Bundesgerichtshof Beschluss, 30. März 2012 - V ZB 59/12

bei uns veröffentlicht am30.03.2012
vorgehend
Amtsgericht Erding, 6 XIV 12/12, 13.02.2012
Landgericht Landshut, 63 T 760/12, 21.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 59/12
vom
30. März 2012
in der Abschiebungshaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. März 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:
Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Erding vom 13. Februar 2012 gegen den Betroffenen angeordneten und mit Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 21. März 2012 aufrechterhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe:


I.


1
Der Betroffene, nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger , reiste am 13. Februar 2012 aus Athen kommend in das Bundesgebiet ein. Er war im Besitz einer gefälschten italienischen Identitätskarte und eines gefälschten italienischen Aufenthaltstitels. Die Beteiligte zu 2 beabsichtigt die Abschiebung des Betroffenen nach Nigeria.
2
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 13. Februar 2012 auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung bis einschließlich 12. Mai 2012 angeordnet. Die Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Be- troffenen, mit der er zugleich im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der aufrechterhaltenen Haft erreichen will.

II.


3
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Der Haftgrund nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG liege vor.

III.


4
Der zulässige Aussetzungsantrag ist begründet.
5
Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 26 Rn. 10; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440). So verhält es sich hier.
6
1. Es dürfte bereits an einem zulässigen Haftantrag fehlen, § 417 Abs. 2 FamFG. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 8).

7
a) Der Haftantrag genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung nicht, weil nicht alle in § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genannten Punkte , wenn auch knapp, behandelt werden (siehe eingehend Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 Rn. 9).
8
b) Angaben zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung nach Nigeria enthält der Antrag nicht. Sowohl die Begründung , die Haftdauer sei erforderlich, um die weiteren innerdienstlichen Voraussetzungen zur Durchführung der Abschiebung vorzubereiten und um einen Heimreiseschein zu bekommen, als auch die Begründung, "nach den bisher gemachten Erfahrungen sei es möglich, die Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchzuführen", sind als universell einsetzbare Leerformeln, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagen, nicht ausreichend (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, juris Rn. 14). Vielmehr sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können, notwendig (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361, 362).
9
c) Es spricht zwar einiges dafür, dass die Beteiligte zu 2 durch ergänzende Stellungnahmen in dem Beschwerdeverfahren dieses Begründungsdefizit für die Zukunft geheilt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8). Erforderlich für die Rechtmäßigkeit der Haft ist dann aber, dass der Betroffene zu den Ergänzungen in einer Anhörung (§§ 420 Abs.1 Satz 1 FamFG, 68 Abs. 3 FamFG) vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen konnte (Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8; Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, juris Rn. 11 mwN). Hieran fehlt es, weil das Beschwerdegericht - wie der Betroffene zu Recht rügt - von der erneuten Anhörung abgesehen hat.
10
2. Zudem dürfte die Rechtsbeschwerde Erfolg haben, weil dem Betroffenen der Haftantrag nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist (§ 23 Abs. 2 FamFG).
11
a) Die Bekanntgabe des Haftantrags setzt grundsätzlich voraus, dass dieser dem Betroffenen vor seiner Anhörung ausgehändigt und übersetzt wird (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 8 f.; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 331 Rn. 16 f.). Ob in dem vorliegenden Fall etwas anderes gilt, weil der Sachverhalt einfach gelagert und überschaubar ist und der Haftantrag einen geringen Umfang hat (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11, FGPrax 2011, 257, 258 Rn. 7; Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn nach dem Inhalt des Protokolls über die Anhörung vor dem Amtsgericht ist der Haftantrag dem Betroffenen nicht vollständig, sondern nur im Wesentlichen bekanntgegeben und übersetzt worden. Damit dürfte schon nicht feststehen, ob der Betroffene Kenntnis von sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde hatte und sich hierzu äußern konnte.
12
b) Nicht entscheidend ist schließlich, ob nach der Haftanordnung in dem weiteren Verfahren dem Betroffenen der Haftantrag ausgehändigt worden ist oder seine Verfahrensbevollmächtigte durch eine Akteneinsicht Kenntnis von dem vollständigen Haftantrag erlangt hat oder hätte erlangen können. Denn dadurch konnte die nicht ordnungsgemäße Anhörung vor dem Amtsgericht nicht geheilt werden. Dies wäre nur mit der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht für die Zukunft möglich gewesen.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Brückner Weinland

Vorinstanzen:
AG Erding, Entscheidung vom 13.02.2012 - 6 XIV 12/12 -
LG Landshut, Entscheidung vom 21.03.2012 - 63 T 760/12 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. März 2012 - V ZB 59/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. März 2012 - V ZB 59/12

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 62 Abschiebungshaft


(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 417 Antrag


(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. (2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:1.die Identität des Betroffenen,2.den gewöhnlichen Aufent

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 420 Anhörung; Vorführung


(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierü

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 23 Verfahrenseinleitender Antrag


(1) Ein verfahrenseinleitender Antrag soll begründet werden. In dem Antrag sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben sowie die Personen benannt werden, die als Beteiligte in Betracht kommen. Der Antrag soll in geeignete
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(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

10
a) Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, juris, Rn. 8; Beschluss vom 7. Mai 2010 - V ZB 121/10, juris Rn. 7; Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97, Rn. 5; Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158 Rn. 5). So liegt es hier, weil die Rechtsbeschwerde voraussichtlich Erfolg haben wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 211/10
vom
18. August 2010
in der Freiheitsentziehungssache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. August 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Die Vollziehung der durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 1. Juli 2010 angeordneten und mit Beschluss der 29. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 21. Juli 2010 aufrechterhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, der Staatsangehöriger von Montenegro ist und bereits in den Jahren 2004 und 2009 abgeschoben worden war, reiste nach eigenen Angaben am 6. Mai 2010 erneut in das Bundesgebiet ein und wurde am 17. Juni 2010 vorläufig festgenommen.
2
Eine am 1. Juli 2010 beabsichtigte Rückführung des Betroffenen scheiterte , weil er im Zusammenhang mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwischenzeitlich in Untersuchungshaft genommen worden war. Das Strafverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Zustimmung zu einer Zurückschiebung des Betroffenen ist von der Staatsanwaltschaft bislang nicht erteilt worden.
3
Mit Beschluss vom 18. Juni 2010 hat das Amtsgericht auf Antrag der Beteiligten zu 2 gegenüber dem Betroffenen die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 16. Juli 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner Entschei- dung angeordnet. Mit Beschluss vom 1. Juli 2010 hat es die Haft bis längstens vier Wochen nach Ende der Untersuchungshaft verlängert.
4
Die gegen die Haftanordnungen des Amtsgerichts gerichteten Beschwerden sind von dem Landgericht zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der zugleich die vorläufige Aussetzung des Vollzugs der Haftentscheidung beantragt worden ist.

II.

5
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig. Da er nicht glaubhaft gemacht habe, dass er sich der Zurückschiebung nicht entziehen werde, sei die Haft anzuordnen gewesen. Gründe, die gegen die Möglichkeit der Zurückschiebung binnen drei Monaten sprächen, lägen nicht vor. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass sich das gegen den Betroffenen geführte Strafverfahren länger hinauszögern werde. Die Staatsanwaltschaft werde dann gegebenenfalls einer Abschiebung zustimmen.

III.

