Bundesgerichtshof Urteil, 27. März 2019 - 2 StR 382/18

bei uns veröffentlicht am27.03.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 382/18
vom
27. März 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:270319U2STR382.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. März 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Prof. Dr. Eschelbach, Meyberg, Schmidt,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 2. Februar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tathergang. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung , wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, die den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg erzielt; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Am 5. Dezember 2016 (Fälle 1 und 2 der Urteilsgründe) hielt sich der Angeklagte, der stark alkoholisiert und in aggressiver Stimmung war, sichtlich torkelte und unverständlich vor sich hinsprach, an einer Bushaltstelle in B. auf. Er stellte sich vor zwei dort wartende Frauen und pöbelte diese an. Ein Passant forderte den Angeklagten auf, die Frauen in Ruhe zu lassen, und wandte sich sodann zum Gehen. Der Angeklagte rannte plötzlich von hinten auf diesen zu und trat ihn gegen die Beine, so dass er zu Boden fiel und eine Nasenbeinprellung , eine Prellung beider Hände und multiple Abschürfungen erlitt. Gegenüber den alarmierten und am Tatort eintreffenden Polizeibeamten äußerte sich der Angeklagte beleidigend und drohte, diese mit einer Kalaschnikow zu erschießen.
4
2. Im März 2013 war die Unterbringung des Angeklagten, der wegen aufgehobener Steuerungsfähigkeit vom Vorwurf eines versuchten Totschlags freigesprochen worden war, in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden. Aus dieser war der Angeklagte im März 2015 entlassen worden und wohnte zunächst in einer betreuten Wohngemeinschaft. Im Jahr 2016 kam es zu einem erneuten Rückfall in die Alkoholsucht. Sein Wunsch, deswegen in die Klinik zurückzugehen , wurde abgelehnt und er kam schließlich in einem Männerwohnheim in F. unter, in dem er seit Ende Januar 2017 ein Zimmer zusammen mit dem späteren Tatopfer G. belegte.
5
Am 8. Februar 2017 (Fall 3 der Urteilsgründe) kam es dort um 17.50 Uhr zu einer ersten Auseinandersetzung zwischen dem zu dieser Zeit wie gewöhnlich stark alkoholisierten G. und dem Angeklagten, die vom Zeugen J. geschlichtet werden konnte, der dem weniger alkoholisiert wirkenden An- geklagten vorschlug, spazieren zu gehen. Gegen 21.00 Uhr kehrte der Angeklagte in sein Zimmer zurück. Als G. in das Waschbecken urinierte, brachte der Angeklagte hierüber seine Missbilligung zum Ausdruck, was G. in abfälliger Weise beantwortete. Nachdem sich die Situation zunächst wieder beruhigt hatte, eskalierte wenig später der Streit. G. griff eine 97 cm lange, 2,5 cm durchmessende und ca. 10 kg schwere Eisenstange und versuchte, diese in Richtung des Angeklagten zu schwingen, was ihm aufgrund seiner Alkoholisierung und des Eigengewichts der Eisenstange nicht gelang. Die Stange fiel ihm aus der Hand und zu Boden. Daraufhin hob der Angeklagte die Eisenstange auf und versetzte dem vor seinem Bett stehenden G. unvermittelt einen heftigen Schlag auf dessen Hinterkopf, wodurch der Geschädigte das Bewusstsein verlor und auf das Bett fiel. Sodann versetzte der Angeklagte seinem Tatopfer mindestens sechs weitere heftige, stanzartig geführte Schläge bzw. Stöße auf die rechte Kopf- und Halsseite. Die hierdurch hervorgerufenen Verletzungen führten alsbald zum Tod des Geschädigten, was dem Angeklagten bei Ausführung der Schläge bewusst war und was er zu diesem Zeitpunkt auch wollte. Nach der Tat legte der Angeklagte eine mit leeren Bierdosen gefüllte Plastiktüte um den Kopf des Geschädigten und deckte ihn vollständig mit einer Bettdecke zu. Sodann rief er von seinem Mobiltelefon die Polizei und teilte mit, seinen „Zimmerkumpan“ getötet zu haben. Gegenüber den wenig später eintreffenden Polizeibeamten gab er sich als Anrufer zu erkennen und ließ sich widerstandslos festnehmen. Der Angeklagte hatte im Tatzeitraum eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2,20 Promille.
6
3. Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Taten einzusehen, jeweils erhalten, seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, aber aufgrund seiner Alkoholisierung und einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung in erheblicher Weise eingeschränkt war (§ 21 StGB).

II.

7
Das Urteil hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Gegen die von der Strafkammer vorgenommene Schuldfähigkeitsprüfung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
8
1. Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 2 StR 112/18; BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17 Rn. 7 und vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16; Urteile vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320 Rn. 17 und vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520 Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2018 – 1 StR 457/18; vom 4. April 2018 – 1 StR 116/18 je mwN).
9
2. Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen nicht, mit denen ausgeschlossen wird, dass der Angeklagte an beiden Tattagen ohne Schuld (§ 20 StGB) gehandelt hat.
10
a) Das Landgericht nimmt Bezug auf das Gutachten des Sachverständigen , wonach der Angeklagte sowohl an einem massiven Alkoholabhängigkeitssyndrom (ICD-10: F 10.2) leide, bei dem es sich um eine schwere andere seelische Störung im Sinne des 4. Eingangsmerkmals des § 20 StGB handle, als auch an einer hirnorganischen Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung (ICD 10: F 7.8) in Folge einer Marklagerveränderung, welche dem 1. Eingangsmerkmal des § 20 StGB zuzuordnen sei. Die Unrechtseinsicht des Angeklagten sei aber im Zeitpunkt beider Taten sicher vorhanden gewesen, denn seine Reaktionen seien aus einer Motivlage herleitbar. Auch das Verhalten des Angeklagten nach den Taten zeige, dass er sich des begangenen Unrechts bewusst gewesen sei. Dem schließt sich die Strafkammer an: „Das festgestellte Leistungsverhalten des Angeklagten“ spreche gegen den völligen Verlust der Steuerungsfähigkeit.
11
b) Dies wird den an die Strafkammer gestellten Prüfungsanforderungen nicht gerecht. Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 3 StR 52/06, NStZ-RR 2007, 74). Dem genügt der Hinweis der Strafkammer auf „das festgestellte Leistungsverhalten“ hier nicht.
12
aa) Zu den Taten 1 und 2 der Urteilsgründe hat die Strafkammer festgestellt , der Angeklagte habe eine Blutalkoholkonzentration von 3 Promille aufgewiesen , habe kaum laufen können, sei geschwankt und getorkelt, habe undeut- lich und verwaschen gesprochen, sein Auffassungsvermögen sei „verzögert und sein Verhalten teilnahmslos/ aggressiv/ wechselnd/ euphorisch/ provokativ gewesen“. Wieso dies den von der Strafkammer auch für diese Taten aus dem „Leistungsverhalten“ gezogenen Schluss auf eine erhaltene Schuldfähigkeit tragen kann, hätte jedenfalls näherer Erläuterung bedurft.
13
bb) Hinsichtlich des Tötungsdelikts (Tat 3 der Urteilsgründe) stellt die Strafkammer zwar Umstände fest, die auf eine erhaltene Steuerungsfähigkeit hinweisen können, wie etwa die gewaltfreie Reaktion des Angeklagten auf erste Provokationen des Geschädigten oder das kontrollierte Nachtatverhalten. Auch habe die etwa eineinhalb Stunden nach der Tat durchgeführte Untersuchung des Angeklagten zwar eine deutliche Alkoholbeeinflussung gezeigt, nach dem Gesamteindruck sei der Angeklagte aber voll orientiert gewesen und habe sich an den Vorfall erinnert. Die Strafkammer hat aber nicht erkennbar bedacht, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung auseinanderfallen können – gerade bei Alkoholabhängigen zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene Kompensationsfähigkeit insbeson- dere im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten – und dass bei dem Angeklagten durch das Tatgeschehen und den Anblick des Tatopfers (welches er sodann mit einer Tüte und der Bettdecke bedeckt) eine Ernüchterung eingetreten sein kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Januar 2019 – 1 StR 448/18 und vom 28. Februar 2018 – 4 StR 530/17, NStZ-RR 2018, 136, jeweils mwN).
14
c) Die Erwägungen der Strafkammer zur Schuldfähigkeit des Angeklagten können aber auch deswegen keinen Bestand haben, weil sie es dem Senat nicht ermöglichen nachzuvollziehen, ob und inwieweit sich die seelischen Stö- rungen im Sinne des § 20 StGB auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat ausgewirkt haben. Erforderlich ist insoweit eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit nicht nur auf seine Einsichts- sondern auch auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 594/16, NStZ-RR 2017, 76 mwN). Die Beurteilung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten kann – vonoffenkundigen Ausnahmefällen abgesehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97, NStZ 1997, 485, 486) – nicht abstrakt, sondern nur in Bezug auf eine bestimmte Tat erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 56/15, NJW 2016, 728, 729; Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 54; vom 21. Dezember 2006 – 3 StR 436/06, NStZ-RR 2007, 105, 106; Perron/Weißer in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 20 Rn. 31 mwN).
15
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar wird zu den Auswirkungen der beim Angeklagten diagnostizierten organischenPersönlichkeits- und Verhaltensstörung noch mitgeteilt, dass diese „phasenweise“ auftrete, der Angeklagte hierdurch „emotional instabil und affektlabil“ sei und er in einem Moment lachen und im nächsten „extrem niedergedrückt“ sein könne.Hiervon ausgehend hätte es dann aber insbesondere für das festgestellte Tötungsdelikt (Tat 3 der Urteilsgründe) näherer Erörterung bedurft, inwieweit gleichwohl von einem Verhalten vor oder nach der Tat auf eine im gesamten Verlauf des Tatabends gleichermaßen erhaltene Steuerungsfähigkeit geschlussfolgert werden kann, zumal der Tat unmittelbar ein nunmehr (anders als bei den ersten Provokationen des Geschädigten) gegen die körperliche Integrität des Angeklagten gerichteter Angriffsversuch vorausging, der einen anderen Reizimpuls beim Angeklagten gesetzt haben könnte. Ausführungen hierzu lassen die Urteilsgründe vermissen. So wird auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht erkennbar, welche Bedeutung und welchen Einfluss das diagnostizierte Störungsbild – bei angenommener Einsichtsfähigkeit – auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in den jeweiligen konkreten Tatsituationen gehabt hat.
16
d) Die Urteilsgründe lassen zudem die gebotene tatrichterliche Gesamtbetrachtung vermissen. Haben – wie hier – bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (Senat, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 281/00, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 14; BGH, Beschluss vom 3. September 2004 – 1 StR 359/04, NStZRR 2004, 360; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 20 Rn. 13 mwN).
17
3. Der Schuldspruch kann nach alledem keinen Bestand haben, ebenso wenig die Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/95). Vom Rechtsfehler unberührt sind die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf. Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen sind, können sie bestehen bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 1959 – 4 StR 394/59, BGHSt 14, 30, 34). Franke Appl Eschelbach Meyberg Schmidt

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

7
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319; Beschlüsse vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519; vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16, juris Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts - und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135, 136).

