Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2018 - 1 StR 193/18

bei uns veröffentlicht am11.09.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 193/18
vom
11. September 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:110918U1STR193.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. September 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff,
Richterin am Landgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizangestellte – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 18. Oktober 2017 werden verworfen.
2. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten B. hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Mordes in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten S. hat es wegen Mordes in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verhängt.
2
Dagegen wendet sich der Angeklagte B. mit der allgemeinen Sachrüge und der Angeklagte S. mit der Rüge formellen undmateriellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten B. eingelegten und ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den zur Tatzeit zwanzig Jahre und fünf Monate alten Angeklagten.
3
Die Revisionen haben keinen Erfolg.

I.


4
1. Nach den Feststellungen der Jugendkammer wollten sich die Angeklagten S. und B. durch den Gewinn bringenden Handel mit Marihuana eine zusätzliche Einnahmequelle von einigem Gewicht und einiger Dauer verschaffen. Sie erwarben deshalb Anfang November 2016 von dem Mitangeklagten M. ein Kilogramm Marihuana für 4.000 €. 2.500 € zahlten S. und B. sofort. Der Restkaufpreis sollte in Raten abbezahlt werden. Mitte November 2016 verkauften sie das Kilogramm Marihuana an Ma. und Sk. für 5.000 € und vereinbarten bei Übergabe, dass der Kaufpreis erst in den folgenden Tagen bezahlt werden sollte.
5
Ma. und Sk. waren jedoch nicht zahlungswillig. Am 1. Dezember 2016 trafen die Angeklagten S. und B. Ma. in einer Spielothek an. Ma. verweigerte jedoch die Zahlung und bat seinen Freund K. telefonisch zu seiner Unterstützung herbei, weil er mit einer körperlichen Auseinandersetzung rechnete. Als K. eintraf , saßen S. und B. vor der Spielothek in dem schaltgetriebenen Fiat Punto des Angeklagten S. . Sie beobachteten, dass Ma. und K. die Spielothek wenige Minuten später verließen und vor einer nahegelegenen Sitzgruppe eng beieinander stehen blieben. S. und B. beschlossen, ihrer gemeinsamen Forderung auf Zahlung von 5.000 € drastisch Nachdruck zu verleihen.
6
Sie vereinbarten, zunächst mit dem von B. gesteuerten Fiat eine Runde um den Block zu fahren. Dann sollte B. nach beschleunigtem Heranfahren nahe der Sitzgruppe scharf abbremsen und der Beifahrer S. aus dem geöffneten Beifahrerfenster einen Schuss aus der scharfen Pistole Kaliber 7,65 mm in Richtung von Ma. und K. abfeuern. Nach der Schussabgabe sollte B. so schnell wie möglich wegfahren.
7
Von ihrem gemeinsamen Tatplan war sowohl eine Schussabgabe ohne Treffer als auch die Verletzung oder der Tod einer der beiden Männer umfasst. Ein Todeseintritt war ihnen zwar unerwünscht, sie fanden sich jedoch damit ab. Sie nahmen den Tod von Ma. oder K. billigend in Kauf, weil sie um jeden Preis eine Zahlung der 5.000 € erreichen wollten. Für den Fall, dass sie K. tödlich treffen sollten oder ihn oder Ma. nur verletzen oder verfehlen sollten, gingen sie davon aus, dass dann der verängstigte überlebende Ma. bzw. die verängstigten Ma. und Sk. zahlen würden. Sollten sie Ma. tödlich treffen, nahmen sie an, dass Sk. zahlen würde.
8
Sie wussten, dass der Schuss aus dem Auto nach einer starken Bremsung aus einer Entfernung von fünf bis zehn Metern bei einbrechender Dunkelheit und einsetzender Straßenbeleuchtung in Sekundenschnelle erfolgen würde und S. kein geübter Pistolenschütze war. Beide erkannten und billigten den Umstand, dass Ma. und K. nicht mit einem Schuss rechneten und keine Chance hatten zu fliehen, auszuweichen oder den Angriff abzuwehren. Diesen Umstand wollten sie ausnutzen.
9
Nach der Fahrt um den Block näherten sie sich wie geplant erneut der Sitzgruppe. B. bremste das Fahrzeug stark ab. S. gab unmittelbar nach dem Stillstand des Fahrzeugs durch das vollständig geöffnete Beifahrerfenster aus einer Entfernung von fünf bis sieben Metern einen Schuss in Richtung der nahe zusammenstehenden Ma. und K. ab. Er traf K. mitten ins Herz. K. verstarb sofort.
10
2. a) Zur Entwicklung des Angeklagten B. führte die Jugendkammer aus, dass der Angeklagte vor knapp drei Jahren wegen Arbeitslosigkeit und schlechter beruflicher Perspektive in Italien auf Rat seines Vaters nach Deutschland gegangen sei, sich mit verschiedenen Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, bei seiner Großmutter gewohnt habe und zwischen Italien und Deutschland gependelt sei. Als sich sein Vater vor etwa zwei Jahren entschlossen hätte, ebenfalls nach Deutschland zu ziehen und ihm eine Stelle als Hilfsarbeiter in einer Zimmerei vermittelt habe, habe der Angeklagte ab März 2015 mit einem Nettoeinkommen von etwa 1.500 € in der Zimmerei und an den Wochenenden bei einer anderen Firma mit einem Nettoeinkommen von etwa 400 € gearbeitet. Sein Vater habe alle finanziellen Angelegenheiten für ihn verwaltet , ihm die jährliche Steuererklärung erstellt, die EC-Karte verwahrt und ihm monatlich Geld zugeteilt. Bei anstehenden Entscheidungen habe der Angeklagte stets seinen Vater um Rat gefragt. Der Angeklagte plane eine Ausbildung zum Dachdecker bei seinem Arbeitgeber, um sich dann gemeinsam mit seinem Vater als Dachdecker selbstständig zu machen. Seine in Italien lebende Freundin , mit der er seit fünf Jahren eine Beziehung führe, wolle er zeitnah heiraten.
11
