Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2020 - AK 64/19

bei uns veröffentlicht am15.01.2020

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 64/19
vom
15. Januar 2020
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord
ECLI:DE:BGH:2020:150120BAK64.19.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers am 15. Januar 2020 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2019 (3 BGs 131/19) wird aufgehoben. Der Beschuldigte ist in dieser Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe:


I.


1
Der Beschuldigte wurde am 27. Juni 2019 vorläufig festgenommen und befindet sich seither aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom selben Tag (3 BGs 131/19) ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls vom 27. Juni 2019 ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe einem Mitbeschuldigten durch Veräußerung der Tatwaffe Beihilfe dazu geleistet, den Geschädigten, L. , heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten (§ 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1 StGB).
3
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat nach mündlicher Haftprüfung mit Beschluss vom 6. August 2019 (3 BGs 250/19) Haftfortdauer angeordnet. Unter dem 12. Dezember 2019 hat er die Vorlage der Akten an den Bundesgerichtshof verfügt, nachdem der Generalbundesanwalt beantragt hatte, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

II.


4
Die Prüfung, ob die Untersuchungshaft fortdauern darf (§§ 121,122 StPO), führt zur Aufhebung des Haftbefehls. Der Beschuldigte ist nach derzeitigem Stand der Ermittlungen der ihm vorgeworfenen Beihilfe zum Mord (§ 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1 StGB) nicht dringend verdächtig im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Es kann offenbleiben, ob der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit eines Waffendelikts und möglicherweise der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) dringend verdächtig ist. Denn ein dahingehender Tatverdacht würde mit Blick auf die damit verbundene deutlich geringere Straferwartung angesichts der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten und des Umstandes, dass sich dieser zwischenzeitlich seit mehr als sechs Monaten ununterbrochen in Untersuchungshaft befindet, den Haftgrund der Fluchtgefahr nicht (mehr) begründen. Im Einzelnen:
5
1. Nach dem Haftbefehl ist ein Mitbeschuldigter dringend verdächtig, am 1. Juni 2019 gegen 23.30 Uhr den Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Kassel, L. , auf der Terrasse dessen Wohnhauses wissentlich und willentlich mittels eines Trommelrevolvers, Kaliber .38, erschossen zu haben. Der Mitbeschuldigte habe aus fremdenfeindlichen Motiven gehandelt und die Arglosigkeit sowie die darauf beruhende Wehrlosigkeit seines Tatopfers ausgenutzt, indem er sich an den sich in scheinbarer Sicherheit wähnenden und sich keines Angriffs versehenden L. angeschlichen und auskurzer Distanz - etwa ein bis zwei Meter - einmal in dessen Kopf geschossen habe. Dabei sei es ihm darauf angekommen, sein Tatopfer wegen dessen politischer Überzeugung und Betätigung als Regierungspräsident zu töten und gleichsam für die von ihm vertretene Linie in der Flüchtlingspolitik abzustrafen.
6
Dem Beschuldigten wird in dem genannten Haftbefehl im Sinne eines dringenden Tatverdachts zur Last gelegt, dem Mitbeschuldigten zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2016 - mithin mindestens zweieinhalb Jahre vor dem Attentat - die Tatwaffe veräußert zu haben. Der Verkauf zu einem Preis von 1.100 € sei im Rahmen einer zwischen 2014 und 2018 bestehenden Geschäftsbeziehung erfolgt, die der Mitbeschuldigte auch als Zwischenhändler zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil genutzt habe. Zum Zeitpunkt der Veräußerung der Tatwaffe sei dem Beschuldigten die rechtsextremistische Gesinnung des Mitbeschuldigten und dessen Gewaltbereitschaft bekannt gewesen. Der Beschuldigte habe deshalb zumindest billigend in Kauf genommen, dass der Mitbeschuldigte unter Einsatz der veräußerten Schusswaffe aus rechtsextremistischen Motiven ein Tötungsverbrechen begehen werde.
7
Der dringende Tatverdacht betreffend den Gehilfenvorsatz ist in dem Haftbefehl auf die Art und Weise des Waffenverkaufs und die persönlichen Beziehungen zwischen dem Beschuldigten und dem Mitbeschuldigten gestützt. Diese Umstände werden in dem Haftfortdauerbeschluss vom 6. August 2019 vertieft dargestellt und ergänzt.
8
