Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2012 - XII ZB 528/11

bei uns veröffentlicht am12.09.2012
vorgehend
Landgericht Osnabrück, 1 O 2521/10, 21.03.2011
Oberlandesgericht Oldenburg, 13 U 47/11, 04.08.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 528/11
vom
12. September 2012
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein Rechtsanwalt ist zur gesonderten Überprüfung der weisungsgemäßen Erstellung
, Vorlage und Absendung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch
qualifizierte Mitarbeiter nur verpflichtet, wenn ihm aufgrund der ihm bekannten
Umstände ein von diesen begangener Fehler offenbar wird.
BGH, Beschluss vom 12. September 2012 - XII ZB 528/11 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. September 2012 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 4. August 2011 im Ausspruch zu 1 und 2 aufgehoben. Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 21. März 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Der Rechtsstreit wird zur Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Wert: 21.991 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Geschäftsraummietverhältnis. Die Beklagte ist durch Urteil des Landgerichts unter anderem zur Räumung verurteilt worden. Dagegen hat sie rechtzeitig Berufung eingelegt, die mit dem 24. Mai 2011 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung hingegen versäumt.

2
Die Beklagte hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dies damit begründet, ihr Prozessbevollmächtigter habe an einem zunächst erstellten Entwurf der Berufungsbegründung am 23. Mai 2011 noch eigenhändig am PC eine Ergänzung vorgenommen. Anschließend habe er eine Mitarbeiterin angewiesen, die Berufungsbegründung "auszufertigen", d.h. die Datei in dreifacher Ausfertigung auszudrucken und zur Unterschrift vorzulegen, und mit der zur Einsicht überlassenen Gerichtsakte an das Gericht abzusenden. Das Anschreiben vom 23. Mai 2011, mit dem die Akte zurückgesandt wurde, sei am Nachmittag gefertigt und ihm nach Rückkehr von Mandantengesprächen am Abend des 23. Mai 2011 zur Unterschrift vorgelegt worden. Er sei davon ausgegangen , dass die Berufungsbegründung bereits versandt gewesen und die Unterschrift von seinem Vertreter geleistet worden sei. Entgegen seiner Anweisung sei die Berufungsbegründung hingegen nicht ausgefertigt worden. Vielmehr sei nur die Gerichtsakte mit einem Anschreiben am 24. Mai 2011 eingereicht worden. Seine Mitarbeiterin habe die Berufungsbegründungsfrist aufgrund des Eingangsstempels "24.5.2011" auf dem Aktenrücksendungsschreiben am selben Tag gelöscht.
3
Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen gemäß § 574 Abs. 2 ZPO zulässig und begrün- det. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragstellers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 189/07 - FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).
5
1. Nach der Auffassung des Oberlandesgerichts schließt der beschriebene Ablauf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht aus. Denn er habe sich angesichts der Eilbedürftigkeit der Sache vergewissern müssen, dass die Berufungsbegründung tatsächlich ausgefertigt und unterschrieben worden sei. Ihm habe bei der Vorlage des Anschreibens bewusst sein müssen, dass er die Berufungsbegründung noch nicht unterschrieben habe. Wenn die Mitarbeiterin tatsächlich auch die Berufungsbegründung ausgefertigt hätte, hätte es nahe gelegen, dass beides zeitgleich zur Unterschrift vorgelegt worden wäre. Da dem nicht so gewesen sei, habe er sich vergewissern müssen, dass die Berufungsbegründung tatsächlich ausgefertigt und von seinem Kollegen unterschrieben worden sei.
6
2. Das hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
7
a) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war zunächst nicht gehalten , die Ausführung der von ihm erteilten Weisung, die Berufungsbegründung auszufertigen, zu überprüfen oder die Ausführung durch organisatorische Vorkehrungen zu sichern. Denn es handelte sich um eine Anweisung im Rahmen der Anfertigung fristgebundener Schriftsätze, deren Ausführung von der allgemeinen Fristen- und Ausgangskontrolle umfasst wird. Anders als die mündliche Anweisung zur Eintragung einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist wies die Weisung keine besondere Schwierigkeit auf und bedurfte die Ausführung der Weisung keiner besonderen Kontrolle.
8
b) Auch aufgrund der Vorlage des Anschreibens zur Rücksendung der Akten trafen den Prozessbevollmächtigten der Beklagten keine weiteren Überprüfungspflichten.
9
aa) Zwar ist nach der Rechtsprechung des Senats vom Rechtsanwalt regelmäßig zu überprüfen, ob die Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfrist korrekt eingetragen sind, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435; vom 19. Oktober 2011 - XII ZB 250/11 - FamRZ 2012, 106 Rn. 9 und vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11 - FamRZ 2012, 108 Rn. 11). Daran mangelte es indessen im vorliegenden Fall nicht, weil die Frist zur Berufungsbegründung zutreffend eingetragen war.
10
bb) Die Fristen- und Ausgangskontrolle darf ein Rechtsanwalt in zulässiger Weise seinen Büroangestellten übertragen (Musielak/Grandel ZPO 9. Aufl. § 233 Rn. 22 mwN). Der Rechtsanwalt genügt in diesem Fall seinen Pflichten, indem er eine fachlich einwandfreie Kanzleiorganisation sicherstellt und seine mit der Fristen- und Ausgangskontrolle betrauten Angestellten sorgfältig aussucht und etwa durch Stichproben kontrolliert. Wird er diesen Anforderungen gerecht, so ist es ihm nicht als eigenes Verschulden anzulasten, wenn seine Angestellten im Einzelfall die Fristen- oder die Ausgangskontrolle nicht oder nicht sorgfältig durchführen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. April 2009 - XII ZB 167/08 - NJW-RR 2009, 937 Rn. 15).
11
Allerdings können besondere Umstände dem Rechtsanwalt Veranlassung dazu geben, die Einhaltung von Fristen und den Postausgang selbst zu kontrollieren, wenn ihm diesbezügliche Fehler seiner Angestellten offenbar werden (vgl. Senatsbeschluss vom 13. November 2002 - XII ZB 104/01 NJWRR 2003, 490 betreffend den Postausgang). Eine derartige besondere Überprüfungspflicht bleibt aber auf den Fall beschränkt, dass dem Rechtsanwalt ein Versäumnis seiner Angestellten offenbar wird. Zu einer allgemeinen Überwachung seiner Angestellten darauf, ob seine Anweisungen ausgeführt werden, ist der Rechtsanwalt dagegen nicht verpflichtet (Musielak/Grandel ZPO 9. Aufl. § 233 Rn. 22 mwN).
12
cc) Nach den aufgeführten Grundsätzen trifft den Prozessbevollmächtigten der Beklagten kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist.
13
Nach dem vom Oberlandesgericht als glaubhaft gemacht zugrunde gelegten Sachverhalt konnte der Prozessbevollmächtigte sich entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts auf die allgemeinen Kontrollmechanismen verlassen , dass eine nicht unterschriebene und abgesandte Berufungsbegründung bei der Fristenüberwachung aufgefallen und die Löschung der Frist dann unterblieben wäre. Aus der alleinigen Vorlage des Anschreibens betreffend die Aktenrücksendung musste er nicht den Schluss ziehen, dass die Berufungsbegründung nicht ausgefertigt und abgesendet worden war. Vielmehr konnte er davon ausgehen, dass die Berufungsbegründung während seiner mehrstündigen Abwesenheit ausgefertigt und dabei von seinem Vertreter im Dezernat unterschrieben worden war. Auch wenn ihm eine isolierte Vorlage des Anschreibens möglicherweise Anlass für eine Rückfrage hätte geben können, war damit jedenfalls ein Fehler der Angestellten für den Prozessbevollmächtigten noch nicht offenbar. Da sich die von ihm erteilte Weisung nach der Glaubhaftma- chung allgemein auf die Ausfertigung der Berufungsbegründungsschrift bezog, hätte sie im Übrigen auch in der Weise ausgeführt werden können, dass während seiner Abwesenheit sein Vertreter im Dezernat die Unterschrift leistete. Den Prozessbevollmächtigten traf auch keine weitere Pflicht zur Nachforschung , so dass ihm ein Verschulden an der Fristversäumung nicht vorzuwerfen ist. Vielmehr konnte er sich auf die allgemeine Fristenüberwachung verlassen , die das Versäumnis hätte aufzeigen müssen. Dass seine Mitarbeiterin die Frist zu Unrecht als erledigt gestrichen hat, ist ihm nicht als Verschulden zuzurechnen.
14
c) Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Der Senat kann hinsichtlich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abschließend entscheiden , weil dazu keine weiteren Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Zur Entscheidung über die Berufung ist das Verfahren an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Dose Klinkhammer Schilling Günter Botur
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 21.03.2011 - 1 O 2521/10 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 04.08.2011 - 13 U 47/11 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2012 - XII ZB 528/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2012 - XII ZB 528/11

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A
Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2012 - XII ZB 528/11 zitiert 5 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

8
2. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Antragstellers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 41, 323, 326 ff.; 41, 332, 334 ff.; 69, 381, 385; BVerfG NJW 1999, 3701, 3702; NJW 2001, 2161, 2162; BGHZ 151, 221, 227).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 164/03
vom
1. Dezember 2004
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 Fc, 85 Abs. 2, 520 Abs. 2 Satz 1
Zur Verpflichtung des Rechtsanwalts, die Notierung sowohl der Berufungs- als
auch der Berufungsbegründungsfrist zu prüfen, wenn ihm die Handakte zu einer
Besprechung mit seinem Mandanten vorgelegt worden ist, in deren Verlauf
der Mandant ihn beauftragt, Berufung einzulegen, und im Anschluß an die er
die Berufungsschrift diktiert (Fortführung der Senatsbeschlüsse vom 11. Februar
2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696 und vom 21. April 2004 - XII ZB
243/03 - FamRZ 2004, 1183 f.).
BGH, Beschluß vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - OLG München
LG Landshut
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Dezember 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juni 2003 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen. Beschwerdewert: 112.484 €

Gründe:

I.

Die Parteien sind geschiedene Eheleute. Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Rückzahlung eines ihm von der Klägerin gewährten Darlehens von 220.000 DM nebst Zinsen. Der Beklagte ließ das ihm am 28. Februar 2003 zugestellte Urteil durch seine erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte nebst Anschreiben am 14. März 2003 per Fax an die Münchener Kanzlei der Rechtsanwaltspartnerschaft K. übermitteln und vereinbarte mit dem dort tätigen Rechtsanwalt Dr. N. einen Besprechungstermin für den 19. März 2003. Im Rahmen dieses Besprechungstermins, zu dem Rechtsanwalt Dr. N. die neu angelegte Akte mit dem Fax vom 14. März 2003 vorgelegt wurde, beauftragte der Beklagte ihn, fristwahrend Berufung gegen das Urteil einzulegen und die Erfolgsaussichten der Berufung zu prüfen. Unmittelbar im Anschluß an
diese Besprechung diktierte Rechtsanwalt Dr. N. die Berufungsschrift, die am 21. März 2003 gefertigt wurde und am 26. März 2003 beim Oberlandesgericht einging. Am 6. Mai 2003 ließ Rechtsanwalt Dr. N. sich die Akte erneut vorlegen und stellte dabei fest, daß die am 28. April 2003 abgelaufene Frist zur Begründung der Berufung im Fristenkalender nicht notiert und ihm die Akte deshalb nicht rechtzeitig zur Fertigung der Berufungsbegründungsschrift vorgelegt worden war. Das Berufungsgericht hat den am 20. Mai 2003 zugleich mit einer Berufungsbegründung eingegangenen Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluß wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, aber nicht zulässig. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch ist sie geeignet, der Fortbildung des Rechts zu dienen; auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Sachentscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht. 1. Das Berufungsgericht sieht ein dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Dr. N. darin, daß dieser bei Annahme des Mandats die Berufungs-
begründungsfrist nicht selbst geprüft und deren Notierung veranlaßt habe. Diese Aufgabe habe ihm allein oblegen, da er nicht davon habe ausgehen dürfen, daß seine zuverlässige Büroangestellte die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung nebst Vorfristen schon anläßlich des Eingangs des Faxschreibens der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 14. März 2003 notiert habe. Weder lägen Anhaltspunkte dafür vor, daß dem übermittelten Urteil das Datum seiner Zustellung habe entnommen werden können, noch stelle der Eingang einer solchen Faxnachricht in einer Sache, in der zuvor noch kein Mandatsverhältnis bestanden habe, einen Vorgang dar, bei der sich einer Rechtsanwaltsfachangestellten aufdrängen müsse, daß Fristen zu notieren seien. 2. Demgegenüber macht die Rechtsbeschwerde geltend, das Faxanschreiben der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten habe einen ausdrücklichen Hinweis auf die Zustellung des Urteils am 28. Februar 2003 enthalten, was das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft nicht berücksichtigt habe. Deshalb habe die mit der Fristenüberwachung beauftragte zuverlässige Angestellte - auch aufgrund einer im einzelnen dargelegten allgemeinen Büroanweisung - sehr wohl Anlaß gehabt, die einfache Fristenberechnung eigenverantwortlich vorzunehmen und die entsprechenden Fristen zu notieren. Rechtsanwalt Dr. N. habe deshalb bei der Besprechung am 19. März 2003 darauf vertrauen dürfen, daß dies geschehen sei. 3. Darauf kommt es indes im Ergebnis nicht an. Ein dem Beklagten zuzurechnendes Verschulden seines zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten ist jedenfalls darin zu sehen, daß dieser nicht alles ihm Zumutbare getan und veranlaßt hat, damit die Frist zur Begründung des Rechtsmittels gewahrt wird (std. Rspr., etwa BGH, Beschluß vom 28. September 1989 - VII ZR 115/89 - BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 12). Der Rechtsanwalt ist nämlich insbesondere
verpflichtet, die Anbringung von Erledigungsvermerken über die Notierung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfristen zu überprüfen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696 und vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183 f. m.N.).
a) Hier waren Rechtsanwalt Dr. N. die Handakten zu dem Besprechungstermin am 19. März 2003 vorgelegt worden. Auch wenn ihm das Mandat zur Einlegung der Berufung erst im Rahmen dieser Besprechung erteilt wurde, lagen ihm die Akten somit von diesem Zeitpunkt an und insbesondere bei dem anschließenden Diktat der Berufungsschrift "im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozeßhandlung" (vgl. Senatsbeschluß vom 21. April 2004 aaO S. 1184 oben) vor. Denn auch die Vorlage zu einer Besprechung, in der erst noch entschieden werden sollte, ob eine fristgebundene Prozeßhandlung vorzunehmen war, ist jedenfalls dann, wenn diese Entscheidung positiv ausfällt, eine Vorlage im Zusammenhang mit einer solchen Prozeßhandlung.
b) Auch wenn die Ansicht der Rechtsbeschwerde zuträfe, daß Rechtsanwalt Dr. N. am 19. März 2003 allenfalls die Eintragung der Berufungsfrist, nicht aber auch der Berufungsbegründungsfrist hätte kontrollieren müssen, hätte ihm auffallen müssen, daß die Handakten keinen Vermerk über die Eintragung der Berufungsfrist enthielten, so daß er dem sich daraus ohne weiteres ergebenden konkreten Verdacht hätte nachgehen müssen, auch die Notierung der Berufungsbegründungsfrist könne unterblieben sein. Der Umstand, daß die Berufungsfrist hier trotz fehlender Fristnotierung gewahrt wurde, läßt daher - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - die Ursächlichkeit dieser versäumten Kontrolle für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht entfallen.

