Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10

bei uns veröffentlicht am20.10.2010
vorgehend
Landgericht Darmstadt, 19 O 200/08, 14.01.2010
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 12 U 15/10, 28.05.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 11/10
vom
20. Oktober 2010
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf,
die Richter Felsch und Dr. Karczewski
am 20. Oktober 2010

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. Mai 2010 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert: 357.200 €

Gründe:


1
1. Die Beklagte hat durch ihren (früheren) Prozessbevollmächtigten gegen das diesem am 21. Januar 2010 zugestellte erstinstanzliche Urteil fristgerecht am 3. Februar 2010 Berufung eingelegt. Am 20. April 2010 hat sich der Vorsitzende des Berufungsgerichts telefonisch bei der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nach dem Verbleib der Berufungsbegründung erkundigt. Bei Gericht eingehend per Telefax am 22. April 2010 hat der Prozessbevollmächtigte die Berufung begründet und zugleich beantragt, der Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2
Berufungsgericht Das hat den Wiedereinsetzungsantrag mit Beschluss vom 28. Mai 2010 zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Beklagten.
3
Die 2. Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft; sie ist aber nicht zulässig, weil die Rechtssache weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht gegen das Rechtsstaatsgebot oder das Gebot effektiven Rechtsschutzes verstoßen. Auch weitere Zulassungsgründe sind nicht ersichtlich, vielmehr ist der Beklagten die begehrte Wiedereinsetzung lediglich aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles zu versagen.
4
a) Die Beklagte macht geltend, der angefochtene Beschluss weiche von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, soweit das Berufungsgericht ihrem früheren Prozessbevollmächtigten vorhalte, er habe hier aus Anlass einer verspäteten Aktenvorlage die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im Fristenbuch seines Büros persönlich kontrollieren müssen. Bisher habe es der Bundesgerichtshof demgegenüber genügen lassen, wenn sich ein Rechtsanwalt allein aufgrund der in seiner Handakte befindlichen Vermerke von der ordnungsgemäßen Fristennotierung überzeuge (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533 m.w.N.; 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - VersR 2007, 520 Rn. 6).

5
Darauf b) kommt es hier aber nicht an, weil die Beklagte ihren Wiedereinsetzungsantrag anderweitig nicht ausreichend begründet hat. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei, dass ein - ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares - persönliches Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der am Montag, dem 22. März 2010 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist ausscheidet.
6
Losgelöst von der Frage einer ordnungsgemäßen Fristnotierung im Fristenkalender und der Wahrung der Vorfrist war die Handakte dem Rechtsanwalt jedenfalls mit Blick auf den aus der Handakte ersichtlichen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und gemessen an der vorgetragenen Büroanweisung im Ergebnis pünktlich zwei Wochenenden vor Fristablauf zur Bearbeitung vorgelegt worden. Ist es dem Rechtsanwalt auch grundsätzlich gestattet, die Fristenkontrolle seinem Büropersonal zu überantworten, so setzt die persönliche Verantwortung des Rechtsanwalts für die Fristwahrung jedenfalls dann wieder ein, wenn ihm die Handakten zeitnah zum Fristablauf zur Erledigung der fristgebundenen Prozesshandlung wieder vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - VersR 2003, 1460 unter 2 m.w.N.; 22. September 1971 - V ZB 7/71 - NJW 1971, 269 unter 1 und 3). Insoweit ist dem früheren Prozessbevollmächtigten der Beklagten der Vorwurf zu machen, dass er die Akten hier nochmals aus der Hand gab und infolgedessen offenbar binnen sehr kurzer Zeit aus dem Blick verlor, anstatt lediglich die für die Weiterbearbeitung erforderliche Parallelakte hinzu zu ziehen und die bereits begonnene Bearbeitung der Berufungsbegründung fortzusetzen. Die Anweisung, die Akten "zur Hauptfrist" wieder vorzulegen, war geeignet, die Büromitarbeiter zu irritieren, denn nach der behaupteten internen Büroanweisung war die Handakte gemessen an der notierten Vorfrist bereits eine Woche zu spät vorgelegt worden (darin unterscheidet sich der Fall vom Beschluss des VI. Zivilsenats des BGH vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - VersR 1997, 1252) und auch der Zeitpunkt für eine Vorlage zur Hauptfrist (Freitag, der 12. März 2010) bereits überschritten. Vor diesem Hintergrund konnte diese Fristverfügung den Anschein erwecken, als stehe dieser Termin noch aus, so dass die Akte nochmals "auf Frist" gelegt werden könne. Der Rechtsanwalt hätte hier deshalb zumindest eine sofortige oder exakt datierte Wiedervorlage verlangen müssen.
Terno Wendt Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Karczewski
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 14.01.2010 - 19 O 200/08 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 28.05.2010 - 12 U 15/10 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A
Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10 zitiert 4 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2010 - II ZB 10/09

bei uns veröffentlicht am 08.02.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZB 10/09 vom 8. Februar 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 (Fc, Fd) Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Friste
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2010 - IV ZB 11/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Mai 2014 - IV ZB 1/14

bei uns veröffentlicht am 28.05.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZB1/14 vom 28. Mai 2014 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller am 28. Mai 2014 b

Referenzen

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 10/09
vom
8. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 233 (Fc, Fd)
Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im
Rahmen der Fristenkontrolle gehört, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte
notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder
auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen
worden sind. Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer
fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung
seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen
einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender auch dann eigenverantwortlich
zu prüfen, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden
ist.
BGH, Beschluss vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - OLG Hamm
LGDortmund
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 8. Februar 2010 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Caliebe,
Dr. Drescher, Dr. Löffler und Bender

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. April 2009 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. Beschwerdewert: 89.167,89 €

Gründe:

I.

1
Gegen das ihm am 29. August 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts, durch welches der Beklagte zur Zahlung und Freistellung verurteilt worden war, legte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am 26. September 2008 Berufung ein. Nachdem das Oberlandesgericht mit Verfügung vom 5. November 2008 auf die Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen hatte, beantragte der Beklagte am 19. November 2008 die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung und legte mit Schriftsatz vom 21. November 2008 eine Berufungsbegründung vor.
2
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsbegehrens trug der Beklagte vor, sein Prozessbevollmächtigter habe im Anschluss an die Zustellung des landgerichtlichen Urteils die für die Eintragung und Kontrolle von Fristen zuständige Büroangestellte angewiesen, die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungs- frist im Fristenkalender zu markieren. Die Überwachung von Notfristen sei in dem Büro so organisiert, dass die Fristen nach Weiterleitung der Vorgänge an die zuständige Bürokraft von dieser in einem besonderen Fristenkalender notiert würden und jeweils zusätzlich eine Woche vor Fristablauf eine Vorfrist eingetragen werde. Bei Ablauf der Vorfrist werde dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt ein roter Merkzettel zugeleitet, auf dem der Fristablauf notiert sei. Im vorliegenden Fall sei von der bisher zuverlässig arbeitenden Bürokraft versehentlich nur die Frist zur Berufungseinlegung, nicht aber die Begründungsfrist notiert worden, was dazu geführt habe, dass die Akten vor Ablauf der Begründungsfrist dem Prozessbevollmächtigten nicht vorgelegt worden seien.
3
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft, aber unzulässig, weil es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) nicht erforderlich, da das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat.
5
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner die Wiedereinsetzung versagenden Entscheidung ausgeführt, dass es einem Rechtsanwalt unbenommen sei, die Führung eines Fristenkalenders auf sein Büropersonal zu übertragen, sofern er dieses sorgfältig ausgewählt und belehrt habe und die Fristenwahrung durch Führung eines geeigneten Fristenkalenders sowie Notierung der Fristen gesichert sei. Werde ihm im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift die Handakte vorgelegt, erstrecke sich die Kontrollpflicht des Rechtsanwalts auch auf die Erledigung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Erfüllung dieser Pflicht habe er die Anbringung von Erledigungsvermerken über die Notierung der Berufungsbegründungsfrist nicht nur anzuordnen, sondern nach diesen Erledigungsvermerken auch zu forschen. Weder dem Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung noch der zur Glaubhaftmachung beigefügten eidesstattlichen Versicherung könne entnommen werden, ob Kontrollmaßnahmen ergriffen worden seien, um die Einhaltung der Begründungsfrist sicherzustellen. Aus der Aktenlage könne lediglich geschlossen werden, dass die Handakte dem Prozessbevollmächtigten vorgelegen habe, da die Berufungsschrift rechtzeitig gefertigt und an das Berufungsgericht übermittelt worden sei. Dabei sei der Prozessbevollmächtigte selbst zur Kontrolle der Berufungsbegründungsfrist gehalten gewesen , was bei Vorlage der Akte möglich und auch zumutbar gewesen sei.
6
2. Das Oberlandesgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen ein dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist. Der Beklagte hat weder das Vorhandensein einer den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügenden Fristenkontrolle im Büro des Prozessbevollmächtigten , noch die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung zur Eintragung der Berufungsbegründungsfrist dargetan, auf deren Erledigung der Prozessbevollmächtigte ohne weiteres hätte vertrauen dürfen.
7
a) Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleis- ten. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten , als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (BGH, Beschl. v. 27. September 2007 - IX ZA 14/07, AnwBl. 2008, 71; v. 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, ZIP 2003, 1050, 1051). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Fristenkontrolle gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (vgl. Sen.Beschl. v. 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Tz. 11; BGH, Beschl. v. 5. Februar 2003 aaO; v. 21. April 2004 - XII ZB 243/03, FamRZ 2004, 1183; v. 9. Dezember 2009 - XII ZB 154/09 Tz. 15). Wird dem Rechtsanwalt die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt, hat er die Einhaltung seiner Anweisungen zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (BGH, Beschl. v. 22. Januar 2008 - VI ZB 46/07, NJW 2008, 1670 Tz. 6; v. 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05, NJW 2006, 2778 Tz. 6; Sen.Beschl. v. 18. Juli 2005 - II ZB 16/04). Diese anwaltliche Prüfungspflicht besteht auch dann, wenn die Handakte zur Bearbeitung nicht zugleich mit vorgelegt worden ist (BGH, Beschl. v. 22. November 2000 - XII ZB 28/00, FamRZ 2001, 1143, 1145; v. 19. Dezember 2000 - VIII ZB 35/00, NJW-RR 2001, 782; v. 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91, NJW-RR 1991, 827, 828), so dass in diesen Fällen die Vorlage der Handakte zur Fristenkontrolle zu veranlassen ist.
8
Dem Wiedereinsetzungsvorbringen des Beklagten lässt sich, wie das Oberlandesgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt hat, nicht entnehmen, ob - und bejahendenfalls welche - Kontrollmaßnahmen in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten ergriffen worden waren, um die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist, insbesondere deren Eintragung in den Fristenkalender , sicherzustellen. Der Beklagte hat daher schon nicht dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass in dem Büro des Prozessbevollmächtigten eine den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Organisation des Fristenwesens genügende Fristenkontrolle vorgesehen war. Damit spricht nach dem Vorbringen einiges für ein mögliches für die Fristversäumung ursächliches Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten. Denn bei sachgerechter Organisation der Fristenkontrolle wäre die unterbliebene Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in dem Fristenkalender wegen des fehlenden Erledigungsvermerks aus der Handakte ersichtlich gewesen und bei der im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung offenbar geworden.
9
b) Auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen und Anweisungen für die Fristenwahrung in einer Anwaltskanzlei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings dann nicht an, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleikraft, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, welche bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (Sen.Beschl. v. 2. Juli 2001 - II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60; BGH, Beschl. v. 25. Juni 2009 – V ZB 191/08, NJW 2009, 3036 Tz. 6; v. 15. April 2008 - VI ZB 29/07, JurBüro 2009, 54; v. 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig tätige Bürokraft eine konkrete Einzelanweisung, auch wenn sie mündlich erteilt wird, befolgt und ordnungsgemäß ausführt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern. Betrifft die Anweisung aber einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen in der Rechtsanwaltskanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die mündliche Anweisung in Vergessenheit gerät und die Ein- tragung der Frist unterbleibt (Sen.Beschl. v. 26. Januar 2009 aaO 1085 Tz. 16; BGH, Beschl. v. 15. April 2008 aaO; v. 2. April 2008 - XII ZB 189/07, NJW 2008, 2589 Tz. 13; v. 4. März 2008 - VI ZB 69/05, NJW-RR 2008, 928 Tz. 12; v. 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689).
10
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Erteilung einer konkreten Einzelanweisung, auf deren Befolgung der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ohne weiteres vertrauen durfte, mit dem Wiedereinsetzungsvorbringen ebenfalls nicht dargetan. Der Beklagte hat ohne nähere Angaben zu dem Inhalt und den näheren Umständen der Weisung lediglich vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe im Anschluss an die Zustellung des landgerichtlichen Urteils eine Büroangestellte angewiesen, die Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender zu vermerken. Es erscheint schon fraglich, ob diese "Weisung“ zur Eintragung der Rechtsmittelfristen als konkrete Einzelanweisung oder aber durch die zur organisatorischen Ausgestaltung des Fristenwesens in der Kanzlei getroffenen allgemeinen Anordnungen erfolgte. Selbst wenn von einer konkreten Einzelanweisung auszugehen wäre, fehlte jeder Vortrag dazu, ob die Anweisungschriftlich oder mündlich erteilt wurde und die im Falle nur mündlicher Weisungserteilung erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen in der Rechtsanwaltskanzlei getroffen waren.
Goette Caliebe Drescher Löffler Bender
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 26.08.2008 - 1 O 193/07 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 08.04.2009 - I-8 U 174/08 -

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.