Bundesgerichtshof Urteil, 15. Aug. 2019 - 5 StR 236/19

bei uns veröffentlicht am15.08.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 236/19
vom
15. August 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:150819U5STR236.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. August 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt G.
als Verteidiger der Angeklagten P. ,
Rechtsanwältin B.
als Vertreterin der Nebenklägerin A. M. ,
Rechtsanwalt L.
als Vertreter des Nebenklägers M. Me. ,
Justizangestellte bei der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung,
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Angeklagten und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 2018 werden verworfen. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Vergewaltigung schuldig gesprochen, gegen den Angeklagten T. eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verhängt und gegen die Angeklagte P. eine solche von neun Jahren. Die jeweils mit der Sachrüge geführten Revisionen der Angeklagten und der Nebenkläger bleiben ohne Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Beide Angeklagte lebten zusammen in einer Ein-Zimmer-Wohnung in . Der mehrfach auch wegen Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten vorbestrafte Angeklagte T. war betäubungsmittelabhängig. Sein Tages- ablauf war von Rauschmittelkonsum und der Vermittlung von Drogengeschäften im Bereich des U-Bahnhofs geprägt. Die leicht intelligenzgeminderte Angeklagte P. (IQ 57) ging der Prostitution nach, wovon das Paar – nebenstaatlichen Leistungen – lebte. Ihre Sozialkontakte beschränkten sich im Wesentlichen auf den Angeklagten T. , den sie als Partner idealisierte. Auf andere Frauen in seinem Umfeld reagierte sie mit Eifersucht und Ärger.
4
Etwa zwei Monate vor dem Tattag (22. Dezember 2017) lernte der Angeklagte T. die 55 Jahre alte, später getötete M. am kennen, als sie dort für ihren gelegentlichen Konsum Kokain erwerben wollte. Sie litt unter einer Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Weil sich ihre Mutter das Leben genommen und sie ihre Medikamente abgesetzt hatte, befand sie sich in einer labilen Phase. Ihr Verhalten wurde chaotisch und ihr Urteilsvermögen litt. Sofort verliebte sie sich in den 22 Jahre jüngeren Angeklagten T. , mit dem sie fortan auch sexuell verkehrte und den sie finanziell aushielt. In kurzer Zeit überzog sie wegen hoher Ausgaben (Parfum, Schuhe, Kleidung und Mobiltelefone) für den Angeklagten T. ihr Konto erheblich und schöpfte ihren Dispositionskredit vollständig aus. Dieser erwiderte die Liebesgefühle nicht, pflegte aber regelmäßigen Kontakt zu ihr. Er verhielt sich herablassend und bestimmend. Bei einem Besuch einer Saturn-Filiale am 20. Dezember 2017 schlug er sie. Als sie am selben Tag vergeblich versuchte, ihren Dispositionskredit zu erhöhen, begleitete er sie zur Bank, trat dort aggressiv und verärgert auf und verlangte von ihr eine Vollmacht, um in ihrem Namen sprechen zu können.
5
Die Angeklagte P. wusste vom Umgang ihres Partners mit der Geschädigten , allerdings nichts von einem sexuellen Verhältnis der beiden. Sie fühlte sich zurückgesetzt und war eifersüchtig. Dies führte zum Streit zwischen beiden Angeklagten.
6
Kurz vor Weihnachten begann M. , ihre Medikamente wieder einzunehmen, was zur Verlangsamung ihrer Reaktionen und zu verwaschener Sprache führte. In der Nacht des 22. Dezember 2017 suchte sie kurz nach Mitternacht eine Polizeiwache auf und wollte dort Anzeige gegen zwei Ladendetektive wegen Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung erstatten. Anschließend kontaktierte sie den Angeklagten T. , der befürchtete, sie könnte ihn angezeigt haben. Um den Sachverhalt zu klären, bestellte er sie zu seiner Wohnung, wo sie gegen 2 Uhr eintraf und von beiden Angeklagten eingelassen wurde. Der Angeklagte T. stand erheblich unter Drogeneinfluss, M. M. war durch Einnahme von Medikamenten motorisch beeinträchtigt. Die Angeklagte P. hatte zwar weder Alkohol noch Drogen eingenommen, war aber durch den Kontakt der beiden, den sie als Bedrohung ihrer Beziehung verstand , in einem psychisch labilen und verunsicherten Zustand, mit dem sie aufgrund ihrer Intelligenzminderung schwer umgehen konnte.
7
Zwischen den beiden Angeklagten und ihrer Besucherin entspann sich ein Streit. Bald kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung, in der die Angeklagten konkludent übereinkamen, M. Schläge zu versetzen. Das Geschehen entwickelte eine erhebliche Dynamik. In arbeitsteiliger Weise fügten ihr die Angeklagten zahlreiche schwerwiegende Verletzungen zu. Heftige Attacken erfolgten mit bedingtem Tötungsvorsatz insbesondere gegen Kopf und Hals (Würgen). Im Verlauf der Angriffe noch zu Lebzeiten der Geschädigten führte einer der Angeklagten mit Billigung des anderen eine mit einem Kondom überzogene 30 cm lange Stabtaschenlampe gewaltsam in die Vagina ihres Opfers ein, so dass es am Scheideneingang und im hinteren Scheidenbereich zu schmerzhaften Substanzdefekten und Einblutungen kam. Die Angeklagten rasierten der Geschädigten zudem ihre langen Haare vollständig ab.