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1 StR 285/16
vom
14. Juli 2016
in der Strafsache
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wegen schwerer Brandstiftung
ECLI:DE:BGH:2016:140716B1STR285.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 14. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 9. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich der bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getretene Angeklagte, der seit dem Jahr 2008 unter Betreuung steht, am 1. Juli 2015 gegen 5.00 Uhr in der von ihm allein bewohnten Mietwohnung im Erdgeschoß eines Mehrfamilienhauses verbarrikadiert , indem er hinter die abgeschlossene Eingangstüre eine Waschmaschine stellte, alle Rollläden vollständig herunterließ und deren Zugbänder durchschnitt. Anschließend legte er Haufen von Kleidern und anderen leicht brennbaren Kleinteilen in verschiedenen Zimmern der Wohnung aus und tränkte diese jeweils mit Brennspiritus. Diese Haufen setzte er dann in Brand, nahm Schlaftabletten sowie eine geringe Menge Wodka ein und begab sich ins Badezimmer. Dort verbarrikadierte er sich ebenfalls, indem er einen Badezimmerschrank hinter die Türe stellte, legte sich in die Badewanne und schnitt sich in Suizidabsicht die Pulsadern auf.
3
Wie vom Angeklagten vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen, griff das Feuer jedenfalls im Wohnzimmer so auf die Bausubstanz über, dass Teile der Tapete und der fest verlegte Teppichboden bereits selbstständig brannten. Das dreistöckige Gebäude, in dem insgesamt vierundzwanzig Personen lebten und durch die Brandlegung erheblich gefährdet waren, geriet letztlich nur deshalb nicht vollständig in Brand, weil eine Nachbarin bereits kurze Zeit später aus dem Rollladenkasten des Angeklagten austretenden Rauch wahrnahm und die Feuerwehr alarmierte, welche den Brand löschen konnte. Die Wohnung des Angeklagten war auf Grund der starken Ruß- und Hitzebildung , welche bereits zum Anschmelzen der Deckenpaneele geführt hatte, unbenutzbar geworden. Es wurde ein Sachschaden von ca. 20.000 Euro verursacht.
4
2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen. Dieser war nach Auswertung der vorhandenen Arztberichte, des im Rahmen des Verfahrens zur Bestellung des Betreuers erstellten Gutachtens sowie dem persönlichen Eindruck in der Hauptverhandlung, jedoch – mangels Einwilligung – ohne Exploration des Angeklagten, zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte im Zustand verminderter Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB gehandelt hat. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit dem Jahr 2000 unter einer nunmehr verfestigten kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und histrionischen Anteilen (UA S. 12). Der Anfang 2015 erforderlich gewordene Umzug der Mutter von der Wohnung in ein Pflegeheim habe noch einmal für eine Verschlimmerung gesorgt, so dass seit diesem Zeitpunkt beim Angeklagten eine kognitive Einengung festzustellen sei, welche diesen in seinem Erleben massiv einschränke. Das Landgericht sieht daher die Voraussetzungen für eine schwere andere seelische Abartigkeit als Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB als gegeben an und führt unter Bezugnahme auf eine schriftliche „Erklärung“ des Angeklagten vom 27. Juni 2015 weiter aus, dass „der Angeklagte auf Grund seiner psychischen Verfassung sich offensichtlich nicht mehr in der Lage sah, seinen Suizid- und Brandlegungsimpuls zu wider- stehen“ (UA S. 13). Auch sei bei der Einlieferung ins Klinikum Augsburg unmit- telbar nach der Tat ein Delir- bzw. Verwirrtheitszustand festgestellt worden (UA S. 8). Im Hinblick auf das über einen längeren Zeitraum geplante und zielgerichtete Vorgehen sowie das situationsspezifische Verhalten des Angeklagten, das sich auch in einem am 30. Juni 2015 verfassten Nachsatz zur „Erklärung“ zeige, schließt das Landgericht aber eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus.

II.


5
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch werden auch die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
6
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat weder die Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen noch ob es eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
7
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens ei- nes der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 f. und vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Das gilt besonders dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2016 – 3 StR 547/15, NStZ-RR 2016, 135 mwN).
8
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht, da das Vorliegen eines Eingangsmerkmals i.S.d. § 20 StGB nicht hinreichend belegt ist.
9
Zwar ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte kombinierte Persönlichkeitsstörung nur dann unter das vierte Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, eingeordnet werden kann, wenn diese nach ihrem Ausprägungsgrad Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit hat, es also im Alltag außerhalb des angeklagten Delikts zu Einschränkungen des beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Mai 2012 – 4 StR 120/12, StraFo 2012, 275 und Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. jeweils mwN). Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen dieses erforderlichen Schweregrades der Persönlichkeitsstörung, die sich im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der Überlegungen des Sachverständigen beschränken, sind aber rechtsfehlerhaft. So wird einerseits aus der schriftlichen Erklärung des Angeklagten abgeleitet, dass dieser bei der Tatbegehung auf Grund seiner psychischen Verfassung bereits nicht mehr in der Lage gewesen sei, seinem Suizidund Brandlegungsimpuls zu widerstehen, wofür auch der durch die behandelnde Ärztin bei der Einlieferung ins Klinikum festgestellte Delir- und Verwirrtheitszustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat spricht. Anderseits soll aber auf Grund der länger dauernden und sorgfältigen Planung der Tat eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen sein. Damit bleibt letztlich unklar, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
10
2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus insgesamt neu verhandelt und entschieden werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen.
11
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen , die den bisherigen nicht widersprechen. Raum Graf Cirener Radtke Bär
7
a) Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Drogen wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl die Voraussetzungen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB als auch – vor allem bei körperlicher Abhängigkeit – jene einer krankhaften seelischen Störung erfüllen (SSW-StGB/Schöch, § 20 Rn. 46; vgl. auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 41). Unabhängig von dieser Einordnung begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. August 2001 – 1 StR 470/00, NJW 2002, 150, 152 mwN). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert war, in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Aus- prägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 281/00, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 14; Beschluss vom 3. September 2004 – 1 StR 359/04, NStZ-RR 2004, 360). Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 3 StR 52/06, NStZ-RR 2007, 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters (BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12, jeweils mwN).

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 457/18
vom
24. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:241018B1STR457.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 24. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 9. Mai 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen der Tat vom 15. Mai 2016 (Ziffer II.1. der Urteilsgründe) freigesprochen wurde, die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben insoweit aufrechterhalten,
b) im Strafausspruch in Bezug auf die Tat vom 27. September 2017 (Ziffer II.2. der Urteilsgründe),
c) soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet wurde. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahl, Nötigung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und ihn hinsichtlich des Tatvorwurfs des versuchten Mordes freigesprochen. Weiter wurde die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 6. September 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte war am Spätnachmittag des 15. Mai 2016 auf einem rund eineinhalb Meter breiten Rad- und Fußweg von G. in Richtung B. unterwegs zu einem Gartengrundstück seiner Familie und führte zwei ineinander gepackte Plastiktüten mit sich, in denen sich u.a. zwei Kunststoffflaschen mit Benzin für einen Rasenmäher befanden. Er hatte zuvor eine halbe Flasche Whisky mit 350 Millilitern getrunken. Auf demselben Weg befand sich auch die 59-jährige Zeugin Go. . Als der Angeklagte die vor ihm gehende Spaziergängerin erblickte, befahlen ihm innere Stimmen, die Frau umzubringen , andernfalls müsse er sterben. Der Angeklagte erkannte zwar, dass er dies nicht tun dürfe, war jedoch von seinen Ängsten so getrieben, dass er keinen anderen Ausweg mehr sah, als dem Befehl nachzukommen. Er beschloss daher, die Zeugin mittels eines mitgeführten kleinen Messers zu töten. Der zunächst hinter der Zeugin gehende Angeklagte überholte diese und bückte sich anschließend mehrere Meter vor ihr zu Boden, um sich – möglicherweise vorgeblich – die Schuhe zu binden. Dazu stellte er die mitgeführten Tüten sichtbar auf den Boden. Der Zeugin kam das Verhalten des Angeklagten zwar seltsam vor, mit einem Angriff auf ihr Leben rechnete sie aber keinesfalls. Da sie sich aber vor dem Angeklagten ängstigte und andere Personen zu diesem Zeitpunkt nicht in Sichtweise waren, beschleunigte die Zeugin ihren Schritt, um eine Abkürzung zu nehmen und möglichst rasch die belebte nahegelegene Bundesstraße zu erreichen. In diesem Moment näherte sich der Angeklagte mit einem kleinen, nicht näher spezifizierten Messer von hinten der Zeugin und griff mit der linken Hand um deren Oberkörper. Gleichzeitig versetzte er unter Ausnutzung des Überraschungseffekts der Zeugin mit der rechten, messerführenden Hand zwei Schnitte, einen schräg rechtsseitig von der Backe in Richtung Hals mit einer Länge von acht Zentimetern und einer Tiefe von rund eineinhalb Zentimetern sowie einen zweiten oberhalb der zentralen Blutgefäße im rechten Halsbereich, vier Zentimeter lang und rund einen halben Zentimeter tief. Er wollte die Zeugin seiner inneren Stimme folgend töten. Der Zeugin gelang es jedoch lautstark um Hilfe zu rufen und den Angeklagten in die Hand zu beißen. Der von der heftigen Gegenwehr überraschte Angeklagte befürchtete daher, dass weitere Personen auf den Vorfall aufmerksam werden könnten und erkannte, dass er seinen Plan zur Tötung nicht weiter ausführen könne, sodass er die Örtlichkeit mit schnellen Schritten verließ.
5
2. Der Angeklagte betrat am 27. September 2017 gegen 6.36 Uhr im Bereich des Bahnhofs Ulm ein Spielcasino, in dem die Zeugin Ba.
Dienst hatte. Der Angeklagte forderte die Zeugin auf, ihm eine Tasse Kaffee gratis auszuschenken, der an der Theke für an Automaten spielende Kunden angeboten wurde. Da der Angeklagte mangels finanzieller Mittel aber nicht zum Spielen in der Lage war, verweigerte dies die Zeugin und forderte ihn zum Verlassen des Casinos auf. Der Angeklagte, der von dieser Art der Zurechtweisung irritiert war, zeigte der Zeugin zweimal den ausgestreckten Mittelfinger, um diese in ihrer Ehre zu kränken. Auf dem Weg in Richtung Ausgang versetzte der Angeklagte der Zeugin einmal in Verletzungsabsicht einen kräftigen Stoß gegen den Oberkörper. Als die Zeugin daraufhin nach dem Angeklagten schlug, schob er diese mit beiden Händen schwungvoll in Richtung eines Wechsel- und Getränkeautomaten, um sie damit zu verletzen. In dem Moment als die Zeugin mit ihrem im Thekenbereich abgelegten Mobiltelefon die Polizei rufen wollte, stieß der Angeklagte in Verletzungsabsicht ein Dekorationsglas in Richtung ihres Kopfes. Die Zeugin konnte diesem ausweichen und wurde nicht getroffen. Es gelang dem Angeklagten aber, der Zeugin das Mobiltelefon zu entreißen. Sie verließ daraufhin die Spielothek, um Hilfe zu holen. Diese Gelegenheit nutzte der Angeklagte aus, um eine im Thekenbereich abgestellte Geldkassette mit 77 Euro Bargeld an sich zu nehmen und das Casino durch einen anderen Ausgang zu verlassen. Das Mobiltelefon der Zeugin ließ er an der Theke zurück.
6
3. Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass beim Angeklagten die Steuerungsfähigkeit bei der ersten Tat aufgehoben, bei der zweiten Tat erheblich eingeschränkt war. Es nimmt an, dass bei dem Angeklagten bei beiden Taten das Eingangsmerkmal des Schwachsinns vorlag, bei der ersten Tat zusätzlich auch eine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB.

II.


7
Die erhobenen Verfahrensrügen haben aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 6. September 2018 näher dargelegten Gründen keinen Erfolg.

III.


8
Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge teilweise Erfolg. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch wird auch die Erforderlichkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
9
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat keine Nachprüfung, ob es zu Recht einen Ausschluss der Schuldfähigkeit bei der Tat 1 vom 15. Mai 2016 (Ziffer II.1. der Urteilsgründe) und eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bei der Tat 2 vom 27. September 2017 (Ziffer II.2. der Urteilsgründe) angenommen hat.
10
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Beschlüsse vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17 Rn. 7 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2018, 238] und vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16; Urteile vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319, 3320 Rn. 17 und vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519, 520 Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146 und vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135). Wenn sich das Landgericht – wie hier – darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 mwN).
11
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nur teilweise gerecht.
12
aa) Die Urteilsgründe teilen zunächst das Ergebnis der medizinischen Diagnose des psychiatrischen Sachverständigen mit. Danach bestehte bei dem Angeklagten eine leichte Intelligenzminderung mit Verhaltensauffälligkeiten, wobei im Rahmen von Intelligenztests ein Intelligenzquotient zwischen 61 und 73 erreicht wurde. Diese Diagnose führe beim Angeklagten dazu, dass er auch heute noch sprachlich eingeschränkt sei und nicht sinnerfassend lesen könne sowie in seiner Alltagskompetenz begrenzt sei. Weiter neige der Angeklagte zu konkretisierendem Denken und habe Schwierigkeiten komplexe Zusammenhänge zu erkennen. Ebenso vermöge er Impulse nicht ausreichend zu kontrollieren (UA S. 18). Daneben habe der Angeklagte zweimal akustische Halluzinationen in Form von imperativen Stimmen geschildert, einmal im Kindesalter und einmal im Zusammenhang mit der verfahrensgegenständlichen Tat vom 15. Mai 2016. Im Hinblick darauf, dass die Symptome nicht länger auftraten, könne nur von einer akut auftretenden und kurz dauernden Halluzination als vorübergehende psychotische Störung ausgegangen werden, ohne dass aber eine Schizophrenie vorliege. Bei dieser Tat müsse zusätzlich eine akute Alkoholintoxikation angenommen werden, ohne dass aber ein schädlicher Gebrauch oder gar eine Abhängigkeit vorliege (UA S. 19).
13
Dieser Beurteilung schließt sich das Landgericht an und kommt bezüglich der Tat vom 15. Mai 2016 zu dem Ergebnis, dass zu der Intelligenzminderung mit Verhaltensauffälligkeiten die Wirkung des zuvor genossenen Alkohols hinzugetreten sei. Zudem habe der Angeklagte unter dem Einfluss akustischer Halluzinationen gestanden, denen er auf Grund seiner gestörten Intelligenz nicht ausreichende Kompensationsstrategien entgegensetzen habe können. In der Zusammenschau sei daher die Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt gänzlich aufgehoben gewesen und der Angeklagte habe nicht mehr adäquat reagieren können.
14
In Bezug auf die Tat vom 27. September 2017 verneint das Landgericht eine aufgehobene Steuerungsfähigkeit, geht aber im Hinblick auf ein erhebliches Impulskontrolldefizit im Zusammenhang mit der Intelligenzminderung von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit aus (UA S. 20 f.).
15
bb) Soweit das Landgericht beim Angeklagten das Eingangsmerkmal des Schwachsinns i.S.d. § 20 StGB annimmt, bleibt auf Grund der mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen durchgeführten Intelligenztests bereits unklar, ob die beim Angeklagten nur festgestellte „leichte Intelligenzminderung mit Ver- haltensauffälligkeiten“ (UA S. 18) bereits ein solches Ausmaß erreicht, dass das Vorliegen eines Schwachsinns bejaht werden kann. Insbesondere wird unzureichend dargelegt, auf Grund welcher Untersuchungsverfahren und Kriterien der Sachverständige zu dieser Diagnose gelangt ist. Daneben fehlen aber auch Ausführungen dazu, welchen Einfluss die leichte Intelligenzminderung auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation hatte. Allein die allgemeine Begrenzung des Angeklagten in seiner Alltagskompetenz reicht dafür nicht aus. Dies gilt umso mehr, als das Landgericht auch feststellt, dass der Angeklagte im Verfahren durchaus in der Lage war, seine Rechte zu erfassen und Ermittlungsergebnisse adäquat zu bewerten sowie eine differenzierte Entscheidung in Bezug auf Aussagen zur Sache zu treffen (UA S. 13). Offen bleibt auch, wie sich die Impulskontrollstörung konkret auf das Verhalten des Angeklagten bei den Taten ausgewirkt hat.
16
Auch in Bezug auf das Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB wird vom Landgericht nicht tragfähig begründet, wie sich die akut aufgetretene Halluzination in der konkreten Tatsituation auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten ausgewirkt hat. Zwar beschreibt das Landgericht die im Verfahren nur gegenüber dem Sachverständigen geäußerten Wahnvorstellungen, von denen der Angeklagte nach seiner Einlassung bei der Tatbegehung geleitet wurde, es bleibt aber letztlich offen, welchen Einfluss – diese für sich oder im Zusammenhang mit den anderen festgestellten Erkrankungen – auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten hatten. Das Tatbild (Schuhe binden, verdeckter Angriff von hinten) spricht für eine gewisse Steuerung im Vorgehen. Dies bedarf im Blick auf die gestellte Diagnose ebenso der Erörterung wie die hinzugekommene Alkoholintoxikation, auch wenn diese für sich betrachtet keinem Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB unterfällt.
17
2. Da der Senat in Bezug auf die rechtsfehlerhafte Beurteilung der Schuldfähigkeit bei der Tat vom 15. Mai 2016 (II.1. der Urteilsgründe) nicht zu überprüfen vermag, ob der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit oder nur im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Freispruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus insgesamt neu verhandelt und entschieden werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen.
18
Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs von der am 15. Mai 2016 begangenen prozessualen Tat (II.1. der Urteilsgründe) gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen, weil die Unterbringung gemäß § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlichrechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 4. April 2018 – 1 StR 116/18 Rn. 11 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2018, 240] und vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17 Rn. 13 mwN [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2018, 69]).
19
Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bei der Tat vom 15. Mai 2016 (II.1. der Urteilsgründe) beruhen aber auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.
20
3. In Bezug auf die Tat vom 27. September 2017 (II.2. der Urteilsgründe) weist der Schuldspruch des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler auf. Auf Grund der bisherigen Feststellungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten schließt der Senat aus, dass sich im Rahmen der neuen Verhandlung Erkenntnisse ergeben könnten, dass der Angeklagte zur Tatzeit – wie vor allem der spontane Diebstahl der Geldkassette mit dem Bargeld zeigt – schuldunfähig i.S.d. § 20 StGB gewesen sein könnte und die deshalb den Bestand des Schuldspruchs gefährden würden. Jedoch kann auch hier der Strafausspruch im Hinblick auf die notwendige neue Bewertung der Schuldfähigkeit keinen Bestand haben und war daher aufzuheben.
Raum Bellay Fischer
Bär Pernice

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 116/18
vom
4. April 2018
in dem Sicherungsverfahren und der Strafsache
gegen
ECLI:DE:BGH:2018:040418B1STR116.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 4. Dezember 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; davon ausgenommen sind diejenigen zu den äußeren Tatgeschehen, die bestehen bleiben.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten und Beschuldigten (im Folgenden lediglich: Beschuldigten) in dem wegen eines Teils der verfahrensgegenständlichen Taten als Strafverfahren und wegen einer weiteren Tat im Sinne von § 264 StPO als Sicherungsverfahren geführten Verfahren freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Seine dagegen gerichtete Revision erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antrags- schrift des Generalbundeanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Das Landgericht hat – insoweit ohne Rechtsfehler – die rechtswidrige Begehung von drei Anlasstaten des Beschuldigten näher festgestellt. Sachverständig durch einen Psychiater beraten hat es dabei jeweils eine Aufhebung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten, der seit langem an einer dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB zugeordneten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD-10: F.20.0) leidet und deswegen in der Vergangenheit häufig stationär behandelt worden war, nicht auszuschließen vermocht.
4
2. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die vom Landgericht der Unterbringungsentscheidung zugrunde gelegte Schuldfähigkeitsbeurteilung enthält durchgreifende Rechtsfehler. Sie lässt nicht widerspruchsfrei erkennen, dass der Beschuldigte die Anlasstaten jeweils im Zustand sicher erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat.
5
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder sicher erheblich vermindert schuldfähig war (etwa BGH, Beschluss vom 8. November 2017 – 4 StR 242/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 12 f. nur redaktioneller Leitsatz). Wie das Landgericht im Ausgangspunkt an sich nicht verkannt hat, erfordert die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Unterzubringenden zur Tatzeit bzw. zu den Tatzeiten aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, grundsätzlich eine mehrstufige Prüfung (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 30. März 2017 – 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166 und Beschluss vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 69 nur redaktioneller Leitsatz jeweils mwN). Nach der Feststellung, bei dem Täter liegt eine psychische Störung vor, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist, bedarf es näherer Feststellungen zum Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters. Aufgrund der festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei Begehung der Anlasstaten in relevanter Weise beeinträchtigt gewesen sein (vgl. BGH jeweils aaO).
6
Die Frage, ob bei Vorliegen eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei – mit sachverständiger Hilfe festgestelltem – gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds die Schuldfähigkeit des Täters aufgehoben oder im Sinne von § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, ist eine Rechtsfrage. Um sie beantworten zu können und zudem eine revisionsgerichtliche Kontrolle der tatgerichtlichen Entscheidung darüber zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.; Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 254/16, StV 2017, 592 f.), bedarf es im Urteil des Tatgerichts konkretisierender und widerspruchsfreier Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Täters in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; siehe BGH, Urteil vom 30. März 2017 – 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165, 166; Beschluss vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17, Rn. 5; in NStZ-RR 2018, 69 nur redaktioneller Leitsatz und Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135). Solche Darlegungen sind im Rahmen der Unterbringungsanordnung auch deshalb geboten, weil die im Rahmen des § 63 StGB zu erstellende Gefährlichkeitsprognose maßgeblich auch an den Zustand des Täters bei Begehung der Anlasstaten anknüpft (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 77; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f.).
7
b) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift aufgezeigt hat, genügt das angefochtene Urteil den gestellten Anforderungen an widerspruchsfreie Darlegungen zur Schuldfähigkeitsbeurteilung nicht.
8
Im Rahmen seiner Feststellungen geht das Landgericht von einer nicht ausschließbaren vollständigen Aufhebung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bei den Anlasstaten aus (UA S. 5). Auch wenn psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, eher eine Ausnahme darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168; Beschluss vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17, NStZ-RR 2018, 69 Rn. 7), bildet dies allein noch keinen durchgreifenden Rechtsmangel. Allerdings lässt sich die genannte Feststellung mit den weiteren Urteilsgründen nicht widerspruchsfrei vereinbaren. So leitet das Landgericht seine rechtliche Würdigung damit ein, der Beschuldigte habe sich bei Begehung der Taten jeweils in einem Zustand befunden , in dem er – zumindest nicht ausschließbar – unfähig gewesen sei, nach der bei ihm vorhandenen Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen, zu handeln (UA S. 13 f.). Davon habe sich das Landgericht, beraten durch den psychiatrischen Sachverständigen, überzeugt (UA S. 14). Damit stellt das Landgericht aber allein auf die Steuerungsfähigkeit ab.
9
Zu dem damit ohnehin bereits vorhandenen gewissen Widerspruch zu den bereits genannten Feststellungen (UA S. 5) treten weitere Unklarheiten in den die Schuldfähigkeitsbeurteilung betreffenden Darlegungen hinzu. Nach den wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen, auf den das Landgericht seine Überzeugungsbildung stützt, ist dieser davon ausgegangen, dem Beschuldigten habe nicht ausschließbar krankheitsbedingt die Einsichtsfähigkeit vollständig gefehlt (UA S. 14). Der bei dem Beschuldigten vorhandene wahnhafte Zustand führe aus psychiatrischer Sicht dazu, dass der Beschuldigte nicht in den Lage (gewesen) sei, über Recht und Unrecht zu reflektieren, was dem Fehlen der Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 20 StGB entspreche (UA S. 14 unten). Weiter heißt es in der Darstellung des Gutachtens, der Sachverständige könne mit Sicherheit die Voraussetzungen für eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit annehmen, die Aufhebung der Einsichtsfähigkeit aber nicht ausschließen (UA S. 15 oben). Dem folgt das Landgericht aus eigener Überzeugung in vollem Umfang und nimmt (nunmehr) an, es sei die Einsichtsfähigkeit nicht ausschließbar aufgehoben gewesen (UA S. 15 Mitte). Zur Steuerungsfähigkeit verhält sich das Landgericht in der vorgenannten Urteilspassage nicht mehr.
10
c) Angesichts der mehrfach nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringenden Darlegungen über die Auswirkungen der bei dem Beschuldigten diagnostizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis auf die Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei den Anlasstaten bildet selbst der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe bei Anlegung des aufgezeigten Maßstabs der Widerspruchsfreiheit keine insoweit tragfähige Grundlage für die Unterbringungsanordnung. Wegen des in unzureichenden Darlegungen zur Schuldfähigkeitsbeurteilung liegenden Rechtsfehlers bedarf es neben der Aufhebung der Unterbringungsentscheidung auch der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Die Feststellungen zu den äußeren Abläufen der drei Anlasstaten sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen. Sie bleiben daher bestehen.
11
Der Umstand, dass allein der Beschuldigte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs von der am 21. Juni 2016 begangenen, im Strafverfahren verfolgten prozessualen Tat (B.I. der Urteilsgründe) gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entgegen, weil die Unterbringung gemäß § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlich-rechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht (siehe nur BGH, Beschluss vom 21. November 2017 – 2 StR 375/17, NStZ-RR 2018, 69 Rn. 13 mwN).
12
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
13
a) Angesichts der häufigen und insgesamt über mehrere Jahre andauernden stationären Aufenthalte des Beschuldigten im Bezirkskrankenhaus L. könnte sich die Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) anbieten, der nicht bereits in die dortige Behandlung des Beschuldigten eingebunden war.
14
b) Sollte sich bei der erneuten Begutachtung ebenfalls ein auch durch akustische Halluzinationen (dialogische Stimmen) mitgeprägtes Wahnsystem bei dem Beschuldigten ergeben, wird es näherer Darlegungen sowohl zum Inhalt dieses Wahnsystems und seiner konkreten Ausprägung als auch zu den Auswirkungen des Störungsbildes auf die Schuldfähigkeit bedürfen (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 30. März 2017 – 4 StR 463/16, NStZ-RR 2017, 165,

166).


15
c) Für den Fall, dass sich in der neuen Hauptverhandlung wiederum ein wahnhaftes Störungsbild, etwa die bislang diagnostizierte Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, als gegenüber dem bei dem Beschuldigten eben- falls vorhandenen schädlichen Gebrauch von Alkohol führendes Störungsbild erweist, dürfte auch im Rahmen von § 72 Abs. 1 und 2 StGB eine Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kaum in Betracht kommen. Typischerweise wird eine derartige Psychose der für die Anordnung des § 64 StGB erforderlichen hinreichenden Aussicht auf einen Therapieerfolg entgegenstehen (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 29. Juni 2016 – 1 StR 254/16, StV 2017, 592 f. mwN). Ein schädlicher Gebrauch von Alkohol und eine Alkoholabhängigkeit werden zudem regelmäßig im Vollzug der Maßregel § 63 StGB mitbehandelt werden können (BGH aaO mwN).
Raum Graf Radtke Fischer Hohoff

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 52/06
vom
7. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren räuberischen Diebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 7. März
2006 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. Oktober 2005 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat nur den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Der Schuldspruch wegen schweren räuberischen Diebstahls hält rechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand. Allerdings hat das Landgericht fehlerhaft die Qualifikation gemäß §§ 252, 249, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB (zutreffende Bezeichnung: besonders schwerer räuberischer Diebstahl, vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4; BGH NStZ-RR 2003, 328; BGH, Beschl. vom 16. Juni 2004 - 5 StR 230/04) als verwirklicht angesehen. Die Verwendung einer ungeladenen Schreckschusspistole sowie einer Spielzeugwaffe (vom Tatrichter jeweils mit "Scheinwaffe" bezeichnet) als Drohmittel erfüllt nur die Qualifikation des schweren räuberischen Diebstahls gemäß §§ 252, 249, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB. Die Liste der angewendeten Vorschriften ist deshalb zu berichtigen.
3
2. Die Unterbringung des Angeklagten hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB setzt u. a. die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26; 42, 385).
4
Die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert war, erfolgt in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im einzelnen Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt , die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Bei diesem Entscheidungsprozess wird der Richter häufig - soweit die Verhängung von Maßregeln in Betracht kommt, sogar stets (vgl. § 246 a StPO) - auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen sein und von diesem Ausführungen zur Diagnose einer psychischen Störung, zu deren Schweregrad und deren innerer Beziehung zur Tat erwarten. Gleichwohl handelt es sich sowohl bei der Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als auch bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit um Rechtsfragen. Der Tatrichter hat zum einen bei der Entscheidung darüber die Darlegungen des Sachverständigen zu überprüfen. Zum anderen ist er verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen. Hieran fehlt es im angefochtenen Urteil in zweierlei Hinsicht.
5
Zum einen fehlt es an einer ausreichenden Darlegung der Diagnose. Das Landgericht hat nach sachverständiger Beratung festgestellt, dass der Angeklagte zur Tatzeit in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt (gemeint wohl: erheblich vermindert) gewesen sei aufgrund einer drogeninduzierten "exogenen und inzwischen auch endogenen Psychose". Diese Grunderkrankung sei "mit einem paranoiden Erleben verknüpft, das auch die Motivationslage beeinträchtigt" habe. Der Konsum von Cannabis vor der Tat habe "zum Erhalt und zur Verstärkung der Grunderkrankung geführt". Damit ist weder ausreichend dargestellt , um welche Störung es sich gehandelt hat, noch ist genügend beschrieben , wie sich diese Störung bei dem Angeklagten im Allgemeinen ausgewirkt hat. Es ist deshalb nicht nachprüfbar, ob das Landgericht ohne Rechtsfehler vom Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung ausgegangen ist.
6
Zum anderen fehlt die Darlegung, welchen Einfluss die angenommene psychische Störung auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Tat (Einbruch in ein Waffengeschäft, Wegnahme der beiden Waffen und Bedrohung von zwei Passanten, um sich beim Verlassen des Geschäfts im Besitz der Beute halten zu können) gehabt hat. Nach den Feststellungen, wonach der Ange- klagte schon 1999 - also erhebliche Zeit vor der angenommenen Entstehung einer Psychose - eine "ausgeprägte Affinität zu Waffen" hatte, liegt ein solcher symptomatischer Zusammenhang eher nicht nahe.
7
3. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Die fehlerhafte Annahme der Qualifikation gemäß § 250 Abs. 2 StGB hat sich auf die Strafe nicht ausgewirkt , da das Landgericht einen minder schweren Fall angenommen und den Strafrahmen gemäß § 250 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt hat. Der Senat schließt aus, dass eine neue Verhandlung die Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei der Tatbegehung ergeben könnte und die erkannte Freiheitsstrafe zum Nachteil des Angeklagten von der Maßregelanordnung beeinflusst war.
Winkler Miebach Pfister Becker Hubert

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 448/18
vom
23. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2019:230119B1STR448.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 23. Januar 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 11. April 2018 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, 120 Tage der Mindestverbüßungsdauer der lebenslangen Freiheitsstrafe als vollstreckt erklärt sowie die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Begründung der Strafkammer, mit der sie eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit nach § 21 StGB verneint hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
1. Das Landgericht hat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten abgelehnt, obgleich es festgestellt hat, dass dieser – wie auch die weiteren nicht revidierenden Mitangeklagten – bei der Tat ganz erheblich alkoholisiert gewesen sei, zum Tatzeitpunkt täglich durchschnittlich zehn bis 15 Flaschen Bier sowie Wodka in erheblichem Umfang getrunken habe und eine ausgeprägte Alkoholproblematik im Sinne eines Missbrauchs bzw. ein chronisch exzessiver Alkoholkonsum vorliege. Die Strafkammer hat ausgeführt, der psychiatrische Sachverständige habe auf der Grundlage der Angaben des Ange- klagten in der Hauptverhandlung, der eine „ziemlich genaue Erinnerung“ an das Geschehen vom 6. Juli 2017 habe, eine krankhafte seelische Störung aufgrund einer schweren Alkoholintoxikation zur Tatzeit ausgeschlossen. Nach den eigenen Schilderungen des Angeklagten sei aus psychiatrischer Sicht nicht einmal von einer alkoholbedingten Enthemmung auszugehen, da er sich selbst als emotional unbeteiligt und sein Handeln als durchaus überlegt beschreibe. Das Landgericht ist im Anschluss an die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen von erhaltener Steuerungsfähigkeit ausgegangen und hat ergänzend darauf abgehoben, dass der Angeklagte motorisch noch in der Lage gewesen sei, über Stiegen in den 2. Stock eines Holzlagers zu gelangen.
4
2. Diese Begründung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die vom Landgericht vorgenommene Würdigung psychodiagnostischer Faktoren begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das vom Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen herangezogene Kriterium des angeblich genauen und detaillierten Erinnerungsvermögens ist angesichts des Umstandes, dass das Landgericht die Einlassung des Angeklagten zum unmittelbaren Tatgeschehen – in rechtlich nicht zu beanstandender Weise – nicht für glaubhaft hält, schon deshalb nicht tragfähig (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2012 – 5 StR 545/11, NStZ-RR 2012, 137, 138). Zudem ist der indizielle Beweiswert eines intakten Erinnerungsvermögens für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit ganz generell problematisch (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 20 Rn. 24a f.). Auch der zweite vom Landgericht herangezogene Gesichtspunkt , dass der Angeklagte über Stiegen in den 2. Stock des Holzlagers gelangte , erweist sich als nicht rechtsfehlerfrei. Abgesehen davon, dass die äußere Beschaffenheit der Stiegen schon nicht so hinreichend beschrieben ist, dass sich das Leistungsvermögen des Angeklagten hieraus ersehen ließe, ist der Gesichtspunkt für die Beurteilung der Steuerungsfähigkeit nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Das Landgericht hat dabei nämlich nicht bedacht und erörtert, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus weit auseinander fallen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2018 – 4 StR 530/17, NStZ-RR 2018, 136; vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109 und vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696). Bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene erstaunliche Kompensationsfähigkeit im Bereich grobmo- torischer Auffälligkeiten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2018 – 4 StR 530/17, aaO und vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, aaO; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 20 Rn. 23a).
6
b) Das Landgericht hat zudem die Einlassung des Angeklagten zu seinem Alkoholkonsum am Tattag nicht mitgeteilt, sondern lediglich darauf verwiesen , dass seine Angaben keine Berechnung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit zuließen (UA S. 87). Von einer entsprechenden Berechnung ist ein Tat- gericht nicht schon dann entbunden, wenn die Angaben des Angeklagten zum konsumierten Alkohol nicht exakt sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 258 und vom 20. November 1990 – 2 StR 424/90, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 23). Vielmehr ist eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholkonsums ermöglichen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, aaO und vom 17. März 1994 – 4 StR 54/94, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 29; Urteil vom 13. Mai 1993 – 4 StR 183/93, StV 1993, 519).
7
3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Strafausspruchs, da der Senat nicht auszuschließen vermag, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Bewertung des psychischen Zustands des Angeklagten zur Tatzeit zur Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gekommen wäre, von der Milderungsmöglichkeit nach §§ 21, 49 StGB Gebrauch gemacht und auf eine zeitige Freiheitsstrafe erkannt hätte. Eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten liegt auf Grundlage der getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen sicher nicht vor. Der Senat hebt auch die zugehörigen Feststellungen zum Strafausspruch auf, um dem neuen Tatrichter eine umfassende Prüfung der Alkoholisierung des Angeklagten und damit zu den Voraussetzungen des § 21 StGB zu ermöglichen.
8
4. Die für sich genommen rechtsfehlerfreie Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann bestehen bleiben. Das neue Tatgericht wird allerdings, sollte es zu der Verhängung einer zeitigen Freiheits- strafe gelangen, eine Entscheidung über den Vorwegvollzug der Strafe nach § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB zu treffen haben.
Raum Bär Hohoff
Leplow Pernice

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 530/17
vom
28. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:280218B4STR530.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. Februar 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juni 2017
a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte im Fall 2 des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig ist;
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs (Fall 1) sowie wegen „Verkehrsunfallflucht“ in Tateinheit mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßen- verkehrs (Fall 2) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es Fahrerlaubnismaßnahmen angeordnet; die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils führt im Fall 2 zu einer Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs. Den Urteilsfeststellungen ist nicht zu entnehmen , dass der Angeklagte insoweit vorsätzlich handelte.
3
Das Landgericht hat weder festgestellt noch belegt, dass der Angeklagte nach dem von ihm bemerkten Entlangschrammen an der Bordsteinkante der Straßenbahnhaltestelle seine Fahrt nunmehr im Wissen und zumindest unter billigender Inkaufnahme seiner alkoholbedingten Fahruntauglichkeit fortsetzte. Vielmehr ergeben auch die Urteilsgründe im Übrigen, dass das Landgericht im Fall 2 – Auffahren des Angeklagten auf das Gebäude der Hauptpost mit Verursachung eines Sachschadens in Höhe von 20.000 Euro – in Bezug auf den Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs – wie im Fall 1 – nur von einer Fahrlässigkeitstat des Angeklagten gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1. a), Abs. 3 Nr. 2 StGB ausgegangen ist. Der Schuldspruch ist deshalb entsprechend zu ändern.
4
Im Übrigen weist der Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
5
2. Der Strafausspruch hält indes sachlich-rechtlicher Prüfung insgesamt nicht stand, weil das Landgericht die Ablehnung einer erheblichen Verminde- rung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB nicht tragfähig begründet hat.
6
a) Die Ausführungen des Landgerichts weisen insoweit bereits durchgreifende Widersprüche auf, die eine Überprüfung der Annahme, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen, nicht zulassen.
7
Die Strafkammer hat zur Begründung der Ablehnung der Voraussetzungen des § 21 StGB darauf verwiesen, der Angeklagte habe bei seiner Fahrt durch ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ beeindruckt und seinen LKW über die gesamte Fahrt „vollumfänglich im Griff“ gehabt; er sei über einen Groß- teil der Fahrt den Anforderungen an ein situationsadäquates Verhalten gerecht geworden. Damit nicht in Einklang zu bringen sind die festgestellten und vom Landgericht ausdrücklich als alkoholbedingt bezeichneten Wahrnehmungsbeeinträchtigungen , die beim Angeklagten während der Fahrt zu Tage traten und zu erheblichen Fahrfehlern führten. So ist das Landgericht davon ausgegangen, der Angeklagte habe die der Verurteilung im Fall 1 zugrunde liegende Kollision mit dem Fahrradfahrer aufgrund seiner Alkoholisierung zu spät oder möglicherweise gar nicht wahrgenommen, denn gerade bei dieser Kollision hätten sich die typischen Alkoholauswirkungen „in Form der Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit“ ausgewirkt. Auch der vom Landgericht festgestellte weitere Fahrtverlauf, neben dem Missachten von Rotlicht zeigenden Ampeln insbesondere die längere, von (Beinahe-)Kollisionen begleitete Fahrt über eine von der Fahrbahn abgesetzte Straßenbahntrasse, weist, wovon auch das Landgericht ausgegangen ist, auf das Vorliegen von erheblichen Wahrnehmungsstörungen beim Angeklagten hin. Mit der Annahme, der Angeklagte habe bei seiner Fahrt ein „ausnehmend gutes Leistungsverhalten“ gezeigt und die Fahrt „vollumfäng- lich im Griff“ gehabt, lassen sich diese auf alkoholbedingte Wahrnehmungsdefi- zite zurückzuführenden Fahrfehler nicht vereinbaren.
8
b) Von diesen Widersprüchen abgesehen lassen die Ausführungen des Landgerichts zudem besorgen, dass es dem Fehlen wesentlicher Ausfallerscheinungen bei Feststellung des Angeklagten am Unfallort eine zu große Bedeutung bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung beigemessen hat.
9
Soweit die Strafkammer – der Sachverständigen folgend – gemeint hat, die für die Schuldfähigkeitsbeurteilung maßgebliche hohe Blutalkoholkonzentration des Angeklagten (3,05 ‰) könne deswegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht begründen, weil der alkoholabhängige Angeklagte alkoholgewöhnt gewesen sei und (auch) bei seiner Feststellung nach dem Unfall keine Ausfallerscheinungen gezeigt habe – er habe auf Fragen „im Kontext“ geantwortet , er sei weder getorkelt noch habe er gelallt oder Denkstörungen aufgewiesen –, hat es nicht bedacht, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei hoher Alkoholgewöhnung durchaus auseinanderfallen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 2007 – 4 StR 187/07, NStZ 2007, 696; vom 17. August 2011 – 5 StR 255/11, StV 2012, 281 f.; und vom 2. Juli 2015 – 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525 ff.; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 20 Rn. 23a). Gerade bei Alkoholikern zeigt sich oft eine durch „Übung“ erworbene Kompensationsfähigkeit insbesondere im Bereich grobmotorischer Auffälligkeiten. Dem Verhalten nach der Tat kommt in diesem Zusammenhang nur geringe Aussagekraft zu, weil, was das Landgericht ebenfalls nicht erkennbar bedacht hat, bei dem Angeklagten durch den Unfall eine Ernüchterung eingetreten sein kann (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 – 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 311; Beschluss vom 10. Januar 2012 – 5 StR 517/11, StraFo 2012, 109; Schönke/Schröder/Perron/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 20 Rn. 16d mwN).
10
3. Die Nichtanordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung in Form der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kann hingegen bestehen bleiben. Die zwar knappe Begründung, es bestehe beim Angeklagten keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg, trägt die ablehnende Entscheidung des Landgerichts mit Blick darauf, dass der Angeklagte zum einen der deutschen Sprache nicht mächtig ist und zum anderen eine Verweigerungshaltung in Bezug auf die Durchführung einer Alkoholentwöhnungsbehandlung zum Ausdruck gebracht hat.
Sost-Scheible Cierniak Bender
Feilcke Paul

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 594/16
vom
21. Dezember 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:211216B1STR594.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 21. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 19. August 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen zwei jeweils als Bedrohung (§ 241 StGB) gewerteter , im Zustand aufgehobener Einsichtsfähigkeit begangener Anlasstaten angeordnet. Die auf eine ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.

I.


2
Die Anordnung der Maßregel hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unter- zubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um die notwendige Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Prognostisch muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 9; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395 und vom 10. November 2015 – 1 StR 265/15, NStZ-RR 2016, 76 f. mwN; siehe Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 16).
4
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
5
a) Bereits die Voraussetzungen einer aufgrund aufgehobener Einsichtsfähigkeit ausgeschlossenen Schuldfähigkeit (§ 20 StGB) des Beschuldigten bei Begehung der beiden Anlasstaten werden nicht in für den Senat nachvollziehbarer Weise dargestellt und beweiswürdigend belegt. Erforderlich ist auf der Ebene der Darlegungsanforderungen stets eine konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die näher festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten bzw. Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 Rn. 11; vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306 und vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98). Daran fehlt es bezüglich beider Anlasstaten.
6
aa) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, aufgrund dessen er „oftmals die Realität (verkennt) und nach seinen objektiv falschen Vorstellungen (handelt)“ (UA S. 7, siehe auch UA S. 10). Im Rahmen der Beweiswürdigung ordnet das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, den psychischen Zustand des Beschuldigten als akute polymorphe psychotische Störung (ICD-10 F.23.1.) ein. Beide Anlasstaten würden auf dieser Störung beruhen, weil sich die krankheitsbedingt wahnhaften Vorstellungen des Beschuldigten über einen Zeitraum erstreckt hätten, der beide Tatzeiten umfasse (UA S. 15).
7
bb) Die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu der konkreten Ausprägung der psychotischen Störung beschränken sich auf die Beschreibung, der Beschuldigte leide unter der wahnhaften Vorstellung, bereits mehrfach gelebt zu haben und in einem seiner früheren Leben mit der Zeugin S. verlobt gewesen und auch aktuell noch mit ihr verlobt zu sein. Wie sich die „psychotisch intendierte(n) wahnhaft geprägte(n) Psychopathologie“ konkret auf die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten bezüglich der Anlasstaten ausgewirkt haben soll, wird in dem angefochtenen Urteil nicht näher ausgeführt. Die Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Tatgericht anschließt, erschöpft sich in der Aussage, die Kritikfähigkeit des Beschuldigten sei derart tiefgreifend verändert gewesen, dass die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines Handelns sowie in den Realcharakter der Situationen als aufgehoben bewertet werden müsse (UA S. 16). Das lässt eine Darstellung der auf den Beschuldigten bezogenen konkreten Auswirkungen seiner allein konkret benannten wahnhaften Vorstellung mehrfacher Wiedergeburt und des (vermeintlichen) Verlöbnisses mit S. auf die Unrechtseinsichtsfähigkeit bei den beiden Anlasstaten nahezu vollständig vermissen. Näherer Ausführungen sowohl zum psychischen Zustand des Beschuldigten und der Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten hätte es aber auch deshalb bedurft, weil sich das Krankheitsbild seit der ersten festgestellten stationären Behandlung des Beschuldigten im November 2008 bis zu den Taten im September 2015 bzw. Januar 2016 verändert hat und im Verlaufe seiner mehrfachen stationären Aufenthalte wechselnde Diagnosen seitens der behandelnden Ärzte gestellt worden sind (UA S. 4 und 5).
8
cc) Hinsichtlich der Anlasstat zum Nachteil des früheren Betreuers des Beschuldigten, Rechtsanwalt Sc. , (Tat B.1. der Urteilsgründe) erweisen sich die Feststellungen und die zugehörige Beweiswürdigung zudem als in sich widersprüchlich. Das Landgericht hat festgestellt, der Beschuldigte sei bezüglich des an den Betreuer gerichteten Drohbriefs infolge seiner psychischen Erkrankung der Auffassung gewesen, Rechtsanwalt Sc. sei für die erfolgte Kürzung von Sozialleistungen verantwortlich (UA S. 7). Ein Zusammenhang mit dem dargestellten Störungsbild wahnhafter Annahme mehrfacher Wiedergeburt und eines Verlöbnisses mit der Zeugin S. ist insoweit nicht zu erkennen. Die referierte Einlassung des Beschuldigten, er habe durch den Brief den Wechsel seines Betreuers erreichen wollen (UA S. 10 unten), lässt sich mit der Feststellung krankheitsbedingter Fehlwahrnehmung jedenfalls nicht in Einklang bringen , wenn das Störungsbild ausschließlich als eines beschrieben wird, das sich allein auf die Wiedergeburt und das Verhältnis zur Zeugin S. bezieht. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung zum symptomatischen Zusammenhang zwischen der psychotischen Störung und der Anlasstat zum Nachteil von Rechtsanwalt Sc. ausführt, der Beschuldigte habe – nach Begehung der Tat – gegenüber ihn behandelnden Ärzten im Bezirkskrankenhaus L. angegeben, sein Betreuer sei in seine Wohnung gegangen und habe seine Freundin geschwängert (UA S. 16), ist dies mit der Feststellung, die Verantwortungszuschreibung an den Betreuer für die erfolgte Kürzung der ALG II-Leistungen sei der auslösende Grund für den Drohbrief an den Betreuer gewesen (UA S. 7), ohne nähere Darlegungen kaum zu vereinbaren. Die Widersprüchlichkeiten zwischen Feststellungen und Beweiswürdigung können sich auf die Annahme der Unterbringungsvoraussetzungen ausgewirkt haben. Sowohl für die Beurteilung des symptomatischen Zusammenhangs zwischen der diagnostizierten Störung und der Anlasstat als auch für die Gefährlichkeitsprognose kommt dem Motiv der Tat zum Nachteil des früheren Betreuers Bedeutung zu.
9
b) Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet.
10
aa) Die für die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, der Täter werde infolge seines fortdauernden psychischen Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 2. September 2015 – 2StR 239/15; vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f. und vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rn. 15 mwN); die Prognose muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 f.; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27 sowie BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Einzustellen in die Gefährlichkeitsprognose ist die konkrete Krankheitsund Kriminalitätsentwicklung sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH aaO mwN).
11
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht, obwohl das Landgericht den zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt einer auf einer umfassenden Gesamtwürdigung aufbauenden Prognose erkannt hat. Es beschränkt sich jedoch darauf, dem Sachverständigen in dessen Einschätzung zu folgen, dass im Fall einer erneuten Zuspitzung des psychotischen Geschehens die „Wahninhalte des Beschuldigten impulshaft und handlungsleitend umgesetzt werden“. In sol- chen Situationen sei die Begehung von Aggressions- und Gewaltdelikten bis hin zu Tötungsdelikten sehr wahrscheinlich (UA S. 20). Anknüpfungstatsachen, die die Prognose derartiger zukünftiger Straftaten stützen, führt das angefochtene Urteil nicht auf. Die benannten Umstände der Wiederaufnahme von Alkohol - und Betäubungsmittelkonsum durch den Beschuldigten sowie das Fehlen von Krankheitseinsicht und eines sozialen Empfangsraums stellen zwar allgemein prognostisch ungünstige Umstände dar. Angesichts seit 2008 bestehender – wenn auch bei sich im Verlaufe der Zeit veränderndem Krankheitsbild – psychischer Auffälligkeit, bislang weitgehend ausgebliebener Delinquenz sowie des bisherigen Fehlens von Gewaltdelikten können die genannten Aspekte allein aber nicht tragfähig begründen, warum nunmehr Gewaltdelikte bis hin zu Tötungsdelikten von dem Beschuldigten zu erwarten sein sollen. Konkrete Umstände , die ein Umschlagen von Drohungen hin zu deren Realisierung prognostizieren lassen, benennt das Landgericht nicht. Aus der Art der psychischen Erkrankung als psychische Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie folgt nichts anderes. Zwar kann bei einer derartigen Störung der Tatrichter auch in Bezug auf einen Täter, der zuvor noch nicht oder kaum mit „gewalttätigen Aggressionsdelikten“ aufgefallen ist, die Überzeugunggewinnen, dieser werde mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zukünftig erhebliche Straftaten, wie etwa Körperverletzungsdelikte, begehen (BGH, Beschluss vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 f.; vgl. BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Dazu bedarf es aber gerade der sorgfältigen Darlegung derjenigen Umstände, die die entsprechende tatrichterliche Überzeugung tragen (BGH aaO; siehe auch BT-Drucks. 18/7244 S. 23). Gerade diese Darlegung enthält das angefochtene Urteil aber aus den genannten Gründen nicht.

II.


12
Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter sowohl zu den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten bei Begehung der Anlasstaten bedeutsamen Umstände als auch zu sämtlichen prognoserelevanten Aspekten umfassende und in sich widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 56/15
vom
14. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2015 gemäß
§ 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 14. August 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Die Revision des Angeklagten richtet sich gegen das freisprechende Urteil des Landgerichts Regenburg vom 14. August 2014, durch dessen Entscheidungsgründe sich der Angeklagte beschwert sieht.
2
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist unzulässig.

I.


3
Das Landgericht Regensburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 freigesprochen und ihm für näher bezeichnete Zeiträume der Unterbringung eine Entschädigung zugesprochen.
4
1. Der Angeklagte war zunächst durch Urteil des Landgerichts NürnbergFürth vom 8. August 2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht und von den angeklagten Tatvorwürfen zum Teil aus rechtlichen und zum Teil aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden. Das Landgericht NürnbergFürth hatte die Vorwürfe der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001, der Körperverletzung mit Freiheitsberaubung am 31. Mai 2002 und der Sachbeschädigung in acht Fällen im Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 2004 und dem 1. Februar 2005 in tatsächlicher Hinsicht für erwiesen erachtet, die Schuldfähigkeit des Angeklagten dabei jedoch für nicht ausschließbar aufgehoben gehalten. Von dem weiteren Vorwurf des Diebstahls am 23. November 2002 hatte sich das Landgericht Nürnberg-Fürth in tatsächlicher Hinsicht nicht zu überzeugen vermocht. Sachverständig beraten war das Landgericht Nürnberg -Fürth ferner zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte werde auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen und sei daher für die Allgemeinheit gefährlich. Es hatte deshalb seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
5
Die Revision des Angeklagten gegen die Anordnung dieser Maßregel hat der Senat mit Beschluss vom 13. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
6
Die Anträge des Angeklagten wie auch der Staatsanwaltschaft Regensburg , die Wiederaufnahme des Verfahrens zuzulassen und die Erneuerung der Hauptverhandlung anzuordnen, hat das Landgericht Regensburg mit Beschluss vom 24. Juli 2013 als unzulässig verworfen. Auf die sofortigen Beschwerden der beiden Antragsteller hat das Oberlandesgericht Nürnberg die Wiederaufnahme des Verfahrens mit Beschluss vom 6. August 2013 zugelassen, die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Regensburg zurückverwiesen. Die erneute Hauptverhandlung ist dabei auf die beiden Vorwürfe der Körperverletzung sowie die Vorwürfe der Sachbeschädigung beschränkt worden; der Freispruch vom Vorwurf des Diebstahls ist rechtskräftig verblieben.
7
2. Das Landgericht Regensburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 14. August 2014 freigesprochen, ohne eine Maßregel anzuordnen. Die Vorwürfe der Körperverletzung mit Freiheitsberaubung vom 31. Mai 2002 sowie der Sachbeschädigung in den Jahren 2004 und 2005 hat es nach der Beweiswürdigung als nicht erwiesen angesehen und den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung vom 12. August 2001 ist das Landgericht Regensburg zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe den gesetzlichen Tatbestand vorsätzlich und rechtswidrig erfüllt, habe im Tatzeitpunkt aber nicht ausschließbar ohne Schuld im Sinne des § 20 StGB gehandelt. Der Freispruch des Angeklagten von diesem Vorwurf fußt auf diesen rechtlichen Erwägungen.
8
3. Der Angeklagte beanstandet nunmehr mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision seine Freisprechung, soweit diese (nur) aus Rechtsgründen erfolgt ist; die für die Zulässigkeit seines Rechtsmittels erforderliche Be- schwer leitet er aus den vom Landgericht Regensburg zum objektiven Tatgeschehen getroffenen Feststellungen ab.

II.


9
Die Revision des Angeklagten ist unzulässig und war daher gemäß § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
10
Die Freisprechung wegen nicht erwiesener Schuldfähigkeit im Sinne von § 20 StGB beschwert den Angeklagten nicht. Sie kann deshalb von ihm nicht mit der Revision angefochten werden.
11
1. Ein Angeklagter kann eine Entscheidung nur dann zulässig anfechten, wenn er durch sie beschwert ist. Dies bedeutet, dass die Urteilsformel einen unmittelbaren Nachteil für den „Beschwerten“ enthalten muss, der seine Rechte und geschützten Interessen unmittelbar beeinträchtigt. Es genügt nicht, wenn ihn nur der Inhalt der Urteilsgründe in irgendeiner Weise belastet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – 5 StR 499/54, BGHSt 7, 153 ff. [Freisprechung aus sachlichen Gründen]; Urteil vom 26. März 1959 – 2 StR 566/58, BGHSt 13, 75, 76 f. [Einstellung wegen Verjährung]; Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 376 ff.; Urteil vom 4. Mai 1970 – AnwSt (R) 6/69, BGHSt 23, 257, 259 [Verurteilung vor dem Ehrengericht ]; Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 743/78, BGHSt 28, 327, 330 f. [Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB]; Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 304/15 [Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB]; KG, Beschluss vom 11. Juli 2014 – 2 Ws 252/14141 AR 316/14; OLG München NJW 1981, 2208; zuvor bereits RGSt 4, 355, 359).
12
a) Bei dem Erfordernis der Tenorbeschwer handelt es sich um ein richterrechtlich entwickeltes Rechtsmittelerfordernis, hinter dessen historischer Entstehung der Gedanke vom staatlichen Strafanspruch steht. Die Aufgabe eines Strafverfahrens liegt in der justizförmigen Prüfung, ob gegen den Angeklagten ein staatlicher Strafanspruch besteht (vgl. BVerfGE 80, 244, 255; 95, 96, 140; BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 378; und vom 18. März 2015 – 2 StR 656/13, Rn. 13, NJW-Spezial 2015, 569 f.). Kann keine strafbare Tat festgestellt werden und kommt keine Maßregel der Besserung und Sicherung in Betracht, so ist damit die Aufgabe der Strafrechtspflege im einzelnen Strafverfahren grundsätzlich erfüllt. Dem Angeklagten mag im Einzelfall zwar daran liegen, aus einem bestimmten Grund – etwa wegen erwiesener Unschuld – freigesprochen zu werden. Insoweit stehen seinem Verlangen aber die Interessen der staatlichen Rechtspflege entgegen, der die Feststellung genügt, dass gegen den Angeklagten kein Strafanspruch besteht und keine Maßregel in Betracht kommt. So wird etwa auch bei nicht hinreichendem Tatverdacht gegen den Angeschuldigten das Hauptverfahren nicht eröffnet (§ 203 StPO), selbst wenn dieser das Interesse haben sollte, sich öffentlich von den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu reinigen. Die allgemeine Aufgabe der Strafrechtspflege zwingt aus prozesswirtschaftlichen Gründen zur Beschränkung im einzelnen Strafverfahren, insbesondere um eine uferlose Ausweitung der Beweisaufnahme zu vermeiden. Hat der Angeklagte daher keinen Anspruch darauf, aus einem bestimmten Grund freigesprochen zu werden, so kann ihm auch nicht das Recht zustehen, einen solchen Anspruch durch ein Rechtsmittel geltend zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 380). Etwaige durch die Entscheidungsgründe des Tatgerichts verursachte Folgen tatsächlicher Art würden durch ein Rechtsmittel ohnehin nicht rückgängig gemacht werden können (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 304/15).
13
Eine Beschwer kann sich deshalb für den Angeklagten nur aus der Entscheidungsformel des Urteils ergeben. Ein ihm günstigeres Ergebnis als die Freisprechung kann der Angeklagte nicht erzielen. Sonstige Rechts- und Interessenverletzungen durch die Gründe der Entscheidung, die nur die „Unterla- gen des Urteils“ bilden (vgl. RGSt 4, 355, 359), sind der Überprüfung durch ein Rechtsmittelgericht demgegenüber entzogen. Auch mittelbare Folgen des Verfahrens , etwa der gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 BZRG zwingende Registereintrag oder Verwaltungsangelegenheiten, begründen keine Beschwer, die zur Zulässigkeit der Revision führt. Dem hat sich das Schrifttum überwiegend angeschlossen (vgl. Cirener in: Graf, StPO, 2. Aufl., § 296 Rn. 8; Hannich in: Karlsruher Kommentar, 7. Aufl., vor § 296 Rn. 5a; Jesse in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., vor § 296 Rn. 57; Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., vor § 296 Rn. 11 und 13; Krack, Die Rehabilitierung des Beschuldigten im Strafverfahren, S. 186 ff. und S. 194 ff.; Radtke in: FS für Roxin, Bd. 2, S. 1419, 1427 ff.).
14
Auf den Fall der Freisprechung wegen Schuldunfähigkeit hat der Bundesgerichtshof diese Grundsätze in der Vergangenheit bereits angewendet und dem Angeklagten die Rechtsmittelbefugnis mangels Beschwer verwehrt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374, 376 ff.). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
15
b) Nach Maßgabe dessen ist der Angeklagte durch das freisprechende Urteil der Strafkammer nicht beschwert. Eine Beschwer ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Strafkammer in tatsächlicher Hinsicht für den Angeklagten nachteilige Feststellungen zu dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001 getroffen und die Freisprechung in Anwendung des Zweifelssatzes auf die Schuldunfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 20 StGB gestützt hat.
16
aa) Erfolgt ein Freispruch aus rechtlichen Gründen, sind Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Urteilsgründen aus Rechtsgründen erforderlich und geboten. Dies gilt mit Blick auf die für den Angeklagten und die Staatsanwaltschaft gleichermaßen bestehende Rechtsmittelbefugnis in besonderem Maße in Konstellationen wie der vorliegenden, wenn der Freispruch wegen fehlender Schuldfähigkeit erfolgt. Denn Schuld im Sinne von § 20 StGB bedeutet Vorwerfbarkeit und ist ein Rechtsbegriff, keine empirisch-medizinische Diagnose. Für deren Vorliegen kommt es auf den Zustand des Angeklagten bei Begehung der Tat (§ 8 StGB) an; sein Zustand ist genau für diesen Zeitpunkt festzustellen und zu bewerten (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 77; und vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45,

53).


17
So setzt die rechtsfehlerfreie Anwendung des auch für die Frage der (vollen ) Schuldfähigkeit geltenden Zweifelssatzes die umfassende Prüfung des Vorliegens und der Schwere eines festgestellten Eingangsmerkmals des § 20 StGB voraus. Hat ein Sachverständiger eine schwere Abartigkeit weder bejaht noch ausgeschlossen, liegt ein Rechtsfehler vor, wenn der Tatrichter “deshalb” “zu- gunsten” des Angeklagten ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchti- gung dessen Hemmungsvermögens ausgeht. Die Urteilsgründe müssen sich vielmehr dazu verhalten, in welchem Ausmaß sich das Eingangsmerkmal beim Tatentschluss oder der Tatausführung ausgewirkt hat. Etwa das Gewicht der Tat und die dadurch beeinflusste Höhe der von ihr ausgehenden Hemmschwelle können dabei für die Beurteilung Bedeutung gewinnen. Sie müssen deshalb festgestellt und in den Urteilsgründen in für das Revisionsgericht nachprüfbarer Weise dargelegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 – 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116; vom 21. September 1982 – 1 StR 489/82, NJW 1983, 350; und vom 6. Mai 1997 – 1 StR 17/97, NStZ 1997, 485, 486; Beschluss vom 28. Oktober 2009 – 2 StR 383/09, NStZ-RR 2010, 73, 74).
18
Auch der allgemein anerkannte Grundsatz, dass die Schuldfähigkeit regelmäßig nur in Beziehung auf einen bestimmten Straftatbestand, nicht aber unabhängig von diesem beurteilt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 – 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116; und vom 21. September 1982 – 1 StR489/82, NJW 1983, 350), erfordert Feststellungen zum Tatgeschehen im Urteil. Vor allem die Frage der Hemmungsfähigkeit lässt sich bei den verschiedenartigen Straftaten nur selten einheitlich beantworten. So kann ein Betrunkener , der seinen Geschlechtstrieb nicht mehr zu beherrschen vermag und deshalb im Rausch den Versuch einer Sexualstraftat begeht, möglicherweise sehr wohl noch fähig sein, Hemmungen gegenüber einem Raubmotiv einzuschalten ; wer sich infolge seines Rausches schuldlos zu einer Beleidigung hinreißen lässt, kann für eine gefährliche Körperverletzung noch verantwortlich sein (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 – 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116).
19
Soweit entsprechende Feststellungen für den freigesprochenen Angeklagten ungünstig sind und ihn in tatsächlicher Hinsicht beschweren, hat der Gesetzgeber dies grundsätzlich als Folge des justizförmigen Strafverfahrens hingenommen.
20
bb) Diesen Erwägungen hat das Landgericht in dem angegriffenen Urteil Rechnung getragen. Es hat in nicht zu beanstandender Weise dargelegt, von welchem Tatablauf es im Hinblick auf den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung am 12. August 2001 ausgegangen ist. Dabei hat das Landgericht die Feststellungen auf das aus Rechtsgründen Erforderliche beschränkt. Es hat seine Darstellung des Tatgeschehens und der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin sachlich gehalten und sich weitgehend auf die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen beschränkt. Diese Feststellun- gen bilden die von Gesetzes wegen notwendige „Unterlage“ (vgl.RGSt 4, 355, 359 f.) der Entscheidungsformel. Sie vermittelt dem Angeklagten keine Rechtsmittelbefugnis.
21
2. Aus verfassungsrechtlichen Vorgaben, die in extrem gelagerten Ausnahmefällen zu einer Durchbrechung dieser Grundsätze führen können, ergibt sich vorliegend nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht hält den einfachrechtlichen Grundsatz der Tenorbeschwer nicht nur in ständiger Rechtsprechung für verfassungsgemäß, sondern hat diesen auf die Prüfung der Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden sogar jedenfalls grundsätzlich übertragen (vgl. BVerfGE 28, 151, 160 f.; BVerfG, Beschluss vom 30. Mai 2012 – 2 BvR 800/12, 2 BvR 12 BvR 1003/12 (3. Kammer des 2. Senats), Rn. 8 mwN, juris).
22
a) Die Gestaltung des strafprozessualen Rechtsmittelverfahrens und die Auslegung der dafür geltenden Rechtsnormen (§§ 296 ff. StPO) ist originäre Anwendung des einfachen Rechts. Einen verfassungsrechtlich verbürgten An- spruch auf Rechtsmittelkontrolle durch eine übergeordnete Instanz schlechthin gibt es nicht (vgl. BVerfGE 4, 74, 94 f.; 6, 7, 12).
23
b) Indes kann in seltenen Ausnahmefällen auch ein freisprechendes Urteil durch die Art seiner Begründung Grundrechte verletzen (vgl. BVerfGE 6, 7, 9; 28, 151, 160). So kann in einzelnen Ausführungen der Entscheidungsgründe eine Grundrechtsverletzung dann erblickt werden, wenn sie – für sich genommen – den Angeklagten so schwer belasten, dass eine erhebliche, ihm nicht zumutbare Beeinträchtigung eines grundrechtlich geschützten Bereichs festzustellen ist, die durch den Freispruch nicht aufgewogen wird. Das ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die Entscheidungsgründe einzelne, den Beschwerde- führer belastende oder für ihn „unbequeme“ Ausführungen enthalten (vgl. BVerfGE 28, 151, 161).
24
c) Unter Anwendung dieser Maßstäbe liegt ein Ausnahmefall, der zum Zwecke der Wahrung der verfassungsmäßig verbürgten Rechte des Angeklagten einfachrechtlich die Zulässigkeit seiner Revision zur Folge hat, nicht vor. Wie bereits dargelegt, beschränken sich die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen auf das gemäß § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO für die Überprüfung der Urteilsgründe auf Rechtsfehler erforderliche Maß. Aus welchen Feststellungen genau sich eine schlechthin unerträgliche Beschwer für den Angeklagten ergeben soll, legt auch die Revision nicht dar. Ihr Vortrag, das Urteil enthalte „seitenweise negative Aussagen über den Revisionsführer“ (RB S. 5) und setze diesen dem Vorwurf des „gefährlichen Gewaltverbrechers“ (RB S. 15)aus, belegen dies nicht. Für den Angeklagten schlicht unangenehme Aussagen reichen nicht aus. Auch aus der Medienwirksamkeit des Strafverfahrens kann sich eine Beschwer im genannten Sinne nicht ergeben, denn diese ist nicht Folge des Urteils und der Entscheidungsgründe selbst. Beeinträchtigungen des Angeklag- ten aufgrund öffentlicher Berichterstattung können im Falle seiner Verurteilung im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sein, wenn der Druck der medialen Berichterstattung erheblich über das hinaus geht, was jeder Straftäter über sich ergehen lassen muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2007 – 1 StR 164/07, NStZ-RR 2008, 343, 344). Die damit einhergehende seelische Belastung eines Angeklagten kann unter Umständen das Maß des staatlichen Strafanspruchs beeinflussen, seine Rechtsmittelbefugnis bleibt davon indessen unberührt.
25
3. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gibt gleichfalls keinen Anlass, das Erfordernis der Tenorbeschwer für die Zulässigkeit der strafprozessualen Revision aufzugeben.
26
a) Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann die durch Art. 6 Abs. 2 MRK garantierte Unschuldsvermutung auch durch ein freisprechendes Urteil verletzt werden. Es soll dafür nicht nur auf den Tenor der freisprechenden Entscheidung, sondern auch auf die Urteilsbegründung ankommen. Ein Konventionsverstoß kann etwa zu bejahen sein, wenn das nationale Gericht im Fall des Freispruchs aus sachlichen Gründen durch die Urteilsgründe zum Ausdruck bringt, es sei von der Schuld des Angeklagten tatsächlich überzeugt (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland).
27
Bereits zuvor hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 MRK bejaht, wenn eine Gerichtsentscheidung oder die Äußerung eines Amtsträgers nach seiner Bewertung zu erkennen gab, eine einer Straftat angeklagte Person sei schuldig, obwohl der gesetzliche Beweis ihrer Schuld noch nicht erbracht war. Dabei hat der Gerichtshof der konkreten Wortwahl der jeweils angegriffenen Entscheidung maßgebliche Bedeutung beigemessen und diese im Kontext mit der gegebenen Verfahrenslage gewürdigt (vgl. EGMR, Slg. 2000-X Nr. 39, 41 – Daktaras/ Litauen; EGMR, NJW 2004, 43 Nr. 54, 56 – Böhmer/Deutschland; EGMR, Urteil vom 27. Februar 2007 – 65559/01 Nr. 88 f. – Nešťák/Slowakei; EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2008 – 13470/02 Nr. 94 – Khuzhin u.a./Russland; EGMR, Urteil vom 2. Juni 2009 – 24528/02 Nr. 45 ff. – Borovský/Slowakei).
28
Die Garantie des Art. 6 Abs. 2 MRK hat der Gerichtshof dabei vornehmlich in Fällen für verletzt erachtet, in denen der Beschwerdeführer einer Straftat nur verdächtig war, ohne ihretwegen rechtskräftig verurteilt zu sein. Der Gerichtshof hat dabei abermals betont, die Wortwahl der Entscheidung sei im Zusammenhang mit den besonderen Umständen, unter denen die angegriffene Äußerung gemacht wurde, zu bewerten. So hat der Gerichtshof eine Verletzung des Art. 6 Abs. 2 MRK abgelehnt, soweit eine faktische Belastung des Beschwerdeführers für die justizförmige Durchführung des Verfahrens erforderlich oder dessen zwangsläufige Folge war (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland; Urteil vom 27. Februar 2014 – 17103/10 – Karaman/Deutschland, Rn. 63 mwN; Slg. 2013 Nr. 126 – Allen/Vereinigtes Königreich

).


29
b) Der im nationalen Recht geltende Grundsatz der Tenorbeschwer steht zu dieser Rechtsprechung nicht in Widerspruch; er fügt sich in seiner richterrechtlichen Ausprägung sogar in diese ein.
30
aa) Ein Anspruch des Betroffenen auf einen Instanzenzug im Strafverfahren schlechthin lässt sich auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht ableiten. Art. 6 MRK garantiert bereits nicht das Recht auf ein bestimmtes Ergebnis eines Strafverfahrens, etwa nicht auf Verurteilung oder Freispruch wegen einer angeklagten Straftat (vgl. EGMR, Urteil vom 26. August 2003 – 59493/00 – Withey/Vereinigtes Königreich; Urteil vom 3. Dezember 2009 − 8917/05 − Kart/Türkei, NJOZ 2011, 619, 621). Die Bereitstellung und Ausgestaltung des Instanzenzugs ist vielmehr der Regelung durch den nationalen Gesetzgeber unter Wahrung der von der Konvention vorgesehenen Verfahrensgarantien vorbehalten.
31
bb) Aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 (Nr. 48144/09 – Cleve/Deutschland) lässt sich für die hier vorliegende Konstellation nichts Gegenteiliges ableiten.
32
(1.) Dies gilt zum einen deshalb, weil der Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht andere Umstände zugrunde lagen. Der dem Gerichtshof vorgelegte Sachverhalt war dadurch gekennzeichnet, dass sich das erkennende nationale Gericht nach Abschluss der Beweisaufnahme keine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten verschafft und diesen aus sachlichen Gründen freigesprochen hatte. Die schriftlichen Urteilsgründe standen hierzu aber in Diskrepanz , denn sie enthielten Äußerungen, aus denen hervorging, der Angeklagte habe die ihm vorgeworfenen Handlungen tatsächlich begangen, lediglich fehle wegen einer unzureichenden Zeugenaussage die hinreichende Gewissheit hinsichtlich eines bestimmten, für die Verurteilung erforderlichen Tathergangs (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland, Nr. 57 f.).
33
So liegt es hier nicht. Das Landgericht hat den Angeklagten vorliegend nicht aus sachlichen, sondern aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Die Überzeugung von einem bestimmten äußeren Ablauf der angeklagten Tat hat sich das Landgericht verschafft; Zweifel verblieben (nur) an der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Eine der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 vergleichbare Divergenz zwischen dem Tenor und den Gründen des Urteils besteht deshalb nicht. Wie oben ausgeführt war das Landgericht zur rechtsfehlerfreien Anwendung des § 20 StGB sogar gehalten, den für erwiesen erachteten Tatablauf und den Zustand des Angeklagten zu diesem Zeitpunkt im Urteil darzulegen.
34
(2.) Darüber hinaus ist die Entscheidung des Gerichtshofs vom 15. Januar 2015 im Kontext mit seiner seit langem gefestigten Rechtsprechung in den Blick zu nehmen, wonach es für die Verletzung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK entscheidend auf Wortwahl und Formulierung der Urteilsgründe unter Betrachtung der konkreten Verfahrenssituation ankommt. Hieran hat der Gerichtshof unverändert angeknüpft und der Wortwahl der gerichtlichen Äußerungen das maßgebliche Gewicht beigemessen (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Januar 2015 – 48144/09 – Cleve/Deutschland, Nr. 54 f.).
35
Nach Maßgabe dessen ist die Revision des Angeklagten hier nicht ausnahmsweise zulässig, denn eine übermäßige Beschwer liegt bei Gesamtwürdigung der getroffenen Formulierungen nach Freispruch aus rechtlichen Gründen nicht vor. An dieser Stelle fügt sich der Grundsatz der Tenorbeschwer in die Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überdies zwanglos ein, denn eine Ausnahme von der Formalbeschwer für extrem gelagerte Fälle, in denen sich die Belastung des Angeklagten aus Begleitumständen, etwa der Wortwahl des Tatgerichts, ergibt, sieht bereits die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seit jeher vor (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – 5 StR499/54, BGHSt 7, 153 ff.; Beschluss vom 24. November 1961 – 1 StR 140/61, BGHSt 16, 374; vgl. BGHSt 13, 75, 77; 16, 374; 23, 257, 259; 28, 327, 330; Beschluss vom 18. August 2015 – 3 StR 304/15).
36
c) Im Übrigen hat auch das Bundesverfassungsgericht nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 15. Januar 2015 am Erfordernis der Tenorbeschwer nach verfassungsrechtlichen Maßstäben festgehalten (vgl. BVerfG, NZA 2015, 1117, 1119 mwN).
37
4. All dies unbeschadet wäre die Revision des Angeklagten auch unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Beweiswürdigung lässt angesichts des eingeschränkten Prüfungsmaßstabs des Revisionsgerichts Rechtsfehler nicht erkennen. Graf Cirener Radtke RiBGH Prof. Dr. Mosbacher Fischer ist infolge Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 281/00
vom
23. August 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu Ziffer 3 auf dessen Antrag - am
23. August 2000 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 1. März 2000 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; das weitergehende Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm der Angeklagte am Tattag an einer Geburtstagsfeier seiner Schwester in einem Gemeindezentrum teil. Gegen 3.00 Uhr verschaffte sich eine Gruppe von Personen, zu welcher auch das spätere Tatopfer gehörte und die kurz zuvor von der Schwester des
Angeklagten aus dem Gemeindezentrum verwiesen worden waren, gewaltsam erneut Zutritt und drang in den Vorraum des Gebäudes ein. Dort kam es deshalb zwischen Mitgliedern der beiden Gruppen zu einer tätlichen Auseinandersetzung , in deren Verlauf der Lebensgefährte der Schwester des Angeklagten "zu Boden ging". Während diese sich um ihren am Boden liegenden Lebensgefährten kümmerte, stieß der Angeklagte einem der Eindringlinge ein sogenanntes "Überlebensmesser" mit einer Klingenlänge von 22 cm mit bedingtem Tötungsvorsatz wuchtig in den Bauch; das Opfer verstarb alsbald an den Folgen des Stichs. Der Angeklagte wies zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 1,95 %o auf; im Laufe des Abends hatte er einmal Amphetamin ("Speed") und mindestens einmal Heroin injiziert. 2. Das Landgericht hat eine uneingeschränkte Schuldfähigkeit des Angeklagten angenommen. Hierbei hat es sich auf das Gutachten eines in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen gestützt; dieser hat ausgeführt , es seien keine Hinweise für eine Zerstörung der Sinnkontinuität oder für eine Persönlichkeitsfremdheit der Tat erkennbar. Der Angeklagte sei minder begabt, aber nicht schwachsinnig. Er habe nach der Tat folgerichtig gehandelt, indem er das Messer versteckte; er habe sich unauffällig verhalten und keine Ausfallserscheinungen gezeigt. Die Wirkung des Alkohols sei durch das zusätzlich konsumierte Rauschgift nicht erhöht worden; dieses habe vielmehr dämpfend gewirkt. Das Nachtatverhalten des Angeklagten spreche dagegen, daß er vor der Tat mehr als einmal Heroin gespritzt habe. Das Landgericht hat sich diesen im Urteil wiedergegebenen Darlegungen des Sachverständigen angeschlossen; ihre Würdigung durch das Gericht beschränkt sich auf die Bemerkung, sie seien überzeugend. Dies läßt besorgen , daß das Landgericht die ihm obliegende umfassende eigene rechtliche
Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nur unzureichend vorgenommen und seine Beurteilung isoliert auf die vom Sachverständigen angesprochenen Gesichtspunkte gestützt hat.
a) Die im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen sind schon für sich nicht bedenkenfrei, soweit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit - die im Urteil als solche nicht angesprochen ist - ausgeschlossen wird. Diese setzt weder eine Zerstörung der Sinnkontinuität noch eine Persönlichkeitsfremdheit der Tat voraus; auch dem Umstand, daß der Angeklagte sich an die Ereignisse des Tattages erinnert hat, kommt insoweit nur geringes Gewicht zu. Die Erwägung, das zusätzlich injizierte Rauschgift habe die Alkoholwirkung gedämpft, ist hinsichtlich der Injektion von Amphetamin nicht naheliegend; die Annahme, das Nachtatverhalten spreche gegen die vom Angeklagten behauptete zweimalige Injektion von Heroin, ist mit den Ausführungen zur dämpfenden Wirkung nicht ohne weiteres vereinbar. Daß der Angeklagte die Tat gegenüber den am Tatort eintreffenden Polizeibeamten zunächst einräumte, kurz darauf aber leugnete, trägt die Wertung eines "folgerichtigen" Nachtatverhaltens nicht. Die Frage einer Wechselwirkung zwischen Alkohol, Heroin und Amphetamin ist nur unzureichend behandelt; eine mögliche Ernüchterung durch die Tat, welche das als folgerichtig und ruhig geschilderte Nachtatverhalten erklären könnte, ist nicht erörtert.
b) Auf eine umfassende eigene Würdigung durch das Gericht konnte hier auch im Hinblick auf den zur Tat führenden Geschehensablauf nicht verzichtet werden. Zwar hat das Landgericht die vom Angeklagten behauptete Nothilfe zugunsten seiner Schwester im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Dies hat es jedoch nicht darauf gestützt, daß der vom Angeklagten behauptete NothilfeWille den unvermittelten Einsatz des Messers mit Tötungsvorsatz gegen die
unbewaffneten Angreifer nicht hätte rechtfertigen können, sondern auf die mit den Feststellungen kaum vereinbare Erwägung, die "Rangeleien" seien "von beiden Seiten ausgegangen" und zum Tatzeitpunkt "längst beendet" gewesen (UA S. 13). Aus welchen Gründen das Landgericht der Einlassung des Angeklagten nicht gefolgt ist, kurz vor Einsatz des Messers sei seine Schwester von einer der eingedrungenen Personen geschlagen und getreten worden, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Die nachfolgenden knappen und formelhaften Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines sonstigen minder schweren Falles im Sinne von § 213, 2. Alternative StGB ablehnt, führen zwar aus, weder die Enthemmung des Angeklagten durch Alkohol, noch sein Zorn über das Verhalten der Mitglieder der anderen Gruppe rechtfertigten die Annahme eines minder schweren Falles; sie verhalten sich aber weder zur ersten Alternative des § 213 StGB noch enthalten sie eine vom Revisionsgericht nachprüfbare Gesamtwürdigung.
c) Der Senat kann angesichts der unzureichenden Darlegungen und des Fehlens einer Auseinandersetzung mit den im einzelnen bedenklichen Ausführungen des Sachverständigen nicht ausschließen, daß das Landgericht bei der Verneinung einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten von unzutreffenden Erwägungen ausgegangen ist. Der Rechtsfolgenausspruch war daher aufzuheben.
3. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumiert der zur Tatzeit 30 Jahre alte Angeklagte seit seinem 16. Lebensjahr Haschisch, seit seinem 25. Lebensjahr Amphetamine und Heroin, das er injiziert. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, sich unter dem Gesichtspunkt des § 64 StGB auch hiermit auseinanderzusetzen. Jähnke RiBGH Niemöller ist wegen Ri'inBGH Dr. Otten ist inEintritts in den Ruhestand folge Urlaubs verhindert, verhindert, seine Unterschrift ihre Unterschrift beizufübeizufügen. gen. Jähnke Jähnke Rothfuß Fischer

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 359/04
vom
3. September 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2004 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20. April 2004 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verh andlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete , auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Strafausspruch Erfolg. Zum Schuldspruch ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin vor der Tat schon über Stunden sich hinziehende Streitigkeiten. Als der Angeklagte schließlich die Wohnung verlassen wollte, brachte seine Lebensgefährtin ihn von hinten zu Fall. Er fiel mit der rechten Hand in einen am Boden befindlichen Werkzeugkasten. Sie stürzte ebenfalls. Wütend stieß der Angeklagte mit vier wechselnden Werkzeugen 48 mal aus wechselnden Stellungen mit großer Wucht auf die Frau ein, vorwiegend in den Brust- und Halsbereich. Das Opfer verstarb unmittelbar nach der Tat an Kreislaufversagen. Der Angeklagte hatte zur Tatzeit eine Blutalkoholkonzentration von 2,68 o/oo. Nach der Tat fühlte er den Puls des Opfers und spürte nichts mehr. Er verständigte die Polizei per Notruf und erklärte, er glaube, er habe seine Frau umgebracht. Danach legte er dem Opfer einen Hammer quer über den Oberbauch , mit dem Stiel in die rechte Hand. 2. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe nur noch "rot" gesehen, er sei so explodiert, daß er nicht mehr gewußt habe, was er mache. Ihm seien fünf bis sechs Stiche erinnerlich. Er glaube auch, nur ein Werkzeug benutzt zu haben. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er über der Frau gekniet und das Blut gesehen habe. 3. Die sachverständig beratene Strafkammer hat im Anschluß an den Sachverständigen eine Aufhebung oder Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit ausgeschlossen. Eine solche habe weder aus alkoholbedingten noch aus anderen Gründen vorgelegen (UA S. 8). Der Sachverständige hat zunächst eine alkoholbedingte krankhafte seelische Störung
und sodann eine affektive tiefgreifende Bewußtseinsstörung verneint. "Zwar sei beim Geschehen ein Affekt beteiligt" gewesen. Von einer erheblich verminderten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit könne jedoch nicht ausgegangen werden. Die Kammer nimmt einen "unbeherrschten Gefühlsausbruch" an und stellt bei ihrer eigenen Bewertung auf das zielgerichtete Nachtatverhalten ab.

II.

Die Erwägungen, mit denen sie eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne von § 21 StGB verneint, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 1. Der Sachverständige und auch die Strafkammer haben die in Betracht kommenden Eingangsmerkmale des § 20 StGB jeweils isoliert betrachtet und abgehandelt. Sie haben es verabsäumt, den beteiligten Affekt bzw. den unbeherrschten Gefühlsausbruch zusammen mit der Alkoholisierung des Angeklagten in einer Gesamtbetrachtung zu würdigen. Eine solche Gesamtwürdigung war geboten, weil beide Faktoren im Zusammenwirken hier eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB bewirkt haben können (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3). 2. Sachverständiger und Strafkammer haben bei der Prüfung der Schuldfähigkeit auch den Tatablauf in ihre Erwägungen nicht hinreichend einbezogen. Auf das sinnlose Zufügen von 48 Stichen mit vier wechselnden Werkzeugen gehen sie dabei nicht ein. Dieser wesentliche Gesichtspunkt hätte in die Gesamtwürdigung mit einbezogen werden müssen. Das Unterlassen stellt einen Erörterungsmangel dar (vgl. BGHR StGB § 20 Bewußtseinsstörung 9).
Die Kammer äußert sich in den Urteilsgründen nicht dazu, ob sie die vom Angeklagten behauptete Erinnerungslücke bei der Tat für glaubhaft hält oder nicht. Der Sachverständige bezieht sich insoweit auf Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei, die aber in Einzelheiten im Urteil nicht dargestellt sind (UA S. 18). Auch die isolierte Betrachtung des umsichtigen Nachtatverhaltens durch die Kammer (UA S. 21, 22) ist rechtlich zu beanstanden. Zwar kann diesem Indizwirkung zukommen, das Landgericht hat aber die spezielle Tatzeitverfassung des Täters aufgrund einer sachverständigen Bewertung seines Verhaltens vor, bei und nach der Tat zu ermitteln (vgl. BGH NStZ 1984, 259; BGHR StGB § 21 Bewußtseinsstörung 3). Diese Bewertung hat das Landgericht nicht vorgenommen.

III.

Die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf nach alledem neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen können aufrechterhalten bleiben. Eine Schuldunfähigkeit kann der Senat aufgrund der getroffenen Feststellungen ausschließen. Ergänzende Feststellungen sind möglich. VRiBGH Nack ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Wahl Wahl Kolz Elf Graf