Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2012 - 5 StR 428/12

bei uns veröffentlicht am09.10.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 428/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 9. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Oktober 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen der Taten 1 bis 3 (Vergewaltigung , vorsätzliche Körperverletzung in zwei Fällen) verurteilt worden ist, und
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Ferner hat es ihn verurteilt, an die Nebenklägerin 7.250 € Schmerzensgeld zu bezahlen. Gegen das Urteil rich- tet sich die auf Verfahrensrügen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit einer Verfahrens- rüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterhielten der Angeklagte und die Nebenklägerin seit Februar 2009 eine sich bis in den Herbst 2010 erstreckende Intimbeziehung.
3
a) Bereits zu Anfang, nämlich zwischen dem 16. April und dem 19. Juni 2009, schlug und trat der Angeklagte die Nebenklägerin gegen Kopf und Oberschenkel, weil sie einen Trennungswunsch ausgesprochen hatte; sie war wegen der Gewalttätigkeit des Angeklagten so sehr verängstigt, dass sie einnässte (Tat 1 – Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate). Noch am Abend desselben Tages vergewaltigte der Angeklagte die Nebenklägerin und würgte sie dabei so stark, dass sie kaum noch atmen konnte und Todesangst litt; abermals hatte die Nebenklägerin zuvor gesagt, sich vom Angeklagten trennen zu wollen (Tat 2 – Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe).
4
b) Trotz der Taten blieb die Nebenklägerin mit dem Angeklagten zusammen. Grund war ihre Angst vor weiteren Gewalttätigkeiten, jedoch auch, dass ihre Zuneigung für ihn nicht „völlig vergangen war und sie überdies die Sexualität mit ihm nicht missen wollte“ (UA S. 24). Die weitere Beziehung war geprägt von häufigen Sexualakten, teils auch unter Hinzuziehung weiterer Sexualpartner, namentlich in Swingerclubs. In der Wohnung wurden Spiegelfliesen angebracht, um die Selbstbeobachtung beim Geschlechtsverkehr zu ermöglichen. Beide ließen sich Intimpiercings anbringen sowie den Vornamen des jeweils anderen auf den Rücken tätowieren. Die Nebenklägerin schenkte dem Angeklagten im Herbst 2009 eine teure Motorradjacke und finanzierte ihm im Frühjahr 2010 ein Motorrad im Wert von knapp 10.000 €.
5
Mitte des Jahres 2010 verschlechterten sich die Verhältnisse. Die Nebenklägerin erwirkte am 29. Juni 2010 eine Anordnung nach dem Gewalt- schutzgesetz gegen den Angeklagten und erstattete wegen verschiedener Vorfälle mehrfach Strafanzeige gegen ihn. Dass sie von ihm im Frühjahr 2009 schwer misshandelt und anschließend vergewaltigt worden war, erwähnte sie weder im Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz noch bei ihren Strafanzeigen. Sie offenbarte sich auch Vertrauenspersonen nicht. Trotz ihrer gegen den Angeklagten unternommen Maßnahmen hatte sie mit ihm weiterhin auch sexuelle Kontakte; Ende Juli 2010 verbrachten sie und der Angeklagte einen Urlaub in Tunesien. Zuvor hatten sie eine Vielzahl liebevoller Kurznachrichten ausgetauscht. Nach Rückkehr aus dem Urlaub verschärften sich die Partnerschaftsprobleme. Gleichwohl verkehrten die Nebenklägerin und der Angeklagte geschlechtlich miteinander, so im Rahmen eines Besuchs in einem Swingerclub am 29. August 2010, und trafen sich ungeachtet von der Nebenklägerin im Rahmen des Gewaltschutzverfahrens danach unternommener Initiativen bis etwa Anfang November 2010 einvernehmlich miteinander.
6
c) Am frühen Morgen des 12. November 2010 wartete der Angeklagte vor einem Club auf die Nebenklägerin, in dem diese als Stripteasetänzerin arbeitete. Er geriet in Wut und biss die Nebenklägerin in die Nase, woraufhin diese ihm Reizgas ins Gesicht sprühte; er schlug mit den Fäusten auf sie ein, bis sie sich nach einem weiteren Sprühstoß retten konnte (Tat 3 – Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate). Einige Stunden später passte der Angeklagte die Nebenklägerin vor ihrem Wohnhaus ab und verfolgte sie bei einem Fluchtversuch ; er stieß sie mit der Folge von Schürfwunden in eine Hecke (Tat 4 – Einzelfreiheitsstrafe vier Monate) und schlug deren ihr zu Hilfe eilenden Bekannten gegen den Kopf, wodurch er Platzwunden verursachte und dessen Brille zerstörte (Tat 5 – Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate).
7
d) Mit ihrem Bekannten erstattete die Nebenklägerin noch am 12. November 2010 (erneut) Strafanzeige gegen den Angeklagten. Abermals teilte sie die Taten 1 und 2 nicht mit. Den Vergewaltigungsvorwurf erhob sie erst in einem Telefongespräch mit einer Polizeibeamtin am 30. November 2010.
8
e) Bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung behauptete die Nebenklägerin , es habe nach der Vergewaltigung keinen freiwilligen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten mehr gegeben; sie habe sich beim Sex „wie eine Puppe“ verhalten. Die Beziehung habe sie nur gezwungener- maßen und aus Angst vor dem Angeklagten fortgesetzt.
9
Diese Aussage und eine Reihe von der Nebenklägerin in diesem Zusammenhang gemachter Einzelangaben hat das Landgericht nach Beweiserhebung widerlegt. Die Unwahrheiten stellten die Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen insbesondere zu den Taten 1 und 2 jedoch nicht in Frage. Sie beträfen nicht das Kerngeschehen. Das Aussageverhalten der Nebenkläge- rin sei „offensichtlich besetzt von Gefühlen der Scham, von greifenden Ver- drängungsmechanismen, die zu Erinnerungslücken bzw. zu der Unfähigkeit geführt haben, sich (und der Kammer) die noch lange Zeit nach der Verge- waltigung anhaltende Ambivalenz der eigenen Gefühle einzugestehen“ (UA S. 69).
10
2. Die Revision dringt im Umfang der Aufhebung mit einer Verfahrensrüge durch.
11
a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
12
Die Verteidigerin hatte die Einholung eines „psychiatrisch-psychologischen“ Gutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass die Neben- klägerin, auf deren Aussage die Feststellungen zu den Taten 1 und 2 ausschließlich beruhen, an einer psychischen Störung leide, die ihre Aussagetüchtigkeit in Frage stelle. Zur Begründung führte sie das wechselvolle Verhalten der Nebenklägerin im Rahmen der Beziehung sowie die Widersprüche in deren Aussageverhalten auf. Den – durch die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin befürworteten – Beweisantrag hat das Landgericht wegen eigener Sachkunde nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO abgelehnt. Es sei „ge- richtsbekannt, dass ambivalentes Beziehungsverhalten – insbesondere in einer bereits mehrere Monate anhaltenden Trennungsphase – nicht unüblich ist und damit für sich gesehen keine Grundlage für die Annahme einer psy- chischen Störung bilden kann“.
13
b) Mit dem Generalbundesanwalt geht der Senat trotz Nichtvorlage einiger im Beweisantrag benannter Schriftstücke von der Zulässigkeit der Verfahrensrüge im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO aus. Denn das Urteil befasst sich eingehend mit den maßgebenden, auch von der Verteidigerin benannten Anknüpfungstatsachen in Bezug auf eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der Nebenklägerin, womit dem Senat die uneingeschränkte Sachprüfung der Verfahrensbeanstandung eröffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385 mwN, Beschluss vom 23. Mai 2012 – 5 StR 174/12, StraFo 2012, 268).
14
c) Die Rüge hat in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden. Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor.
15
Die Strafkammer legt ihrer Beweiswürdigung zugrunde, dass der Nebenklägerin der Zugang zu ihrer Erinnerung in Bezug auf die weitere Beziehung mit dem Angeklagten sowie hinsichtlich einiger sehr markanter Gege- benheiten in deren Verlauf aufgrund von „Verdrängungsmechanismen“ bis hin zu vollständiger Amnesie verschlossen war. Betroffen ist insoweit unter anderem der gemeinsame Besuch im Swingerclub im August 2010, den die Nebenklägerin sogar noch bestritten hatte, nachdem ihr die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vorgespielt worden war, in dem sie sich beim Angeklagten für den schönen Abend bedankt und es als besonders wichtig be- zeichnet hatte, dass „er gekommen sei“. Mangels – im Urteil nicht dargeleg- ter – besonderer Sachkunde durfte das Landgericht aber nicht davon ausgehen , ein Zustand gänzlicher Erinnerungslosigkeit an derartige Ereignisse bei andererseits voll erhaltenem Erinnerungsvermögen betreffend die Details viel weiter zurückliegender Ereignisse sei möglich und bei der Nebenklägerin eingetreten. Das Landgericht hätte daher entsprechend dem Beweisbegehren des Angeklagten sachverständige Hilfe zuziehen müssen, um diesen Aspekt in Verbindung mit den weiteren Auffälligkeiten im (Aussage-) Verhalten der Nebenklägerin und dessen Auswirkungen auf die Beurteilung der Aussagetüchtigkeit insgesamt sachgerecht beurteilen zu können.
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3. Die Ablehnung des Beweisantrags führt zur Aufhebung der Schuldsprüche hinsichtlich der Taten 1 und 2. Das Gleiche gilt für die Verurteilung wegen der Körperverletzung vom frühen Morgen des 12. November 2010, die sich hinsichtlich des äußeren Ablaufs ebenfalls ausschließlich auf die Aussage der Nebenklägerin stützt. Den hierfür zugemessenen Einzelstrafen ist damit die Grundlage entzogen, ebenso der Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld für die Taten 1 (300 €), 2 (6.500 €) und 3 (300 €).
17
4. Die Schuldsprüche wegen der Taten 4 und 5 werden von dem Rechtsfehler hingegen nicht berührt. Insoweit vermochte sich die Strafkammer auf Aussagen weiterer Zeugen zu stützen. Auch die insoweit verhängten Einzelstrafen sowie der Adhäsionsausspruch (150 € Schmerzensgeld) wären rechtlich nicht zu beanstanden. Gleichwohl hebt der Senat den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine ausgewogene Gewichtung der Rechtsfolgen zu ermöglichen.
18
5. Für die neue Hauptverhandlung wird auf Folgendes hingewiesen:
19
a) Sollte der Tatrichter abermals zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung gelangen, wird er sich bei der Strafrahmenwahl und der im Ergebnis schwer nachvollziehbaren konkreten Strafbemessung sorgfältiger als bisher geschehen mit dem Umstand zu befassen haben, dass sich die Nebenklägerin mit dem Angeklagten nach den Taten aus dem Frühjahr 2009 offensichtlich vollständig ausgesöhnt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Juli 1996 – 2 StR 210/96, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 13, und vom 29. August 2012 – 5 StR 332/12).
20
b) Die im angefochtenen Urteil angeordnete Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung erscheint auch für sich genommen durchgreifend rechtsfehlerhaft.
21
Das Urteil stützt die Anordnung auf § 66 Abs. 1 StGB aF. Für die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF sowie die Annahme einer „verbrecherischen Neigung“ des Angeklagten (UA S. 105) und die dadurch begründete erhebliche Gefahr weiterer schwerer Sexualstraftaten zieht es maßgebend eine Vorverurteilung wegen dreier Betäubungsmitteldelikte aus dem Jahr 2002 heran (Einzelfreiheitsstrafen: ein Jahr und vier Monate und zweimal ein Jahr). Indessen bedarf die Annahme des Hangs und der dadurch bedingten Gefährlichkeit – was das Urteil im Ansatz nicht verkennt – bei verschiedenartigen Delikten besonders sorgfältiger Prüfung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2007 – 5 StR 208/07, StV 2007, 633; LK/Rissing-van Saan/Peglau, 12. Aufl., § 66 Rn. 219; jeweils mwN). Liegen den Taten – wie hier – ganz andersartige Beweggründe und seelische Einstellungen zugrunde, werden Hangtätereigenschaft und Gefahr dabei nur sehr selten bejaht werden können (Rissing-van Saan/Peglau aaO). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend nicht ersichtlich. Aus dem bloßen Hinweis darauf, dass die Begehung der Betäubungsmitteldelikte Ausprägung der dissozialen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten sei (UA S. 105), lässt sich deren Symptomwert für die Begehung künftiger schwerer Sexualstraftaten keinesfalls herleiten.
22
Bei der im angefochtenen Urteil für die Vergewaltigung verhängten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten in Verbindung mit den Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und von einem Jahr und neun Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. April 2003 wäre die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 StGB grundsätzlich in Betracht gekommen. Ihr würden indessen jedenfalls wegen des durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) vorgegebenen Grundsatzes strikter Verhältnismäßigkeit durchgreifende Bedenken entgegenstehen.
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Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2012 - 5 StR 428/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2012 - 5 StR 428/12

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafgesetzbuch - StGB | § 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn 1. jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die a) sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die per
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Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

5 StR 174/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Mai 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 2. Dezember 2011 mit den Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, von denen es sechs Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt hat. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der 65 Jahre alte Angeklagte die 58-jährige Nebenklägerin Ende Dezember 2007 vaginal und im März 2008 anal (Taten 1 und 2). Über das angeklagte Geschehen hinaus hat die Strafkammer eine weitere im Mai 2006 begangene vaginale Vergewaltigung festgestellt, die die Nebenklägerin erstmals in der Hauptverhandlung bekundet hat. Nach den Vergewaltigungen wohnte die Nebenklägerin weiterhin mit dem Angeklagten zusammen, wobei es jedenfalls vor Tat 2 gelegentlich auch noch zu einvernehmlichem Geschlechtsver- kehr kam. Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattete sie nach einer Körperverletzungshandlung vom 26. April 2008, bei der der Angeklagte sie am Hals gepackt und gegen ein Treppengeländer gedrückt hatte (Tat 3). Die Strafanzeige vom 26. April 2008 beschränkte sich auf die Körperverletzungshandlung. Auf Nachfrage der Polizeibeamtin nach sexuellen Übergriffen sagte die Nebenklägerin, dass dies vor zwei oder drei Jahren der Fall gewesen sei. Näheres wolle sie im Moment nicht sagen. Ähnlich verlief eine Vernehmung im Mai 2008. Details über die sexuellen Gewalthandlungen berichtete sie in einer Vernehmung im August 2008. Gegenstand eines von ihr angestrengten zivilrechtlichen Gewaltschutzverfahrens war nur die Körperverletzung vom 26. April 2008.
3
2. Die Revision dringt mit einer Verfahrensrüge durch.
4
a) Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
5
Der Verteidiger hatte die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis der Behauptung beantragt, dass die Nebenklägerin, auf deren Aussage die Feststellungen beruhen, an einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leide, die ihre Zeugentüchtigkeit in Frage stelle. Zur Begründung führte er eine Reihe von Auffälligkeiten im Verhalten der Nebenklägerin auf.
6
Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen, weil die unter Be- weis gestellte Tatsache „für die Entscheidungsfindung unerheblich“ sei. Per- sonen mit paranoider Persönlichkeitsstörung seien in ihrer Fähigkeit nicht eingeschränkt, reale Erlebnisse wahrzunehmen und deren äußeres Erscheinungsbild wiederzugeben. Nach ICD-10 gehörten Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen, Wahnerleben oder eine Neigung zur bewussten Erfindung fiktiver Handlungsabläufe nicht zur Symptomatik. Auch eine erhöhte Sugges- tibilität gehe damit nicht einher. Es würden nur „reelle Erlebnisse“ dahinge- hend interpretiert, dass neutrale oder freundliche Handlungen der betroffenen Person als feindselige Akte erschienen. Die Nebenklägerin habe das äußere Erscheinungsbild der Vorfälle jedoch konstant und detailliert in einer Art geschildert, die ausschließe, dass es sich dabei um neutrale oder freundliche Handlungen gehandelt haben könnte, die von ihr nur fehlinterpretiert würden. Selbst bei Vorliegen einer paranoiden Persönlichkeitsstörung bestünden deshalb keine Anhaltspunkte für deren Auswirkung auf die Aussagetüchtigkeit , weswegen die Strafkammer die Glaubwürdigkeit in eigener Kompetenz bewerten könne.
7
b) Mit dem Generalbundesanwalt geht der Senat trotz Nichtvorlage einiger im Beweisantrag benannter Schriftstücke von der Zulässigkeit der Verfahrensrüge im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO aus. Denn das Urteil befasst sich mit den maßgebenden auch vom Verteidiger benannten Anknüpfungstatsachen für das Vorliegen eines psychischen Defektzustandes, womit dem Senat die Sachprüfung der Verfahrensbeanstandung eröffnet ist (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1990 – 1 StR 693/89, BGHSt 36, 384, 385 mwN).
8
c) Die Rüge hat in der Sache Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden.
9
aa) Hat die Strafkammer den Beweisantrag, wofür der Wortlaut des Ablehnungsbeschlusses spricht, wegen (tatsächlicher) Bedeutungslosigkeit nach § 244 Abs. 3 Satz 2, 2. Variante StPO abgelehnt, so hält dies rechtlicher Nachprüfung schon deswegen nicht stand, weil sie das Beweisergebnis rechtsfehlerhaft vorweggenommen hat. Denn der Verteidiger hatte auch unter Beweis gestellt, dass im Fall einer paranoiden Persönlichkeitsstörung die Zeugentüchtigkeit der Nebenklägerin beeinträchtigt war.
10
bb) Nichts anderes ergibt sich, wenn man – dem Generalbundesanwalt folgend – eine nur missverständlich formulierte Zurückweisung des Beweisbegehrens unter Inanspruchnahme eigener Sachkunde annimmt (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH, Beschlüsse vom 1. März 1994 – 5 StR 62/94, StV 1994, 634, vom 29. Oktober 1996 – 4 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 106, vom 28. Oktober 2008 – 3 StR 364/08, NStZ 2009, 346, 347, und vom 28. Oktober 2009 – 5 StR 419/09, NStZ 2010, 100, 101). Solche Umstände liegen hier vor. Die Diagnose einer paranoiden Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit erfordert spezifisches Fachwissen, das nicht Allgemeingut von Richtern ist; demgemäß hätte die eigene Sachkunde näherer Darlegung bedurft (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1958 – 4 StR 211/58, BGHSt 12, 18, 20; Beschluss vom 21. Dezember 1983 – 3 StR 437/83, StV 1984, 232). Eine solche ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr stellt die Strafkammer unter Heranziehung der im ICD-10 für die paranoide Persönlichkeitsstörung aufgeführten Symptome einen Erfahrungssatz zu generellen Wechselwirkungen der Störung mit der Aussagetüchtigkeit her, der wissenschaftlicher Absicherung entbehrt (vgl. etwa zu möglichen Übergängen der Störung Nedopil, Forensische Psychiatrie, 3. Aufl., S. 180).
11
Die Ablehnung des Beweisantrags führt auf die Revisionsrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils, weil dieses insgesamt auf dem Rechtsfehler beruhen kann.
12
3. Der Senat weist darauf hin, dass die im angefochtenen Urteil vorgenommene Beweiswürdigung auch sachlichrechtlich durchgreifenden Bedenken begegnet.
13
a) Namentlich befasst sich die Strafkammer unzureichend mit der Aussageentstehung und dem Aussageverhalten der Nebenklägerin. Die Nebenklägerin hat Sexualstraftaten des Angeklagten überhaupt nur auf Initiative der vernehmenden Beamtinnen offenbart und im Detail erst zu einem sehr späten Zeitpunkt geschildert. Das Urteil führt dies – ohne erkennbaren Beleg in deren Aussage – darauf zurück, dass die Nebenklägerin sich generell schäme, sexuelle Dinge zu besprechen (UA S. 19, 25). Abgesehen davon, dass es wenig lebensnah erscheint, einer 58-jährigen Gastwirtin, deren Jugendzeit in die Jahre ab 1968 fällt, höhergradige Scham zuzuweisen als „dies nach heutigen Maßstäben die Regel wäre“ (UA S. 19), ist die Beweis- würdigung in diesem Punkt durchgreifend lückenhaft und widersprüchlich. So erklärt etwaige Scham der Nebenklägerin nicht, warum sie bei der Strafanzeige sexuelle Übergriffe als zwei oder drei Jahre zurückliegend bezeichnet hat, obwohl die abgeurteilten Taten nach ihren späteren Angaben erst einen Monat bzw. vier Monate vor der Strafanzeige begangen worden sind. Ferner legt das Urteil wohl die Aussage der Nebenklägerin ihren Feststellungen zugrunde , sie habe nach Tat 2 mit dem Zeugen W. einen (nicht zu den Akten gelangten) Brief an die Staatsanwaltschaft verfasst, in dem sie die sexuellen Übergriffe zur Anzeige gebracht habe (UA S. 23). Das würde bedeuten , dass sie dem Zeugen die Taten trotz ihrer Scham mitgeteilt hat. Hingegen bezeichnet die Strafkammer den Zeugen, nach dessen Aussage ihm die Nebenklägerin die drei Taten jeweils zeitnah geschildert hat, unter anderem deshalb für nicht glaubhaft, weil es schwer nachvollziehbar sei, „wieso ausgerechnet der Zeuge W. die einzige Person sein sollte, gegenüber welcher die Nebenklägerin sich öffnet, nachdem sie ihrem eigenen Sohn die sexuellen Übergriffe monatelang verschwiegen“ habe (UA S. 31). Beides ist nicht miteinander vereinbar und erscheint geeignet, dem vom Landgericht unterstellten zentralen Motiv anfänglichen Schweigens der Nebenklägerin die Grundlage zu entziehen und ihre Aussage insgesamt in Frage zu stellen.
14
b) Das angefochtene Urteil zieht ferner den Umstand indiziell für eine Täterschaft des Angeklagten heran, dass er mit der Nebenklägerin einen Vergleich geschlossen und auf das vereinbarte Schmerzensgeld von 6.000 € bereits 1.000 € geleistet hat. Dem stehe nicht entgegen, dass beides vor dem Hintergrund einer angestrebten Verständigung und einer in diesem Rahmen in Aussicht gestellten Bewährungsstrafe für den Fall eines TäterOpfer -Ausgleichs gestanden habe und der Angeklagte von seinem Verteidi- ger gewarnt worden sei, dass die Strafkammer nach dessen Erfahrungen in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen unter Verletzung des Zweifelssatzes gegen den Angeklagten entscheide und langjährige Haftstrafen verhänge. Wäre Letzteres Grund für ein falsches Schuldeingeständnis gewesen, erschiene es konsequent unverständlich, warum der Angeklagte nach dem Scheitern des Täter-Opfer-Ausgleichs zur Vermeidung einer hohen Haftstrafe nicht gleichwohl ein Geständnis und eine persönliche Entschuldigung ausgesprochen habe. Deswegen sei plausibel, dass er sich durchgehend seiner Schuld bewusst gewesen sei, selbst wenn er gegenüber dem Verteidiger seine Unschuld beteuert habe.
15
Der Senat kann offenlassen, ob – nach dem zu klärenden Verlauf der zwischen den Verfahrensbeteiligten unter Einbeziehung der Strafkammer geführten Gespräche – der indiziellen Verwertung des Vergleichsabschlusses und der Zahlungen der Rechtsgedanke des in § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO normierten Verwertungsverbots entgegenstehen könnte. Jedenfalls war ausweislich der Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft im Revisionsverfahren mit Scheitern des Täter-Opfer-Ausgleichs auch die Grundlage für eine Bewährungsstrafe entfallen. Die Abgabe eines „Scheingeständnisses“ hätte demgemäß aus Sicht des Angeklagten unweigerlich zu einer Vollzugsstrafe geführt. Das macht sein Verhalten auch im Fall fehlender Schuld erklärbar. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn sie dieses sich aufdrängende Motiv berücksichtigt hätte.
16
4. Auch der Strafausspruch hätte keinen Bestand haben können. Nicht nachvollziehbar ist namentlich die Begründung, mit der die Strafkammer das Vorliegen von „Beziehungstaten“ im Rahmen der Erörterung der Regelwir- kung nach § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB ablehnt. Nach den von ihr zugrunde gelegten Bekundungen der Nebenklägerin war die Beziehung schon länger auch dadurch geprägt, dass diese häufig sexuellen Handlungen des Ange- klagten nach anfänglicher Ablehnung „über sich ergehen ließ“. Dies war so- gar noch nach der vom Landgericht angenommen ersten Vergewaltigung sowie nach Tat 1 der Fall. Selbst nach Tat 1 wohnten der Angeklagte und die Nebenklägerin – wenngleich bei häufiger Abwesenheit des Angeklagten – weiter zusammen. Dem durfte bei der Strafrahmenwahl nicht jegliche Bedeutung abgesprochen werden (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 4 StR 389/03, StV 2004, 479 mwN). Hinzu kommen weitere im Urteil angesprochene gewichtige Umstände, die die Taten in einem milderen Licht erscheinen lassen konnten. Dem entspricht, dass am ersten Hauptverhandlungstag unter den Verfahrensbeteiligten – für den Fall eines Geständnisses und eines Täter-Opfer-Ausgleichs – gar eine Bewährungsstrafe im Gespräch war. Die Nichtanwendung milderer Strafrahmen und die Verhängung hoher Einzelstrafen sowie einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten ist vor diesem Hintergrund selbst dann nicht erklärlich , wenn man die strafmildernde Wirkung der genannten Gesichtspunkte einbezieht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Juni 2004 – 5 StR 579/03, StV 2004, 470, 471 mwN).
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 364/08
vom
28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 28. Oktober 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt; von einem weiteren Vorwurf der schweren Vergewaltigung hat es ihn freigesprochen. Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; das Landgericht hat einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte die im Jahre 1983 geborene Zeugin P. seit ihrer frühen Jugend Kokain und Heroin und war zum Tatzeitpunkt im Herbst 2001 betäubungsmittelabhängig. Der Angeklagte und zwei oder drei Begleiter besorgten ihr Heroin. Sie nahm das Rauschgift ein, war hierdurch berauscht und fiel in einen betäubungsähnlichen Zustand. Der Angeklagte und seine Begleiter vollzogen nunmehr nacheinander mit der regungslos auf einem Sofa liegenden Zeugin den vaginalen Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss. Obwohl sie aufgrund ihres Zustands zu einem körperlichen Widerstand nicht in der Lage war, konnte sie ihre Umgebung noch wahrnehmen und sagte zu jedem der Täter: "Nein".
3
Das Landgericht hat den Angeklagten im Wesentlichen aufgrund der Aussage der Zeugin verurteilt, die es für glaubhaft erachtet hat.
4
2. Der Angeklagte hat mit Anträgen vom 8. Oktober und 6. November 2007 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Aussagefähigkeit der Zeugin beantragt. Diese sei nicht aussagetüchtig, da aufgrund ihres langen Drogenabusus ihre Fähigkeit, Wahrnehmungen zu erinnern und zu reproduzieren , erheblich eingeschränkt sei; ihre Aussagen zu dem Tatvorwurf seien unzuverlässig. Zur Begründung hat der Angeklagte unter Hinweis auf zahlreiche aus seiner Sicht bestehende Ungenauigkeiten und Widersprüche in den verschiedenen Vernehmungen der Zeugin ausgeführt, dass diese in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.
5
Mit Beschluss vom 14. November 2007 hat die Strafkammer den Beweisantrag vom 6. November 2007 zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie auf ihre eigene Sachkunde verwiesen. Besonderheiten, die eine sachverständige Beratung erforderlich machten, seien nicht erkennbar und lägen auch nicht darin, dass die Zeugin zur Tatzeit und möglicherweise noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung drogenabhängig gewesen sei. Im Übrigen dürfte - so das Landgericht - das Beweismittel ungeeignet sein, weil die Zeugin es ablehne, sich der für ein Glaubwürdigkeitsgutachten erforderlichen Exploration zu unterziehen.
6
3. Diese Ablehnung hält in der Sache rechtlicher Nachprüfung nicht stand; deshalb kann dahinstehen, ob mit dem Beschluss vom 14. November 2007 auch der Antrag vom 8. Oktober 2007 beschieden worden ist oder insoweit ein von der Revision ebenfalls gerügter Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO vorliegt.
7
a) Soweit die Strafkammer eigene Sachkunde in Anspruch genommen hat, reicht die Begründung ihrer Entscheidung aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Sachverhalts nicht aus. Die Anforderungen, die an den Ausweis der richterlichen Sachkunde in dem den Beweisantrag ablehnenden Beschluss oder den Urteilsgründen zu stellen sind, richten sich nach dem Maß der Schwierigkeit der Beweisfrage (vgl. BGHSt 12, 18, 20). Anders als in gewöhnlichen Fällen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung, in denen sich die eigene Sachkunde des Tatrichters regelmäßig schon aus seiner Berufserfahrung ergibt (vgl. BVerfG NJW 2004, 209, 211), bestand hier ausnahmsweise mit Blick auf die konkrete Fallgestaltung ein erhöhter Begründungsbedarf.
8
Das Beweisbegehren zielte erkennbar nicht auf allgemeine Fragen der Glaubwürdigkeit der Zeugin im Hinblick auf ihre Drogenabhängigkeit, sondern darauf ab, dass aufgrund der konkreten Gegebenheiten ihre kognitiven Fähigkeiten erheblich beeinträchtigt waren. Die Beurteilung der Auswirkungen ihres langjährigen Drogenmissbrauchs in Kombination mit der akuten Intoxination zur Tatzeit, die so stark war, dass sie sich - zu jeglichem Widerstand unfähig - in einem "betäubungsähnlichen Zustand" befand, auf ihre Fähigkeit zur Wahrnehmung und späteren Wiedergabe des konkreten Geschehens nimmt jedoch mehr als Allgemeinwissen in Anspruch. Unter diesen Umständen versteht sich die Sachkunde der Strafkammer nicht von selbst; sie hätte vielmehr in dem Zurückweisungsbeschluss oder den Urteilsgründen näher dargelegt werden müs- sen (vgl. BGH NStZ 1991, 47; Fischer in KK 6. Aufl. § 244 Rdn. 198 m. zahlr. w. N.).
9
b) Der - nicht näher begründete - Hinweis der Strafkammer auf die mögliche Ungeeignetheit des Beweismittels vermag die Zurückweisung des Beweisbegehrens ebenfalls nicht zu tragen. Zwar kann ein Beweisantrag, der sich auf ein - nach dem Gesetzeswortlaut allerdings "völlig" - ungeeignetes Beweismittel stützt, aus diesem Grund nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt werden. Dabei muss es sich aber um ein Beweismittel handeln, dessen Inanspruchnahme von vornherein gänzlich aussichtslos wäre, so dass sich die Erhebung des Beweises in einer reinen Förmlichkeit erschöpfen würde (vgl. BGH StV 1997, 338). Nach diesen Maßstäben kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann abgelehnt werden, wenn auszuschließen ist, dass es sich zu der vorgelegten Beweisfrage sachlich überhaupt äußern kann (vgl. BGH NStZ 2008, 116), z. B. weil es nicht möglich ist, dem Sachverständigen die tatsächlichen Grundlagen zu verschaffen, derer er für sein Gutachten bedarf (vgl. Fischer in KK aaO § 244 Rdn. 154). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Zeugin konnte zwar ohne ihre Einwilligung nicht psychiatrisch untersucht werden (§ 81 c StPO). Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass der Sachverständige auf andere Weise, etwa durch das Studium der Akten und die Beobachtung der Zeugin in der Hauptverhandlung ausreichende Anknüpfungstatsachen hätte ermitteln und auf deren Basis zumindest Wahrscheinlichkeitsaussagen zu der Beweisbehauptung machen können.
10
4. Der Schuldspruch beruht auf der rechtsfehlerhaft unterlassenen Beweiserhebung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht zu einer anderen Überzeugung gekommen wäre, wenn es das beantragte Gutachten eingeholt und der Sachverständige die Beweisbehauptung bestätigt hätte. Becker Miebach Sost-Scheible Hubert Schäfer
5 StR 419/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2009

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. März 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Ferner hat es ihn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin in Höhe von 5.000 € verurteilt. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte an der Nebenklägerin an einem nicht mehr feststellbaren Tag Ende Juni/Anfang Juli 2008 gewaltsam den Vaginal- und Analverkehr vollzogen. Am Abend des 22. Juli 2008 gegen 21 Uhr hat er die Nebenklägerin erneut vergewaltigt, wobei er an ihr über einen längeren Zeitraum hinweg den Vaginalverkehr vollzogen hat. Beide Taten fanden in der Wohnung der Nebenklägerin statt.
3
2. Das Rechtsmittel dringt mit einer Verfahrensrüge durch. Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
4
a) Die Verteidigerin hatte die Einholung eines psychiatrisch-psychologischen Gutachtens zum Beweis der Behauptung beantragt, dass die Nebenklägerin , auf deren Aussage die Feststellungen im Wesentlichen beruhen , an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung oder an einer anderen , selbstverletzendes Verhalten auslösenden Persönlichkeitsstörung leide und ihre Aussagekompetenz gerade in Bezug auf Beziehungstaten aus diesem Grunde nicht gegeben sei. Zur Begründung hat sie vorgetragen, bei der rechtsmedizinischen Untersuchung zwei Tage nach der Tat seien an beiden Unterarmen der Nebenklägerin mehrere bereits vernarbte schnittartige Verletzungen sowie zwei frischere strichförmige und in Abheilung befindliche Schnittwunden festgestellt worden. Der in der Hauptverhandlung vernommene rechtsmedizinische Sachverständige habe erklärt, die Wunden seien eindeutig auf eine Selbstverletzung zurückzuführen; Ursache für selbstverletzendes Verhalten könne ein psychiatrisches Krankheitsbild, etwa eine Borderline -Störung sein.
5
Zu den Schnittwunden, die im schriftlichen Gutachten des rechtsmedizinischen Sachverständigen vermerkt sind, enthält ein in der Hauptverhandlung zu Beweiszwecken verlesener Vermerk der bei der Untersuchung anwesenden Polizeibeamtin E. folgende Aussage: „Schnittverletzungen durch Selbstbeibringung (Suizidgedanken bejaht, entsprechende [ernsthafte ] Versuche jedoch verneint; keine diesbezügliche ärztliche Behandlung ).“
6
Das Landgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil es selbst über die notwendige Sachkunde verfüge, um die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu beurteilen (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Daneben fehle es im jetzigen Stand der Beweisaufnahme an Anknüpfungstatsachen, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich machen könnten. Die Zeugin habe zwar eingeräumt, sich als Jugendliche nach Auseinandersetzungen mit den Eltern Verletzungen zugefügt zu haben. Die im Zeitpunkt der Untersuchung frischen Schnittwunden seien jedoch dadurch entstanden, dass sie beim Schneiden einer Melone mit dem Messer abgeglitten sei. Die Strafkammer habe sich in der Hauptverhandlung durch Inaugenscheinnahme davon überzeugt , dass die Nebenklägerin keine frischen Schnittspuren aufwies.
7
b) Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden.
8
Zwar kann sich das Gericht bei der Beurteilung von Zeugenaussagen grundsätzlich eigene Sachkunde zutrauen; etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände vorliegen, deren Würdigung eine spezielle Sachkunde erfordert, die dem Gericht nicht zur Verfügung steht (BGH StV 1994, 634; NStZ-RR 1997, 106; NStZ 2009, 346, 347). Solche Umstände liegen hier vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sind deutliche Anhaltspunkte für tatzeitnahe Selbstverletzungen und Suizidalität der Nebenklägerin vorhanden , die auf eine Persönlichkeitsstörung hindeuten können. Da die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung und deren Auswirkungen auf die Aussagetüchtigkeit spezifisches Fachwissen erfordert, das nicht Allgemeingut von Richtern ist, hätte die eigene Sachkunde einer näheren Darlegung bedurft (vgl. BGHSt 12, 18, 20; BGH StV 1984, 232). Diese ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
9
Die Strafkammer hat in ihrem ablehnenden Beschluss demgegenüber angenommen, für ein Sachverständigengutachten fehle es an hinreichenden Anknüpfungstatsachen; denn die Nebenklägerin habe „plausibel begründet“, dass die frischen Schnittverletzungen beim Schneiden einer Melone entstanden seien. Diese Wertung lässt die Befunde des rechtsmedizinischen Sachverständigen und die Wahrnehmungen der Zeugin E. außer Acht. Namentlich steht die Erklärung der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung in deutlichem Widerspruch zum Vermerk der Zeugin E. , dessen Inhalt es überdies nahe legt, dass er – auch – auf Angaben der Nebenklägerin beruht.
10
Die Ablehnung des Beweisantrags hält danach rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie führt auf die Revisionsrüge zur Aufhebung des Urteils, da dieses auf dem Rechtsfehler beruhen kann.
11
3. Der Senat weist darauf hin, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts auch sachlichrechtlich erheblichen Bedenken begegnet. So stehen die der Einlassung des Angeklagten widerstreitenden Angaben der Nebenklägerin zum Stand ihrer Beziehung zum Angeklagten zur Tatzeit in einem nicht plausibel erklärten Spannungsverhältnis zu festgestellten Bekundungen der Nebenklägerin gegenüber der Zeugin K. (UA S. 30) und zum Inhalt mehrerer SMS (UA S. 9/10). Insbesondere ist die im Rahmen der Aussageanalyse des Landgerichts angenommene Aussagekonstanz kaum vereinbar mit festgestellten, das Kerngeschehen betreffenden Divergenzen zu Verletzungen und Sexualpraktiken in Angaben der Nebenklägerin bei der Anzeige, gegenüber dem rechtsmedizinischen Sachverständigen, bei der späteren polizeilichen Vernehmung und der Aussage in der Hauptverhandlung. In diesem Zusammenhang wären auch die in einer Verfahrensrüge thematisierten Angaben der Nebenklägerin über tatbezogene Beobachtungen ihrer Kinder und deren mangelnde Bestätigung im Rahmen der Zeugenvernehmung der Tochter in der Hauptverhandlung abzuhandeln gewesen. Dem wird das neue Tatgericht Rechnung zu tragen haben. In einem Fall wie dem vorliegenden bedarf es zur Beurteilung der Aussagekonstanz einer zusammenhängenden Darstellung und erschöpfenden Würdigung des Aussageverhaltens der Nebenklägerin. Auch für die Entstehung ihrer jeweiligen Aussagen bedarf es eingehenderer Feststellungen.
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

5 StR 332/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 29. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2012

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 6. Februar 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit der Beanstandung sachlichen Rechts den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterhielten der Angeklagte und die Nebenklägerin viereinhalb Jahre lang eine platonische Beziehung. Das änderte sich zunächst auch nicht, nachdem sie im März 2011 geheiratet hatten. Sie hatten vereinbart, dass die Ehe auf der im April 2011 stattfindenden Hochzeitreise in einem Hotel in der Türkei auch geschlechtlich vollzogen werden solle. Am ersten Tag des Hotelaufenthalts lehnte die Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr jedoch ab, weil sie Angst vor mit der Entjungferung womöglich verbundenen Schmerzen hatte. Den verärgert reagierenden Angeklagten vertröstete sie auf den nächsten Tag. Am darauf folgenden Abend tauschten die Eheleute Zärtlichkeiten aus. Abermals erwachte dann aber in der Nebenklägerin die Furcht vor etwaigen Schmerzen, weswegen sie den Angeklagten zurückwies. Der Angeklagte geriet in Wut und wollte sich nicht weiter „hinhalten“ lassen. Er warf die Nebenklägerin auf das Bett und vollzog gewaltsam den Geschlechtsverkehr an ihr, obwohl sie vor Schmerzen schrie (Tat 1: Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten

).


3
Am 27. April 2011 forderte der Angeklagte die Nebenklägerin in der ehelichen Wohnung nach einem Streit beim Abendessen zum Oralverkehr auf, was sie ablehnte. Er setzte sich neben sie, zog ihren Kopf an den Haaren herab und penetrierte ihren Mund mit seinem erigierten Glied für einige Sekunden. Sie konnte sich befreien und drohte, laut zu schreien. Der Angeklagte packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie. Außerdem schlug er ihr in den Nacken und zog sie an den Haaren. Die Nebenklägerin erlitt eine Verrenkung der Halswirbelsäule, eine Prellung des rechten Ellenbogens sowie Quetschungen der Nackenmuskulatur (Tat 2: Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten).
4
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Das Landgericht hat hinsichtlich der Tat 1 rechtsfehlerhaft die Prüfung unterlassen, ob die Voraussetzungen des minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Alt. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ) gegeben sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist es auch bei Erfüllung eines in § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB aufgeführten Regelbeispiels nicht ausgeschlossen , die Tat als minder schweren Fall nach § 177 Abs. 5 StGB zu bewerten , sofern zugunsten des Angeklagten streitende Umstände außerge- wöhnlichen Umfangs vorliegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 – 3 StR 253/99, BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 1, und vom 13. April 2011 – 4 StR 100/11, StraFo 2011, 325 mwN). Eine Vielzahl sehr gewichtiger strafmildernder Umstände führt das Landgericht im Rahmen der – rechtsfehlerfreien – Ablehnung der Anwendung des Strafrahmens nach § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB auf (unter anderem: nicht bestrafter, in geordneten Verhältnissen lebender und geständiger junger Angeklagter, keinerlei Gewalt während der vorhergehenden mehrjährigen Beziehung, Entschuldigung, Bereitschaft zur Zahlung von Schmerzensgeld, Versprechen des ersten Geschlechtsverkehrs am Vortag und Eingehen auf Zärtlichkeiten durch die Nebenklägerin am Tattag, keine schweren Folgen für die Nebenklägerin und „unauffälliger“ Verlauf des weiteren Urlaubs; UA S. 22 f.). Bei dieser Sachla- ge drängt sich die Prüfung des § 177 Abs. 5 Alt. 1 StGB auf.
6
b) Auf die Tat 2 wendet das Landgericht den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB an. Angesichts der dafür gegebenen Begründung, die maßgebend auf bei dieser Tat – anders als bei Tat 1 – fehlende Entlastungsgründe abstellt (hier sei dem Angeklagten die Weigerung der Nebenklägerin von vornherein klar gewesen, UA S. 23), besorgt der Senat, dass sich das Landgericht den Blick auf die weiteren auch für diese Tat geltenden Milderungsgründe (spezifisch hinzukommend: sehr kurzzeitige und mit vergleichsweise geringer Gewalt durchgeführte Sexualstraftat, UA S. 23) und damit auf eine eigenständige Würdigung dieser Tat im Lichte der gesamten Strafzumessungstatsachen verstellt hat. Soweit das Landgericht die Tat als „Machtdemonstration“ und als „Bestrafung“ bewertet (UA S. 8 f., 23), findet dies in der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung im Übrigen keine Grundlage.
7
3. Der Senat vermag angesichts der Vielzahl und des Gewichts der für den Angeklagten sprechenden Umstände nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Würdigung niedrigere Einzelfreiheitsstrafen und eine geringere, aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie durch die Bewertungsfehler nicht berührt werden. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
8
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in die vorzunehmende Strafzumessung auch der Umstand einzustellen sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1996 – 2 StR 210/96, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 13), dass der Angeklagte und die Nebenklägerin nach den gegenständlichen Taten von Mitte Mai bis Mitte Juni 2011 im Rahmen einer versuchten Versöhnung zusammengelebt haben, was nach den Feststellungen letztlich nicht tatbedingt, sondern daran scheiterte, dass der Angeklagte aus Sicht der Nebenklägerin „nicht bereit war, seine Vorstellun- gen von der Ehe zu ändern“ (UA S. 9 f.). Ferner wird es auch unter dem Aspekt des § 46a StGB darzulegen haben, wie die Nebenklägerin auf die Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten reagiert hat.
Basdorf Raum Schaal König Bellay

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5 StR 208/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 26. September 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2007

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 17. November 2006 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Sicherungsverwahrung mit den Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung der Anordnung der Sicherungsverwahrung; zum Schuld- und Strafausspruch hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
2
Das Landgericht hat die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auf die Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB gestützt, deren formelle Voraussetzungen noch hinreichend belegt sind. Indes ist die Gesamtwürdigung , mit der die Strafkammer zur Annahme eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gelangt, nicht genügend begründet. Insoweit fehlt es an ausreichenden Feststellungen zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der hier abgeurteilten Tat und den die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB begründenden Taten, durch den die Gefährlichkeit des in der Sicherungsverwahrung unterzubringenden Angeklagten zu belegen ist. Dabei handelt es sich zum einen um eine Verurteilung durch das Landgerichts Cottbus vom 13. Februar 1997 wegen mehrerer Fälle der unerlaubten Einfuhr von und des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und zum anderen um die Verurteilung durch das Landgericht Berlin vom 30. November 2000 wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.
3
Handelt es sich – wie hier – bei den Straftaten, welche die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung begründen (sog. Symptomtaten ), um solche ganz verschiedener Art, die völlig unterschiedliche Rechtsgüter verletzen, ist ihr Indizwert für einen verbrecherischen Hang des Täters besonders sorgfältig zu prüfen und zu begründen (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 5; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10; BGH NStZ-RR 1998, 6, 7; BGH NStZ 2002, 537, 538; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 66 Rdn. 19).
4
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zwar können auch unterschiedliche Delikte in einem gleich gelagerten Verhältnis zur Täterpersönlichkeit stehen und Ausfluss eines gleichermaßen wirksam werdenden Hanges sein; dies lässt sich den Feststellungen hier aber nicht entnehmen. Zur Begründung des Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB stellt die Strafkammer allein auf die gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtete Tat vom 30. November 2000 und auf die hier abgeurteilte ab, indem sie ausführt, dass es dem Angeklagten an Empathie mangele und er dazu neige, unterlegene andere zugunsten des eigenen Selbstwertgefühls auszubeuten und „eingenommen vom Gefühl eigener Grandiosität“ ihnen gegenüber Macht auszuüben und erhebliche Straftaten zu begehen, welche die betroffenen Opfer seelisch oder körperlich stark schädigen. Dafür, dass dies auch für die vom Landgericht Cottbus abgeurteilten Betäubungsmitteldelikte gilt, ist nichts ersichtlich. Angesichts der Verschiedenartigkeit von Sexualdelikten einerseits und Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz andererseits versteht sich das hier auch nicht etwa von selbst.
5
Die ausgesprochene Maßregel kann daher nicht bestehen bleiben, wenngleich die Anordnung der Sicherungsverwahrung sowohl auf § 66 Abs. 2 StGB wie auch auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB, deren formelle Voraussetzungen ebenfalls vorliegen, hätte gestützt werden können. Die Strafkammer hat bei ihrer Entscheidung ausdrücklich auf § 66 Abs. 1 StGB abgestellt und die Möglichkeit der Anordnung nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB indes nicht erwähnt. Die Unterbringung nach diesen Vorschriften liegt aber im Unterschied zu der Unterbringung gemäß § 66 Abs. 1 StGB im Ermessen des Tatrichters; die Urteilsgründe müssten erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in bestimmter Weise Gebrauch gemacht hat (BGH NStZ-RR 2004, 12; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 5 m.w.N.).
Häger Gerhardt Raum Brause Schaal

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.