Wegen der Einzelheiten wird auf den Haftbefehl sowie den genannten Beschluss Bezug genommen.
9
2. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse belegen nicht im Sinne eines dringenden Tatverdachts, dass sich der Beschuldigte der Beihilfe zum Mord (§ 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht hat; denn eine hohe Wahrscheinlichkeit , dass er mit Gehilfenvorsatz gehandelt hat, ist nicht gegeben.
10
a) aa) Dringender Tatverdacht besteht, wenn den ermittelten Tatsachen entnommen werden kann, dass sich der Beschuldigte mit großer Wahrscheinlichkeit der ihm angelasteten Tat schuldig gemacht hat; bloße Vermutungen genügen dagegen nicht (BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 - StB 34/07, juris Rn. 4).
11
bb) Gehilfenvorsatz erfordert, dass der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern (BGH, Urteile vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 109; vom 26. Mai 1988 - 1 StR 111/88, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 2). Einzelheiten der Haupttat muss er dabei nicht kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr haben (s. BGH, Urteile vom 18. Juni 1991 - 1 StR 164/91, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 7; vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 10). Allerdings ist ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17, NJW 2019, 1818 Rn. 96 mwN). Zudem muss der Hilfeleistende wissen, dass seine Hilfe an sich geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern (BGH, Urteil vom 25. Oktober 1989 - 3 StR 148/89, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 5).
12
b) Gemessen an diesen Maßstäben besteht kein dringender Tatverdacht eines vorsätzlichen Handelns des Beschuldigten. Auf der Grundlage des bisherigen Ergebnisses der Ermittlungen ist es nicht hochwahrscheinlich, dass der Beschuldigte es bei dem Verkauf der Waffe für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, der Mitbeschuldigte werde mit dieser ein politisch motiviertes Tötungsdelikt begehen.
13
aa) Entsprechendes folgt zunächst nicht aus den Einlassungen der Beschuldigten.
14
Der Beschuldigte hat bereits bestritten, dem Mitbeschuldigten die Tatwaffe veräußert zu haben. Er hat sich weiterhin dahin eingelassen, diesem eine politisch motivierte Tötung nicht zugetraut zu haben.
15
Der Mitbeschuldigte hat in seiner - zwischenzeitlich widerrufenen, aber weiterhin verwertbaren (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 - StB 21/19, juris Rn. 15) - Einlassung im Rahmen seiner verantwortlichen Vernehmung vom 25. Juni 2019 zwar glaubhaft eingeräumt, die Tatwaffe im Jahr 2016 von dem Beschuldigten erworben zu haben. Er hat jedoch weder geschildert, diesen bewusst in Anschlagspläne eingeweiht zu haben, noch ein eigenes Verhalten behauptet , das den Beschuldigten hierauf hätte schließen lassen können. Auch einer schriftlichen Einlassung von Januar 2020, die dem Senat zu einer weiteren Vernehmung des Mitbeschuldigten vorliegt und in der dieser sich von einer vorsätzlichen Tötung des L. distanziert hat, ist hierzu nichts zu entnehmen.
16
bb) Die weiteren Ermittlungsergebnisse vermögen einen dringenden Tatverdacht ebenfalls nicht zu begründen.
17
Gegen die Annahme, der Beschuldigte habe zum maßgeblichen Zeitpunkt des Waffenverkaufs, mithin im Jahr 2016, mit der Möglichkeit gerechnet, der Mitbeschuldigte werde mit dem erworbenen Revolver ein Tötungsdelikt begehen , spricht bereits der große zeitliche Abstand zur späteren Tat. Der Mitbeschuldigte hat sich nach seiner Einlassung, die nach derzeitigem Ermittlungsstand als einzige Erkenntnisquelle für die näheren Umstände des Waffenverkaufs zur Verfügung steht, überdies nicht gezielt an den Beschuldigten gewandt , um eine bestimmte (Tat-)Waffe zu erwerben. Der Revolver wurde vielmehr im Rahmen einer bereits seit mindestens zwei Jahren bestehenden - illegalen - "Geschäftsbeziehung" veräußert, innerhalb derer es zum Verkauf verschiedener Waffen gekommen war, die der Mitbeschuldigte seinerseits teilweise zur Erzielung einer Einnahmequelle gewinnbringend weiterverkauft hatte. Eine solche "Geschäftsbeziehung" konnte - auch mit Blick auf die Vorstrafe des Mitbeschuldigten - nur auf dem Schwarzmarkt stattfinden, auf dem üblicherweise überhöhte Kaufpreise zu entrichten sind. Sie wurde im Jahr 2014 zu einem Zeitpunkt begründet, als etwaig bereits bestehende Anschlagspläne des Mitbeschuldigten zumindest noch nicht nach außen erkennbar waren (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019, juris Rn. 32). Dieser fragte zudem nicht von sich aus nach einer bestimmten, für ein Tötungsdelikt geeigneten (handlichen, damit leicht zu transportierenden und zu versteckenden) scharfen Waffe. Vielmehr bot der Beschuldigte im Zuge eines anderweitigen Waffengeschäfts den genannten Revolver ohne besonderen Anlass zum Verkauf an. Nach längerem Überlegen entschloss sich der Mitbeschuldigte schließlich, die Waffe zu erwerben.