b) Das Landgericht hat auf den Angeklagten B. Jugendstrafrecht angewandt und gemäß § 17 Abs. 2 JGG wegen schädlicher Neigungen auf Jugendstrafe erkannt.
12
Die Anwendung von Jugendstrafrecht hat die Jugendkammer damit begründet , dass es dem Angeklagten bisher nicht gelungen sei, sich von seiner Familie zu lösen. Er meide eigenverantwortliche Entscheidungen. Auch sein sozialer Umgang sei auf seine Familie und den Angeklagten S. beschränkt. Seine schlechten Deutschkenntnisse hätten den Aufbau eines eigenen gleichaltrigen Freundeskreises verhindert und dazu geführt, dass er zur Tatzeit noch stark von seiner Familie abhängig gewesen sei. In den Taten komme zum Ausdruck, dass er naiv gehandelt hätte und noch nicht über das bei einem ausgereiften Heranwachsenden zu erwartende Konfliktmanagement und die nötige Kontrolle seiner Emotionen verfügt habe. So habe er gemeinsam mit dem Angeklagten S. in der bloßen Hoffnung, von Ma. und Sk. den für das Kilogramm Marihuana vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 5.000 € zu erhalten, den beiden das Marihuana ohne Sicherheit und ohne Anzahlung überlassen. Deren anhaltende Zahlungsverweigerung habe ihn dazu gebracht, nur wegen 5.000 € den Schuss aus dem Auto heraus zu ermöglichen. Ein solches aus Verärgerung entstandenes Verhalten unter billigender Inkaufnahme des Todes eines Menschen entspräche eher jugendtypischen Verhaltensmustern als dem Bild eines ausgereiften und selbst kontrollierten Heranwachsenden. Der mangelnde Anschluss an Altersgenossen habe sich auch nach seiner Inhaftierung fortgesetzt, in der Haft habe er vor allem die von jüngeren Gefangenen genutzten Fortbildungsmöglichkeiten in Anspruch genommen. Darüber hinaus sprächen auch die Zukunftspläne des Angeklagten in Form von „Tagträumen“ für eine für Jugendliche undnicht ausgereifte Heranwachsende typische Selbstüberschätzung. So plane der bisher nur als Arbeiter in einer Zimmerei beschäftigte und nur wenig Deutsch sprechende Angeklagte bereits, eine Ausbildung als Zimmermann zu absolvieren, nach deren erfolgreichem Abschluss eine eigene Firma zu gründen und sich als Zimmermann selbstständig zu machen. Er plane also nicht in rationaler Weise einen Schritt nach dem anderen, sondern überspiele seine Unsicherheit durch den Wunsch zur frühen Selbstständigkeit. In die gleiche Richtung ziele sein Wunsch, seine in Italien lebende Verlobte zu heiraten und eine Familie zu gründen. Zwar sei er eigener Einlassung zufolge bereits seit fünf Jahren mit seiner Verlobten in einer Beziehung , doch habe sich diese Beziehung mit Ausnahme der wenigen Besuche des Angeklagten in Italien auf bloße Kommunikation per Telefon beschränkt, das Bild dieser Beziehung entspräche daher zumindest derzeit noch nicht der einer gefestigten Beziehung, die Grundlage für eine Heirat und die Gründung einer Familie sei und als Indiz für eine eigenständige und konkrete Lebensplanung herangezogen werden könnte.
II. Revisionen der Angeklagten
13
Der Schuldspruch und der Strafausspruch enthalten keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten. Insoweit und hinsichtlich der Verfahrensrügen wird auf die Antragsschriften des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
14
Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass die Beweiswürdigung der Jugendkammer, auf die sie ihre Überzeugung stützt, die Schussabgabe sei durch den Beifahrer S. erfolgt, nicht zu beanstanden ist. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Strafkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Insbesondere hat die Strafkammer aus der enormen Geschwindigkeit der Tatausführung und dem Fehlen auffälliger Bewegungen im Fahrzeuginneren ein Abfeuern des Schusses durch den Beifahrer S. für erwiesen erachtet und eine Schussabgabe durch den Fahrer B. mit überzeugenden Erwägun- gen, auch unter Berücksichtigung möglicher Positionen bzw. Armhaltungen des Schützen, ausgeschlossen.
III. Revision der Staatsanwaltschaft
15
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
16
Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten Jugendstrafrecht angewendet, da er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichgestanden habe (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG). Die Jugendkammer hat die Anwendung von Jugendstrafrecht rechtsfehlerfrei begründet.
17
Gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Ist das nicht der Fall und stehen Reiferückstände nicht im Vordergrund, hat der Täter vielmehr die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, ist auf ihn allgemeines Strafrecht anzuwenden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 1958 – 4 StR 327/58, BGHSt 12, 116, 118; vom 16. Januar 1968 – 1 StR 604/67, BGHSt 22, 41, 42; vom 6. Dezember 1988 – 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 39; vom 20. Mai2002 – 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8 und vom 20. Mai 2014 – 1 StR 610/13, NStZ 2015, 230 f.). Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und unter Berücksichtigung der sozialen Lebensbedingungen und Umweltbedingungen zu beurteilen. Dem Tatrichter steht hierbei ein weiter Beurteilungsspielraum zu (BGH, Urteile vom 6. Dezember 1988 – 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37 f. mwN; vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186 ff. und vom 20. Mai 2014 – 1 StR 610/13, NStZ 2015, 230 f.; Beschluss vom 14. August 2012 – 5 StR 318/12, NStZ 2013, 289 f.). Diesen Beurteilungsspielraum hat die Jugendkammer nicht überschritten. Ihr ist auch nicht aus dem Blick geraten, dass der Angeklagte eine nicht unbedeutende Rolle bei dem dem Tötungsdelikt vorausgegangenen Drogengeschäft gespielt hat.
Raum Bellay Fischer
Bär Hohoff