c) Allerdings trifft die Auffassung der Rechtsbeschwerde, aus Anlaß der Besprechung vom 19. März 2003 und des daran anschließenden Diktats der Berufungsschrift habe allenfalls die Berufungsfrist und deren Notierung überprüft werden müssen, nicht zu. Denn die Kontrollpflicht des Rechtsanwalts beschränkt sich, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift vorliegen, nicht auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist notiert ist; sie erstreckt sich vielmehr auch auf die Erledigung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist. Diese beginnt nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils. Ihr Ablauf steht daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits fest. Mit der anwaltlichen Verpflichtung , alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre es deshalb nicht zu vereinbaren, wollte sich der Anwalt bei der gebotenen Prüfung der Fristennotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die - ebenfalls bereits feststehende - Berufungsbegründungsfrist aussparen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2004 und vom 21. April 2004 aaO S. 1184).
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose
9
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden (Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03- FamRZ 2004, 696 und vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435, 436 jeweils mwN; zuletzt Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 88/11 - juris Rn. 9). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt eigenverantwortlich stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm das schon ab der Zustellung des Beschlusses möglich und zumutbar, weil die zweimonatige Begründungsfrist mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses beginnt.
11
b) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorge- legt werden (Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696 und vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435, 436 jeweils mwN; zuletzt Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2011 - XII ZB 250/11 - zur Veröffentlichung bestimmt). In diesem Fall muss der Rechtsanwalt stets auch alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen. Für die Beschwerdebegründungsfrist nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG ist ihm dies bei der Fristvorlage zur Wahrung der Beschwerdefrist möglich.
15
Richtig ist, dass eine Frist im Fristenkalender erst gestrichen werden darf, wenn der fristwahrende Schriftsatz zumindest in einer Weise versandfertig gemacht worden ist, die sicherstellt, dass er noch am gleichen Tag zur Post oder zum Gericht gelangt. Eine wirksame Ausgangskontrolle erfordert es aber zugleich, dass sie dann auch unverzüglich gestrichen wird. Denn nur dann kann eine ungestrichen gebliebene Frist bei der allabendlich vorzunehmenden Kontrolle des Fristenkalenders (Senatsbeschluss vom 8. Dezember 1993 - XII ZB 155/93 - EzFamR aktuell 1994, 81 ff.) ihre Warnfunktion erfüllen, indem sie eindeutig erkennen lässt, dass zur Fristwahrung noch dringend etwas unternommen werden muss.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 104/01
vom
13. November 2002
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. November 2002 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Weber-Monecke, Prof.
Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und Dr. VØzina

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. März 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Wert: 32.661 DM).

Gründe:

I.

Die Beklagte legte gegen das ihr am 4. Dezember 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts am 4. Januar 2001 Berufung ein. Auf ihren Antrag wurde die Berufungsbegründungsfrist bis Montag, den 5. März 2001, verlängert. Die Berufungsbegründung ging am 6. März 2001 bei dem Oberlandesgericht ein. Nach einem gerichtlichen Hinweis auf den verspäteten Eingang der Berufungsbegründung beantragte die Beklagte am 12. März 2001 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung trug sie vor: In der Kanzlei ihrer Anwälte bestehe die Anweisung , daß die Tagespost, die zuvor postfertig gemacht und in das Postausgangsbuch eingetragen worden sei, täglich bei Büroschluß um 17.30 Uhr von einer Mitarbeiterin in den nächstgelegenen Briefkasten eingeworfen werde.
Dieser Briefkasten werde von montags bis freitags jeweils um 18.15 Uhr geleert. Am Freitag, dem 2. März 2001, habe Rechtsanwalt Dr. A. vormittags die Berufungsbegründung unterschrieben, selbst postfertig gemacht, in das Postausgangsbuch eingetragen und in die für die Ausgangspost vorgesehene Sammelstelle gelegt. Wegen eines auswärtigen Termins habe Rechtsanwalt Dr. A. gegen 15.00 Uhr das Büro verlassen; zu dieser Zeit sei dort noch eine Sekretärin tätig gewesen. Am Vormittag des 5. März 2001 habe Rechtsanwalt Dr. A. gegen 8.45 Uhr das Postausgangsfach leer vorgefunden und deshalb keinen Anlaß gehabt, auf Unregelmäßigkeiten zu schließen. Auf den Hinweis des Gerichts, die Berufungsbegründung sei verspätet eingegangen, habe sich herausgestellt, daß die Sekretärin am 2. März 2001 vergessen habe, die Tagespost mitzunehmen und in den Briefkasten einzuwerfen. Am Sonntag, den 4. März 2001, habe der Kollege von Rechtsanwalt Dr. A., Rechtsanwalt Dr. K. bemerkt, daß die Post noch im Postausgangsfach gelegen habe. Daraufhin habe er die Post mitgenommen und noch am Sonntag in den Briefkasten eingeworfen. Hierüber sei Rechtsanwalt Dr. A. nicht informiert worden, andernfalls sei es ihm am 5. März 2001 noch möglich gewesen, die Berufungsbegründung zu Gericht bringen zu lassen. Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Das nach § 519 b Abs. 2 ZPO a.F. statthafte Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt worden und damit zulässig. In der Sache bleibt es jedoch ohne Erfolg, da die Beklagte die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne ihr Verschulden versäumt hat. Das Berufungsgericht hat deshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht nicht gewährt (§ 233 ZPO), sondern die Berufung verworfen. 1. Das Berufungsgericht hat ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in dem Verhalten von Rechtsanwalt Dr. K. gesehen. Dieser habe die Post am Sonntag, den 4. März 2001, nicht ungeprüft in den - von Montag bis Freitag um 18.15 Uhr geleerten - Briefkasten einwerfen dürfen, sondern entweder selbst die Post auf eventuelle Fristsachen durchsehen oder diese Prüfung Rechtsanwalt Dr. A. am Montag überlassen müssen. Eine solche Pflicht des Rechtsanwalts Dr. K. habe bestanden , weil er erkannt habe, daß die Tagespost an dem vorausgegangenen Freitag liegengeblieben sei und ihm habe klar sein müssen, daß sich darunter auch fristgebundene Schriftsätze befinden konnten. Wenn er die erforderliche Überprüfung vorgenommen hätte, so wäre ihm die Berufungsbegründung aufgefallen , so daß deren rechtzeitige Einreichung bei Gericht noch am Montag, dem 5. März 2001, hätte veranlaßt werden können. Dieses Fehlverhalten des mit Rechtsanwalt Dr. A. in einer Sozietät verbundenen Rechtsanwalt Dr. K. müsse die Beklagte sich zurechnen lassen. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. 2. Entgegen der von der sofortigen Beschwerde vertretenen Auffassung bestehen keine Bedenken gegen die Annahme, die Beklagte habe für das Verhalten von Rechtsanwalt Dr. K. einzustehen. Nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs ist davon auszugehen, daß ein Rechtsanwalt, der einer Anwaltssozietät angehört, ein ihm angetragenes Mandat zur Prozeßführung in der Regel im Namen dieser Sozietät annimmt, d.h. nicht nur sich persönlich, sondern auch den oder die mit ihm zur gemeinsamen Berufsausübung verbundenen Kollegen verpflichtet. Sowohl der Auftraggeber als auch der Rechtsanwalt haben nämlich grundsätzlich den Willen, das Mandatsverhältnis mit allen Mitgliedern der Sozietät zu begründen (BGHZ 124, 47, 48 f. m.w.N.; BGH Urteil vom 19. Januar 1995 - III ZR 107/94 - NJW 1995, 1841). Das gilt auch dann, wenn zwischen den Anwälten keine echte Sozietät besteht, sondern diese lediglich als Außensozietät auftreten und sich im Innenverhältnis nur zu einer Bürogemeinschaft verbunden haben (BGHZ 70, 247, 249), wie es die Beklagte hinsichtlich der Rechtsanwälte Dr. A. und Dr. K. behauptet. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann ausnahmsweise von der Begründung eines Einzelmandats an ein Mitglied der Sozietät ausgegangen werden (BGHZ aaO; Senatsbeschluß vom 7. Mai 1991 - XII ZB 18/91 - NJW 1991, 2294 für den Fall der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Prozeßkostenhilfe