18
Die bisherigen Ermittlungen belegen überdies nicht, dass der Waffenerwerb in einer besonderen, über das in vergleichbaren Fällen vorliegende Maß hinausgehenden "hochkonspirativen" Art und Weise erfolgte. Der Mitbeschul- digte hat hierzu lediglich erläutert, ein weiterer Mitbeschuldigter, der selbst "Kunde" bei dem Beschuldigten gewesen sei, habe ihm diesen als Bezugsquelle genannt. Aus der Einlassung des Mitbeschuldigten ergibt sich indes nicht, dass der Beschuldigte bei "Neukunden" besonders vorsichtig gewesen wäre und die Kontaktaufnahme von der Vermittlung durch einen als zuverlässig eingestuften "Türöffner" abhängig gemacht hätte.
19
Vor diesem Hintergrund liegt auch unter Berücksichtigung der persönlichen Beziehung zwischen dem Beschuldigten und dem Mitbeschuldigten ein dringender Tatverdacht nicht vor. Der Beschuldigte hat zwar eingeräumt, dass sich zu dem Mitbeschuldigten auch ein persönlicher Kontakt entwickelt und man über "Politik", namentlich "Flüchtlinge", "Vergewaltigung" oder "Massenvergewaltigung" gesprochen habe. Jedoch hat die in der Haftfortdauerentscheidung vom 6. August 2019 angestellte Vermutung, der Mitbeschuldigte habe den Beschuldigten auch über seine Ansicht eingeweiht, dass mit Blick auf die politischen Verhältnisse "wir Deutschen etwas tun müssen", in den weiteren Ermittlungen bislang keine Bestätigung gefunden. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschuldigte von der Erregung des Mitbeschuldigten über die Aussagen des Geschädigten anlässlich der Bürgerversammlung in Lo. und den daraus aus dessen Sicht bestehenden politischen Handlungsbedarf Kenntnis erlangte. Soweit der Beschuldigte nach seinen eigenen Angaben "vor mehreren Jahren" von dem Mitbeschuldigten erfahren habe, dieser sei vorbestraft und mutmaße, auf den Schirm der Ermittler als Hauptverdächtiger zu geraten, sollte im Raum Kassel etwas passieren, ist bereits unklar, ob dieses Gespräch schon vor dem Waffenverkauf stattgefunden hat. Diesem Aspekt kommt daher nur untergeordnete Bedeutung zu.
20
Auch eine Gesamtschau der vorliegenden Indizien vermag nach alledem im derzeitigen, bereits fortgeschrittenen Ermittlungsstadium den dringenden Tatverdacht vorsätzlichen Handelns nicht zu begründen.
21
Über die Frage, ob ein die Anklageerhebung und gegebenenfalls die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigender hinreichender Tatverdacht bezüglich einer Straftat nach § 211 Abs. 2, § 27 Abs. 1 StGB anzunehmen ist, ist im Rahmen dieser Haftentscheidung nicht zu befinden.
22
3. Danach scheiden die Aufrechterhaltung und der weitere Vollzug der nunmehr bereits seit über sechs Monaten andauernden Untersuchungshaft aus; denn es besteht kein Haftgrund mehr. Mit dem Wegfall des dringenden Tatverdachts der Beihilfe zum Mord entfällt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO). Offenbleiben kann, ob der Beschuldigte eines Waffendelikts und ggf. einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB; vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2012 - 1 StR 359/11, NStZ 2013, 238; LG München, Urteil vom 19. Januar 2018 - 12 KLs 111 Js 239798/16, BeckRS 2018, 5795; LG Karlsruhe , Urteil vom 19. Dezember 2018 - 4 KLs 608 Js 19580/17, StV 2019, 401; LK/ Laufhütte, 12. Aufl., § 222 Rn. 92; Fahl, JuS 2018, 531 ff.) dringend verdächtig ist. Denn der weitere Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), auf den der Haftbefehl gestützt ist, setzt voraus, dass bei Würdigung der konkreten Einzelfallumstände es wahrscheinlicher ist, dass sich der Beschuldigte dem weiteren Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde; dies wäre indes bei Vorliegen des dringenden Tatverdachts einer fahrlässigen Tötung und eines Verstoßes gegen das Waffengesetz nicht der Fall. Neben der bisherigen Unbestraftheit des Beschuldigten, seinem festen Wohnsitz und seiner ehelichen Bindungen fallen dabei insbesondere die gegenüber dem ursprünglichen Tatvorwurf weitaus geringere Straferwartung und die nunmehr bereits seit über sechs Monaten andauernde Untersuchungshaft ins Gewicht.
Schäfer Wimmer Anstötz

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2020 - AK 64/19

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2020 - AK 64/19

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

Strafprozeßordnung - StPO | § 112 Voraussetzungen der Untersuchungshaft; Haftgründe


(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2020 - AK 64/19 zitiert 8 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 27 Beihilfe


(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. (2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu milde

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(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßr

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafprozeßordnung - StPO | § 121 Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate


(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden

Strafprozeßordnung - StPO | § 122 Besondere Haftprüfung durch das Oberlandesgericht


(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es be

Strafgesetzbuch - StGB | § 222 Fahrlässige Tötung


Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

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(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.

(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.

(1) In den Fällen des § 121 legt das zuständige Gericht die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor, wenn es die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich hält oder die Staatsanwaltschaft es beantragt.

(2) Vor der Entscheidung sind der Beschuldigte und der Verteidiger zu hören. Das Oberlandesgericht kann über die Fortdauer der Untersuchungshaft nach mündlicher Verhandlung entscheiden; geschieht dies, so gilt § 118a entsprechend.

(3) Ordnet das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft an, so gilt § 114 Abs. 2 Nr. 4 entsprechend. Für die weitere Haftprüfung (§ 117 Abs. 1) ist das Oberlandesgericht zuständig, bis ein Urteil ergeht, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt. Es kann die Haftprüfung dem Gericht, das nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständig ist, für die Zeit von jeweils höchstens drei Monaten übertragen. In den Fällen des § 118 Abs. 1 entscheidet das Oberlandesgericht über einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach seinem Ermessen.

(4) Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 121 Abs. 1 ist auch im weiteren Verfahren dem Oberlandesgericht vorbehalten. Die Prüfung muß jeweils spätestens nach drei Monaten wiederholt werden.

(5) Das Oberlandesgericht kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 aussetzen.

(6) Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, so kann das Oberlandesgericht über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es nach § 121 und den vorstehenden Vorschriften noch nicht zuständig wäre.

(7) Ist der Bundesgerichtshof zur Entscheidung zuständig, so tritt dieser an die Stelle des Oberlandesgerichts.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

96
An den Vorsatz des Gehilfen sind geringere Anforderungen als an denjenigen des Täters zu stellen. Wer lediglich eine fremde Tat fördert, braucht Einzelheiten dieser Tat nicht zu kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr zu haben. Allerdings ist ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 1990 - 3 StR 448/89, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 6; vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399, 400; vom 8. November 2011 - 3 StR 310/11, NStZ 2012, 264; vom 28. November 2017 - 3 StR 272/17, juris Rn. 34 f.).

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

15
Im derzeitigen Ermittlungsstadium besteht auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Mitbeschuldigte sein Geständnis mittlerweile widerrufen hat, kein Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der Einlassung zu zweifeln. Soweit er im Rahmen seiner Anhörung vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 2. Juli 2019 behauptet hat, er sei unter Druck gesetzt worden, hat er dies nicht aufrechterhalten. Auch später geäußerte Einwendungen gegen seine Vernehmungsfähigkeit infolge der Medikation mit dem Benzodiazepin "Tavor" verfangen nicht. Denn aus der Aussage der behandelnden Anstaltsärztin, die als sachverständige Zeugin vernommen worden ist, ergibt sich, dass mit Blick auf den Zeitpunkt der letzten Medikamentengabe vor der Vernehmung und der verabreichten Dosis eine Beeinträchtigung der Vernehmungsfähigkeit ausgeschlossen ist.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 359/11
vom
22. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. März 2012 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 10. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen hiervon sind die Feststellungen zum Geschehen vom 11. März 2009 in der A. schule in Winnenden und den nachfolgenden Ereignissen dieses Tages. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

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1. Die Strafkammer hat festgestellt:
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Der damals 17 Jahre alte Sohn des Angeklagten, T. K. , hatte am 11. März 2009 insgesamt 15 Personen erschossen und 14 Personen durch Schüsse verletzt. Die meisten Opfer waren Schülerinnen, Schüler und Lehrerinnen seiner ehemaligen Schule, der A. schule in Winnenden; T. K. hatte auf sie in Klassenzimmern und darüber hinaus im ganzen Schulgebäude geschossen („Amoklauf von Winnenden“). Anschließend flüchtete er zunächst auf das Gelände der psychiatrischen Kli- nik in Winnenden, wo er einen zufällig anwesenden Monteur erschoss. Danach zwang er einen ihm bis dahin unbekannten Kraftfahrer, ihn nach W. zu fahren, wo er sich schließlich auf dem Gelände eines Autohauses eine Schießerei mit der Polizei lieferte, durch die ein Angestellter und ein Kunde des Autohauses zu Tode kamen und mehrere Polizeibeamte verletzt wurden. Am Ende erschoss sich T. K. selbst.
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Die Tatwaffe und die Munition stammten aus dem Besitz des Angeklagten , eines passionierten Sportschützen. T. K. hatte unter im Detail nicht feststellbaren Umständen jedenfalls im Zeitraum zwischen Herbst 2008 und dem 11. März 2009 vom Angeklagten unbemerkt insgesamt 285 Schuss von verschiedenen Herstellern stammender Munition an sich gebracht. Diese hatte der Angeklagte an unterschiedlichen Orten innerhalb der Wohnung unverschlossen verwahrt. Ebenso unbemerkt vom Angeklagten hatte T. K. zu einem nicht mehr genauer feststellbaren Zeitpunkt , spätestens am Morgen des 11. März 2009, die dem Angeklagten gehörende Pistole Beretta entwendet, die der Angeklagte nicht ständig verschlossen , sondern (aus Angst vor Einbrechern) häufig unverschlossen in einem Schlafzimmerschrank verwahrt hatte.
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T. K. war psychisch auffällig. Seit 2004 hatte er sich immer mehr zu einem Einzelgänger entwickelt. Er beschäftigte sich oft mit Computerspielen , insbesondere mit solchen, in denen er auf virtuelle Personen schoss. Anfang 2008 äußerte er gegenüber seiner Mutter nach entsprechenden Internetrecherchen selbst den Verdacht, dass seine Stimmungs- schwankungen und schlechten Schulnoten auf „bipolare Störungen bezie- hungsweise manisch-depressive Erkrankungen“ zurückzuführen seien. Daraufhin veranlassten seine Eltern über den Hausarzt eine ambulante psycho- therapeutische Behandlung in der psychiatrischen Klinik in Wei. (Klinikum We. ). Schon zu Beginn der Behandlung äußerte er dabei gegenüber der Therapeutin (Fremd-)Tötungsphantasien, worüber diese die Eltern unterrichtete. Im August 2008 wurde T. K. nach fünf ambulanten Gesprächsterminen aus der Behandlung des Klinikums entlassen. Die Klinik bewertete seinen Zustand zwar als deutlich verbessert, empfahl jedoch , dass er auch künftig ambulant psychologisch betreut werden sollte. Da T. K. keine weitere therapeutische Betreuung mehr wollte, unternahmen die Eltern in dieser Richtung nichts, sondern setzten sich über die Empfehlung hinweg. Dabei blieb es selbst dann noch, als sich der psychische Zustand T. K. s wieder deutlich verschlechterte. Dies war für die Familie auch sichtbar, wie sich insbesondere aus dem Inhalt des ChatVerkehrs der jüngeren Schwester T. K. s mit ihrem Freund ergibt. Statt jedoch für therapeutische Betreuung seines Sohnes zu sorgen, ermöglichte ihm der Angeklagte Schießübungen in seinem Schützenverein.
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2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung in 15 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 14 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit fahrlässigem Überlassen einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe und erlaubnispflichtiger Munition an Nichtberechtigte, jeweils begangen durch Unterlassen , zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
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3. Die Revision des Angeklagten ist auf die näher ausgeführte Sachrüge und auf Verfahrensrügen gestützt. Sie hat mit einer Verfahrensrüge weitgehend Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), mit der geltend gemacht ist, dass die Möglichkeit der Verteidigung, eine für die Beweiswürdigung der Straf- kammer wesentliche Zeugin zu befragen, durch die Zubilligung eines Auskunftsverweigerungsrechts rechtsfehlerhaft eingeschränkt worden sei.
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a) Folgendes liegt zugrunde:
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Der Angeklagte hat sich darauf berufen, dass ihm die Intensität der Erkrankung seines Sohnes, insbesondere dessen Tötungsphantasien, unbekannt gewesen seien. Die Strafkammer hält diese Angabe aufgrund der Aussage der Zeugin L. für widerlegt. Diese ist als Mitglied des bei der Johanniter Unfallhilfe angegliederten Kriseninterventionsteams Stuttgart ehrenamtlich tätig. Sie war noch am Tag des Amoklaufs von der Polizei gebeten worden, der Familie K. als Krisenbetreuerin zur Seite zu stehen , nachdem sämtliche Polizeikräfte, die derartige Aufgaben wahrnehmen konnten, für die Betreuung der überlebenden Tatopfer und von Angehörigen der Tatopfer eingesetzt waren. Frau L. kam der Bitte der Polizei nach. Zwischen ihr und der Familie K. entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis , das dazu führte, dass sie (auf Honorarbasis) ihre Tätigkeit für die Familie K. auch noch fortsetzte, als sie nicht mehr auf die Bitte der Polizei hin tätig war.
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Die Vernehmung der Zeugin L. in der Hauptverhandlung gestaltete sich wie folgt:
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Im Hauptverhandlungstermin vom 11. November 2010 gab sie an, der Angeklagte habe ihr bereits am dritten Tag nach dem Amoklauf berichtet, dass er im Jahre 2008 im Klinikum We. über Tötungsphantasien seines Sohnes unterrichtet worden sei. Nachdem das Gericht, der Vertreter der Staatsanwaltschaft und einige Nebenklägervertreter die Zeugin befragt hat- ten, wurde die Vernehmung am Nachmittag des 11. November 2010 bis zum 23. November 2010 unterbrochen. Den Verteidigern war das Fragerecht bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht weitergegeben worden.
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Zu Beginn der Fortsetzung ihrer Vernehmung im Hauptverhandlungstermin vom 23. November 2010 verlas die Zeugin eine von ihr mitgebrachte, vorgefertigte schriftliche Erklärung. Danach habe sie nicht durch den Angeklagten , sondern erst durch ein Sachverständigengutachten im August 2009 von den Tötungsphantasien T. K. s erfahren.
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Nach kurzer Unterbrechung der Hauptverhandlung gab der Vertreter der Staatsanwaltschaft bekannt, dass er soeben ein Ermittlungsverfahren gegen die Zeugin, unter anderem wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung, eingeleitet habe. Daraufhin gewährte der Vorsitzende der Zeugin - unter entsprechender Belehrung - ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht. Die Vernehmung wurde erneut bis zum 16. Dezember 2010 unterbrochen.
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Zu Beginn dieses Fortsetzungstermins widerrief die Zeugin nach erneuter Belehrung ihre Angaben vom 23. November 2010 und bestätigte die Richtigkeit ihrer ursprünglichen Aussage vom 11. November 2010. Weitere Angaben machte sie nicht und berief sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht. Neben weiterem, hier nicht entscheidungserheblichem Prozessgeschehen widersprachen die Verteidiger im Termin vom 16. Dezember 2010 der Verwertung der Angaben der Zeugin L. wegen des Fehlens jeder Möglichkeit zur Fragestellung an die Zeugin L. .
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Den Widerspruch der Verteidiger wies das Gericht mit Beschluss vom 21. Dezember 2010 zurück. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht sei erfolgt, weil der Vertreter der Staatsanwaltschaft zureichende Anhaltspunkte für eine Straftat (hier: der versuchten Strafvereitelung) gesehen und ein Ermittlungsverfahren gegen die Zeugin eingeleitet habe; das Gericht sei zur korrekten Belehrung verpflichtet gewesen. Zu dieser Belehrungspflicht hatte die Kammer bereits am 16. Dezember 2010 in anderem Zusammenhang ausgeführt, die Zeugin sei verdächtig, die Erklärung nach dem Beginn ihrer Vernehmung am 11. November 2010 als Teil einer Strafvereitelungshandlung angefertigt zu haben. Weil die Zeugin L. zu diesem Zeitpunkt bereits benannt gewesen sei, könnte durch die Anfertigung der Erklärung die Grenze zum strafbaren Versuch bereits überschritten sein.
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Die Verteidigung hatte zu keiner Zeit Gelegenheit, die Zeugin L. zu befragen.
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b) Dies beanstandet die Revision zu Recht.
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Straftaten, die erst durch die Aussage selbst begangen wurden, können ein Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen gemäß § 55 StPO nicht begründen (h.M., vgl. BGHSt 50, 318 ff.; BGH bei Dallinger, MDR 1958, 14; Ignor/Bertheau in LR-StPO, 26. Aufl., § 55 Rn. 12). Dies hat die Strafkammer an sich auch nicht verkannt. Ihre Auffassung, hier gelte anderes, weil die Zeugin durch die Anfertigung der schriftlichen Erklärung den Versuch einer Strafvereitelung zugunsten des Angeklagten begangen habe, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Herstellung eines schriftlichen Textes, den der Zeuge als seine Aussage bei seiner Vernehmung verlesen will und abliest, enthält keinen über die falsche Aussage hinausgehenden Unrechtsgehalt.
Bei der Anfertigung der Erklärung handelt es sich also um eine straflose Vorbereitungshandlung (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1982 - 2 StR 314/81, BGHSt 31, 10 ff.; BGH, Urteil vom 18. März 1982 - 4 StR 565/81, JZ 1982, 434 f.).
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Die Entscheidungen, auf die sich die Strafkammer zum Beleg ihrer gegenteiligen Auffassung beruft, ergeben nichts anderes. In einem Fall (BayObLG, Beschluss vom 1. April 1999 - 5 St RR 49/99) hatte nicht der Zeuge selbst seine Falschaussage vorbereitet, sondern ein außenstehender Dritter versucht, einen Zeugen zu einer Falschaussage zu veranlassen. In einer weiteren von der Strafkammer herangezogenen Entscheidung (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. November 1992 - 2 Ss 195/92, MDR 1993, 368) hatte ein Bekannter des Angeklagten schriftliche Falscherklärungen angefertigt und diese über die gutgläubige Verteidigerin zu den Akten gegeben , um seine Benennung als Zeuge zu erreichen. Hier liegt der Unterschied zur vorherigen Fallgestaltung darin, dass der Zeuge durch seine inhaltlich falsche schriftliche Erklärung seine Vernehmung erst herbeigeführt hat, während die Zeugin L. ihre ohnehin vorgesehene Vernehmung vorbereitet hat. Die schriftliche Erklärung der Zeugin war für ihre Vernehmung nicht kausal.
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Eine versuchte Strafvereitelung könnte daher allenfalls in der Aussage der Zeugin selbst liegen, die, wie dargelegt, ein Auskunftsverweigerungsrecht nicht begründen kann. Auf die Frage, ob die Zeugin durch ihre Aussage vom 16. Dezember 2010 von einem etwaigen Versuch der Strafvereitelung zurückgetreten sein könnte, kommt es daher nicht mehr an.
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c) Ob die Rüge der Verletzung des Fragerechts rechtlich an § 338 Nr. 8 StPO oder - wie die Revision meint - an Art. 6 MRK i.V.m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG zu messen ist, bedarf keiner Entscheidung , da jedenfalls die Voraussetzungen beider Rügen im Hinblick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vollständig vorgetragen worden sind.
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d) Der Frage, ob das der Zeugin zu Unrecht zugebilligte Auskunftsverweigerungsrecht rechtlich anders zu gewichten wäre, wenn die Strafkammer , die dies geprüft hat, ihr zu Unrecht ein generelles Zeugnisverweigerungsrecht verweigert hätte, brauchte der Senat nicht nachzugehen. Die Feststellungen der Kammer haben keine zureichenden Anhaltspunkte für eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung oder eine Zugehörigkeit der Zeugin zu den durch § 53 Abs. 1 Satz 1, § 53a StPO privilegierten Berufsgruppen ergeben. Wie sich aus der Aufzählung der aussageverweigerungsberechtigten Personen in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3-3b StPO ergibt, steht nach gesetzlicher Wertung nicht jedem Berater, der berufsmäßig oder ehrenamtlich in schwierigen Situationen Hilfe leistet, ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Diese Wertentscheidung des Gesetzgebers kann nicht im Wege extensiver Auslegung des Gesetzes abgeändert werden (s.a. Huber in Graf (Hrsg.), BeckOK, Edit. 13, § 53a Rn. 7).
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e) Der aufgezeigte Mangel führt zur weitgehenden Aufhebung des Urteils. Ein Zusammenhang zwischen der für die Verteidigung fehlenden Möglichkeit , die Zeugin L. zu befragen, und den Feststellungen zum Geschehen vom 11. März 2009 in der A. schule in Winnenden und den nachfolgenden Ereignissen dieses Tages (Tenor) ist jedoch denknotwendig ausgeschlossen. Auch die sonstigen Verfahrensrügen haben keinen Bezug zu diesen Feststellungen. Da sie auch sonst fehlerfrei getroffen sind, können diese bestehen bleiben (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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1. Zur Beanstandung der Revision, die Strafkammer habe die „Epikri- se“ des Klinikums „We. “ zu Unrecht nicht verwertet:
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a) Die „Epikrise“ ist ein erst nach dem Tatgeschehen verfasster Abschlussbericht des Klinikums „We. “ über die Behandlung von T. K. . Er gelangte zu den Verfahrensakten, nachdem die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren das Klinikum um dessen Übersendung gebeten hatte. Dabei hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, die Eltern von T. K. hätten vor der Einleitung des Ermittlungsverfahrens eine „Schweigepflichtentbindung“ erteilt, die bislang nicht zurückgenommenwor- den sei. Eine solche Entbindungserklärung ist nicht aktenkundig. In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigung - nicht leicht verständlich - sowohl Anträge, die auf der Behauptung beruhten, eine entsprechende Entbindung sei erteilt worden, also auch auf der Behauptung, eine Entbindung sei nicht erteilt worden.
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b) Die Strafkammer ist im Ergebnis davon ausgegangen, dass keine Entbindung erteilt worden ist. Sie hat die „Epikrise“ als solche nicht verwertet und zur Begründung ausgeführt: Die Verwertung sei unzulässig, weil die Ärzte und Therapeuten des Klinikums im Verfahren inzwischen von ihrem Recht, die Aussage zu verweigern (§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO) Gebrauch machten. Für die Frage der Verwertbarkeit der vorher zu den Akten gelang- ten „Epikrise“ sei daher eine Abwägung (§ 160a Abs. 2 StPO) zwischen dem postmortalen Persönlichkeitsschutz T. K. s und dem Interesse an der Tataufklärung vorzunehmen. Weil es sich bei der Straftat des Angeklagten nur um ein - wenngleich in den Auswirkungen erhebliches - fahrlässiges Delikt handele, die Eltern T. K. s als Hinterbliebene mit einer Offenbarung der „Epikrise“ tatsächlich nicht einverstanden waren und die Ärzte der Verwertung des Berichts inzwischen widersprochen hatten, überwiege letztlich der postmortale Persönlichkeitsschutz T. K. s.
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c) Diese Ausführungen begegnen Bedenken (aa, bb). Darüber hinaus sind gewichtige Gesichtspunkte nicht angesprochen (cc).
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aa) Die Strafkammer ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass nach dem Tode des Patienten die verbindliche Entscheidung über die Verwertbarkeit von ihn betreffenden ärztlichen Unterlagen nicht auf die Erben übergeht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 31. Mai 1983 - VI ZR 259/81, NJW 1983, 2627 ff.). Ob die (hier bereits aktenkundigen) Unterlagen verwertbar sind, ist nach Maßgabe des § 160a Abs. 2 StPO abzuwägen. Das Ergebnis der Abwägung ist vom Revisionsgericht nur auf seine Vertretbarkeit hin zu überprüfen (vgl. BGHSt 41, 30; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 160a Rn. 18); jedoch unterliegen die der Abwägung zugrunde gelegten rechtlichen Maßstäbe revisionsrichterlicher Kontrolle.
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Im Rahmen dieser Abwägung kann es freilich eine Rolle spielen, ob der (die) Erbe(n) des Patienten mit der Verwertung der den Patienten betreffenden Unterlagen einverstanden ist (sind). In diesem Zusammenhang kann gegebenenfalls auch zu berücksichtigen sein, dass der Angeklagte einerseits geltend macht, die Heranziehung der „Epikrise“ sei zu seiner Entlastung ge- boten, andererseits aber ihrer Heranziehung im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten dadurch gleichwohl entgegenwirkt, dass er die Frage nach einer „Schweigepflichtentbindung“ nicht nur offen lässt, sondern die Klärung durch widersprüchlichen Vortrag erschwert.
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bb) Während dieser Gesichtspunkt sich im Ergebnis eher gegen eine Heranziehung der „Epikrise“ auswirken könnte, bestehen andererseits gegen die Gewichtung der Taten, die die Strafkammer zur Begründung der Ablehnung der Verwertung herangezogen hat (§ 160a Abs. 2 Satz 1 StPO), recht- liche Bedenken. Die Strafkammer meint, es liege keine „Straftat von erheblicher Bedeutung“ vor, und stellt entscheidend darauf ab, dass es sich nur um eine fahrlässig begangene Straftat handele. Damit legt die Strafkammer hin- sichtlich des Begriffs „erhebliche Bedeutung“ einen unzutreffenden Maßstab an.
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Eine Straftat hat „erhebliche Bedeutung“, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BVerfGE 109, 279, 344; 103, 21, 34; BT-Drucks. 16/5846, S. 40). Der Bereich mittlerer Kriminalität bestimmt sich maßgeblich nach den abstrakten Strafrahmen des materiellen Strafrechts, nicht nach der Schuldform. Bei entsprechend hohen Strafrahmen kann da- her auch eine fahrlässige Straftat eine solche von „erheblicher Bedeutung“ sein. Selbst eine fahrlässige Körperverletzung kann nach den Umständen des Einzelfalls noch ausreichen (vgl. BVerfG NJW 2009, 2431; vgl. auch Rieß, GA 2004, 623, 638 ff. mwN). Hieran gemessen ist die Annahme, fahrlässige Tötungen (Höchststrafe fünf Jahre) seien, zumal unter den hier vorliegenden konkreten Umständen, schon im Ansatz keine erheblichen Straftaten , nicht tragfähig.
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cc) Die neue Strafkammer wird deutlicher als bisher im Ansatz auch Gelegenheit haben, Folgendes zu berücksichtigen: Der Persönlichkeitsschutz des Geheimnisinhabers (Patienten) wird durch dessen Tod in einen allgemeinen, der Abwehr von Angriffen auf die Menschenwürde dienenden Achtungsanspruch umgewandelt; dessen Schutzwirkung reicht jedenfalls weniger weit als das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Lebenden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juni 1998 - 2 StR 189/98). Diesem Interesse des Geheimnisinhabers (Patienten) steht das Interesse des Angeklagten gegenüber , nicht unschuldig verurteilt bzw. nicht schärfer als schuldangemessen bestraft zu werden (vgl. OLG Celle NJW 1965, 362).
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Darüber, zu welchem Ergebnis die aufgeführten gegenläufigen Gesichtspunkte und die sonstigen, in diesem Zusammenhang von der Strafkammer angestellten Erwägungen letztlich führen, hat der Senat hier nicht zu befinden.
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2. Zum Schuldspruch bemerkt der Senat:
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Die Strafkammer hat auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen zutreffend neben den Verstößen gegen das Waffengesetz auch fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung bejaht. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte hätte voraussehen können, dass sein Sohn als Folge der unzulänglichen Sicherung von Waffen und Munition auf Menschen schießen wird, nicht notwendig davon abhängig sein muss, wie präzise die Kenntnis des Angeklagten über das Maß der psychischen Erkrankung seines Sohnes war. Schon diese unzulängliche Sicherung von Waffen und Munition unter Verstoß gegen die spezifischen waffenrechtlichen Aufbewahrungspflichten kann den Vorwurf der Fahrlässigkeit für Straftaten begründen, die vorhersehbare Folge einer ungesicherten Verwahrung sind. Für die Vorhersehbarkeit könnte hier zudem die - für sich gesehen bislang rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung sprechen, dass der Angeklagte entgegen dem Rat des Klinikums nicht für eine Weiterbehandlung seines Sohnes sorgte, dies selbst dann noch nicht, als sich dessen psychischer Zustand wieder deutlich verschlechterte.
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Stattdessen ermöglichte der Angeklagte seinem, wie ihm jedenfalls bekannt war, psychisch sehr labilen Sohn, der seit Jahren in Computerspielen auf andere schoss, sich im Schützenverein im Umgang mit realen Schusswaffen zu üben.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.