder
5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.

(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.

(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich

1.
die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt und
2.
darlegt, warum die fristgemäße Zahlung nicht möglich ist, obwohl er sich darum ernsthaft bemüht hat.
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich oder wird von der Einziehung eines Ersatzgegenstandes nach § 73 Absatz 3 oder nach § 73b Absatz 3 abgesehen, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht. Eine solche Anordnung trifft das Gericht auch neben der Einziehung eines Gegenstandes, soweit dessen Wert hinter dem Wert des zunächst Erlangten zurückbleibt.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.