Bundesgerichtshof Urteil, 19. März 2013 - 1 StR 647/12

bei uns veröffentlicht am19.03.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 647/12
vom
19. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. März
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Zeng,
Richter
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 3. Juli 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben:
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung (in Tateinheit) mit Freiheitsberaubung verurteilt worden ist und
b) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (in Tateinheit) mit Freiheitsberaubung sowie wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, ist auf die Anfechtung der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung beschränkt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt hinsichtlich der Gewalthandlungen vom 28./29. August 2011 jedenfalls die Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Die weitergehende Verurteilung (wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und wegen versuchter Nötigung) ist vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
3
Die insoweit wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg, sodass es eines Eingehens auf die Verfahrensrüge nicht bedarf.

II.

4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Der Angeklagte unterhielt mit der Nebenklägerin (im Folgenden: N.) seit etwa 2008 eine Beziehung. Aus dieser Beziehung ging der gemeinsame Sohn L. hervor. Nachdem es zwischen den Partnern immer öfter Streitigkeiten gab, trennte sich N. im Juli 2011 vom Angeklagten. Trotz der Trennung wohnten sie und der Angeklagte weiter zusammen in der gemeinsamen Wohnung und schliefen im gleichen Zimmer. Der Angeklagte sowie N. beabsichtigten, zur Absicherung ihres Sohnes eine gemeinsame Lebensversicherung abzuschließen. Versicherungsnehmer sollten sie beide sein. Die Vertragsformalitäten sollten vom Angeklagten übernommen werden.
6
Nachdem der Angeklagte erkannte, dass die Trennung von N. endgültig ist, beschloss er zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt, N. zu töten. In diesem Zusammenhang wollte er die Versicherungsleistung aus der geplanten, noch abzuschließenden Lebensversicherung zu Unrecht selbst vereinnahmen. Den Tod der N. wollte er so herbeiführen, dass sich der Geschehensablauf als häuslicher Unfall darstellt.
7
In Ausführung dieses Planes füllte er am 1. Juli 2011 in seiner Wohnung einen Antrag auf Abschluss einer Lebensversicherung bei der C.-Versicherung aus. Als Versicherungsnehmer und als die zu versichernde Person trug er entgegen der Absprache mit N. in das Formular diese als alleinige Versicherungsnehmerin ein, versah den Antrag mit deren nachgemachter Unterschrift und trug sich selbst als Begünstigter im Todesfall der N. ein. Im Antrag bezifferte er die Versicherungsleistung, die im Todesfall der N. an ihn selbst ausgezahlt werden sollte, mit 1.340.000 €. Dieser Antrag ging am 4. Juli 2011 bei der C.-Versicherung ein. Mit der nachgemachten Unterschrift wollte er die Versicherung über den tatsächlichen Antragsteller täuschen. N. wusste hiervon nichts.
8
Entgegen der Vorstellung des Angeklagten lehnte die Versicherungsgesellschaft eine Deckung in der beantragten Höhe ab, erklärte sich aber zum Vertragsschluss in Höhe von 500.000 € entsprechend einer von der Versicherung durchgeführten Bedarfsberechnung bereit. Am 13. August 2011 unterschrieb der Angeklagte aufgrund eines neuen Tatentschlusses erneut in seiner Wohnung eine Erklärung über den Erhalt von Unterlagen sowie einen Zusatzantrag zur Hinterbliebenenabsicherung, in dem der Versicherungsbeginn 1. August 2011 und die Versicherungssumme mit 500.000 € vereinbart wurde.
9
Die vorgenannten Urkunden versah er wiederum mit der von ihm nachgemachten Unterschrift der N., um die Versicherung erneut darüber zu täuschen , dass diese die Antragsunterlagen - wie nicht - erhalten und unterschrieben hätte, und reichte sie bei der C.-Versicherung ein. Im Vertrauen auf die Echtheit der Urkunden bestätigte die C.-Versicherung das Zustandekommen des Versicherungsvertrages mit Versicherungspolice vom 16. August 2011, die der Angeklagte tags darauf zugestellt bekam. Auch davon bekam N. nichts mit. Versichert war der Tod der N. unabhängig davon, ob es sich um einen natürlichen oder um einen gewaltsamen Tod handelte. Dies wusste der Angeklagte.
10
Nachdem der Angeklagte die vertraglichen Voraussetzungen geschaffen und erfahren hatte, dass N. sich mit einem anderen Mann trifft, entschloss er sich schließlich am 28. August 2011, seinen Tötungsplan in die Tat umzusetzen.
11
Der Angeklagte wollte den Eindruck erwecken, N. sei beim Ausstieg aus der nassen Dusche auf dem Boden des Badezimmers ausgerutscht und mit dem Kopf auf einen harten Gegenstand aufgeschlagen, wobei sie sich tödliche Verletzungen zugezogen habe. Hierzu verstreute er am Abend vorher auf dem Boden Waschpulver und legte sich Geschirrtücher sowie Kabelbinder unter dem Kopfkissen zurecht, um damit N. zu fesseln. Den gemeinsamen Sohn L. verbrachte er zu seinen Eltern, damit dieser von der Tat nichts mitbekomme. Um sich selbst ein Alibi zu verschaffen, verbrachte er den Abend bei seinen Eltern und legte sich, nachdem sein Vater zu Bett ging, zum Schein auf die Couch, um den Eindruck zu erwecken, er werde die ganze Nacht bei seinen Eltern verbringen.
12
Tatsächlich begab er sich jedoch heimlich zurück in seine Wohnung, wo er im Bett liegend auf die Rückkehr von N. wartete. Diese kehrte etwa gegen 2.30 Uhr zurück und legte sich nur mit einer Unterhose bekleidet neben den Angeklagten in ihre Betthälfte. Zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 3.15 Uhr und 5.30 Uhr begann der Angeklagte, die schlafende, wehrlose N. zu fesseln. Er drehte sie dazu auf den Bauch und fesselte ihr zuerst mit einem stabilen Klebeband die Hände auf dem Rücken, wickelte ihr dann die bereits vorher dazu ebenfalls bereitgelegten Geschirrtücher um die Handgelenke und fixierte diese dann über den zur Polsterung und Striemenvermeidung dienenden Tüchern mit den bereitliegenden Kabelbindern. Hierdurch wurde N. wach, worauf der Angeklagte ihr sogleich den Mund mit Klebeband verklebte. Damit wollte der Angeklagte jeglichen Fluchtversuch der N. von vornherein verhindern.
13
Anschließend nahm er eine nicht näher identifizierte Pistole, hielt sie an ihren Mund und sagte, er würde sie wahnsinnig gerne erschießen. Tatsächlich beabsichtigte er dies nicht, sondern wollte sie einschüchtern und in Todesangst versetzen, was ihm auch gelang. Anschließend fesselte er N. mit dem Klebeband noch an den Beinen, um sie ohne Gegenwehr in das Badezimmer verbringen zu können. Entsprechend seinem Plan verbrachte er die verängstigte und wehrlose N. gegen ihren Willen ins Badezimmer und bespritzte dort das schon am Abend zuvor auf dem Boden verstreute Waschpulver mit Wasser, um einen Schmierfilm zu erzeugen. Anschließend verbrachte er sie nochmals ins Schlafzimmer und gleich wieder zurück ins Bad. Er stellte N. nun unter die laufende Dusche, um sie nass zu machen.
14
Dann zog er sie aus der Dusche, fasste sie mit den Händen an den Kopf, zog diesen zuerst nach vorne und schleuderte die gefesselte N. dann mit aller Kraft nach hinten, um ihr durch den Sturz möglichst tödliche Kopfverletzungen zuzufügen. Die aufgrund der Fesselung völlig wehrlose N. stürzte und schlug mit der linken Schulter und dem Hinterkopf auf dem gefliesten Boden auf. Sie blieb zwar auf dem Rücken liegen, war jedoch nicht schwer verletzt. Der Angeklagte war von diesem vergleichsweise harmlosen Verlauf überrascht, da er zumindest mit dem Eintreten der Bewusstlosigkeit der N. rechnete. Er entschloss sich nunmehr, N. dadurch zu töten, dass er ihr das Genick bricht. Er setzte sich dazu auf die Hüfte auf der am Boden liegenden N., nahm ihren Kopf in seine Hände und versuchte, durch gewaltsames Überdrehen des Kopfes nach hinten dieser tödliche Genickverletzungen zuzufügen. Als dies aufgrund Muskelanspannung der N. misslang, fasste er mit einer Hand unter die rechte Schulter der N., zog sie nach oben und drückte mit der anderen Hand gleichzeitig ihren Kopf nach unten. Da auch dies nicht zu tödlichen Verletzungen führte, kniete er sich nunmehr neben N., fasste mit einer Hand an ihren Hinterkopf und mit der anderen an ihr Kinn, um den Kopf kraftvoll drehen zu können. Er zog sodann gleichzeitig ihren Hinterkopf seitlich nach vorne und drückte ihr Kinn nach hinten. Aber auch hierdurch gelang es ihm nicht, N. erhebliche bzw. tödliche Verletzungen zuzufügen, weil diese ihren Körper mitdrehen konnte.
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Er ließ nun von N. ab und fing an, diese zu beschimpfen. Er warf ihr vor, sie sei schuld am Scheitern der Beziehung und auch an dem was nunmehr passiere, weil sie egoistisch sei und nur an sich selbst denke. N. antwortete auf die Beschimpfungen und Vorhalte des Angeklagten trotz verklebtem Mund so gut sie konnte, worauf der Angeklagte ihr mehrfach mit der flachen Hand auf die Wange schlug, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass ihm ihre Antwort nicht gefiel.
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Nunmehr entschloss er sich, die Gegenwehr der N. dadurch auszuschalten , dass er sie bis zur Ohnmacht knebelte, um ihren Kopf dann ohne Widerstand auf den Boden schleudern zu können bzw. ihr durch gewaltsames Verdrehen des Kopfes tödliche Verletzungen zuzufügen. Hierzu drückte er zunächst ihren Mund und ihre Nase mit der Hand zu. Infolge dieser Behandlung löste sich das Klebeband von ihrem Mund und N. schrie so laut sie konnte um Hilfe. Dies geschah ca. um 6.00 Uhr früh. Nun drückte er ihr ein im Badezimmer in unmittelbarer Reichweite befindliches Handtuch tief in den Mund- und Rachenraum und hielt ihr gleichzeitig die Nase zu. Damit gelang es ihm, die Luftzufuhr der N. vollständig zu unterbinden, sodass N. nicht mehr atmen konn- te, ihre Gegenwehr aufgab und dachte, sie werde nun sterben. Erst als sie langsam kraftlos wurde und, wie er erkannte, kurz vor der Bewusstlosigkeit stand, ließ der Angeklagte wortlos von seinem Vorhaben ab und nahm den Knebel aus ihrem Mund, sodass sie schließlich wieder Luft bekam und sich erholte.
17
Anschließend trug er die immer noch am Boden liegende, gefesselte halbnackte N. zurück in das Schlafzimmer und zwang sie, auf dem Bett liegen zu bleiben. Als er bemerkte, dass es ihr zwischenzeitlich gelungen war, der Fesselung der Hände durch die Kabelbinder teilweise zu entkommen, drehte er sie gewaltsam in Bauchlage und legte ihr neue Kabelbinder an, die er so fest zuzog, dass sie Schmerzen erlitt. Im weiteren Verlauf bot N. dem Angeklagten aus Angst um ihr Leben eine Übertragung des Sorgerechts für den gemeinsamen Sohn an und versprach ihm, sie werde nicht zur Polizei gehen, wenn er sie frei lasse.
18
Schließlich nahm der Angeklagte N. gegen 8.30 Uhr die Fesselung ab und ließ sie gegen 9.15 Uhr aus der Wohnung. Der Angeklagte bedrohte sie kurz vor Verlassen der Wohnung noch, dass er sie umbringen werde, wenn sie den Vorfall der Polizei melde.
19
Dennoch erstattete N. nach einer Überlegungsphase und erst nach Aufforderung durch ihre Mutter am 29. August 2011 abends Anzeige gegen den Angeklagten.
20
N. erlitt durch den Erstickungsversuch Petechien im Auge, durch den Aufprall auf dem gefliesten Boden eine 4 cm große Beule am Hinterkopf, durch die Misshandlungen starke Schmerzen am Hals und durch die Fesselung an den Hand- und Sprunggelenken Hautreizungen und Schmerzen. Dies hatte der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen.
21
N. ist seit diesem Vorfall in psychiatrischer Behandlung. Ob und in welchem Umfang psychische Dauerfolgen verbleiben, steht nicht fest. Sie hat nach wie vor schon bei alltäglichen Berührungen Angstzustände.
22
2. Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung (III. 6 = UA S. 10-12) das Vorliegen eines fehlgeschlagenen Tötungsversuchs verneint und bei der rechtlichen Würdigung (IV. 1 = UA S. 12) einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch bejaht. Es hat bei dem Tatgeschehen vom 28./29. August 2011 eine Zäsur nur im Hinblick auf die abschließende versuchte Nötigung angenommen und ist davon ausgegangen, dass das Dauerdelikt der Freiheitsberaubung "die übrigen Körperverletzungsdelikte" verklammere.

III.

23
Das angefochtene Urteil leidet an durchgreifenden materiell-rechtlichen Fehlern.
24
1. Insbesondere ist den getroffenen Feststellungen nicht das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung , der sogenannte Rücktrittshorizont, zu entnehmen. Bei Vorliegen einer Zäsur müssen zudem die Vorstellungen des Angeklagten jeweils nach der (vorläufig) letzten Ausführungshandlung dargetan werden.
25
Auf den Rücktrittshorizont des Angeklagten kann hier nicht aus dem Urteil in seiner Gesamtheit geschlossen werden, wenn auch im Rahmen der Beweiswürdigung (III. 6 = UA S. 10-12) und der rechtlichen Würdigung (IV. 1 = UA S. 12) rudimentär Rücktrittselemente angesprochen werden. Hier wird jeweils in erster Linie mitgeteilt, was nicht festgestellt werden konnte, ohne dass - ergänzend heranzuziehende - klare und eindeutige Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach den verschiedenen Tathandlungen getroffen wurden. Ohnehin konnte N. zum jeweiligen Vorstellungsbild des Angeklagten schon deshalb keine Angaben machen, weil er sich hierzu nicht geäußert hat. Die entsprechenden Feststellungen sind aber unerlässlich; denn auf den Rücktrittshorizont kommt es bei der Beurteilung, ob ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch vorliegt, entscheidend an.
26
Das ergibt sich aus Folgendem:
27
Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendeten Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont. Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist.
28
Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.
29
Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt.
30
Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat.
31
In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser ändert (st. Rspr. vgl. u.a. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen; BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 401/11; BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11).
32
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr. vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2012 - 4 StR 346/12 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
33
Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aus; umgekehrt kommt es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an, die für die vom Täter zu erbringende Rücktrittsleistung in Fällen des § 24 Abs. 1 StGB stets, in solchen des § 24 Abs. 2 StGB mittelbar dann von Bedeutung ist, wenn sich die (gemeinsame) Verhinderungsleistung von Versuchsbeteiligten in einem einverständlichen Unterlassen des Weiterhandelns erschöpfen kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 19. Mai 2010 - 2 StR 278/09 mwN).
34
Allen Fällen ist gemeinsam, dass es auf das Vorstellungsbild des Täters im entscheidungserheblichen Zeitpunkt ankommt. Diese Vorstellung ist gegebenenfalls auch für die Beurteilung der Freiwilligkeit eines Rücktritts von Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 2005 - 4 StR 216/05 mwN).
35
Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen , hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 13. November 2012 - 3 StR 411/12; BGH, Beschluss vom 29. September 2011 - 3 StR 298/11; BGH, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 4 StR 8/03).
36
Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, weil es sich um ein mehrstündiges und mehraktiges Tatgeschehen handelt und auch die Prüfung der Annahme nur einer Tat im Rechtssinne vorzunehmen ist. Denn würde man, was hier nicht fern liegt, eine oder mehrere Zäsuren (hinsichtlich der abschließenden versuchten Nötigung ist der Tatrichter selbst davon ausgegangen [UA S. 13]) annehmen, ist die Mitteilung des Vorstellungsbildes des Angeklagten nach der jeweils letzten Ausführungshandlung geboten.
37
Die Annahme des Landgerichts, das Dauerdelikt der (einfachen) Freiheitsberaubung verklammere auch gefährliche Körperverletzungen (die konkrete Fesselung kann ebenfalls eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 364/03 mwN; Fischer, StGB, 60. Aufl., Rn. 9b zu § 224), begegnet rechtlichen Bedenken; denn das im Strafrahmen des § 224 StGB zum Ausdruck kommende Gewicht übersteigt das des Dauerdelikts (§ 239 StGB) erheblich (vgl. Fischer aaO Rn. 32 vor § 52).
38
Zu denken ist aber an eine natürliche Handlungseinheit. Eine solche und damit eine Tat im materiell-rechtlichen Sinne liegt bei einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn die einzelne Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind und zwischen ihnen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint.
39
Für die Beurteilung einzelner Versuchshandlungen als eine natürliche Handlungseinheit ist deshalb eine solche Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei begründet der Wechsel eines Angriffsmittels nicht ohne Weiteres eine die Annahme einer Handlungseinheit ausschließende Zäsur. Eine tatbestandliche Handlungseinheit endet jedoch mit dem Fehlschlagen des Versuchs (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 25. November 2004 - 4 StR 326/04 mwN).
40
Auch für die Beurteilung, ob die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind, ist die (jeweils rechtsfehlerfreie ) Feststellung der subjektiven Tatseite erforderlich.
41
An all diesem fehlt es hier.
42
Die Urteilsgründe lassen weiter nicht eindeutig erkennen, ob der Angeklagte durchgehend davon ausging, den Tod der N. (als außertatbestandliches Ziel) als Unfall darstellen zu können oder nur noch ihren gewaltsamen Tod erstrebte , obwohl dafür das Risiko für ihn größer wurde, als Täter in Verdacht zu geraten und deshalb die Versicherungssumme nicht ausbezahlt zu erhalten. Denn es ist naheliegend, dass bei einem offensichtlich gewaltsamen Tod der N. in der Wohnung des Angeklagten kurz nach Abschluss einer entsprechenden Lebensversicherung und bei einem möglichen Sorgerechtsstreit (UA S. 7) der Tatverdacht auf den Angeklagten fallen würde.
43
Die Urteilsgründe lassen offen, ob der Angeklagte möglicherweise nur noch weiterhandelte, um seine vorausgehende Tat zu verdecken.
44
Das Fehlen entsprechender Feststellungen und Erörterungen lässt eine abschließende Prüfung durch das Revisionsgericht nicht zu.
45
Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils im angefochtenen Umfang.
46
Die zugrundeliegenden Feststellungen waren ebenfalls aufzuheben, da der Senat nicht ausschließen kann, dass auch insoweit neue Feststellungen getroffen werden können, die sich auf das Vorstellungsbild des Angeklagten im jeweiligen rechtserheblichen Zeitpunkt ausgewirkt haben.
47
2. Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung hatte im Übrigen schon deshalb keinen Bestand, weil die Strafkammer übersehen hat, dass tateinheitlich begangen auch eine Bedrohung (mit der Pistole; § 241 StGB) vorliegt. Ob diese hinter einem versuchten Tötungsdelikt zurücktreten würde, kann hier offenbleiben; sie würde aber nicht hinter der vom Landgericht lediglich angenommenen gefährlichen Körperverletzung zurücktreten (vgl. zur Problematik u.a. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2002 - 2 StR 523/01; auch BGH, Beschluss vom 9. Februar 2000 - 2 StR 639/99). Wahl Rothfuß Jäger Radtke Zeng

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 337/11
vom
1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Dezember
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt (GL) bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. Juni 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Der näheren Erörterung bedarf lediglich die Frage, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord verneint hat.
2
I. Nach den Urteilsfeststellungen bat der Nebenkläger K. den Angeklagten in seine Wohnung, um durch ein Gespräch eine streitige Angelegenheit zu klären. In der Wohnung begannen der Angeklagte und der Nebenkläger alsbald erneut zu streiten. Daraufhin entschloss sich der Angeklagte spätestens jetzt, K. zu töten. Er zog ein versteckt gehaltenes Messer mit einer Klingenlänge von etwa 8 - 10 cm aus seiner Jackentasche und stieß es kraftvoll und gezielt in den Herzbereich des Geschädigten, wobei er bewusst dessen von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzte. Die Messerklinge drang bis zum Heft in den Körper ein, eröffnete den Brustkorb und verletzte den Herzmuskel. Nachdem der Angeklagte das Messer wieder aus dem Brustkorb herausgezogen hatte und der Nebenkläger aufgestanden war, stach der Angeklagte ein zweites Mal mit dem Messer in Tötungsabsicht gezielt in Richtung des Herzens, traf aber nur das Brustbein.
3
Der Angeklagte, der davon ausging, alles zur Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan zu haben, ging nun mit dem Messer in der Hand auf den Geschädigten Ki. zu, der sich ebenfalls in der Wohnung aufhielt. K. hängte sich daraufhin von hinten an den Rücken des Angeklagten, der mit dem vor ihm stehenden Ki. rangelte. Während der Rangelei stach der Angeklagte mit dem Messer in den Bauch des Geschädigten Ki. und verursachte eine Verletzung, die er nicht als lebensgefährlich ansah. In der Folgezeit gelang es K. und Ki. , einen Arm des Angeklagten so umzudrehen, dass dieser auf dem Boden fixiert war. Nachdem K. in das Wohnzimmer gegangen war, um telefonisch Hilfe zu holen, brach er verletzungsbedingt zusammen und begann so laut zu stöhnen, dass es der Angeklagte und Ki. deutlich hören konnten. Ki. ließ den Angeklagten los, sah nach K. , der stark blutete und nicht mehr ansprechbar war, und verließ die Wohnung, um Hilfe zu holen. Der Angeklagte, der die inzwischen eingetretene Handlungsunfähigkeit des K. bemerkte und deshalb "erst Recht" davon ausging, dass dieser versterben werde, steckte das auf den Boden gefallene Messer ein und floh.
4
II. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Mord zum Nachteil des Geschädigten K. verneint und hierzu im Wesentlichen ausgeführt:
5
Es habe sich um einen beendeten Mordversuch gehandelt. Der Angeklagte müsse bemerkt haben, dass er das Messer mit erheblicher Kraft bis zum Heft in die Herzgegend des Zeugen K. gerammt habe. Bei einer derart gefährlichen Gewalthandlung liege es auf der Hand, dass er davon ausgegangen sei, sein Opfer lebensgefährlich verletzt zu haben. In der Folgezeit habe der Angeklagte seine Vorstellung über die Lebensgefährlichkeit der Verletzung nicht korrigiert und keine Rettungsbemühungen entfaltet. Jedenfalls müsse der Angeklagte - wie auch Ki. - die röchelnden Geräusche aus dem Wohnzimmer sowie den Umstand wahrgenommen haben, dass K. zusammengebrochen und nicht mehr in der Lage gewesen sei, einen Notruf abzusetzen. Daraus müsse er auf die vollständige Handlungsunfähigkeit infolge der ihm beigebrachten schweren Stichverletzung und damit deren Lebensgefährlichkeit geschlossen haben. Im Übrigen sei der Versuch auch fehlgeschlagen; denn als sich K. an seinen Rücken gehängt hatte und er gleichzeitig mit dem vor ihm stehenden Ki. gekämpft habe, sei dem Angeklagten klar gewesen, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln seinen ursprünglichen Tötungsvorsatz gegen K. gar nicht mehr hätte umsetzen können.
6
III. Die Überprüfung des Urteils hat im Ergebnis keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten ergeben. Dabei kann dahinstehen, ob die Überzeugung des Landgerichts, der Angeklagte sei im gesamten Zeitraum vom ersten Stich gegen K. bis zum Verlassen der Wohnung davon ausgegangen , dass dieser aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen versterben könne, auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruht. Ebenso kann offenbleiben , ob die Auffassung des Landgerichts, es liege jedenfalls ein fehlge- schlagener Versuch vor, rechtlicher Überprüfung standhalten könnte. Denn das Landgericht ist ohne Rechtsfehler zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte spätestens ab dem Moment, als K. röchelnd und handlungsunfähig im Wohnzimmer auf dem Boden lag, sich vorstellte, dieser könne infolge der ihm beigebrachten Stiche versterben. Damit lag zumindest in diesem Zeitpunkt ein beendeter Versuch vor, von dem der Angeklagte nur unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. oder Satz 2 StGB hätte zurücktreten können. Diese hat er jedoch nicht erfüllt. Im Einzelnen:
7
1. Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont (BGH, Urteil vom 12. November 1987 - 4 StR 541/87, BGHSt 35, 90, 91 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Bei einem Tötungsdelikt liegt demgemäß ein unbeendeter Versuch vor, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich oder zumindest ausreichend ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Ein beendeter Tötungsversuch, bei dem er für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; BGH, Beschluss vom 21. März 2001 - 3 StR 535/00) oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 306). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtüm- lich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 - 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25). Rechnet der Täter dagegen zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, so liegt eine umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizonts vor, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall ist ein beendeter Versuch gegeben, wenn sich die Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit dieser ändert (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146).
8
2. Nach diesen Maßstäben war der Mordversuch an K. beendet, als der Angeklagte in der Vorstellung die Wohnung verließ, sein Opfer könne aufgrund der Stiche versterben.
9
a) Die Feststellungen des Landgerichts zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt sind rechtsfehlerfrei getroffen. Wie der Generalbundesanwalt im Ausgangspunkt zutreffend darlegt, sind die diesbezüglichen Äußerungen des Landgerichts allerdings insoweit bedenklich, als sie darauf abstellen, der Angeklagte "müsse" wahrgenommen haben, dass K. im Wohnzimmer röchelnd zusammengebrochen sei; denn entscheidend ist nicht, was er wahrnehmen oder womit er rechnen musste, sondern das, was er tatsächlich wahrnahm und welche Folgerungen er daraus zog. Danach sind Erwägungen , wie sie das Landgericht angestellt hat, zumindest missverständlich und können im Einzelfall sogar einen durchgreifenden Rechtsfehler in der Be- weiswürdigung begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2007 - 3 StR 179/07, NStZ 2007, 634 f.).
10
So liegt es hier indessen nicht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat sich das Landgericht nicht nur davon überzeugt, dass es sich nach der konkreten Situation aufdrängte, der Angeklagte habe das Zusammenbrechen und Röcheln K. s wahrgenommen, sondern auch, dass er diese Wahrnehmung tatsächlich machte und daraus den Schluss auf das mögliche Versterben K. s wirklich zog. Denn das Landgericht zieht in seine Überlegungen nicht nur die objektiven Umstände und Abläufe ein, sondern stützt sich gerade auch darauf, dass Ki. die Entwicklung des Zustands von K. schon bemerkte, als er noch im Wohnungsflur den Angeklagten am Boden fixierte und sich gerade deswegen in das Wohnzimmer begab, um nach dem Tatopfer zu sehen. Daraus wird noch hinreichend deutlich, dass das Landgericht aus der Wahrnehmung Ki. s geschlossen hat, auch dem in dessen unmittelbarer Nähe befindlichen Angeklagten sei das Zusammenbrechen und Röcheln K. s nicht verborgen geblieben. Soweit es daraus weitergehend gefolgert hat, der Angeklagte habe jedenfalls jetzt erkannt, dass seine Stiche zum Tod K. s führen können, ist dagegen rechtlich ebenfalls nichts zu erinnern.
11
b) Sollte der Angeklagte aufgrund des Verhaltens des K. , insbesondere dessen Beteiligung an der Rangelei, zwischendurch zu der Vorstellung gekommen sein, es bestehe für diesen doch keine Lebensgefahr, so lag in dem rechtsfehlerfrei festgestellten erneuten Wechsel im Vorstellungsbild des Angeklagten eine nochmalige Korrektur des Rücktrittshorizonts, die zum Vorliegen eines beendeten Versuchs führt. Der erforderliche enge zeitliche und räumliche Zusammenhang zwischen den zwei Messerstichen und dem Wechsel des Vorstellungsbildes (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 226; BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) lag noch vor. Nach den Feststellungen vergingen vom Zeitpunkt der Stiche bis zum Zusammenbruch des Tatopfers im Wohnzimmer nur wenige Sekunden, maximal eine Minute. Es handelte sich um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes dynamisches Geschehen. Ein fehlender enger zeitlicher Zusammenhang mit einer Tötungshandlung ist von der Rechtsprechung demgegenüber erst bei einer deutlich länger andauernden Zäsur von 15 (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146) bzw. zehn Minuten (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15) angenommen worden.
12
Da der Tod K. s ohne das Zutun des Angeklagten ausblieb und der Angeklagte auch keine Bemühungen entfaltete, den Todeseintritt zu verhindern , erweist sich der Schuldspruch wegen versuchten Mordes somit letztlich als rechtfehlerfrei. Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 401/11
vom
2. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. Juli 2011 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet weiter, die Hauptverhandlung sei entgegen § 229 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StPO länger als drei Wochen unterbrochen gewesen. Die Staatsanwaltschaft stützt ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision auf die Sachrüge und führt aus, das Landgericht habe zu Unrecht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom tateinheitlich hinzutretenden Versuch eines Heimtückemords angenommen.
2
Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

3
I. Die Revision der Staatsanwaltschaft
4
Die Annahme des Landgerichts, der dem Angeklagten vorgeworfene Versuch eines Tötungsverbrechens sei - aus dessen Sicht - noch nicht beendet gewesen, weshalb er hiervon durch freiwillige Aufgabe der weiteren Tatausführung mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten sei (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB), begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
1. Nach den Feststellungen hielten sich der Angeklagte, das spätere Tatopfer W. sowie die Zeugen P. und Z. in der Nacht zum 29. Oktober 2010 wie gewöhnlich beim Zentralen Omnibusbahnhof in Hannover auf und konsumierten zusammen Alkohol. Als erster entfernte sich P. . Er begab sich in den von ihm und W. als gemeinsame Unterkunft genutzten Raum in einem in der Nähe befindlichen verlassenen Gebäude und legte sich dort schlafen. Am frühen Morgen wollte auch W. die Unterkunft aufsuchen. Er lud den Angeklagten ein mitzukommen und mit ihm zu essen. Neben dem schlafenden P. setzten sich beide einander gegenüber an den Tisch und verzehrten ein Fleischgericht, von dem sie sich mit einem Küchenmesser jeweils Scheiben abschnitten. Gegen 3.00 Uhr hielt W. die Mahlzeit für beendet und legte das Messer beiseite.
6
Aus nicht zu klärenden Gründen fasste der Angeklagte nun den Entschluss , W. zu töten. Hierzu wollte er die während des gemeinsamen Essens herrschende und aus W. s Sicht unverändert fortbestehende gute und friedliche Stimmung ausnutzen. Er bat W. deshalb nochmals um das Messer. In der Annahme, der Angeklagte wolle sich noch ein Stück Fleisch abschneiden, holte W. das Messer - Klingenlänge etwa 10 cm - aus der Ablage unter dem Tisch hervor und übergab es dem Angeklagten. Dieser nahm es an sich, stand auf und versetzte dem auf seinem Stuhl sitzenden W. mit den Worten "Ich werde dich töten" und "Du sollst ausbluten" zunächst von vorn, dann, um den Tisch herumgehend, von hinten in schneller Abfolge insgesamt sieben Stiche in den Brust-, Rücken- und Nackenbereich. "Nachdem der Angeklagte insgesamt siebenmal zugestochen hatte, ließ er von … W. ab,obwohl aus seiner Sicht der Zeuge noch nicht tödlich verletzt war." W. , der eine dicke Lederjacke trug, blutete zwar, zeigte sich aber sonst nicht beeinträchtigt. Vom Geschehen überrascht und um keinen weiteren Angriff des Angeklagten zu provozieren, blieb er sitzen und war bemüht, sich nicht zu bewegen. Der Angeklagte beobachtete den so verharrenden W. noch einige Minuten und entfernte sich dann.
7
Nun erhob sich W. , weckte P. und bat diesen, Hilfe zu holen. Beim Verlassen des Gebäudes traf P. auf den heimkehrenden Z. und verständigte mit diesem zusammen die Polizei. W. , der durch einen der Stiche in den Rücken einen akut lebensbedrohlichen Pneumothorax erlitten hatte, wurde von Rettungskräften ins Krankenhaus verbracht und dort erfolgreich medizinisch versorgt. Die weiteren Stiche waren nicht unmittelbar lebensbedrohlich.
8
2. Ob ein Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB beendet oder unbeendet ist, richtet sich nach der Vorstellung des Täters bei Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Ein unbeendeter Versuch ist danach gegeben, wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt davon ausgeht, zur Verwirklichung des Tatbestandes bedürfe es noch weiteren Handelns; beendet ist der Versuch demgegenüber , wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs aufgrund seiner bisherigen Tathandlungen zumindest für möglich hält oder sich über deren Fol- gen keine Vorstellungen macht (Maßgeblichkeit des sog. Rücktrittshorizonts; vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 24 Rn. 14, 15 mwN). Unbeendet ist ein Versuch auch dann, wenn der Täter den Erfolgseintritt zwar zunächst für möglich hält, aber nachfolgend - etwa aufgrund weiterer Wahrnehmungen - und noch in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen zur gegenteiligen Auffassung gelangt (sog. Korrektur des Rücktrittshorizonts; vgl. Fischer aaO Rn. 15a mwN).
9
Zwar hat das Landgericht nicht verkannt, dass es für die Entscheidung, ob ein Versuch beendet oder unbeendet ist, darauf ankommt, welche Vorstellung der Täter innerhalb des sich aus diesen Grundsätzen ergebenden zeitlichen und örtlichen Rahmens entwickelt. Jedoch hat es der Prüfung dieser inneren Tatseite einen rechtlich unzutreffenden Maßstab zu Grunde gelegt. Denn das Landgericht hat bei der Würdigung der Beweise darauf abgestellt, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte von einem Verbluten des Geschädigten "ausgegangen" sei. Beendet wäre der Versuch indes - wie dargelegt - bereits dann, wenn der Angeklagte eine solche Folge für möglich gehalten oder sich hierüber keine Gedanken gemacht hätte.
10
Auf diesem Rechtsfehler kann das Urteil beruhen.
11
II. Die Revision des Angeklagten
12
Der Beschwerdeführer rügt zu Recht, dass die Hauptverhandlung zwischen dem 19. Mai und dem 1. Juli 2011 - mithin entgegen § 229 Abs. 1 StPO länger als drei Wochen - unterbrochen war.
13
1. Der Rüge liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:
14
Am 17. Mai 2011, dem dritten Tag der Hauptverhandlung, wurde die Beweisaufnahme geschlossen. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger hielten ihre Schlussvorträge; der Angeklagte hatte das letzte Wort. In dem sodann zur Verkündung des Urteils anberaumten Termin am Donnerstag , 19. Mai 2011, wurde die Beweisaufnahme wiedereröffnet. Es erging der rechtliche Hinweis, dass die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung in Betracht komme. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft regte an, dazu einen psychiatrischen Sachverständigen zu hören. Hierauf unterbrach der Vorsitzende die Hauptverhandlung und bestimmte Fortsetzungstermine auf Mittwoch, 8. Juni 2011, Freitag, 10. Juni 2011 und Freitag, 1. Juli 2011.
15
In der Hauptverhandlung am 8. Juni 2011 wurden zwei polizeiliche Vermerke über die Abnahme von Atemalkoholproben bei den Zeugen P. und Z. verlesen. Am 10. Juni 2011 folgte die Verlesung eines TelefaxSchreibens des Vorsitzenden vom 18. Mai 2011 an die den Geschädigten behandelnden Ärzte sowie der Worte "P-Ethanol 1,9" aus dem hierauf wunschgemäß mitgeteilten Ergebnis einer Blutwertanalyse. Am 1. Juli 2011 nahm die Hauptverhandlung mit der Anhörung des vom Landgericht beauftragten psychiatrischen Sachverständigen ihren Fortgang.
16
2. Der Senat teilt die Auffassung des Beschwerdeführers, dass das Landgericht im Termin am 10. Juni 2011 - der, bezogen auf den Fristenlauf, zur Überbrückung der Zeitspanne zwischen dem 19. Mai und dem 1. Juli 2011 allein geeignet und erforderlich war (vgl. KK-Gmel, StPO, 6. Aufl., § 229 Rn. 7) - die Hauptverhandlung nicht im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO fortgesetzt hat. Das Landgericht hat an diesem Tage nicht, wie danach notwendig, zur Sache verhandelt.

17
a) Zur Sache wird in einem Fortsetzungstermin allerdings grundsätzlich bereits dann verhandelt, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob er noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können. Gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin zugleich auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist dient (BGH, Urteil vom 3. August 2006 - 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077).
18
Auch wenn in dem Termin Verfahrensvorgänge stattfinden, die nach diesen Maßstäben grundsätzlich zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet sind, liegt ein Verhandeln zur Sache jedoch dann nicht vor, wenn das Gericht dabei nur formal zum Zwecke der Umgehung dieser Vorschrift tätig wird und der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktritt (BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019; Urteil vom 18. März 1998 - 2 StR 675/97, NStZ-RR 1998, 335). Zur Fristwahrung ungeeignete "Schiebetermine" sind danach etwa anzunehmen, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, nur um hierdurch die zulässigen Unterbrechungsfristen einzuhalten (BGH aaO; Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Aus demselben Grund verstößt es gegen § 229 StPO, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substantielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbre- chungsfrist im Auge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 - 3 StR 61/11, NStZ 2011, 532).
19
b) So liegt der Fall hier. Der Senat ist von der Richtigkeit des - im Übrigen unwidersprochen gebliebenen - Beschwerdevorbringens überzeugt, dass die Wiedereröffnung der Beweisaufnahme am 19. Mai 2011 und die Anberaumung der drei Folgetermine allein darauf beruhte, dass das Landgericht nachträglich die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung für klärungsbedürftig hielt und sich veranlasst sah, hierzu ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Dementsprechend hat es mit der Beweiserhebung in dem "Brückentermin" am 10. Juni 2011 nur die Wahrung der Unterbrechungsfrist, nicht aber eine substantielle Förderung des Verfahrens im Auge gehabt. Dass das Landgericht den erhobenen Blutalkoholwert des Geschädigten W. bei der Überprüfung der Glaubwürdigkeit seiner Aussage tatsächlich verwertet hat, bleibt unter diesen Umständen ohne Belang.
20
Ein deutliches Anzeichen dafür, dass das Landgericht die Einholung und die Verlesung der Auskunft der behandelnden Ärzte unter dem Gesichtspunkt der Sachaufklärung an sich für entbehrlich hielt, ergibt sich schon aus dem Umstand, dass es die Beweisaufnahme bereits geschlossen hatte, ohne den Rückgriff auf diesen - einfachen und überschaubaren - Beweisstoff für erforderlich zu halten. Ebenso sah die Strafkammer beim Wiedereintritt in die Beweisaufnahme am 19. Mai 2011 trotz der vorangegangenen Anfrage bei den behandelnden Ärzten keinen Anlass für den Hinweis, auch diese Beweiserhebung müsse nachgeholt werden. Nicht außer Betracht bleiben kann bei der gebotenen Würdigung der Gesamtheit der Verfahrenstatsachen auch, dass die am 8. Juni 2011 verlesenen Ergebnisse der Atemalkoholproben, die den erst nachträglich vom Tatgeschehen in Kenntnis gesetzten Zeugen P. und Z. abgenommen worden waren, schon objektiv nicht zur weiteren Aufklärung der Tat- und Schuldfrage beitragen konnten. Selbst wenn damit nicht ein einheitlicher Beweiserhebungsvorgang aufgeteilt wurde, wird im Rahmen der Gesamtschau der insoweit maßgeblichen Vorgänge der Umstand, dass der Hauptverhandlungstermin vom 10. Juni 2011 allein der formalen Wahrung der Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO diente, letztlich auch dadurch bestätigt , dass das lediglich aus einem Wort und einer Zahl bestehende Ergebnis der BAK-Bestimmung beim Geschädigten nicht am 8. Juni 2011 zusammen mit den beiden polizeilichen Vermerken über die Atemalkoholproben bei den Zeugen P. und Z. verlesen wurde.
21
Auch der Generalbundesanwalt erkennt einen sachlich nachvollziehbaren Grund dafür, dass das Landgericht nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten ist, nur in der notwendigen Klärung, ob die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gegeben waren. Seiner Auffassung, die eingeschobenen Termine seien schon deshalb nicht als "Schiebetermine" anzusehen , weil das Landgericht damit die Aussetzung des Verfahrens vermieden und dem Beschleunigungsgrundsatz Rechnung getragen habe, kann sich der Senat allerdings nicht anschließen. Zu Ende gedacht wäre die Vorschrift des § 229 StPO damit hinfällig.
22
Besondere Umstände, die ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensverstoß ausnahmsweise ausschließen können (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1970 - 4 StR 272/68, BGHSt 23, 224), sind nicht ersichtlich.
Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges
5 StR 528/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Mai 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger für den Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt Bi.
als Verteidiger für den Angeklagten L. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben 1. hinsichtlich des Angeklagten L. ,
a) soweit er im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe, 2. hinsichtlich des Angeklagten B. ,
a) soweit er im Fall 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (1 und 4), davon in einem Fall (1) in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie wegen Erpressung in Tateinheit mit Nötigung (Fall 3) zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Gegen den Angeklagten L. hat es unter Freispruch im Übrigen (Fall 3) wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 2) sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es gegen diesen Angeklagten eine Fahrerlaubnissperre von einem Jahr und drei Monaten angeordnet. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten B. auf die Schuldsprüche in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe, hinsichtlich des Angeklagten L. auf den Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe und auf den Freispruch beschränkte Revisionen eingelegt, die vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten werden.

I.


2
Das Landgericht hat zu den von den Revisionen betroffenen Fällen im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Angeklagter L. ):
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a) Der Angeklagte L. und die wegen der Tat bereits rechtskräftig Verurteilten S. und Le. kannten sich über ihre Verbindung zu einem Unterstützerclub der Rockergruppierung Bandidos. S. wusste, dass der Zeuge T. wegen Drogenhandels in Untersuchungshaft gewesen war und noch unter Bewährung stand. Er vermutete,dass bei T. „Geld zu holen sei“.
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Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend gaben sich die drei Genannten am 17. Juni 2010 gegenüber T. als Polizeibeamte aus und durchsuchten unter Vorzeigen eines Ausweispapiers dessen vor der Wohnung abgestelltes Kraftfahrzeug. T. duldete dies, weil er glaubte, mit Angehörigen der Zivilpolizei konfrontiert zu sein.
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Auf entsprechende Aufforderung ging T. mit den drei Tätern in seine Wohnung. Dort sagte S. , er und seine „Kollegen“ wollten „etwas vom Kuchen abhaben“. Unter Hinweis auf illegale Drogengeschäfte des T. verlangten die Täter 20.000 €. Andernfalls würden sie eine Wohnungsdurchsu- chung bei ihm veranlassen, bei der gewiss Drogen gefunden würden, mit der Folge seiner erneuten Inhaftierung. Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, stand währenddessen im Türrahmen und versperrte den Weg zum Flur. Aus Angst vor einer Inhaftierung zeigte sichT. bereit, das Geld aus der Wohnung seiner Mutter zu holen. Im Pkw des T. fuhren die vier zur Wohnung der Mutter, wobei S. das Fahrzeug steuerte und T. auf dem Rücksitz neben Le. platziert wurde. Vor dem Wohnhaus der Mutter angekommen bekräftigten die Täter, dass sie für die Verhaftung des T. sorgen würden, wenn dieser sich nicht an die Abmachung halte oder Hilfe hole. T. musste sein Mobiltelefon im Pkw zurücklassen und wurde aufgefordert, spätestens in fünf Minuten mit dem Geld wieder beim Pkw zu sein.
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T. holte zumindest 20.000 € aus der Wohnung, die wenigstens teilweise aus Betäubungsmittelgeschäften herrührten, und ging zurück zum Fahrzeug. Die Polizei zu rufen, hielt er für sinnlos. Am Fahrzeug wurde er von Le. auf Waffen abgetastet. Dann fuhren alle zurück zur Wohnung des T. . Unterwegs übergab T. das in einer Tüte verpackte Geld an Le. . Der Angeklagte L. und Le. erhielten aus der Beute je 5.000 €, S. 10.000 €.
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b) Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung verurteilt. Dass die Tat unter Anwendung von Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen T. begangen worden ist, hat es als nicht erwiesen erachtet.
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2. Fall 3 der Urteilsgründe (Angeklagte L. und B. ):
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a) S. erzählte dem mit ihm im Rahmen derselben Rockergruppierung gut befreundeten Angeklagten B. , dass er einem Dro- gendealer 20.000 € abgenommen habe und dass bei diesem sicherlich noch mehr zu erlangen sei. B. erklärte sich zu einer Mitwirkung an einer weiteren Tat bereit. Bereits einen Tag später, am 18. Juni 2010, fuhren B. und S. am späten Nachmittag zur Wohnung der Mutter des Zeugen T. , der knapp 68-jährigen M. T. . Ein Unbekannter begleitete sie, unterwegs trafen sie auf einen weiteren Unbekannten; ob die beiden Unbekannten an der Tat beteiligt waren, hat das Landgericht nicht feststellen können. Mit S. oder einem der beiden unbekannten Begleiter verschaffte sich B. unter dem Vorwand, ein Paket liefern zu wollen, Zutritt zum Wohnhaus. Als M. T. an der Wohnungstür sah, dass die eintreffenden Männer gar kein Paket trugen, und sie die Tür schließen wollte, ergriff sie einer der Mittäter, drängte sie in die Wohnung und hielt ihr, um sie am Schreien zu hindern, mit dem Unterarm den Mund zu.
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In der Wohnung gaben sich B. sowie sein Mittäter gegenüber Frau T. , die sich zur Beruhigung hinsetzen durfte und der sie ein Glas Wasser reichten, als Polizeibeamte aus und forderten von ihr Geld, andernfalls sie dafür sorgen würden, dass ihr Sohn noch am Abend in Untersuchungshaft komme. Allein um dies zu verhindern, übergab Frau T. mehrere tausend Euro an die Täter.
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b) Vom Vorwurf, die Tat mit dem Angeklagten B. begangen zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten L. aus tatsächlichen Grün- den freigesprochen. Trotz dessen Beteiligung an der Vortat sowie der dadurch vermittelten Kenntnisse und obwohl dessen Mobiltelefon im Tatzeitraum in Tatortnähe eingeloggt und er unmittelbar vor und nach der Tat mit dem Angeklagten B. sowie S. mehrfach telefoniert habe, sei seine Beteiligung nicht nachweisbar. § 138 Abs. 1 Nr. 7 StGB sei mangels Verwirklichung des Verbrechenstatbestands der räuberischen Erpressung (§§ 255, 249 StGB) nicht erfüllt.
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3. Fall 4 der Urteilsgründe (Angeklagter B. ):
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a) Der Zeuge T. erkannte, dass er getäuscht worden war, und wollte das Geld von S. wiedererlangen. Er verabredete mit diesem für den 15. Juli 2010 ein Treffen. S. informierte den Angeklagten B. , der versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Der Angeklagte B. versicherte sich der Mitwirkung einer Reihe von Personen aus dem Umfeld der Bandidos.
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Am Abend des 15. Juli 2010 erschien T. mit drei Freunden, unter anderem dem Geschädigten Sch. , am Treffpunkt. Er erblickte Le. und rief seinen Begleitern zu: „Das ist er!” Schnell ging er auf Le. zu. Sch. hielt sich einige Meter hinter ihm. Nun zeigten sich die Kontrahenten in einer rockertypischen Kleidung und näherten sich T. und seinen Begleitern. Beeindruckt von der sich ihnen darbietenden Übermacht traten diese die Flucht an.
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Unterdessen war der Angeklagte B. von hinten auf den flüchtenden Sch. zugelaufen. Er versetzte ihm mit einem Messer mit einer Klingenbreite von 2,5 cm zwei wuchtige Stiche in den Oberkörper. Sie trafen ihn in die linke Brustkorbseite unmittelbar unter dem Herzen. Der Angeklagte B. erkannte die Möglichkeit einer tödlichen Verletzung und nahm dies hin.
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Sch. hielt die Stiche zunächst nur für heftige Schläge. Er konnte mit der linken Hand einen dritten Messerstich des Angeklagten B. abwehren, indem er in das Messer griff und zugleich mit der rechten Faust zwei bis drei Schläge gegen den Kopf seines Kontrahenten setzte, von denen jedenfalls einer traf. Als er erneut zuschlagen wollte, verlor er das Gleichgewicht und fiel rückwärts zu Boden, wo er einen Moment sitzen blieb. Unter Verzicht auf einen weiteren Messerangriff drehte sich der Angeklagte B. um und lief, eine Hand vor sein Gesicht haltend, zu seinem Kraftfahrzeug. Als er sich im Laufen umdrehte, sah er, dass Sch. wieder aufgestanden war und ebenfalls weglief.
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Sch. erlitt lebensgefährliche Verletzungen, die ohne ärztliche Versorgung zum Tod geführt hätten.
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b) Die Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte B. sei vom unbeendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten. Er habe gesehen, dass Sch. trotz der Messerstiche zu heftiger Gegenwehr in der Lage gewesen sei und nach dem Sturz ohne fremde Hilfe wieder habe aufstehen und fliehen können. Aus autonomen Gründen habe er nicht weiter auf Sch. eingestochen. Wegen der Einnahme anaboler Steroide, verstärkt durch erhebliche gruppendynamische Einflüsse habe er sich bei der Tat in einem derart distanzgeminderten, impulshaften und aggressiven Zustand befunden, dass eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen sei.

II.


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Die beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der Verurteilungen in den Fällen 2 und 4 Erfolg. Insoweit kamen Schuldspruchänderungen zum Nachteil der Angeklagten von vornherein schon deshalb nicht in Betracht, weil die Angeklagten naheliegend durch die sie rechtsfehlerhaft begünstigende Beurteilung des Landgerichts von eigenen Revisio- nen abgehalten worden sind. Zum Fall 3 bleiben die Revisionen – dem Antrag des Generalbundesanwalts gemäß – ohne Erfolg.
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1. Fall 2 der Urteilsgründe (Erpressung des Zeugen T. – Angeklagter L. ):
22
Soweit die Jugendkammer den Angeklagten L. im Fall 2 der Urteilsgründe nur wegen Erpressung nach § 253 StGB verurteilt, eine räuberische Erpressung nach § 255 i.V.m. § 249 StGB mithin verneint hat, ist das Urteil, was den vorgeblich durch „Gewaltlosigkeit“ gekennzeichneten Tatplan anbelangt, lückenhaft. Die Jugendkammer stellt fest, dass während des gesamten Geschehens in der Wohnung des Zeugen T. „Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, im Türrahmen stand und den Weg zum Flur versperrte“ und dass T. aufdem Weg zur Wohnung seiner Mutter im Fahrzeug „neben Le. platziert“ wurde (UA S. 10). Die sich aufdrängende Wertung, dass die Täter hierdurch zur Begleitung ihrer Drohung mit Veranlassung erneuter Festnahme des Geschädigten T. diesem bewusst deutlich zum Ausdruck bringen wollten, einer etwaigen Flucht werde gewaltsam entgegengetreten, hat die Jugendkammer nicht erkennbar erwogen, obgleich sie selbst das Geschehen treffend dahin bewer- tet, das Tatopfer habe „sich in einer Art und Weise, die der Bemächtigungs- lage in § 239a StGB nahe kommt, in der Gewalt des Angeklagten L. und seiner Mittäter“ befunden (UA S. 36).
23
Das Geschehen bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neue Tatgericht auch über die Richtigkeit der Aussage des Zeugen T. , der Angeklagte L. habe ihm vor dem Hinaufgehen in die Wohnung seiner Mutter damit gedroht, ihn „abzuknallen“, falls er versu- che, mit dem Geld zu fliehen, neu zu befinden haben. Die im angefochtenen Urteil insoweit angenommenen Zweifel stehen in einem Spannungsverhältnis zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit sonstiger Angaben dieses Zeugen, insbesondere im Zusammenhang mit Fall 4. Die Aufhebung der Schuldsprüche erfasst bei der angenommenen Tateinheit auch den an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter Amtsanmaßung.
24
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Verurteilung des Angeklagten B. und Freispruch des Angeklagten L. ):
25
Sowohl der Schuldspruch gegen den Angeklagten B. als auch der Freispruch des Angeklagten L. halten sachlichrechtlicher Prüfung letztlich stand.
26
Obgleich der Beginn der Tatausführung unter Einsatz von Gewalt erfolgte , stand diese nicht in dem erforderlichen spezifischen Zusammenhang zur anschließenden Erzwingung der Vermögensverfügung, der im Wege gewaltfreier Drohung durchgesetzten Geldforderung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 1 StR 343/96, BGHR StGB § 255 Kausalität 1). Dabei nimmt der Senat die auf die Bekundung der Zeugin M. T. gestützte Feststellung des Landgerichts hin, sie habe die Forderung der Täter nur aufgrund der Drohung mit der Inhaftierung ihres Sohnes erfüllt (UA S. 18 f.) und nicht etwa auch wegen der schlüssigen Androhung weiterer Gewalt, wie sie schon zu Beginn des Geschehens angewendet worden war, wenngleich eine abweichende Beurteilung nahe gelegen hätte.
27
Mit dem Generalbundesanwalt nimmt der Senat schließlich auch die Beweiswürdigung zur nicht erwiesenen Tatbeteiligung des Angeklagten hin, wenngleich diese angesichts erheblicher Belastungsindizien – L. s Mittäterschaft am Vortag an gleicher Stelle, seine Anwesenheit in Tatortnähe und seine, vom Landgericht nur entlastend bewerteten, mehrfachen Telefonate mit B. und S. zur Tatzeit – nicht eben lebensnah erscheint.
28
3. Fall 4 (Angeklagter B. ):
29
Soweit das Landgericht den Angeklagten B. im Fall 4 der Urteilsgründe wegen Rücktritts vom (unbeendeten) Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB) eines Tötungsdelikts nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
30
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung des Landgerichts, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25), in den Feststellungen keine Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Geschädigten zwei wuchtige Stiche in die linke Brustkorbseite versetzt, die unmittelbar unterhalb des Herzens trafen und lebensgefährliche Verletzungen hervorriefen. Infolgedessen hat sich die Jugendkammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Als der Angeklagte nach Gegenwehr des Geschädigten weglief, war dieser zu Boden gefallen. Unter solchen Vorzeichen liegt der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der Stiche versterben. Die verlesene schriftliche Erklärung des Angeklagten , in der er sich vorrangig auf eine Notwehrsituation berief und zu der er ausweislich der Urteilsgründe keine Nachfragen beantwortete, bietet hierfür schon deswegen keine hinreichende Grundlage, weil sie von der Jugendkammer – insoweit ohne Rechtsfehler – als weitgehend unglaubhaft gewertet wurde.
31
b) Sofern – entsprechend den insoweit zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil – der äußere Geschehensablauf und der Tötungsvorsatz des Angeklagten B. abermals in gleicher Weise festgestellt werden sollten, werden zum „Rücktrittshorizont“ des Angeklagten neue Fest- stellungen zu treffen sein. Für den Fall, dass das Tatgericht auch mit Blick auf den Sturz des Opfers annehmen sollte, dem Angeklagten sei bei Beginn seines Weglaufens der Eintritt des Todeserfolgs wenigstens gleichgültig gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304), wird zu prüfen sein, ob für den späteren Zeitpunkt des – nach den Urteilsgründen durch den Angeklagten wahrgenommenen – Aufstehens und Weglaufens des Opfers eine sogenannte „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ in Betracht kommt; der Versuch eines Tötungsdelikts ist bei einer solchen Konstellation nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber in engstem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang nach Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 3StR 337/11, NStZ-RR 2012, 106 mwN). Gegebenenfalls wird indessen weiter zu bedenken sein, dass sich der Angeklagte und der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt bereits voneinander entfernt hatten, weswegen es zumindest am erforderlichen – „engsten“ – räumlichen Zusammenhang fehlen könnte und aus der Sicht des Angeklagten zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf in Gang zu setzen gewesen wäre. Darüber hinaus werden unter Umständen ergänzende äußere Feststellungen zu der Frage zu treffen sein, ob dem Angeklagten überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten zur Vollendung des Totschlags zur Verfügung gestanden haben , andernfalls auch ein fehlgeschlagener Versuch zu erörtern wäre.
32
4. Die Aufhebung je eines Schuldspruchs zieht bei dem Angeklagten L. die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs – nicht der auf die nicht angefochtenen weiteren Schuldsprüche gestützten Maßregel – nach sich, bei dem Angeklagten B. die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Zu Letzterem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:
33
Die neu verhandelnde Jugendkammer wird die in der Revision der Staatsanwaltschaft und in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts geäußerten Bedenken gegen die Zubilligung der Voraussetzungen des § 21 StGB zugunsten des Angeklagten B. im Fall 4 zu beachten haben. Davon abgesehen wäre selbst bei Annahme relevanter Schuldminderung deren Bedeutung für die Strafbemessung von allenfalls untergeordnetem Gewicht. Denn die Erhöhung der Aggressivität durch Konsum anaboler Steroide ist ein von dem – hierin seit 2006 erfahrenen – Angeklagten selbst geschaffener Dauerzustand, der in besonderem Maße geeignet ist, in überaus aggressionsträchtigen Situationen wie der hier gegebenen das Risiko einer Verletzung erheblicher Rechtsgüter Dritter zu steigern (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 100).
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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 346/12
vom
25. Oktober 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober
2012, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenklägervertreter,
die Nebenklägerin in Person – in der Hauptverhandlung
–,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 17. Februar 2012 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 2 a) der Urteilsgründe des versuchten Totschlags in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr schuldig ist.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen. Er hat jedoch die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Bedrohung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs im Fall II. 2 a) der Urteilsgründe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Fall II. 2 a)
4
Der Angeklagte und die Nebenklägerin waren seit Ende 2010 befreundet und empfanden „tiefe, intensive Gefühle“ füreinander. Da der Angeklagteje- doch von heftiger Eifersucht und starken Verlustängsten geplagt wurde, verlief die Beziehung konfliktgeladen und wurde schließlich von der Nebenklägerin in der zweiten Juni-Hälfte 2011 vorübergehend beendet. In der Folgezeit entwickelte der Angeklagte immer heftigere Rachegelüste und fand zunehmend Gefallen an einem englischsprachigen Liedtext eines Rappers, der von der Tötung einer Ex-Freundin handelte (UA S. 10, 14). Nachdem ihm eine Aussöhnung aussichtslos erschien, sann der Angeklagte darauf, „die Nebenklägerin fertig zu machen“ (UA S. 15). Zu diesem Zweck redete er immer wieder auf den Zeugen T. ein, ihm dabei behilflich zu sein, die Nebenklägerin bei passender Gelegenheit „abzufüllen“ und sie – entlang einer Straße gehend – vor sein Auto zu stoßen, damit es wie ein Unfall aussähe. Der Zeuge T. , der das wiederholte Ansinnen schließlich ernst nahm, ging darauf jedoch nicht ein. Im Verlauf des 29. Juni 2011 tauschte sich der Angeklagte mehrmals mit dem Zeugen T. über das Internet-Chat-Forum ICQ aus und äußerte, dass er kurz vor dem Ausrasten sei und die Nebenklägerin „am liebsten echt umbringen“ würde. Der Zeuge T. solle dies jedoch niemandem erzählen. Am Abend desselben Tages traf der Angeklagte auf der Geburtstagsfeier einer Bekannten erstmals nach der Trennung auf die Nebenklägerin. In den frühen Morgenstunden des 30. Juni 2011 entwickelte sich ein lautstarkes Wortgefecht, bei dem sich der Angeklagte und die Nebenklägerin wechselseitig anschrien. Dabei äußerte der Angeklagte gegenüber der Nebenklägerin, er werde sie „umbrin- gen“ (UA S. 17). Nachdem es den weiteren Partygästen gelungen war, den An- geklagten zu beruhigen, brachte ihn die Mutter der Gastgeberin nach Hause.
5
Am späten Abend des 30. Juni 2011 fuhr er sodann zwischen 23.00 und 24.00 Uhr mit dem VW Polo seines Stiefvaters in Begleitung der Zeugen P. und F. zu einer Diskothek in G. und stellte das Fahrzeug – vorwärts einparkend – im Parkflächenbereich in der ersten oder zweiten Haltebucht ab, die rechts neben der kombinierten Ein- und Ausfahrt liegt. Etwa ein bis zwei Fahrzeuglängen hinter den Parkbuchten verläuft ein ca. zehn Zentimeter breiter und ca. acht Zentimeter hoher Pflastersockel, der die Parkfläche von einem Fahrstreifen für einen Drive-in-Schnellimbiss abtrennt. Zur Straßenseite hin wird das Areal durch einen etwa zwei Meter breiten Grünstreifen begrenzt. Kurz nach Mitternacht traf der Angeklagte auf die Nebenklägerin, die die Diskothek in Begleitung des Zeugen T. verließ. In unmittelbarer Nähe des geparkten Fahrzeugs kam es zu einer erneuten Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin mit wechselseitigen Beschimpfungen und Beleidigungen. Schließlich versetzte die Nebenklägerin dem Angeklagten eine Ohrfeige und beschloss wegzugehen. Der Angeklagte setzte sich ans Steuer seines Fahrzeugs, in dem auch die Zeugen P. und F. Platz nahmen. Er beobachtete , wie sich die Nebenklägerin in Richtung der Ein-/Ausfahrt wandte. Voller Wut und Verzweiflung entschloss er sich in diesem Augenblick, die Nebenklägerin zu töten, was er gegenüber seinen Begleitern mit den Worten ankündigte „Ich fahrdie J. jetzt um“, „Ich bring sie um“, „Ich glaub, ich bring sie jetzt um“. Demgemäß starteteer – während die Nebenklägerin die ersten Schritte in Richtung der Ein-/Ausfahrt machte – den Motor und fuhr sogleich an, „um sie rückwärtsfahrend umzufahren und hierdurch zu Tode zu bringen“. Als der Zeuge P. dies erkannte, packte er den Angeklagten sofort mit den Worten „Bist du bescheuert? Du hast sie nicht mehr alle!“ so heftig und unvermittelt am Arm, dass er ihn hierdurch am Weiterfahren hinderte. Nach einem starken Ruckeln – vergleichbar einem Abwürgen des Motors bei laufender Fahrt – stand das Fahrzeug sogleich wieder still. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Fahrzeugheck – ohne Fahrtrichtungsänderung – „nur kurz hinter der Parkbucht“ (UA S. 20). Nunmehr trat der Zeuge T. an das stehende Fahrzeug heran und verwickelte den Angeklagten in ein Gespräch. In der Zwischenzeit hatte die Nebenklägerin über die Ein-/Ausfahrt bereits das Parkgelände verlassen und befand sich – für den Angeklagten nicht einsehbar – auf dem Bürgersteig. Durch die Büsche des Grünstreifens erblickte sie das stehende Fahrzeug und setzte ihren Weg fort. Auf der Rückfahrt machte der Angeklagte dem Zeugen P. wegen des Eingreifens beim Rückwärtsfahren Vorhaltungen und kündigte (vorübergehend) die Freundschaft auf; außerdem stellte er Überlegungen an, die Nebenklägerin bei anderer Gelegenheit mit tödlichem Ausgang zu überfahren. Im Verlauf des 1. Juli 2011 suchte er im Internet nach Methoden, die Nebenklägerin mittels Schreckschusspistole zu töten (UA S. 21).
6
Fall II. 2 b)
7
Am Nachmittag des 2. Juli 2011 begegnete der Angeklagte der Nebenklägerin auf der Kirmes in K. . Gegen 19.00 Uhr bat er sie um ein VierAugen -Gespräch abseits des Kirmes-Geländes. Der Angeklagte hatte auf der Kirmes dem Alkohol zugesprochen, ohne dass seine Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB herabgesetzt war. Es kam erneut zum Streit, wobei der Angeklagte die Nebenklägerin zunächst schubste und an den Händen packte. Gleichwohl gelang es ihr, den Angeklagten zu ohrfeigen. Daraufhin griff dieser noch fester zu, weshalb die Nebenklägerin versuchte, ihm in den Schritt zu treten. Voller Zorn beschloss der Angeklagte nunmehr, die Nebenklägerin an Ort und Stelle bis zum Tode zu würgen. Er brachte sie zu Fall, ergriff mit beiden Händen ihren Hals und drückte mit ganzer Kraft zu, so dass sie schließlich das Bewusstsein verlor. Als der Angeklagte glaubte, der Todeseintritt stehe unmittelbar bevor, schoss ihm plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass die Nebenklägerin neben seiner Mutter die wichtigste Frau in seinem Leben sei. Daraufhin konnte er die Tat nicht mehr „durchziehen“ und ließ von der Geschädigten ab, die bald darauf wieder zu Bewusstsein kam (UA S. 22).
8
Fall II. 2 c)
9
Als die Nebenklägerin dem Angeklagten anlässlich einer weiteren Aussprache am 13. Juli 2011 eröffnete, mit dem Zeugen T. eine intime Beziehung eingegangen zu sein, ergriff der Angeklagte aus Wut und Eifersucht ein Küchenmesser mit einer ca. 20 Zentimeter langen Klinge und stürmte mit dem lauten Ruf „Missgeburt, ich stech dich ab“ aus dem Haus in Richtung des Zeu- gen T. , um diesen einzuschüchtern und davon zu jagen (UA S. 29).

II.


10
Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg. Sie sind unzulässig. Die Sachrüge führt lediglich zu einer Änderung des Schuldspruchs.
11
1. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags (Fall II. 2 a der Urteilsgründe ) weist keinen Rechtsfehler auf.
12
a) Das Landgericht hat sich ohne Lücken, Denkfehler oder Widersprüche auf Grund einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände von der Ernsthaftigkeit der Tötungsabsicht des Angeklagten überzeugt. Es hat sich umfassend mit den Umständen des Tatgeschehens, der Persönlichkeit des Angeklagten, seiner psychischen Verfassung zum Tatzeitpunkt, seiner Tatmotivation und sowie seinem Vor- und Nachtatverhalten auseinandergesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, NStZ 2012, 1524, 1525 ff.). Insbesondere die nachhaltige Einwirkung auf den Zeugen T. vor dem 29. Juni 2011 („fingierter Verkehrsunfall“), der Verlauf der ICQ-ChatProtokolle vom 29. Juni 2011, die Todesdrohungen auf der Geburtstagsparty am 30. Juni 2011 und das Würgen der Geschädigten bis zur Bewusstlosigkeit am 2. Juli 2011 rechtfertigen die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte am 1. Juli 2011 in Tötungsabsicht handelte, als er „voller Wut und Ver- zweiflung“ das Überfahren der Nebenklägerin ankündigte und seinen Pkw star- tete. Das Gesamtverhalten des Angeklagten wurde von einem stets präsenten „intentionalen Spannungsbogen“ überwölbt, der Nebenklägerin nicht nur mit Worten zu drohen, sondern dies auch umzusetzen (UA S. 52).
13
b) Das Handeln des Angeklagten hat auch bereits die Schwelle zum Versuch (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) überschritten.
14
Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB). Dafür ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Es genügt, dass er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden, die mithin – aus der Sicht des Täters – das geschützte Rechtsgut in eine konkrete Gefahr bringen. Dementsprechend erstreckt sich das Versuchsstadium auf Handlungen, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet und objektiv zur tat- bestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 26. August 1986 – 1 StR 351/86, BGHR StGB § 22 Ansetzen 5; Beschluss vom 11. Juni 2003 – 2 StR 83/03, BGHR StGB § 22 Ansetzen 31; Beschluss vom 27. September 2011 – 4 StR 454/11, BGHR StGB § 176 Abs. 1 Versuch 1; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 22 Rn. 10 mwN). Nach diesem Maßstab hat der Angeklagte , als er in Tötungsabsicht mit seinem Pkw rückwärts auf die Nebenklä- gerin zufuhr, die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschritten und hierdurch unmittelbar zur Verwirklichung seines Tötungsvorhabens angesetzt. Denn zwischen ihm und der Nebenklägerin befand sich kein Hindernis mehr, so dass er das Tatopfer nach seiner Vorstellung aus der Parkbucht heraus ohne weitere Zwischenakte „in einem Zug“ überfahren konnte.
15
c) Das Landgericht musste sich nicht zu der Prüfung gedrängt sehen, ob der Angeklagte vom Versuch des Totschlags gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB zurückgetreten ist. Hinsichtlich des Geschehens auf dem Parkplatz der Diskothek liegt ein fehlgeschlagener Versuch vor, bei dem ein strafbefreiender Rücktritt von vorneherein ausscheidet (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 22. März 2012 – 4 StR 541/11, NStZ-RR 2012, 239, 240). Davon ist auch das Landgericht ersichtlich ausgegangen (UA S. 3, 20, 45 f.).
16
Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). Wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Ansetzens bedürfte, etwa mit der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 25. November 2004 – 4 StR 326/04, NStZ 2005, 263, 264; Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399; Beschluss vom 7. Februar 2008 – 5 StR 402/07; Beschluss vom 8. Oktober 2008 – 4 StR 233/08, NStZ 2009, 628; Beschluss vom 22. März 2012 – 4 StR 541/11, NStZ-RR 2012, 239, 240). Nach diesen Grundsätzen ist hier von einem Fehlschlagen des Versuchs auszugehen. Objektiv hat der festgestellte Geschehensablauf auf dem Parkplatzgelände durch das Eingreifen des Zeugen P. , das den abrupten Stillstand des Tatfahrzeugs zur Folge hatte und nach dem Hinzutreten des Zeugen T. dazu führte, dass die Nebenklägerin sich aus dem Sichtfeld des Angeklagten entfernen konnte, eine Zäsur erfahren. Durch das Eingreifen der Zeugen P. und T. war der Angeklagte gehindert, der Nebenklägerin nachzusetzen und den angestrebten Taterfolg ohne zeitliche Zäsur doch noch herbeizuführen.
17
2. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht die für die Annahme einer Tat nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 in Verbindung mit § 315 Abs. 3 Nr. 1 a StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kann der Angeklagte nur wegen Versuchs (§ 315 b Abs. 2 StGB) verurteilt werden.
18
Durch das Eingreifen des Zeugen P. kam das vom Angeklagten geführte Kraftfahrzeug unmittelbar nach dem Anfahren abrupt wieder zum Stillstand, während die Nebenklägerin „die ersten SchritteRichtung Ein-/Ausfahrt machte“ (UA S. 20). Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat der Angeklagte angegeben , die Nebenklägerin sei etwa zehn Meter entfernt gewesen, als er losgefahren sei (UA S. 35, 47). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist somit der tatbestandliche Erfolg, nämlich eine konkrete Gefährdung im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB, nicht eingetreten. Dass der bewusst zweckwidrige Einsatz des Fahrzeugs bereits zu einer kritischen Situation im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ geführt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 23. Februar 2010 – 4 StR 506/09, NStZ 2010, 572, 573, und vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BeckRS 2012, 07957 Tz. 12), ist durch die Feststellungen nicht belegt. Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch liegt auch hier nicht vor.
19
Der Senat kann den Schuldspruch von sich aus ändern. § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich gegen den geänderten Schuldspruch nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.
20
Die gegen den Angeklagten verhängte Einheitsjugendstrafe wird durch die Änderung des Schuldspruchs nicht in Frage gestellt; der Erziehungsbedarf des Angeklagten besteht unabhängig von der rechtlichen Einordnung des ohnehin bloßen Gefährdungsdelikts als versuchte oder vollendete Tat, zumal der Unrechtsgehalt des strafbaren Verhaltens des Angeklagten durch den tateinheitlich verwirklichten Totschlagsversuch geprägt ist.

III.


21
Mutzbauer Cierniak Bender
Quentin Reiter

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 216/05
vom
15. September 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. September 2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. September 2004 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung und mit Schwangerschaftsabbruch zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner hiergegen gerichteten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision allein gegen die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit.
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Das vom Generalbundesanwalt vertretene, wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat dagegen Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen hatte der zur Tatzeit 61 Jahre alte Angeklagte seinen Sohn Ralf W. nach dessen Rückkehr aus dem Ausland im Jahre 2000 bei der Begleichung seiner Altschulden und beim Aufbau eines eigenen Betriebes finanziell unterstützt. Ende 2002/Anfang 2003 wurden die Firmen des Angeklagten und seines Sohnes zusammengelegt und das Eigentum an dem Familienanwesen neu aufgeteilt, so dass sich die zusammengelegten Firmen im Alleineigentum des Sohnes des Angeklagten befanden. Im Gegenzug wurde dem Angeklagten die Geschäftsführung übertragen und ihm ein monatlicher unkündbarer Lohn von 3.000 Euro versprochen. Im März 2003 erteilte Ralf W. dem Angeklagten Baustellen- und Büroverbot. Im Mai 2003 stellte er die monatlichen Zahlungen von 3.000 Euro an den Angeklagten ein und kündigte schließlich die Krankenversicherungen seiner Eltern. Der Angeklagte reagierte darauf mit beleidigenden Äußerungen gegenüber seinem Sohn, dessen Ehefrau Petra, die zur Tatzeit in der 30. Woche schwanger war, und deren Eltern. Er erstattete mehrfach anonym Strafanzeige gegen seinen Sohn, unter anderem wegen angeblichen Drogenhandels und Steuerhinterziehung. Der Angeklagte, der annahm, bei den Besuchern seines Sohnes handele es sich um Mitglieder der „Hells-Angels“ oder der „MC-Outlaws“, beobachtete und fotografierte regelmäßig – bei Dunkelheit unter Verwendung eines Nachtsichtgerätes - die Wohnung seines Sohnes. Anfang Oktober 2003 erklärte der
Angeklagte einem langjährigen Mitarbeiter bei einem Telefongespräch, er wolle die Firma von seinem Sohn zurück haben und kündigte an, er werde diesen erschießen. Bevor das Kind der Ehefrau seines Sohnes auf die Welt komme, "erschieße er sie beide". Etwa sechs Wochen vor der Tat bedrohte der Angeklagte auf dem Familienanwesen seinen Sohn mit einem Revolver und forderte ihn auf, sein Fahrzeug umzuparken. Als Ralf W. dies ignorierte und entgegnete, der Angeklagte solle doch schießen, drehte dieser seine Waffe um und bot seinem Sohn an, dieser solle auf ihn schießen.
Am späten Nachmittag des 26. November 2003 stellte der Angeklagte fest, dass die Nummernschilder von dem Firmenwagen, den er privat nutzte, abgeschraubt waren. An der Windschutzscheibe des Autos befand sich ein Zettel mit der Nachricht: "Auto wird abgemeldet. MfS Ralf". In dem Angeklagten "reifte nun endgültig die Überzeugung seinen Sohn töten zu müssen. Er setzte sich gegen 18.00 Uhr in seine Küche - von der aus er den Hof überblicken konnte - und wartete auf die Heimkehr seines Sohnes". Gegen 21.30 Uhr kamen RalfW. und seine Ehefrau Petra durch den hinteren Durchgang in den Innenhof. Der Angeklagte, der den Lichtkegel des Autos seines Sohnes gesehen hatte, war zur Hintertür seiner Wohnung hinuntergegangen, hatte diese geöffnet und sich, ohne die über der Tür angebrachte Beleuchtung einzuschalten , auf die Treppe vor der Tür gestellt. Er wollte seinen Sohn mit seinem mit fünf Vollmantelkegelspitzgeschossen geladenen Revolver erschießen, sobald dieser den Innenhof betrat. Als er sah, dass seine Schwiegertochter neben seinem Sohn ging, zögerte er einen Augenblick. Da er befürchtete, sein Vorhaben könne scheitern und er abermals „versagen“, schoss der Angeklagte ohne Vorwarnung zweimal auf Ralf und Petra W. , die sich kurz vor der
zu ihrer Wohnung führenden Außentreppe befanden. Dabei konnte er, weil es im Hofraum dunkel war, lediglich unklare Umrisse zweier Personen erkennen.
"Da sich das Ehepaar in Bewegung befand, dem Angeklagten vor Aufregung die Hände zitterten, er von dem unerwarteten Auftauchen der Petra W. überrascht und es insgesamt relativ dunkel war, konnte er - wie er wusste - keinen gezielten Schuss auf seinen Sohn abgeben. Er konnte die beiden Personen im Moment der Abgabe der beiden Schüsse nicht einmal genau voneinander unterscheiden. Er hatte gehofft bei den ersten beiden Schüssen auf die beiden Personen seinen Sohn zu treffen, die Gefahr der Tötung seiner Schwiegertochter war ihm aber bewusst und er nahm sie in Kauf. Nahezu gleichzeitig, allenfalls Bruchteile einer Sekunde vor den beiden Schüssen, wurde dem Ralf W. eine Person in der Haustür seines Vaters gewahr, was ihn veranlasste sich in diese Richtung zu drehen. Einer der beiden Schüsse durchschlug zunächst den linken Unterarm der Petra W. , streifte anschließend den rechten Unterarm des Ralf W. bevor er schließlich nach Eintreten in ihre linke Brust ihr Herz durchdrang und im Brustkorb stecken blieb. Das zweite Geschoss verfehlte die beiden und bohrte sich in die Wand des Hauses".
Ralf und Petra W. liefen in Richtung der Treppe zu ihrer Wohnung. Die tödlich getroffene Petra W. kam auf der Treppe zu Fall und begann zu schreien. Ralf W. versuchte vergeblich, seine Ehefrau hochzuziehen und lief dann die Treppe hinauf zu seiner Wohnung. Der Angeklagte schoss zwei weitere Male auf Ralf W. , traf diesen jedoch nicht. Dieser lief in seine Wohnung und kehrte mit einem schnurlosen Telefon in der Hand vor die Wohnungstür zurück. Er trat mehrmals einige Schritte vor und gleich wieder zurück und tat dabei so, als ziele er mit dem Telefon in der Hand auf den Angeklagten. Dieser zielte jeweils erneut auf Ralf W. , schoss jedoch nicht. Nach einigen Minuten ging der Angeklagte in seine Wohnung,
alarmierte mit den Worten "Ich habe meinen Sohn erschossen" telefonisch die Polizei und forderte sie kurz danach mit einem weiteren Telefonanruf auf, einen Notarzt zu verständigen. Das von Petra W. vor ihrem Tode entbundene Mädchen verstarb zwei Stunden nach seiner Geburt.
Nach Auffassung des Landgerichts ist eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht auszuschließen. Aus dem Inhalt der Hauptverhandlung ergäben sich ausreichend Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im Tatzeitpunkt „im Zustand einer affektbedingten Störung seiner Bewusstseinstätigkeit gehandelt haben könnte.“
II. Revision des Angeklagten
1. Die Verfahrensrügen sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts jedenfalls unbegründet.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.

a) Der Schuldspruch ist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Einwendungen, rechtlich nicht zu beanstanden. Dies gilt auch, soweit das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten von dem Mordversuch zum Nachteil seines Sohnes verneint, dies jedoch nicht näher begründet hat. Dass „der Tötungsversuch des Angeklagten spätestens dann fehlgeschlagen war“, als sich sein Sohn in seine Wohnung hatte flüchten können, liegt hier nahe. Denn ein Fehlschlag, der
nach der Rechtsprechung einen Rücktritt ausschließt (vgl. BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 228), liegt vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur vollenden kann (vgl. BGHSt 39, 221, 228; BGHSt 41, 368, 369; BGH NStZ-RR 2002, 168), so dass ein erneutes Ansetzen notwendig ist, um zu dem gewünschten Ziel zu gelangen (vgl. BGHSt 39, 221, 232; 41, 368, 369). Selbst wenn der Angeklagte, was nach den Feststellungen fern liegt, nach Abgabe des vierten Schusses davon ausgegangen sein sollte, dass er die Tat ohne zeitliche Zäsur noch hätte vollenden können, fehlt es jedenfalls an der gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Freiwilligkeit des Rücktritts. Hat sich aus der Sicht des Täters durch nicht vorhergesehene Umstände das für ihn mit der Tatbegehung verbundene Risiko beträchtlich erhöht und sieht er deshalb von der weiteren Tatausführung ab (BGH NStZ 1993, 76, 77 und 279 jew. m. w. Nachw.), ist der Rücktritt nicht freiwillig. So liegt es hier.
Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte, als es seinem Sohn gelang , in seine Wohnung zu flüchten, nur noch einen Schuss zu Verfügung. Er wusste, dass sein Sohn eine Schusswaffe besaß. Bei dieser Sachlage war eine weitere Ausführung der Tat aus der Sicht des Angeklagten mit einem erheblichen Risiko verbunden. Nach den vorangegangenen Fehlschüssen konnte der Angeklagte wegen der Entfernung und der Lichtverhältnisse nicht sicher sein, seinen Sohn zu treffen, als dieser jeweils kurz aus seiner Wohnung kam und seinerseits ein Zielen vortäuschte. Eine Möglichkeit, ohne Eigengefährdung zunächst die Distanz zu verringern, um mit der letzten Patrone sicher treffen zu können, bestand nicht. Dass der Angeklagte nicht wegen des nunmehr (vermeintlich ) erhöhten Risikos, sondern aus anderen Gründen von der Abgabe eines weiteren Schusses absah, liegt nach dem Gesamtzusammenhang der
Urteilsgründe, insbesondere im Hinblick auf seine Angaben nach seiner Festnahme , so fern, dass es hierzu keiner näheren Darlegung bedurfte.

b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers begegnet auch die Strafzumessungserwägung, der Angeklagte habe nicht „nur“ seine an seiner Situation unschuldige Schwiegertochter erschossen, sondern darüber hinaus tateinheitlich einen versuchten Mord begangen und dazu das Leben eines – zunächst ungeborenen – Kindes vernichtet, keinen rechtlichen Bedenken. Die strafschärfende Berücksichtigung der tateinheitlichen Verwirklichung des § 218 Abs. 1 StGB verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Die Verletzung mehrerer Strafgesetze durch dieselbe Handlung ist jedenfalls dann ein Grund, die Tat innerhalb des Strafrahmens der insoweit bestimmenden Norm nachteiliger zu bewerten, wenn das tateinheitlich verwirklichte Delikt – wie hier - selbständiges Unrecht verkörpert (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 20; BGH NStZ 1993, 434).
Auch hat das Landgericht mit der Erwägung, der Angeklagte habe nicht „nur“ seine „an seiner Situation unschuldige Schwiegertochter erschossen“, nach dem Gesamtzusammenhang nicht das Fehlen eines Strafmilderungsgrundes straferschwerend berücksichtigt, sondern den Umstand, dass der Angeklagte , um seinen an der Situation schuldigen Sohn wie geplant erschießen zu können, die Tötung eines weiteren – unbeteiligten - Menschen in Kauf nahm. Das ist hier ein tauglicher Strafzumessungsgrund (vgl. BGHSt 34 345, 350 ff.).
III. Revision der Staatsanwaltschaft
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
1. Die Annahme einer affektbedingten erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht hat ausgeführt, „ausgehend von den ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen“ könne es „im Zweifel zugunsten des Angeklagten nicht ausschließen, dass er sich zur Tatzeit in einem die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigenden Zustand der tiefgreifenden Bewusstseinsstörung befunden hat und er deshalb bei Begehung der Tat nur vermindert schuldfähig im Sinne des § 21 StGB war.“ Zu den Ausführungen des Sachverständigen teilt das Urteil mit, dass sich für diesen im Rahmen der Exploration die Schwierigkeit ergeben hat, „dass sich wegen der Verteidigungsstrategie aus der Einlassung des Angeklagten und den ihn vermeintlich schützenden Bekundungen seiner Tochter und seiner Ehefrau kein umfassendes psychopathologisches Bild ergeben hat.“ Dies lässt besorgen, dass das Landgericht, was rechtlich bedenklich ist (vgl. BGH NStZ 2005, 149), bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit lediglich auf Gesichtspunkte abgestellt hat, die nach den Ausführungen des Sachverständigen abstrakt für oder gegen einen Affekt sprechen können. Den Urteilsausführungen lässt sich nicht entnehmen, ob sich der Sachverständige in der Hauptverhandlung mit dem für ihn neuen, der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt auseinandergesetzt und zu den medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen konkret auf den Angeklagten bezogene Ausführungen gemacht hat. Hierzu hätte sich das Urteil aber insbesondere deshalb verhalten müssen, weil das Landgericht – insoweit zutreffend (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 234) - nicht von dem
klassischen Fall eines schuldrelevanten Affekts, sondern von einer affektbedingten Bewusstseinsstörung infolge „einer irrealen Fokussierung und Fixierung“ des Angeklagten auf seinen Sohn ausgegangen ist (zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit bei einer Ausweitung einer „überwertigen Idee“ vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 25).
Das Landgericht hat sich zudem nicht damit auseinandergesetzt, dass der Angeklagte nach den Feststellungen am Tattage, nachdem er sich entschlossen hatte, seinen Sohn zu erschießen, etwa dreieinhalb Stunden auf dessen Rückkehr gewartet hat. Auch dies kann aber ebenso wie die vorangegangene Tatplanung und die zielgerichtete Vorgehensweise bei der Tatausführung ein deutliches Anzeichen dafür sein, dass er nicht infolge einer Bewusstseinstörung gehandelt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 234 m. w. N.). Gegen eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung sprechen kann ferner ein rationales und umsichtiges Verhalten nach der Tat (vgl. BGH NStZ 1990, 231), insbesondere dann, wenn - wie hier - Anzeichen für eine den Affektabbau begleitende schwere seelische Erschütterung des Täters fehlen (vgl. BGHR StGB § 21 Affekt 7). Das Landgericht hätte sich deshalb damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte, der nach Beendigung der Tat in seine Wohnung gegangen war, dort nicht nur zwei Telefongespräche mit der Polizei führte, sondern auch die Hülsen der verschossenen Munition aus seinem Revolver entfernte, und er sich dann bis zum Eintreffen der Polizei hinter einem Wohnmobil versteckte, weil er fürchtete, sein Sohn werde seine Pistole holen, um ihn zu erschießen.

b) Die Urteilsausführungen lassen zudem besorgen, dass das Landgericht den Zweifelssatz auch auf die Rechtsfrage, ob die nach seiner Auffassung vorliegende Beeinträchtigung des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB "erheb-
lich" ist, angewendet hat. Eine Rechtsfrage kann aber nicht auf der Grundlage des Zweifelssatzes beantwortet werden (st. Rspr., vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ 2005, 149, 150). Bei der Beurteilung der Erheblichkeit einer Beeinträchtigung im Sinne des § 21 StGB fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt. Diese sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2004, 437 f. m.w.N.), bei vorsätzlichen Tötungsdelikten also besonders hoch (BGH NStZ 2005, 149, 150).
2. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die danach notwendige erneute Prüfung lässt den Schuldspruch unberührt. Es fehlt an jeglichem Anhalt, der Angeklagte könne zur Tatzeit im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig gewesen sein.
Tepperwien Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 411/12
vom
13. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
13. November 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 5. Juli 2012 aufgehoben,
a) im Fall III. 6. der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen sowie in den Fällen III. 7. bis 10. der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Serie von Sexualdelikten zum Nachteil verschiedener Kinder zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entschei- dungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Im Fall III. 6. der Urteilsgründe hält die Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts wollte der Angeklagte an dem 13 Jahre alten Jan-Hendrik den Analverkehr ausüben. Er schob die Unterhose des vor ihm knienden Kindes beiseite und berührte zuerst mit seinem Glied dessen Gesäß. "Anschließend versuchte er, sein Glied in den After des Jungen einzuführen, was ihm jedoch nicht gelang, weil der Junge Schmerzen verspürte" (UA S. 5). Ob der Angeklagte in dieser Situation aus Rücksicht auf das Opfer von der weiteren Tatbegehung Abstand nahm oder ob er sein Vorhaben als gescheitert ansah mit der Folge, dass ihm ein strafbefreiender Rücktritt nicht mehr möglich war, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Eine solche Erörterung wäre indes hier geboten gewesen.
4
Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt oder wenn er subjektiv - sei es auch nur wegen aufkommender innerer Hemmungen - die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Hält er dagegen die Vollendung der Tat im unmittelbaren Handlungsfortgang noch für möglich , wenn auch mit anderen Mitteln, dann ist der Verzicht auf ein Weiterhandeln als freiwilliger Rücktritt vom unbeendeten Versuch zu bewerten (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 338/10 bei Pfister NStZ-RR 2010, 361 Nr. 23 mwN).
5
Was den Angeklagten veranlasst hat, die Tatausführung abzubrechen, bedarf erneuter Prüfung durch den Tatrichter und der Darlegung in den Urteilsgründen. Die Aufhebung erfasst auch das in Tateinheit stehende vollendete Delikt nach § 176 Abs. 1 StGB.
6
2. In den Fällen III. 7. bis 10. der Urteilsgründe hat das Landgericht nicht festgestellt, dass der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnete oder gar wusste, dass das Opfer im Zeitpunkt der Taten das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Entsprechende ausdrückliche Darlegungen sind jedenfalls dann erforderlich , wenn das Alter des Opfers wie hier knapp unter der Schutzaltersgrenze liegt und dessen äußeres Erscheinungsbild sowie die näheren Umstände und die Dauer der Bekanntschaft mit dem Angeklagten unerörtert bleiben, so dass auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe der zumindest bedingte Vorsatz des Angeklagten nicht entnommen werden kann.
7
Die zu diesen Taten bisher getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird zur inneren Tatseite ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
8
3. Die Teilaufhebung lässt die Einzelstrafen für die übrigen Taten unberührt. Die Gesamtstrafe muss indes aufgehoben werden.
9
4. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, der Anregung des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift folgend den Schuldspruch insgesamt neu zu fassen.
Becker Pfister Schäfer Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 298/11
vom
29. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
29. September 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 14. April 2011 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen zweijährigen Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe angeordnet. Die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der Angeklagte mit zwei Männern in einen Streit, aus dem sich eine Rangelei entwickelte. Der Angeklagte erregte sich schließlich so sehr über seine beiden Kontrahenten, dass er sich entschloss, sie für ihr Verhalten ihm gegenüber abzustrafen. Er holte ein Springmesser mit einer Klingenlänge von 8,3 cm aus der Tasche, öffnete es und stach zuerst dem einen Mann mit bedingtem Tötungsvorsatz unterhalb der linken Brustwarze in die Brust. Sodann wandte er sich dem anderen Mann zu und stach diesem ebenfalls mit bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer in den Bauch. Der Stich war potentiell lebensgefährlich. Wegen einer Ausweichbewegung des Opfers kam es nur zu einer geringfügigen Verletzung im Bauchbereich. Die beiden Verletzten hatten Angst vor weiteren Angriffen des Angeklagten , weil dieser das Messer weiterhin in der Hand hielt und mit diesem fuchtelnde Bewegungen vor ihnen machte. Es gelang ihnen mit vereinten Kräften , den Angeklagten zu überwältigen und ihm das Messer aus der Hand zu treten.
3
2. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen beruhen auf einer Beweiswürdigung ohne durchgreifenden Rechtsfehler. Zwar hat das Landgericht die Erklärung des Angeklagten, der sich erstmals in der Hauptverhandlung zur Sache geäußert und dies damit begründet hatte, er habe Absprachen zwischen den Zeugen im Vorfeld verhindern wollen, "angesichts der bis dahin - der Einlassung des Angeklagten zufolge unrechtmäßig - erlittenen mehrmonatigen Untersuchungshaft" für "unglaubhaft" gehalten, wogegen rechtliche Bedenken bestehen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2001 - 3 StR 580/00, BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 21). Indes kann der Senat angesichts der übrigen , umfassenden und gründlichen Beweiswürdigung ausschließen, dass die Überzeugung des Gerichts von dem objektiven Tatgeschehen auf dieser Erwä- gung beruht. Auch vom bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat sich die Strafkammer rechtfehlerfrei überzeugt.
4
3. Der Schuldspruch hält gleichwohl rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht einen Rücktritt des Angeklagten vom zweifachen Tötungsversuch mit rechtlich nicht tragfähigen Überlegungen abgelehnt hat. Es hat lediglich ausgeführt, der Versuch sei fehlgeschlagen, ein Rücktritt deshalb nicht möglich. Dies reicht vorliegend nicht aus. Es ist angesichts der bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte in strafbefreiender Weise von der weiteren Ausführung der Tötungsdelikte Abstand genommen hatte, ehe er niedergerungen und entwaffnet wurde.
5
a) Das Urteil lässt zunächst jegliche Ausführungen dazu vermissen, welche Vorstellungen sich der Angeklagte von den Folgen des gegen das erste Opfer geführten Messerstichs machte, als er von diesem unmittelbar nach dem Stich abließ und sich dem zweiten Opfer zuwandte. Ebenso wenig befasst sich das Landgericht mit der Frage, ob der Angeklagte durch diesen einen Stich das erste Opfer als ausreichend "abgestraft" ansah und nunmehr allein noch gegen das zweite Opfer vorgehen oder ob er sich nach dem Angriff gegen das zweite Opfer wieder dem ersten zuwenden wollte, um gegen dieses weitere Messerstiche zu setzen. Danach bleibt aber die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte den Stich gegen das erste Opfer, das durch diesen nach den Feststellungen nicht unmittelbar in seiner Verteidigungsfähigkeit beeinträchtigt war, als nicht hinreichend erachtete, um zum Tod des Verletzten zu führen, er weitere Stiche gegen diesen für möglich hielt, sich aber gleichwohl allein noch gegen das zweite Opfer wandte, um nunmehr auch dieses "abzustrafen". In diesem Falle wäre der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt von dem ersten - unbeendeten - Tötungsversuch freiwillig zurückgetreten gewesen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB), bevor er durch die Opfer überwältigt wurde und daher objektiv zu weiteren Messerstichen nicht mehr in der Lage war (s. insg. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 24 Rn. 14 ff. mwN zur ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs).
6
b) Aber auch das Geschehen nach dem Stich gegen das zweite Opfer wird vom Landgericht nicht unter den maßgeblichen rechtlichen Aspekten darauf geprüft, ob der Angeklagte von dem zweiten oder gegebenenfalls nunmehr zugleich von dem ersten Tötungsversuch zurückgetreten ist. Das Urteil stellt lediglich fest, dass beide Opfer die Befürchtung hatten, der Angeklagte werde sie weiterhin angreifen, als dieser vor ihnen stand und mit dem Messer herumfuchtelte. Was der Angeklagte tatsächlich mit diesen Bewegungen beabsichtigte , lässt das Landgericht indes unerörtert. Auf die Beweggründe des Angeklagten kommt es jedoch entscheidend an. Nur wenn er nach seiner Vorstellung damit den Angriff auf die Männer in dem Bestreben fortgesetzt hätte, diesen weitere lebensgefährdende Stiche zuzufügen, wäre die Annahme aufgrund der geleisteten Gegenwehr fehlgeschlagener Tötungsversuche möglich. Wäre hingegen der zweite Messerstich die letzte Ausführungshandlung der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgenommenen "Bestrafungsaktion" gewesen und hätte der Angeklagte, als er mit dem Messer herumfuchtelte, keinen weiteren Stich mehr setzen, sondern die beiden Männer nur von sich fernhalten wollen, käme es für die Frage des Rücktritts darauf an, welche Vorstellungen von den Folgen seines bisherigen Tuns und von seinen weiteren Handlungsmöglichkeiten er zu diesem Zeitpunkt hatte. Ging er davon aus, dass er seinen beiden Kontrahenten durch die zwei Stiche keine tödlichen Verletzungen beigebracht hatte, ihm dies aber noch möglich wäre, so lag in dem Abstandnehmen von weiteren Stichen und dem Übergang zu einem gegebenenfalls lediglich abwehrenden Herumfuchteln mit dem Messer ein Rücktritt vom unbeendeten und nicht fehlgeschlagenen Versuch der Tötung des zweiten und - soweit dies nicht schon auf- grund des Abbruchs des Angriffs auf das erste Opfer der Fall war (siehe oben
a) - jedenfalls nunmehr auch ein Rücktritt vom unbeendeten ersten Tötungsversuch , wenn der Angeklagte - etwa aufgrund der weiteren Verteidigungsfähigkeit des ersten Opfers - zumindest jetzt zu der Einschätzung gelangt sein sollte, diesem doch keine tödlichen Verletzungen beigebracht zu haben (sog. korrigierter Rücktrittshorizont; s. Fischer, aaO Rn. 15a ff. mwN).
7
Von den dargelegten Rechtsfehlern sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht betroffen. Sie können deshalb aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird auf ihrer Basis umfänglich über die subjektive Seite neu zu entscheiden haben. Er kann dabei zum objektiven Geschehen ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen Feststellungen indes nicht widersprechen dürfen.
8
Die Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB muss, obwohl für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffen, mit dem Urteil aufgehoben werden.
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4. Ergänzend bemerkt der Senat: Das Landgericht hat die für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes notwendige Kenntnis des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit seiner Messerstiche auch damit begründet, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit unbeeinträchtigt war. Dies erscheint rechtlich bedenklich. Die Fähigkeit zu er- kennen, dass ein Mensch nicht getötet oder verletzt werden darf, ist etwas anderes , weiter verbreitet und von situativen Umständen in geringerem Maße beeinträchtigt als die Fähigkeit zu erkennen, dass eine bestimmte Handlung zum Tod des Opfers führen kann.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Menges

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 364/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung am
20. Janaur 2004 in der Sitzung vom 21. Januar 2004, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin D. P.
- in der Verhandlung am 20. Januar 2004 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 8. April 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. II. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben 1. soweit der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil D. P. ) verurteilt worden ist und 2. im Ausspruch über die Gesamtstrafe. III. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und versuchter Nötigung sowie wegen sexueller Nöti-
gung in Tateinheit mit Raub zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Ebenfalls begründet ist die wirksam auf die Verurteilung im Fall 2 der Urteilsgründe sowie den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte, zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Nach den Feststellungen des Landgerichts griff der Angeklagte am 11. August 2000 die joggende Zeugin G. W. auf einem Radweg zwischen zwei Ortschaften an, packte sie von hinten am Genick und drückte sie zu Boden. Er legte ihr einen Arm um den Hals und drückte ihr mit der anderen Hand den Kopf so gegen den Arm, daß ihr Genick überdehnt wurde und sie dabei erhebliche Schmerzen erlitt. Er drohte, ihr das Genick zu brechen, falls sie schreie, und verklebte ihr den Mund und die Augen mit Klebeband. Sodann versuchte er, der sich heftig wehrenden Zeugin mit einer Schnur die Hände auf dem Rücken festzubinden. Infolge der massiven Gegenwehr der Zeugin gelang ihm dies nicht. Deshalb ließ der Angeklagte nach wenigen Minuten von ihr ab, nachdem er erkannt hatte, daß er sein Ziel - nur dieses hat das Landgericht festgestellt -, "die Geschädigte an einen anderen Ort zu bringen", nicht erreichen konnte (Fall 1 der Urteilsgründe). Am 12. Januar 2001 packte der Angeklagte die gegen 6.35 Uhr auf dem Schulweg befindliche 14jährige Schülerin D. P. , hielt ihr den Mund zu und befahl ihr, ruhig zu sein und sich nicht umzudrehen. Er hielt ihr einen nicht näher identifizierten spitzen Gegenstand gegen den Hals und die rechte Schläfe, knebelte die Zeugin mittels eines von ihm mitgeführten weißen Stofftuchs und zerrte sie ca. 50 m weit über eine angrenzende Streuobstwiese. Dort stieß er sie zu Boden und befahl ihr, sich auszuziehen. Nachdem die Zeugin auch ihre Hose bis zu den Knien heruntergezogen hatte, fesselte der Ange-
klagte mit einer von ihm mitgeführten Paketschnur die Arme der vor ihm knienden Zeugin auf den Rücken, wickelte die Schnur um ihre Fußgelenke und anschließend um den Hals, um sie von dort wieder über den Rücken abwärts zur Handfesselung zu führen. Dort verschnürte er sie erneut. Er fragte die Zeugin, ob sie Geld habe. Diese deutete auf ihren Rucksack, in dem der Angeklagte jedoch zunächst nichts fand. Hierüber verärgert schlug er der Zeugin mit der Hand "ins Gesicht gegen das linke Auge", wodurch das Auge anschwoll und sich ein Hämatom bildete. Schließlich fand der Angeklagte den Geldbeutel der Geschädigten und entnahm hieraus einen Bargeldbetrag in Höhe von 60 DM, den er einsteckte. Er befahl der am Boden knienden Zeugin nun, ihr Gesäß hochzuheben und ihre Beine zu spreizen, durchtrennte schließlich mit einem nicht näher erkannten scharfen Gegenstand ihren Slip, so daß Gesäß und Geschlechtsteil entblößt waren. Darauf stach er mit einem nicht identifizierten spitzen Gegenstand mehrmals in die rechte Gesäßhälfte der Zeugin, "um sich daran sexuell zu erregen". Die Zeugin hörte ein Reißverschlußgeräusch beim Angeklagten, dann Rascheln seiner Kleidung. Nach wenigen Minuten und ohne daß es zu weiteren sexuellen Handlungen an der Zeugin gekommen wäre, brach der Angeklagte ab und entfernte das weiße Stofftuch aus dem Mund der Zeugin; stattdessen steckte er ihr den Kragen ihrer Strickjacke in den Mund und entfernte sich (Fall 2 der Urteilsgründe). Die Strafkammer hat den bestreitenden Angeklagten für überführt erachtet und sich dabei insbesondere auf ein DNA-Analyse-Gutachten gestützt. Diesem liegen DNA-Anhaftungen zugrunde, die an dem vom Täter im Falle 1 verwendeten Klebeband und an der im Falle 2 benutzten Schnur gesichert werden konnten. I. Die Revision des Angeklagten
1. Die Revision beanstandet zu Recht als Verstoß gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit, daß die Strafkammer in ihrer Beweiswürdigung hervorhebt, der Angeklagte habe über einen Zeitraum von sechs Monaten die (freiwillige) Abgabe einer Speichelprobe hinausgezögert, obwohl er gewußt habe, daß ihm ein schweres Verbrechen zur Last gelegt werde und er diesen Vorwurf "bei reinem Gewissen umgehend durch die Abgabe einer Speichelprobe hätte ausräumen können" (UA S. 16). Zuvor hatte der Angeklagte auf Anfrage der Polizei zweimal die freiwillige Abgabe einer Speichelprobe zugesagt, war entsprechenden Bitten jedoch dann nicht nachgekommen. Der mit der Sachrüge geltend gemachte Fehler der Beweiswürdigung des Landgerichts ist durch die Urteilsgründe erwiesen; der Senat vermag nicht sicher auszuschließen , daß die Verurteilung des Angeklagten in beiden Fällen darauf beruhen kann.
a) Die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO findet ihre Grenze an dem Recht eines jeden Menschen, nicht gegen seinen Willen zu seiner Überführung beitragen zu müssen (Grundsatz des "nemo tenetur se ipsum prodere" oder "nemo tenetur se ipsum accusare"). Danach ist ein Beschuldigter im Strafverfahren grundsätzlich nicht verpflichtet, aktiv die Sachaufklärung zu fördern. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist deshalb anerkannt, daß ein Beschuldigter nicht gehalten ist, zur eigenen Überführung tätig zu werden und an einer Untersuchungshandlung eines Strafverfolgungsorgans oder eines Sachverständigen aktiv mitzuwirken. Seine Beweisfunktion darf gegen seinen Willen nur durchgesetzt werden, sofern er lediglich passiv Beteiligter bleibt. Er selbst hat darüber zu befinden, ob er an der Aufklärung des Sachverhalts aktiv mitwirken will oder nicht. Demgemäß darf er nicht zu Tests, Tatrekonstruktionen, Schriftproben oder zur Schaffung ähnlicher, für die Erstattung eines Gutachtens notwendiger Anknüpfungstatsachen gezwun-
gen werden. Daraus folgt, daß die Verweigerung der aktiven Mitwirkung dem Beschuldigten auch nicht als belastendes Beweisanzeichen entgegengehalten werden darf. Er hat die Freiheit, sich auch auf diese Weise zu verteidigen; er muß nicht seine Unschuld beweisen (vgl. BGHSt 34, 39, 45, 46; siehe weiter BGHSt 32, 140, 144 f.; 34, 324, 326; 45, 363, 364 m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht hat im Blick auf die Beweisbedeutung der Nichtabgabe einer Speichelprobe in einem Kammerbeschluß ausgeführt, zur Begründung des Tatverdachts dürfe nicht der Umstand herangezogen werden, daß ein Beschuldigter eine freiwillige Teilnahme an einer DNA-Untersuchung abgelehnt habe. Eine solche Erwägung verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze (BVerfG, Kammer, NJW 1996, 1587, 1588; 1996, 3071, 3072).
b) Der vorliegende Fall weist die Besonderheit auf, daß ein prozessuales Verhalten des Angeklagten im Ermittlungsverfahren in Rede steht, welches eine Mitwirkung an der Erhebung von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten zum Gegenstand hat, die mit den Mitteln der Strafprozeßordnung auch erzwingbar ist und hier - nach entsprechender richterlicher Anordnung - letztlich auch erzwungen worden ist (§§ 81a, 81e StPO). Das unterscheidet die Fragestellung etwa von der Ausübung des Schweigerechts, der Nichtentbindung eines Zeugen von der Schweigepflicht und der des gezielten Ablieferns von Sprechproben und Schriften (wenn diese also nicht als Beweismittel anderweit gesichert worden sind); hierbei handelt es sich um prozessuales Verhalten, dem nicht in zulässiger Weise mit Zwang begegnet werden darf. Überdies hatte der Angeklagte hier die Freiheit, selbst über die Frage einer freiwilligen Mitwirkung bei einer Speichelprobe zu befinden: Er hat seine aktive Bereitschaft dazu zweimal gegenüber der Polizei erklärt.

c) Diese Besonderheiten rechtfertigen jedoch keine Abweichung von der bisherigen Spruchpraxis zur indiziell belastenden Verwertung prozessualen Verhaltens eines Beschuldigten. Im Vordergrund stand hier - wie der Senat dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnimmt - die tatsächliche Weigerung des Angeklagten, aktiv an der Speichelprobe mitzuwirken. Daß er zuvor - dem entgegenstehend - seine Bereitschaft dazu bekundet hatte, ändert nichts daran , daß er durch sein Verhalten letztlich die freiwillige Teilnahme konkludent abgelehnt hat. Hinzu kommt, daß das Landgericht ihm indiziell nicht nur das Hinauszögern der Probe angelastet hat. Es hat weiter ausgeführt, daß er die Probe doch - wenn er "reinen Gewissens" gewesen sei - zu seiner Entlastung schon früher hätte abgeben können, da er gewußt habe, daß es um den Verdacht eines schweren Verbrechens gehe. Daß er dies jedoch nicht getan hat, war ihm prozeßrechtlich möglich. Er war zur aktiven Teilnahme an der Sachverhaltsaufklärung insoweit nicht verpflichtet. Die Erwägung des Landgericht läuft deshalb darauf hinaus, dem Angeklagten als Hinweis auf seine Täterschaft entgegenzuhalten, daß er nicht aktiv an dem Versuch des Nachweises seiner Unschuld mitgewirkt hat. Dazu ist ein Beschuldigter indessen nicht verpflichtet. Deshalb darf grundsätzlich nicht einmal der späte Zeitpunkt einer Beweisantragstellung für einen Entlastungsbeweis als Beweisanzeichen für seine Schuld gewertet werden (vgl. BGHSt 45, 367). Anderes kann allerdings nach Auffassung des Senats dann gelten, wenn sich der Beschuldigte der Anordnung einer Speichelprobe nach §§ 81a, 81e StPO - durch ein anordnungsbefugtes Organ - entzieht. Schließlich liegt hier auch keiner derjenigen Fälle vor, in denen das Prozeßverhalten in einem engen und einer isolierten Bewertung unzugänglichen Sachzusammenhang mit dem Inhalt der Einlassung steht und schon deshalb einer Würdigung im Zusammenhang mit den entsprechenden Angaben unter-
zogen werden muß (siehe dazu BGHSt 45, 367, 369 f.; vgl. auch BGHSt 20, 298, 301). Die Einlassung des Angeklagten auch mit ihren Alibibehauptungen war grundsätzlich unabhängig davon zu würdigen, wie es mit seiner Bereitschaft zur freiwilligen Mitwirkung an einem DNA-Test bestellt war.
d) Nach allem ergibt sich, daß hier der praktischen Verweigerung der aktiven Mitwirkung bei einer Speichelprobe mit der vom Landgericht gegebenen Begründung ("reines Gewissen") keine der Verurteilung des Angeklagten dienende Beweisbedeutung beigemessen werden durfte. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (NJW 1996, 3071, 3072) den Verstoß einer solchen Erwägung gegen rechtsstaatliche Grundsätze für die Begründung eines Tatverdachts und der Beschuldigten-Stellung angenommen; für die Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts aber kann nichts anderes gelten. Ob es hingegen im Ermittlungsverfahren einen Tatverdacht im Sinne der Anordnungsvoraussetzungen für die Entnahme einer Speichelprobe verstärken kann, wenn aus einer Menge nach abstrakten Grundsätzen Tatverdächtiger (z.B. die männliche Bevölkerung eines Dorfes zwischen 14 und 45 Jahren) sich ein kleiner Teil zu einer freiwilligen Speichelprobe nicht bereit erklärt, ist eine Frage des Einzelfalles. Wenn andere verdachtsbegründende Kriterien angeführt werden können und sich der Kreis der grundsätzlich Verdächtigen durch die Abgabe einer Vielzahl freiwilliger Speichelproben verdichtet hat, wird auch jemand zur Entnahme einer solchen Probe durch strafprozessuale Anordnung gezwungen werden können, der bis dahin keine abgegeben hat (vgl. BVerfG, Kammer, NJW 1996, 3071).
e) Auf dem Rechtsfehler bei der Beweiswürdigung kann das Urteil beruhen. Das Landgericht hat zwar insbesondere auf die Ergebnisse des DNAGutachtens abgehoben. Diese weisen auf den Angeklagten als Spurenverur-
sacher mit einem Häufigkeitswert von 1 zu 22.000 im Fall 1 und von 1 zu 250 Millionen im Fall 2 hin. Die Beweiswürdigung könnte deshalb auch ohne die rechtsfehlerhafte Erwägung tragfähig gewesen sein (neben dem DNA-Gutachten u.a.: modus operandi, Täterbeschreibungen, Tatorte, Taxi in Tatortnähe). Dessen ungeachtet kann der Senat aber ein Beruhen des Urteils auf der rechtsfehlerhaften Erwägung nicht sicher ausschließen, weil das Landgericht neben anderen Umständen ausdrücklich als "weiteres Indiz für die Täterschaft des Angeklagten" nicht nur das sechsmonatige Hinauszögern der angekündigten Abgabe der Speichelprobe anführt, sondern darauf abhebt, daß der Angeklagte "bei reinem Gewissen" den Vorwurf eines schweren Verbrechens umgehend hätte ausräumen können (UA S. 16). Das spricht dafür, daß es meinte, sich für seine Überzeugungsbildung auch hierauf stützen zu müssen. Dies zwingt zur Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten in beiden Fällen. 2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die auch allgemein erhobene Sachrüge hin deckt weitere rechtliche Mängel auf:
a) Die Strafkammer hat bei der Beweiswürdigung zum Fall 1 im Rahmen einer Gesamtschau aller Indizien unter anderem in dem vom Angeklagten vor der Kriminalpolizei nur sechs Tage nach der ersten Tat vorgebrachten "falschen Alibi" einen belastenden Umstand gesehen (UA S. 13). Das begegnet hier rechtlichen Bedenken, die im Ergebnis jedoch dahingestellt bleiben können. Der Angeklagte hatte vor der Polizei zunächst behauptet, zur Tatzeit als Taxifahrer mit einem vom Flughafen Stuttgart abgeholten Gast unterwegs gewesen zu sein. Als dies widerlegt werden konnte, hat er in der Hauptverhand-
lung erklärt, er sei - wohl hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs - einem Irrtum unterlegen (UA S. 8). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein objektiv widerlegtes, aber auch ein nachweislich erlogenes Alibi für sich allein und ohne Rücksicht auf Gründe und Begleitumstände seines Vorbringens nicht als Beweisanzeichen für die Überführung des Angeklagten gewürdigt werden. Auch ein Unschuldiger kann meinen, seine Aussichten auf einen Freispruch seien besser, wenn er nicht nur auf die Wahrheit setze, sondern überdies versuche , auf ein unwahres, konstruiertes Alibi zu bauen, also mit dem Mittel der Lüge ein übriges tun zu sollen, um seinen Freispruch gleichsam abzusichern. Ebensowenig ist der lediglich gescheiterte Alibibeweis - bei dem die Lüge nicht erwiesen ist - für sich allein ein Beweisanzeichen für die Täterschaft. Der Angeklagte ist nicht gehalten, sein Alibi zu beweisen. Daß er dies versucht hat, wenn auch im Ergebnis erfolglos, darf ihm nicht ohne weiteres zum Nachteil gereichen. Freilich muß ein widerlegtes Alibi deshalb bei der Beweisführung nicht stets außer Betracht bleiben. Treten besondere Umstände hinzu, so darf berücksichtigt werden, daß der Angeklagte sich bewußt wahrheitswidrig auf ein Alibi berufen hat (vgl. zu alldem BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 11, 30). Die Gründe und Begleitumstände der Alibibehauptung sind dabei zu bewerten (BGHSt 41, 153; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 30; BGH StV 1982, 158). Will der Tatrichter eine erlogene Entlastungsbehauptung als zusätzliches Belastungsanzeichen werten, so muß er sich bewußt sein, daß eine wissentlich falsche Einlassung hierzu ihren Grund nicht darin haben muß, daß der Angeklagte die Tat begangen hat, vielmehr auch eine andere Erklärung finden kann. Deshalb hat er in solchen Fällen darzutun, daß eine andere, nicht
auf die Täterschaft hindeutende Erklärung im konkreten Fall nicht in Betracht kommt oder - obgleich denkbar - nach den Umständen jedenfalls so fernliegt, daß sie ausscheidet (BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 13). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht uneingeschränkt gerecht. Es hat nicht ausdrücklich klargestellt, ob es von einem erlogenen oder nur von einem schlicht widerlegten Alibi ausgeht. Der Angeklagte hat sich im Blick auf seine zeitliche Angabe bei der polizeilichen Vernehmung später auf einen Irrtum berufen. Hiermit hat sich das Landgericht nicht näher auseinandergesetzt und dem Angeklagten ohne weiteres das "falsche Alibi" als Indiz für seine Täterschaft im Fall 1 entgegengehalten. Das wäre allenfalls dann rechtlich hinnehmbar, wenn man dem Urteil noch entnehmen könnte, daß das Landgericht meinte, auch einen Irrtum des Angeklagten ausschließen zu können und sich die dafür erforderliche Begründung in noch tragfähiger Weise aus dem Urteilszusammenhang ergäbe.
b) Das Landgericht hat weiter im Fall 1 der Urteilsgründe die Konkurrenzverhältnisse nicht in jeder Hinsicht zutreffend gewürdigt: Es hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und versuchter Nötigung schuldig gesprochen und ist damit daran vorbeigegangen, daß der Bedrohungstatbestand (§ 241 Abs. 1 StGB) hinter denjenigen der Nötigung zurücktritt, wenn, wie hier, die Bedrohung sich als Teil der Nötigung erweist. Das gilt auch für den Fall des bloßen Nötigungsversuchs (BGHR StGB § 240 Abs. 3 Konkurrenzen 2; BGH bei Holtz MDR 1979, 280 f.; vgl. Träger/ Schluckebier in LK 11. Aufl. § 241 Rdn. 27 m.w.N.). II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Fall 2 der Ur- teilsgründe (Tat zum Nachteil D. P. ) sowie den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkt. Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin, daß die Beweiswürdigung des Landgerichts einen durchgreifenden rechtlichen Mangel ausweist. Die Würdigung des festgestellten Sachverhalts ist zudem in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht nicht erschöpfend. 1. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Landgericht bei seiner rechtlichen Würdigung nicht bedacht, daß der Angeklagte bei der Tat ein Mittel bei sich geführt hat, um den Widerstand der Geschädigten durch Gewalt zu verhindern und zu überwinden (§ 177 Abs. 3 Nr. 2, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB). Diese Voraussetzung ist schon dadurch erfüllt, daß der Angeklagte eine Paketschnur mitführte, die er zur Fesselung seines Opfers einsetzte , und überdies ein von ihm mitgebrachtes Tuch zur Knebelung der Geschädigten verwandte (UA S. 6). 2. Mit Erfolg wendet sich die Beschwerdeführerin auch gegen die Würdigung des Landgerichts, der vom Angeklagten eingesetzte nicht näher identifizierbare spitze Gegenstand könne nicht als "gefährliches Werkzeug" im Sinne des Gesetzes gewertet werden (UA S. 18; vgl. § 177 Abs. 4 Nr. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Die Beweiswürdigung hierzu ist unklar und lückenhaft. Die Kammer hat festgestellt, der Angeklagte habe der Zeugin P. mit dem spitzen Gegenstand mehrmals "in ihre rechte Gesäßhälfte" gestochen (UA S. 6), hat dann aber bei der Darstellung der von der Zeugin erlittenen Verletzungen kein dementsprechendes Verletzungsbild angeführt: Stichverletzungen am Gesäß der Zeugin sind nicht festgestellt (UA S. 7). Damit bleibt offen , ob durch diese Stiche Verletzungen bewirkt worden sind. Deren Vorliegen
könnte dafür sprechen, daß der nicht identifizierte Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall ("verwendungsspezifisch") geeignet war, erhebliche Körperverletzungen zu bewirken. Auch hat der Angeklagte mit einem nicht näher bekannten scharfen Gegenstand den Slip der Zeugin "durchtrennt" (UA S. 6). Sollte dies nicht nur ein "Durchreißen" gewesen sein, könnte das für einen der objektiven Beschaffenheit nach sehr wohl zu erheblichen Körperverletzungen geeigneten Gegenstand sprechen, der als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren sein könnte, wenn er auch als Drohmittel gegenüber der Zeugin verwendet worden wäre und es sich nicht etwa - was eher fernliegen dürfte - um einen anderen als den gegen die Zeugin eingesetzten Gegenstand gehandelt hätte. Mit diesen Umständen hätte sich die Kammer in ihrer Würdigung auseinandersetzen müssen, bevor sie sich auf die Nichterweislichkeit der Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs zurückzog. 3. Darüber hinaus hätte die Strafkammer prüfen müssen, ob die vom Angeklagten zur Fesselung des Opfers verwendete Paketschnur hier ebenfalls als gefährliches Werkzeug im Sinne der Qualifiktationstatbestände gemäß § 177 Abs. 4 Nr. 1; § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu bewerten war. Zwar ist eine Paketschnur für sich gesehen und generell kein gefährliches Werkzeug. Ihre Gefährlichkeit kann sich aber aus der tatsächlichen, konkreten Verwendung ergeben. Gerade für Fesselungsmittel hat der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt auf die Bedeutung der Art ihrer Verwendung hingewiesen (vgl. nur Senat, Beschl. vom 3. April 2002 - 1 ARs 5/02 - in: NStZ-RR 2002, 265 = StraFo 2002, 239, m.w. RsprN). Wird jemand nur mit Klebeband ohne weitere Folgen an einen Stuhl gefesselt oder werden ihm die Hände mit Kabelbinder zusammengebunden, wird die Benutzung des Fesselungsmittels konkret kaum geeignet sein, erhebliche Verletzungen zu bewirken (vgl. BGH StV 1999,
91; Beschl. vom 12. Januar 1999 - 4 StR 688/98). Hier indessen verwandte der Angeklagte die Schnur zu einer besonderen Art der Fesselung seines Opfers. Er fesselte diesem nicht nur die Hände auf dem Rücken und die Füße, sondern führte die Schnur auch um den Hals und verband sie mit der übrigen Fesselung. Im Ergebnis führte das zu einer ca. 1 cm breiten "Strangulationswunde" am Hals, die bis zu beiden Halsseiten reichte (UA S. 7). Dies deutet darauf hin, daß die besondere Art der Verwendung der Paketschnur diese dazu geeignet erscheinen ließ, auch eine erhebliche Körperverletzung zu bewirken. Sie wäre dann als "gefährliches Werkzeug" im Sinne der genannten Tatbestände verwendet worden. 4. Weiter hätte sich der Tatrichter damit befassen müssen, ob im Blick auf die Strangulationswirkung der Fesselung eine gefährliche Körperverletzung anzunehmen ist. In Betracht kommt die Tatbegehung mittels eines gefährlichen Werkzeuges (siehe oben, § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), möglicherweise aber auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB). In subjektiver Hinsicht könnte ein wenigstens bedingter Vorsatz des Angeklagten insoweit selbst dann zu bejahen sein, wenn die Strangulationswunde letztlich erst dadurch bewirkt worden wäre, daß sich die Geschädigte "in gefesseltem Zustand hüpfend zu ca. 50 m entfernten Häusern bewegte" (UA S. 7), wo sie von ihrer Fesselung befreit wurde. Da der Angeklagte sie in besonderer Weise gefesselt 50 m abseits des Weges auf einer Streuobstwiese zurückgelassen hatte (vgl. UA S. 5) und die Tat im Winter um 6.35 Uhr begangen wurde, mußte er wohl auch damit rechnen, daß die Geschädigte in der festgestellten Weise ihre Befreiung suchen und sich die Fesselung strangulierend auswirken könnte, wenn nicht schon das Anbringen der Fesseln selbst die beschriebenen Halsverletzungen verursacht haben sollte.
5. Die aufgeführten, für durchgreifend erachteten rechtlichen Mängel erfassen im Fall 2 der Urteilsgründe auch den Schuldspruch. Dieser kann keinen Bestand haben. Das führt zum Fortfall der - ohnehin niedrigen - Einzelstrafe und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe. III. Hinweise: Der neue Tatrichter wird folgendes zu bedenken haben: 1. Die bisherige Würdigung der Strafkammer zum Fall 1 der Urteilsgründe erweist sich in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht deshalb als lückenhaft, weil die Kammer lediglich annimmt, Nötigungsziel des Angeklagten sei es gewesen , die Geschädigte "an einen anderen Ort zu bringen" (UA S. 5). Sie setzt sich nicht damit auseinander, ob der Täter auch sexuelle Ziele verfolgte. Das lag hier angesichts des Tatbildes und des Zusammenhangs zwischen den beiden Taten bei lebensnaher Betrachtung nahe. Dadurch ist der Angeklagte zwar nicht beschwert und die Staatsanwaltschaft hat dies nicht angegriffen. Der neue Tatrichter ist aber durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, den Schuldspruch dennoch zu verschärfen, wenn er aufgrund neuer Bewertung wiederum die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewinnen sollte, die eigentliche Zielsetzung des Täters näher festzustellen vermag und diese im Sexuellen gründen sollte. Das Verschlechterungsverbot gilt im Grundsatz nur hinsichtlich der Art und der Höhe der Rechtsfolgen der Tat (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die wegen des Falles 1 verhängte Einzelstrafe dürfte indes nicht erhöht werden, weil insoweit lediglich auf die Revision des Angeklagten hin neu zu befinden sein würde. 2. Der neue Tatrichter wäre schließlich von Rechts wegen nicht gehindert , die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB zu prüfen (vgl. § 358
Abs. 2 Satz 2 StPO), wenn sich - abweichend vom angefochtenen Urteil - die Voraussetzungen des § 21 StGB sicher feststellen ließen. Dafür bietet sich allerdings auf der Grundlage des vorliegenden Urteils kein Anhalt. Der Senat schließt angesichts der Tatabläufe aus, daß Schuldunfähigkeit in Betracht kommen könnte. Da das angefochtene Urteil im Fall 2 und im Ausspruch über die Gesamtstrafe auch auf die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hin aufgehoben wird, kann sich gar eine Lage ergeben , in welcher der neue Tatrichter die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu prüfen haben könnte (vgl. § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB). Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit Elf

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 326/04
vom
25. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25.
November 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 5. April 2004 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Geiselnahme zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Sie beanstandet die Verurteilung des Angeklagten wegen einer zu ihrem Nachteil begangenen gefährlichen Körperverletzung und erstrebt insoweit eine Verurteilung wegen versuchten Mordes in zwei Fällen.
Das entgegen dem auf Aufhebung des gesamten Urteils gerichteten Revisionsantrag nach der Revisionsbegründung auf die Anfechtung der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung beschränkte (vgl. BGHR StPO § 344
Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 5. Aufl. § 344 Rdn. 5 m.w.N.) und demgemäß zulässige Rechtsmittel (§ 400 Abs. 1 StPO) hat Erfolg.

I.


1. Der Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Der Angeklagte wollte mit Hilfe des Zeugen R. seine persönlichen Sachen aus der Wohnung der Nebenklägerin, seiner früheren Lebensgefährtin , holen. Hierbei kam es zum Streit mit der Nebenklägerin. Als sie erklärte , sie habe eine sexuelle Beziehung zu einem anderen Mann, wurde der Angeklagte "ausbruchartig zunehmend aggressiver". Er zerstörte Einrichtungsgegenstände und bedrohte die Nebenklägerin mit einem Messer. Nach einer Rangelei mit dem Zeugen R. , der versuchte, den Angeklagten zurückzuhalten , verfolgte der Angeklagte die in das Schlafzimmer geflüchtete Nebenklägerin. Dort würgte er sie „mindestens 6 oder 7 Sekunden“ lang, um sie zu töten. Der Zeuge R. riß den Angeklagten schließlich von der Nebenklägerin weg.
Nachdem der Zeuge den Angeklagten von der Nebenklägerin getrennt hatte, machte der Angeklagte den Festnetzanschluß der Nebenklägerin unbrauchbar , nahm das Mobiltelefon an sich, um zu verhindern, daß die Nebenklägerin die Polizei anrief, und verließ mit dem Zeugen R. die im 7. Stockwerk des Hauses gelegene Wohnung. Im Hausflur kniete der Angeklagte einige Minuten zusammengekauert und weinend auf dem Boden. Der ZeugeR. und der Angeklagte fuhren dann mit dem Fahrstuhl ins Erd-
geschoß. Dort erklärte der Angeklagte dem Zeugen, er brauche seine Ruhe und wolle für sich allein sein.
Sodann ging der Angeklagte in den Keller des Hauses, holte aus einem Kellerraum ein Messer mit 20 cm Klingenlänge, fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf in den 7. Stock und trat die Tür zur Wohnung der Nebenklägerin ein. Die Nebenklägerin war inzwischen in eine ein Halbgeschoß tiefer gelegene Wohnung geflüchtet und hatte mit der Mutter des Angeklagten und der Polizei telefoniert. Der Angeklagte, der möglicherweise im Flur die Stimme der Nebenklägerin gehört hatte, drang in die Wohnung ein und griff die Nebenklägerin - "immer noch" in Tötungsabsicht - mit dem Messer an. Er versetzte ihr einen mehrere Zentimeter tiefen Stich in den linken Brustkorb, der die Lunge verletzte und zu starken inneren Blutungen führte. Der Angeklagte entriß der Nebenklägerin den gemeinsamen Sohn Leon, den diese noch auf ihrem rechten Arm trug, warf ihn auf ein Sofa und versetzte der Nebenklägerin einen Stich in die linke Unterbauchseite , der zu einer 5 bis 6 cm großen äußeren Verletzung und einer zweifachen Durchtrennung des Dünndarms führte. Ohne notärztliche Versorgung wäre die Nebenklägerin binnen weniger Stunden an den Folgen der beiden Stichverletzungen durch Verbluten verstorben.
Dem Zeugen R. , der dem Angeklagten nachgeeilt war, gelang es, diesen nach einem Gerangel, in dessen Verlauf die Nebenklägerin weitere, geringfügigere Verletzungen erlitt, vorübergehend zu Boden zu bringen. Die Nebenklägerin flüchtete aus der Wohnung, ging über die Treppe zwei Stockwerke tiefer. Dort setzte sie sich, durch die Verletzungen geschwächt, zu Boden und bat eine vorbeikommende Hausbewohnerin um Hilfe. Als der Angeklagte , der sich inzwischen von dem Zeugen R. hatte losreißen können,
mit dem Messer in der Hand hinzukam, bat die Nebenklägerin ihn flehentlich, er möge doch endlich aufhören, es sei genug. Dabei zeigte sie ihm ihre Bauchwunde , aus der Darmschlingen hervorquollen. Der Angeklagte gab nunmehr sein Vorhaben, die Nebenklägerin zu töten, auf, flüchtete mit seinem Sohn Leon , den er der Nebenklägerin entriß, in das 7. Stockwerk, von dort auf das vor dem Haus stehende Baugerüst und drohte, mit seinem Sohn hinunterzuspringen , falls die Polizei eingreife.
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte durch die mit Tötungsvorsatz ausgeführten Verletzungshandlungen einer „tateinheitlich begangenen“ gefährlichen Körperverletzung (§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB) schuldig gemacht. Zwar liege ein „deutlicher zeitlicher Abstand“ zwischen dem Würgen und dem Messerangriff auf die Nebenklägerin. Es sei aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, daß der Angeklagte den einmal gefaßten Tötungsvorsatz zwischenzeitlich aufgegeben und einen neuen Tatentschluß für den Angriff mit dem Messer gefasst habe. Da der Angeklagte sich schließlich entfernt habe, obwohl es für ihn ein leichtes gewesen sei, weitere Verletzungshandlungen mit Tötungsvorsatz auszuführen, sei er mit strafbefreiender Wirkung von dem versuchten Totschlag zurückgetreten. Zu seinen Gunsten sei von einem unbeendeten Versuch auszugehen, weil nicht aufklärbar sei, ob der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt habe erkennen können, daß er zur Vollendung der Tat alles Erforderliche getan hatte, mithin die Verletzungen der Nebenklägerin "sicher zum Tode geführt hätten".

II.


Sowohl die Annahme nur einer Tat im Rechtssinne zum Nachteil der Nebenklägerin als auch die Annahme eines unbeendeten Totschlagsversuchs begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Daß der Angeklagte seinen einmal gefaßten Tötungsvorsatz während des mehraktigen Tatgeschehens nicht aufgegeben hat, vermag auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Annahme nur einer Tat im Rechtssinne nicht zu rechtfertigen.

a) Eine natürliche Handlungseinheit und damit eine Tat im materiellrechtlichen Sinne liegt bei einer Mehrheit gleichartiger strafrechtlich erheblicher Verhaltensweisen nach der Rechtsprechung vielmehr nur dann vor, wenn die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element verbunden sind und zwischen ihnen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, daß das gesamte Handeln des Täters objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint (vgl. BGHSt 41, 368; BGHSt 43, 381, 387; BGH NStE Nr. 39 zu § 24 StGB, jeweils m. w. N.). Auch für die Beurteilung einzelner Versuchshandlungen als eine natürliche Handlungseinheit ist eine solche Gesamtbetrachtung vorzunehmen (st. Rspr., vgl. BGHSt 40, 75, 76). Dabei begründet der Wechsel eines Angriffsmittels nicht ohne weiteres eine die Annahme einer Handlungseinheit ausschließende Zäsur (vgl. BGHSt 40, 75, 77; 41, 368, 369). Eine tatbestandliche Handlungseinheit endet jedoch mit dem Fehlschlagen des Versuchs (vgl. BGHSt 41, 268, 269; 44, 91, 94). Ein solcher Fehlschlag, der nach der Rechtsprechung einen Rücktritt aussschließt (vgl. BGHSt 34, 53, 56; 35, 90, 94; 39, 221, 228), liegt vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden Mitteln nicht mehr ohne zeitliche Zäsur
vollenden kann (vgl. BGHSt 39, 221, 228; BGHSt 41, 368, 369; BGH NStZ-RR 2002, 168), so daß ein erneutes Ansetzen notwendig ist, um zu dem gewünschten Ziel zu gelangen (vgl. BGHSt 39, 221, 232; 41, 368, 369).

b) Nach diesen Grundsätzen legen die bisherigen Feststellungen - unbeschadet des fortbestehenden Tötungsvorsatzes - die Annahme zweier Taten im Rechtssinne nahe, durch die sich der Angeklagte jeweils des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gemacht hat:
Objektiv hat der Geschehensablauf durch das massive Eingreifen des Zeugen R. , das schließlich zur Beendigung des für die Nebenklägerin lebensgefährdenden Würgens und dazu führte, daß der Angeklagte die Wohnung der Nebenklägerin mit dem Zeugen verließ, eine Zäsur erfahren. War der Angeklagte durch das Eingreifen des Zeugen gehindert, die Nebenklägerin weiter zu würgen oder den angestrebten Taterfolg ohne zeitliche Zäsur mit anderen bereitstehenden Mitteln - etwa dem zuvor zur Drohung eingesetzten Messer - herbeizuführen, so war der Versuch, die Nebenklägerin in deren Wohnung zu töten, fehlgeschlagen. War der Versuch, die Nebenklägerin durch Würgen zu töten, fehlgeschlagen, kommt ein strafbefreiender Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 StGB nur hinsichtlich des zweiten, mittels eines Messers begangenen Totschlagsversuchs in Betracht.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht insoweit die Annahme eines unbeendeten, durch bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung rücktrittsfähigen Versuchs im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB begründet
hat, beruhen jedoch auf einem unzutreffenden Ansatz zur Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch.
Ein beendeter Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 StGB, der für die Straffreiheit Gegenmaßnahmen des Täters zur Erfolgsabwendung verlangt , liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht erst bei Kenntnis vom sicheren Todesverlauf (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 4), sondern schon dann vor, wenn der Täter die naheliegende Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt, selbst wenn er ihn nunmehr weder will noch billigt (BGHSt 31, 170, 177; 33, 295, 300). Die Kenntnis der tatsächlichen Umstände , die den Erfolgseintritt nach der Lebenserfahrung nahe legen, reicht aus. Sie liegt bei gefährlichen Gewalthandlungen und schweren Verletzungen, insbesondere bei tief in den Brust- oder Bauchraum eingedrungenen Messerstichen , deren Wirkungen der Täter, wie hier, wahrgenommen hat, auf der Hand (BGHSt 39, 221, 231 m.w.N.; vgl. auch BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 8; BGHR aaO Versuch, unbeendeter 13; BGH NStZ 1993, 279 f.; BGH, Urt. vom 2. Juli 1997 - 2 StR 248/97). Dies gilt auch dann, wenn der Täter bei unverändert fortbestehender Handlungsmöglichkeit mit einem tödlichen Ausgang zunächst noch nicht gerechnet hat, unmittelbar darauf jedoch erkennt, daß er sich insoweit geirrt hat (BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12). Unbeachtlich ist deshalb, ob der Angeklagte, weil die Nebenklägerin flüchten konnte, zunächst weitere Verletzungshandlungen für erforderlich gehalten hat und er eine umfassende Kenntnis der Umstände, die nach der Lebenserfahrung den Erfolgseintritt nahe legen, erst erlangte, als ihm die nunmehr am Boden sitzende Nebenklägerin ihre Bauchverletzung zeigte, aus der Darmschlingen hervorquollen.
Ein beendeter Versuch wäre im übrigen auch dann anzunehmen, wenn sich der Angeklagte bei Aufgabe der weiteren Tatausführung keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns gemacht hätte (vgl. BGHSt 40, 304, 306). Auch hiermit hätte sich das Landgericht vor einer Anwendung des Zweifelssatzes auseinandersetzen müssen, denn dieser greift erst nach abgeschlossener Würdigung aller Umstände ein (vgl. BGH, Urt. vom 2. Februar 1997- 2 StR 248/97).
3. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung hat daher keinen Bestand. Die insoweit gebotene Aufhebung des Urteils hat die Aufhebung auch des Ausspruchs über die Gesamtstrafe zur Folge.
Da die Sache in diesem Umfang neu zu verhandeln und entscheiden ist, bedürfen die weiteren von der Revision gegen das Urteil erhobenen Einwendungen keiner Erörterung, zumal die Ausführungen der Revision zu den Mordmerkmalen der Heimtücke, der Mordlust und der Grausamkeit in den Urteilsgründen keine Stütze finden und nach den bisherigen Feststellungen die Annahme niedriger Beweggründe fern liegt.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 639/99
vom
9. Februar 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers gemäß §§ 349 Abs. 2 und 4, 354
Abs. 1 StPO am 9. Februar 2000 einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. September 1999 im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte tateinheitlich mit dem versuchten Totschlag nicht der Bedrohung, sondern der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit Bedrohung (Fall N.), wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (Fall M.) sowie wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten führt zu der aus der Beschlußformel ersichtlichen Ä nderung des Schuldspruchs im Fall N.; im übrigen ist sie offensichtlich unbegründet. 1. Der Angeklagte stach nachts auf der Straße mit einem Messer mit mäßiger Wucht auf seine frühere Verlobte N. ein und rief dabei: ”Ich mach‘
Dich kalt!”. Er nahm billigend in Kauf, daß er Frau N. hätte töten können. Aufgrund einer kurzen Unachtsamkeit des Angeklagten konnte sich Frau N. nach dem Stich losreißen und fliehen. Sie erlitt am Hals eine bis zu zwei Zentimeter tiefe Schnittwunde in der Nähe der Halsschlagader. 2. a) Bei diesem Tathergang hat der Schuldspruch wegen Bedrohung (tateinheitlich begangen mit versuchtem Totschlag) keinen Bestand. Der versuchte Totschlag und die Bedrohung stehen nicht im Verhältnis der Tateinheit, vielmehr besteht Gesetzeskonkurrenz. Trifft die Bedrohung - wie im vorliegenden Fall - zeitlich unmittelbar mit dem Versuch oder der Vollendung des angedrohten Verbrechens zusammen, tritt die Bedrohung hinter dem angedrohten Verbrechen zurück (vgl. BGH GA 1977, 306; NStZ 1984, 454; bei Miebach NStZ 1994, 225; bei Holtz MDR 1979, 281; Schäfer in LK 10. Aufl. § 241 Rdn. 14; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 241 Rdn. 16 jeweils m.w.N.).
b) Der Angeklagte hat jedoch stattdessen tateinheitlich mit dem versuchten Totschlag eine gefährliche Körperverletzung (mittels eines gefährlichen Werkzeugs und einer das Leben gefährdenden Behandlung) begangen (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB). Die mit dem versuchten Totschlag zusammentreffende Körperverletzung tritt nicht zurück, sondern steht dazu in Tateinheit (BGHSt 44, 196 unter Aufgabe von BGHSt 16, 122; 21, 265; 22, 248). Der Schuldspruch ist daher um den Vorwurf der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung zu ergänzen. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte bei einem vorherigen Hinweis nicht erfolgreicher hätte verteidigen können. 3. Im Fall M. hat der Schuldspruch wegen Bedrohung (in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung) dagegen Bestand, weil der Ange-
klagte hier nicht mit der Begehung des angedrohten Verbrechens, sondern (lediglich ) eines Vergehens begonnen hat. 4. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben, weil auszuschließen ist, daß das Landgericht auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs eine geringere Einzel- und Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Jähnke Niemöller Bode Otten Rothfuß