6
1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Mai 2010 - V ZB 121/10, juris, Rn. 5; Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97, Rn. 3; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158, Rn. 3).
7
2. Er ist auch begründet.
8
a) Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung , die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschluss vom 7. Mai 2010 - V ZB 121/10, juris Rn. 7; Senat, Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10, FGPrax 2010, 97, Rn. 5; Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158 Rn. 5). So liegt es hier. Die Rechtsbeschwerde bietet jedenfalls insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg, als sie sich gegen die Verlängerung der Sicherungshaft richtet, die ausweislich des Vollstreckungsblattes der Untersuchungshaftanstalt Hamburg vom 2. August 2010 seit diesem Tag gegen den Betroffenen vollstreckt wird.
9
b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts begegnet angesichts der fehlenden Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu einer Rückschiebung des Betroffenen gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erheblichen rechtlichen Bedenken.
10
aa) Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Fehlt dieses Einvernehmen, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus; dass das Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft zu einem späteren Zeitpunkt hergestellt werden könnte, ist unerheblich (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010, V ZB 93/10 - juris Rn. 8 für die Abschiebung).
11
bb) Die Beteiligte zu 2 betreibt hier zwar nicht die Abschiebung (§ 58 AufenthG) oder die Ausweisung (§§ 53 ff. AufenthG), sondern die - in § 72 Abs. 4 AufenthG nicht angeführte - Zurückschiebung des Betroffenen nach § 57 AufenthG. Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses begründen aber ernsthafte Zweifel an der Annahme, eine Zurückweisung des Betroffenen könne deshalb auch ohne Einvernehmen mit der Staatsanwaltschaft erfolgen.
12
Der Wortlaut des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lässt ebenso wenig einen zweifelsfreien Rückschluss darauf zu, dass die Norm in der Aufzählung aufenthaltsbeendender Maßnahmen abschließend ist (so aber wohl Hailbronner, Ausländerrecht , 59. Aktualisierung zu § 72 AufenthG Rn. 17 und 62. Aktualisierung zu § 57 Rn. 4; Gutmann in GK-AufenthG, Stand September 2007, § 72 Rn. 34), wie die Gesetzesbegründung zu § 64 Abs. 3 AuslG, bei der es sich um die inhaltsgleiche Vorgängerregelung von § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG handelt (vgl. Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts, BT-Drucks. 11/6321 [vom 27. Januar 1990], S. 78 f.).
13
Vielmehr dürfte ein allein an dem Wortlaut orientiertes Verständnis der Norm deren Sinn und Zweck nicht gerecht werden. § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG soll verhindern, dass die Strafverfolgung durch ausländerrechtliche Maßnahmen erschwert oder vereitelt wird (OLG München, OLGR 2009, 291; Gutmann in GK-AufenthG, Stand September 2007, § 72 Rn. 29 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, 59. Aktualisierung zu § 72 Rn. 14). Aus diesem Grund hängen die Ausweisung und die Abschiebung von der Zustimmung der Staatsanwaltschaft ab. Allein ihr obliegt die Abwägung, ob das Strafverfolgungsinteresse das Interesse an der Abschiebung des Ausländers überwiegt.
14
Ein überwiegendes Interesse an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gegenüber einem sich illegal im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer kann aber nicht nur im Falle der Abschiebung und Ausweisung, sondern ebenso bei einer Zurückschiebung bestehen (vgl. OLG München, OLGR 2009, 291). Vor diesem Hintergrund überzeugt auch die Annahme, die Vorschrift des § 72 Abs. 4 AufenthG lasse die Absicht des Gesetzgebers erkennen, unerlaubte Einreisen vorrangig mit dem Mittel der Zurückschiebung zu bekämpfen und in Fällen, in denen die Zurückweisung möglich ist, den staatlichen Strafanspruch zurücktreten lassen (so Hailbronner, Ausländerrecht, 62. Aktualisierung zu § 57 AufenthG Rn. 4), nicht ohne Weiteres.
15
c) Bei dieser Sachlage überwiegen die Nachteile, die für den Betroffenen mit der fortgesetzten Vollziehung der Haft verbunden wären, das staatliche Interesse an deren Aufrechterhaltung. Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 01.07.2010 - 219i XIV 41063/09 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 21.07.2010 - 329 T 66/10 + 329 T 67/10 -

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

8
daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158). Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 8). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.

(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:

1.
die Identität des Betroffenen,
2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen,
3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung,
4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie
5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
Die Behörde soll in Verfahren der Abschiebungshaft mit der Antragstellung die Akte des Betroffenen vorlegen.

(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.

8
daher in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (Senat, Beschluss vom 30. März 2010 - V ZB 79/10, FGPrax 2010, 158). Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 8). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.
14
bb) Diesen Anforderungen genügt der von der Beteiligten zu 2 gestellte Haftantrag nicht. Angaben zu der erfahrungsgemäß notwendigen Vorbereitungsdauer für eine Abschiebung nach Pakistan enthält er nicht. Die Erklärung, der beantragte Haftrahmen sei erforderlich, weil die Vorbereitung der Abschiebung , die Beschaffung der Flugkarte, Bereitstellung von Begleitpersonal usw. erfahrungsgemäß entsprechende Zeit beanspruchen können, ist eine universell einsetzbare Leerformel, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt. Der Hinweis, die Passbeschaffung sei bereits eingeleitet , und es sei, da eine Passkopie vorliege, mit der Ausstellung eines neuen Dokuments zu rechnen, betrifft zwar den individuellen Fall, lässt aber nicht erkennen , wann erfahrungsgemäß mit der Ausstellung des Papiers durch die pakistanischen Behörden zu rechnen ist; auch verhält sie sich nicht dazu, ob eine Abschiebung nach Pakistan weitere Formalitäten erfordert und wieviel Zeit diese voraussichtlich beanspruchen werden. Damit fehlen in dem Haftantrag jegliche Tatsachen, anhand derer der Haftrichter die Prognose nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG treffen konnte.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom
6. Mai 2010
V ZB 193/09
in der Abschiebehaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird, beginnend mit dem 24. Februar 2010, Verfahrenskostenhilfe gewährt. Insoweit wird ihm Rechtsanwalt R. beigeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 5. Oktober 2009 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, soweit die Haft zur Sicherung der Abschiebung über den 10. Dezember 2009 hinaus angeordnet worden ist. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Von den gerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene drei Viertel mit der Maßgabe, dass von der Erhebung von Dolmetscherkosten abzusehen ist. Weitere Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Beteilige zu 2 trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen. Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene reiste im Mai 2001 mit einem für einen Sprachkurs und einen anschließenden Studienaufenthalt erteilten befristeten Visum in das Bundesgebiet ein. 2003 nahm er ein Studium an der Fachhochschule L. auf und meldete sich mit einem Wohnsitz in S. an. Der Beteiligte zu 2, erteilte ihm wiederholt befristete Aufenthaltsbewilligungen oder Fiktionsbescheinigungen. Diese waren jeweils mit der Nebenbestimmung versehen, dass ihre Gültigkeit mit Beendigung des Studiums erlösche. Weil der Betroffene die von den Studienbedingungen vorgeschriebene Sprachprüfung trotz mehrfacher Aufforderung nicht ablegte, wurde er im Januar 2008 exmatrikuliert.
2
Seine Wohnung am Studienort hatte der Betroffene zu diesem Zeitpunkt aufgegeben; seinen neuen Wohnsitz gab er trotz mehrfacher Aufforderung nicht bekannt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. Februar 2008 lehnte der Beteiligte zu 2 die Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis ab und forderte den Betroffenen unter Androhung der Abschiebung auf, das Bundesgebiet bis zum 31. März 2008 zu verlassen. Die Frist verstrich; eine zeitweilig behauptete Ausreise war nicht erfolgt.
3
Weil der Betroffene am 19. August 2009 heiraten wollte, erteilte ihm der Beteiligte zu 2 eine befristete Duldung des Aufenthalts und setzte ihm Frist zur Ausreise bis 27. August 2009. Der auf die Eheschließung gestützte Antrag des Betroffenen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis blieb ohne Erfolg. Einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung des Betroffenen wies das Verwaltungsgericht Cottbus zurück. Zu dem auf den 27. August vorgesehenen Abschiebungstermin erschien der Betroffene nicht. Er wurde am 10. September 2009 in O. festgenommen.
4
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht Oberhausen am 10. September 2009 die Haft zur Sicherung der Abschiebung für längstens vier Wochen an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.
5
Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen wurde, hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2009 auf Antrag des Beteiligten zu 2 die Anordnung der Haft bis zum 8. Januar 2010 verlängert. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde , mit der er die Feststellung beantragt, dass er durch die Anordnung der Sicherungshaft und die Inhaftierung in seinen Rechten verletzt worden sei.

II.

6
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei nach der Zurückweisung des Widerspruchs gegen die Versagung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis und dem ungenutzten Ablauf der Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig. Die Haftgründe von § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 5 seien erfüllt. Einer Abgabeentscheidung durch das Amtsgericht Oberhausen nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG habe es aufgrund von § 416 Satz 2 FamFG nicht bedurft.
7
Die Anordnung der Sicherungshaft sei auch nicht unverhältnismäßig. Es sei zu erwarten, dass die Abschiebung bis zum 8. Januar 2009 (richtig: 2010) durchgeführt werden könne. Nach der Auskunft des libanesischen Konsulats sei damit zu rechnen, dass die für den Betroffenen notwendigen Rückführungspapiere innerhalb von drei Monaten ab Antragstellung bei der libanesischen Botschaft am 23. September 2009 vorliegen würden. Es liege auch kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor. Der Beteiligte zu 2 habe die Genehmigung zur Rückführung des Betroffenen nicht vor dem 23. September 2009 be- antragen müssen. Nach den Erklärungen des Betroffenen bis zu dessen Festnahme habe sie darauf vertrauen dürfen, dass der Betroffene freiwillig ausreisen und eine Rückführungsgenehmigung nicht benötigt würde. Das zeitaufwendige Verfahren zur Beschaffung der Rückführungsgenehmigung habe der Betroffene durch seine Weigerung verursacht, die Bundesrepublik freiwillig zu verlassen.
8
Es liege auch kein die Abschiebung hindernder Umstand in der Person des Betroffenen vor. Seine Heirat habe nicht zu einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgestattung geführt. Wie das Verwaltungsgericht Cottbus festgestellt habe, lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine bloße Zweckehe vor. Zudem sei nicht ersichtlich, dass eine vorübergehende Unterbrechung der ehelichen Gemeinschaft durch Ausreise und ein anschließendes Verfahren zum Ehegattennachzug eine unzumutbare Härte darstellten. Der Anhörung der Ehefrau des Betroffenen habe es nicht bedurft.

III.

9
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie führt zu der Feststellung, dass die Anordnung der Haft gegen den Betroffenen rechtswidrig war, soweit sie über den 10. Dezember 2009 hinausgeht.
10
1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, wenn sich die Hauptsache durch den Ablauf der für die Haft angeordneten Dauer erledigt hat und mit dem Rechtsmittel allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 9 ff., juris).
11
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, soweit der Betroffene über den 10. Dezember 2009 hinaus inhaftiert worden ist.
12
a) Der Betroffene ist nach §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Es bestand auch ein Haftgrund. Dieser ergab sich schon daraus , dass der Betroffene seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Beteiligten zu 2 eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar war, § 62 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
13
b) Die Anordnung der Haft war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil dem Beteiligten zu 2 die für den Haftantrag nach § 417 Abs. 1 FamFG notwendige Zuständigkeit gefehlt hätte. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG enthält eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit; die örtliche und die funktionelle Zuständigkeit der beteiligten Behörden richten sich nach Landesrecht (Senat, Beschl. v. 18. März 2010, V ZB 174/09, Rdn. 11, juris).
14
Die örtliche Zuständigkeit der Beteiligten zu 2 folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 4 BrbgVwVfG i.V.m. § 3 VwVfG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Das führt zur Zuständigkeit des Beteiligten zu 2. Der gewöhnliche Aufenthalt eines Studenten muss zwar nicht mit dem Ort übereinstimmen, an dem dieser studienbedingt wohnt. So kann es sein, wenn ein Student die vorlesungsfreien Zeiten in seinem Elternhaus verbringt. Bei einem ausländischen Studenten verhält sich das aber regelmäßig anders. Die Entfernung zwischen Heimatland und Studienort und die mit der Reise verbundenen Kosten stehen in diesem Fall der regelmäßigen Rückkehr in das Heimatland entgegen. Der gewöhnliche Aufenthalt eines ausländischen Studenten befindet sich daher an dem Ort, an dem sich der Student wegen seines Studiums aufhält (vgl. VGH München, Beschl. v.
15. September 2009, 19 CS 09.1812, juris, Rdn. 3; Ronellenfitsch in Bader /Ronellenfitsch, VwVfG, § 3 Rdn. 9).
15
So ist es auch hier. Der Betroffene hat ein Studium an der Fachhochschule L. aufgenommen, zu diesem Zweck in S. eine Wohnung gemietet und zumindest anfänglich sein Studium betrieben. Damit befand sich sein gewöhnlicher Aufenthalt im Bereich der örtlichen Zuständigkeit des Beteiligten zu 2. Dass er seine Wohnung später aufgegeben und sein Studium nicht weiterbetrieben hat, würde die Zuständigkeit des Beteiligten zu 2 als Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG nur dann entfallen lassen, wenn der Betroffene einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt genommen hätte. Das hat sich indes nicht feststellen lassen. Der Betroffene hat die Fragen des Beteiligten zu 2 nach seinem Aufenthaltsort vielmehr unbeantwortet gelassen. Seine Behauptung, er habe sich in O. "bei Freunden" aufgehalten, erlaubt die Feststellung, O. sei sein gewöhnlicher Aufenthaltsort schon deshalb nicht, weil der Aufenthalt "bei Freunden" ungesichert ist und einem solchen Aufenthalt keine Dauerhaftigkeit zukommt.
16
c) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt ist auch im Fortsetzungsfestellungsverfahren von dem Senat nicht zu prüfen, § 72 Abs. 2 FamFG. Daher kann die Rüge der Rechtsbeschwerde dahingestellt bleiben , zur Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Eisenhüttenstadt habe es eines förmlichen Beschlusses bedurft.
17
d) Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde kann ebenso offen bleiben, ob es einen Verfahrensfehler bedeutet, dass das Beschwerdegericht die Ehefrau des Betroffenen nicht angehört hat. Auf die Behauptung des Betroffen , die Anhörung seiner Frau habe zu der Feststellung führen können, er sei nur deshalb nicht mit dieser zusammengezogen, um das Bekanntwerden seiner Anschrift zu vermeiden, kommt es nicht an. Diese Behauptung berührt den Haftgrund aus § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, nicht jedoch den Haftgrund von § 62 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
18
e) Die angefochtene Entscheidung hält der Nachprüfung auch im Hinblick darauf stand, dass die Haft unzulässig ist, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Der Haftrichter hat auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage seine Prognose grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe zu erstrecken, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660).
19
Nicht zu prüfen hat er jedoch, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt; denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 m.w.N.). Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einer bestandskräftigen Abschiebungs - bzw. Zurückschiebungsverfügung, erstreckt sich die Prüfung des Richters im Verfahren nach § 62 AufenthG daher nicht darauf, ob die von der Behörde betriebene Abschiebung oder Zurückschiebung durchgeführt werden kann (BVerfG NJW 1987, 3076).
20
Der Senat kann die Entscheidung des Beschwerdegerichts insoweit nur darauf prüfen, ob die der Prognose zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe zutreffend erkannt und alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt worden sind (Keidel/Meyer-Holz, aaO, § 72 Rdn. 18). Zu der Feststellung, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich ist, sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung erforderlich, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können. Der Tatrichter darf sich insoweit nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken , die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können. Soweit die Ausländerbehörde keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es gemäß § 26 FamFG dem Gericht nachzufragen (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 23. September 2008, 11 Wx 46/08, Rdn. 30, juris). Die Ungewissheit hinsichtlich der Dauer des - von ihm nicht zu vertretenden - Abschiebungshindernisses hat der Ausländer nur für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen (BVerfG NJW 2009, 2659 2660).
21
Den an die Beurteilungsgrundlage zu stellenden Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass von dem Beteiligten zu 2 keine zeitnahen Vergleichsfälle benannt worden sind. Aus der maßgeblichen Sicht des Beschwerdegerichts (OLG München OLGR 2009, 714) war es nicht ausgeschlossen, dass die libanesischen Behörden die erforderlichen Papiere so rechtzeitig ausstellen würden, dass der Betroffene innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden könnte. Das hat das Beschwerdegericht daraus hergeleitet, dass der um die Beschaffung der Dokumente ersuchte libanesische Botschafter am 23. September 2009 zwar angegeben hat, mit Eingang der Rückkehrerlaubnis sei nicht vor Ablauf von acht bis zehn Wochen zu rechnen, auf eine Nachfrage vom 2. November 2009 aber mitgeteilt hat, dass er die Behörden im Libanon in der 45. Kalenderwoche erinnern werde und von einer Ausstellung des Dokuments innerhalb von drei Monaten ausgehe. Diese Auskunft war hinreichend konkret und plausibel, zumal die Herkunft und die Identität des Betroffenen feststanden.
22
f) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzt den Betroffenen jedoch insoweit in seinen Rechten, als das Beschwerdegericht die Dauer der zulässigen Haft nicht auf einen Zeitraum von drei Monaten, gerechnet von der Festnahme des Betroffenen an, beschränkt hat.
23
Nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG darf die Dauer der Haft drei Monate grundsätzlich nicht überschreiten. Die Verlängerung der Haft über diesen Zeitraum hinaus ist unzulässig, wenn die Abschiebung aus Gründen unterbleibt, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind (Senat, BGHZ 133, 235, 237 f. zu § 57 AuslG).
24
So ist es hier. Ein Umstand, der es erlaubt hätte, die Abschiebungshaft auf eine Dauer von mehr als drei Monaten zu verlängern, ist nicht gegeben. Der Ausländer hat zwar auch solche Gründe zu vertreten, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Abschiebungshindernis überhaupt erst entstanden ist (Senat, aaO, S. 238). So verhält es sich hier jedoch nicht. Der Betroffene hat weder seinen Reisepass beiseite geschafft, noch hat er die Feststellung seiner Identität oder das Verfahren zur Beschaffung der Rückführungsdokumente behindert. Zwar hat erst seine Weigerung, freiwillig in den Libanon zurückzukehren, dazu geführt, dass das für die Rückführung erforderliche aufwendige Verfahren notwendig wurde. Das bedeutet jedoch keinen dem Betroffenen zurechenbaren Umstand, durch den ein Abschiebungshindernis geschaffen worden ist (Senat, aaO; OLG München OLGR 2009, 754, 755). Denn anderenfalls käme der Sicherungshaft Sanktionscharakter zu, weil die Weigerung, freiwillig auszureisen, Voraussetzung für die Abschiebung als Form der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht ist (vgl. § 58 Abs. 1 AufenthG ).
25
Dass der Beteiligte zu 2 erst am 23. September 2009 das Verfahren zur Beschaffung der Rückführungsdokumente eingeleitet hat, rechtfertigt die Verlängerung der Haft über die Dauer von drei Monaten seit der Festnahme des Betroffenen hinaus nicht, sondern bedeutet einen Verstoß gegen das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (BVerfGE 20, 45, 49 f.; 46, 194, 195). Sobald vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, muss die Behörde alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Papiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (Senat, BGHZ 133, 235, 239; OLG Celle InfAuslR 2004, 118; OLG Schleswig InfAuslR 2004, 167; Hailbronner, aaO, § 62 AufenthG Rdn. 33). Weshalb der Beteiligte zu 2 insoweit erst am 23. September 2009 aktiv geworden ist, ist nicht zu erkennen. Vor diesem Tag ist nichts geschehen, das Anlass zu einer Änderung der Einschätzung der Situation geben konnte. Eine "Freiwilligkeitserklärung" hat der Betroffene nach seiner Inhaftierung nicht abgegeben.
26
g) Die von der Rechtsbeschwerde erstrebte Feststellung, dass die Inhaftierung des Betroffenen rechtswidrig war, sieht § 62 Abs. 1 FamFG nicht vor. Eines solchen Ausspruchs bedarf es auch nicht. Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der Vorschrift an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2001 (BVerfGE 104, 200, 234 f.) orientiert (Gesetzentwurf vom 7. September 2007 zu einem FGG-Reformgesetz, BT-Drucks. 16/6308, S. 205). Danach bezieht sich das Interesse des Betroffenen an der Feststellung auch auf die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung (vgl. BVerfGE aaO, S. 234 ff.). Aus der Feststellung, dass die freiheitsentziehende Maßnahme ihn in seinen Rechten verletzt hat, folgt, dass die freiheitsentziehende Maßnahme hierauf nicht gestützt werden konnte und damit rechtswidrig war.

IV.

27
Verfahrenskostenhilfe war dem Betroffenen von dem Tage an zu bewilligen , an dem die für eine Bewilligung notwendigen Unterlagen dem Bundesgerichtshof vorgelegt worden sind.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffen zu verpflichten. Von der Erhebung von Dolmetscherkosten ist in Abschiebungshaftsachen abzusehen (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, Rdn. 20, juris).
29
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG Eisenhüttenstadt, Entscheidung vom 05.10.2009 - 23 XIV 101/09 L B -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 09.11.2009 - 15 T 146/09 -
8
aa) Richtig daran ist, dass ein unzulässiger Haftantrag und die damit einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 19, vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, juris Rn. 14 und vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, juris Rn. 7). Das bedeutet aber nicht, dass der Haftantrag nicht mehr ergänzt und auf der Grundlage eines ergänzten Haftantrags die Fortdauer der Haft angeordnet werden dürfte. Der Senat hat das für fehlende Darlegungen zum erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft entschieden. Dieser Begründungsmangel kann im Beschwerdeverfahren, allerdings nur für die Zukunft, das heißt für den Zeitraum von der Entscheidung des Beschwerdegerichts an, geheilt werden. Dazu muss die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzen; ferner muss der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen können (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, juris Rn. 11). Das gilt nicht nur für fehlende Angaben zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft , sondern auch für andere Defizite der Antragsbegründung. Das hat das Beschwerdegericht in der Sache richtig gesehen.

(1) Das Gericht hat den Betroffenen vor der Anordnung der Freiheitsentziehung persönlich anzuhören. Erscheint er zu dem Anhörungstermin nicht, kann abweichend von § 33 Abs. 3 seine sofortige Vorführung angeordnet werden. Das Gericht entscheidet hierüber durch nicht anfechtbaren Beschluss.

(2) Die persönliche Anhörung des Betroffenen kann unterbleiben, wenn nach ärztlichem Gutachten hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes leidet.

(3) Das Gericht hat die sonstigen Beteiligten anzuhören. Die Anhörung kann unterbleiben, wenn sie nicht ohne erhebliche Verzögerung oder nicht ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.

(4) Die Freiheitsentziehung in einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses darf nur nach Anhörung eines ärztlichen Sachverständigen angeordnet werden. Die Verwaltungsbehörde, die den Antrag auf Freiheitsentziehung gestellt hat, soll ihrem Antrag ein ärztliches Gutachten beifügen.

8
aa) Richtig daran ist, dass ein unzulässiger Haftantrag und die damit einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 19, vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, juris Rn. 14 und vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, juris Rn. 7). Das bedeutet aber nicht, dass der Haftantrag nicht mehr ergänzt und auf der Grundlage eines ergänzten Haftantrags die Fortdauer der Haft angeordnet werden dürfte. Der Senat hat das für fehlende Darlegungen zum erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft entschieden. Dieser Begründungsmangel kann im Beschwerdeverfahren, allerdings nur für die Zukunft, das heißt für den Zeitraum von der Entscheidung des Beschwerdegerichts an, geheilt werden. Dazu muss die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzen; ferner muss der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen können (Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, juris Rn. 11). Das gilt nicht nur für fehlende Angaben zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft , sondern auch für andere Defizite der Antragsbegründung. Das hat das Beschwerdegericht in der Sache richtig gesehen.
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cc) Richtig ist allerdings, dass ein unzulässiger Haftantrag und die damit einhergehende Verletzung des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG in der Beschwerdeinstanz nicht rückwirkend geheilt werden kann (Senat, Beschluss vom 7. April 2011 - V ZB 133/10, Umdruck S. 5, zur Veröffentlichung bestimmt; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 14, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210, 211 Rn. 19). Liegt jedoch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) vor, kann das dazu führen, dass insoweit erstmals ein zulässiger Haftantrag vorhanden ist (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Das ist dann der Fall, wenn die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um die Darlegungen zu dem vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung vor dem Beschwerdegericht Stellung nehmen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10 Rn. 13, juris; Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360). Ab diesem Zeitpunkt fehlt es jedenfalls im Hinblick auf das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft(en) nicht mehr an einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Sicherungshaft.

(1) Ein verfahrenseinleitender Antrag soll begründet werden. In dem Antrag sollen die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angegeben sowie die Personen benannt werden, die als Beteiligte in Betracht kommen. Der Antrag soll in geeigneten Fällen die Angabe enthalten, ob der Antragstellung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen. Urkunden, auf die Bezug genommen wird, sollen in Urschrift oder Abschrift beigefügt werden. Der Antrag soll von dem Antragsteller oder seinem Bevollmächtigten unterschrieben werden.

(2) Das Gericht soll den Antrag an die übrigen Beteiligten übermitteln.

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b) Ob dieser zweite Fall hier vorliegt, ist zweifelhaft. Den Zweifeln braucht jedoch nicht nachgegangen zu werden. Denn dem Protokoll über die Anhörung ist nicht zu entnehmen, dass der vollständige Haftantrag dem Betroffenen übersetzt und ausgehändigt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden ist. Eine solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für die ausreichende Gewährung rechtlichen Gehörs. Anderenfalls - und so liegt es hier - kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern.