Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2004 - VI ZR 348/03

bei uns veröffentlicht am05.10.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 348/03
vom
5. Oktober 2004
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 6. November 2003 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen. Streitwert: 2.787,53 €

Gründe:

1. Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls (immateriellen und materiellen Schaden sowie Feststellung ). Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht wegen überhöhter Geschwindigkeit der Klägerin einen Mitverschuldensanteil in Höhe von 30 % angenommen und der Klage nur unter Berücksichtigung einer Haftungsquote der Beklagten von 70 % stattgegeben, allerdings - weil es von einem höheren angemessenen Schmerzensgeld als das Landgericht ausging - an dem vom Landgericht entsprechend der mit der vorliegenden Klage geäußerten Mindestvorstellung der Klägerin zuerkannten Schmerzensgeld von
25.000 € nichts geändert. Das Berufungsgericht hat gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen. Mit Hilfe ihrer vorliegenden Nichtzulassungsbeschwerde möchte die Klägerin ihr Begehren auf Ersatz ihres vollen Schadens im Revisionsverfahren weiterverfolgen. 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 26 Nr. 8 EGZPO bereits nicht statthaft, da die Klägerin nicht hinreichend dargetan hat, daß der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € übersteigt. Hinsichtlich des Schmerzensgeldes ist die Klägerin durch das Urteil des Berufungsgerichts nicht beschwert, da auch das Berufungsgericht den von ihr geltend gemachten Mindestbetrag von 25.000 € zugesprochen hat. Die Klägerin hat ihre Berufung, mit der sie die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes in Höhe von 25.000 € geltend gemacht hat, im Verhandlungstermin vor dem Berufungsgericht am 30. September 2003 zurückgenommen. Da der Klägerin mithin der von ihr begehrte Mindestbetrag zugesprochen worden ist, ist sie durch das Berufungsurteil insoweit nicht beschwert (vgl. Senatsbeschluß vom 30. September 2003 - VI ZR 78/03 - VersR 2004, 219). Hinsichtlich ihres mit insgesamt 4.179,14 € bezifferten materiellen Schadens beträgt ihre Beschwer durch das vom Berufungsgericht angenommene Mitverschulden von 30 % lediglich 1.253,65 €. Bezüglich des Feststellungsantrags der Klägerin hat das Berufungsgericht mit Beschluß vom 6. November 2003 den Streitwert entsprechend dem bis dahin vom Landgericht unbeanstandet festgesetzten Streitwert von 5.112,92 € (= 10.000 DM) bemessen. Es hat sich mithin an einem Wert orientiert, von dem die Klägerin im Berufungsverfahren selbst ausgegangen ist. Zwar sind die Vorstellungen der Parteien über den Wert des Streitgegenstandes für das Gericht nicht bindend. Sie stellen aber ein wichtiges Indiz für die Wertbemessung dar,
insbesondere wenn - wie hier - auf das Interesse der Partei abzustellen ist, von der die Vorstellungen stammen (vgl. Senatsbeschluß vom 9. März 2004 - VI ZR 203/03 - Urteilsumdruck S. 2 und BGH, Beschluß vom 16. Januar 1991 - XII ZR 244/90 - FamRZ 1991, 547). Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keine durchgreifenden Gesichtspunkte aufgezeigt, die zu einer Heraufsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes für das beabsichtigte Revisionsverfahren führen könnten, sondern lediglich pauschal auf eine - bereits im Berufungsverfahren bekannte - Arbeitsunfähigkeit und einen "Haushaltsschaden" hingewiesen. 3. Im übrigen hätte die Nichtzulassungsbeschwerde auch in der Sache keinen Erfolg, da die Klägerin nicht dargetan hat, daß die Sache rechtsgrundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Bewertung der Mitverschuldensanteile ist grundsätzlich alleinige Sache des Tatrichters und damit einer Überprüfung im Revisionsverfahren nur ausnahmsweise zugänglich (vgl. etwa Senatsurteile vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - VersR 2003, 783, 785 f. und vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02 - VersR 2004, 392, 393). Dabei ist im vorliegenden Fall kein Zulassungsgrund erkennbar. Das Berufungsgericht hat sich im vorliegenden Einzelfall aufgrund des Sachverständigengutachtens die Überzeugung gebildet, daß die Klägerin die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um rund 30 % überschritten hatte und der Unfall bei deren Einhaltung vermeidbar gewesen wäre. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde meint, es sei trotz ihres verkehrswidrigen Verhaltens von einem unabwendbaren Ereignis für die Klägerin auszugehen, weil nach den Sachverständigenausführungen auch bei Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit ein Sturz des Motorrades aufgrund der Einleitung der Gefahrenbremsung sowie dem hieraus resultierenden Verlust der Seitenführungskräfte "bei einem Überbremsen der Räder nicht aus-
geschlossen gewesen wäre", so beruft sie sich dabei auf ein sogenanntes rechtmäßiges Alternativverhalten, für das die Klägerin die Beweislast trägt (vgl. Senatsurteil vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - VersR 2003, 783, 795). Dazu reicht der Hinweis auf die bloße Möglichkeit eines Sturzes bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht aus, wenn andererseits feststeht, daß der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (zeitlich) vermieden worden wäre. Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat
Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2004 - VI ZR 348/03 zitiert 1 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 543 Zulassungsrevision


(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR 78/03 vom 30. September 2003 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja §§ 2, 3 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO Bei Abweisung einer Schmerzensgeldklage besteht die vom Kläger mit der Revision geltend zu

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 78/03
vom
30. September 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
§§ 2, 3 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO
Bei Abweisung einer Schmerzensgeldklage besteht die vom Kläger mit der Revision
geltend zu machende Beschwer im Sinne des § 26 Nr. 8 EGZPO äußerstenfalls in
Höhe des in der Berufungsinstanz verlangten Mindestbetrages. Die Beschwerde gegen
die Nichtzulassung der Revision ist deshalb unzulässig, wenn der Wert der Klageforderung
unter Einschluß des Mindestbetrages 20.000 bsicht
, erstmals mit der Revision eine die Wertgrenze übersteigende Größenordnung
des Schmerzensgeldes geltend zu machen, führt nicht zur Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde.
BGH, Beschluß vom 30. September 2003 - VI ZR 78/03 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2003 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. Februar 2003 wird auf seine Kosten verworfen. Streitwert: 13.795,35

Gründe:

I.

Der Kläger hat die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Kläger hat den ! #"$ % '&( *) materiellen Schaden in erster Instanz auf 6.662,33 auf +,+- . * / 1032 !4 657 89 : : ; < 4 6 =) 94 . ?>@< A B ( C4 ) 6.125,97 Ermessen des Gerichts gestellt; jedoch hat er einen Betrag von mindestens +E F) . 89 ; ; G : ) < * H I) KJ ). 4 : ; 9 ) F4% 15.000 DM (= 7.669,38 D Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zu- 8PO rückgewiesen. Der Streitwert ist vom Landgericht auf 14.331,71 LNM u- + . . ; Q %" 4 R S I) 'OT VU;+EU ; E 3 ) @4 fungsgericht auf 13.795,35 M Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II.

Die Beschwerde ist unzulässig, weil der Wert der von dem Kläger mit einer Revision geltend zu machenden Beschwer zwanzigtausend Euro nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO, § 544 ZPO). Der Kläger hat in erster und zweiter Instanz den Mindestbetrag des von ihm verlangten Schmerzensgeldes auf 15.000 DM beziffert. Bei dieser Sachlage kann mit der Revision betreffend das Schmerzensgeld äußerstenfalls eine %< : 4W 89) Beschwer in Höhe des aberkannten Anspruchs von 7.669,38 werden. Die mit der Beschwerde geäußerte Schmerzensgeldvorstellung von + . * UYXZ ( . 7[S E 2: U. Y4 20.000 r geltend zu machenden Beschwer. § 26 Nr. 8 EGZPO stellt nicht darauf ab, in welcher Höhe der Beschwerdeführer die Klageforderung in der Revisionsinstanz (erstmals) beziffern will, sondern darauf, welche Beschwer aus dem Berufungsurteil er geltend machen kann und will (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 27. Juni 2002 - V ZR 148/02 - NJW 2002, 2720 f.). Eine klagende Partei ist durch eine gerichtliche Entscheidung nur insoweit beschwert, als diese von dem in der unteren Instanz gestellten Antrag zum Nachteil der Partei abweicht, ihrem Begehren also nicht voll entsprochen worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 140, 335, 338 und vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - VersR 2001, 1578 f. m.w.N.). Verlangt der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, so ist für seine Beschwer als Rechtsmittelkläger nicht der angemessene Schmerzensgeldbetrag, sondern die vom Kläger geäußerte Größenvorstellung maßgebend (vgl. Senatsurteil BGHZ 140, 335, 340 f. m.w.N.). Gibt der Kläger - wie hier - einen Mindestbetrag an, so ist die Beschwer danach zu bestimmen, inwieweit der Urteilsausspruch der Vorinstanz dahinter zurückbleibt (vgl. Senatsurteile BGHZ 132, 341, 351 f.; 140,
335, 340 f. sowie vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - aaO; so auch Stein/Jonas/Roth, 22. Aufl., § 2 Rn. 107; MünchKommZPO/Schwerdtfeger, 2. Aufl., § 3 Rn. 121; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar, 11. Aufl., Rn. 4401). Wird der Mindestbetrag zuerkannt, ist der Kläger nicht beschwert. Wird ihm ein unter dem geäußerten Mindestbetrag liegendes Schmerzensgeld zugesprochen, ergibt sich die Beschwer aus der Differenz zwischen dem Mindestbetrag und dem Zugesprochenen (so zuletzt auch BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - VersR 2002, 1521, 1522, sub I 1). Wird die Klage - wie hier - insgesamt abgewiesen, ist der Kläger in voller Höhe des geäußerten Mindestbetrages beschwert. Die in der Beschwerdebegründung geäußerte Ansicht, auf die Betragsvorstellung des Geschädigten komme es nur an, wenn der Mindestbetrag zugesprochen , der Klage also stattgegeben werde, ist nicht zutreffend. Erhält der Kläger das zugesprochen, was er (mindestens) verlangt hat, besteht kein Anlaß , den Zugang zur Rechtsmittelinstanz mit dem Ziel der Durchsetzung einer höheren Klageforderung zu eröffnen (vgl. Senatsurteile BGHZ 140, 335, 338 und vom 2. Oktober 2001 - VI ZR 356/00 - aaO, S. 1579 m.w.N.). Entsprechendes gilt aber auch für den Fall der - vollen oder teilweisen - Abweisung der Klage. Ungeachtet der Frage, wie die Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes rechtlich zu qualifizieren ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - aaO, S. 1522), und ungeachtet der Tatsache, daß eine möglicherweise darin liegende Klageerweiterung im Rechtsmittelverfahren nur in eingeschränktem Umfang (im Berufungsverfahren) oder überhaupt nicht (im Revisionsverfahren) möglich ist, setzt eine Erweiterung des Anspruchsumfangs jedenfalls voraus, daß das Rechtsmittel als solches zulässig eingelegt werden kann. Dies erfordert aber, daß - zumindest auch - die Beseitigung einer Beschwer verlangt werden kann (Senatsurteile aaO). Soweit die Revision nur auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassen werden kann, ist dies nur der
Fall, wenn die gesetzlich bestimmte Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO überschritten ist. Die Beschwerde ist demnach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Müller Wellner Diederichsen
Stöhr Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 203/03
vom
9. März 2004
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. März 2004 durch die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge, Stöhr und Zoll

beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe in Freiburg vom 18. Juni 2003 wird auf seine Kosten verworfen, weil der Wert der von dem Kläger mit seiner Revision geltend zu machenden Beschwer zwanzigtausend Euro nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO, §§ 544, 97 Abs. 1 ZPO).

Gründe:

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Wertgrenze für die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht wird. Das Berufungsgericht hat den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 19.278,81 € festgesetzt. Es hat sich dabei an den Werten orientiert, die der Kläger selbst in der Klageschrift, insbesondere auch hinsichtlich des Feststellungsantrags , zugrundegelegt hat. Zwar sind diese Parteiangaben über den Wert des Streitgegenstandes für das Gericht nicht bindend. Sie stellen aber ein wichtiges Indiz für die Wertbemessung dar, insbesondere wenn - wie hier - dabei auf das Interesse der Partei abzustellen ist, von der diese Angaben stammen (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Januar 1991 - XII ZR 244/90 - FamRZ 1991, 547). Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die
bei der vom Revisionsgericht vorzunehmenden Festsetzung des Wertes des Beschwerdegegenstandes für das beabsichtigte Revisionsverfahren zu einer höheren, von der Ermessensentscheidung des Berufungsgerichts abweichenden Beurteilung führen. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß eine Feststellung hinsichtlich der materiellen Schäden nur insoweit beantragt ist, als diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde genannten möglichen weiterführenden Maßnahmen dürften jedoch zumindest weitgehend durch Leistungen Dritter abgedeckt sein, auf die dann auch entsprechende Ansprüche übergehen. Streitwert: 19. 278,81 €
Greiner Wellner Pauge
Stöhr Zoll

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 31/02 Verkündet am:
18. November 2003
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Frage, ob der Halter eines Kraftfahrzeugs trotz Überschreitens der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit wegen eines grob verkehrswidrigen Verhaltens eines 14jährigen
Radfahrers bei einem Verkehrsunfall nach §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB völlig
von der Gefährdungshaftung im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG a.F. freigestellt werden
kann.
BGH, Urteil vom 18. November 2003 - VI ZR 31/02 - OLG Zweibrücken
LG Frankenthal
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die
Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 19. Dezember 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens aus einem Verkehrsunfall vom 28. November 1999, den er - damals im Alter von 14 Jahren - erlitten hat. Er gehörte zu einer Radsportgruppe, die mit ihren Rennrädern auf dem aus ihrer Sicht links neben einer Landstraße verlaufenden Radweg fuhr. Kurz vor dem Erreichen einer Ortschaft mußten die Radfahrer die von links in die vorfahrtsberechtigte Landstraße einmündende Seitenstraße überqueren. Die dem
Kläger als letztem Fahrer vorausfahrenden Mitglieder der Gruppe taten dies unter Ausnutzung einer Querungshilfe durch eine in der Fahrbahnmitte der Straße gelegene Verkehrsinsel und setzten sodann ihre Fahrt auf dem Radweg links der Landstraße fort. Der Kläger dagegen fuhr - möglicherweise um abzukürzen - auf die einmündende Querstraße und bog von dieser nach links in die vorfahrtsberechtigte Landstraße ein, die aus der Gegenrichtung in einer leichten S-Kurve auf den Einmündungsbereich zuläuft. Dort kam ihm der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten PKW entgegen und leitete, nachdem er das Verhalten des Klägers bemerkt hatte, eine Vollbremsung ein. Dabei rutschte das Fahrzeug mit blockierten Rädern über eine an dieser Stelle die Fahrbahnhälften trennende schraffierte Sperrfläche, wo es den Kläger mit dessen Rennrad erfaßte. Der Kläger erlitt durch den Unfall schwerste Verletzungen mit bleibenden schweren gesundheitlichen Folgen. Das Landgericht hat seine Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens ausgeführt, die Tatsache, daß der Beklagte zu 1 mit seinem PKW auf die Sperrfläche geraten sei, sei allein fahrtechnisch bedingt und dem Beklagten zu 1 nicht vorzuwerfen. Nachdem die Räder des PKW infolge der durch das Verhalten des Klägers veranlaßten sofortigen Vollbrem-
sung des Beklagten zu 1 blockiert hätten, habe dieser das Fahrzeug nicht mehr lenken und damit nicht mehr dem leichten Rechtsschwenk der Fahrbahn folgen können. Ob es zweckmäßiger gewesen wäre, den PKW nur dosiert abzubremsen und damit dessen Lenkfähigkeit zu erhalten, könne dahinstehen. Mit Blick darauf, daß die vom Kläger geschaffene Gefahrensituation für den Beklagten zu 1 in Anbetracht der Zeit-/Wegeverhältnisse unvermittelt entstanden sei, könne ihm auch eine unzweckmäßige Reaktion in Form der zur Lenkunfähigkeit seines PKW führenden Vollbremsung nicht vorgeworfen werden. Dem Kläger sei zwar zuzugeben, daß nach den Berechnungen des Sachverständigen die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagten zu 1 von mindestens 78,5 km/h über der damals für die Unfallstelle geltenden zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h gelegen habe. Des weiteren wäre die Kollision anders verlaufen, wenn der Beklagte zu 1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätte. Im Rahmen seiner Vermeidbarkeitsbetrachtungen sei der Sachverständige zu dem Schluß gekommen, daß zwar keine wegmäßige, wohl aber - jedenfalls bei einer Berechnungsvariante - sogar eine zeitliche Vermeidbarkeit angenommen werden könne. Gleichwohl sei es nicht gerechtfertigt, zumindest eine anteilige Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers aus dem Verkehrsunfall zu bejahen, denn der - durch die geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung leicht erhöhten - Betriebsgefahr des PKW des Beklagten zu 1 stehe das grob fahrlässige Fehlverhalten des Klägers gegenüber, der mit seiner Leichtfertigkeit beim Einfahren in die vorfahrtsberechtigte Straße trotz Erkennbarkeit des sich in bedrohlicher Weise nähernden PKW des Beklagten zu 1 dessen Vorfahrt in völlig unverständlicher Weise mißachtet habe. Das Alter des zum Unfallzeitpunkt 14-jährigen Klägers führe zu keiner anderen Beurteilung. Der Kläger sei zum Unfallzeitpunkt rund 1,75 m groß und etwa 65 kg schwer gewesen und habe eher "erwachsen" gewirkt. Mit den Regeln und Gefahren des Straßenverkehrs sei er als radsportbegeisterter Rennradfahrer vertraut gewesen und kön-
ne deshalb nicht mit Personen gleichgesetzt werden, die aufgrund ihres Alters in den Straßenverkehr noch nicht voll integriert seien. Die Einbindung des Klägers in eine Radfahrergruppe lasse seine subjektive Pflichtverletzung gleichfalls nicht als weniger schwer erscheinen. Daß die vier Rennradfahrer unter "Wettkampfbedingungen" unterwegs gewesen seien, sei nicht ersichtlich. Zudem habe sich der Kläger aus eigenem Entschluß vor seinem verhängnisvollen Einfahren in die Landstraße von der Gruppe gelöst und sei nicht etwa unvermittelt und unbedacht einem ihn "ziehenden" Vordermann gefolgt.