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2018 - 1 StR 193/18

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Referenzen - Gesetze

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 17 Form und Voraussetzungen


(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Sept. 2018 - 1 StR 193/18 zitiert 3 §§.

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 17 Form und Voraussetzungen


(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder

Referenzen - Urteile

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 S t R 6 1 0 / 1 3 vom 20. Mai 2014 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung mit Todesfolge Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2014, an der teilgenommen habe

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bei uns veröffentlicht am 11.03.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 507/02 vom 11. März 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags u. a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März 2003, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Ric

Referenzen

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 1 0 / 1 3
vom
20. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 31. Juli 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten - die Tat ist zwei Tage vor seinem 19. Geburtstag begangen - wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen erwartete der Angeklagte zusammen mit zwei Bekannten den Geschädigten Ge. am 8. Juni 2012 gegen 22.15 Uhr auf dem Bahnsteig des Bahnhofs in G. . Grund dafür waren einerseits der Umstand, dass die vom Angeklagten zu einer Feier eingeladene S. sich lieber mit dem Geschädigten treffen als der Einladung des Angeklagten folgen wollte, andererseits eine einige Tage zuvor zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten stattgefundene Auseinandersetzung. Nachdem es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwi- schen dem Angeklagten und Ge. , dann zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und einem der Begleiter des Angeklagten gekommen war, welche aber ohne Folgen blieb, begann der Angeklagte anschließend den Geschädigten mehrfach zu schubsen. Schließlich versetzte er ihm einen Kopfstoß ins Gesicht; danach holte er mit der rechten Hand aus und versetzte Ge. einen heftigen Faustschlag an die linke Halsseite.
3
Der Faustschlag hatte zur Folge, dass der Geschädigte auf dem Bahnsteig bewusstlos zusammenbrach und einen Herzkreislaufstillstand erlitt. Er verstarb schließlich an einem zentralen Regulationsversagen infolge einer schweren Sauerstoffmangelschädigung des Gehirns am 21. Juni 2012.
4
Nach den Feststellungen des Gerichts wollte der Angeklagte den Geschädigten durch den Kopfstoß und den Faustschlag verletzen, wobei er allerdings hätte erkennen können und müssen, dass durch seinen Faustschlag schwere, gegebenenfalls auch tödliche Verletzungen hervorgerufen werden können.
5
Nach der Tat begab sich der Angeklagte, welcher bei einer um 23.28 Uhr entnommenen Blutprobe eine BAK von 1,07 Promille aufwies, zunächst zurück zu der Feier, von der er zuvor aufgebrochen war, stellte sich dann aber kurze Zeit später der Polizei.

II.


6
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
7
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
8
2. Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten gelangt ist, der zur Tatzeit knapp 19 Jahre alt und damit Heranwachsender war, weist keinen Rechtsfehler auf.
9
Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG erforderliche Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse, unter denen er aufgewachsen ist und vor und nach der Tat lebte, vorgenommen und festgestellt, dass er bereits zum Zeitpunkt der Tat zu einer realistischen Lebensplanung in der Lage war und zugleich ernsthaft und motiviert seiner Ausbildung nachging. Weder ergebe die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand, noch handele es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung entsprechend § 105 Abs. 1 JGG. Auch handele es sich nicht um eine Spontantat; vielmehr habe der Angeklagte, der seit mehreren Tagen auf den Geschädigten wütend war, sich mit dem alleinigen Ziel zum Tatort begeben, diesen körperlich zu attackieren. Dabei habe es sich nicht um eine Verhaltensweise gehandelt, die Ausdruck jugendlicher Unreife sei, sondern die gleichermaßen bei Erwachsenen vorkomme.
10
Zutreffend ist die Jugendkammer hierbei davon ausgegangen, dass es im Wesentlichen Tatfrage ist, ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinn des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichsteht, und dass der Jugendkammer hierbei ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (BGH, Beschluss vom 14. August 2012 - 5 StR 318/12; Urteil vom 6. Dezember 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37 f. mwN).
11
Den dabei anzulegenden Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG, ob der Heranwachsende zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, hat die Jugendkammer bei ihrer Entscheidung zutreffend angewendet. Entgegen dem Vorbringen der Revision und der Stellungnahme des Generalbundesanwalts ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass die Jugendkammer ihrer Beurteilung rechtsfehlerhaft den Zeitpunkt der Hauptverhandlung statt den Zeitpunkt der Tat zugrunde gelegt hat. Soweit die Kammer ausgeführt hat, der Angeklagte habe sich zum Zeitpunkt der Tat im dritten Lehrjahr befunden, liegt offensichtlich ein Schreibversehen vor, zumal es vom Zeitpunkt der Tat bis zum Beginn des dritten Lehrjahrs nur knapp drei Monate dauerte.
12
Die Jugendkammer hat zutreffend darauf abgestellt, dass es für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht entscheidend ist, ob er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 1958 - 4 StR 327/58, BGHSt 12, 116, 118; vom 16. Januar 1968 - 1 StR 604/67, BGHSt 22, 41, 42; vom 6. Dezember 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 39; vom 20. Mai 2002 - 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8). Dies hat die Jugendkammer aufgrund einer aus- führlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Umweltbedingungen für den Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint. Weiter hat sie festgestellt , dass er gegenüber seinen Eltern bereits eigenständig war und sein Freundeskreis nicht nur aus jüngeren, sondern auch aus älteren Personen bestand , wobei er zudem in der Lage war, eine feste Beziehung zu beginnen und aufrecht zu erhalten, weshalb sie den Angeklagten als eine zur Tatzeit bereits gereifte Persönlichkeit angesehen hat. Dass sie bei ihrer Beurteilung wesentliche Gesichtspunkte übersehen hätte, ist nicht ersichtlich. Der Jugendkammer steht hier ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteile vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01, NJW 2002, 73, 75; vom 22. Dezember 1992 - 1 StR 586/92). Das vom Tatrichter rechtsfehlerfrei gefundene Ergebnis hat das Revisionsgericht hinzunehmen. Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei. Raum Wahl Graf RiBGH Prof. Dr. Mosbacher ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Jäger Raum

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 507/02
vom
11. März 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. März
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge- richts München I vom 16. April 2002, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Diebstahls verurteilt wurde;
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1. Die Jugendkammer hat festgestellt:

a) In der Nacht vom 18. auf 19. März 2001 hielten sich nur noch der 19jährige Angeklagte und der Kellner P. in einem Münchener Lokal auf und tranken Whisky. Der Angeklagte glaubte, er sei eingeladen. Als er zahlen sollte, gab es Streit, P. drohte mit Anzeige wegen Zechprellerei. Dies erregte den Angeklagten so, daß er aus seiner Jacke, die er abgelegt hatte, ein großes Küchenmesser - er ging „nachts nie unbewaffnet“ aus - nahm und P. in Tötungsabsicht in den Rumpf stieß. P. flüchtete; der Angeklagte verfolgte ihn durch die Küche bis in den Innenhof einer Wohnanlage, wo er erneut so heftig auf ihn einstach, daß das Messer nicht unerheblich beschädigt wurde. Der Angeklagte schrie so laut, daß Anwohner der Wohnanlage erwachten. Sie verstanden einzelne Worte, wie z. B. er lasse sich nicht „verarschen“ und „Zechprellerei“. Der Angeklagte ließ schließlich von P. ab und ging in das Lokal zurück. Er wollte seine Jacke holen, entschloß sich dann aber, dort zu stehlen und nahm die gefüllte Bedienungsgeldtasche P. s an sich. Dann verließ er das Lokal, wobei er das Messer, mit dem er P. niedergestochen hatte, auf den Küchenboden warf. P. starb am nächsten Tag an den Stichverletzungen.

b) Am 5. April 2001 bemerkten der Angeklagte und der rechtskräftig abgeurteilte frühere Mitangeklagte A. in einem (anderen) Lokal die gut gefüllte Geldtasche des Wirts. Insbesondere auf Drängen von A. beschlossen sie,
den Wirt zu überfallen und versteckten sich in der Nähe des Lokals. Als der Wirt und ein Begleiter das Lokal verließen, fielen der Angeklagte und A. über sie her, der Angeklagte schlug mit einem Vierkantholz auf sie ein. Der Begleiter ging bewußtlos zu Boden, der Wirt konnte fliehen. Er ließ dabei eine Tüte mit 4.000 DM zurück, die sich der Angeklagte und A. teilten.
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Jugendkammer den Angeklagten unter Anwendung von allgemeinem Strafrecht (Erwachsenenstrafrecht ) wie folgt verurteilt: Im ersten Komplex wegen Totschlags zu zehn Jahren Freiheitsstrafe sowie wegen Diebstahls zu 6 Monaten Freiheitsstrafe; im zweiten Komplex wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Aus diesen Strafen hat sie eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren gebildet.
3. Gegen dieses Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft.
Die uneingeschränkt eingelegte Revision des Angeklagten führt näher aus, es sei zu Unrecht allgemeines Strafrecht angewendet worden. Sie hat zum Strafausspruch Erfolg. Die Staatsanwaltschaft wendet sich allein dagegen, daß der Angeklagte im ersten Komplex nicht wegen aus Habgier begangenen Mordes verurteilt wurde. Insoweit hat sie keinen Erfolg; das Rechtsmittel führt aber zur Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls und damit auch der Gesamtstrafe.

II.


Die Revision des Angeklagten:
1. Der Schuldspruch enthält keinen Fehler zum Nachteil des Angeklagten. Näherer Ausführung bedarf nur folgendes:

a) Gegen die Begründung, mit der die Jugendkammer Diebstahl an der Bedienungsgeldtasche bejaht, bestehen allerdings rechtliche Bedenken. Gleichwohl tragen die Feststellungen die Annahme eines Diebstahls.
Die Jugendkammer nimmt an, der niedergestochene P. habe zwar wegen seines Zustandes keinen Gewahrsam an seiner Geldtasche mehr gehabt , der Angeklagte habe jedoch den Mitgewahrsam des abwesenden Lokalinhabers gebrochen.
Ein Angestellter, der allein eine Kasse zu verwalten und über deren Inhalt abzurechnen hat, hat in der Regel Alleingewahrsam am Kasseninhalt (BGH NStZ-RR 2001, 268; BGH, Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00 m.w. N.). Ob für die Geldtasche des allein im Lokal anwesendern Kellners anderes gelten könnte, erscheint fraglich. P. hatte jedoch bis zu seinem Tod Gewahrsam an seiner Habe (BGH NJW 1985, 1911 m.w.N.).

b) Tateinheit (§ 52 StGB) zwischen Totschlag und Diebstahl (vgl. BGHSt 47, 243 m.w.N.) liegt nicht vor. Die Feststellung zum Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte den Vorsatz zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche faßte, beruht nicht auf dem Zweifelssatz, sondern auf der Überzeugung der Jugendkammer.
2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Die Jugendkammer hat auf den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten allgemeines Strafrecht angewendet. Weder sei der Angeklagte noch einem Jugendlichen gleichzusetzen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) noch lägen Jugendverfehlungen vor (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG). Die Revision macht zutreffend geltend, daß die Ablehnung der Anwendung von Jugendstrafrecht nicht rechtsfehlerfrei begründet ist.

a) Gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist auf einen Heranwachsenden Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand. Das JGG geht bei der Beurteilung des Reifegrades nicht von festen Altersgrenzen aus, sondern es stellt auf eine dynamische Entwicklung des noch jungen Menschen zwischen 18 und 21 Jahren ab. Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende , bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Angeklagte dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist allgemeines Strafrecht anzuwenden. Dabei steht die Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme; § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder anderen Rechts dar. Nur wenn dem Tatrichter, dem bei der Entscheidung dieser Frage ein weites Ermessen eingeräumt ist, nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten Zweifel verbleiben, muß er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (vgl. Senatsurteil vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01 = BGH NJW 2002, 72 ff. m.w.N.).


b) Zur bisherigen Entwicklung des Angeklagten und zu seinem Umfeld hat die Jugendkammer festgestellt:
Die Familie des Angeklagten lebt in einer Unterkunft für „nicht vermittelbare Mieter“. Handgreiflichkeiten sind „an der Tagesordnung“. Im Umfeld herrschen „schwierige soziale Verhältnisse, Kriminalität, Alkoholismus und Drogenkonsum“. Der Angeklagte, „ein wildes, trotziges Kind“, wurde nach drei Monaten Schulzeit „in die Sonderschule für Erziehungsschwierige umgeschult“. Nach mehreren Schulwechseln wurde er mit 16 Jahren von der Schule verwiesen. Darauf steigerte er seinen früh begonnen Konsum von Alkohol und Drogen. Er lebte „nur noch in den Tag hinein“, sämtliche Versuche, ihn zu einer Ausbildung oder einer Arbeit oder auch zum Erwerb des Führerscheins zu veranlassen , scheiterten an seinem Desinteresse. Soweit er nicht von seinem Vater „ausgehalten“ wurde, beging er Straftaten.

