Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06

bei uns veröffentlicht am11.07.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 113/06

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 11. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2006,
an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. August 2005 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 StGB) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die von der Bundesanwaltschaft nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Verurteilte Der war durch das Landgericht Frankfurt (Oder) am 22. Februar 2000 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, begangen am 27. April 1998 und am 6. August 1999, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie – infolge der Zäsurwirkung einer weiteren Verurteilung – zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. In dem damaligen Verfahren war der Verurteilte im Wesentlichen geständig. Eine Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen erfolgte nicht.
3
Die Strafhaft wegen der Anlassverurteilung endete am 5. März 2005. Nach der Verbüßung einer sich anschließenden Ersatzfreiheitsstrafe wurde der Verurteilte am 24. März 2005 aus der Haft entlassen. Seitdem wohnt er bei seinen Eltern. Vier Tage in der Woche ist er „auswärts auf Montage“. Er hält regelmäßig Kontakt zu seinem Bewährungshelfer, der im Rahmen der Führungsaufsicht bestellt worden ist.
4
Die beiden eingeholten psychiatrischen Gutachten kommen zum Ergebnis , dass der Verurteilte ausgeprägte dissoziale Merkmale wie fehlende Empathie, Rücksichtslosigkeit, kriminelle Vielseitigkeit, hohe Selbstbezogenheit , Omnipotenzfantasien und nachhaltige Kränkbarkeit aufweise. Es sei nicht erkennbar, dass es während der Haft zu einer positiven Veränderung bei dem Verurteilten gekommen sei. Er habe es trotz seines 13-monatigen Aufenthalts in der sozialtherapeuthischen Abteilung der Haftanstalt abgelehnt , eine Therapievereinbarung zu unterschreiben, und habe deshalb in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt werden müssen. Insgesamt sei aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur von einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen.
5
Das Landgericht hat die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt, weil während des Vollzuges keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien, die als „neue Tatsachen“ im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB zu beurteilen wären.

II.


6
Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
7
von Die den Sachverständigen festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Verurteilten sind keine „neuen Tatsachen“ im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB.
8
„Neue Tatsachen“ der in § 66b StGB genannten Art sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGHSt 50, 180, 187; BGH NJW 2006, 1442, 1444). Ob diese Tatsachen bereits im Ausgangs- oder einem früheren Verfahren Grundlage einer sachverständigen Bewertung waren, ist ohne Belang (vgl. BGH NStZ 2006, 276, 278). Maßgeblich ist nicht die neue oder – wie hier – sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung oder der letzten Möglichkeit Sicherungsverwahrung anzuordnen, bereits vorlagen und bekannt oder erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 275, 278; BGH NJW 2006, 1442, 1444).
9
Hierzu hat die Bundesanwaltschaft im Terminsantrag vom 18. April 2006 zutreffend ausgeführt:
10
von „Die den Gutachtern getroffenen Schlussfolgerungen beruhen nicht auf konkreten ‚neuen’ Anknüpfungstatsachen. Vielmehr belegen die Sachverhalte, die der Verurteilung vom 22. Februar 2000 zugrunde lagen, dass die nunmehr festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Betroffenen und sein Gefährlichkeitspotenzial bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung vorgelegen haben und erkennbar waren. Hierfür spricht insbesondere die offensichtliche Steigerung seiner Gewaltbereitschaft bei Begehung der Taten innerhalb von knapp eineinhalb Jahren.“
11
Zu Recht hat die Strafkammer es für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch nicht für ausreichend erachtet, dass sich der Verurteilte letztlich geweigert hat, eine Therapievereinbarung zu unterschreiben. Zwar kann die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie grundsätzlich zu den in § 66b Abs. 1 StGB genannten „neuen Tatsachen“ gehören (vgl. BGHSt 50, 121, 126; 275, 280 f.), auch wenn dieser Umstand allein für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung grund- sätzlich nicht genügt (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13; BGHSt 50, 121, 126 f.). Die Therapieverweigerung kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige „neue Tatsache“ angesehen werden, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen konnte, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer erfolgversprechenden Therapie unterziehen (vgl. BGHSt 50, 275, 281; BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 – 4 StR 393/05). Hiervon kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen werden, weil die Frage der Therapiewilligkeit im Urteil vom 22. Februar 2000 nicht erörtert worden ist, so dass eine grundlegende nachträgliche Haltungsänderung nicht erkennbar ist (vgl. hierzu BGHSt 50, 275, 280 f.; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 – 1 StR 482/05). Im Übrigen beruhte die Weigerung des Verurteilten nicht auf einer generellen Ablehnung therapeutischer Maßnahmen, sondern auf – jedenfalls aus Sicht eines Strafgefangenen nicht einmal unverständlichen – taktischen Erwägungen; denn im Hinblick auf die vorgesehene Dauer einer solchen Therapie befürchtete er, die Chance einer vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft zu verlieren.
12
Da somit „neue Tatsachen“ im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB nicht vorliegen , ist es unerheblich, dass die Strafkammer abweichend von der Auffassung der Sachverständigen eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit verneint hat. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sie in diesem Zusammenhang auch die als positiv zu bewertende Lebensführung des Verurteilten nach seiner Entlassung in ihre Erwägungen einbezogen hat.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Schaal

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidu
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06 zitiert 1 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidu

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Dez. 2005 - 1 StR 482/05

bei uns veröffentlicht am 08.12.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 482/05 vom 8. Dezember 2005 in der Strafsache gegen wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2005 beschlossen : Die Revision des Verurtei
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 11. Juli 2006 - 5 StR 113/06.

Bundesgerichtshof Urteil, 07. Aug. 2012 - 1 StR 98/12

bei uns veröffentlicht am 07.08.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 98/12 vom 7. August 2012 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern hier: nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Der 1. Strafsenat de

Referenzen

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 482/05
vom
8. Dezember 2005
in der Strafsache
gegen
wegen nachträglicher Anordnung der Sicherungsverwahrung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2005 beschlossen
:
Die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 6. Mai 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat die nachträgliche Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB angeordnet. Hiergegen richtet sich die Revision des Verurteilten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

1. Der Verurteilte wurde am 13. Dezember 1996 vom Landgericht München I wegen versuchten Totschlags in Tatmehrheit mit Körperverletzung und zwei jeweils selbstständigen Fällen der gefährlichen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet. Die Freiheitsstrafe hat der Verurteilte bis zum 10. Dezember 2004 vollständig verbüßt, wobei er vom 22. November 2002 bis zum 11. Juni 2003 in einer Entziehungsanstalt untergebracht war. Am 5. Oktober 2004 hat die Staatsanwaltschaft beantragt, gegen den Verurteilten
die nachträgliche Sicherungsverwahrung gemäß § 66b Abs. 2 StGB anzuordnen. Aufgrund Unterbringungsbefehl gemäß § 275a Abs. 5 StPO vom 6. Dezember 2004 ist der Verurteilte bis heute untergebracht. 2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
a) Der Verurteilte wuchs teilweise bei seiner Mutter und deren wechselnden Lebenspartnern - sein Vater ist ihm unbekannt - und in verschiedenen Kinderheimen auf. Er besuchte ab dem zweiten Schuljahr eine Sonderschule, die er häufig schwänzte. Eine Ausbildung zum Maler wurde vom Lehrherrn nach ein bis zwei Monaten abgebrochen, weil der Verurteilte seiner Berufsschulpflicht nicht nachkam. Er lebte überwiegend von Sozialhilfe. Im Alter von 17 Jahren absolvierte er eine dreimonatige "Ausbildung" zum Kick-Boxer. Seit seinem zwölften Lebensjahr konsumierte er Cannabis-Produkte, seit dem 17. Lebensjahr auch Kokain sowie Heroin und seit seinem 24. Lebensjahr zusätzlich große Mengen Alkohol.
b) Der Bundeszentralregisterauszug des Verurteilten enthält zwölf Eintragungen. Mit 14 Jahren stand er zum ersten Mal - wegen Diebstahls - vor Gericht. Mit 18 Jahren wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu zwei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Das Gericht wertete diese Taten als "extreme Aggressionsdelikte". Der Verurteilte hatte u.a. einem Besucher des Münchner Christkindlmarkts einen Fußkick gegen die linke Gesichtshälfte versetzt. Der Geschädigte erlitt u.a. einen Kieferhöhlen- und Augenhöhlenbruch , musste mehrfach operiert werden und hat heute noch im Gesicht eine Asymmetrie und taube Stellen.
c) Dem Urteil vom 13. Dezember 1996 lagen folgende Sachverhalte zugrunde:
aa) Der Verurteilte hatte mit dem S. eine Rauferei. Als diese beendet und S. im Weggehen begriffen war, versetzte ihm der Verurteilte von hinten mit einem Messer einen wuchtigen und tiefreichenden Stich in den rechten Bauchbereich. S. erlitt einen Durchstich der Leber und konnte nur durch eine umgehend durchgeführte Notoperation gerettet werden. bb) Im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung mit der Sch. zog der Verurteilte eine mitgeführte Gaspistole, hielt sie in einem Abstand von ca. 10 cm auf das Gesicht der Sch. gerichtet und schoss aus dieser Entfernung. Die zu Boden gestürzte Sch. trat er mit dem Knie und den Füßen und schlug mit den Fäusten mehrmals gegen ihren Kopf. Als deren Freundin B. sie zu schützen versuchte, schlug sie der Verurteilte mit dem Ellenbogen, dem Knie und der Faust in das Gesicht, was u.a. eine Gehirnerschütterung verursachte. Erst durch das Eingreifen von Passanten konnte der Verurteilte von weiteren Angriffen gegen die beiden Frauen abgehalten werden. cc) Nach einem Streit mit dem ihm bekannten Be. zog der Verurteilte mit den Worten "jetzt bist dro" ein Klappmesser und versetzte Be. drei wuchtig geführte Stiche in die beiden Oberschenkel, wobei ein Stich (Stichtiefe 8 cm) die Oberschenkelschlagader nur knapp verfehlte. Bei allen Taten stand der Verurteilte unter dem Einfluss von Alkohol und Arzneimitteln. Die Strafkammer sah von der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB im Hinblick auf § 72 StGB ab, weil sie auch die Voraussetzungen einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64
StGB als erfüllt ansah, nachdem sich der Verurteilte in der Hauptverhandlung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert gezeigt hatte.
d) Die Strafe aus dem Urteil vom 13. Dezember 1996 verbüßte der Verurteilte in der JVA Straubing. Hier wurde bei ihm ein "hohes Aggressionspotential" festgestellt. Es kam zu einer Vielzahl von Disziplinarverfahren. Einem dieser Verfahren lag zugrunde, dass der Verurteilte wiederholt Rasierklingen unter seinem Haftraumtisch befestigt hatte, damit Vollzugsbeamte bei der Zellenkontrolle sich verletzen konnten. Die im November 2002 begonnene Unterbringung in einer Entziehungsanstalt musste im Juni 2003 als aussichtslos abgebrochen werden, nachdem der Verurteilte mehrfach bezüglich Cannabis, Heroin und Kokain rückfällig geworden war. Auch in der Haft - vor wie nach der Unterbringung - hat der Verurteilte regelmäßig Rauschgift und Alkohol konsumiert. 3. Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen des § 66b Abs. 2 StGB bejaht. Es hat weiterhin in einer grundlegenden Haltungsänderung des Verurteilten hinsichtlich der Wertung seiner Taten und seiner Therapiemotivation , aus der sich auch die zahlreichen Disziplinarverstöße und der Therapieabbruch ergeben hätten, neue Tatsachen gesehen, die den Schluss auf eine deutlich erhöhte Gefährlichkeit des Verurteilten zuließen. Auf der Grundlage der Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. N. und Dr. H. ist das Landgericht nach Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung im Strafvollzug zu der Überzeugung gelangt, dass er nach einer Einlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen würde, durch welche die Opfer in ihrer körperlichen Unversehrtheit schwer geschädigt würden.

II.

Das Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB setzt eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit vor hochgefährlichen Verurteilten und den Freiheitsgrundrechten der durch die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung Betroffenen voraus. Eine solche Maßnahme kommt nur bei einer geringen Anzahl denkbarer Fälle in Betracht, wovon auch der Gesetzgeber ausdrücklich ausgegangen ist (BTDrucks. 15/2887 S. 10; vgl. auch BVerfGE 109, 190, 236; Senatsurteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05 -, NJW 2005, 2022, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Urteil vom 25. November 2005 - 2 StR 272/05). 1. Grundlage einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung können nur Tatsachen sein, die erst nach einer Verurteilung erkennbar werden und auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen. Das Verfahren nach § 66b StGB gilt insbesondere nicht der Korrektur rechtsfehlerhafter früherer Entscheidungen, die von der Staatsanwaltschaft nicht beanstandet wurden (Senat aaO). Die grundlegende Haltungsänderung des Verurteilten, der vor der Verurteilung glaubhaft schuldeinsichtig und therapiemotiviert war und nach der Verurteilung Obstruktion betrieben und den Therapieabbruch provoziert hat, erfüllt die Voraussetzungen der erforderlichen "neuen" Tatsache. Insbesondere sah sich das frühere Tatgericht im Hinblick auf den Vorrang einer Maßnahme nach § 64 StGB nachvollziehbar nicht in der Lage, bereits zum Zeitpunkt der damaligen Hauptverhandlung die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die Taten des Verurteilten waren auf seinen Hang zurückzuführen, alkoholische Getränke und
sonstige Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Das Gericht konnte daher davon ausgehen, dass es den Zweck, die Gefahr weiterer rechtswidriger Taten abzuwenden, auch mit der den Verurteilten weniger beschwerenden Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreichen konnte. 2. Kern der materiell-rechtlichen Prüfung einer Maßregel nach § 66b StGB ist - unter Einschluss der Tatsachen, die die Prüfung ausgelöst haben - die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs. Mit einer solchen umfassenden Abwägung soll einer unzulässigen Übergewichtung einzelner neuer Tatsachen entgegengewirkt werden. Das Landgericht stellt seine Abwägung zutreffend auf eine entsprechend breite Grundlage. Als negativ für die vorzunehmende Prognose wertet es die biographischen Faktoren des Verurteilten, insbesondere die seit der Kindheit instabilen Lebensverhältnisse und frühe Verhaltensauffälligkeiten, seine durch eine dissoziale Störung gekennzeichnete Persönlichkeit, die durch Aggressivität und Brutalität gekennzeichneten Vor- und Anlasstaten sowie die hohe Frequenz der Straffälligkeit, das Suchtverhalten des Verurteilten und die Disziplinarverstöße im Vollzug mit zum Teil aggressiven und auch hinterlistigen Tendenzen. In dieser Gesamtschau gewinnt auch die vom Landgericht als neue Tatsache zugrunde gelegte Haltungsänderung des Verurteilten bis hin zu einer Verweigerungshaltung erhebliches Gewicht. Wenn das Landgericht demnach - gestützt auf fundierte Gutachten der beiden Sachverständigen - die hohe
Wahrscheinlichkeit schwerer Straftaten gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit anderer für ausreichend belegt hält, ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.
Dies gilt auch, wenn im Anschluss an die Unterbringung nach § 63 noch eine daneben angeordnete Freiheitsstrafe ganz oder teilweise zu vollstrecken ist.