II.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision nicht stand. 1. Die Revision verkennt zwar nicht, daß die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters und damit revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich ist. Sie macht jedoch im Rahmen der verbleibenden revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit mit Recht geltend, daß das Berufungsgericht nicht alle Umstände und für die Abwägung geltenden Maßstäbe berücksichtigt hat (vgl. hierzu etwa Senatsurteil vom 12.1.1993 - VI ZR 75/92 - VersR 1993, 442, 443). 2. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - VersR 2000, 1294, 1296 und vom 26. Oktober 1999 - VI ZR 20/99 - VersR 2000, 199, 200) begründet ein unfallursächliches Verschulden des Fahrzeugführers eine Erhöhung der Betriebsgefahr , die im Rahmen der Abwägung nach §§ 254 BGB, 9 StVG zu Gunsten des
Verletzten zu berücksichtigen ist, denn eine völlige Haftungsfreistellung des Kfz-Halters von der Gefährdungshaftung im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG a.F. kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. vorliegt. Ein unabwendbares Ereignis liegt aber nur dann vor, wenn der Unfall auch bei äußerst möglicher Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können (vgl. etwa Senatsurteil vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99 - VersR 2000, 1556, 1557).
a) Im vorliegenden Fall wäre bereits ohne Berücksichtigung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Beklagten das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses fraglich. Das Berufungsgericht hat selbst erwogen, daß es zweckmäßiger gewesen wäre, den PKW nur dosiert abzubremsen und damit dessen Lenkfähigkeit zu erhalten. Diese Überlegung gewinnt Bedeutung vor dem Hintergrund, daß sich der Kläger zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes bereits auf der die Fahrbahnhälften trennenden markierten Sperrfläche befand, als er von dem mit blockierten Rädern rutschenden PKW des Beklagten zu 1, der dem Fahrbahnverlauf nicht mehr folgen konnte, erfaßt wurde.
b) Darüber hinaus ist nach ebenfalls ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. Urteile vom 9. Juni 1992 - VI ZR 222/91 - VersR 1992, 1015, 1016; vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - aaO S. 1295 und vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99 - aaO) ein unfallursächliches Verschulden des Fahrzeugführers dann anzunehmen, wenn der Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar nicht räumlich, wohl aber zeitlich vermeidbar gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn es dem Fahrer bei einer verkehrsordnungsgemäßen Fahrweise zwar nicht gelungen wäre, das Fahrzeug noch vor der späteren Unfallstelle zum Stehen zu bringen, wenn er den PKW aber so stark hätte abbremsen können, daß dem Verletzten Zeit geblieben wäre, den Gefahrenbe-
reich noch rechtzeitig zu verlassen. Entsprechendes gilt auch dann, wenn es dabei zumindest zu einer deutlichen Abmilderung des Unfallverlaufes und der erlittenen Verletzung gekommen wäre (vgl. Senatsurteil vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - und vom 10. Oktober 2000 - VI ZR 268/99 - jeweils aaO).
c) Das Berufungsgericht stellt im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen fest, daß die Ausgangsgeschwindigkeit des PKW des Beklagten zu 1 mit mindestens 78,5 km/h über der für die Unfallstelle geltenden zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h lag und daß bei deren Einhaltung - jedenfalls bei einer Berechnungsvariante - sogar eine zeitliche Vermeidbarkeit angenommen werden könne. Die Revision weist insoweit zutreffend darauf hin, daß nach dem Sachverständigengutachten selbst bei der ungünstigsten Berechnungsvariante das Fahrrad des Klägers von dem Fahrzeug des Beklagten mit einer deutlich geringeren Kollisionsgeschwindigkeit gerade noch im Endbereich des Fahrradhinterrades berührt worden wäre, so daß der Kläger - falls es überhaupt zu einer Kollision gekommen wäre - womöglich erheblich geringere Verletzungen davon getragen hätte als tatsächlich geschehen. Ob man dies bereits aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung annehmen kann, wie die Revision meint, kann dabei dahinstehen, denn das Berufungsgericht hätte hierzu zumindest Feststellungen treffen müssen. Unter diesen Umständen wird die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Geschwindigkeitsüberschreitung habe lediglich eine leichte Gefahrerhöhung bewirkt, von den getroffenen Feststellungen nicht getragen.
d) Die Revision beanstandet weiter mit Recht die Wertung des Berufungsgerichts , die Vollbremsung des Beklagten zu 1 könne diesem nicht vorgeworfen werden, auch wenn es tatsächlich besser gewesen wäre, die Lenkfähigkeit des PKW zu erhalten und dem Kläger auszuweichen. Dabei weist sie zutreffend darauf hin, daß die vom Berufungsgericht insoweit angeführte Senats-
rechtsprechung (vgl. Urteil vom 7. Februar 1967 - VI ZR 132/65 - VersR 1967, 457, 458; vgl. weiterhin Senatsurteil vom 24. Februar 1987 - VI ZR 19/86 - VersR 1988, 291) Fälle betrifft, in denen ein Kraftfahrer in einer plötzlichen, von ihm nicht verschuldeten und nicht vorhersehbaren Gefahrenlage nicht die bestmögliche Reaktion gezeigt hat. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte zu 1 jedoch die an der Unfallstelle im Einmündungsbereich einer Seitenstraße zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten, was sich unter Umständen bei einer Vollbremsung mit blockierten Rädern auswirken kann. Zumindest kann - mangels entsprechender Feststellungen des Berufungsgerichts - nicht ausgeschlossen werden, daß der Beklagte zu 1 - im für ihn ungünstigen Fall der Berechnungsvarianten - bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit die Bremsung noch in einem Bereich hätte halten können, die ihm eine - wenn auch geringe - Lenkreaktion ermöglicht hätte, um dem Hinterrad des Klägers auszuweichen. 3. Schließlich beanstandet die Revision mit Erfolg, daß das Berufungsgericht bei seiner Abwägung nicht hinreichend das jugendliche Alter des Klägers berücksichtigt hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteile vom 13. Februar 1990 - VI ZR 128/89 - VersR 1990, 535, 536 und vom 12. Januar 1993 - VI ZR 75/92 - VersR 1993, 442, 443, jeweils m.w.N.) ist ein Mitverschulden von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Abwägung nach §§ 9 StVG, 254 BGB in der Regel geringer zu bewerten als das entsprechende Mitverschulden eines Erwachsenen. Eine völlige Freistellung von der Gefährdungshaftung nach § 7 Abs. 1 StVG a.F. wegen eines grob verkehrswidrigen Verhaltens setzt bei Kindern und Jugendlichen voraus, daß der Sorgfaltsverstoß altersspezifisch auch subjektiv besonders vorwerfbar ist (vgl. Senatsurteil vom 13. Februar 1990 - VI ZR 128/89 - aaO). Hierbei kann das äußere Erscheinungsbild des Klägers keine Rolle spielen, sondern allenfalls für die Frage von Bedeutung sein, ab welchem Zeitpunkt der Beklagte zu 1 mit einem Fehlver-
halten des Klägers im Rahmen des § 3 Abs. 2a StVO rechnen mußte. Auch reicht es nicht aus, daß das Berufungsgericht im Rahmen seiner Feststellungen zur subjektiven Vorwerfbarkeit des Unfallbeitrages des Klägers auf dessen Alter und dessen Radsportbegeisterung abgestellt hat. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger der letzte Fahrer der Radsportgruppe. Auch wenn die vier Rennradfahrer nicht unter "Wettkampfbedingungen" unterwegs gewesen sein sollten, so könnte es durchaus noch dem altersspezifischen Leichtsinn eines Vierzehnjährigen entsprechen, wenn er in einer solchen Situation versucht abzukürzen und dabei unachtsam ist. Auch insoweit kann von Bedeutung sein, daß der Kläger beim Zusammenstoß schon die schraffierte Sperrfläche erreicht hatte. 4. Nach alledem konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht wird im Rahmen der erneuten Verhandlung Gelegenheit haben, unter Beachtung der aufgezeigten Beurteilungsmaßstäbe die noch ausstehenden Feststellungen zu treffen.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 161/02 Verkündet am:
25. März 2003
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Nr. 2 c, 9 Abs. 3

a) Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen einer Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit und einem Verkehrsunfall ist zu bejahen, wenn bei
Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen
Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre.

b) Die kritische Verkehrssituation beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn
die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, daß eine Gefahrensituation
unmittelbar entstehen kann.

c) Gibt der Vorfahrtberechtigte dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß
Anlaß, die Wartepflicht - namentlich infolge einer Fehleinschätzung der Verkehrssituation
- zu verletzen, so kann die kritische Verkehrssituation bereits vor der eigentlichen
Vorfahrtsverletzung eintreten.

d) Der Vertrauensgrundsatz kommt regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich
selbst über Verkehrsregeln hinwegsetzt, die auch dem Schutz des unfallbeteiligten
Verkehrsteilnehmers dienen.
BGH, Urteil vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - OLG Hamm
LG Siegen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. März 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 12. März 2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich der Feststellungsausspruch nur auf zukünftige Schäden des Klägers bezieht und die Klage im übrigen abgewiesen wird. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 19. Mai 1998 auf einer Landstraße im Bereich der Gemeinde D. geltend, bei dem er als Motorradfahrer von dem ihm entgegenkommenden Beklagten zu 1 (künftig: der Beklagte), der mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw nach links in eine Autobahnauffahrt abbiegen wollte, beim Abbiegevorgang erfaßt und schwer verletzt wurde. Vor der Annäherung an die Unfallstelle durchfuhr der Kläger eine ansteigende Linkskurve. Der Beklagte hatte sich vor dem Abbiegen auf eine hierzu bestimmte Linksabbiegespur eingeordnet. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, seine vom Sachverständigen ermittelte Geschwindigkeit von 120 bis 150 km/h sei für den Unfall nicht mitursächlich gewesen, weil er auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h den Unfall nicht mehr hätte vermeiden können, als die Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten für ihn erkennbar geworden sei. Vorher habe er keine Veranlassung gehabt, seine Geschwindigkeit zu reduzieren, sondern darauf vertrauen können, daß der Beklagte sein Vorfahrtsrecht beachten werde. Vorprozessual bezahlte die Beklagte zu 2 an den Kläger 120.000 DM, von denen sie in der Klageerwiderung 80.000 DM auf den Schmerzensgeldanspruch und 40.000 DM auf die Sachschäden des Klägers verrechnete. Das Landgericht hat dem Kläger ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 DM zuerkannt, den Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Sachschäden dem Grunde nach zu 80 % für gerechtfertigt erklärt und festgestellt , daß die Beklagten dem Kläger zum Ersatz seiner zukünftigen immateriellen Schäden zu 100 % sowie seiner zukünftigen materiellen Schäden zu 80 %
verpflichtet sind, soweit kein Forderungsübergang auf Sozialversicherungsträger stattfindet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es das landgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu 2/3 und sämtliche immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 1/3 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter, soweit das Berufungsgericht zu seinem Nachteil erkannt hat.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Verkehrsunfall vom 19. Mai 1998 von beiden Fahrzeugführern schuldhaft mitverursacht worden sei. Die unfallursächliche schuldhafte Vorfahrtsverletzung des Beklagten stehe zu Recht außer Streit. Aber auch den Kläger treffe ein Mitverschulden an der Entstehung des Unfalls, da er die an der Unfallstelle zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 20 km/h überschritten habe und dies als kausal für das Unfallgeschehen zu bewerten sei. Zwar sei nach dem eingeholten Gutachten der Unfall auch bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h nicht zu vermeiden gewesen, wenn man eine Reaktion des Klägers erst zu dem Zeitpunkt verlange, in dem er habe erkennen können, daß der Unfallgegner ihm die Vorfahrt nicht gewähren und in seine Fahrspur hineinfahren werde. Jedoch sei im Hinblick auf das dem Kläger erkennbare Verkehrsgeschehen eine frühere Reaktion von ihm zu fordern gewesen. Im Regelfall dürfe der Vorfahrtbe-
rechtigte auf die Beachtung seines Vorfahrtsrechts vertrauen. In der konkreten Situation hätten jedoch besondere Umstände vorgelegen, aufgrund derer der Kläger schon im Zeitpunkt des ersten Sichtkontakts mit einer Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten habe rechnen müssen, falls er seine überhöhte Geschwindigkeit beibehalte, so daß er schon aus diesem Grunde spätestens zu diesem Zeitpunkt seine Geschwindigkeit auf 100 km/h hätte reduzieren müssen. Er habe nämlich aufgrund der Besonderheiten der Unfallörtlichkeit damit rechnen müssen, daß er im Falle einer weiteren Annäherung mit seiner überhöhten Geschwindigkeit vom Beklagten nicht rechtzeitig wahrgenommen, dieser seine Geschwindigkeit falsch einschätzen und abbiegen werde. Ein frühzeitiges Verlangsamen sei vom Kläger umso mehr zu fordern gewesen, als er nach eigenem Bekunden die Stelle gekannt und gewußt habe, daß es dort schon viele gleichartige Unfälle gegeben habe. Deshalb könne er sich vorliegend nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Hätte der Kläger seine Geschwindigkeit beim ersten Sichtkontakt zum Pkw des Beklagten auf 100 km/h verringert, so wäre der Unfall bei der vom Sachverständigen angenommenen Abbiegegeschwindigkeit des Pkw des Beklagten von 18 km/h vermieden worden. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile liege die entscheidende Unfallursache im Vorfahrtverstoß des Beklagten. Sein Verschulden wiege allerdings deshalb nicht allzu schwer, weil zu seinen Gunsten davon auszugehen sei, daß sich der Kläger mit 150 km/h der Unfallstelle genähert und deshalb erst direkt vor dem Anfahrtbeginn für den Beklagten sichtbar geworden sei. Da die Geschwindigkeit des Klägers für den Beklagten nicht sofort erkennbar gewesen sei, sei darin, daß er den begonnenen Abbiegevorgang nicht wieder abgebrochen habe, noch keine grobe Fahrlässigkeit zu sehen. Unter Berücksichtigung der erhöhten Betriebsgefahr beim Linksabbiegen sei eine Haftungsquote von 2/3 zu Lasten des Beklagten angemessen.
Auf dieser Grundlage sei bei Abwägung aller Gesichtspunkte, namentlich des beiderseitigen Ausmaßes der Unfallverursachung und der Schwere der vom Kläger erlittenen Unfallverletzungen, ein Schmerzensgeld von 80.000 DM angemessen. Die Zahlung der Beklagten zu 2 habe deshalb das Schmerzensgeld und alle vom Kläger geltend gemachten materiellen Schäden abgegolten, weshalb nur noch die Haftung beider Beklagten für zukünftige Schäden des Klägers im Raum stehe.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagte , für dessen Haftpflicht die Beklagte zu 2 einzustehen hat, den Verkehrsunfall und den daraus entstandenen Schaden des Klägers schuldhaft dadurch verursacht hat, daß er entgegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO nach links abbog, ohne den entgegenkommenden Kläger durchfahren zu lassen, der sein Vorrecht nicht deshalb verloren hatte, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr (Senatsurteile vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - VersR 1977, 524, 525 und vom 21. Januar 1986 - VI ZR 35/85 - VersR 1986, 579). 2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts , der Kläger habe durch Überschreiten der außerhalb geschlossener Ortschaften nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO vorgeschriebenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 20 km/h den Unfall schuldhaft mitverursacht.

a) Allerdings kann ein späterer Unfall einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht allein schon deshalb zugerechnet werden, weil das Fahrzeug bei Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit erst später an die Unfallstelle gelangt wäre, vielmehr muß sich in dem Unfall gerade die auf das zu schnelle Fahren zurückzuführende erhöhte Gefahrenlage aktualisieren. Der rechtliche Ursachenzusammenhang zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall ist zu bejahen, wenn bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrssituation der Unfall vermeidbar gewesen wäre (vgl. Senatsurteile vom 22. Dezember 1959 - VI ZR 215/58 - VersR 1960, 183, 184; vom 27. November 1962 - VI ZR 240/61 - VersR 1963, 165, 166; vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO und vom 7. April 1987 - VI ZR 30/86 - VersR 1987, 821, 822; vgl. auch BGHSt 33, 61, 63 f. m.w.N.).
b) Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, daß eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann (vgl. Senatsurteile vom 27. November 1962 - VI ZR 240/61 - aaO; vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO; vom 25. September 1990 - VI ZR 19/90 - VersR 1990, 1366, 1367 und vom 5. Mai 1992 - VI ZR 262/91 - VersR 1992, 890; vgl. auch VGS BGHZ 14, 232, 239 = BGHSt 7, 118, 124; BGH, Urteil vom 26. Juli 1963 - 4 StR 258/63 - VRS 25, 262, 263 f.; BGHSt 24, 31, 34 m.w.N.; BGH, Urteil vom 21. März 1978 - 4 StR 683/77 - VRS 54, 436, 437; BGHSt 33, 61, 63 ff.; OLG Celle VRS 63, 72, 73; OLG Köln VRS 70, 373, 374 f.; OLG Frankfurt JR 1994, 77, 78 m. Anm. Lange; OLG Düsseldorf VRS 88, 268 f.; OLG Köln VersR 2001, 1577, 1578; OLG Karlsruhe VRS 100, 460, 461). Für einen vorfahrtsberechtigten Verkehrsteilnehmer ist dies in Bezug auf seinen Vorrang zwar nicht bereits der Fall, wenn nur die abstrakte, stets gegebene Gefahr eines Fehlverhaltens anderer besteht, vielmehr müssen erkennbare Umstände eine bevorstehende Verletzung seines Vorrechts nahelegen. Von Bedeutung sind hierbei neben der
Fahrweise des Wartepflichtigen alle Umstände, die sich auf dessen Fahrweise auswirken können, also auch die Fahrweise des Bevorrechtigten selbst. Gibt er dem Wartepflichtigen durch einen Verkehrsverstoß Anlaß, die Wartepflicht - namentlich infolge einer Fehleinschätzung der Verkehrslage - zu verletzen, so kann die kritische Verkehrslage bereits vor der eigentlichen Vorfahrtsverletzung eintreten.
c) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht aufgrund der von ihm im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß der Kläger bereits beim ersten möglichen Sichtkontakt zum Pkw des Beklagten konkret damit rechnen mußte, daß der Beklagte sein Vorfahrtsrecht verletzen könnte. Die überhöhte Geschwindigkeit des Klägers war auch im Hinblick auf die Besonderheit der Unfallörtlichkeit geeignet, den Beklagten die Verkehrslage falsch einschätzen zu lassen und ihn zu veranlassen, noch vor dem Kläger abzubiegen, obgleich ihm dies nicht mehr gefahrlos möglich war (vgl. VGS BGHZ 14, 232, 234 = BGHSt 7, 118, 120). Das Berufungsgericht hat sich verfahrensfehlerfrei aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens und der diesem beigefügten Lichtbilder die Überzeugung gebildet, daß der vor einem Wald auf seinem Motorrad aus einer ansteigenden Kurve sich nähernde Kläger für den Beklagten als schmale Silhouette nur schwer erkennbar war. Zwar habe der Beklagte während der Entschlußdauer zum Anfahren den Kläger erstmals sehen, jedoch noch nicht dessen gefahrene Geschwindigkeit erkennen können, wofür er nochmals einige Sekunden benötigt habe. Dies hätte sich auch der Kläger sagen und deshalb damit rechnen müssen , daß der Pkw, der sich für ihn erkennbar auf der Linksabbiegerspur befand, den Abbiegevorgang einleiten und durchführen werde. Hiergegen ist aus Rechtsgründen auch deshalb nichts zu erinnern, weil der Kläger - worauf das Berufungsgericht mit Recht abhebt (vgl. BGHSt 15,
191, 193) - nach seinem eigenen Vortrag wußte, daß es an der späteren Unfall- stelle zuvor bereits viele Unfälle infolge falschen Linksabbiegens gegeben hatte.
d) Entgegen der Auffassung der Revision kann sich der Kläger vorliegend - was die Vermeidbarkeit des Verkehrsunfalls anbelangt - nicht auf den Vertrauensgrundsatz berufen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf zwar ein Verkehrsteilnehmer, der sich selbst regelgerecht verhält, grundsätzlich darauf vertrauen, daß andere Verkehrsteilnehmer ebenfalls die Verkehrsregeln einhalten, z.B. sein Vorfahrtsrecht beachten (vgl. Senatsurteile vom 15. Mai 1973 - VI ZR 62/72 - VersR 1973, 765, 766 und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 98/91 - VersR 1992, 203, 204; VGS BGHZ 14, 232, 235 f. = BGHSt 7, 118, 122; BGH, Urteil vom 19. September 1974 - III ZR 73/72 - VersR 1975, 37, 38 m.w.N.; BGHSt 9, 92, 93 f.; BGHSt 12, 81, 83; BGHSt 13, 169, 172 f.). Der Vertrauensgrundsatz kommt jedoch regelmäßig demjenigen nicht zugute, der sich selbst über die Verkehrsregeln hinwegsetzt (Senatsurteil vom 15. November 1966 - VI ZR 57/65 - VersR 1967, 157, 158; vom 15. Mai 1973 - VI ZR 62/72 - aaO und vom 3. Dezember 1991 - VI ZR 98/91 - aaO; BGH, Urteile vom 19. September 1974 - III ZR 73/72 - aaO S. 38 f. m.w.N.; vom 21. Februar 1985 - III ZR 205/83 – VersR 1985, 637, 639 und vom 6. Februar 1958 - 4 StR 687/57 - bei juris; BGHSt 9, 92, 93 f.; BGHSt 13, 169, 172 f.; BGHSt 15, 191, 193; OLG Frankfurt JR 1994, 77 mit Anm. Lampe; OLG Karlsruhe VRS 100, 460, 461). Dies gilt freilich nicht uneingeschränkt. Dient eine Verkehrsregel nur dem Schutz vor bestimmten Gefahren des Straßenverkehrs, so zeigt ein Verkehrsverstoß gegen diese Regel nur die Vorhersehbarkeit derjenigen Gefahr an, zu deren Abwehr die verletzte Vorschrift bestimmt ist. Dem-
entsprechend büßt der Verletzer den Schutz des Vertrauensgrundsatzes nur gegenüber solchen Verkehrsteilnehmern ein, die an dem Verkehrsvorgang beteiligt sind, dessen typischen Gefahren die verletzte Vorschrift begegnen soll (BGH, Urteil vom 19. September 1974 - III ZR 73/72 - aaO m.w.N.). Die vom Kläger übertretene allgemeine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Landstraßen schützt jeden Verkehrsteilnehmer; sie dient insbesondere auch dazu, Quer- und Kreuzungsverkehr ohne die aus hohen Geschwindigkeiten drohenden besonderen Gefahren zu ermöglichen (vgl. Senatsurteile vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO; vom 14. Februar 1984 - VI ZR 229/82 - VersR 1984, 440 und vom 25. September 1990 - VI ZR 19/90 - aaO; vgl. auch VGS BGHZ 14, 232, 234 und 238 = BGHSt 7, 118, 120 f. und 126; BGHSt 33, 61, 65; OLG Koblenz VersR 1990, 1021 mit Nichtannahmebeschluß des Senats vom 20. März 1990 - VI ZR 204/89). Indem der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der ihm wegen einschlägiger Unfälle bekannten Stelle um - wovon insoweit zu seinen Gunsten auszugehen ist - 20 km/h überschritt, durfte er sich auf ein regelgerechtes Verkehrsverhalten des Beklagten nicht mehr verlassen.
c) Im Ergebnis mit Recht geht das Berufungsgericht ferner davon aus, daß der Kläger den Unfall bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hätte vermeiden können. aa) Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht sei ohne konkrete Feststellungen hinsichtlich der angenommenen Abbiegegeschwindigkeit des Beklagten verfahrensfehlerhaft von einem rechnerischen Mittelwert von 18 km/h ausgegangen, hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat diese Geschwindigkeit nicht lediglich unterstellt, sondern hat sich aufgrund der Angaben des Sachverständigen in Verbindung mit den sonstigen Umständen des vorliegen-
den Falles in tatrichterlicher Würdigung verfahrensfehlerfrei eine entsprechende Überzeugung gebildet, indem es darauf hinweist, daß es weder gegenteiligen Vortrag der Parteien, noch Spuren auf der Fahrbahn noch sonstige Anhaltspunkte für eine andere als die vom Sachverständigen angenommene mittlere Abbiegegeschwindigkeit gebe, etwa infolge eines Bremsvorgangs. bb) Darüber hinaus käme dem Kläger vorliegend entgegen der Annahme des Berufungsgerichts im Rahmen der Vermeidbarkeitsprüfung keine Zeit für eine Verringerung der Geschwindigkeit auf 100 km/h bei Beginn der kritischen Verkehrslage zugute. Anders als bei der Verletzung einer situationsbedingten Beschränkung der zulässigen Geschwindigkeit, etwa nach § 3 Abs. 2 a StVO, bei der erst das Vorliegen bestimmter Umstände eine Verminderung der Geschwindigkeit unter das bis dahin zulässige Maß gebietet (vgl. Senatsurteil vom 23. April 2002 - VI ZR 180/01 - VersR 2002, 911, 912 m.w.N.) und dem verkehrsgerecht Fahrenden deshalb bei Eintritt der kritischen Verkehrslage eine Reaktions- und Bremszeit zuzubilligen ist, ist der Verkehrsteilnehmer, der die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, ständig gehalten, seine Geschwindigkeit auf das zulässige Maß zu reduzieren. Deswegen besteht für diesen das rechtmäßige Alternativverhalten, welches (fiktiv) der Kausalitätsprüfung zugrunde zu legen ist, nicht in einem sofortigen Abbremsen auf die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit, sondern in der Einhaltung dieser Geschwindigkeit bereits bei Beginn der kritischen Verkehrslage (vgl. Senatsurteil vom 11. Januar 1977 - VI ZR 268/74 - aaO; BGHSt 33, 61, 63 f.). Diese Betrachtungsweise ist auch deshalb geboten, weil ansonsten die haftungsrechtliche Zurechnung eines Schadens zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung desto eher entfiele, je stärker die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten wurde. Hiernach folgt aus den Feststellungen des Berufungsgerichts für den vorliegenden Fall, daß der Kläger den Unfall erst recht hätte vermeiden können,
wenn er bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der kritischen Verkehrslage nicht schneller als 100 km/h gefahren wäre. 3. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich die vom Berufungsgericht vorgenommene Haftungsverteilung.
a) Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87 - VersR 1988, 1373 und vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00 - VersR 2002, 613, 615 f.; jeweils m.w.N.; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96 - NJW 2000, 217, 219 m.w.N. und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97 - NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (Senatsurteil vom 20. Januar 1998 - VI ZR 59/97 - VersR 1998, 474, 475 m.w.N.). Die Abwägung kann nicht schematisch erfolgen. Sie ist aufgrund aller festgestellten Umstände des Einzelfalles vorzunehmen. Diese Maßstäbe hat das Berufungsgericht nicht verkannt.
b) Die Revision rügt insoweit erfolglos, das Berufungsgericht habe das Verhalten des Beklagten zu Unrecht nicht als grob fahrlässig gewertet. Die tatrichterliche Beurteilung, ob dem Schädiger der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen ist, ist mit der Revision ebenfalls nur beschränkt angreifbar. Der Nachprüfung unterliegt, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Verschuldensgrades wesentliche Umstände
außer Betracht gelassen hat (vgl. etwa Senatsurteil vom 30. Januar 2001 - VI ZR 49/00 - VersR 2001, 985; BGHZ 145, 337, 340 jeweils m.w.N.). Daß das Berufungsgericht nach den getroffenen Feststellungen ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten verneint hat, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Zwar beging der Beklagte einen objektiv schweren Verkehrsverstoß, indem er abbog und dadurch das Vorrecht des Klägers verletzte, was bei verkehrsgerechtem Verhalten des Klägers angesichts des Schutzcharakters des § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO zugunsten des Gegenverkehrs ein starkes Anzeichen für ein schweres Verschulden ergeben hätte. Jedoch begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte könne die Verkehrslage diesbezüglich lediglich fahrlässig falsch eingeschätzt haben, nach den getroffenen Feststellungen keinen rechtlichen Bedenken. Insoweit konnte das Berufungsgericht im Rahmen der vom Sachverständigen im Bereich zwischen 120 bis 150 km/h angegebenen Geschwindigkeit des Klägers zugunsten des Beklagten ohne Rechtsfehler davon ausgehen, daß der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h fuhr, als der Beklagte seinen Abbiegevorgang einleitete. Denn die Tatsachen, aus denen sich eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten ergeben könnte, stehen zur Beweislast des Klägers. Eine Fehleinschätzung des Wartepflichtigen hat das Berufungsgericht angesichts einer derartigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht für ausgeschlossen erachten müssen.

III.

Nach alledem muß der Revision der Erfolg versagt bleiben. Das Berufungsurteil ist lediglich nach § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen durch den Senat (BGH, Urteil vom 10. Juli 1991 - IV ZR 155/90 - NJW-RR 1991, 1278 m.w.N.) entsprechend den diesbezüglich eindeutigen Entscheidungsgründen dahin zu berichtigen, daß sich der Feststellungsausspruch nur auf zukünftige materielle und immaterielle Schäden des Klägers bezieht und die Klage im übrigen abgewiesen wird.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr