Bundesgerichtshof Beschluss, 14. März 2012 - 5 StR 28/12

bei uns veröffentlicht am14.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 28/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. März 2012

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13. September 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte in den Fällen 8 bis 10 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, ferner im Gesamtstraf- und im Adhäsionsausspruch.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und im Adhäsionsausspruch auf eine Zahlung an die Nebenklägerin in Höhe von 20.000 € nebst Zinsen erkannt. Die Revision er- zielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Es kam zu sieben gewaltsamen Übergriffen des unbestraften Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau, der Nebenklägerin:
4
Im Herbst 2007 schlug der Angeklagte der Nebenklägerin zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht (Fälle 6 und 7 – vorsätzliche Körperverletzung: je 60 Tagessätze Geldstrafe). Anlässlich eines Streits um einen vom Angeklagten vermuteten Liebhaber im August 2008 misshandelte der Angeklagte die Nebenklägerin wiederholt erheblich (Fälle 1 und 2 – vorsätzliche Körperverletzung : je 6 Monate Freiheitsstrafe). Aus gleichem Anlass warf er zwei Tage später einen Holzstuhl in Richtung der Nebenklägerin, dem sie ausweichen konnte (Fall 3 – versuchte gefährliche Körperverletzung: 60 Tagessätze Geldstrafe). Anschließend prügelte er auf sie ein, würgte sie und drohte, sie umzubringen (Fall 4 – gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung : 10 Monate Freiheitsstrafe). Nach Schlichtungsversuchen Dritter warf der Angeklagte der Nebenklägerin ein Schlüsselbund ins Gesicht (Fall 5 – gefährliche Körperverletzung: 6 Monate Freiheitsstrafe).
5
In allen Fällen dieser Tatserie hat das Landgericht seine Feststellungen neben den Angaben der Nebenklägerin auf weitere Beweismittel stützen können.
6
b) Nach dem letzten Vorfall trennte sich die Nebenklägerin von dem Angeklagten. In dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren berief sie sich im August 2008 auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Sie hatte sich während des Tatzeitraums zu den einzelnen Vorfällen Notizen gemacht und hieraus auf den Rat des sie damals behandelnden Psychologen Schriftstücke erstellt. Nachdem der Angeklagte die Nebenklägerin bei jedem Kontakt im Rahmen des von ihm wahrgenommenen Umgangsrechts mit der ehelichen Tochter beleidigt und bedroht hatte, erkundigte sie sich im Jahr 2010 bei der Polizei, „was sie tun könne“. Die Nebenklägerin entschloss sich, Angaben zu ma- chen, und vereinbarte mit dem Vernehmungsbeamten, dass sie die Vorfälle aufschreiben werde. Die bei der Vernehmung schließlich verwendeten Schriftstücke hatte sie gemeinsam mit ihrem späteren Lebensgefährten unter Verwendung ihrer während des Tatzeitraums gefertigten Notizen erstellt. Auf der Grundlage alleiniger Angaben der Nebenklägerin zum jeweiligen Kerngeschehen hat sich das Landgericht insoweit von drei Vergewaltigungen durch den Angeklagten überzeugt:
7
Am Abend des Rosenmontags 2004 oder 2005 oder 2006 weigerte sich die Nebenklägerin, dem Angeklagten aus der Garage Bier zu holen. Der Angeklagte schubste sie zu Boden, trat und schlug mehrfach auf sie ein. Später riss ihr der mit einer Reitgerte ausgestattete Angeklagte im Schlafzimmer das Nachthemd auf und packte sie schmerzhaft an den Brüsten. Er drang mit einem Finger – ihr Schmerzen verursachend – in ihre Scheide ein und verlangte Befriedigung mit der Hand. Aus Angst vor weiteren Schlägen kam sie dem nach. Der Angeklagte drückte sie an den Schultern auf den Rücken und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr, unterbrochen von mehrfachem Oralverkehr. Nach vergeblichen Versuchen, den Geschlechtsverkehr von hinten auszuüben, drehte der Angeklagte seine Ehefrau auf den Rücken, spreizte ihre Beine und schob den Griff der Reitgerte in ihre Scheide. Er bewegte die Gerte vor und zurück und zog sie wieder heraus. Nach vom Angeklagten verlangtem Eincremen seines Gliedes und der Scheide seiner Frau mit Vaseline vollzog er den vaginalen Geschlechtsverkehr von hinten und schlug mit der Reitgerte mehrfach auf den Rücken der Nebenklägerin (Fall 10 – besonders schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung: 6 Jahre Freiheitsstrafe).
8
Am Abend des 9. März 2005 sagte der Angeklagte nach einer vorangegangenen tätlichen Auseinandersetzung im Bett zu seiner Frau, er werde ihr zeigen, was passiere, wenn sie „aufmüpfig“ sei. Er drehte sie gewaltsam auf den Rücken, zog ihr den Schlüpfer aus, spreizte ihre Beine und vollzog an ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss, obgleich sie immer wieder sagte, er solle aufhören. Anschließend schlug er ihr ins Gesicht (Fall 9 – Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung : 2 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe).
9
Am 25. Juni 2006 verlangte der stark alkoholisierte Angeklagte von seiner Frau, mit der Hand befriedigt zu werden. Als sie sich weigerte, drohte er ihr Schläge an. Nach Ausbleiben einer Erektion packte er sie an den Haaren , zog ihren Kopf zwischen seine Beine und verlangte den Oralverkehr. Er drückte sein Glied derart weit in ihren Mund, dass sie würgen musste. Anschließend schlug er ihr unkontrolliert mit der Hand ins Gesicht. Er fiel dann plötzlich um und schlief ein (Fall 8 – Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung: 2 Jahre Freiheitsstrafe).
10
2. Die Revision ist hinsichtlich der Körperverletzungsfälle (Fälle 1 bis 7 der Urteilsgründe) offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die auf Verletzung der §§ 250, 256 StPO gestützte Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 – 3 StR 402/10, StV 2011, 715; ferner BGH, Beschluss vom 21. September 2011 – 1 StR 367/11, NJW 2012, 694), die der Senat (gegen BGH, Beschluss vom 5. März1990 – 5 StR 63/90; vgl. auch BGH, Beschluss vom 12. August 1999 – 3 StR 277/99, NStZ 2000, 49, 50) für zulässig erachtet, greift aus den vom Generalbundesanwalt benannten Gründen in der Sache nicht durch.
11
3. In den Vergewaltigungsfällen ist der Schuldspruch schon aufgrund der Sachrüge wegen durchgreifender Rechtsmängel aufzuheben (vgl. BGH, Urteile vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 387, insoweit in BGHSt 51, 144 nicht abgedruckt, und vom 24. Januar 2012 – 5 StR 433/11).
12
a) Das Landgericht hat es unterlassen, das sich nach den Feststellungen aufdrängende Falschbelastungsmotiv einer wahrheitswidrigen Mehrbe- lastung hinsichtlich der Vergewaltigungen – für die es keine weiteren Beweismittel gab – in die Erörterung der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin unter mehreren Aspekten einzubeziehen (vgl. Brause, NStZ 2007, 505, 507).
13
Anlass der belastenden Angaben war das Bestreben der Nebenklägerin , Beleidigungen und Bedrohungen durch den Angeklagten im Zusammenhang mit seinen Kontakten bei Ausübung des Besuchsrechts zu unterbinden. Diese Interessenlage barg ein erhöhtes Risiko einer fälschlichen Mehrbelastung. Die hierzu im weiteren Zusammenhang angestellte Erwägung des Landgerichts, die Nebenklägerin habe ihre Aussage zu keinem Zeitpunkt zum Anlass genommen, den Umgang des Angeklagten mit seiner Tochter zu beschränken, so dass die Streitigkeiten bezüglich des Besuchsumfangs als Belastungsmotiv entfielen (UA S. 13), entkräftet die Gefahr einer interessengeleiteten Mehrbelastung nicht maßgeblich.
14
Soweit das Landgericht festgestellt hat, die Nebenklägerin habe ein regelrechtes Martyrium erleiden müssen (UA S. 24), wäre zudem „Rache“ als mögliches Motiv für eine wahrheitswidrige Mehrbelastung in den Blick zu nehmen gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – 5 StR 433/11).
15
b) Das Landgericht hat es ferner unterlassen, einen Qualitätsmangel argumentativ zu entkräften, der sich nach der Genese der Anzeige aufdrängt.
16
Die Nebenklägerin war unmittelbar nach ihrem Entschluss, den Angeklagten zu belasten, keinen Nachfragen in einer Vernehmungssituation ausgesetzt. Vielmehr hat sie das Geschehen zunächst in einer häuslichen schriftlichen Ausarbeitung sogar unter Hilfestellung ihres neuen Lebensgefährten dargelegt. Wie sich die gefertigten Schriftstücke zu den Notizen der Nebenklägerin und zu den von ihr auf Anraten ihres Psychologen erstellten Aufzeichnungen verhalten, wird genauso wenig dargestellt wie die Art der Verarbeitung der nach Absprache mit der Polizei erstellten Ausarbeitungen in der Anzeige.
17
c) Die Bewertung der Erinnerungslücken der Nebenklägerin hinsichtlich des Verbrechens der besonders schweren Vergewaltigung weist nach den Erwägungen des Landgerichts ein nicht aufgelöstes Spannungsverhältnis auf, das Anlass hätte geben müssen zu prüfen, ob hierdurch die belastende Aussage nicht insgesamt entwertet wird (vgl. Brause, aaO, S. 511 mwN). Die Strafkammer hat einerseits die Erklärung der Nebenklägerin für ihre grundsätzlich gute Erinnerung an die einzelnen Vorfälle, die Fertigung von Notizen während des Tatzeitraums und die spätere Erstellung der Schriftstücke, akzeptiert. Andererseits hat sie die weitgehend fehlende Erinnerung der Nebenklägerin an den Zeitpunkt der Haupttat, des einzigen qualifizierten Verbrechens, als nachvollziehbare Erinnerungslücke in Anbetracht des langen Zeitablaufs bewertet. Dies ist angesichts des mit einer solchen Tat verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die Persönlichkeit der Nebenklägerin und der hierdurch zwangsläufig aufkommenden Belastungen für das Familienleben schwer nachvollziehbar (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02 – und vom 12. Juli 2006 – 5 StR 236/06, StraFo 2006, 411).
18
Im Zusammenhang damit hätte dieses die Nebenklägerin besonders erniedrigende Verbrechen dem Landgericht Anlass geben müssen, im Rahmen der Glaubhaftigkeitsprüfung zu erwägen, warum sie nach dieser Tat die Beziehung zum Angeklagten nicht beendet hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – 5 StR 433/11). Auch vor dem Hintergrund der später vollzogenen Trennung aus weitaus geringerem Anlass wird die – vom Landgericht im Zusammenhang mit der Offenbarung sexueller Übergriffe nachvollzogene – Erklärung der Nebenklägerin, sie habe sich geschämt und nicht gewollt, dass die Kinder etwas erfahren, dem Gewicht des sich infolge eines derart belastenden Verbrechens entstehenden Impulses zum Verlassen des Täters kaum gerecht (vgl. BGH aaO).
19
4. Die Sache bedarf demnach hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe neuer Aufklärung und Bewertung. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, wird im Fall 9 einer erneuten Verurteilung wegen Körperverletzung das Verfolgungshindernis der Verjährung entgegenstehen.
Basdorf Brause Schaal Schneider König

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. März 2012 - 5 StR 28/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. März 2012 - 5 StR 28/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 250 Grundsatz der persönlichen Vernehmung


Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt wer

Strafprozeßordnung - StPO | § 256 Verlesung der Erklärungen von Behörden und Sachverständigen


(1) Verlesen werden können 1. die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen a) öffentlicher Behörden,b) der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowiec) der Ärzte eines ge
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 250 Grundsatz der persönlichen Vernehmung


Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt wer

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 402/10
vom
23. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
23. November 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Juli 2010 im Strafausspruch mit den Feststellungen zu den bei der Geschädigten eingetretenen Tatfolgen aufgehoben; im Übrigen bleiben die Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Beleidigung, Hausfriedensbruch und vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter Erpressung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
2
Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge zum Strafausspruch Erfolg ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Der Schuldspruch weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
Zwar beanstandet die Revision in verfahrensrechtlicher Hinsicht zu Recht, dass die Verlesung des Berichts des evangelischen Krankenhauses Düsseldorf vom 6. Dezember 2009 gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO unzulässig war. Denn die Strafkammer hat den Inhalt des verlesenen Attests nicht zum Nachweis einer nicht schweren Körperverletzung herangezogen, sondern die in dem Attest niedergelegten Äußerungen des Angeklagten gegenüber der behandelnden Ärztin über die Ursache seiner Handverletzung als Indiztatsache zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit und damit unter Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in unzulässiger Weise für die Beurteilung der Schuldfrage verwertet (BGH, Urteil vom 1. März 1955 - 1 StR 441/54, MDR 1955, 397).
5
Der Senat kann aber ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht. Allerdings scheidet entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ein Beruhen nicht bereits deshalb aus, weil ausweislich der nachträglich eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Richter der erkennenden Strafkammer der Inhalt des Arztberichts dem Angeklagten in der Hauptverhandlung auch vorgehalten und von diesem bestätigt worden ist. Denn die Strafkammer hat die Feststellungen zu den Äußerungen des Angeklagten gegenüber der Ärztin ausschließlich auf den Inhalt des verlesenen Attests gestützt. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte diese Tatsache möglicherweise auf einen entsprechenden Vorhalt nicht in Abrede genommen hat, sind dem Urteil nicht zu entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 21. August 2002 - 2 StR 111/02). Ei- ne Berücksichtigung der dienstlichen Erklärungen der erkennenden Richter bei der Beurteilung der Beruhensfrage liefe daher darauf hinaus, in revisionsrechtlich unzulässiger Weise die Beweisaufnahme zu rekonstruieren und unter Heranziehung urteilsfremden Vorbringens die dem Tatrichter obliegende Würdigung der Beweise durch eine eigene zu ersetzen.
6
Indes kann der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß deshalb ausschließen, weil sich der Rechtsfehler lediglich auf ein nebensächliches und für die Überzeugungsbildung des Tatrichters ersichtlich nicht maßgebliches Indiz bezieht. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug.
7
2. Hingegen hält der Strafausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die ebenfalls auf die Verletzung der § 256 Abs. 1 Nr. 2, § 250 StPO gestützte Verfahrensrüge, mit der sich die Revision gegen die Feststellung der bei der Geschädigten eingetretenen Tatfolgen wendet, hat Erfolg.
8
Die Strafkammer hat bei Bemessung beider Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass das Opfer durch die Taten ein schweres posttraumatisches Belastungssyndrom erlitt. Diese Feststellung beruht nach den Urteilsgründen allein auf dem Inhalt des in der Hauptverhandlung ebenfalls gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesenen ärztlichen Attests des Hausarztes der Geschädigten vom 14. Dezember 2009. Zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass auch die Verlesung dieses Attests nicht dem Nachweis einer (nicht schweren) Körperverletzung, sondern ausschließlich der Tatfolgen und damit der Feststellung einer für den Strafausspruch wesentlichen Tatsache diente. Zu diesem Zweck durfte der Arztbericht nicht nach § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden; seine Verwertung war deshalb unzulässig (BGH, Beschluss vom 13. März 1997 - 1 StR 72/97, StV 1999, 195).
9
Zwar hat sich ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls die Geschädigte in der Hauptverhandlung zu diesem Attest "erklärt". Auf ihre Angaben hat sich das Landgericht zum Nachweis der Tatfolgen aber nicht gestützt. Daher ist es aus den bereits oben dargelegten Gründen unbeachtlich, dass die erkennenden Richter und der Staatsanwalt in ihren dienstlichen Stellungnahmen übereinstimmend erklärt haben, die Geschädigte habe den festgestellten Befund im Rahmen ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung bestätigt. In Anbetracht der eindeutigen Darlegungen zur Beweisführung hinsichtlich der erlittenen Tatfolgen ist vielmehr nicht auszuschließen, dass die Bemessung der Einzelstrafen auf der unzulässigen Verwertung des Inhalts des verlesenen Arztberichts beruht.
10
Der Strafausspruch hat deshalb keinen Bestand. Da sich der Rechtsfehler nur auf die Feststellungen zu den Tatfolgen ausgewirkt hat, unterliegen nur diese der Aufhebung.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 367/11
vom
21. September 2011
BGHSt: ja zu I + II
BGHR: ja [bis 2b]
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
Die Vernehmung eines Arztes kann auch dann durch die Verlesung eines ärztlichen
Attests ersetzt werden, wenn die ärztliche Sicht zu Schlüssen aus der
attestierten Körperverletzung auf ein anderes Delikt nichts beitragen kann. Dies
ist regelmäßig der Fall, wenn die Körperverletzung bei einer nachfolgenden Sexualstraftat
allein als Drohung fortgewirkt haben kann.
BGH, Beschluss vom 21. September 2011 - 1 StR 367/11 - LG Schweinfurt
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. September 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Schweinfurt vom 28. März 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.


1
Die Strafkammer hat festgestellt:
2
Der Angeklagte fragte am 25. September 2009 gegen 3.45 Uhr eine ihm unbekannte junge Frau, die aus einer Diskothek kam, vergeblich nach ihrem Namen. Er folgte ihr zu einem nahen Parkplatz, wo ihr Fahrrad stand und bot ihr seine Begleitung an. Als sie nicht reagierte, packte er sie an den Oberarmen. Als sie sich dies verbat, stieß er sie in ein Dornengebüsch. Im weiteren Verlauf entriss er ihr das Handy, mit dem sie um Hilfe rufen wollte. Nach einem „Gerangel“ packte er sie und zerrte sie zu einem etwa 20 m entfernten, schlecht beleuchteten Teil des Parkplatzes, wo er sie auf den Mund küsste und versuchte , ihr Zungenküsse zu geben. Aus Angst vor weiterer Misshandlung manipulierte sie mehrere Minuten an seinem entblößten Geschlechtsteil, bis sie schließlich fliehen konnte.

II.


3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
4
Seine auf eine Verfahrensrüge und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
1. Der Verfahrensrüge liegt Folgendes zu Grunde:
6
a) Die Geschädigte hatte sich durch den Stoß in das Dornengebüsch unter anderem Einstichverletzungen an den Händen und Armen zugezogen; abgebrochene Dornenstücke blieben in den Händen und im Unterarm stecken und konnten erst nach einigen Tagen entfernt werden. Die Strafkammer stellt fest, dass die Behauptungen der Geschädigten über ihre Verletzungen mit den sonstigen Feststellungen übereinstimmten („sie passen“) und dass konkret die Verletzungen durch die Dornen von einem in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Attest über die Verletzungen der Geschädigten „bestätigt“ würden.
7
b) Die Revision meint, der Arzt hätte als Zeuge gehört werden müssen; die Voraussetzungen von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO hätten nicht vorgelegen, weil der Inhalt des Attests auch hinsichtlich der Feststellungen zu dem tateinheitlich mit der Körperverletzung verwirklichten Sexualdelikt Bedeutung gehabt hätte.
8
2. Die Rüge greift nicht durch.
9
a) § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO erlaubt aus letztlich pragmatischen Gründen (vgl. LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 256 Rn. 1 und 3 mwN), ärztliche Atteste zu, wie hier, nicht schweren Körperverletzungen (i.S.d. § 226 StGB) zu verlesen , nicht aber zu Erkenntnissen, die der Arzt nur bei Gelegenheit der Feststellung einer Verletzung gewonnen hat, z.B. über Angaben zur Ursache der Verletzungen , wenn diese ebenfalls in dem Attest dokumentiert sind (BGH, Urteil vom 23. April 1953 - 4 StR 667/52, BGHSt 4, 155, 156; BGH bei Dallinger, MDR 1955, 397; BGH, Beschluss vom 30. November 1983 - 3 StR 370/83, StV 1984, 142, 143; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 256 Rn. 19 mwN).
10
Dieser Gesichtspunkt ist hier nicht einschlägig. Der Arzt hat hinsichtlich der Dornen nicht etwa eine für ihn ohne Angaben der Geschädigten nicht erkennbare Ursache der Verletzung in seinem Attest festgehalten, sondern er hat attestiert, dass die Geschädigte auch - für ihn sichtbar - dadurch verletzt war, dass sich in ihrem Körper noch abgebrochene Dornenstücke befanden.
11
b) Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass - über den Wortlaut von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO hinaus (BGH, Urteil vom 27. November 1985 - 3 StR 438/85, BGHSt 33, 389, 391) - eine Einschränkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 250 StPO) durch Verlesung eines Attestes nicht zulässig ist, wenn sich die Bedeutung der aus dem Attest ersichtlichen Verletzungen nicht in der Feststellung ihres Vorliegens erschöpft (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1988 - 1 StR 569/88, BGHR, StPO, § 256 Abs. 1 Körperverletzung 2).
12
aa) Dies wird regelmäßig angenommen, wenn Gewalt nicht nur zu einer Körperverletzung geführt hat, sondern zugleich auch ein Tatbestandsmerkmal für ein anderes Delikt darstellt, etwa bei einem räuberischen Diebstahl (BGH, Beschluss vom 11. Juli 1996 - 1 StR 392/96, StV 1996, 649), oder, in der forensischen Praxis nicht selten, bei Sexualdelikten (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. November 1979 - 3 StR 16/79, NJW 1980, 651; BGH, Beschluss vom 24. Juli 1984 - 5 StR 478/84, bei Pfeiffer NStZ 1985, 204, 206 ; BGH, Beschluss vom 4. März 2008 - 3 StR 559/07, NStZ 2008, 474). Regelmäßig liegt dann neben Tateinheit auch eine Indizwirkung der Körperverletzung für das andere Delikt vor.
13
bb) Tateinheit zwischen der Körperverletzung und dem anderen Delikt schließt die Anwendung von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht zwingend aus, wie der Bundesgerichtshof im Blick auf „generelle Umschreibungen der Unzuläs- sigkeit einer Verlesung nach § 256 StPO, (die) über die jeweils zugrunde lie- genden Fallgestaltungen hinaus (gehen)“ präzisierend klargestellt hat (BGH, Urteil vom 27. November 1985 - 3 StR 438/85, BGHSt 33, 389, 392). Erforderlich ist vielmehr ein „überzeugender Grund“ (BGHSt, aaO, 393) für die Annahme , nach Sinn und Zweck des Gesetzes (BGHSt, aaO, 391, 393) reiche eine Verlesung des Attests nicht aus.
14
Dies gilt nach Auffassung des Senats auch dann, wenn es um die Vernehmung des Arztes im Blick auf Schlussfolgerungen geht, die aus den Verletzungen hinsichtlich des anderen Delikts gezogen werden können. Eine Vernehmung ist nur dann erforderlich, wenn der unmittelbare Eindruck eine zuverlässigere Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann als die Verlesung des Attestes (BGH, Urteil vom 9. April 1953 - 5 StR 824/52, BGHSt 4, 155, 156; BGH bei Pfeiffer, NStZ 1984, 209, 211 ; BGH, Beschluss vom 4. März 2008 - 3 StR 559/07, NStZ 2008, 474), etwa dazu, ob Verletzungen im Bereich des Unterleibs auf ein gewaltsam begangenes Sexualdelikt hindeuten. Kann ärztliche Sicht zu Schlussfolgerungen dieser Art über die bloße Feststellung der attestierten Verletzung hinaus dagegen nichts beitragen, so besteht regelmäßig auch kein überzeugender Grund für eine Vernehmung des Arztes. Im Kern kommt es also darauf an, ob eine solche Vernehmung Gebot der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) ist, die (auch sonst) von § 256 StPO unberührt bleibt (vgl. schon BGH, Urteil vom 4. April 1951 - 1 StR 54/51, BGHSt 1, 94, 96; BGH, Urteil vom 16. März 1993 - 1 StR 829/92, BGHR, StPO § 256 Abs. 1 Aufklärungspflicht 1; BGH, Beschluss vom 24. April 1979 - 5 StR 513/78, bei Pfeiffer NStZ 1981, 93, 95 § 244 abs. 2 stpo>; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 256 Rn. 2 mit Hinweis auf Nr. 111 Abs. 3 Satz 2 RiStBV).
15
cc) Im vorliegenden Fall kann die ärztliche Sicht zur Beantwortung der Frage, ob die attestierten Verletzungen durch die Dornen die Verletzte nachfolgend aus Furcht vor erneuter Misshandlung zu Manipulationen am Geschlechtsteil des Verletzers veranlasst haben könnten, offensichtlich nichts beitragen. Anderes ist auch dem Revisionsvorbringen nicht zu entnehmen. Die Verlesung des Attestes überschreitet daher die Grenzen der Anwendbarkeit von § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht.
16
c) Von alledem abgesehen, beruhte das Urteil ohnehin nicht auf der Verlesung des Attestes. Dies ergibt sich zwar nicht aus den Angaben des Angeklagten , der bestritten hat, zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein, und auf die Möglichkeit verwiesen hat, dass ihn die Geschädigte mit einer anderen Person verwechselt. Die Urteilsgründe verweisen jedoch über die Angaben der Geschädigten hinaus auf eine Reihe gewichtiger, von dem Attest unabhängiger Indizien, wie etwa im Gesicht der Geschädigten gesicherter DNA-Abrieb, der dem Angeklagten zuzuordnen ist. Unter diesen Umständen besteht, so im Ergebnis auch der Generalbundesanwalt, kein Anhaltspunkt für die Annahme, die Strafkammer wäre entgegen ihrer ausdrücklichen Feststellung, wonach das Attest (nur) ihre (ohnehin getroffenen) Feststellungen „bestätigt“ (vgl. BGH, Ur- teil vom 21. August 2002 - 2 StR 111/02; BGH, Beschluss vom 13. September 2001 - 1 StR 378/01 mwN), ohne das Attest möglicherweise zu anderen Feststellungen gelangt.
17
3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.


18
Die Art der Abfassung der Urteilsgründe veranlasst den Senat zu dem Hinweis, dass diese nicht sämtliche Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung in allen Details dokumentieren, sondern nur belegen sollen, warum bedeutsame tatsächliche Umstände, so wie geschehen, festgestellt sind. Nur soweit hierfür erforderlich, sind Angaben des Angeklagten, Zeugenaussagen und sonst angefallene Erkenntnisse heranzuziehen. Urteilsgründe , die demgegenüber die Ergebnisse der Beweisaufnahme in der Art eines Protokolls referieren und sich mit einer Vielzahl wenig bedeutsamer Details befassen , können - von dem damit verbundenen, sachlich nicht gebotenen Aufwand abgesehen - den Blick für das Wesentliche verstellen und damit letztlich sogar den Bestand des Urteils gefährden (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2010 - 1 StR 556/10 mwN). Auch Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln sind rechtlich nicht geboten, sondern führen nur zu einer (weiteren) Überfrachtung der Urteilsgründe (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11; BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN). Frau RiinBGH Elf ist urlaubsbedingt abwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Graf Jäger
5 StR 433/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 24. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Januar
2012, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ko.
als Vertreter der Neben- und Adhäsionsklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 23. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Körperverletzung, sowie wegen Nötigung , wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung , wegen Körperverletzung und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dieser Strafe hat es ein Jahr Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt. Die Strafkammer hat den Angeklagten ferner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin in Höhe von 10.000 € verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der unter anderem wegen Vergewaltigung im Jahre 1989 zu einer Bewährungsstrafe vorverurteilte Angeklagte lernte im Jahr 2000 in einer Gaststätte in Delmenhorst die 15-jährige Nebenklägerin und deren Freundin L. kennen. Der als Automatenaufsteller tätig gewesene Angeklagte gab den Jugendlichen Getränke aus und der Nebenklägerin Geld für Cannabis. Sie begann in dieser Zeit mit dem Konsum von Alkohol. Sie erhielt später von dem Angeklagten auch längere Zeit Kokain. Sie begleitete den Angeklagten auf seinen beruflichen Fahrten und wurde seine Freundin. Der Angeklagte vermittelte ihr in Bremen Unterkünfte und ließ sie in der von ihm betriebenen Gaststätte „A. B. “ für zuletzt 5 € die Stunde arbeiten. Im Jahr 2003 besorgte der Angeklagte ihr eine Wohnung, die er vorwiegend nachts aufsuchte, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren. „Die Geschädigte war in vielen Fällen mit diesen sexuellen Handlungen einverstanden. Wenn der Angeklagte jedoch angetrunken und aggressiv war, setzte er sein Ansinnen gegen den erklärten Willen der Geschädigten häufig mit Gewalt durch. In solchen Situationen kam es auch zum Analverkehr gegen den Willen der Geschädigten. Der Angeklagte drückte der Geschädigten bei diesen Vorfällen z. B. ein Kissen auf ihren Kopf, damit ihre Schreie nicht zu hören waren, und legte sich mit seinem Gewicht auf sie. Obwohl die Geschädigte dann schrie und vor Aufregung schwitzte, drückte er ihre Beine auseinander und vollzog den Analverkehr. Die Geschädigte hatte bei diesem Vorgehen starke Schmerzen und ließ den Übergriff geschehen, bis der Angeklagte ejakuliert hatte“ (UA S. 6).
4
b) Das Landgericht hat sich von folgenden Taten des Angeklagten überzeugt:
5
Im Herbst 2003 oder 2004 schlug der alkoholisierte Angeklagte im Schlafzimmer der Nebenklägerin zweimal gegen deren Kopf. Er drückte gegen den Widerstand der jungen Frau deren Beine auseinander und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr. Die Nebenklägerin erlitt Hämatome und Kopfschmerzen (Fall 1: Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung).
6
In der ersten Julihälfte 2005 riss der alkoholisierte Angeklagte an den Haaren der Nebenklägerin, spreizte gegen ihren Widerstand ihre Beine und vollzog den Geschlechtsverkehr (Fall 2: Vergewaltigung).
7
Nach einer von der Nebenklägerin am 21. Juli 2005 veranlassten Abtreibung drängte der Angeklagte noch am gleichen Tag oder einen Tag spä- ter die Nebenklägerin im „A. B. “ in eine Ecke zwischen Tresen und Wand, riss fortwährend an ihren Haaren und vollzog nach einem Gerangel im Stehen den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr (Fall 3: Vergewaltigung).
8
Am 23. Juli 2005 hielt der Angeklagte der Nebenklägerin unter Todesdrohungen eine Schusswaffe an deren Kopf und verlangte die Unterzeichnung von Blankoschuldscheinen. Er sagte, sie solle unterschreiben, damit sie in seiner Schuld stünde und vom ihm nicht loskäme (Fall 4: Nötigung).
9
Am 26. Dezember 2005 beschimpfte der Angeklagte im „A. B. “ die Nebenklägerin. Er nahm einen großen gläsernen Aschenbecher und warf ihn in Richtung der Frau. Sie wich aus und flüchtete. Der Angeklagte verfolgte sie, schlug ihr ins Gesicht, stieß ihren Kopf gegen die Wand, riss an ihren Haaren und würgte sie (Fall 5: vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung).
10
Am 8. Mai 2006 trank die Nebenklägerin in einer Bäckerei Kaffee. Der Angeklagte trat hinzu, riss an ihren Haaren und schlug ihr gegen den Kopf (Fall 6: Körperverletzung).
11
Am 2. Juli 2006 bezeichnete der Angeklagte die Nebenklägerin als „Schlampe“ (Fall 7: Beleidigung).
12
c) Nach der Todesdrohung des Angeklagten floh die Nebenklägerin zu Verwandten nach Gütersloh. Der Angeklagte entschuldigte sich. Die Nebenklägerin kehrte nach Bremen zurück und war wieder mit dem Angeklagten zusammen. Am 8. Mai 2006 erstattete die Nebenklägerin Anzeige gegen den Angeklagten.
13
d) Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Taten 2 bis 4 der Urteilsgründe ausschließlich aufgrund der als uneingeschränkt glaubhaft bewerteten Aussage der Nebenklägerin überzeugt.
14
Hinsichtlich des Falles 1 hat das Landgericht eine Stütze der belastenden Aussage der Nebenklägerin in der Aussage der Zeugin L. gefunden , wonach diese zur Tatzeit in der Wohnung anwesend war und von einem im Schlafzimmer fortgesetzten Streit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin berichtet hat und davon, dass diese ihr weinend mitgeteilt habe , dass der Angeklagte sie geschlagen und mit ihr geschlafen habe.
15
Hinsichtlich des Falles 5 hat das Landgericht zusätzlich auf die – zwar in ihrer Beschränktheit nicht insgesamt glaubhafte – Aussage der Zeugin N. abgestellt, wonach der Angeklagte die Nebenklägerin beschimpft und einen großen Aschenbecher ergriffen habe. Aus weiteren, als glaubhaft bewerteten Zeugenbekundungen hat sich das Landgericht ersichtlich vom Charakter der von Unterdrückung und Gewaltausübung geprägten Beziehung des Angeklagten zu der Nebenklägerin überzeugt. Es hat insoweit auf die Aussage der Zeugin L. abgestellt, die schilderte, dass der Angeklagte in zwei Fällen nach einem Streit im „A. B. “ die Nebenklägerin auf der Straße verfolgt, sie mit Fäusten geschlagen und sie getreten habe, als sie auf dem Boden gelegen habe, ferner auf die Aussage der Zeugin Koz. , die eine Beleidigung der Nebenklägerin durch den Angeklagten miterlebt habe und die Offenbarungszeugin für Schläge und Beschimpfungen des Angeklagten geworden sei.
16
Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten und geltend gemacht, er habe lange Zeit den Lebensunterhalt der Nebenklägerin finanziert. Erhabe sich wegen einer anderen Frau von ihr getrennt. Daraufhin habe sie ihm gedroht , ihn „fertig zu machen“.
17
Das Landgericht hat Rache als Falschbelastungsmotiv ausgeschlossen , weil die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung vom 8. Mai 2006 schon mehrere Monate keine Beziehung mehr zum Angeklagten gehabt habe und sich keine Hinweise darauf ergeben hätten, dass die Nebenklägerin den Angeklagten hätte „fertig machen“ wollen.
18
2. Soweit das Landgericht in den Fällen 2 bis 4 die Verurteilung ausschließlich auf die belastenden Angaben der Nebenklägerin stützt, offenbart die Beweiswürdigung sachlichrechtliche Fehler. Sie bezieht festgestellte Umstände nicht ein, die nach den hier aufgrund der gegebenen Beweissituation geltenden Anforderungen mit hätten bewertet werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Ferner bleibt die Darstellung der Entwicklung der Aussagen der Nebenklägerin zumindest unvollständig.
19
a) Das Landgericht hat das Falschbelastungsmotiv „Rache“ nur un- vollständig bewertet (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2010 – 5 StR 157/10; BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, StraFo 2003, 312).
20
aa) Zwar mag ein Zeitablauf von fünf Monaten nach der – vom Landgericht hinsichtlich des Verursachers gar nicht aufgeklärten – Trennung eine Eifersucht auf die neue Beziehung des Angeklagten als Quelle einer aus Rache erfolgten Falschbelastung ausschließen können. Dies gilt aber nicht für die weiter festgestellte, indes nicht gewürdigte Empfindung der Nebenklägerin , durch ihr Leben mit dem Angeklagten fühle sie sich vorgealtert, kraftlos und habe das Gefühl, ihrer Jugend beraubt zu sein.
21
bb) Auch wenn es zu bedenken gilt, dass ein Vergewaltigungsopfer aus berechtigtem Zorn eine Bestrafung erstreben kann und deshalb eine von Belastungseifer getragene Aussage keineswegs zwingend Glaubhaftigkeitsbedenken ausgesetzt ist (vgl. BGH StraFo aaO), hat es das Landgericht hier in einem weiteren Zusammenhang unterlassen, eine mögliche Falschaussage der Nebenklägerin zu erwägen.
22
Die Strafkammer hat einerseits die Aussage der Nebenklägerin als glaubhaft angesehen, nie zu jemandem gesagt zu haben, dass sie den Angeklagten habe „fertig machen“ wollen (UA S. 18). Andererseits hat das Landgericht den Zeugenaussagen der Eheleute A. , die Nebenklägerin habe ihnen gesagt, dass sie bis zum Letzten gehen und den Angeklagten „in den Knast bringen“ würde, jeglichen Beweiswert abgesprochen. Selbst wenn sich die Geschädigte in der Weise geäußert haben sollte, lasse dies keinen Rückschluss darauf zu, dass sie falsche Angaben über die Geschehnisse gemacht habe. Mit dieser Erwägung hat es das Landgericht indes versäumt, eine im Raum stehende Falschaussage der einzigen Belastungszeugin über eigene Äußerungen gegenüber Dritten in die Prüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Übrigen einzubeziehen.
23
b) Das Landgericht hat es ferner unterlassen, aus den Feststellungen sich als wahrscheinlich aufdrängende, indes von der Nebenklägerin unterlassene Handlungen in die Erwägungen einzubeziehen. Hierdurch sind festgestellte Umstände lückenhaft bewertet geblieben (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401).
24
Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin – sie sei Opfer schwerster – freilich nicht angeklagter – anal ausgeführter schmerzhafter Vergewaltigungen geworden, bei denen ihre Schreie durch ein jeweils auf ihren Kopf gedrücktes Kissen unterdrückt worden seien, als glaubhaft bewertet. Es hat dabei nicht erwogen, warum die Nebenklägerin den sich aus der Vornahme solcher Verbrechen entstehenden Impuls zurFlucht überwunden hat und – überdies ohne Offenbarung gegenüber einer Vertrauensperson – bei dem Angeklagten verblieben ist. Die kritiklose Hinnahme der Erklärung der Nebenklägerin durch das Landgericht, „sie sei aus der Beziehung ir- gendwie nicht rausgekommen“ (UA S. 15), ersetzt die gebotene eigene Wür- digung nicht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. November 2003 – 5 StR 400/03). Gleiches gilt hinsichtlich des Umstands, dass die Nebenklä- gerin nach ihrer Flucht zu Verwandten zu dem Angeklagten zurückgekehrt ist, ohne dass erwogen worden ist, ob es zu einer sich aufdrängenden Vereinbarung über die Vernichtung der abgepressten Blankoschuldscheine gekommen ist.
25
c) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin erweckt zudem die Besorgnis von deren Unvollständigkeit, was die gebotene umfassende Glaubhaftigkeitsprüfung nicht hinreichend erkennbar und nachvollziehbar macht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02).
26
Es bleibt offen, ob die Bewertung des Landgerichts, dass im Kerngeschehen keine Abweichungen vorhanden seien, sich allein auf die angeklagten Tatvorwürfe oder auch auf die analen Vergewaltigungen bezieht. Soweit die Strafkammer festgestellt hat, es sei im weiteren Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung „lediglich zu Erweiterungen der ursprünglich gemachten Aussage“ gekommen, wird die gebotene Prüfung unterlassen, ob durch die Erweiterungen die Glaubhaftigkeit des ursprünglich Gesagten bestärkt oder in Zweifel zu ziehen gewesen wäre.
27
3. Der Fehler der Beweiswürdigung entzieht nicht nur den Schuldsprüchen die Grundlage, die ausschließlich auf der Aussage der Nebenklägerin beruhen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen umfänglichen Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch in den übrigen Fällen zu einer anderen Urteilung gekommen wäre.
Raum Brause Schaal
Schneider König
5 StR 136/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 16. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 28. September 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter und vollendeter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat be- merkt insoweit ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts, daß Verfolgungsverjährung gemäß Art. 315 Abs. 4 EGStGB, § 7 Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative StGB, § 78 Abs. 3 Ziffer 2 StGB (vgl. BGHSt 39, 317, 320; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 2 Rdn. 27) und § 78b Abs. 1 Ziffer 1 StGB nicht eingetreten ist.
1. Die Revision erzielt mit der Sachrüge einen Teilerfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht an.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlichrechtlicher Fehler liegt aber u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (st. Rspr. BGHSt 29, 18, 20; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 m. w. N.) und der Tatrichter in einem Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, nicht erkennen läßt, daß er alle Umstände , die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; BGH NStZ 2000, 496, 497).
Diesen hohen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Aussage der Stieftochter des Angeklagten, der die Tatbegehung bestreitet, nicht gerecht.
Die einzige Zeugin hatte im Juni 1998 im Rahmen einer polizeilichen und richterlichen Vernehmung – eher detailarm – über eine Vergewaltigung mit vaginalem Geschlechtsverkehr durch den Angeklagten als Sechzehnjährige im Sommer 1990 (richtig 1989) berichtet (UA S. 14 f.). In der über drei Jahre später stattgefundenen Hauptverhandlung schilderte sie die gleichen Begleitumstände, aber als Tathandlungen lediglich Anfassen am Busen und an der Scheide, und verneinte auch auf Nachfrage jede Penetration durch den Angeklagten (UA S. 20). Ohne eine ins Einzelne gehende Erinnerung schloû sie sich dann dem Inhalt ihrer früheren richterlichen Vernehmung an, auf deren Grundlage die Verurteilung erfolgte. Sie erklärte, sich an das Geschehen 1989 nicht mehr hundertprozentig erinnern zu können, aber 1998 über eine bessere Erinnerung verfügt zu haben (UA S. 20).
Bei dieser Sachlage wäre das Landgericht verpflichtet gewesen, die Erkenntnisquellen zur Aussageentstehung auszuschöpfen und die Umstände der Aussagen der Zeugin, die die weitergehende Belastung enthalten, darzustellen und in die Würdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHSt 45, 164, 169; BGH NStZ 2000, 496, 497; Nack StraFo 2001, 1, 4 m. w. N.). Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Es begegnet ferner durchgreifenden Bedenken, daû das Landgericht den Erinnerungsverlust der Zeugin ohne kritische Würdigung der von ihr dafür abgegebenen Erklärungen und weiterer Umstände nachvollzogen hat. Deshalb ist zu besorgen, daû es der Aussage in der Hauptverhandlung eine zu geringe und den früheren Aussagen eine zu groûe Bedeutung beigemessen hat.
Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Der neue Tatrichter wird im Falle eines Schuldspruchs auch Gelegenheit haben, die Zeiten der unterlassenen Förderung des Verfahrens beim Landgericht von der Anklageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. BGHSt 45, 308, 309 m. w. N.) zu würdigen.
Harms Häger Raum Brause Schaal
5 StR 236/06

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 12. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2006

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Februar 2006 nach § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte im Fall 1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln – jeweils in nicht geringer Menge – in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der Verurteilung im ersten Fall Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat sich aufgrund der Aussage der zur Tatzeit 18 Jahre alten Zeugin L. davon überzeugt, dass diese im Auftrag des Angeklagten aus der Dominikanischen Republik am 15. Oktober 2004 etwa 480 g in ca. 60 Packungen verschlucktes hochwertiges Kokain nach Hamburg und am 14. November 2004 auf die gleiche Art weitere 650 g nach Düsseldorf transportierte. Eine Durchsuchung der Wohnung der Freundin des Angeklagten in Hamburg, in der auch die Zeugin L. gemeldet war, förderte den Angeklagten belastende Indizien, dessen Reisepass, Buchungsunterlagen für eine Reise von Hamburg in die Dominikanische Republik mit einem Rückflug am 7. November 2004 und zwei den Auftraggeber verschleiernde Überweisungsträger zu Tage. Danach wurden der am 30. Oktober 2004 in Puerto Plata befindlichen Zeugin 470 € überwiesen. Die Zeugin hat in einer Vernehmung durch Zollbeamte am 2. Dezember 2004 den hier ausgeurteilten ersten Drogentransport und in der Hauptverhandlung eine weitere im April 2004 durchgeführte Einfuhr eingeräumt, ohne dass dafür Verdachtsmomente bestanden hätten. Sie zeigte in Hamburg Zollbeamten eine Wohnung, in der sie ihren ehemaligen Freund, einen portugiesischen Drogenhändler, besucht hatte. Das Amtsgericht Düsseldorf hat die Zeugin wegen der Tat vom November 2004 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
3
2. Die Revision bleibt erfolglos, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen der am 14. November 2004 erfolgten Einfuhr richtet. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen § 244 Abs. 6 StPO verstoßen, weil ein Antrag der Verteidigung, den „zur Zeit im Justizvollzug in Portugal“ befindlichen, namentlich benannten ehemaligen Freund der Belastungszeugin zu Reisen in die Dominikanische Republik zu hören, scheitert bereits an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Im Revisionsvorbringen wird die Angabe eines konkret bezeichneten Beweismittels in dem Antrag nicht belegt (vgl. BGHSt 40, 3, 5; BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 40), weil der Aufenthaltsort des Zeugen nicht mitgeteilt wird (vgl. BGH StV 1998, 4). Als Aufklärungsrüge müsste die Beanstandung unter demselben Gesichtspunkt unvollständigen Rügevorbringens scheitern (vgl. BGHR aaO m.w.N). Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält darüber hinaus sachlichrechtlicher Prüfung ohne weiteres stand. Die Aussage der Belastungszeugin wird insoweit durch objektive, den schweigenden Angeklagten belastende Indizien gestützt.
4
3. Indes ist das Rechtsmittel erfolgreich, soweit es sich mit der Sachrüge gegen die Verurteilung wegen der Einfuhr am 15. Oktober 2004 richtet. Zwar entfalten objektive Belastungsindizien in der Regel über den sie betreffenden Einzelfall hinaus eine den Angeklagten belastende Wirkung auch für einen angelasteten Parallelfall (vgl. BGH wistra 2002, 260, 262; 430, 431). Solches reicht vorliegend aufgrund der Besonderheiten der Beweislage aber nicht aus, um zusammen mit der Aussage der Belastungszeugin eine tragfähige Tatsachengrundlage für eine Verurteilung zu bilden (vgl. BGH StV 2002, 235), weil das Landgericht zahlreiche Qualitätsmängel der Aussage der Belastungszeugin mit unzutreffenden Erwägungen relativiert hat (vgl. Sander StV 2000, 45, 47).
5
Die Belastungszeugin konnte in der Hauptverhandlung nicht präzisieren, wann sie mit ihrem früheren Freund, mit dem sie ihrer Einschätzung nach 2004 über drei Monate eine intime Beziehung unterhalten hatte, in die Dominikanische Republik gereist war. Während ihrer Vernehmung durch Zollbeamte am 2. Dezember 2004 hat die Zeugin angegeben, der Angeklagte habe sie (erst) vor etwa zwei Monaten zum Kokainschmuggel überredet. Die Angaben der Zeugin zu dem vom Angeklagten versprochenen Kurierlohn schwankten in ihren Aussagen vom 15. und 16. November 2004, 5. Januar 2005 und in der Hauptverhandlung zwischen 10.000, 3.000, 4.000 und etwa 3.000 €. Ferner hat die Zeugin in der Hauptverhandlung widersprüchliche Angaben zu den Männern gemacht, die ihr am 15. Oktober und 14. November 2004 in Puerto Plata das Rauschgift übergeben hatten. Nach ihrer ersten Aussage habe es sich jeweils um die gleichen – unbekannten – Personen gehandelt, danach hat sie erklärt, im Oktober sei dies der Bruder des Angeklagten gewesen.
6
Das Landgericht würdigt diese Qualitätsmängel in der Aussage der Zeugin als Ungereimtheiten, die auf ungenaue Gedächtnisleistungen zurück zu führen seien, weil die Zeugin, wie ihr früherer Verteidiger bekundet habe, nicht in der Lage sei, komplexe Sachverhalte wiederzugeben. Indes reicht diese Erwägung, wie es die Revision auch vorträgt, nicht aus, die festgestellten Fragwürdigkeiten in der gebotenen Gesamtschau (vgl. BGH StV 1997, 513, 514; BGH, Beschluss vom 16. Februar 2005 – 5 StR 490/04) plausibel zu erläutern. Die Qualitätsmängel betreffen mit dem Zeitpunkt der Anwerbung durch den Angeklagten, der erzielten Höhe des Kurierlohns und vor dem Hintergrund des medikamentös unterstützten, von den Rauschgiftlieferanten demonstrierten, für die Zeugin sogar eine Lebensgefahr begründenden Verschluckens der Rauschgiftpäckchen wesentliche Tatumstände. Diese und auch die zeitliche Einordnung von vier Fernreisen innerhalb eines Jahres betreffen gerade keine komplexen, sondern einfache Sachverhalte, weshalb eine weitergehende kritische Prüfung geboten gewesen wäre, warum die unsicheren und widersprüchlichen Angaben der ersichtlich normal begabten, noch jungen Zeugin ihre Aussagen zur Täterschaft des Angeklagten nicht erfassen konnten. Dies gilt umso mehr, als die Zeugin auch über ihren ehemaligen Freund in eine gewisse Nähe zum Drogenmarkt in der Dominikanischen Republik gelangt sein könnte. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung.
7
4. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 führt wegen des Wegfalls der Einsatzstrafe zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe. Die im Fall 2 ausgeurteilte Freiheitsstrafe von drei Jahren kann bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird naheliegend die von der Mutter der Belastungszeugin geäußerte Verwicklung des Freundes ihrer Tochter in Drogengeschäfte des Angeklagten (Revisionsbegründung S. 11) zu prüfen und gegebenenfalls zu bewerten haben. Sollten sich in der Aussage der Belastungszeugin die bisher festgestellten Qualitätsmängel wiederholen, wird es eine ins einzelne gehende Darstellung und Bewertung der die Mängel begründenden Umstände und einer Betrachtung der Entwicklung der verschiedenen Aussagen in einer lückenlosen Gesamtwürdigung bedürfen (vgl. BGH NJW 2003, 2250 m.w.N.; BGH StV 2005, 253, 254).
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal
5 StR 433/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 24. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Januar
2012, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ko.
als Vertreter der Neben- und Adhäsionsklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 23. Mai 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Körperverletzung, sowie wegen Nötigung , wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung , wegen Körperverletzung und wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von dieser Strafe hat es ein Jahr Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt. Die Strafkammer hat den Angeklagten ferner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin in Höhe von 10.000 € verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der unter anderem wegen Vergewaltigung im Jahre 1989 zu einer Bewährungsstrafe vorverurteilte Angeklagte lernte im Jahr 2000 in einer Gaststätte in Delmenhorst die 15-jährige Nebenklägerin und deren Freundin L. kennen. Der als Automatenaufsteller tätig gewesene Angeklagte gab den Jugendlichen Getränke aus und der Nebenklägerin Geld für Cannabis. Sie begann in dieser Zeit mit dem Konsum von Alkohol. Sie erhielt später von dem Angeklagten auch längere Zeit Kokain. Sie begleitete den Angeklagten auf seinen beruflichen Fahrten und wurde seine Freundin. Der Angeklagte vermittelte ihr in Bremen Unterkünfte und ließ sie in der von ihm betriebenen Gaststätte „A. B. “ für zuletzt 5 € die Stunde arbeiten. Im Jahr 2003 besorgte der Angeklagte ihr eine Wohnung, die er vorwiegend nachts aufsuchte, um mit ihr geschlechtlich zu verkehren. „Die Geschädigte war in vielen Fällen mit diesen sexuellen Handlungen einverstanden. Wenn der Angeklagte jedoch angetrunken und aggressiv war, setzte er sein Ansinnen gegen den erklärten Willen der Geschädigten häufig mit Gewalt durch. In solchen Situationen kam es auch zum Analverkehr gegen den Willen der Geschädigten. Der Angeklagte drückte der Geschädigten bei diesen Vorfällen z. B. ein Kissen auf ihren Kopf, damit ihre Schreie nicht zu hören waren, und legte sich mit seinem Gewicht auf sie. Obwohl die Geschädigte dann schrie und vor Aufregung schwitzte, drückte er ihre Beine auseinander und vollzog den Analverkehr. Die Geschädigte hatte bei diesem Vorgehen starke Schmerzen und ließ den Übergriff geschehen, bis der Angeklagte ejakuliert hatte“ (UA S. 6).
4
b) Das Landgericht hat sich von folgenden Taten des Angeklagten überzeugt:
5
Im Herbst 2003 oder 2004 schlug der alkoholisierte Angeklagte im Schlafzimmer der Nebenklägerin zweimal gegen deren Kopf. Er drückte gegen den Widerstand der jungen Frau deren Beine auseinander und vollzog den vaginalen Geschlechtsverkehr. Die Nebenklägerin erlitt Hämatome und Kopfschmerzen (Fall 1: Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung).
6
In der ersten Julihälfte 2005 riss der alkoholisierte Angeklagte an den Haaren der Nebenklägerin, spreizte gegen ihren Widerstand ihre Beine und vollzog den Geschlechtsverkehr (Fall 2: Vergewaltigung).
7
Nach einer von der Nebenklägerin am 21. Juli 2005 veranlassten Abtreibung drängte der Angeklagte noch am gleichen Tag oder einen Tag spä- ter die Nebenklägerin im „A. B. “ in eine Ecke zwischen Tresen und Wand, riss fortwährend an ihren Haaren und vollzog nach einem Gerangel im Stehen den vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr (Fall 3: Vergewaltigung).
8
Am 23. Juli 2005 hielt der Angeklagte der Nebenklägerin unter Todesdrohungen eine Schusswaffe an deren Kopf und verlangte die Unterzeichnung von Blankoschuldscheinen. Er sagte, sie solle unterschreiben, damit sie in seiner Schuld stünde und vom ihm nicht loskäme (Fall 4: Nötigung).
9
Am 26. Dezember 2005 beschimpfte der Angeklagte im „A. B. “ die Nebenklägerin. Er nahm einen großen gläsernen Aschenbecher und warf ihn in Richtung der Frau. Sie wich aus und flüchtete. Der Angeklagte verfolgte sie, schlug ihr ins Gesicht, stieß ihren Kopf gegen die Wand, riss an ihren Haaren und würgte sie (Fall 5: vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung).
10
Am 8. Mai 2006 trank die Nebenklägerin in einer Bäckerei Kaffee. Der Angeklagte trat hinzu, riss an ihren Haaren und schlug ihr gegen den Kopf (Fall 6: Körperverletzung).
11
Am 2. Juli 2006 bezeichnete der Angeklagte die Nebenklägerin als „Schlampe“ (Fall 7: Beleidigung).
12
c) Nach der Todesdrohung des Angeklagten floh die Nebenklägerin zu Verwandten nach Gütersloh. Der Angeklagte entschuldigte sich. Die Nebenklägerin kehrte nach Bremen zurück und war wieder mit dem Angeklagten zusammen. Am 8. Mai 2006 erstattete die Nebenklägerin Anzeige gegen den Angeklagten.
