Bundesgerichtshof Urteil, 19. März 2009 - 4 StR 516/08

bei uns veröffentlicht am19.03.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 516/08
vom
19. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts des Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. März
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für den Nebenkläger Dr. P. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für die Nebenklägerin B. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 24. April 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf, den zur Tatzeit 75 Jahre alten Edmund P. in der Nacht vom 30. zum 31. Oktober 1993 heimtückisch und aus Habgier getötet zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die Nebenkläger mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfah- rungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18, 20). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung auch dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGHR § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.; BGH NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NStZ 2004, 35, 36; NStZ-RR 2005, 209; BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 -1 StR 292/08, jew. m.w.N.).
4
Dem wird die Beweiswürdigung nicht gerecht:
5
Sie ist lückenhaft, weil das Urteil nicht erkennen lässt, dass das Landgericht alle Umstände, die nach den mitgeteilten Beweisergebnissen geeignet sind, die Entscheidung zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat. Dies gilt insbesondere, soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, der Angeklagte habe für den angenommenen Tatzeitraum ein Alibi, weil er nach der verlesenen Aussage des Zeugen Bi. am 1. November 1993 für zwei Nächte ein Zimmer im „G. - “ in H. angemietet gehabt habe. Worauf das Landgericht seine Annahme stützt, der Angeklagte habe deshalb keine ausreichende Gelegenheit zur Begehung der Tat gehabt, lässt sich den Urteilsausführungen nicht entnehmen, zumal sie sich nicht dazu verhalten, ob der Zeuge Bi. den Angeklagten in der Zeit vom 1. bis zum 3. November 1993 in dem Hotel gesehen hat, gegebenenfalls, an welchen Tagen und in welchen Zeiträumen. Das hätte schon deshalb der Erörterung bedurft, weil der Angeklagte, obwohl er sich am 31. Oktober 1993 in dem Hotel „G. - “ aufgehalten und seine Rechnung bezahlt hatte, bereits in den frühen Morgenstunden desselben Tages auf dem Bahnhof DreilebenDrackenstedt gesehen wurde, als er in den Zug nach Magdeburg einstieg. Die Anmietung des Hotelzimmers für die Zeit vom 1. bis zum 3. November 1993 hinderte ihn auch nicht, in Magdeburg die Zeugin S. am 2. November 1993 bereits gegen 10:00 Uhr morgens und nochmals am nächsten Tag aufzusuchen und der Zeugin an einem dieser Tage einen Koffer mit den Gegenständen des Tatopfers zu übergeben.
6
Zudem hat das Landgericht den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft angewendet , indem es zugunsten des Angeklagten unterstellt hat, dieser habe den Videorecorder und die Taschenuhr des Tatopfers bereits vor dem 1. November 1993 entwendet, weil nicht auszuschließen sei, dass sich die Gegenstände in einem der Koffer befunden hätten, mit denen der Angeklagte am 31. Oktober 1993 in den Zug nach Magdeburg eingestiegen sei. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die die Annahme dieser für den Angeklagten günstigen Tatvariante gebieten könnten (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 209 m.w.N.), liegen nach dem bisherigen Beweisergebnis nicht vor.
7
Im Übrigen hat sich das Landgericht vorschnell von der Richtigkeit der Aussagen der Zeugen L. und Sch. überzeugt, ohne sich mit Indizien auseinanderzusetzen, die für einen Irrtum der Zeugen sprechen könnten. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
8
Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
Tepperwien Maatz Athing
Franke Mutzbauer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 19. März 2009 - 4 StR 516/08

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Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 19. März 2009 - 4 StR 516/08 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

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Bundesgerichtshof Urteil, 21. Okt. 2008 - 1 StR 292/08

bei uns veröffentlicht am 21.10.2008

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 292/08 vom 21. Oktober 2008 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Oktober 2008, an der teilgenommen haben