8
Als M. infolge der massiven Gewalteinwirkungen das Bewusstsein verlor, führten die Angeklagten eine Herzdruckmassage durch und duschten sie im Bad ab, wobei es – womöglich infolge Unachtsamkeit – aufgrund zu hoher Wassertemperatur zu schweren thermischen Verbrühungen kam. Zu Bewusstsein kam M. hierdurch nicht. Sie verstarb vielmehr kurz danach auf dem Boden des Wohn-/Schlafzimmers an den ihr beigebrachten massiven Schädelverletzungen. In den Morgenstunden des nächsten Tages legten die Angeklagten mit Hilfe des Zeugen M. T. die verpackte Leiche ihres Opfers etwa 50 Meter von ihrer Wohnung entfernt neben einen Schrottcontainer, wobei sie von der Überwachungskamera einer Bäckerei aufgezeichnet wurden.
9
Das Landgericht hat Mordmerkmale nicht festgestellt, insbesondere kein Handeln aus niedrigen Beweggründen. Zudem hat es die Voraussetzungen des § 21 StGB bei beiden Angeklagten angenommen.

II.


10
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Die Feststellungen tragen die Schuldsprüche und beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung. Dies gilt namentlich, soweit sich das Schwurgericht auf der Grundlage des Verletzungsbildes, der räumlichen Gegebenheiten und der jeweiligen Motivationslage von einem mittäterschaftlichen Vorgehen und einem jeweils beding- ten Tötungsvorsatz überzeugt hat. Auch die Rechtsfolgenaussprüche weisen keine Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten auf.

III.


11
Die Revisionen der Nebenkläger, die in Bezug auf den Angeklagten T. vom Generalbundesanwalt vertreten werden und jeweils eine Verurteilung wegen Mordes erstreben, bleiben ebenfalls ohne Erfolg.
12
1. Das Landgericht hat das Mordmerkmal der Grausamkeit zutreffend abgelehnt. Grausam tötet, wer seinem Opfer bei mit Tötungsvorsatz geführten Handlungen in gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die nach Stärke und Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. Juni 2007 – 3 StR 180/07, NStZ 2008, 29). Die Strafkammer hat bei ihrer Ablehnung dieses Mordmerkmals trotz des massiven Verletzungsbildes zutreffend darauf abgestellt, dass – jedenfalls nicht ausschließbar – die Angeklagten ihren Tötungsvorsatz erst im Zusammenhang mit den massiven Gewalthandlungen gegen Kopf und Hals gefasst hätten, die erst zum Ende des Geschehens erfolgt seien. Die Verbrühungen mit heißem Wasser seien einerseits bereits in der Sterbephase und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die Geschädigte möglicherweise keine Schmerzen mehr verspürt habe; andererseits könne ein versehentliches Vorgehen nicht ausgeschlossen werden.
13
2. Nicht zu beanstanden ist auch, dass die Strafkammer kein Handeln aus niedrigen Beweggründen angenommen hat.
14
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Die Beurteilung der Frage, ob ein Beweggrund „niedrig” ist und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheint , hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18, NStZ 2019, 206 mwN). Bei den dabei zu treffenden Wertungen steht dem Tatgericht ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann. Hat das Tatgericht die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt, ist dies auch dann nicht zu beanstanden, wenn ein anderes Ergebnis möglich oder gar näherliegend gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, und vom 11. Oktober 2005 – 1StR 195/05, NStZ 2006, 284; Beschluss vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, NStZ-RR 2006, 340, 341).
15
In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände , die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen Regungen freizumachen. Der genannte tatgerichtliche Beurteilungsspielraum gilt auch für die Bewertungen im Zusammenhang mit den subjektiven Anforderungen an das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, die mit den objektiven Kriterien in engstem Zusammenhang stehen (BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 – 5 StR 97/06, aaO).
16
b) Nach diesen Maßstäben ist die Ablehnung niedriger Beweggründe bei beiden Angeklagten nicht zu beanstanden.
17
Das Schwurgericht hat die Motivlage der Angeklagten nicht abschließend klären können. Es hat auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung ausgeführt, dass sich zwischen den Angeklagten und M. ein verbaler Streit entsponnen habe, dessen Inhalt sich nicht endgültig habe aufklären lassen, bei dem es jedoch um die Beziehung zwischen ihnen gegangen sein dürfte. Insgesamt habe es sich aber um einen aus „fehlgeleiteter Paardynamik“ entsprungenen Geschehensablauf in einer zugespitzten Konfliktsituation gehandelt.
18
Die Angeklagte P. sei infolge ihrer intellektuellen Minderbegabung emotional überfordert gewesen. Sie habe ihre für sie äußerst wichtige Beziehung bedroht und die Geschädigte als unerwünschten Eindringling gesehen. Letztlich habe sie aus Eifersucht gehandelt, die weder anlasslos gewesen noch durch ihr eigenes Zutun verursacht worden sei.
19
Der intoxikierte Angeklagte T. habe sich von seiner Lebensgefährtin bedrängt gesehen und sei in der Situation mit der Angeklagten P. und M. , mit der er sexuell verkehrt habe und die in ihn verliebt gewesen sei, überfordert gewesen. Mehr sei nicht feststellbar. Der Angeklagte habe zwar die Hauptverantwortung für das Zustandekommen der Dreierkonstellation gehabt. In der Gesamtschau sei aber ein besonders verachtenswertes Motiv nicht zu erkennen. Zur näheren Motivation, die letztlich zu einem derart heftigen Ge- waltausbruch geführt habe, hat die Kammer sonst keine Feststellungen treffen können.
20
Angesichts der Unaufklärbarkeit weiterer Motive und weiterer Einzelheiten des Tatgeschehens ist die Wertung der Strafkammer, die von einem richtigen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist und die wesentlichen Umstände bedacht hat, revisionsrechtlich hinzunehmen.
Sander Schneider König
Berger Mosbacher

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Bundesgerichtshof Urteil, 15. Aug. 2019 - 5 StR 236/19 zitiert 1 §§.

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 379/18
vom
28. November 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:281118U5STR379.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. November 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt B. als Verteidiger des Angeklagten F. R. ,
Rechtsanwalt S. , Rechtsanwalt St. als Verteidiger des Angeklagten R. –B. ,
Rechtsanwalt C. als Verteidiger des Angeklagten M. R. (geb. 1993),
Rechtsanwalt W. als Vertreter des Nebenklägers S. H. ,
Rechtsanwalt Wi. als Vertreter des Nebenklägers F. H. ,
Rechtsanwalt T. als Vertreter des Nebenklägers A. H. ,
Rechtsanwalt W. als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Rechtsanwalt H. als Vertreter der Nebenklägerin M. H. ,
Rechtsanwältin B. als Vertreterin der Nebenkläger D. , F. und R. K. , diese gesetzlich vertreten durch H. K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. September 2017 betreffend die Angeklagten F. R. , R. –B. und M. R. (geb. 1993) im Schuldspruch im Fall 3 der Urteilsgründe mit den Feststellungen zum Tatmotiv und betreffend den Angeklagten M. R. (geb. 1993) darüber hinaus im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
2. Die Revisionen der Angeklagten werden verworfen. Diese haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen , der Angeklagte R. –B. zudem die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Adhäsionskläger durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten F. R. , R. –B. und M. R. (geb. 1993, genannt „Mu. “) wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in drei Fällen, mit schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen jeweils zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt (13 Jahre, elf Jahre, sieben Jahre und sieben Monate), wobei der Angeklagte M. R. (geb. 1993) zusätzlich wegen eines weiteren Falls der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen worden ist. Zugunsten des Nebenklägers H. hat die Strafkammer zudem eine Adhäsionsentscheidung gegen den Angeklagten R. –B. getroffen.Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben ganz überwiegend Erfolg, während die Revisionen der Angeklagten unbegründet sind.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es zwischen den seit vielen Jahren befreundeten Familien R. und H. /H. zum Streit. Auslöser war die fahrlässige Zufügung einer erheblichen Schnittverletzung an der Hand des A. H. am 13. Dezember 2015 durch den alkoholisierten Mitangeklagten M. N. , den Bruder der Angeklagten F. R. und Zaim R. –B. und Onkel des Angeklagten M. „Mu. “ R. . N. hatte ohne Anlass zwei Glasflaschen auf den Geschädigten geworfen (Tat 1). Hierfür wurde er vom Landgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Noch aus der Klinik, in der die Schnittverletzung medizinisch versorgt wurde, machte der Geschädigte dem Angeklagten N. telefonisch Vorhaltungen, woraufhin dieser ihn auslachte und verhöhnte. Hierüber geriet H. in Wut und beleidigte N. mit den Wor- ten: „Ich ficke deine Toten! Ich ficke deinen toten Vater!“. Dies traf N. be- sonders, weil eine solche Beleidigung in der Volksgruppe der Roma, der beide Familien angehören, eine schwere Kränkung darstellt, er zudem früh seinen Vater verloren hatte und sich derartiges durch einen Jüngeren gegenüber einem Älteren in seinem Kulturkreis nicht geziemte. Nach einer Aussprache zwischen verschiedenen Mitgliedern der beiden Familien zwei bis drei Tage später kam man überein, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten.
3
Am späten Abend des 25. Dezember 2015 trafen „Mu. “ R. und der Mitangeklagte M. R. (geb. 1989) in einer Sportsbar auf Mitglieder der Familie H. /H. . Die beiden angetrunkenen Angeklagten stellten A. H. wegen seines Verhaltens zur Rede und misshandelten ihn durch eine Ohrfeige und einen Tritt gegen das Bein, so dass er hinfiel und erhebliche Schmerzen erlitt (Tat 2). In der Folge kam es zu Telefongesprächen zwischen Vater und Bruder des Geschädigten, den Nebenklägern S. H. und Z. , auf der einen Seite und F. R. und N. auf der anderen Seite, bei denen sie wechselseitig schwere Kränkungen austauschten und insbesondere immer wieder ankündigten, verstorbene Angehörige der jeweiligen Gegenseite „ficken“ zu wollen.
4
Am nächsten Tag hatte der Nebenkläger Z. den Plan gefasst, ein Treffen mit den Angeklagten in einem von beiden Familien häufig frequentierten Café herbeizuführen, um die Angelegenheit zu klären. Er unterrichtete hiervon die übrigen Geschädigten und weitere Familienmitglieder, die sich ebenfalls zum Café begaben. Vor Ort eingetroffen rief Z. gegen 13 Uhr den Mitangeklagten N. an. Nicht ausschließbar forderte Z. den Mitangeklagten N. – ohne dass neue Beleidigungen fielen – auf, gemeinsam mit seiner Familie zu dem Café zu kommen, um sich zu entschuldigen. Kurz nach diesem Anruf fuhren die Angeklagten mit weiteren Familienmitgliedern zum Treffpunkt. F. R. hatte eine scharfe Schusswaffe eingesteckt, der Angeklagte R. –B. undein weiterer (Mit-)Angeklagter jeweils ein Küchenmesser. Nach dem Eintreffen der Fahrzeuge vor Ort kamen ihnen die Nebenkläger Z. , A. H. und H. (mit einem Schlagring bewaffnet) und der später getötete D. H. (zu seiner Verteidigung mit einem Hammer bewaffnet) entgegen.
5
Kurz nach dem Aussteigen und einem allenfalls kurzen Wortwechsel erkannten F. R. und R. –B. sowieein weiterer (Mit-)Angeklagter, dass die anderen nicht zurückstecken wollten. Sie entschlossen sich, diese gemeinsam unter Einsatz ihrer Waffen anzugreifen und ihnen schwerste, auch tödliche Verletzungen zuzufügen, um sich für die vorangegangenen verbalen Kränkungen zu rächen (Tat 3). In Umsetzung dieses Plans stach oder hieb der Angeklagte R. –B. mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer wuchtig auf den Kopf des Nebenklägers H. und traf dessen zur Abwehr erhobenes Handgelenk. Zeitgleich drangen ein oder mehrere (Mit-)Angeklagte von hinten auf H. ein und versetzten ihm einen Stich zwischen die Schulterblätter und einen weiteren in das rechte Schulterblatt. Ebenfalls mit dem Messer attackiert wurden S. und D. H. , wobei S. H. Stichverletzungen an der rechten Flanke, im Bereich des rechten Schulterblattes sowie zwischen den Schulterblättern erlitt, D. H. einen Stich im linken oberen Rückenbereich.
6
„Spätestens kurz nach dem Beginn der Auseinandersetzung“, den er von seinem Fahrzeug aus beobachtet hatte, lief der Angeklagte „Mu. “ R. von hinten auf den Nebenkläger Z. zu, der etwas abseits der Kämpfen- den stand und auf diese schaute. Mit großer Wucht und mindestens bedingtem Tötungsvorsatz stach „Mu. “ R. dem geschädigtenZ. das Messer in Höhe des Übergangs der Hals- zur Brustwirbelsäule in den Rücken, woraufhin der Nebenkläger sofort zusammenbrach und nahezu bewegungsunfähig auf dem Bauch liegen blieb. F. R. gab mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz einen Schuss auf D. H. und einen aufgesetzten Bauchschuss auf S. H. ab. Anschließend richtete er die Waffe auf den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers Z. , um ihn zu erschießen; seine Waffe versagte allerdings, so dass er sein Vorhaben aufgeben musste. Als die vier Angegriffenen erkennbar schwer verletzt waren, fuhren die Angeklagten weg, während sich andere Mitglieder beider Familien um die Verletzten kümmerten. Von mehreren Anwohnern informiert, trafen bald auch Polizei und Feuerwehr ein.
7
Der Nebenkläger H. erlitt durch die Stiche und Hiebe einen Bruch des rechten Handgelenks mit Durchtrennung von zwei Strecksehnen, einen Bruch des rechten Schulterblatts sowie eine Öffnung der linken Brusthöhle mit Einblutung und einem Pneumothorax. Es bestand akute Lebensgefahr, der nur durch eine Notoperation begegnet werden konnte; diese führte zum Verlust eines Teils des Lungenoberlappens. Der Nebenkläger ist immer noch beeinträchtigt.
8
Der Nebenkläger S. H. erlitt einen Rumpfsteckschuss, der u.a. zur Perforation des Dickdarms mit Kotaustritt in die Bauchhöhle und Zerreißung des Wurmfortsatzes führte. Einer der Stiche eröffnete die Brusthöhle. Beide Verletzungen waren konkret lebensgefährlich. Noch heute leidet der Nebenkläger ganz erheblich unter den Folgen der Tat.
9
Der Nebenkläger Z. erlitt eine potentiell lebensgefährliche Verletzung des Rückenmarks in Höhe des sechsten Halswirbelkörpers, infolge des- sen es zu sensomotorischen und neurologischen Ausfällen kam. Trotz erheblicher Anstrengungen ist eine Lähmung des linken Armes und Beines und dadurch bedingt eine Störung der Motorik und Tiefensensibilität verblieben. Auch Blasenfunktion und Stuhlgang sind beeinträchtigt, die Erektionsfähigkeit verloren gegangen. Mit Hilfe eines Rollators kann er sich mühsam etwa 300 Meter aus eigener Kraft fortbewegen. Zudem hat er trotz entsprechender Medikation noch immer Schmerzen. Eine deutliche Besserung dieses Zustandes ist nicht zu erwarten.
10
D. H. erlitt neben der Schussverletzung im Unterbauch mit Verletzung von Leber, Darm, Magen und Niere eine 9 cm tiefe Stichverletzung im Bereich des linken Rückens, durch die es zur Eröffnung der Brusthöhle und zum Anstich der Aorta kam. Aufgrund des hierdurch verursachten großen Blutverlustes verstarb er trotz Wiederbelebungsmaßnahmen noch am Tatort.
11
2. Die Schwurgerichtskammer hat das Handeln der drei Angeklagten sowie eines weiteren unbekannt gebliebenen Mittäters aufgrund des Tatablaufs als von einem spätestens vor Ort spontan gefassten gemeinsamen Tatentschluss geleitet angesehen und sämtliche Tatbeiträge gegenseitig zugerechnet.
12
Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB hat das Landgericht nicht angenommen, sondern darauf abgestellt, dass die Wut der Angeklagten auf die Geschädigten aus der vorangegangenen heftigen verbalen Auseinandersetzung herrührte, in deren Verlauf sie schwerwiegenden Schmähungen durch die Nebenkläger S. H. und Z. ausgesetzt gewesen seien. Zwar hätten sich die Geschädigten H. und D. H. hieran nicht beteiligt; diese seien aber am Tattag zusammen mit den anderen beiden Nebenklägern den Angeklagten streitbereit gegenübergetreten und hätten sich damit auf deren Seite und hinter die ehrverletzenden Äußerungen gestellt.

II.


13
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.
14
1. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sind wirksam auf den Schuldund Strafausspruch im Fall 3 der Urteilsgründe (Geschehen am 26. Dezember 2015) beschränkt. Die Beschwerdeführerin greift das Urteil nur insoweit an, als sie in diesem Fall auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes statt wegen Totschlags und versuchten Totschlags erstrebt und die gegen den Ange- klagten „Mu. “R. für diesen Fall verhängte Strafe als unverhältnismäßig milde beanstandet. Diese Beschränkung ist zulässig. Zur Überprüfung steht damit der gesamte (tateinheitliche) Schuldspruch im Fall 3 (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 1967 – 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256, 258).
15
2. Die Ablehnung niedriger Beweggründe hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (vgl.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NStZ 2006, 286, 287 mwN). Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH, aaO und Beschluss vom 28. November 2017 – 5 StR 480/17, NStZ 2018, 92).
17
b) Daran gemessen erweist sich die Entscheidung des Landgerichts, die Angeklagten im Fall 3 gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft lediglich wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in drei Fällen zu verurteilen , als rechtsfehlerhaft.
18
aa) Es mangelt bereits an der gebotenen Gesamtwürdigung. Die überaus knappen Ausführungen des Landgerichts zu der Frage, ob die Angeklagten aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben, blenden hierfür relevante Umstände vollständig aus. Unberücksichtigt bleibt dabei insbesondere, dass letzter Auslöser der gegenseitigen Beschimpfungen das unberechtigte gewaltsame Vorgehen der Angeklagten „Mu. “ und M. R. gegen den schon zuvor vom Mitangeklagten N. verletzten Nebenkläger A. H. war. Zudem hat die Strafkammer nicht in Rechnung gestellt, dass die Auslöschung von Menschenleben und die Zufügung schwerster Verletzungen wegen verbaler Herabsetzung verstorbener Angehöriger nicht mehr als noch verständliche Reaktion auf erlittene Schmach erscheinen, sondern eine besonders verachtenswerte Form der Selbstjustiz darstellen können. Auch das jedenfalls bei dem hinrichtungsartigen Versuch der Tötung des Nebenklägers Z. von unbedingtem Vernichtungswillen geprägte und allen Angeklagten zurechenbare Tatbild hat die Strafkammer nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.
19
bb) Nicht tragfähig ist auch die in diesem Zusammenhang vom Landgericht angestellte Erwägung, das Vorgehen gegen die an den Beleidigungen in keiner Weise beteiligten Geschädigten H. und D. H. sei deshalb nicht von niedrigen Beweggründen getragen, weil sich diese auf die Seite der zwei anderen Geschädigten und damit hinter die ehrverletzenden Äußerungen gestellt hätten. Das gemeinsame Vorgehen lässt vor dem Hintergrund der Vorgeschichte nicht die Wertung zu, die an den gegenseitigen Beleidigungen unbeteiligten Geschädigten hätten sich die Schmähungen ihrer Familienmitglieder gleichsam zu eigen gemacht, weshalb ihre (versuchte) Tötung weniger verwerflich erscheine. Einen Grund, sich an diesen für vorangegangenes Unrecht zu rächen, gab es nicht. Vielmehr hätte das Landgericht in diesem Zusammenhang erwägen müssen, dass die Tötung von Personen lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Familie der im Vorfeld mit den Angeklagten in Streit geratenen Personen und aufgrund ihres gemeinsamen Auftretens mit diesen wegen der Inkonnexität von Anlass und Tat nach den Maßstäben der hiesigen Rechtsordnung besonders verwerflich sein kann (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011).
20
cc) Schließlich sind die Feststellungen zu den Tatmotiven der Angeklagten unklar. Während die Strafkammer einerseits feststellt, die Angeklagten F. R. und R. –B. hättengehandelt, um sich für die vorangegangenen verbalen Kränkungen zu rächen, wird bei der Prüfung niedriger Beweggründe als gemeinsames Tatmotiv aller Angeklagter ihre Wut auf die Geschädigten aufgrund der vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung angenommen. Zwischen beiden Handlungsantrieben können aber gerade im Kontext der Prüfung niedriger Beweggründe Unterschiede bestehen (vgl. näher MüKoStGB /Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 95 ff. einerseits und 100 ff. andererseits, jeweils mwN).
21
c) Vom Rechtsfehler sind demnach allein die Feststellungen des Schwurgerichts zu den Handlungsmotiven der Angeklagten betroffen; sie müssen deshalb aufgehoben werden (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die übrigen Feststellungen können hingegen bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.


22
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
23
1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten R. –B. deckt keinen Rechtsfehler auf.
24
Nach dem Vortrag der Revision hat der Verteidiger dieses ansonsten schweigenden Angeklagten in der Hauptverhandlung eine schriftlich vorformulierte Erklärung mit der Ankündigung verlesen, dass der Angeklagte sich diese zu Eigen mache. Im Anschluss an die Verlesung hat der Angeklagte ausdrücklich bestätigt, dass dies seine Einlassung sei. Damit hat sich der Angeklagte selbst zur Sache eingelassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 3 StR 176/05, NStZ-RR 2005, 353; vom 27. Februar 2007 – 3 StR 38/07, NStZ 2007, 349; vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, NStZ 2009, 282, 283; näher MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 66 mwN). Die Auffassung der Revision, es handele sich bei dieser Einlassung um ein unverwertbares prozessrechtli- ches „Nullum“, trifft nicht zu.
25
2. Die von allen drei Angeklagten erhobenen Sachrügen bleiben erfolglos.
26
a) Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Schuldsprüche. Dies gilt namentlich, soweit die Strafkammer im Fall 3 jedem Angeklagten die Handlungen der Mitangeklagten als mittäterschaftlich begangen zugerechnet hat. Der Schluss des Schwurgerichts, angesichts des schnellen und gleichzeitigen massiven Vorgehens gegen die Geschädigten eingedenk der Bewaffnung mit einer scharfen Schusswaffe und Messern hätten sich alle Beschwerdeführer und ein weiterer Mitangeklagter spätestens am Tatort spontan dazu entschlossen, unter billigender Inkaufnahme des Todes ihrer Opfer gemeinsam gegen die Geschädigten vorzugehen, ist lebensnah und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
27
b) Soweit die Strafkammer in den Urteilsgründen ausgeführt hat, die Angeklagten seien zusätzlich in Fall 3 einer tateinheitlich verwirklichten Schlägerei nach § 231 StGB schuldig, was versehentlich nicht in den Urteilstenor Eingang gefunden habe, beschwert dieser Rechtsfehler die Angeklagten nicht. Anders als die Revision des Angeklagten F. R. kann der Senat dem Urteil nicht entnehmen, dass die Strafkammer im Fall 3 den nicht tenorierten zusätzlich verwirklichten Straftatbestand bei der Strafzumessung zum Nachteil der Angeklagten verwertet hätte.
28
c) Die Strafzumessung weist auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
29
d) Die gegen den Angeklagten R. –B. getroffene Adhäsionsent- scheidung zugunsten des Neben- und Adhäsionsklägers H. ist rechtsfehlerfrei.

IV.


30
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das zur erneuten Verhandlung berufene Schwurgericht zu prüfen haben wird, ob sich die Angeklagten – wie das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt hat – im Fall 3 der Urteilsgründe zusätzlich einer tateinheitlich verwirklichten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310) Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht haben.
Mutzbauer König Berger
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 30/05
vom
10. Mai 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Mai 2005,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 28. Juli 2004 im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 4. April 2003 wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils durch den Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 4. November 2003 (1 StR 395/03) wegen Überschreitens der Urteilsabsetzungsfrist hat das Landgericht unter Anwendung der in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet
insbesondere, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen erschoß der Angeklagte, der aus Anatolien stammt, in den Mittagsstunden des 24. August 2002 seinen Landsmann H. Y. , der mit dem Bruder der Ehefrau des Angeklagten an einem Stehtisch eines Imbiß in der Ortsmitte von D. stand, sich unterhielt und Tee trank. Der Angeklagte ging zielstrebig auf die beiden Männer zu, nahm in einer Entfernung von mindestens zwei, höchstens vier Metern seine Hand aus der Tasche, wie wenn er die Anwesenden begrüßen wollte. Er zog jedoch eine in seiner Hosentasche verborgene Pistole heraus und gab sodann mit gestrecktem Arm, die Pistole in Augenhöhe haltend, auf den Kopf desH. Y. zielend, in dichter Folge zwei Schüsse ab, sodann ohne Unterbrechung in Richtung auf den zu Boden sinkenden H. Y. zwei weitere Schüsse schräg nach unten, bevor sich die fünfte Patrone in der Pistole verklemmte. H. Y. verstarb im Niedersinken an den Folgen des ersten Schusses unmittelbar vor den Augen seines ebenfalls anwesenden 11jährigen Sohnes.
Zu seinem Motiv erklärte der Angeklagte, vor einigen Jahren habe eine ihm bekannte Frau gesagt, seine - des Angeklagten Frau - habe mit H. Y. Tee getrunken, während er - der Angeklagte - bei der Arbeit gewesen sei. Vor einigen Wochen, als er von der Arbeit nach Hause gekommen sei, sei H. Y. aus der Wohnung gelaufen, habe ihn dabei weggeschubst, aber kein Wort gesprochen. In der Wohnung hätten auf dem Tisch zwei Teegläser
gestanden. Er sei sich sicher, daß seine Frau und H. Y. ein Verhältnis hätten. Der Angeklagte erklärte zum Tattag, "sein Kopf sei nicht mehr an seinem Platz, er vergesse sehr viel, seit er krank sei". Schließlich erklärte er zu seinem Motiv, es handele sich um eine Sache der Ehre.
2. Die Strafkammer hat eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit trotz des vom psychiatrischen Sachverständigen geäußerten Verdachts einer anhaltenden Störung der Erlebnisverarbeitung in Form einer "überwertigen Idee" einer eifersüchtigen Fehlentwicklung ausgeschlossen und die Tat rechtlich als Heimtückemord gemäß § 211 StGB angesehen. Der Angeklagte habe sich H. Y. , der zu keinem Zeitpunkt mit einer Tätlichkeit, nicht einmal mit einer Beleidigung, rechnete und sich arglos mit seinem Bekannten vor dem Imbiß unterhalten habe, im Bewußtsein dieser Situation genähert und auf ihn aus kurzer Entfernung geschossen, um ihn zu töten. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen sei nicht feststellbar. Zwar habe der Angeklagte die Tat um seiner Ehre Willen begangen, eine weitere sichere Aufklärung der Motivation sei nicht möglich gewesen. Es komme "lediglich als Motiv ernsthaft in Betracht, daß der Angeklagte subjektiv aufgrund einer überwertigen Idee von einem ehewidrigen Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und H. Y. überzeugt" gewesen sei. Bei dieser Sachlage sei ein Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen nicht feststellbar.
3. Die Strafkammer hat anstelle der zu verhängenden lebenslänglichen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände die Strafe dem entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Dabei sei sich die Kammer bewußt gewesen, daß die hier gegebene Konstellation von den Situationen abweiche, die der Große Senat, aber eben nur bei-
spielhaft und nicht abschließend, für die Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 StGB aufgeführt habe, und daß nicht jeder Entlastungsfaktor,
der etwa nach § 213 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles zu führen vermag, ausreiche.
Den Charakter der außergewöhnlichen Umstände bekomme d ie Tat durch die überwertige Idee von einem Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und H. Y. , wie sie sich gerade bei diesem Angeklagten entwickelt und ausgeprägt habe. Diese Idee habe sich beim Angeklagten so verfestigt und zugespitzt , daß sich seine Gesundheit in einem mehrwöchigen Zeitraum vor der Tat massiv verschlechtert habe. Neben den bereits vorhandenen Herzerkrankungen habe sich die Zuckerkrankheit des Angeklagten für ihn in hohem Maße ungünstig und damit belastend entwickelt. Er sei mehrere Wochen krank geschrieben , habe dann sogar im Juli zwei Wochen Urlaub genommen, um sich nicht erneut krank schreiben lassen zu müssen, was seiner eigenen Arbeitseinstellung widersprochen habe. Der Angeklagte habe sich somit damals in einer gesundheitlichen Krise, und damit auch in einer persönlichen Krise befunden, indem er seine Männlichkeit - seinen Mann zu stehen zuhause und im Beruf - bedroht gesehen habe; denn er sei mit der Zuckerkrankheit und ihrer Behandlung nicht fertig geworden und habe sein Leben und seine Arbeit nicht mehr in der bisherigen Form fortführen können. Die damit verbundene Verunsicherung seiner männlichen Rolle habe - zumindest nicht ausschließbar - zu einer persönlichen Krise geführt, bei der er - wie der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend zur Psychodynamik ausgeführt habe - die Verunsicherungen projektiv nach außen verlagert haben könnte. Der Sachverständige habe erläutert, daß die tatsächlich erlebte Abnahme der eigenen männlichen Leistungsfähigkeit psychodynamisch die neurotisch-konflikthafte Eifersucht auf den vermeintlichen Nebenbuhler verschärft haben könnte. Der Angeklagte habe aufgrund seiner Herkunft und Prägung praktisch auch kaum eine
Möglichkeit gehabt, Abstand zu der überwertigen Idee zu gewinnen. Er stamme aus einem Land, in dem die Rolle des Mannes besonders hervorgehoben sei und in dem die überkommenen Regeln des Zusammenlebens weiterhin gelten. Bis heute habe der Angeklagte sich nicht von diesen Wertvorstellungen distanziert. Es sei ihm infolge dieses Werte- und Familiengefüges nicht möglich, sich über persönliche Probleme, gerade auch im familiären Bereich, mit Dritten auszutauschen , weder mit seiner Frau noch im Kreis der Verwandtschaft oder der Kollegen, wie dies ein Arbeitskollege und die Personalsachbearbeiterin des Arbeitgebers be-stätigt hätten. Diese mangelnde Kommunikationsfähigkeit resultiere aus der Herkunft des Angeklagten; danach sei es ihm als Mann nicht möglich, mit anderen beispielsweise über mögliche "Verhältnisse", gar sexueller Art, zu reden; ihm werde eine Distanzierung zu seiner Gedankenwelt dadurch erschwert, daß er, wie der Sachverständige erläuterte, zwar keinesfalls schwachsinnig, aber doch eine einfach strukturierte Persönlichkeit mit nicht hoher Intelligenz sei.
Auf der anderen Seite habe die Kammer nicht übersehen, daß die Familie des Opfers, die Ehefrau und drei Kinder, bis heute massiv unter der Tat leide : Die Ehefrau des Opfers habe glaubhaft berichtet, daß bis heute alle drei Kinder, die zur Tatzeit 17, 14 und 11 Jahre alt waren, mit ihr nur in einem Zimmer Schlaf finden könnten und sowohl der Sohn, der Augenzeuge der Tat sein mußte, als auch eine Tochter noch heute in psychologischer Betreuung seien.

II.


Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhält-
nismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor, der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden (BGH NStZ 2005, 154; NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob die-
se Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und 3). Der Beschluß des Großen Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle, in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil den von BGHSt 30, 105 aufgestellten Maßstäben nicht gerecht. Das Landgericht hat die von ihm festgestellten objektiven Tatumstände nicht ausreichend in seine Gesamtwürdigung zum Vorliegen von außergewöhnlichen schuldmildernden Umständen einbezogen, sondern hat überwiegend auf die durch die Herkunft und die persönliche Situation geprägte "überwertige Idee" des Angeklagten über das ehewidrige Verhältnis zwischen seiner Frau und H. Y. abgestellt. Es hat in seiner Gesamtwürdigung auch nicht zureichend die normativen Anforderungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, sondern sich an den Anschauungen und Werten des Angeklagten orientiert, der die sittlichen und rechtlichen Werte
dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH NStZ 2002, 369 m. w. Nachw.). Die Strafkammer hat sich aufgrund der Aussagen der Zeugen aus der Verwandtschaft des Opfers sowie der Aussage der Ehefrau des Angeklagten selbst davon überzeugt, daß zwischen ihr und H. Y. kein ehewidriges Verhältnis bestand. Sie hatte dem Angeklagten keinen Anlaß zur Eifersucht gegeben, sondern allenfalls gegen die Vorstellung verstoßen, der Kontakt von anderen Männern zu seiner Frau müsse über ihn laufen. Der Angeklagte holte somit aus objektiv nichtigem Anlaß seine Pistole aus dem Keller und entschloß sich, H. Y. in einem Akt der Selbstjustiz zu erschießen, wenn er ihn, wie vermutet, am Imbißstand antreffen würde. Die Tatausführung selbst glich nach der Darstellung des mit dem Tatopfer zusammenstehenden Zeugen einer "Hinrichtung" vor den Augen von dessen 11jährigem Sohn und dessen gleichaltrigem Freund. Angesichts dieses Aktes von Selbstjustiz und der festgestellten objektiven Tatumstände kann von außergewöhnlichen Schuldmilderungsgründen , die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Angeklagte aufgrund seines Lebenszuschnitts und seiner intellektuellen Fähigkeiten in seinen Ehrvorstellungen und Traditionen seiner anatolischen Heimat befangen war, von denen er sich trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hat lösen können.
3. Keinen Rechtsfehler sieht der Senat allerdings darin, daß das Landgericht neben dem Mordmerkmal der "Heimtücke" nicht auch das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe" angenommen hat, obwohl der Angeklagte glaubte , zu einem von langer Hand vorbereiteten Akt der Selbstjustiz berechtigt gewesen zu sein. Die Frage, ob eine Tötung aus "niedrigen Beweggründen" erfolgte , ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, bei der die Tat-
motive insgesamt zu berücksichtigen sind; dabei steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 21; Maatz/Wahl, FS aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des BGH S. 531, 552; jeweils m. w. Nachw.). Im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellte persönliche Krise und seiner "überwertigen Idee" von einem ehewidrigen Verhältnis seiner Ehefrau ist es revisionsrechtlich noch hinnehmbar, daß das Landgericht die Verurteilung nicht auch auf das Mordmerkmal der Tötung aus sonst "niedrigen Beweggründen" gestützt hat (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 32), wenn auch eine andere tatrichterliche Wertung möglich gewesen wäre.
4. Die Sache bedarf zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Wahl Boetticher Kolz Elf Graf