13
d) Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Taten 2 bis 4 der Urteilsgründe ausschließlich aufgrund der als uneingeschränkt glaubhaft bewerteten Aussage der Nebenklägerin überzeugt.
14
Hinsichtlich des Falles 1 hat das Landgericht eine Stütze der belastenden Aussage der Nebenklägerin in der Aussage der Zeugin L. gefunden , wonach diese zur Tatzeit in der Wohnung anwesend war und von einem im Schlafzimmer fortgesetzten Streit zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin berichtet hat und davon, dass diese ihr weinend mitgeteilt habe , dass der Angeklagte sie geschlagen und mit ihr geschlafen habe.
15
Hinsichtlich des Falles 5 hat das Landgericht zusätzlich auf die – zwar in ihrer Beschränktheit nicht insgesamt glaubhafte – Aussage der Zeugin N. abgestellt, wonach der Angeklagte die Nebenklägerin beschimpft und einen großen Aschenbecher ergriffen habe. Aus weiteren, als glaubhaft bewerteten Zeugenbekundungen hat sich das Landgericht ersichtlich vom Charakter der von Unterdrückung und Gewaltausübung geprägten Beziehung des Angeklagten zu der Nebenklägerin überzeugt. Es hat insoweit auf die Aussage der Zeugin L. abgestellt, die schilderte, dass der Angeklagte in zwei Fällen nach einem Streit im „A. B. “ die Nebenklägerin auf der Straße verfolgt, sie mit Fäusten geschlagen und sie getreten habe, als sie auf dem Boden gelegen habe, ferner auf die Aussage der Zeugin Koz. , die eine Beleidigung der Nebenklägerin durch den Angeklagten miterlebt habe und die Offenbarungszeugin für Schläge und Beschimpfungen des Angeklagten geworden sei.
16
Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten und geltend gemacht, er habe lange Zeit den Lebensunterhalt der Nebenklägerin finanziert. Erhabe sich wegen einer anderen Frau von ihr getrennt. Daraufhin habe sie ihm gedroht , ihn „fertig zu machen“.
17
Das Landgericht hat Rache als Falschbelastungsmotiv ausgeschlossen , weil die Nebenklägerin zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung vom 8. Mai 2006 schon mehrere Monate keine Beziehung mehr zum Angeklagten gehabt habe und sich keine Hinweise darauf ergeben hätten, dass die Nebenklägerin den Angeklagten hätte „fertig machen“ wollen.
18
2. Soweit das Landgericht in den Fällen 2 bis 4 die Verurteilung ausschließlich auf die belastenden Angaben der Nebenklägerin stützt, offenbart die Beweiswürdigung sachlichrechtliche Fehler. Sie bezieht festgestellte Umstände nicht ein, die nach den hier aufgrund der gegebenen Beweissituation geltenden Anforderungen mit hätten bewertet werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.). Ferner bleibt die Darstellung der Entwicklung der Aussagen der Nebenklägerin zumindest unvollständig.
19
a) Das Landgericht hat das Falschbelastungsmotiv „Rache“ nur un- vollständig bewertet (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2010 – 5 StR 157/10; BGH, Urteil vom 27. März 2003 – 1 StR 524/02, StraFo 2003, 312).
20
aa) Zwar mag ein Zeitablauf von fünf Monaten nach der – vom Landgericht hinsichtlich des Verursachers gar nicht aufgeklärten – Trennung eine Eifersucht auf die neue Beziehung des Angeklagten als Quelle einer aus Rache erfolgten Falschbelastung ausschließen können. Dies gilt aber nicht für die weiter festgestellte, indes nicht gewürdigte Empfindung der Nebenklägerin , durch ihr Leben mit dem Angeklagten fühle sie sich vorgealtert, kraftlos und habe das Gefühl, ihrer Jugend beraubt zu sein.
21
bb) Auch wenn es zu bedenken gilt, dass ein Vergewaltigungsopfer aus berechtigtem Zorn eine Bestrafung erstreben kann und deshalb eine von Belastungseifer getragene Aussage keineswegs zwingend Glaubhaftigkeitsbedenken ausgesetzt ist (vgl. BGH StraFo aaO), hat es das Landgericht hier in einem weiteren Zusammenhang unterlassen, eine mögliche Falschaussage der Nebenklägerin zu erwägen.
22
Die Strafkammer hat einerseits die Aussage der Nebenklägerin als glaubhaft angesehen, nie zu jemandem gesagt zu haben, dass sie den Angeklagten habe „fertig machen“ wollen (UA S. 18). Andererseits hat das Landgericht den Zeugenaussagen der Eheleute A. , die Nebenklägerin habe ihnen gesagt, dass sie bis zum Letzten gehen und den Angeklagten „in den Knast bringen“ würde, jeglichen Beweiswert abgesprochen. Selbst wenn sich die Geschädigte in der Weise geäußert haben sollte, lasse dies keinen Rückschluss darauf zu, dass sie falsche Angaben über die Geschehnisse gemacht habe. Mit dieser Erwägung hat es das Landgericht indes versäumt, eine im Raum stehende Falschaussage der einzigen Belastungszeugin über eigene Äußerungen gegenüber Dritten in die Prüfung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Übrigen einzubeziehen.
23
b) Das Landgericht hat es ferner unterlassen, aus den Feststellungen sich als wahrscheinlich aufdrängende, indes von der Nebenklägerin unterlassene Handlungen in die Erwägungen einzubeziehen. Hierdurch sind festgestellte Umstände lückenhaft bewertet geblieben (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401).
24
Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin – sie sei Opfer schwerster – freilich nicht angeklagter – anal ausgeführter schmerzhafter Vergewaltigungen geworden, bei denen ihre Schreie durch ein jeweils auf ihren Kopf gedrücktes Kissen unterdrückt worden seien, als glaubhaft bewertet. Es hat dabei nicht erwogen, warum die Nebenklägerin den sich aus der Vornahme solcher Verbrechen entstehenden Impuls zurFlucht überwunden hat und – überdies ohne Offenbarung gegenüber einer Vertrauensperson – bei dem Angeklagten verblieben ist. Die kritiklose Hinnahme der Erklärung der Nebenklägerin durch das Landgericht, „sie sei aus der Beziehung ir- gendwie nicht rausgekommen“ (UA S. 15), ersetzt die gebotene eigene Wür- digung nicht (vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. November 2003 – 5 StR 400/03). Gleiches gilt hinsichtlich des Umstands, dass die Nebenklä- gerin nach ihrer Flucht zu Verwandten zu dem Angeklagten zurückgekehrt ist, ohne dass erwogen worden ist, ob es zu einer sich aufdrängenden Vereinbarung über die Vernichtung der abgepressten Blankoschuldscheine gekommen ist.
25
c) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin erweckt zudem die Besorgnis von deren Unvollständigkeit, was die gebotene umfassende Glaubhaftigkeitsprüfung nicht hinreichend erkennbar und nachvollziehbar macht (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02).
26
Es bleibt offen, ob die Bewertung des Landgerichts, dass im Kerngeschehen keine Abweichungen vorhanden seien, sich allein auf die angeklagten Tatvorwürfe oder auch auf die analen Vergewaltigungen bezieht. Soweit die Strafkammer festgestellt hat, es sei im weiteren Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung „lediglich zu Erweiterungen der ursprünglich gemachten Aussage“ gekommen, wird die gebotene Prüfung unterlassen, ob durch die Erweiterungen die Glaubhaftigkeit des ursprünglich Gesagten bestärkt oder in Zweifel zu ziehen gewesen wäre.
27
3. Der Fehler der Beweiswürdigung entzieht nicht nur den Schuldsprüchen die Grundlage, die ausschließlich auf der Aussage der Nebenklägerin beruhen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen umfänglichen Bewertung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage der Nebenklägerin auch in den übrigen Fällen zu einer anderen Urteilung gekommen wäre.
Raum Brause Schaal
Schneider König