Referenzen

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 292/08
vom
21. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Oktober
2008, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte - in der Verhandlung - und
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen Freispruch richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, welche vom Generalbundesanwalt vertreten wird, mit der Sachrüge.
2
Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte bewohnte gemeinsam mit dem Geschädigten S. das Doppelzimmer Nr. 24 des Männerwohnheims der C. in Stutt- gart. Zwischen ihnen bestand ein freundschaftliches Verhältnis. Der Angeklagte unterstützte S. in privaten sowie behördlichen Angelegenheiten und hat ihm auch den Platz im Wohnheim beschafft. Beide sind dem Trinkermilieu zuzurechnen.
5
Am Vormittag des 2. Juni 2007 erhielten sie Besuch von dem Mitbewohner K. , der ebenfalls "russlanddeutscher Aussiedler" war und sich mit S. angefreundet hatte. Das Verhältnis des Angeklagten zu K. war dagegen aufgrund nicht aufgeklärter Vorfälle belastet. Die drei Personen tranken im Zimmer eine 0,7 Liter fassende Flasche Wodka aus.
6
Um die Mittagszeit - nach 11.30 Uhr - verließen S. und K. das Wohnheim, während der Angeklagte allein im Zimmer 24 zurückblieb. Die beiden suchten eine Tankstelle auf, wo sie eine weitere Flasche Wodka und einige Flaschen Bier konsumierten, die S. , der am Tag zuvor sein Arbeitslosengeld II erhalten hatte, bezahlte. Im Laufe des Nachmittags - der genaue Zeitpunkt ließ sich nicht feststellen - kehrten sie ins Wohnheim zurück. S. war so betrunken, dass er nur von K. gestützt sein Zimmer erreichen konnte. Die dem später Geschädigten um 19.30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 4,2 ‰. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte bei der Rückkehr S. s sich in ihrem Zimmer aufhielt. K. ging in sein eigenes Zimmer Nr. 20.
7
Der Angeklagte kaufte sich um 15.37 Uhr in einem Kiosk am Stuttgarter Hauptbahnhof zwei Schachteln der von ihm gerauchten Zigarillos der Marke "Basic Blue". Die Uhrzeit ergibt sich aus den Aufzeichnungen der Registrierkasse. Der Weg vom Wohnheim dorthin beträgt ca. zehn Gehminuten.
8
Am Nachmittag des 2. Juni 2007 vor 17.45 Uhr wurde der Zeuge S. von einer unbekannten Person in seinem Zimmer angegriffen und schwer verletzt. Es bestand akute Lebensgefahr. Er erlitt eine stark blutende, doppelte offene Unterkiefer- sowie Nasenbeinfraktur und verschiedene Schürfwunden. Außerdem wurde er am Hals mit einem kabelartigen Gegenstand, dessen Adern teilweise freilagen, gedrosselt, wodurch im Halsbereich deutlich sichtbare Strangmarken entstanden. Ein Stahldraht - ein Teil des Tatwerkzeugs - wurde am 5. Juni 2007 in der Nähe des Bettes des Angeklagten unter dort abgestellten Badezimmerpantoffeln aufgefunden.
9
Der verletzte S. wurde am Tattag gegen 17.45 Uhr vom Pförtner L. in nicht ansprechbarem, blutverschmiertem Zustand, auf einem Treppenabsatz liegend, vorgefunden. Mit Hilfe eines weiteren Bewohners brachte dieser ihn zurück in sein Zimmer. Herbeigerufene Polizeibeamte, Rettungssanitäter und Notarzt hielten sich dort von ca. 18.00 Uhr bis 19.05 Uhr auf. In diesem Zeitraum war der Angeklagte nicht im gemeinsam bewohnten Zimmer. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und auf der Intensivstation behandelt.
10
Um 20.20 Uhr versuchten Kriminalbeamte, die inzwischen den Fall übernommen hatten, die Tür zum Zimmer 24 mit einem überlassenen Schlüssel zu öffnen. Sie trafen in dem von innen verschlossenen Raum den Angeklagten an und nahmen ihn mit zur Kriminalwache. Die Beamten hatten mehrere blutverdächtige Antragungen an Hemd und Hose des Angeklagten festgestellt. Die sachverständig beratene Kammer gelangt auf der Grundlage eines molekulargenetischen Gutachtens zu der Überzeugung, dass diese Blutspuren vom Geschädigten S. herrühren.
11
2. Der gegen den Angeklagten sprechende Tatverdacht beruht auf folgenden Erkenntnissen:
12
a) Die wechselnden Einlassungen des einschlägig vorbestraften Angeklagten :
13
Gegenüber KOK T. gab er am Tattag um 20.20 Uhr an, er habe gegen 18.00 Uhr das Wohnheim verlassen. Zu dem Zeitpunkt sei es S. noch gut gegangen. Vor dem Haftrichter führte er aus, als er gegen 16.30 Uhr das Wohnheim verlassen habe, seien S. und K. bereits zurück gewesen. In der Hauptverhandlung ließ er sich dahin ein, er habe S. am Tattag nicht mehr gesehen, nachdem dieser mit K. fortgegangen sei. Er selbst habe das Wohnheim gegen 15.00 Uhr verlassen, habe nach dem Zigarillokauf noch zwei Bekannte getroffen und sei um 18.30 Uhr in das Zimmer zurückgekehrt. Zu dem Zeitpunkt sei niemand darin gewesen. Beim Haftrichter sei er falsch verstanden worden.
14
b) Die Blutspuren des Geschädigten auf Hemd und Hose des Angeklagten :
15
In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sich ferner dahin eingelassen , das Blut des Geschädigten auf seiner Kleidung sei dadurch zu erklären, dass S. am Vormittag des Tattages in einem Krampfanfall mit dem Kopf auf den Tisch geschlagen sei und Nasenbluten bekommen habe. Hierbei müsse er selbst mit dem Blut des Geschädigten in Kontakt gekommen sein. Nach den Ausführungen des Sachverständigen B. sind die Blutspuren nicht mit einem Nasenbluten zu vereinbaren, weil es sich um Spritzspuren handele.
16
3. Das Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen vermocht.
17
a) Die wechselnden Einlassungen des Angeklagten sieht es zwar hinsichtlich der zeitlichen Einordnung seines Verlassens und seiner Rückkehr zum Wohnheim als widerlegt an, zumal auch die benannten Bekannten sich an ein Treffen mit dem Angeklagten nicht erinnern konnten. Gleichwohl ist das Landgericht der Auffassung, dass nicht ausgeschlossen werden könne, die Tat sei in der Abwesenheit des Angeklagten von mindestens einer halben Stunde, die er zum Zigarillokauf um 15.37 Uhr gebraucht habe, begangen worden.
18
b) Die Blutspuren, bei denen auch das Landgericht von Spritzspuren ausgeht, die nicht von einem Nasenbluten herrühren, seien "nicht geeignet die volle Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten zu begründen , da das Alter dieser Blutantragungen nicht geklärt werden konnte". In diesem Zusammenhang führt die Kammer u.a. aus, im Trinkermilieu, dem der Angeklagte und S. zuzuordnen seien, stünden Sauberkeit und Hygiene nicht an erster Stelle, sodass nicht damit gerechnet werden könne, dass Kleidungsstücke regelmäßig gewaschen werden. Deshalb sei "es nicht nur nicht auszuschließen, sondern sogar zu einem gewissen Grad wahrscheinlich", dass die auf der Kleidung des Angeklagten gefundenen Blutspuren des Geschädigten schon älter seien.
19
c) Den aufgefundenen Stahldraht hat der Sachverständige B. als Teil des Tatwerkzeugs qualifiziert, weil sich mit diesem zwar nicht alle am Hals des Geschädigten festgestellten Strangmarken erklären ließen, jedoch ein großer Teil. Die molekulargenetische Untersuchung dieses Stahldrahtstückes hat eine Mischspur von zumindest zwei Personen ergeben, die im Hauptspurenanteil dem Geschädigten zuzuordnen ist. Der Angeklagte war aber als Mischspurenverursacher sicher auszuschließen. Nach Meinung der Kammer liege es nicht fern, dass der zweite Verursacher, eine unbekannte Person, der Täter der Körperverletzung sei. Sie könne mit Sicherheit ausschließen, dass nach der Tat jemand mit dem Stahldrahtstück in Berührung gekommen sei, da das Zimmer nach dem Antreffen des Angeklagten um 20.20 Uhr des Tattages von den Kri- minalbeamten verschlossen und danach von niemandem mehr betreten worden sei.
20
d) Ein beim Angeklagten bestehendes Motiv "sei nicht zu erkennen". Es spreche nichts dafür, dass es vor der Tat zu einem Bruch im guten Verhältnis zwischen dem Angeklagten und S. gekommen sei. Bei dieser Sachlage sei "das fehlende Motiv des Angeklagten als ein ihn nicht unerheblich entlastender Gesichtspunkt zu bewerten".

II.

21
Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
22
1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung "lebensfremd" erscheinen mag. Demgegenüber ist eine Beweiswürdigung etwa dann rechtsfehlerhaft , wenn sie schon von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht (z.B. hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes), wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; BGH NJW 2005, 1727; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33, jew. m.w.N.).
23
2. Das Landgericht hat umfänglich die den Angeklagten belastenden Indizien sowie die ihn entlastenden Umstände aufgelistet und gewürdigt. Gleichwohl werden die Abwägungen den vorstehenden Grundsätzen nicht in vollem Umfang gerecht. Insbesondere hat das Landgericht den Zweifelssatz rechtsfehlerhaft angewendet.
24
Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichende Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274). Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (Senat, Urt. vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06). Keinesfalls gilt er für entlastende Indiztatsachen (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m.w.N.).
25
a) Das Landgericht hatte u.a. als besonders gewichtiges Belastungsindiz zu prüfen, ob die dem Geschädigten zuzuordnenden Blutspuren auf Hemd und Hose des Angeklagten dessen Täterschaft belegen können. Soweit es eine vor der Tat liegende Entstehung der Blutspuren in Form von Spritzspuren unter Hinweis auf das Trinkermilieu und die in Augenschein genommenen Fotos des Tatortes, die ein vermülltes und unaufgeräumtes Zimmer zeigen, für wahrscheinlich hält, fehlt es an jeglichen Anknüpfungstatsachen, zumal nicht festgestellt werden konnte, wann die betreffenden Kleidungsstücke zuletzt gewaschen oder gereinigt wurden. Das Landgericht hat ausdrücklich dargelegt, dass sich frühere Übergriffe des Angeklagten auf den Geschädigten nicht feststellen ließen. Der Sachverständige hat Kontakt- oder Tropfspuren ausgeschlossen, das Blut müsse vielmehr auf die Kleidungsstücke gespritzt sein. Das spricht für eine massive Gewalteinwirkung und nicht etwa für eine bloße Verletzung im Alltag. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass im Trinkermilieu Blutanhaftungen in Form von Spritzspuren üblicherweise entstehen. Bei der früheren Entstehung handelt es sich daher um eine rein denktheoretische Möglichkeit ohne verlässliche Tatsachengrundlage. Der Angeklagte selbst hat sich auf eine Entstehung vor dem Tattag nicht berufen. Seine Einlassung, die Ursache sei in einem Nasenbluten des Geschädigten zu sehen, wurde widerlegt. Allein das Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten eine frühere Entstehung angenommen, was besorgen lässt, dass der Zweifelssatz auf eine einzelne Indiztatsache angewendet wurde. Dafür spricht auch die Formulierung, die Blutspuren seien nicht geeignet, die volle Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten zu begründen.
26
b) Im Rahmen der Motivprüfung stellt die Kammer fest, ein Motiv für einen Angriff auf S. sei beim Angeklagten "nicht zu erkennen". Daraus zieht sie zu Gunsten des Angeklagten den Schluss, ein Motiv "fehle", was sie als einen ihn nicht unerheblich entlastenden Gesichtspunkt bewertet. Bei diesem Schluss wurde der Zweifelssatz - was hier durchgreifend rechtsfehlerhaft ist - auf ein einzelnes Indiz, das Tatmotiv, angewendet. Das Landgericht konnte nämlich ein Tatmotiv lediglich "nicht erkennen", hat daraus aber gleichwohl den Schluss gezogen, dass ein Tatmotiv "fehle". Ein bloß unaufklärbares Motiv ist aber nicht gleichbedeutend mit einem tatsächlich fehlenden Tatmotiv, welches in der Tat ein nicht unerhebliches Entlastungsindiz wäre.
27
3. Im Übrigen wird zur weiteren Begründung auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift Bezug genommen.

III.

28
Die Sache muss somit neu verhandelt und entschieden werden. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf