Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2011 - III ZB 84/10

bei uns veröffentlicht am21.04.2011
vorgehend
Amtsgericht Frankfurt am Main, 31 C 139/09, 23.06.2009
Landgericht Frankfurt am Main, 08 S 25/09, 03.03.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BGHR: ja

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 84/10
vom
21. April 2011
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2011 durch den
Vizepräsidenten Schlick und die Richter Dörr, Wöstmann, Hucke und Seiters

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 3. März 2010 - 2-08 S 25/09 - wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: 2.990,94 €

Gründe:


I.


1
Die Klägerin nimmt das beklagte Kreditkartenunternehmen, dessen satzungsmäßiger Sitz im Vereinigten Königreich ist und das in Deutschland eine Zweigniederlassung unterhält, auf Erstattung von Kosten für die Stornierung einer gebuchten Reise in Anspruch.
2
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. Juni 2009 abgewiesen. Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 26. Juni 2009 zugestellte Urteil am 27. Juli 2009, einem Montag, Berufung beim Landgericht eingelegt und ihr Rechtsmittel innerhalb bewilligter Fristverlängerung am 9. September 2009 begründet.
3
Nach vorangegangenem Hinweis hat das Landgericht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, weil nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung das Oberlandesgericht für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig gewesen wäre. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.


4
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
5
1. Nach § 40 EGGVG findet § 119 GVG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) auf Berufungsverfahren unter anderem dann Anwendung, wenn die anzufechtende Entscheidung vor dem 1. September 2009 erlassen wurde und Ansprüche betrifft, die gegen eine Partei erhoben worden sind, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb des Geltungsbereichs des Gerichtsverfassungsgesetzes hatte.
6
Wie die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht, sind die Voraussetzungen jener Vorschrift erfüllt, weil die Beklagte ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 60 Abs. 1 EuGVVO im Vereinigten Königreich hatte und das anzufechtende Urteil am 23. Juni 2009 verkündet wurde. Für eine solche Fallkonstellation sieht § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG a.F. vor, dass die Oberlandesgerichte für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Berufung und Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte zuständig sind.
7
2. Die Rechtsbeschwerde, die dies ausgehend vom Wortlaut des § 119 Abs. 1 Nr. 1 GVG a.F. nicht anders sieht, meint indes, der Zweck dieser Norm sei dahin gegangen, aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Eindämmung von Divergenzen unter den Berufungsgerichten die Oberlandesgerichte dann zur Entscheidung zu berufen, wenn entweder (Buchst. c) ausländisches Recht angewendet wurde oder (Buchst. b) die Anwendung ausländischen Rechts mit Rücksicht auf den allgemeinen Gerichtsstand einer Partei in Betracht komme. Sie hält daher - im Wege einer Fortbildung des Rechts - eine teleologische Reduktion der Bestimmung für geboten, wonach die Regelzuständigkeit des Landgerichts angezeigt ist, wenn bei einem Streit über vertragliche Ansprüche die Vertragsparteien - wie hier - die Anwendbarkeit des deutschen Rechts wirksam vereinbart hätten.
8
Dem kann nicht gefolgt werden.
9
a) Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, ist die Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts daran, dass eine Partei bei Klageerhebung keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, formal zu verstehen. Sie greift daher auch dann ein, wenn sich im Einzelfall keine besonde- ren Fragen des internationalen Privatrechts stellen (vgl. Beschlüsse vom 19. Februar 2003 - IV ZB 31/02, NJW 2003, 1672, 1673; vom 19. Juni 2007 - VI ZB 3/07, NJW-RR 2007, 1436 Rn. 6). Eine andere Betrachtung trüge in die Beurteilung, welches Gericht für ein Rechtsmittel zuständig wäre, Unsicherheiten hinein, die mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit nicht zu vereinbaren wären. Denn sie hinge von der Beantwortung materiell-rechtlicher Vorfragen ab.
10
b) Insoweit unterscheidet sich die hier zu beurteilende Konstellation von Fällen, in denen der Bundesgerichtshof die besondere Rechtsmittelzuständigkeit des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG a.F. verneint hat, weil trotz des allgemeinen Gerichtsstands einer Partei im Ausland ausschließlich deutsches Recht anzuwenden ist. Dies gilt etwa für Entscheidungen der Vollstreckungsgerichte in Zwangsversteigerungsverfahren (Beschluss vom 19. März 2004 - IXa ZB 23/03, IPRspr. 2004 Nr. 184 S. 424, 425), in allgemeinen Zwangsvollstreckungsverfahren (Beschluss vom 25. Oktober 2006 - VII ZB 24/06, MDR 2007, 487, 488) und in insolvenzrechtlichen Beschwerdeverfahren (Beschluss vom 23. Oktober 2008 - IX ZR 193/06, WM 2009, 95 Rn. 5), weil hier nach dem "lex fori"-Prinzip ausschließlich deutsches Recht anzuwenden ist und damit eine Rechtsunsicherheit, die die Anwendung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG a.F. hätte rechtfertigen können, nicht bestanden hat.
11
3. Die von der Rechtsbeschwerde befürwortete Rechtsfortbildung ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber die besondere Rechtsmittelzuständigkeit der Oberlandesgerichte nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und c GVG a.F. im FGG-Reformgesetz nicht mehr vorgesehen hat, weil sie sich nicht bewährt habe (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 320). Es besteht kein Anlass und es wird von der Rechtsbeschwerde auch kein praktisches Bedürfnis aufgezeigt, das durch die Neuregelung auslaufende alte Recht in der von der Rechtsbeschwerde für richtig gehaltenen Weise weiter zu komplizieren.
Schlick Dörr Wöstmann
Hucke Seiters
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 23.06.2009 - 31 C 139/09-44 -
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 03.03.2010 - 2-08 S 25/09 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2011 - III ZB 84/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2011 - III ZB 84/10

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 119


(1) Die Oberlandesgerichte sind in Zivilsachen zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel: 1. der Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte a) in den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen;b) in den Angelegenh
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Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 119


(1) Die Oberlandesgerichte sind in Zivilsachen zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel: 1. der Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte a) in den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen;b) in den Angelegenh

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Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Juni 2007 - VI ZB 3/07

bei uns veröffentlicht am 19.06.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 3/07 vom 19. Juni 2007 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b Die Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts daran, dass eine Pa

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Feb. 2003 - IV ZB 31/02

bei uns veröffentlicht am 19.02.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB 31/02 vom 19. Februar 2003 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja _____________________ GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 b Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Berufungen und Beschwerden

Referenzen

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Die Oberlandesgerichte sind in Zivilsachen zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel:

1.
der Beschwerde gegen Entscheidungen der Amtsgerichte
a)
in den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen;
b)
in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der Freiheitsentziehungssachen und der von den Betreuungsgerichten entschiedenen Sachen;
2.
der Berufung und der Beschwerde gegen Entscheidungen der Landgerichte.

(2) § 23b Absatz 1, 2 und 3 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) In Zivilsachen sind Oberlandesgerichte ferner zuständig für die Verhandlung und Entscheidung von Musterfeststellungsverfahren nach Buch 6 der Zivilprozessordnung im ersten Rechtszug. Ein Land, in dem mehrere Oberlandesgerichte errichtet sind, kann durch Rechtsverordnung der Landesregierung einem Oberlandesgericht die Entscheidung und Verhandlung für die Bezirke mehrerer Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuweisen, sofern die Zuweisung für eine sachdienliche Förderung oder schnellere Erledigung der Verfahren zweckmäßig ist. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 31/02
vom
19. Februar 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Berufungen und Beschwerden
gegen Entscheidungen der Amtsgerichte nach § 119 Abs. 1
Nr. 1 b GVG hängt nicht davon ab, ob es im Einzelfall auf internationales
Recht ankommt.
BGH, Beschluß vom 19. Februar 2003 - IV ZB 31/02 - LG Hamburg
AG Hamburg
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert, Dr. Schlichting, die Richterinnen Ambrosius, Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch
am 19. Februar 2003

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 32, vom 4. September 2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Streitwert: 5.022,73

Gründe:


I. Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Hausratversicherung "! #%$& auf Zahlung von 5.022,73 März 2002 zugestellt. Das Amtsgericht wies sie mit Urteil vom 3. Mai 2002 ab, weil ein Versicherungsfall nicht dargetan sei. Gegen dieses dem Klägervertreter am 15. Mai 2002 zugestellte Urteil wurde am Freitag, dem 14. Juni 2002, Berufung beim Landgericht eingelegt, also innerhalb der am Montag, dem 17. Juni 2002, endenden Frist des § 517 ZPO; die Berufung wurde am 5. Juli 2002 rechtzeitig begründet. Das Landgericht wies die Parteien mit Verfügung vom 12. Juli 2002 darauf hin, daß sich der Hauptsitz der Beklagten ausweislich des der Klage beigefügten Ver-

sicherungsscheins in L. befinde und sie in der Bundesrepublik Deutsch- land lediglich über eine Niederlassung verfüge, für die ein Hauptbevollmächtigter bestellt sei; zuständig für die Berufung sei daher das Oberlandesgericht gemäß §§ 72, 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG. Die Kammer beabsichtige , die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Demgegenüber vertrat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Auffassung, das Landgericht sei zuständig. Es hat die Berufung durch Beschluß vom 4. September 2002 als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und nach § 574 Abs. 2 ZPO auch zulässig im Hinblick auf die Klärung der Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG, der durch Art. 1 des ZPO-Reformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) neu gefaßt worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist im übrigen form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Auf die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO kommt es nicht an (BGH, Beschluß vom 4. September 2002 - VIII ZB 23/02 - NJW 2002, 3783 unter II 1 b).
2. Mit Recht hat das Landgericht im angefochtenen Beschluß festgestellt , daß es sich bei der Beklagten um eine Aktiengesellschaft nach englischem Recht mit Sitz in L. handle, die in H. lediglich über eine Zweigniederlassung verfüge. Deren Eintragung im Handelsregister besagt für sich genommen nichts über ihre rechtliche Selbständigkeit (§ 13 HGB; vgl. BGH, Beschluß vom 13. Januar 1998 - X ARZ 1298/97 - NJW 1998, 1322). Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten liegt mithin im

Ausland (§ 17 ZPO), so daß die Voraussetzungen des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG dem Wortlaut nach gegeben sind. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde auch nicht mehr.
3. Er macht vielmehr geltend, im Hinblick auf die für Niederlassungen von Versicherungsgesellschaften geltenden Sonderregelungen sowie auf Art. 8 ff. EGVVG müsse § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG einschränkend ausgelegt werden. Dem ist nicht zu folgen.

a) Mit § 119 Abs. 1 Nr. 1 b und c GVG hat der Gesetzgeber für Sachen mit Auslandsberührung eine neue Zuständigkeit der Oberlandesgerichte zur Entscheidung über Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte eingeführt, im übrigen aber an der Zuständigkeit der Landgerichte gemäß § 72 GVG festgehalten. Diese Sonderzuweisung sollte dem Umstand Rechnung tragen, daß durch die Internationalisierung des Rechts und den zunehmenden grenzüberschreitenden Rechtsverkehr ein großes Bedürfnis nach Rechtssicherheit durch eine obergerichtliche Rechtssprechung bestehe. Dabei wurde mit § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG an den allgemeinen Gerichtsstand einer Partei im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit angeknüpft, weil sich bei einem allgemeinen Gerichtsstand im Ausland regelmäßig Fragen des Internationalen Privatrechts stellten; das Kriterium des Gerichtsstands gewährleiste eine hinreichende Bestimmtheit und damit Rechtssicherheit für die Abgrenzung der Berufungszuständigkeit zwischen Landgericht und Oberlandesgericht (BT-Drucks. 14/6036 S. 118 f.).

b) Danach ist die Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts daran, daß eine Partei bei Klageerhebung keinen

allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, formal zu verstehen: Sie greift auch dann ein, wenn sich im Einzelfall keine besonderen Fragen des In- ternationalen Privatrechts stellen (Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. § 119 GVG Rdn. 15; MünchKomm/Wolf, ZPO 2. Aufl. Aktualisierungsband, GVG § 119 Rdn. 4). Schon deshalb kommt die vom Kläger geforderte teleologische Reduktion der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG für den hier vorliegenden Sachverhalt nicht in Betracht.

c) Der Bundesgerichtshof hat zwar in einem Beschluß vom 6. April 1979 angenommen, daß eine ausländische Versicherungsgesellschaft, die im Inland eine selbständige Niederlassung unterhält, im Hinblick auf deren weitgehende Angleichung an eine juristisch selbständige Rechtspersönlichkeit durch das Versicherungsaufsichtsrecht ihren allgemeinen Gerichtsstand im Inland am Ort der Niederlassung habe; dies gelte jedenfalls für die Zuständigkeit im Mahnverfahren gemäß § 689 Abs. 2 ZPO (I ARZ 403/78 - VersR 1979, 561 unter II). Diese Entscheidung kann ungeachtet zwischenzeitlicher Änderungen des Versicherungsaufsichtsrechts jedenfalls deshalb nicht auf die Auslegung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG übertragen werden, weil es für die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts nach dem Zweck dieser Regelung nicht auf das Maß an Selbständigkeit einer Niederlassung ankommt, sondern darauf, ob Internationales Privatrecht für die Entscheidung eine Rolle spielen könnte. Hierfür hat der Gesetzgeber auf den allgemeinen Gerichtsstand abgehoben , der sich bei juristischen Personen nach ihrem Sitz bestimmt (§ 17 ZPO). Liegt dieser Sitz im Ausland, ist generell das Auftreten von Fragen des Internationalen Privatrechts möglich, mit denen der Gesetzgeber die Oberlandesgerichte betraut hat, auch wenn die Partei im Inland eine Niederlassung mit verhältnismäßig weitgehender Selbständigkeit unter-

hält. Der Zweck der Neuregelung steht mithin einer einschränkenden Auslegung für inländische Niederlassungen ausländischer Versicherungsgesellschaften entgegen.

d) Nichts anderes ergibt sich im Blick auf das europäische Internationale Versicherungsvertragsrecht: Nach Art. 8 EGVVG ist auf ein Versicherungsverhältnis , bei dem das versicherte Risiko in dem Land belegen ist, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zwar das Recht dieses Landes anzuwenden, hier also deutsches Recht. Deshalb ist das Entstehen von Fragen des Internationalen Privatrechts aber nicht ausgeschlossen. In welchem Land ein Risiko belegen ist, wird in Art. 7 Abs. 2 EGVVG differenziert geregelt. Art. 9 bis 11 EGVVG eröffnen in einer Reihe von Fällen die Möglichkeit einer Rechtswahl oder der Zuordnung zum Recht des Staates, zu dem der Versicherungsvertrag die engsten Verbindungen aufweist. Ob einer dieser besonderen Tatbestände vorliegt oder aber der Fall des Art. 8 EGVVG, ist bereits eine Frage des Internationalen Privatrechts, deren Entscheidung der Gesetzgeber dem Oberlandesgericht als Berufungsinstanz zugewiesen hat. Auch insoweit kommt also eine teleologische Reduktion des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG nicht in Betracht.
4. Mithin war die Berufung unzulässig, weil sie nicht nach § 519 Abs. 1 ZPO bei dem hier gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG zuständigen Berufungsgericht eingereicht wurde.
Eine Wiedereinsetzung von Amts wegen kommt nicht in Betracht. Das mit der Sache zuvor nicht befaßte Landgericht war nicht verpflichtet, die Berufung etwa noch am Tage ihres Eingangs an das zuständige

Oberlandesgericht weiterzuleiten, um die am Montag, dem 17. Juni 2002, ablaufende Berufungsfrist zu wahren (vgl. BVerfG NJW 1995, 3173 unter C II 2). Eine spätere Weiterleitung (oder eine Verweisung analog § 17 a Abs. 2 GVG, für die sich MünchKomm/Wolf, aaO GVG § 119 Nr. 7 ausspricht ,) hätte dem Kläger nicht mehr geholfen, weil durch den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift bei einem unzuständigen Gericht auch bei Weiterverweisung an das zuständige Gericht die inzwischen abgelaufene Berufungsfrist nicht gewahrt wird (BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999 - III ZR 73/99 - NJW 2000, 1574 unter 3 a). Die insoweit für das Kartellverfahren geltenden Sonderregeln (BGHZ 71, 367 ff.) können nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden, weil die Bestimmung der Zuständigkeit für das Berufungsverfahren nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG nicht mit vergleichbaren Unsicherheiten wie das Kartellverfahren belastet ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 1999

aaO unter 3 b). Einen Antrag auf Verweisung verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Ablauf der Berufungsfrist hat der Kläger nicht gestellt. Das Landgericht hat die Berufung daher mit Recht als unzulässig verworfen.
Seiffert Dr. Schlichting Ambrosius
Dr. Kessal-Wulf Felsch
6
Die Anknüpfung der Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts daran, dass eine Partei bei Klageerhebung keinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland hat, ist formal zu verstehen. Sie greift auch dann ein, wenn sich im Einzelfall keine besonderen Fragen des internationalen Privatrechts stellen (Zöller/Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rn. 15; MünchKomm/Wolf, ZPO 2. Aufl. Aktualisierungsband, GVG § 119 Rn. 4; Musielak/Wittschier ZPO 5. Aufl. § 119 GVG Rn. 19). Nur ein formales Verständnis der Norm genügt dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Gebot der Rechtsmittelklarheit, wonach Rechtsbehelfe "in der geschriebenen Rechtsordnung" geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger klar erkennbar sein müssen (siehe dazu BVerfG, NJW 2003, 1924, 1928). Das lässt sich nur erreichen, wenn die Voraussetzungen der Zuständigkeitsregelung in § 119 Abs.1 Nr. 1 Buchst. b GVG eng und formal verstanden werden, weil sie den Zugang zu dem an sich gegebenen Rechtsmittel der Berufung zum Landgericht in einer mit Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen Weise erschweren. Das Kriterium des allgemeinen Gerichtsstands gewährleistet eine hinreichende Bestimmtheit und damit Rechtssicherheit für die Abgrenzung der Berufungszuständigkeit zwischen Landgericht und Oberlandesgericht (BT-Drucks. 14/6036 S. 118 f.). Deshalb kommt die von der Rechtsbeschwerde geforderte teleologische Reduktion der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b GVG nicht in Betracht. Im Übrigen wäre bei Anwendung des ausländischen Rechts durch das Amtsgericht die Berufungszuständigkeit des Oberlandesgerichts nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c GVG begründet (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 18. Januar 2007 - V ZB 129/06 – VersR 2007, 664, 665 f.), so dass die Zuständigkeitsregelung in § 119 Abs.1 Nr. 1 Buchst. b GVG, wollte man der Rechtsbeschwerde folgen, weitgehend leer liefe.