c) Aus alledem ergibt sich ohne weiteres, daß allgemeines Strafrecht nicht wegen einer „normalen Reifeentwicklung“ ohne „Auffälligkeiten in der geistigen und sittlichen Entwicklung“ (BGH NStZ 1984, 467 m.w.N.) angewendet worden ist. Die Jugendkammer ist vielmehr nach Beratung durch zwei Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen, wegen des beim Angeklagten schon im Vorschulalter einsetzenden Fehlverhaltens und seiner normen- und wertemißachtenden Delinquenz bestünden kaum Chancen einer Nachreifung. „Die Zusammenschau der maßgeblichen Umstände und seiner Delinquenz führt zu dem Schluß, daß die vom Angeklagten ausgehenden Aggressionen auf Störungen beruhen, die bereits bei dem 19 ½ jährigen Angeklagten unbehebbar waren“. Mit dieser Formulierung geht die Jugendkammer ersichtlich davon
aus, daß beim Angeklagten Entwicklungsrückstände vorliegen. Sie nimmt jedoch an, diese Rückstände seien nicht behebbar, so daß die Entwicklung des Angeklagten bei den Taten bereits abgeschlossen war. Nur deshalb stehe er einem Jugendlichen nicht mehr gleich.
d ) Wie der Senat bereits ausgeführt hat (BGH NJW 2002, 72 ff.; ebenso BGH, Urteil vom 6. März 2003 - 4 StR 493/02), ist Jugendstrafrecht auch dann unanwendbar, wenn der Heranwachsende zwar noch einem Jugendlichen gleich steht, er seine Entwicklung aber bereits abgeschlossen hat. Kann nicht mehr erwartet werden, daß er über die erreichte Entwicklungsstufe hinaus gelangt und daß die im Jugendstrafrecht vorgesehenen Rechtsfolgen bei ihm noch wirksam werden können, so ist auf ihn allgemeines Strafrecht anzuwenden. Allerdings ist erfahrungsgemäß eine die Chancen jeder Nachreifung gering achtende, pessimistische Einschätzung völliger Entwicklungsunfähigkeit bereits in der Phase zwischen 18 und 21 Jahren nur ausnahmsweise mit der erforderlichen hohen prognostischen Sicherheit möglich; sie erfordert eine Zusammenschau aller für die gesamte Entwicklung maßgeblichen Umstände und deren eingehende Würdigung. Dem werden die Ausführungen der Jugendkammer nicht in jeder Hinsicht gerecht:
(1) So hat der Sachverständige Dr. L. , dem sich die Jugendkammer (ebenso wie dem Sachverständigen Dr. F. ) in vollem Umfang anschließt , ausgeführt, daß der Angeklagte „eine Reihe guter Möglichkeiten aufweise , die sich im Umgang mit seiner materiellen Umwelt und in deren Handhabung niederschlügen“. Dies ist nicht näher ausgeführt. Die Feststellungen zur Lebensführung des Angeklagten lassen nicht erkennen, daß sich hierin „gute Möglichkeiten“ niederschlagen. Andererseits sprechen „gute Möglichkei-
ten“ eines jungen Menschen hinsichtlich seines Umgangs mit der Umwelt dafür, daß zumindest eine gewisse Aussicht besteht, daß sich diese Möglichkeiten noch realisieren werden. Mit der weittragenden Diagnose unbehebbarer Entwicklungsrückstände erscheint dies jedenfalls ohne nähere Darlegung unvereinbar.
(2) Sind, wie hier, schwerwiegende Gewaltdelikte abzuurteilen, so ist die erforderliche Gesamtwürdigung insbesondere auch auf Erkenntnisse zum Umgang mit Aggression und Gewalt zu erstrecken (Senat aaO, 76).
Hier sind jedoch schon die Feststellungen zu der - auch nur eher pauschal gewürdigten - Delinquenz des Angeklagten nicht klar:
Der Angeklagte wurde zwischen 1997 und 2001 insgesamt sechs Mal vorgeahndet, mehrfach wegen Diebstahls, außerdem wegen Hausfriedensbruchs , Urkundenfälschung, Nötigung und Erwerbs von Betäubungsmitteln. Näheres zu den Taten ist nicht mitgeteilt, es wurden aber nur deutlich unter der Schwelle von Jugendstrafe liegende Maßnahmen nach dem JGG verhängt. Anhaltspunkte für besondere Gewalttätigkeiten ergeben sich aus alledem nicht. Allerdings führt die Jugendkammer aus, der Angeklagte sei viel häufiger und schwerwiegender straffällig geworden, als sich aus den Feststellungen zu den Vorahndungen ergebe; er sei aber „meist nicht erwischt“ worden. Grundsätzlich sind in die in Rede stehende Gesamtwürdigung auch Erkenntnisse über nicht abgeurteilte Straftaten einzubeziehen. Dies kann jedoch nur auf der Grundlage konkreter und tatsächlich klarer Feststellungen geschehen. Daran fehlt es.
(a) Der Angeklagte schloß sich mit etwa 14 Jahren „einer Clique aus mehr als 50 Jugendlichen (an), die ihre Zeit mit Alkohol trinken, Haschisch rauchen und Aggressionen gegenüber anderen Leuten verbrachten“. Der bloße Hinweis auf nicht näher beschriebene Aggressionen aus einer großen Gruppe heraus (vgl. allgemein zu „Gruppendynamik und Jugendstrafrecht“ Hoffmann, StV 2001, 196 ff.) kann jedoch schwerwiegende Gewaltdelinquenz des Angeklagten nicht belegen.
(b) Nach der Schulentlassung verschaffte sich der Angeklagte Geld „durch Kleindealen mit Haschisch, Wohnungs- und Kellereinbrüche und ‚Ablinken ‘ von Geld, Schmuck und Kleidung“. Näheres hierzu ist nicht mitgeteilt. Es bleibt daher unklar, ob sich der Angeklagte Geld, Schmuck und Kleidung eher betrügerisch oder eher gewaltsam beschafft hat. Es macht jedoch offensichtlich (auch) im Hinblick auf die Frage einer möglichen Nachreifung einen erheblichen Unterschied, ob die hier abgeurteilten Taten Teile einer Kette schwerwiegender Raub- oder sonstiger Gewaltdelikte sind, oder ob der Angeklagte bisher vor allem Straftaten begangen hat, die - wie etwa Einbrüche und Rauschgifthandel - zwar nicht leicht wiegen, aber auch nicht von Gewalttätigkeit gekennzeichnet sind.

e) Auch gegen die Ausführungen, mit denen die Jugendkammer das Vorliegen von Jugendverfehlungen (§ 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG) ablehnt, bestehen rechtliche Bedenken. Zwar hat der Tatrichter auch insoweit einen weiten Beurteilungsspielraum (BGH NStZ – RR 1999, 26, 27 m.w.N.) und die bisherigen Feststellungen zu Taten und Täter drängen die Annahme von Jugendverfehlungen jedenfalls nicht auf. Die Jugendkammer beschränkt sich jedoch auf den Hinweis, die Verneinung von Jugendverfehlungen bedürfe keiner näheren Er-
örterung. Dies ermöglicht dem Senat nicht die Überprüfung, ob die Jugendkammer dabei von einem rechtlich zutreffenden Maßstab ausgegangen ist (vgl. zu alledem zusammenfassend BGH StV 2001, 181 f. m.w.N.).
3. Um der neu zur Entscheidung berufenen Jugendkammer einheitliche Feststellungen als Grundlage der neuen Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die der Strafzumessung zugehörigen Feststellungen insgesamt auf. Er bemerkt jedoch, daß die Ausführungen der Jugendkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten bei den Taten für sich genommen Rechtsfehler nicht erkennen lassen.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft:
1. Die Staatsanwaltschaft hält die Annahme, der Angeklagte habe sich erst zur Wegnahme der Bedienungsgeldtasche entschlossen, nachdem er P. niedergestochen hatte, für rechtsfehlerhaft. Zur Begründung verweist sie nicht zuletzt auf den Akteninhalt sowie auf Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung. Das Revisionsgericht gleicht jedoch weder die Urteilsgründe mit dem Akteninhalt ab, noch rekonstruiert es Gang und Ergebnis der Hauptverhandlung (st. Rspr., vgl. zusammenfassend Wahl, NJW – Sonderheft für G. Schäfer 2002, 73 m.N.). Eine zulässige Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben. Im übrigen erschöpft sich das Vorbringen in dem Versuch, die Beweiswürdigung der Jugendkammer durch eine eigene zu ersetzen, ohne jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen, wie auch der Generalbundesanwalt in der Haupt-
verhandlung vor dem Senat ebenso wie schon in seinem schriftlichen Antrag vom 12. Dezember 2002 zutreffend ausgeführt hat.
2. Die Prüfung weiterer Mordmerkmale war nicht erforderlich.

a) Der Angeklagte glaubte, er sei von P. eingeladen worden, dessen Vorwurf der Zechprellerei versetzte ihn in Wut (I 1 a). Die Beanstandung der Staatsanwaltschaft, trotz einer Zechprellerei sei Verdeckungsmord nicht geprüft worden, geht ins Leere.

b) Wie der Generalbundesanwalt in der Hauptverhandlung vor dem Senat zutreffend ausgeführt hat, war auch eine Erörterung von Heimtücke nicht geboten.
Die Jugendkammer hat festgestellt, daß der Angeklagte vor dem ersten, bereits in Tötungsabsicht gesetzten Stich „das ... Messer ... holte und auf ... P. losging“. Dies legt die Annahme, P. sei bei Beginn dieses Angriffs arglos im Sinne des Mordmerkmals der Heimtücke gewesen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 13 und 17 m. zahlr. N.) nicht nahe. Es ist auch nicht erkennbar, worauf sich nach dem Tode P. s noch Feststellungen darüber stützen ließen, wann er die ihm drohende Gefahr erkannte (vgl. BGHSt 33, 363, 365).
3. Es wäre jedoch Diebstahl mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB) zu prüfen gewesen. Der Angeklagte hat das Messer, mit dem er P. erstochen hatte, erst beim Verlassen des Lokals weggeworfen, hatte es also bei dem Diebstahl bei sich. Ein (großes) Küchenmesser fällt an sich unter § 244
Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. BGHSt 43, 265, 269; BayObLG NJW 1999, 2535 f.; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 244 Rdn. 3 jew. m.w.N.). Ob es trotz seiner Beschädigungen (vgl. I 1 a) noch funktionsfähig war (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 12 m.w.N.), bedarf tatrichterlicher Prüfung, ebenso die subjektiven Voraussetzungen von § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB (vgl. hierzu BGH NStZ- RR 2003, 12 f. m.N.).
4. Auch unabhängig davon enthält die Strafzumessung wegen des Diebstahls einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler, da § 243 StGB nicht geprüft ist, obwohl die Voraussetzungen des Regelbeispiels gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StGB vorliegen. Der schwerverletzte P. war hilflos und konnte deshalb die Wegnahme seiner Bedienungsgeldtasche nicht verhindern. Der Grund der Hilflosigkeit des Opfers ist ohne Bedeutung (Tröndle /Fischer aaO § 243 Rdn. 21). Daher fällt es auch unter das Regelbeispiel, wenn der Täter eine von ihm selbst aus anderen Gründen herbeigeführte Hilflosigkeit des Opfers für einen auf Grund neuen Entschlusses begangenen Diebstahl ausnutzt ( BGH, Beschluß vom 19. Februar 2002 – 1 StR 28/02).
5. Läge bewaffneter Diebstahl vor (vgl. III 3), würde § 243 StGB dahinter zurücktreten (BGHSt 33, 50, 53 m.w.N.). Dies stünde der strafschärfenden Berücksichtigung des Umstandes, daß zugleich ein Hilfloser bestohlen wurde, nicht entgegen (vgl. BGHSt 21, 183, 185; BGH, Beschlüsse vom 19. November 1981 – 4 StR 498/81 und vom 9. März 1977 – 3 StR 512/76); das gesteigerte Unrecht eines bewaffnet begangenen Diebstahls steht in keinem inneren Zusammenhang mit dem ebenfalls gesteigerten Unrecht eines Diebstahls zum Nachteil eines Hilflosen (vgl. auch BGH b. Pfister NStZ - RR 2001, 365 m.N.).
6. Mit der Aufhebung der Verurteilung wegen Diebstahls entfällt die Gesamtstrafe. Ein Einfluß der aufgezeigten Mängel auf die Einzelstrafe wegen des Totschlags ist ausgeschlossen. Da sie auch sonst ohne den Angeklagten begünstigenden Fehler festgesetzt wurde, ist die Revision der Staatsanwaltschaft
(auch) insoweit zu verwerfen. Darauf, daß dieses Rechtsmittel auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), kommt es nicht an, da der Strafausspruch schon auf die Revision des Angeklagten aufzuheben war (BGH, Urteil vom 23. Januar 2003 - 4 StR 412/02; BGH VRS 50, 369, 370; Hanack in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 301 Rdn. 9 jew. m.w.N.).
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 1 0 / 1 3
vom
20. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
die Nebenkläger persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Coburg vom 31. Juli 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten - die Tat ist zwei Tage vor seinem 19. Geburtstag begangen - wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen erwartete der Angeklagte zusammen mit zwei Bekannten den Geschädigten Ge. am 8. Juni 2012 gegen 22.15 Uhr auf dem Bahnsteig des Bahnhofs in G. . Grund dafür waren einerseits der Umstand, dass die vom Angeklagten zu einer Feier eingeladene S. sich lieber mit dem Geschädigten treffen als der Einladung des Angeklagten folgen wollte, andererseits eine einige Tage zuvor zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten stattgefundene Auseinandersetzung. Nachdem es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung zwi- schen dem Angeklagten und Ge. , dann zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und einem der Begleiter des Angeklagten gekommen war, welche aber ohne Folgen blieb, begann der Angeklagte anschließend den Geschädigten mehrfach zu schubsen. Schließlich versetzte er ihm einen Kopfstoß ins Gesicht; danach holte er mit der rechten Hand aus und versetzte Ge. einen heftigen Faustschlag an die linke Halsseite.
3
Der Faustschlag hatte zur Folge, dass der Geschädigte auf dem Bahnsteig bewusstlos zusammenbrach und einen Herzkreislaufstillstand erlitt. Er verstarb schließlich an einem zentralen Regulationsversagen infolge einer schweren Sauerstoffmangelschädigung des Gehirns am 21. Juni 2012.
4
Nach den Feststellungen des Gerichts wollte der Angeklagte den Geschädigten durch den Kopfstoß und den Faustschlag verletzen, wobei er allerdings hätte erkennen können und müssen, dass durch seinen Faustschlag schwere, gegebenenfalls auch tödliche Verletzungen hervorgerufen werden können.
5
Nach der Tat begab sich der Angeklagte, welcher bei einer um 23.28 Uhr entnommenen Blutprobe eine BAK von 1,07 Promille aufwies, zunächst zurück zu der Feier, von der er zuvor aufgebrochen war, stellte sich dann aber kurze Zeit später der Polizei.

II.


6
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
7
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
8
2. Die Begründung, mit der die Jugendkammer zur Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf den Angeklagten gelangt ist, der zur Tatzeit knapp 19 Jahre alt und damit Heranwachsender war, weist keinen Rechtsfehler auf.
9
Sie hat die gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG erforderliche Gesamtwürdigung seiner Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse, unter denen er aufgewachsen ist und vor und nach der Tat lebte, vorgenommen und festgestellt, dass er bereits zum Zeitpunkt der Tat zu einer realistischen Lebensplanung in der Lage war und zugleich ernsthaft und motiviert seiner Ausbildung nachging. Weder ergebe die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung einem Jugendlichen gleichstand, noch handele es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung entsprechend § 105 Abs. 1 JGG. Auch handele es sich nicht um eine Spontantat; vielmehr habe der Angeklagte, der seit mehreren Tagen auf den Geschädigten wütend war, sich mit dem alleinigen Ziel zum Tatort begeben, diesen körperlich zu attackieren. Dabei habe es sich nicht um eine Verhaltensweise gehandelt, die Ausdruck jugendlicher Unreife sei, sondern die gleichermaßen bei Erwachsenen vorkomme.
10
Zutreffend ist die Jugendkammer hierbei davon ausgegangen, dass es im Wesentlichen Tatfrage ist, ob ein Heranwachsender bei seiner Tat im Sinn des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichsteht, und dass der Jugendkammer hierbei ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (BGH, Beschluss vom 14. August 2012 - 5 StR 318/12; Urteil vom 6. Dezember 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37 f. mwN).
11
Den dabei anzulegenden Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG, ob der Heranwachsende zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, hat die Jugendkammer bei ihrer Entscheidung zutreffend angewendet. Entgegen dem Vorbringen der Revision und der Stellungnahme des Generalbundesanwalts ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass die Jugendkammer ihrer Beurteilung rechtsfehlerhaft den Zeitpunkt der Hauptverhandlung statt den Zeitpunkt der Tat zugrunde gelegt hat. Soweit die Kammer ausgeführt hat, der Angeklagte habe sich zum Zeitpunkt der Tat im dritten Lehrjahr befunden, liegt offensichtlich ein Schreibversehen vor, zumal es vom Zeitpunkt der Tat bis zum Beginn des dritten Lehrjahrs nur knapp drei Monate dauerte.
12
Die Jugendkammer hat zutreffend darauf abgestellt, dass es für die Gleichstellung eines Heranwachsenden mit einem Jugendlichen im Sinne von § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG nicht entscheidend ist, ob er das Bild eines noch nicht 18-jährigen bietet; vielmehr ist maßgebend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 23. Oktober 1958 - 4 StR 327/58, BGHSt 12, 116, 118; vom 16. Januar 1968 - 1 StR 604/67, BGHSt 22, 41, 42; vom 6. Dezember 1988 - 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 39; vom 20. Mai 2002 - 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand 8). Dies hat die Jugendkammer aufgrund einer aus- führlichen Gesamtwürdigung unter Einbeziehung der Umweltbedingungen für den Angeklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei verneint. Weiter hat sie festgestellt , dass er gegenüber seinen Eltern bereits eigenständig war und sein Freundeskreis nicht nur aus jüngeren, sondern auch aus älteren Personen bestand , wobei er zudem in der Lage war, eine feste Beziehung zu beginnen und aufrecht zu erhalten, weshalb sie den Angeklagten als eine zur Tatzeit bereits gereifte Persönlichkeit angesehen hat. Dass sie bei ihrer Beurteilung wesentliche Gesichtspunkte übersehen hätte, ist nicht ersichtlich. Der Jugendkammer steht hier ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteile vom 9. August 2001 - 1 StR 211/01, NJW 2002, 73, 75; vom 22. Dezember 1992 - 1 StR 586/92). Das vom Tatrichter rechtsfehlerfrei gefundene Ergebnis hat das Revisionsgericht hinzunehmen. Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei. Raum Wahl Graf RiBGH Prof. Dr. Mosbacher ist im Urlaub und deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Jäger Raum
5 StR 318/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. August 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. August 2012

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 12. März 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO in den Strafaussprüchen mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die beiden zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten sowie einen erwachsenen, nichtrevidierenden Mittäter wegen unerlaubter bewaffneter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Gegen den Angeklagten R. hat es eine Freiheitsstrafe, gegen den Angeklagten T. eine Jugendstrafe von jeweils zwei Jahren und vier Monaten verhängt. Die Revisionen der Angeklagten haben im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen führten die Angeklagten und der Nichtrevident im April 2011 aus Tschechien ca. 106 g Crystal (Wirkstoffgehalt: mindestens 75,4 g Methamphetamin-Base) ein, wobei sie in dem von T. ge- lenkten Pkw eine von ihm ebenfalls in Tschechien erworbene Machete dabei hatten; in seiner Hosentasche hatte T. überdies ein Einhandspringmesser, von dem die beiden anderen Mittäter nichts wussten.
3
2. Während die Schuldsprüche frei von Rechtsfehlern zum Nachteil der Angeklagten sind, halten die Strafaussprüche der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
4
a) Die Anwendung allgemeinen Strafrechts auf den zur Tatzeit 19 Jahre und fünf Monate alten Angeklagten R. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
Ob der Täter bei seiner Tat im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch einem Jugendlichen gleichstand, ist im Wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendgericht ein erheblicher Beurteilungsspielraum zusteht (BGH, Urteil vom 7. November 1988 – 1 StR 620/88, BGHSt 36, 37, 38 mwN). Den dabei anzulegenden Maßstab hat die Jugendkammer bei ihrer Entscheidung indes verkannt. Sie hat darauf abgestellt, dass „Reifeverzögerungen zum Zeitpunkt der Tat, die einen Umfang von etwa 1 ½ Jahren gehabt haben müssten, um die Gleichstellung mit einem Jugendlichen zu rechtfertigen“, nicht zu erkennen seien (UA S. 14). Maßstab für die Reifebeurteilung nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG ist jedoch nicht das Zurückbleiben hinter einem imaginären Durchschnitt von 17-jährigen Jugendlichen (vgl. Eisenberg, Jugendgerichtsgesetz , 15. Aufl., § 105 Rn. 8). Ein bestimmter, sicher abgrenzbarer Typ des Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, mit dem der Heranwachsende verglichen werden könnte, ist nicht feststellbar (BGH aaO).
6
Maßgebend ist vielmehr, ob sich der einzelne Heranwachsende noch in einer für Jugendliche typischen Entwicklungsphase befindet. Für die Gleichstellung eines heranwachsenden Täters mit einem Jugendlichen ist deshalb entscheidend, ob in dem Täter noch in größerem Umfang Entwicklungskräfte wirksam sind; ob er das Bild eines noch nicht 18-Jährigen bietet, ist demgegenüber nicht ausschlaggebend (BGH aaO und Urteil vom 29. Mai 2002 – 2 StR 2/02, BGHR JGG § 105 Abs. 1 Nr. 1 Entwicklungsstand

8).


7
Diesen Maßstab hat die Jugendkammer nicht berücksichtigt. Darüber hinaus hat sie bei der Beurteilung der Reife des Angeklagten ausschließlich auf seine äußerlich verselbständigte Lebensführung abgestellt, ohne deren indizielle Bedeutung für seine „sittliche und geistige Entwicklung“ (§ 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) hinreichend deutlich darzulegen.
8
b) Im Falle des Angeklagten T. sind die Verhängung und die Bemessung der Jugendstrafe nicht ausreichend begründet.
9
aa) Das Landgericht bejaht zum einen schädliche Neigungen des Angeklagten (§ 17 Abs. 2 1. Alt. JGG). Es stützt diese Beurteilung alleine auf den Umstand, dass „infolge der mangelnden Wirkung dreier Sanktionen in- nerhalb eines Zeitraums von nur 1 ½ Jahren – die letzte sogar noch etwa einen Monat vor der Tat – “ von „nachhaltigen Persönlichkeitsdefiziten“ auszugehen sei, die ohne längere Gesamterziehung die Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten begründeten (UA S. 16). Ohne Mitteilung der näheren Umstände der Taten lassen indes weder die verhängten Sanktionen (in zwei Fällen Arbeitsleistungen, in einem Fall eine geringfügige Geldstrafe) noch die mitgeteilten Bezeichnungen der Taten (in einem Fall Beihilfe zur Sachbeschädigung, in zwei Fällen Diebstahl) ohne Weiteres den Schluss auf Anlage- oder Entwicklungsschäden zu, die so schwer sind, dass deren Beseitigung sinnvoll nur in einem länger dauernden Strafvollzug versucht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281).
10
bb) Zum anderen stützt das Landgericht die Verhängung einer Jugendstrafe auch auf den Gesichtspunkt der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 2. Alt. JGG), die jedenfalls in ihrem Ausmaß nicht ausreichend belegt ist.
Seine Begründung, dass die Verhängung der Jugendstrafe „unter Beachtung des einschlägigen Strafrahmens nach allgemeinem Strafrecht gemäß § 30a BtMG“ erforderlich sei (UA S. 16), ist rechtsfehlerhaft. Bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung nach allgemeinem Strafrecht keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 400/09, NStZ 2010, 281 mwN). Diese ermisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser. Das wird mit dem Hinweis der Jugendkammer, dass bei dem Angeklagten T. im Gegensatz zu seinen Mittätern ein minder schwerer Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG nicht vorgelegen hätte, nur unzureichend dargelegt. Denn die von der Jugendkammer hierfür alleine genannte Begründung, dass T. neben der allen Angeklagten bekannten Machete, deren Mitführung die Qualifikation des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG erst begründete, auch ein den anderen verborgenes Springmesser dabei hatte, hätte die Ablehnung eines minder schweren Falles – auch im Hinblick auf die Beurteilung des erheblich vorbestraften Nichtrevidenten – nicht getragen.
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