).

3. Diese Rechtsprechung, an der der Senat festhält, führt dazu, daß die Beklagte sich das Verhalten des Rechtsanwalts Dr. K. zurechnen lassen muß.
a) Die Annahme des Berufungsgerichts, daß Rechtsanwalt Dr. K. ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft, wird von der sofortigen Beschwerde nicht angegriffen. Gegen diese Beurteilung bestehen aus Rechtsgründen auch keine Bedenken.
b) Das Verschulden von Rechtsanwalt Dr. K. ist der Beklagten zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Es ist weder vorgetragen und glaubhaft gemacht worden , daß Rechtsanwalt Dr. A. ein Einzelmandat erteilt worden ist, noch ergibt
sich dies aufgrund besonderer Umstände des vorliegenden Falles. Deshalb ist davon auszugehen, daß das Mandat zur Führung des Rechtsstreits der Anwaltssozietät erteilt worden ist, so daß alle Mitglieder der Sozietät Bevollmächtigte im Sinne des § 85 ZPO sind. Das Verschulden eines Bevollmächtigten steht aber dem Verschulden der Partei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). Soweit die sofortige Beschwerde demgegenüber geltend macht, die unmittelbare und volle Verantwortung für alle mit der Prozeßführung verbundenen Pflichten träfen allein Rechtsanwalt Dr. A. als den Anwalt, der die Beklagte vor Gericht vertrete, kann ihr nicht gefolgt werden. Zwar hat von mehreren in einer Sozietät zusammengeschlossenen Rechtsanwälten grundsätzlich derjenige die Fristen zu überwachen, der bei dem zuständigen Gericht zugelassen ist, was nicht nur für die überörtliche Sozietät, sondern allgemein gilt (BGH Beschluß vom 10. Juli 1997 - IX ZB 57/97 - NJW 1997, 3177, 3178). Im vorliegenden Fall beruht das Versäumen der Berufungsbegründungsfrist aber nicht auf der eigentlichen Fristüberwachung, sondern darauf, daß Rechtsanwalt Dr. K. eigenmächtig in den Geschehensablauf eingegriffen hat, indem er die Post - ohne eine Überprüfung auf das Vorhandensein von Fristsachen vorzunehmen - sonntags in einen (offensichtlich erst montags wieder geleerten) Briefkasten eingeworfen hat. Für ein solches Verschulden ihres Bevollmächtigten hat die Partei unabhängig davon einzustehen, wem im Innenverhältniss der Anwälte
zueinander die Fristenüberwachung grundsätzlich oblegen hat. Abgesehen davon war aber auch Rechtsanwalt Dr. K. bei dem Oberlandesgericht zugelassen und damit auch selbst für die Überwachung der Frist verantwortlich.
Hahne Weber-Monecke Wagenitz
Ahlt Vézina