Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10

bei uns veröffentlicht am25.01.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 418/10

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 25. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Januar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt B.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 26. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Einzelfreiheitsstrafe sechs Monate), wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen (Einzelfreiheitsstrafe vier Jahre), wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen (Einzelfreiheitsstrafe drei Jahre), wegen weiterer vier Fälle des sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen (Einzelfreiheitsstrafen zweimal sechs Monate und zweimal ein Jahr) sowie wegen Zugänglichmachens pornographischer Schriften (Einzelfreiheitsstrafe vier Monate) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der niemals strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte hatte den Beruf des Krankenpflegers erlernt und viele Jahre ausgeübt. Er war zu den Tatzeiten 64 bis 67 Jahre alt, über 40 Jahre verheiratet und Vater von fünf erwachsenen Söhnen. In der DDR war er zuletzt erfolgreicher Altstoffhändler. Er ließ sich wegen wachsender gesundheitlicher Probleme verrenten. Im Jahr 1994 wurde ihm als Folge schwerer Durchblutungsstörungen ein Bein oberhalb des Knies amputiert. Es besteht eine erektile Dysfunktion, die es dem Angeklagten schon im Tatzeitraum unmöglich machte, vaginalen Geschlechtsverkehr auszuüben, seine Fähigkeit zur Vornahme der abgeurteilten Handlungen jedoch nicht ausschloss.
4
b) Die am 18. Juli 1991 geborene J. W. , die Nebenklägerin, ist die Enkelin des Angeklagten. Sie wuchs in einem Zustand recht weitgehender persönlicher Vernachlässigung durch ihre Eltern auf. Bei dem Angeklagten fand sie mit ihrem Anlehnungsbedürfnis ein hohes Maß an Gegenliebe. Er wählte sie unter seinen Enkelkindern zu seinem erklärten Liebling. Mit dem Einsetzen der Pubertät seiner Enkelin begann der Angeklagte, auch ein körperlich-sexuelles Interesse an ihr zu entwickeln.
5
c) Als sich seine Ehefrau im Dezember 2003 länger in Kliniken aufhalten musste, ließ sich der Angeklagte zu dem ersten körperlichen Übergriff auf seine damals zwölf Jahre alte Enkelin hinreißen. Mit großer Regelmäßigkeit und Häufigkeit, in der Erinnerung der Nebenklägerin beinahe täglich, kam es anschließend bis März 2007 bei allmählich sich steigernder Intensität zu sexuellen Übergriffen, von denen acht angeklagt und sieben abgeurteilt worden sind:
6
Im Dezember 2003 schlug der Angeklagte den Büstenhalter der Enkelin nach oben. Er streichelte und knetete ihre Brüste.
7
Nach dem 14. Geburtstag der Nebenklägerin veranlasste der Angeklagte seine Enkelin in zwei Fällen zu Manipulationen an seinem Penis bis zum Samenerguss und drang einmal mehrere Minuten lang mit einem Finger in ihre Scheide ein. Außerdem steckte er ein weiteres Mal den Finger in die Scheide seiner Enkelin und ließ sich von ihr mit der Hand befriedigen.
8
Vermutlich im Sommer 2006 fuhr der Angeklagte mit der Nebenklägerin in den Wald. Dort veranlasste er sie, den Oralverkehr bei ihm durchzuführen , und umfasste dabei ihren Kopf so fest, dass sie den Samenerguss in den Mund dulden und sein Sperma schlucken musste.
9
Im gleichen Tatzeitraum entkleidete der Angeklagte seine Enkelin und leckte an ihrer Scheide. Dabei hielt er den Stuhl fest, auf dem sie saß. Deshalb misslang es ihr, den Kopf des Angeklagten wegzudrücken.
10
d) Nachdem die Nebenklägerin im Laufe der Zeit die Erkenntnis gewonnen hatte, dass ein Großvater derartiges mit seiner Enkelin nicht tun dürfe (UA S. 10), verweigerte sie sich im März 2007 dem Angeklagten, der sie immer unter dem Vorwand, sie möge ihm am Computer helfen, in seine Nähe gerufen hatte. Ihre Offenbarung des Geschehens führte bei ihren Eltern zu keinen Konsequenzen. Ende März 2007 verfasste sie einen Brief an einen ihr nahe stehenden Mitschüler, in dem sie schilderte, ihr Großvater habe sie angefasst und unsittlich berührt. Von diesem Brief nahm die Direktorin der Schule der Nebenklägerin Kenntnis; sie verständigte das Jugendamt. Auf dessen Initiative verließ die Mutter der Nebenklägerin mit ihren beiden Töchtern das Familienanwesen und zog in ein Frauenhaus, später in eine eigene Wohnung.
11
Anschließend fiel die Nebenklägerin in einem von ihr besuchten Jugendtreff durch stark sexualisiertes Verhalten auf. Sie nahm zwischen Ende Juli 2007 und April 2008 an 20 Gesprächen mit einem an einem Beratungszentrum tätigen Psychologen teil, dem sie im Schwerpunkt orale Missbräu- che schilderte, mit denen sie sehr intensive Gefühle wie Ekel, Angst und Wut verband. Der Psychologe nahm Selbstverletzungen („Ritzen“) der Nebenklägerin wahr, bewertete ihre ärztlich behandelten Unterleibsbeschwerden als psychosomatisch verursacht und diagnostizierte eine traumatische Belastungsstörung nach sexuellem Missbrauch.
12
Die Nebenklägerin hatte erst am 23. August 2007 die Kraft zur Anzeigeerstattung gegen ihren Großvater und zu einer Vernehmung – in Anwesenheit ihrer Mutter – aufgebracht; zuvor war sie davor zurückgescheut, weil sie sicher war, dass ihr niemand glauben würde.
13
e) Das Landgericht hat sich allein aufgrund der Aussage der Nebenklägerin von der Schuld des die Vorwürfe bestreitenden Angeklagten überzeugt. Deren Bekundungen hat es auch unter Würdigung der Aussage des als sachverständigen Zeugen vernommenen behandelnden Psychologen und eines in der Hauptverhandlung erstatteten Glaubhaftigkeitsgutachtens einer Diplompsychologin für uneingeschränkt glaubhaft befunden.
14
2. Die vom Landgericht in seinen Wertungen maßgeblich berücksichtigten sachverständigen Darlegungen sind indes in mehrfacher Hinsicht für das Revisionsgericht nicht hinreichend nachvollziehbar (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 178). So entfällt ein in der hier gegebenen Konstellation „Aussage gegen Aussage“ auf Grund erheblicher Inkonstanz im Aussageverhalten der einzigen Belastungszeugin regelmäßig gebotenes gewichtiges, die Glaubhaftigkeit der Aussage im Übrigen stützendes Indiz (vgl. Schmandt, StraFo 2010, 446, 447 mN). Dies begründet hier auch eingedenk des Beurteilungsspielraums des Tatgerichts bei der Bewertung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage die Revision (vgl. Brause, NStZ 2007, 505, 507).
15
a) In Frage steht in erster Linie die im Urteil akzeptierte gutachterliche Bewertung der Aussagen der Nebenklägerin zum Kerngeschehen des als Vergewaltigungstat mit der Einsatzfreiheitsstrafe von vier Jahren geahndeten Geschehens im Wald.
16
Hierzu hatte die Nebenklägerin in ihrer polizeilichen Vernehmung in Anwesenheit ihrer Mutter ausgeführt, der Angeklagte habe auf den Boden ejakuliert, so dass sie sein Sperma nicht habe schlucken müssen. In den Explorationsgesprächen und in der Hauptverhandlung hat die Nebenklägerin bekundet, nur bei dieser Gelegenheit habe der Angeklagte in ihren Mund ejakuliert. Im Widerspruch zu anderweit mehrfach – zentral gegenüber dem Psychologen – bekundetem vielfachen Oralverkehr hat die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung beharrlich erklärt, der Übergriff im Wald sei zugleich auch der einzige Fall von Oralverkehr mit dem Angeklagten gewesen. Das Landgericht hat dies als durchaus auffälligen Bruch in der Aussagekonstanz bewertet, der indes nach den Erläuterungen der Sachverständigen plausibel erklärt werde. Dies trifft nicht zu.
17
aa) Es begegnet schon Bedenken, dass die Strafkammer der Erklärung der Sachverständigen gefolgt ist, die hochgradig gehemmte Nebenklägerin sei durch die Anwesenheit ihrer Mutter davon abgehalten worden, alle negativ gefühlsbesetzten Einzelheiten während ihrer polizeilichen Vernehmung zu offenbaren. Mangels Darlegung der Umstände und Einzelheiten der polizeilichen Vernehmung erscheint diese Wertung eher als Plausibilitätsvermutung ; sie steht in einem Spannungsverhältnis gegenüber Angaben zu dem – offensichtlich in ähnlichem Umfang negativ gefühlsbesetzten – Lecken des Angeklagten an der Scheide der Nebenklägerin und zu dem – wenn auch möglicherweise als geringfügig weniger belastend empfundenen – vielfachen Oralverkehr, was indes beides ersichtlich in Anwesenheit der Mutter bekundet worden ist.
18
Zudem bleibt unklar, ob der Umstand in die Sachverständigenbewertung einbezogen worden ist, dass nicht nur ein bloßes ursprüngliches Verschweigen einer Tatsache in Frage stand, sondern es auch galt, einen den Angeklagten stärker als bislang belastenden Aussagewechsel in der Hauptverhandlung hinsichtlich einer möglichen Belastungstendenz zu würdigen.
19
bb) Soweit das Landgericht der Sachverständigen auch darin gefolgt ist, dass früher von der Nebenklägerin bekundete Oralverkehrshandlungen als unbewusstes Vermeidungsverhalten in der Hauptverhandlung verdrängt und in Abrede gestellt worden seien, um nähere Nachfragen zu den Einzelheiten dieses Oralverkehrs zu ersparen, sind Widersprüche zu anderen Erwägungen unbeachtet geblieben. Es wird nicht abgehandelt, weshalb ein Verdrängen unter diesem Aspekt nicht gleichermaßen für die in der Hauptverhandlung mit einer noch stärkeren Belastung verbundene Schilderung eines Oralverkehrs mit einem Samenerguss in den Mund zu erwarten gewesen wäre.
20
Die Annahme eines Verdrängens der früher insbesondere gegenüber dem behandelnden Psychologen als zentralen Missbrauch bekundeten Oralverkehrshandlungen steht zudem in einem Spannungsverhältnis zu der von der Sachverständigen gefundenen und vom Landgericht nachvollzogenen Aussagestruktur der Nebenklägerin. Diese habe nämlich die Abläufe des Tatgeschehens als Schemata abgespeichert, weshalb es ihr auch nicht gelungen sei, sich an einzelne Ereignisse innerhalb der Schemata konkret zu erinnern. Nach dieser Einordnung wäre eine grundlegende Veränderung der Aussage zu den lediglich schematisch erinnerten und auf diese Weise reproduzierten Oralverkehrshandlungen eher nicht zu erwarten gewesen.
21
b) Die auf dem Gutachten der Sachverständigen aufbauende Beweiswürdigung bleibt überdies den Beleg für die behauptete Anzahl und die Qualität der für eine erlebnisfundierte Aussage notwendigen Realkennzeichen schuldig. Solche führt das Landgericht nicht aus. Es teilt lediglich abstrakt wertende Äußerungen der Sachverständigen mit.
22
Zwar kann eine im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses eines Gutachtens beschränkte Darstellung der Überzeugungsbildung des Tatgerichts ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2010 – 5 StR 345/10, StV 2011, 8 mwN). Hierzu gehört indes ein stets höhere Anforderungen stellendes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164). Bei beurteilungsrelevanten Divergenzen zwischen den verschiedenen belastenden Aussagen sind auch die Anknüpfungstatsachen der Sachverständigen darzulegen , um deren Bewertung nachvollziehbar zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10; BGH, Beschluss vom 21. September 2005 – 2 StR 311/05, NStZ 2007, 538).
23
c) Das Landgericht hat es schließlich unterlassen, den von dem sachverständigen Zeugen erst in der Hauptverhandlung bekundeten Umstand der Selbstverletzungen der Nebenklägerin auf einen möglichen Zusammenhang mit einer etwaigen psychischen Störung hin zu untersuchen (vgl. BGH, Urteil vom 12. August 2010 – 2 StR 185/10). Zwar gibt es weder den Erfahrungssatz , dass selbstverletzendes Verhalten typische Folge eines erlittenen Missbrauchs ist (vgl. Schwenn, StV 2010, 705, 710), noch denjenigen, dass es sich dabei regelmäßig um den Ausdruck einer krankhaften seelischen Störung handelt. Auch dieser Aspekt wäre indes in den Blick zu nehmen gewesen , da Anlass für die Klärung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Selbstverletzung und Persönlichkeitsstörung hätte bestehen können (vgl. auch BGH, Beschluss vom 27. April 2010 – 5 StR 127/10).
24
Das Unterlassen solcher Prüfung lässt insbesondere auch besorgen, dass die von der Sachverständigen und dem sachverständigen Zeugen gestellte , vom Landgericht übernommene – und von diesem ersichtlich auch als die Glaubhaftigkeit der qualitätsgeminderten Aussage der Nebenklägerin steigernder Umstand herangezogene – Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung auf einem Wertungsfehler beruhen kann. Auf geltend ge- machte grundsätzliche Bedenken hinsichtlich einer zirkulären Argumentationsweise bei einer mit dieser Diagnose maßgeblich begründeten Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage kommt es bei dieser Sachlage nicht einmal an. Sie wäre indes für das weitere Verfahren zu bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2010 – 5 StR 319/10; Steller in NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer, 2002, S. 69, 71).
25
3. Der Mangel der Beweiswürdigung erfasst die vom Landgericht angenommene Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin insgesamt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2010 – 5 StR 157/10). Allein aufgrund der – freilich verbliebenen – deutlichen Hinweise auf ein Missbrauchsgeschehen können Teile des Schuldspruchs nicht aufrechterhalten bleiben.
26
4. Für die neu erforderliche Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
27
a) Das neu berufene Tatgericht wird angesichts der divergierenden Bekundungen der Nebenklägerin die Entwicklung sämtlicher Aussagen, auch derjenigen im Familienkreis, zu betrachten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 – 5 StR 136/02 mwN; BGH, Beschluss vom 24. November 2004 – 5 StR 480/04, StV 2005, 253) und ihre Schilderungen gegenüber dem sachverständigen Zeugen auch inhaltlich näher darzustellen haben. Es wird ferner zu prüfen haben, ob die Nebenklägerin im Hinblick auf die festgestellten Umstände in ihrer Person auch von einem psychiatrischen Sachverständigen begutachtet werden muss (BGH, Beschluss vom 19. Februar 2002 – 1 StR 5/02, BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 18).
28
b) Im Falle eines Schuldspruchs wird angesichts des Alters des Angeklagten zur Tatzeit, seines Gesundheitszustands und seiner weiteren Lebensumstände zu prüfen sein, ob hirnorganisch bedingte Wesensveränderungen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in einem für die Anwendung des § 21 StGB bedeutsamen Umfang beeinträchtigt haben (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 1998 – 1 StR 338/98, NStZ 1999, 297 mwN; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2006 – 1 StR 583/06, NStZ 2007, 328; Kröber, NStZ 1999, 298).
29
Nicht abgeurteilte Straftaten werden nur dann strafschärfend berücksichtigt werden dürfen, wenn sie prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (BGH, Beschluss vom 2. Juli 2009 – 3 StR 251/09, NStZ-RR 2009, 306; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46 Rn. 41a).
Basdorf Raum Brause Schaal Schneider

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10 zitiert 4 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10 zitiert oder wird zitiert von 11 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10 zitiert 10 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Okt. 2010 - 5 StR 319/10

bei uns veröffentlicht am 27.10.2010

5 StR 319/10 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 27. Oktober 2010 in der Strafsache gegen wegen besonders schwerer Vergewaltigung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Oktober 2010, an der teilgenom

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Feb. 2002 - 1 StR 5/02

bei uns veröffentlicht am 19.02.2002

Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja ______________________ StPO § 244 Abs. 2 Hält der Tatrichter zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Zeugen die Zuziehung eines Sachverständigen für geboten, wird er sich der

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Mai 2002 - 5 StR 136/02

bei uns veröffentlicht am 16.05.2002

5 StR 136/02 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 16. Mai 2002 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2002 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Sept. 2005 - 2 StR 311/05

bei uns veröffentlicht am 21.09.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 311/05 vom 21. September 2005 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdefü

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2004 - 5 StR 480/04

bei uns veröffentlicht am 24.11.2004

5 StR 480/04 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 24. November 2004 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2004 beschlossen:

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2009 - 3 StR 251/09

bei uns veröffentlicht am 02.07.2009

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 251/09 vom 2. Juli 2009 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Apr. 2010 - 5 StR 127/10

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

5 StR 127/10 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 27. April 2010 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. April 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2006 - 1 StR 583/06

bei uns veröffentlicht am 19.12.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 583/06 vom 19. Dezember 2006 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Dezember 2006, an de

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Mai 2010 - 5 StR 157/10

bei uns veröffentlicht am 17.05.2010

5 StR 157/10 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 17. Mai 2010 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Mai 2010 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgeri

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Sept. 2010 - 5 StR 345/10

bei uns veröffentlicht am 15.09.2010

5 StR 345/10 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 15. September 2010 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 2010 bes
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 25. Jan. 2011 - 5 StR 418/10.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juni 2011 - 5 StR 190/11

bei uns veröffentlicht am 22.06.2011

5 StR 190/11 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 22. Juni 2011 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2011 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das U

Referenzen

5 StR 345/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 15. September 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 2010

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 24. März 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte J. wegen Diebstahls in 42 Fällen und der Angeklagte R. wegen Diebstahls in vier Fällen verurteilt worden sind; ausgenommen bleiben die Feststellungen zu Art und Umfang der jeweiligen Diebesbeute und der verursachten Sachschäden, die aufrechterhalten bleiben;
b) ferner in den Gesamtstrafaussprüchen und in der Entscheidung über die Einziehung der Werkzeuge.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Diebstahls in 42 Fällen (II.1 bis 32, 34 bis 43), wegen versuchten Diebstahls (II.33) sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (II.45 und 46) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und den Angeklagten R. wegen Diebstahls in vier Fällen (II.1, 21, 34 und 44) sowie wegen versuchten Diebstahls (II.33) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Es hat ferner sichergestelltes Heroin und vier Werkzeuge eingezogen. Die Revisionen der Angeklagten erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat sich im Wesentlichen aufgrund von übereinstimmenden Werkzeugspuren an abgekippten Schließzylindern mit dem Profil von im Besitz der Angeklagten befindlichen Werkzeugen davon überzeugt, dass der Angeklagte J. zwischen dem 5. August 2006 und dem 26. September 2008 in Kiel 42 Einbruchsdiebstähle in Geschäfts- und Büroräume , davon drei (II.1, 21 und 34 der Urteilsgründe) gemeinsam mit dem Angeklagten R. begangen hat.
3
Am 12. Mai 2008 blieb ein gemeinsamer Einbruch in ein Bekleidungsgeschäft ohne Erfolg. Das Landgericht hat die von einer Videoüberwachungskamera gefilmten Angeklagten wegen versuchten Diebstahls jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt (II.33 der Urteilsgründe

).


4
Der Angeklagte R. befand sich am 9. Dezember 2008 im Besitz einer in der Zeit vom 23. Juni bis 26. Juni 2008 aus einem Tresor entwendeten Digitalkamera. Das Landgericht hat ihn deshalb wegen eines weiteren Einbruchsdiebstahls schuldig gesprochen (II.44 der Urteilsgründe).
5
In der Wohnung des Angeklagten J. wurde bei Durchsuchungen am 9. Dezember 2008 und 22. Januar 2009 Heroin mit einer Wirkstoffmenge von über 3 g bzw. über 8 g sichergestellt. Das Landgericht hat diesen Angeklagten deshalb wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungs- mitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen jeweils zu Freiheitsstrafen von sechs Monaten verurteilt (II.45 und 46 der Urteilsgründe).
6
2. Diese Verurteilungen des Angeklagten J. wegen Betäubungsmitteldelikten und die beider Angeklagter wegen versuchten Diebstahls beruhen auf einer rechtsfehlerfrei festgestellten Tatsachengrundlage und haben Bestand.
7
3. Dies gilt indes nicht für die Verurteilung der durchweg schweigenden Angeklagten wegen der Diebstähle unter Verwendung von Werkzeugen. Die Urteilsgründe genügen insoweit nicht den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten in den schriftlichen Urteilsgründen.
8
a) Das Landgericht hat „die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen M. vom Landeskriminalamt gewonnen, der die am jeweiligen Tatort an den Schlössern gesicherten Werkzeugspuren mit den bei den Angeklagten aufgefundenen Werkzeugen bezüglich der von ihnen verursachten Spurenbilder verglichen und im Ergebnis als tatverursachend identifiziert hat“ (UA S. 26 f.). Der Sachverständige habe bekundet, dass man nach entsprechender Betrachtung und Auswertung der in eine Datenbank eingestellten Fotografien von Werkzeugspuren an zur Untersuchung eingesandten Schließzylindern identische Tatspuren festgestellt habe. „Zunächst habe man drei unterschiedliche Werkzeugspuren feststellen können und sei folglich von drei Tatserien ausgegangen. Irgendwann sei festgestellt worden, dass sich auf einer Tatspur gleichzeitig der Abdruck mehrerer verschiedener Werkzeuge gefunden habe, die sich wiederum jeweils in verschiedenen Tatserien wiedergefunden hätten, so dass ursprünglich unterschiedlich geführte Serien schließlich zu einer Serie hätten zusammengeführt werden können. Im Ergebnis sei bei dem abschließenden Vergleich nach Auffinden der Werkzeuge bei den Angeklagten die von den Werkzeugen hergestellte Vergleichsspur nicht mehr mit jeder einzelnen Tatspur verglichen worden, sondern lediglich mit einigen http://www.juris.de/jportal/portal/t/oou/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=6&numberofresults=12&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE037701309&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/oou/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=6&numberofresults=12&fromdoctodoc=yes&doc.id=BORE100257909&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/oou/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=6&numberofresults=12&fromdoctodoc=yes&doc.id=KSRE054680372&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/oou/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=6&numberofresults=12&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE328899300&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - ausgewählten aus der jeweiligen Tatserie. Im Falle einer Identität der Spuren habe man logisch folgern können, dass dieses Werkzeug dann auch alle anderen Tatspuren aus derselben Serie verursacht haben müsse“ (UA S. 29 f.). Der Sachverständige habe anhand von sechs fotografisch dargestellten Spurenvergleichen – die vier sichergestellten Werkzeuge betreffend – die Methodik des visuellen Spurenvergleichs, die letztlich eine Bewertungs- und Überzeugungsfrage beim erfahrenen Betrachter sei (UA S. 28), deutlich und nachvollziehbar gemacht (UA S. 31).
9
b) Die vom Landgericht vorgenommene, im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung seiner Überzeugungsbildung kann zwar ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie das daktyloskopische Gutachten (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4), die Blutalkoholanalyse (BGHSt 28, 235, 237 f.) oder die Bestimmung von Blutgruppen (BGHSt 12, 311, 314), handelt (grundlegend BGHSt 39, 291, 297 ff.). Ein solches standardisiertes Verfahren ist aber ein Vergleichsgutachten betreffend Werkzeugspuren nicht, deshalb sind weitergehende Anforderungen an die Darlegung der Überzeugugsbildung zu stellen, die vorliegend nicht erfüllt sind.
10
c) Ein fotografischer Spurenvergleich, der teilweise in den Urteilsgründen vorgenommen wird, ist ohne weiteres geeignet, die Spurenübereinstimmung zu belegen und die Überzeugung von der Verwendung des bestimmten Werkzeugs bei einem bestimmten Einbruch zu begründen. Diese Methode ist „in der Regel (für) R. , Staatsanwälte und Verteidiger überschaubar und überzeugend“ (Katterwe NStZ 1992, 18, 21; vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO 6. Aufl. Rdn. 1917a). Das Landgericht hat aber noch nicht einmal die in Bezug genommenen Spurenvergleichsbilder bestimmten Verurteilungsfällen zugeordnet.
11
d) Zwar ist es nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO) nicht ausgeschlossen, die Übereinstimmung von Tatortspur und Werkzeugprofil allein auf den für das Gericht nachvollziehbaren und überzeugenden Wertungsakt des Sachverständigen zu gründen (vgl. Schoreit in KK-StPO, 6. Aufl. § 261 Rdn. 32 m.w.N.). Dies setzt indes voraus, dass die einer Verurteilung zugrunde liegende Wertung auch in jedem Fall vom Sachverständigen vorgenommen wurde und nachvollziehbar ist. Dies wird durch das angefochtene Urteil nicht hinreichend belegt.
12
aa) Für die Übereinstimmung von Tatortspur und Werkzeugprofil ausschlaggebend war zunächst die Feststellung der Übereinstimmung der Spuren an den Schließzylindern als Grundlage für die Bildung von Tatserien. Nach den Darlegungen UA S. 29 bleibt schon unklar, wie der Sachverständige diese Übereinstimmung festgestellt hat. Die Formulierung „man“ habe nach Betrachtung und Auswertung drei Tatserien wahrgenommen, lässt offen , ob nicht Dritte diese Bewertung vorgenommen haben.
13
bb) Die Zusammenführung der angenommenen drei Tatserien ist ebenfalls nicht ausreichend dargelegt. Es bleibt offen, in welchem konkreten Einzelfall, auf welchen Spurenträgern und in welchem Zusammenhang die drei Spuren gefunden wurden. In lediglich einem Fall (II.6 der Urteilsgründe) sind zwei dem Angeklagten J. zugeordnete Werkzeuge und in drei Fällen (II.1, 21 und 24 der Urteilsgründe) ebenfalls zwei Werkzeug benutzt worden, von denen jeweils eines einem Angeklagten zugeordnet worden ist. Es bleibt darüber hinaus unklar, unter welchen Vergleichsaspekten das vierte Werkzeug in die Serie aufgenommen worden ist. Bei dieser Sachlage ist es ausgeschlossen, dass – wie es das Landgericht getan hat – eine Übereinstimmung von Tatortspur und Werkzeugprofil in den Verurteilungsfällen lediglich nach – auch nicht näher erläuterten – Stichproben unter Verzicht auf Einzelvergleiche festgestellt werden konnte.
14
cc) Soweit das Landgericht dargelegt hat, dass der Sachverständige auch Überlagerungen von Werkzeugspuren und lediglich entstandene Teilabdrucke zu werten gehabt habe (UA S. 28 f.), fehlt es an jeder Erläuterung, wie bei diesen schwieriger zu beurteilenden Anknüpfungstatsachen die Wertung einer Spurenübereinstimmung nachvollziehbar dargelegt worden ist (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4; Schoreit aaO).
15
4. Auch die Verurteilung des Angeklagten R. im Fall II.44 der Urteilsgründe hat keinen Bestand; die Entwendungshandlung wird auch mangels Werkzeugspur nicht belegt. Zudem begegnet die Würdigung des Zeitpunkts der Aussage des Vaters (vgl. BGH StV 2009, 679 m.w.N.) und des Schweigens des Angeklagten (vgl. BGHSt 45, 363, 364 m.w.N.) Bedenken.
16
5. Die Sache bedarf demnach weitgehend neuer Aufklärung und Bewertung. Dies betrifft freilich nicht die bisher getroffenen Feststellungen zu Art und Umfang der jeweiligen Diebesbeute und der Sachschäden. Diese konnten aufrechterhalten bleiben. Die Aufhebung der Schuldsprüche entzieht den Gesamtfreiheitsstrafen und der Einziehungsentscheidung bezüglich der Werkzeuge die Grundlage.
17
Das neu berufene Tatgericht wird bei der Gesamtstrafenbildung zu prüfen haben, ob die gegen den Angeklagten J. am 12. Dezember 2007 und gegen den Angeklagten R. am 6. März 2008 verhängten Geldstrafen bereits vollstreckt waren und deshalb keine Zäsur begründen konnten. Gesamtstrafen, die im Vergleich zur Einsatzstrafe stark erhöht wer- den, bedürfen einer eingehenden Begründung (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 54 Rdn. 11 m.w.N.). Zur besseren Verständlichkeit wird es sich empfehlen, im Urteil nicht – wie bisher geschehen – zwischen Ordnungsnummern des Urteils und der Anklage zu wechseln.
Brause Raum Schaal
Schneider Bellay
5 StR 127/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. April 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 26. November 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1989 Von bis 1996 lebte der Angeklagte mit der Mutter der am 16. November 1983 geborenen Nebenklägerin A. K. zunächst in einer Lebensgemeinschaft, später in einer Ehe zusammen. Es kam zu folgenden Missbrauchshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin:
4
(1) An einem nicht näher bestimmbaren Tag im Januar 1994 kam der Angeklagte mit einer Rolle Toilettenpapier in das Kinderzimmer der Nebenklägerin. Er forderte sie auf, sich auf das Bett zu setzen, und sagte zu ihr, dass sie „langsam zur Frau“ werde und „auch so behandelt werden“ solle. Er berührte ihre bekleidete Brust, zog sie aus, streichelte sie zunächst an der unbekleideten Brust, dann an der Scheide. Er entblößte seinen Penis und drückte die Nebenklägerin gegen ihren Willen in das Bett. Ihr gelang es nicht, die Hände des Angeklagten wegzudrücken. Er umfasste ihre Hand und führte mit ihr an seinem Penis Bewegungen aus; dies empfand die Nebenklägerin als „eklig“. Schließlich führte er mit ihr den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Anschließend säuberte der Angeklagte sich und die Nebenklägerin mit dem mitgebrachten Toilettenpapier.
5
(2) Als die Nebenklägerin im Januar 1994 ihr Halbjahreszeugnis bekam , das dem Angeklagten missfiel, sagte er zu ihr, dass sie hierfür eine Strafe bekomme. Zu diesem Zweck kam er erneut mit einer Rolle Toilettenpapier in ihr Zimmer. Er führte den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durch, wobei die Nebenklägerin dies – wie auch in den weiteren Fällen – aus Angst vor dem Angeklagten über sich ergehen ließ.
6
(3) Als die Nebenklägerin zwölf Jahre alt war, kam der Angeklagte an einem nicht näher bestimmbaren Tag in ihr Zimmer und warf ihr vor, das Telefon „kaputt gemacht“ zu haben. Als die Zeugin dies abstritt, sagte er, dass er sie hierfür bestrafen werde, und vollzog den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr.
7
(4) Einige Tage später behauptete der Angeklagte, es sei festgestellt worden, dass das Telefon durch einen Sturz beschädigt worden sei. Er sagte zu der Nebenklägerin, dass sie aufgrund ihrer Lüge bestraft werden müsse, und führte wiederum den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr aus.
8
2. Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Er habe ein sehr gutes Verhältnis zur Nebenklägerin gehabt und sie wie eine eigene Tochter behandelt. Allerdings sei er ein strenger Vater gewesen. Auch bei kleineren „Vergehen“ habe er schnell Hausarrest gegeben und da- bei überreagiert, insbesondere dann, wenn seine Ansprüche an die Nebenklägerin , beispielsweise bei den schulischen Leistungen, die nicht erfüllt worden seien. So könne er sich an die Situation erinnern, als die Nebenklägerin das Telefon „kaputt gemacht“ habe; er sei „sehr sauer“ gewesen, nicht nur wegen des beschädigten Telefons, sondern auch weil die Nebenklägerin dies abgestritten habe. An die Strafe, die die Nebenklägerin hierfür bekommen habe, könne er sich nicht erinnern, jedenfalls aber habe er sie nicht missbraucht. Allerdings habe die Nebenklägerin auch mal einen „Klaps auf den Po“ bekommen.
9
Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen aufgrund der Angaben der Nebenklägerin gewonnen, die es für glaubhaft hält. Hierin sieht es sich bestätigt, durch das eingeholte aussagepsychologische Gutachten, nach dem „die Angaben der Zeugin mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisbezogen sind“ (UA S. 16).
10
3. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
Die Beweislage stellte – wessen sich das Landgericht im Grundsatz bewusst ist – wegen des Vorliegens einer Konstellation „Aussage-gegenAussage“ besondere Anforderungen an die tatgerichtliche Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13, 23; jeweils m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Es ist eine Gesamtabwägung aller relevanten Umstände erforderlich. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts ungeachtet des sie stützenden Sachverständigengutachtens nicht gerecht.
12
a) Zu Recht beanstandet die Revision, dass sich das Urteil nicht zu den Umständen verhält, unter denen die Nebenklägerin den Angeklagten angezeigt hat. Im Urteil werden zwar die Aussagen von der Nebenklägerin nahe stehenden Zeugen wiedergegeben, denen sie in Andeutungen oder in allgemeiner Form von dem Missbrauch durch den Angeklagten erzählt hat. Danach hat sie erstmalig im Alter von 15 Jahren gegenüber ihrem damaligen Freund, dem Zeugen Kl. , Andeutungen über das Vorgefallene gemacht. Später hat sie ihrem Ehemann, von dem sie mittlerweile geschieden ist, ihrer Mutter und ihrem leiblichen Vater von dem Missbrauch erzählt, ohne indes auf Einzelheiten einzugehen. Eine Anzeigeerstattung hat sie jedoch zunächst mehrfach abgelehnt. Was die Nebenklägerin, die seit der Trennung ihrer Mutter von dem Angeklagten keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, indes veranlasste , die Taten „fast zwölf Jahre nach der Trennung“ (UA S. 14) anzuzeigen , wird nicht mitgeteilt.
13
Dies wäre insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil die Sachverständige zwischen polizeilicher Aussage, Exploration und Aussage in der Hauptverhandlung eine „große Detailabnahme“ (UA S. 14) festgestellt hat. Diese hat sie letztlich auf eine Veränderung der Aussagemotivation zurückgeführt : „Bei ihrer Anzeige bei der Polizei habe die Zeugin unbedingt eine Aussage machen wollen und sei daher vollständig aussagebereit gewesen , während die späteren Vernehmungen nicht mehr von ihrem Willen und ihrer Aussagebereitschaft abgehangen hätten“ (UA S. 17). Möglichen anderen , für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage relevanten Ursachen der Veränderung der Aussagebereitschaft der Nebenklägerin, bei welcher der Verdacht auf eine Borderline-Störung besteht, gehen die Sachverständige und die Strafkammer nicht nach.
14
b) Das Urteil teilt Näheres über die Inhalte der früheren Aussagen der Nebenklägerin bei ihrer polizeilichen Vernehmung und im Rahmen der Exploration nicht mit. Dies wäre indes angesichts der bereits zitierten „großen Detailabnahme“ notwendig gewesen, um dem Revisionsgericht die Beurteilung nachvollziehbar zu machen, dass auch die Aussage in der Hauptverhandlung „noch ausreichende Konstanz“ (UA S. 17) aufweise. Soweit die Nebenklägerin – was das Urteil darstellt – bereits zuvor Zeugen von dem Missbrauch gesprochen hatte, handelte es sich nicht um in Einzelheiten gehende Schilderungen. Das einzige Detail, an das sich der frühere Ehemann nach eigenem Bekunden erinnern konnte, war, „dass der Angeklagte beim Missbrauch immer eine Toilettenpapierrolle dabei gehabt haben soll“ (UA S. 9).
15
c) Anhand der Urteilsgründe ist darüber hinaus auch die Bewertung nicht nachzuvollziehen, in der Hauptverhandlung seien „noch zahlreiche, zum Teil ungewöhnliche Details“ (UA S. 17, 14) zu erkennen gewesen. Allein für die erste Tat mag dies noch gelten. Bei den drei folgenden Taten sind die sexuellen Handlungen selbst ohne weitere Details, sich gleichförmig wiederholend beschrieben. Ungewöhnlich ist allerdings die Verknüpfung des sexuellen Missbrauchs mit Bestrafungssituationen, die insbesondere in den Fällen 3 und 4 für sich authentisch beschrieben sind. Die Schilderungen der Bestrafungssituationen als solche sind indes als Realitätskriterium wenig brauchbar , da es auch nach der Einlassung des Angeklagten zu solchen Situationen gekommen ist, in denen allerdings kein Missbrauch stattgefunden habe.
16
d) Die Strafkammer wertet in Übereinstimmung mit der Sachverständigen gerade das ungewöhnliche Detail der Verknüpfung des Missbrauchs mit der Strafe als Realitätskriterium, ohne sich – worauf die Revision zu Recht hinweist – mit der psychologischen Plausibilität dieser Verknüpfung beweiswürdigend zu befassen. Gerade vor dem Hintergrund der psychischen Auffälligkeiten der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit dem außergewöhnlichen Charakter dieser Taten auseinandersetzen müssen, der zudem von demjenigen der ersten Tat deutlich abweicht.
17
e) Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin stützt sich die Strafkammer auch auf den Eindruck, den sie von der Persönlichkeit der Zeugin gewonnen hat. „Die Zeugin vermochte während ihrer ganzen Vernehmung vor der Kammer kaum aufzublicken, hat geweint und fühlte sich in ihrer Rolle sichtlich unwohl. Einige Details gab sie erst auf mehrfache Nachfrage preis“ (UA S. 15). Dabei setzt sich die Strafkammer nicht mit möglichen Alternativerklärungen dieses auffälligen Aussageverhaltens auseinander. Ähnliches gilt für die im Urteil wiedergegebene Bewertung der Sachverständigen, auch die psychische Auffälligkeit der Zeugin spreche für eine Erlebnisbezogenheit ihrer Aussage. Insbesondere hätte die Strafkammer die Möglichkeit erwägen müssen, dass die von der Geschädigten erhobenen Beschuldigungen – möglicherweise auch nur hinsichtlich eines Teils der Taten – Ergebnisse einer störungsbedingten bewussten oder unbewussten Selbstsuggestion sind.
18
f) Schließlich hat sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt , dass in einem Zeitraum, der als Tatzeitraum für die Taten 3 und 4 („als A. zwölf Jahre alt war“, UA S. 4) grundsätzlich in Frage kommt, der Sohn des Angeklagten („einige Monate vor der Trennung der Zeugin S. von dem Angeklagten“, UA S. 13) bei diesem eingezogen ist und das Zimmer mit der Nebenklägerin geteilt hat. Da die Taten jeweils im Kinderzimmer der Nebenklägerin stattgefunden haben sollen, wäre ein beweiswürdigendes Eingehen auf diesen Umstand erforderlich gewesen.
19
4. Nach alldem kann das Urteil insgesamt keinen Bestand haben. Das neue Tatgericht wird zu prüfen haben, ob angesichts der psychischen Auffälligkeiten der Nebenklägerin, die den Verdacht auf eine BorderlinePersönlichkeitsstörung begründen, zur Begutachtung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage auch die Zuziehung eines Psychiaters veranlasst erscheint (vgl.
BGHSt 23, 8, 12, 13; BGH NStZ 1995, 558, 559; NStZ-RR 1997, 106; Böhm/Lau Forensische Psychiatrie 2007, 50, 56; Steller in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Aufl. S. 830).
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 311/05
vom
21. September 2005
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. September 2005 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 3. März 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

1. Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge in vollem Umfang Erfolg. Eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht mehr. Die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil weist rechtlich erhebliche Mängel auf (§ 337 StPO). Sie ist zwar Sache des Tatrichters und das Revisionsgericht hat sie grundsätzlich hinzunehmen. Das gilt aber nicht, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft oder unklar ist (vgl. BGH NStZ 2002, 161). Dies ist hier der Fall.
a) Das Landgericht stützt die Verurteilung des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, weitgehend auf seine geständigen Einlassungen im Ermittlungsverfahren, welche "im Wesentlichen - wenn auch nicht unbedingt im Detail - mit den zuletzt in der Hauptverhandlung erhobenen Tatvorwürfen der Geschädigten" übereinstimmten (UA S. 61). Der Angeklagte hat aber - ausweislich der Urteilsgründe - im Ermittlungsverfahren die Taten - insbesondere was die Tatabläufe im Einzelnen (Ergreifen der Initiative durch die Geschädigte), aber auch was deren Intensität angeht - nicht so gestanden , wie von der Strafkammer schließlich festgestellt. Bei dieser Sachlage hätte sich die Strafkammer bei der notwendigen (vgl. BGH NJW 2005, 1440, 1441) Würdigung der Geständnisse nicht auf die pauschale Aussage beschränken dürfen, dass sich die vorprozessualen Einlassungen des Angeklagten im Wesentlichen mit den Angaben der Geschädigten deckten, ohne zu den einzelnen Fällen die Aussage der Geschädigten in der Hauptverhandlung wiederzugeben und diese im Hinblick auf ihre Glaubhaftigkeit in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu würdigen.
Unklar ist bereits, inwieweit die Strafkammer die Feststellungen zum Tatgeschehen, die über das Geständnis des Angeklagten hinausgehen, auch auf die Angaben der Geschädigten stützt. Soweit sie dabei die Angaben der Geschädigten ausdrücklich berücksichtigt, fehlt es an einer umfassenden und in sich geschlossenen Darstellung der relevanten Aussagen. Insbesondere die Angaben der Geschädigten in der Hauptverhandlung werden nicht mitgeteilt, obwohl jedenfalls im Stadium des Ermittlungsverfahrens noch in zentralen Punkten Aussage gegen Aussage stand. Bei einer solchen Beweislage muss der Tatrichter nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes erkennen lassen, dass er alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (BGH NStZRR 2002, 174, 175; BGH StV 1994, 359, 360; 1993, 235). In diesem Zusammenhang wäre auch nachvollziehbar darzulegen gewesen, warum die Strafkammer der Geschädigten geglaubt und den Angeklagten teilweise verurteilt, ihn aber im Übrigen mangels "entsprechender Angaben" der Geschädigten in der Hauptverhandlung (UA S. 87) freigesprochen hat.
b) Darüber hinaus fehlt es an einer hinreichenden Darstellung und Würdigung des eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens. Hält der Tatrichter die Zuziehung einer Sachverständigen für erforderlich, so hat er deren Ausführungen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wiederzugeben, um dem Revisionsgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (BGH NStZ-RR 1996, 233; BGH StV 1994, 359, 360; 1993, 235). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Lediglich zu Tat II.15 findet sich eine knappe Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen. Im Übrigen enthält das Urteil nur den Hinweis, dass die Angaben der Geschädigten in dem vorbereitenden
schriftlichen Sachverständigengutachten "vor allem zur angeblichen Unfreiwilligkeit ihrerseits während der sexuellen Übergriffe des Angeklagten und dessen angeblicher Gewaltanwendung als nicht hinreichend belegbar" beurteilt werden (UA S. 54 f.). Eine Auseinandersetzung mit diesem den Urteilsfeststellungen weitgehend widersprechenden Gutachten fehlt gänzlich. 2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Der neue Tatrichter wird hinsichtlich der Tat II.5 genauere Feststellungen dazu zu treffen haben, ob durch das Verhalten des Angeklagten die Erheblichkeitsschwelle des § 184 c StGB a.F. überschritten ist (vgl. BGH NStZ 1999, 45). Die bisherige Feststellung zu dieser Tat: "Der Angeklagte berührte die Geschädigte über deren Kleidung im Vaginalbereich.", lässt einen solchen Schluss nicht zweifelsfrei zu und rechtfertigt im Übrigen nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Ausschluss eines minder schweren Falls.
b) Des Weiteren wird zu überprüfen sein, ob es sich bei den unter II.14 und II.17 des Urteils aufgeführten Lebenssachverhalten nicht - wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführlich dargelegt - um die nämliche Tat handelt.
c) Gemäß § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB wird die neu entscheidende Strafkammer einen Anrechnungsmaßstab hinsichtlich der in Polen im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erlittenen Haft festzulegen haben.
d) Die Abfassung des Urteils veranlasst den Senat schließlich darauf hinzuweisen, dass es Aufgabe des Tatrichters ist, im Rahmen der Beweiswürdigung eine Begründung dafür zu geben, auf welchem Weg er zu den Feststellungen gelangt ist, die Grundlage der Verurteilung geworden sind. Er ist des-
halb gehalten, die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel im Urteil erschöpfend zu würdigen, soweit sich aus ihnen bestimmte Schlüsse zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten herleiten lassen (BGH NStZ 1985, 184). Andererseits haben die Urteilsgründe nicht die Aufgabe, den Gang der Ermittlungen oder der Hauptverhandlung sowie das mit der abgeurteilten Tat nicht im Zusammenhang stehende Randgeschehen in allen Einzelheiten wiederzugeben. Deshalb ist es auch nicht nötig, für jede Feststellung in den Urteilsgründen einen Beleg zu erbringen (vgl. BGH NStZ 2002, 49, 50; Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen 27. Aufl. Rdn. 350 ff.). Die Angabe der Beweisgründe und die Bewertung der für die Urteilsfindung maßgebenden Beweismittel verlangt vielmehr eine in sich geschlossene Darstellung. Otten Kuckein Rothfuß Fischer Appl
5 StR 127/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. April 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 26. November 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung , zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
1989 Von bis 1996 lebte der Angeklagte mit der Mutter der am 16. November 1983 geborenen Nebenklägerin A. K. zunächst in einer Lebensgemeinschaft, später in einer Ehe zusammen. Es kam zu folgenden Missbrauchshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin:
4
(1) An einem nicht näher bestimmbaren Tag im Januar 1994 kam der Angeklagte mit einer Rolle Toilettenpapier in das Kinderzimmer der Nebenklägerin. Er forderte sie auf, sich auf das Bett zu setzen, und sagte zu ihr, dass sie „langsam zur Frau“ werde und „auch so behandelt werden“ solle. Er berührte ihre bekleidete Brust, zog sie aus, streichelte sie zunächst an der unbekleideten Brust, dann an der Scheide. Er entblößte seinen Penis und drückte die Nebenklägerin gegen ihren Willen in das Bett. Ihr gelang es nicht, die Hände des Angeklagten wegzudrücken. Er umfasste ihre Hand und führte mit ihr an seinem Penis Bewegungen aus; dies empfand die Nebenklägerin als „eklig“. Schließlich führte er mit ihr den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Anschließend säuberte der Angeklagte sich und die Nebenklägerin mit dem mitgebrachten Toilettenpapier.
5
(2) Als die Nebenklägerin im Januar 1994 ihr Halbjahreszeugnis bekam , das dem Angeklagten missfiel, sagte er zu ihr, dass sie hierfür eine Strafe bekomme. Zu diesem Zweck kam er erneut mit einer Rolle Toilettenpapier in ihr Zimmer. Er führte den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr durch, wobei die Nebenklägerin dies – wie auch in den weiteren Fällen – aus Angst vor dem Angeklagten über sich ergehen ließ.
6
(3) Als die Nebenklägerin zwölf Jahre alt war, kam der Angeklagte an einem nicht näher bestimmbaren Tag in ihr Zimmer und warf ihr vor, das Telefon „kaputt gemacht“ zu haben. Als die Zeugin dies abstritt, sagte er, dass er sie hierfür bestrafen werde, und vollzog den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr.
7
(4) Einige Tage später behauptete der Angeklagte, es sei festgestellt worden, dass das Telefon durch einen Sturz beschädigt worden sei. Er sagte zu der Nebenklägerin, dass sie aufgrund ihrer Lüge bestraft werden müsse, und führte wiederum den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr mit ihr aus.
8
2. Der Angeklagte hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Er habe ein sehr gutes Verhältnis zur Nebenklägerin gehabt und sie wie eine eigene Tochter behandelt. Allerdings sei er ein strenger Vater gewesen. Auch bei kleineren „Vergehen“ habe er schnell Hausarrest gegeben und da- bei überreagiert, insbesondere dann, wenn seine Ansprüche an die Nebenklägerin , beispielsweise bei den schulischen Leistungen, die nicht erfüllt worden seien. So könne er sich an die Situation erinnern, als die Nebenklägerin das Telefon „kaputt gemacht“ habe; er sei „sehr sauer“ gewesen, nicht nur wegen des beschädigten Telefons, sondern auch weil die Nebenklägerin dies abgestritten habe. An die Strafe, die die Nebenklägerin hierfür bekommen habe, könne er sich nicht erinnern, jedenfalls aber habe er sie nicht missbraucht. Allerdings habe die Nebenklägerin auch mal einen „Klaps auf den Po“ bekommen.
9
Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen aufgrund der Angaben der Nebenklägerin gewonnen, die es für glaubhaft hält. Hierin sieht es sich bestätigt, durch das eingeholte aussagepsychologische Gutachten, nach dem „die Angaben der Zeugin mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisbezogen sind“ (UA S. 16).
10
3. Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
Die Beweislage stellte – wessen sich das Landgericht im Grundsatz bewusst ist – wegen des Vorliegens einer Konstellation „Aussage-gegenAussage“ besondere Anforderungen an die tatgerichtliche Beweiswürdigung (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13, 23; jeweils m.w.N.). Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, die seine Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Es ist eine Gesamtabwägung aller relevanten Umstände erforderlich. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts ungeachtet des sie stützenden Sachverständigengutachtens nicht gerecht.
12
a) Zu Recht beanstandet die Revision, dass sich das Urteil nicht zu den Umständen verhält, unter denen die Nebenklägerin den Angeklagten angezeigt hat. Im Urteil werden zwar die Aussagen von der Nebenklägerin nahe stehenden Zeugen wiedergegeben, denen sie in Andeutungen oder in allgemeiner Form von dem Missbrauch durch den Angeklagten erzählt hat. Danach hat sie erstmalig im Alter von 15 Jahren gegenüber ihrem damaligen Freund, dem Zeugen Kl. , Andeutungen über das Vorgefallene gemacht. Später hat sie ihrem Ehemann, von dem sie mittlerweile geschieden ist, ihrer Mutter und ihrem leiblichen Vater von dem Missbrauch erzählt, ohne indes auf Einzelheiten einzugehen. Eine Anzeigeerstattung hat sie jedoch zunächst mehrfach abgelehnt. Was die Nebenklägerin, die seit der Trennung ihrer Mutter von dem Angeklagten keinen Kontakt mehr zu ihm hatte, indes veranlasste , die Taten „fast zwölf Jahre nach der Trennung“ (UA S. 14) anzuzeigen , wird nicht mitgeteilt.
13
Dies wäre insbesondere auch deshalb erforderlich gewesen, weil die Sachverständige zwischen polizeilicher Aussage, Exploration und Aussage in der Hauptverhandlung eine „große Detailabnahme“ (UA S. 14) festgestellt hat. Diese hat sie letztlich auf eine Veränderung der Aussagemotivation zurückgeführt : „Bei ihrer Anzeige bei der Polizei habe die Zeugin unbedingt eine Aussage machen wollen und sei daher vollständig aussagebereit gewesen , während die späteren Vernehmungen nicht mehr von ihrem Willen und ihrer Aussagebereitschaft abgehangen hätten“ (UA S. 17). Möglichen anderen , für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage relevanten Ursachen der Veränderung der Aussagebereitschaft der Nebenklägerin, bei welcher der Verdacht auf eine Borderline-Störung besteht, gehen die Sachverständige und die Strafkammer nicht nach.
14
b) Das Urteil teilt Näheres über die Inhalte der früheren Aussagen der Nebenklägerin bei ihrer polizeilichen Vernehmung und im Rahmen der Exploration nicht mit. Dies wäre indes angesichts der bereits zitierten „großen Detailabnahme“ notwendig gewesen, um dem Revisionsgericht die Beurteilung nachvollziehbar zu machen, dass auch die Aussage in der Hauptverhandlung „noch ausreichende Konstanz“ (UA S. 17) aufweise. Soweit die Nebenklägerin – was das Urteil darstellt – bereits zuvor Zeugen von dem Missbrauch gesprochen hatte, handelte es sich nicht um in Einzelheiten gehende Schilderungen. Das einzige Detail, an das sich der frühere Ehemann nach eigenem Bekunden erinnern konnte, war, „dass der Angeklagte beim Missbrauch immer eine Toilettenpapierrolle dabei gehabt haben soll“ (UA S. 9).
15
c) Anhand der Urteilsgründe ist darüber hinaus auch die Bewertung nicht nachzuvollziehen, in der Hauptverhandlung seien „noch zahlreiche, zum Teil ungewöhnliche Details“ (UA S. 17, 14) zu erkennen gewesen. Allein für die erste Tat mag dies noch gelten. Bei den drei folgenden Taten sind die sexuellen Handlungen selbst ohne weitere Details, sich gleichförmig wiederholend beschrieben. Ungewöhnlich ist allerdings die Verknüpfung des sexuellen Missbrauchs mit Bestrafungssituationen, die insbesondere in den Fällen 3 und 4 für sich authentisch beschrieben sind. Die Schilderungen der Bestrafungssituationen als solche sind indes als Realitätskriterium wenig brauchbar , da es auch nach der Einlassung des Angeklagten zu solchen Situationen gekommen ist, in denen allerdings kein Missbrauch stattgefunden habe.
16
d) Die Strafkammer wertet in Übereinstimmung mit der Sachverständigen gerade das ungewöhnliche Detail der Verknüpfung des Missbrauchs mit der Strafe als Realitätskriterium, ohne sich – worauf die Revision zu Recht hinweist – mit der psychologischen Plausibilität dieser Verknüpfung beweiswürdigend zu befassen. Gerade vor dem Hintergrund der psychischen Auffälligkeiten der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit dem außergewöhnlichen Charakter dieser Taten auseinandersetzen müssen, der zudem von demjenigen der ersten Tat deutlich abweicht.
17
e) Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin stützt sich die Strafkammer auch auf den Eindruck, den sie von der Persönlichkeit der Zeugin gewonnen hat. „Die Zeugin vermochte während ihrer ganzen Vernehmung vor der Kammer kaum aufzublicken, hat geweint und fühlte sich in ihrer Rolle sichtlich unwohl. Einige Details gab sie erst auf mehrfache Nachfrage preis“ (UA S. 15). Dabei setzt sich die Strafkammer nicht mit möglichen Alternativerklärungen dieses auffälligen Aussageverhaltens auseinander. Ähnliches gilt für die im Urteil wiedergegebene Bewertung der Sachverständigen, auch die psychische Auffälligkeit der Zeugin spreche für eine Erlebnisbezogenheit ihrer Aussage. Insbesondere hätte die Strafkammer die Möglichkeit erwägen müssen, dass die von der Geschädigten erhobenen Beschuldigungen – möglicherweise auch nur hinsichtlich eines Teils der Taten – Ergebnisse einer störungsbedingten bewussten oder unbewussten Selbstsuggestion sind.
18
f) Schließlich hat sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt , dass in einem Zeitraum, der als Tatzeitraum für die Taten 3 und 4 („als A. zwölf Jahre alt war“, UA S. 4) grundsätzlich in Frage kommt, der Sohn des Angeklagten („einige Monate vor der Trennung der Zeugin S. von dem Angeklagten“, UA S. 13) bei diesem eingezogen ist und das Zimmer mit der Nebenklägerin geteilt hat. Da die Taten jeweils im Kinderzimmer der Nebenklägerin stattgefunden haben sollen, wäre ein beweiswürdigendes Eingehen auf diesen Umstand erforderlich gewesen.
19
4. Nach alldem kann das Urteil insgesamt keinen Bestand haben. Das neue Tatgericht wird zu prüfen haben, ob angesichts der psychischen Auffälligkeiten der Nebenklägerin, die den Verdacht auf eine BorderlinePersönlichkeitsstörung begründen, zur Begutachtung der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage auch die Zuziehung eines Psychiaters veranlasst erscheint (vgl.
BGHSt 23, 8, 12, 13; BGH NStZ 1995, 558, 559; NStZ-RR 1997, 106; Böhm/Lau Forensische Psychiatrie 2007, 50, 56; Steller in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 5. Aufl. S. 830).
Basdorf Brause Schaal Schneider Bellay
5 StR 319/10

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 27. Oktober 2010
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin H.
alsVerteidigerin,
Rechtsanwältin S.
alsNebenklägervertreterin,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Februar 2010 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen , am 3. Juni 2009 unter Einsatz eines Messers die Nebenklägerin in deren Wohnung verbracht, vergewaltigt, körperlich misshandelt und der Freiheit beraubt sowie sie anschließend unter Einsatz des Messers beraubt zu haben. Die gegen den Freispruch gerichtete, lediglich mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der 1994 wegen Ermordung einer Frau – nach deren Fesselung und Knebelung – zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilte „übergewichtige und äußerlich auch sonst wenig attraktive Angeklagte“ (UA S. 5) lernte im Juni/Juli 2008 die Nebenklägerin an deren Arbeitsstelle, einem Geschäft für Reisebedarf an einer U-Bahn-Station, kennen. Im Laufe der Zeit entstand ein enger Kontakt mit intensiven Gesprächen und häufigerem Austausch elektronischer Kurzmitteilungen. Die Nebenklägerin sandte dem Angeklagten am 21. Oktober 2008 ein Bild mit nackten Brüsten mit dem beigefügten Text: „Viel Spaß damit, liebe Grüße Deine Doro.“ Der Angeklagte kaufte auf seinen Namen für die – SCHUFA-belastete – Nebenklägerin eine Waschmaschine. Anfang März 2009 besuchte er sie zu Hause. Darüber war sie ungehalten; sie forderte ihn auf, gegenüber ihren Arbeitskolleginnen deutlich zu machen, dass es keine engen Kontakte zwischen ihnen gebe. Diese Forderung fixierte sie schriftlich auf einem Zettel, den sie dem Angeklagten übergab. Der persönliche Kontakt und der Austausch elektronischer Kurznachrichten wurden fortgesetzt. Am 22. April 2009 schenkte der Angeklagte der Nebenklägerin ein Mobiltelefon im Wert von ca. 140 €.
4
Die Nebenklägerin unterhielt seit April 2009 mit dem Zeugen K. eine Beziehung. Dieser klingelte am Nachmittag des 3. Juni 2009 mehrfach ergebnislos an der Tür des Wohnhauses der Nebenklägerin.
5
b) Die nach übereinstimmenden Bekundungen des Angeklagten und der Nebenklägerin gemeinsam in deren Wohnung zugebrachte Zeit zwischen 14.00 Uhr und 2.45 Uhr des Folgetages hatten beide in der Hauptverhandlung sich widersprechend geschildert.
6
aa) Der Angeklagte hat ausgeführt, dass beide nach Verzehr eines gelieferten Essens geschlafen hätten, er dann ein Bad genommen und gegen 19.00 Uhr die nackt auf dem Bett liegende Nebenklägerin – objektiv ohne erkennbare Fesselungsspuren – fotografiert habe. Nach einer weiteren Zeit des Schlafens habe er im Wohnzimmer auf dem Mobiltelefon der Nebenklägerin gespeicherte Nachrichten gefunden, aus denen sich ergeben habe, dass zwischen der Nebenklägerin und dem Zeugen K. eine feste Beziehung bestehe. Er habe die Nebenklägerin zur Rede gestellt, die aber eine Beziehung zu dem Zeugen K. nicht zugegeben habe. Er habe es abgelehnt , der Aufforderung der Nebenklägerin entsprechend in ihr Schlafzimmer zu kommen, wo sie ihm hätte beweisen wollen, wie sehr sie ihn liebe. Zu keinem Zeitpunkt sei es zu sexuellen Handlungen gekommen. Er habe ihr aus Enttäuschung private und berufliche Schwierigkeiten angedroht, falls sie ihm nicht innerhalb von zehn Tagen das Geld für die Waschmaschine und das Mobiltelefon zahlen würde.
7
bb) Die Nebenklägerin hat angegeben, der Angeklagte habe sie bereits unter Vorhalt eines Messers gezwungen, ihn im Auto zu ihrer Wohnung zu fahren; dort habe er ihr sofort nach Betreten der Wohnung die Hände mit einer Gazebinde auf dem Rücken zusammengebunden und ihr mit einem Geschirrtuch aus der Küche die Augen verbunden. Er habe sie trotz der Fesselung ausgezogen. Nach einem abgenötigten Zungenkuss habe sie ihn oral befriedigen müssen. Er habe auch an ihrer Scheide geleckt. Sie habe dem Pizzaboten – nach dessen Klingeln an der Haustür – auf Geheiß des Angeklagten bekleidet geöffnet und sich diesem aus Angst nicht offenbart. Nach erneutem Ausziehen und erneuter Fesselung habe sie das Essen abgelehnt. Im Schlafzimmer habe der Angeklagte vergeblich versucht, vaginal in sie einzudringen. Dann habe er dies mit Fingern und einem Dildo getan, den sie dann auch selbst habe benutzen müssen. Als K. geklingelt habe, habe der Angeklagte ihr das Messer drohend an den Hals gehalten. Sie habe immer wieder Jägermeister trinken müssen, den er ihr eingeflößt habe. Toilettengänge habe er ihr versagt. Er habe ihr einen Eimer hingestellt, in den sie sich erbrochen und uriniert habe; er müsse diesen Eimer in seiner Reisetasche mitgebracht haben. Nachdem es ihr gelungen sei, die Fesselung zu lösen und die Augenbinde nach oben zu schieben, habe sie gesehen, wie der nackte Angeklagte Schränke und Schubladen im Wohnzimmer durchsucht habe. Nach einem Fluchtversuch habe er sie gegen den Kopf geschlagen und sie sei zu Boden gegangen. Er habe sie erneut gefesselt und ihre Augen verbunden, sie wieder zum Bett gebracht und sich weiter unter Halten des Messers an ihren Hals an ihr vergangen. Sie sei dann eingeschlafen.
8
c) Die Nebenklägerin versuchte um 4.08 Uhr und 8.05 Uhr mit ihrem Freund K. in Kontakt zu treten. Nachdem sie ihn um 8.22 Uhr um einen sofortigen Anruf gebeten hatte, weil etwas ganz Schlimmes passiert sei, teilte sie ihm auf dessen Anruf um 9.30 Uhr weinend mit, dass sie vergewaltigt worden sei. Nach intensivem Zureden durch K. erklärte sich die Nebenklägerin gegen 14.00 Uhr mit einer Verständigung der Polizei einverstanden. An den in der Wohnung der Nebenklägerin auf dem Bettlaken und dem Bettbezug gesicherten Spermaspuren wurde die DNA des Angeklagten ausgeschlossen.
9
Nach dem Geschehen begab sich die Nebenklägerin in psychiatrische Behandlung bei dem als sachverständigen Zeugen vernommenen Kr. , der eine posttraumatische Belastungsstörung ohne Tendenzen für eine Vorspiegelung oder Simulation festgestellt habe. Wegen einer von Gewaltausübung zum Nachteil der Nebenklägerin geprägten früheren Beziehung hat das Landgericht nicht feststellen können, ob das Geschehen vom 3. und 4. Juni 2009 Ursache für die Störung der Nebenklägerin gewesen ist.
10
Der sachverständige Zeuge A. hat keine gynäkologisch relevanten Verletzungen festgestellt, die von der Nebenklägerin am 4. Juni 2009 in ihrer polizeilichen Vernehmung geschilderte Blutungen im Intimbereich hätten belegen können. Auch der von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung berichtete massive Schlag in das Gesicht durch den Angeklagten konnte medizinisch nicht verifiziert werden; eine dezente Rötung am linken Handgelenk könnte von einer Fesselung oder vom Tragen eines Schmuckstücks oder einer Uhr herrühren.
11
d) Das Landgericht hat bei der Qualitätsanalyse der Aussagen der Nebenklägerin erhebliche Mängel hinsichtlich des Rand- und Kerngeschehens festgestellt:
12
Von der Revision nicht beanstandet hat das Landgericht dargelegt, dass die Nebenklägerin hinsichtlich der Intensität ihrer Beziehung zum Angeklagten vor dem 3. Juni 2009 und zur Schenkung des Mobiltelefons in ihrer ersten polizeilichen Vernehmung unwahre Angaben gemacht habe, ohne hierfür in der Hauptverhandlung eine plausible Erklärung abgeben zu können. Unwahre Angaben der Nebenklägerin hat das Landgericht auch zu den Umständen der Übergabe des von ihr geschriebenen und dem Angeklagten übergebenen Zettels mit an den Angeklagten gerichteten Verhaltensanweisungen festgestellt.
13
Auf Vorhalte unterschiedlicher Aussagen hinsichtlich des Zusammentreffens mit einer Nachbarin und der – vom Landgericht als wenig nachvollziehbar bewerteten – Essensbestellung in Unterbrechung sexuell motivierter Gewalthandlungen habe sich die Nebenklägerin auf nicht weiter erklärte Erinnerungsverluste bezogen. Dies sei auch hinsichtlich der in mehreren Vernehmungen unterschiedlich geschilderten Situation geschehen, bei der die Nebenklägerin gefesselt gewesen sei, ferner zu dem Messereinsatz des Angeklagten und dem von ihr geschilderten Fluchtversuch.
14
Hinsichtlich unterschiedlicher Angaben der Nebenklägerin zum Kerngeschehen , nämlich der Art und Reihenfolge der abgenötigten und erduldeten Sexualhandlungen, hat es das Landgericht als nicht nachvollziehbar gewertet , dass die Nebenklägerin in einer späteren Vernehmung die versuchte vaginale Penetration als – weil ihren Freund möglicherweise belastend – besonders bedeutsam, in ihrer Erstvernehmung und bei der Befragung durch den Arzt aber als nicht erwähnenswert betrachtet habe. Die Angabe der Nebenklägerin , sie sei von dem Arzt nicht nach der Vornahme des Oralverkehrs befragt worden, hat das Landgericht durch die Aussage des sachverständigen Zeugen A. als widerlegt angesehen.
15
Das Landgericht hat diese Qualitätsmängel in der Aussage der Nebenklägerin als Ungereimtheiten, Widersprüche und Falschaussagen bewer- tet und sich nicht in der Lage gesehen, eine Verurteilung auf die Aussage der Nebenklägerin zu gründen, die auch nicht durch äußere Umstände gestützt worden sei.
16
2. Das Urteil hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung stand.
17
a) Das Landgericht hat den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Umfang der Darlegungspflicht entscheidungsrelevanter Umstände nicht missachtet (vgl. BGHSt 52, 314, 315; BGH NStZ 2010, 529).
18
Das gilt entgegen der Auffassung der Revision auch hinsichtlich der Persönlichkeit und des Werdegangs des Angeklagten, einschließlich seiner Verurteilung wegen Mordes im Jahre 1994 zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren nebst den hierzu festgestellten Begleitumständen. Der Senat entnimmt den wertenden Betrachtungen des Landgerichts UA S. 16 f., 28, in die es den Angaben der Nebenklägerin widersprechende objektive Beweisanzeichen ersichtlich einbezogen hat, dass auf die Angaben der Nebenklägerin eine Verurteilung des Angeklagten schlechterdings nicht gestützt werden könne. Bei einem schon hierdurch unaufklärbaren Tatgeschehen hätten die von der Revision vermissten Darlegungen keine maßgebliche Stärkung von Belastungsindizien begründen können. Daher liegt keine sachlichrechtlich relevante Erörterungslücke zugunsten des Angeklagten vor.
19
b) Auch im Übrigen hält die Beweiswürdigung des Landgerichts den sachlichrechtlichen Anforderungen stand (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
20
aa) Soweit dem Revisionsvortrag zu entnehmen ist, die posttraumatische Belastungsstörung der Nebenklägerin sei insofern lückenhaft erörtert worden, als diese nicht als Ursache für die Qualitätsmängel der Aussage der Nebenklägerin herangezogen worden sei, wird keine relevante Lücke dargelegt. Mangels wissenschaftlicher Anerkennung der Forderungen der psycho- logischen Traumatologie im Zusammenhang mit der Glaubhaftigkeitsbeurteilung (vgl. Steller in NJW-Sonderheft für Gerhard Schäfer 2002, S. 69, 70) kann die Beweiswürdigung des Landgerichts nämlich gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse nicht übergangen haben. Das Landgericht hat zudem wesentliche Mängel schon in den Widersprüchlichkeiten der Aussagen unmittelbar nach der Tat, die nach dem Revisionsvortrag von der Traumatisierung unbeeinflusst geblieben wären, festgestellt und auf mit keinem Trauma in Zusammenhang stehende bewusst unwahr geschilderte Umstände abgestellt.
21
bb) Die Bewertung der Aussagequalität der Nebenklägerin ist auch in anderer Hinsicht beanstandungsfrei.
22
Dem Senat ist es – im Gegensatz zur Auffassung des Generalbundesanwalts – verwehrt, den vom Landgericht hergestellten Zusammenhang von bewusst unwahrer Aussage im Randbereich und Qualitätsmängeln im Kernbereich der Aussage der Nebenklägerin in Frage zu stellen. Diesen Zusammenhang zu bewerten, gehört zum Kern tatrichterlicher Beweiswürdigung. Nach der durch §§ 261 und 337 StPO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht kann es nicht darauf ankommen, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte (vgl. BGHSt 10, 208, 211; 29, 18, 20). Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn eine vom Tatrichter getroffene Feststellung lebensfremd erscheinen mag (BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 – 1 StR 231/08). Falls das Tatgericht – wie hier – ausgehend von einer lückenlosen Tatsachengrundlage zu der nachvollziehbaren und plausiblen Schlussfolgerung gelangt ist, die Zeugenaussage sei nicht geeignet, eine Verurteilung eines Angeklagten zu begründen, hat dies – nicht anders als in gegenteiligen Verurteilungsfällen (vgl. Brause NStZ 2007, 505, 512) – als möglicher Schluss des Tatgerichts (vgl. BGHSt 10, 208, 210 f.; 29, 18, 20; 36, 1, 14) in der Revisionsinstanz Bestand (vgl. BGH NStZ 2005, 334). Die vom Revisionsgericht nicht mehr hinzunehmende, einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten begründende Grenze der Denkfehlerhaftigkeit (vgl. BGHSt 10, 208, 211) wird vom Landgericht nirgendwo überschritten.
Basdorf Brause Schaal
Schneider König
5 StR 157/10

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 17. Mai 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Mai 2010

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 20. November 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten greift mit der Sachrüge durch.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der Angeklagte heiratete im Dezember 1990 in der Türkei eine ältere Schwester der am 1. Juli 1983 geborenen Nebenklägerin. Vom März 1991 bis Ende 1993 und wieder ab 1996 arbeitete der Angeklagte – wie auch dessen von ihm inzwischen geschiedene Ehefrau – in einer vom Schwiegervater des Angeklagten betriebenen Gaststätte auf der Insel Föhr. Auch die Nebenklägerin half dort seit Vollendung ihres 13. Lebensjahres aus. Das von Sympathie zum Angeklagten geprägte Verhältnis änderte sich, nachdem der Angeklagte ab ungefähr Herbst 1996 begonnen hatte, seine Schwägerin an der Brust und im Intimbereich zu berühren. In der Küche des Lokals kam es zu zahlreichen sexuellen Übergriffen des Angeklagten. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf zweier sexueller Missbräuche noch im Kindesalter freigesprochen, weil Zweifel verblieben seien, ob die Handlungen noch während des kindlichen Schutzalters der Nebenklägerin ausgeführt worden seien.
4
b) Der Angeklagte drang im Sommer 1997 – nach dem 14. Geburtstag der Nebenklägerin – anal unter Gewaltanwendung in diese ein und führte den Analverkehr bis zum Samenerguss durch.
5
Um sich dem Zugriff des Angeklagten zu entziehen, heiratete die Nebenklägerin am 23. November 2001 in der Türkei einen Cousin. Sie kehrte am 30. November 2001 auf die Insel Föhr zurück. Am folgenden Tag verlangte der Angeklagte drohend, dass sie ihn besuche; er äußerte sich wütend über die Eheschließung der Nebenklägerin und erklärte, dass sie nur ihm gehöre. Unter Anwendung von den Widerstand der Nebenklägerin überwindender Gewalt führte er den für die Nebenklägerin ersten vaginalen Geschlechtsverkehr durch. Solches wurde – ohne Widerstand – in der nächsten Zeit mehrfach in der Woche wiederholt und bis zum Jahr 2006 an verschiedenen Orten – stets unter Drohungen und Druck des Angeklagten – praktiziert.
6
c) Der Angeklagte hat bestritten, die ausgeurteilten Taten begangen zu haben, und dargelegt, dass mit seiner Schwägerin nach der im Jahre 2000 erfolgten Annäherung von 2001 bis 2006 ein „normales Liebesverhältnis“ bestanden habe. Deshalb habe er sich auch von seiner Ehefrau getrennt. Nach der ersten Heirat der Nebenklägerin habe er das Verhältnis beenden wollen. Sie habe aber den Kontakt zu ihm gesucht.
7
d) 2006 lernte die Nebenklägerin ihren jetzigen Ehemann in der Türkei kennen. Während eines gemeinsamen Urlaubs im Juni bedrohte und be- schimpfte der Angeklagte sie per SMS. Dies hatte ihr jetziger Ehemann mitbekommen , der den Angeklagten daraufhin angerufen hatte. „Dabei sei alles herausgekommen und sie habe ihren Ehemann über Details informiert“ (UA S. 8). Ihre Eltern hätten am 9. Juni 2007 von einer ihrer Schwestern von den Übergriffen erfahren. Die Familie habe ihr dann zur Anzeigeerstattung geraten , was am 15. Juni 2007 – indes noch ohne Schilderung der analen Vergewaltigung , die erst später angegeben worden ist – geschehen sei.
8
e) Das Landgericht hat sämtliche Angaben der Nebenklägerin als glaubhaft bewertet und „keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass die Nebenklägerin eine einverständliche Beziehung aus Angst vor der Reaktion ihrer Familie oder ihrer Partner verheimlichen wollte und deshalb eine Lügengeschichte erzählt hat. Wie bereits dargelegt, hätte die Nebenklägerin sich dann bereits in jungen Jahren auf eine solche Beziehung eingelassen und die Lügengeschichte über Jahre aufrechterhalten. Die Kammer hält dies nach dem persönlichen Eindruck von der Zeugin für ausgeschlossen“ (UA S. 16).
9
2. Dieser vom Landgericht gewählte Ansatzpunkt zur Prüfung von Falschbelastungshypothesen der einzigen Belastungszeugin und die damit einhergehenden Erwägungen halten der sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand (vgl. BGH StV 2000, 243, 244; Brause NStZ 2007, 505, 507 m.w.N.). Sie beruhen auf einer lückenhaften Würdigung festgestellter Umstände (vgl. BGHSt 44, 153, 158 f.).
10
a) Das Landgericht hat es unterlassen, die Besonderheit der Aufdeckungssituation ihres Verhältnisses zum Angeklagten in Erwägung zu ziehen. Diese bestand darin, dass ihr zukünftiger Ehemann, den sie schon vor dem Türkeiurlaub kennen gelernt hatte, in einem Telefongespräch mit dem Angeklagten im Juni 2006 „alles“ erfahren hatte (UA S. 8). Dies konnte nur bedeuten, dass sich der Angeklagte einer Partnerschaft mit der Nebenklägerin in einem Zeitraum berühmt haben musste, in dem der spätere Ehemann die Nebenklägerin bereits kennen gelernt hatte. Bei dessen Information über „Details“ durch die Nebenklägerin befand sich diese wegen des den gewünschten Aufbau der neuen Partnerschaft stark störenden Umstands einer Beziehung mit einem anderen Mann in einer besonderen Erklärungsnot, die dringenden Anlass hätte geben können, die offenbar gewordene Beziehung zum Angeklagten wahrheitswidrig als von Druck und Drohungen geprägt zu schildern. Auf außerhalb der Aussage der Nebenklägerin liegende Umstände , die solches belegen könnten, vermochte das Landgericht in seiner Würdigung nicht zurückzugreifen.
11
b) Gleiches gilt für die Würdigung der Umstände der Anzeigeerstattung. Die Initiative hierfür ging von Familienmitgliedern der Nebenklägerin aus, die sich diesen gegenüber im Fall einer einverständlichen Beziehung in gleicher Erklärungsnot befunden hätte.
12
c) Das Landgericht hat zudem Feststellungen und Anhaltspunkte, die für eine einvernehmliche Beziehung der Nebenklägerin mit dem Angeklagten sprechen, unzureichend gewürdigt.
13
Die Nebenklägerin sandte dem Angeklagten am 21., 25., 28. und 30. Juni 2006 Kurznachrichten, in denen sie diesen als „Schatz“, „mein Geliebter“ , „geliebter Ehemann“ und „Liebster“ bezeichnet hatte. Das Landgericht hat die hierzu abgegebene Erklärung der Nebenklägerin für glaubhaft erachtet, der Angeklagte habe auf sie Druck ausgeübt, er werde ihren Eltern etwas antun, wenn sie nicht solche Nachrichten versende (UA S. 18). Diese Erwägung hätte indes im Hinblick auf die festgestellte Entwicklung der Beziehung zum Angeklagten einer kritischen Überprüfung bedurft. Sollten die Nachrichten vom Juni 2006 vom Urlaubsland Türkei aus nach dem Telefongespräch zwischen dem zukünftigen Ehemann und dem Angeklagten erfolgt sein, wodurch ein Ende der Beziehung zutage getreten sein musste, entbehrte die Erklärung der Nebenklägerin nahezu jeder Plausibilität, da sich die Nebenklägerin – trotz aller Drohungen – bereits eindeutig gegen den Ange- klagten entschieden gehabt hätte. Das – ersichtlich ältere – Drohpotential wäre ab diesem Zeitpunkt wirkungslos geblieben und hätte keinen Anlass für die Versendung solcher Nachrichten mit unzutreffendem Inhalt geboten.
14
Das Landgericht hat ferner – nicht unbedenklich (vgl. BGH StV 2003, 542, 543 m.w.N.) – Bekundungen zweier Zeugen, denen gegenüber die Nebenklägerin von einer freiwilligen Beziehung – gegenüber ihrer Freundin K. sogar von einer Falschanzeige auf Grund von Druck durch Vater und Schwester – berichtet hatte, vornehmlich mit besser bewerteten – indes nicht durch andere Umstände belastbar belegten – Aussagen der Nebenklägerin als widerlegt erachtet (UA S. 12 bis 15).
15
3. Der Mangel der Beweiswürdigung hinsichtlich des Charakters der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin erfasst auch die vom Landgericht angenommene Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zum zeitlich viel früheren Tatgeschehen (vgl. BGH StV 2008, 121, 123). Das Landgericht hat insoweit eine differenzierte Betrachtung nicht vorgenommen.
16
4. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Bei Annahme eines plausiblen Grundes für eine teilweise unzutreffende Aussage (vgl. Brause aaO S. 511) – hier etwa Scham über eine freiwillige Beziehung zum älteren Schwager sogar nach einer Vergewaltigung – erscheint eine Beweisführung hinsichtlich der analen Penetration auf Grund der bisher festgestellten Steigerung von dieser Praktik vorausgegangenen Sexualhandlungen auch unter diesen eingeschränkten Voraussetzungen der Beweisführung nicht ausgeschlossen.
Basdorf Brause Schaal König Schneider
5 StR 136/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 16. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Mai 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 28. September 2001 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen Vergewaltigung verurteilt wurde,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter und vollendeter Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Schuldspruchs, soweit er wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Der Senat be- merkt insoweit ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts, daß Verfolgungsverjährung gemäß Art. 315 Abs. 4 EGStGB, § 7 Abs. 2 Ziffer 1 2. Alternative StGB, § 78 Abs. 3 Ziffer 2 StGB (vgl. BGHSt 39, 317, 320; Lackner/Kühl, StGB 24. Aufl. § 2 Rdn. 27) und § 78b Abs. 1 Ziffer 1 StGB nicht eingetreten ist.
1. Die Revision erzielt mit der Sachrüge einen Teilerfolg. Auf die Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht an.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Allerdings beschränkt sich, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist, die revisionsgerichtliche Nachprüfung darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlichrechtlicher Fehler liegt aber u.a. dann vor, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (st. Rspr. BGHSt 29, 18, 20; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 49 m. w. N.) und der Tatrichter in einem Fall, in dem die Entscheidung allein davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, nicht erkennen läßt, daß er alle Umstände , die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGHSt 44, 153, 159; 256, 257; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 23; BGH NStZ 2000, 496, 497).
Diesen hohen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Aussage der Stieftochter des Angeklagten, der die Tatbegehung bestreitet, nicht gerecht.
Die einzige Zeugin hatte im Juni 1998 im Rahmen einer polizeilichen und richterlichen Vernehmung – eher detailarm – über eine Vergewaltigung mit vaginalem Geschlechtsverkehr durch den Angeklagten als Sechzehnjährige im Sommer 1990 (richtig 1989) berichtet (UA S. 14 f.). In der über drei Jahre später stattgefundenen Hauptverhandlung schilderte sie die gleichen Begleitumstände, aber als Tathandlungen lediglich Anfassen am Busen und an der Scheide, und verneinte auch auf Nachfrage jede Penetration durch den Angeklagten (UA S. 20). Ohne eine ins Einzelne gehende Erinnerung schloû sie sich dann dem Inhalt ihrer früheren richterlichen Vernehmung an, auf deren Grundlage die Verurteilung erfolgte. Sie erklärte, sich an das Geschehen 1989 nicht mehr hundertprozentig erinnern zu können, aber 1998 über eine bessere Erinnerung verfügt zu haben (UA S. 20).
Bei dieser Sachlage wäre das Landgericht verpflichtet gewesen, die Erkenntnisquellen zur Aussageentstehung auszuschöpfen und die Umstände der Aussagen der Zeugin, die die weitergehende Belastung enthalten, darzustellen und in die Würdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHSt 45, 164, 169; BGH NStZ 2000, 496, 497; Nack StraFo 2001, 1, 4 m. w. N.). Dies ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Es begegnet ferner durchgreifenden Bedenken, daû das Landgericht den Erinnerungsverlust der Zeugin ohne kritische Würdigung der von ihr dafür abgegebenen Erklärungen und weiterer Umstände nachvollzogen hat. Deshalb ist zu besorgen, daû es der Aussage in der Hauptverhandlung eine zu geringe und den früheren Aussagen eine zu groûe Bedeutung beigemessen hat.
Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Der neue Tatrichter wird im Falle eines Schuldspruchs auch Gelegenheit haben, die Zeiten der unterlassenen Förderung des Verfahrens beim Landgericht von der Anklageerhebung bis zum Beginn der Hauptverhandlung unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. BGHSt 45, 308, 309 m. w. N.) zu würdigen.
Harms Häger Raum Brause Schaal
5 StR 480/04

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. November 2004

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. Juli 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesenen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Aufklärungsrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgendes festgestellt: Der Angeklagte befand sich im Januar 2003 auf Grund einer Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der JVA Tegel. An sechs Tagen wurde ihm Ausgang zu seiner Familie gewährt. Der inzwischen rechtskräftig verurteilte Zeuge K bestellte am 4. Januar 2003 bei dem belgischen Rauschgifthändler H , zu dem auch der Angeklagte in Kontakt stand, 500 Gramm Heroin, das K von N , der Freundin des H , in Berlin übergeben werden sollte. Dazu kam es aber nicht mehr, weil H Vertrauen das zu K verloren hatte. N „brachte“ die 500 Gramm Heroin an einem nicht genau feststellbaren Tag nach dem 5. Januar 2003 „in die Verfügungsgewalt“ des Angeklagten. K erwarb anschließend vonH ein Kilogramm Heroin von besonders schlechter Qualität. H bot K die Rücknahme des Rauschgifts an und forderte diesen auf, auch das dem Angeklagten gelieferte Heroin wegen minderer Qualität zu ihm zurückzubringen. Der Angeklagte beschrieb am 18. Januar 2003 K während eines Telefongesprächs den Ort, an dem er das Heroin versteckt hatte. K grub das Heroin aus. Er stellte fest, daß 40 Gramm fehlten, und brachte es H zurück.
Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten ausschließlich auf die als glaubhaft bewertete Aussage des tatbeteiligten Zeugen K , der die Übergabe des Heroins als Zeuge vom Hörensagen und das Ausgraben des Rauschgifts als Tatzeuge geschildert hat. Zwar seien wegen fehlender Präzision seiner Aussagen Mißverständnisse und scheinbare Widersprüche entstanden. Der Zeuge habe sich ferner nicht mehr an alle Daten und den genauen Ort der Ausgrabung erinnern können. Entgegen der Darstellung des Zeugen in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren, in dem eine direkte Übergabe des Rauschgifts an den Angeklagten festgestellt worden ist, seien die Drogen von N in die Verfügungsgewalt des Angeklagten gebracht worden, „etwa durch Übergabe an die Ehefrau“, und der Angeklagte habe sie erst bei einem kurze Zeit darauf folgenden Hafturlaub persönlich übernommen.
Der Angeklagte hat die Tat in Abrede gestellt und darauf hingewiesen , daß er sich in den Tagen nach dem 5. Januar 2003 in der Haftanstalt befunden habe und deshalb das Heroin nicht von N erhalten haben könne.
2. Die Revision macht zu Recht geltend, das Landgericht hätte sich in Erfüllung seiner Aufklärungspflicht dazu gedrängt sehen müssen, die Ehefrau des Angeklagten zu vernehmen, die ausgesagt hätte, daß sie keinerlei Drogen für den Angeklagten im fraglichen Tatzeitraum entgegengenommen hätte. Die Aufklärungspflicht ist auch verletzt, wenn bei verständiger Würdigung der Sachlage durch den abwägenden Richter die Verwendung einer Aufklärungsmöglichkeit den Schuldvorwurf möglicherweise in Frage gestellt hätte (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Umfang 1). Dies ist hier der Fall. Für eine Überführung des Angeklagten ist vorliegend der Beweis der Inbesitznahme und der Rückgabe des Heroins erforderlich. Die vermißte Beweiserhebung hätte die Beweiswürdigung für die Inbesitznahme des Rauschgifts verändern können. Nachdem eine – dem Zusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmende – ursprünglich angenommene Heroinübergabe an den Angeklagten persönlich nicht mehr tragfähig zu begründen war, hat das Landgericht auf einen Erwerb des mittelbaren Besitzes des Angeklagten an dem Rauschgift mit Hilfe seiner Ehefrau – wenn auch durch die Formulierung „etwa“ mit einer gewissen, aber keine Alternative darstellenden Einschränkung – abgestellt. Damit rückte die Ehefrau des Angeklagten in die Rolle einer neuen Tatzeugin. Ihre Aussage wäre geeignet gewesen, einen Teil des Schuldvorwurfs, die Inbesitznahme des Rauschgifts, zu widerlegen. Vor dem Hintergrund, daß dafür lediglich ein Zeuge vom Hörensagen zur Verfügung stand, dessen Aussage dem Landgericht nicht für einen Erwerb des unmittelbaren Besitzes am Rauschgift durch den Angeklagten ausreichte, war die Vernehmung dieser Zeugin geboten. Dies gilt bei der gegebenen Beweislage ungeachtet der engen Beziehung zwischen dem Angeklagten und der nicht gehörten Zeugin.
Auch soweit die Aussage der Ehefrau des Angeklagten lediglich zur kritischen Prüfung der übrigen belastenden Aussagen des Zeugen K heranzuziehen gewesen wäre, hätte die Aufklärungspflicht ihre Vernehmung geboten. Nach den vom Landgericht dargestellten Einschränkungen der Qualität der Aussage des Belastungszeugen bestand keine so erdrückende Beweislage für eine Täterschaft des Angeklagten, daß die aufgrund der Beweise in der Hauptverhandlung gewonnene tatrichterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten durch die vermißte Beweisaufnahme nicht insgesamt hätte in Frage gestellt werden können (vgl. BGHR aaO; BGH wistra 1999, 376). Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung.
3. Der Senat weist darauf hin, daß der vom Landgericht angenommene Teilverkauf von 40 Gramm Heroin durch den Angeklagten nicht belegt ist. Der Zeuge K konnte mangels eigener Kenntnis von dem genauen Gewicht der ursprünglichen Heroinlieferung eine so geringe Verkaufsmenge ersichtlich nicht zuverlässig feststellen und hat nichts darüber ausgesagt, wem Rauschgift verkauft wurde.
4. Der neue Tatrichter wird die Glaubhaftigkeit der Aussage des K zu näher prüfen haben. Für die Glaubhaft igkeitsbeurteilung gerade bei Aussagen im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts ist es regelmäßig ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob sich der Zeuge durch seine Aussage in dem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren im Hinblick auf § 31 BtMG entlasten wollte; für diesen Fall besteht nämlich die nicht fernliegende Gefahr, daß der „Aufklärungsgehilfe“, der sich durch seine Aussage Vorteile verspricht , den Nichtgeständigen zu Unrecht belastet (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 245). Ist ein geständiger Mitbeschuldigter, auf dessen belastende Aussage die Überführung des Angeklagten entscheidend gestützt wird, bereits – wie hier – wegen seiner Beteiligung an derselben Betäubungsmittelstraftat verurteilt worden, muß die Beweiswürdigung deshalb erkennen lassen, ob sich der Betreffende eine Strafmilderung als „Aufklärungsgehilfe“ verdient hat oder nicht und ob er sich möglicherweise darüber hinaus in bedenklicher Weise zu Lasten des nicht geständigen Angeklagten eingelassen haben kann (vgl. BGH StV 2004, 578, 579). Sollten sich in der Aussage des Belastungszeugen die bisher festgestellten Qualitätsmängel wiederholen, wird es einer ins einzelne gehenden Darstellung und Bewertung der die Mängel begründenden Umstände und einer Betrachtung der Entwicklung der verschiedenen Aussagen in einer lückenlosen Gesamtwürdigung bedürfen (vgl. BGH NJW 2003, 2250 m.w.N.). Soweit eine gewisse Bestätigung der Angaben des K in der Aussage der Zeugin W gefunden wurde, wäre auch eine nähere Darlegung ihrer Angaben und der Entwicklung ihrer Aussage geboten gewesen. Es wird auch nahe liegen, das von der Revision aus der bisherigen Einlassung des Angeklagten vorgetragene Telefongespräch des Angeklagten mit „H “ in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
Harms Basdorf Gerhardt Brause Schaal
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
______________________
Hält der Tatrichter zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Zeugen
die Zuziehung eines Sachverständigen für geboten, wird er sich der Hilfe
eines Psychologen bedienen, wenn "normalpsychologische" Wahrnehmungs-,
Gedächtnis- und Denkprozesse in Rede stehen. Das gilt auch für den Fall intellektueller
Minderleistung eines Zeugen. Der besonderen Sachkunde eines
Psychiaters bedarf es allenfalls dann, wenn die Zeugentüchtigkeit dadurch in
Frage gestellt ist, daß der Zeuge an einer geistigen Erkrankung leidet oder
sonst Hinweise darauf vorliegen, daß die Zeugentüchtigkeit durch aktuelle psychopathologische
Ursachen beeinträchtigt sein kann.
BGH, Beschluß vom 19. Februar 2002 - 1 StR 5/02 - LG Mannheim

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 5/02
vom
19. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Miûbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Februar 2002 gemäû
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 10. Oktober 2001 wird mit der Maûgabe als unbegründet verworfen, daû der Ausspruch über die Aufrechterhaltung der im Urteil des Amtsgerichts Weinheim vom 5. März 1998 angeordneten Maûregel hinsichtlich der Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis entfällt. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Miûbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Weinheim vom 5. März 1998 zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, ihn im übrigen freigesprochen und die im Urteil des Amtsgerichts Weinheim ausgesprochene Maûregel aufrechterhalten. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt im wesentlichen ohne Erfolg.
1. Die Aufklärungsrüge ist unbegründet. Das Landgericht war nicht gehalten , zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Geschädigten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage neben der psychologischen Sachverständigen noch einen weiteren, psychiatrischen Sachverständigen hinzuziehen, um ihrer Aufklärungspflicht zu genügen (§ 244 Abs. 2 StPO). Die Revision hebt darauf ab, daû die Geschädigte als sog. Frühgeburt mit Herzproblemen und Wassersucht zur Welt kam und geistig behindert ist. Sie hatte "im Zusammenhang mit den Geburtsumständen" einen Herzfehler und eine Hirnblutung (UA S. 7, 17). Das Landgericht hat sich der Hilfe einer aussagepsychologischen Sachverständigen bedient, die die inzwischen 17jährige Geschädigte exploriert hat und auch auf die Angaben der Mutter zu Lebenslauf, Persönlichkeit und Krankheitsgeschichte zurückgreifen konnte. Sie ist zu dem Ergebnis gekommen, daû die Geschädigte körperlich altersgerecht entwickelt sei, hinsichtlich Ort, Zeit und Situation der Befragung keine Orientierungsprobleme hatte und über eine gute Konzentrationsfähigkeit verfüge, indessen als geistig behindert einzustufen sei. Bei dem Intelligenztest habe sie ein sehr schlechtes Ergebnis erzielt; Lesen und Schreiben habe sie in Ansätzen erlernt, verfüge hingegen über ein vergleichsweise gutes Frageverständnis und einen recht guten Wortschatz. Hinsichtlich ihres schluûfolgernden Denkens sei ihre Leistungsfähigkeit als sehr begrenzt anzusehen und im wesentlichen mit der eines Kleinkindes vergleichbar. Hieraus resultiere insofern eine Verminderung ihrer Aussagetüchtigkeit, als die Eindeutigkeit ihrer Äuûerungen durch intellektuelle und sprachliche Schwächen beeinträchtigt werde. Auûerdem könne aufgrund festgestellter Einprägungs- und Erinnerungsschwächen nicht von der Vollständigkeit ihrer jeweiligen Erlebniswiedergaben ausgegangen werden. Trotz dieser gravierenden Einschränkungen könne ihr nicht jegliche Aussagetüchtigkeit abgesprochen werden. Sofern sie sich an frühere Er-
lebnisse habe erinnern können, habe sie diese inhaltlich sehr verläûlich wiedergegeben ; sie sei nicht suggestibel und neige nicht zum Fabulieren. Angesichts der erheblichen Begabungsschwächen seien die Möglichkeiten der Zeugin zum erfolgreichen Erfinden oder Verfälschen von Aussagen auf ein Minimum reduziert. Gleiches gelte für eine etwaige Übernahme von Inhalten, die nur durch Gespräche oder durch die Medien vermittelt worden seien. Auf der Grundlage einer umfangreichen und gründlichen Würdigung kommt die Strafkammer danach zu dem Ergebnis, daû die Angaben der Geschädigten glaubhaft seien. Bei dieser Sachlage war das Tatgericht nicht gezwungen, von sich aus, ohne Antrag der Verfahrensbeteiligten oder Anregung der psychologischen Sachverständigen, noch einen Psychiater hinzuzuziehen. Hält der Tatrichter zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Angaben die Zuziehung eines Sachverständigen für geboten, wird er sich der Hilfe eines forensisch erfahrenen Psychologen bedienen, wenn “normalpsychologische” Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Denkprozesse in Rede stehen. Das gilt auch für den Fall intellektueller Minderleistung eines Zeugen. Der besonderen Sachkunde eines Psychiaters bedarf es allenfalls dann, wenn die Zeugentüchtigkeit dadurch in Frage gestellt ist, daû der Zeuge an einer geistigen Erkrankung leidet oder sonst Hinweise darauf vorliegen, daû die Zeugentüchtigkeit durch aktuelle psychopathologische Ursachen beeinträchtigt sein kann. Die Beurteilung solcher krankhafter Zustände setzt besondere medizinische Fachkenntnisse voraus (vgl. BGHSt 23, 8, 12 f.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 4; Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, Sonderheft 1, November 2000, S. 102, 112 ff.). Nach den Urteilsgründen besteht kein Anhalt dafür, daû die Geschädigte im Tatzeitraum
oder später, insbesondere zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung, an einer aktuellen geistigen Erkrankung gelitten haben könnte, die Auswirkungen auf ihre Zeugentüchtigkeit hätte haben können. Die krankheitswertigen Umstände, auf die die Revision abhebt, u.a. die Hirnblutung, lagen nach den getroffenen Feststellungen bei der Geburt der Zeugin vor (UA S. 17). Der Senat entnimmt dem Zusammenhang der Urteilsgründe, daû sie zu einer dauerhaften Schädigung der Zeugin geführt haben, die sich u.a. in einer “Begabungsschwäche” manifestiert hat. Aus dem Urteil ergibt sich nicht, daû dies auf dem weiteren Lebensweg der Zeugin - bis zu ihrem 17. Lebensjahr - zu irgendwelchen weiteren Auffälligkeiten geführt hätte, welche sich auf einen aktuellen hirnorganischen Prozeû zurückführen lieûen. Das Landgericht konnte deshalb nach Erhebung des Werdegangs der Zeugin davon ausgehen, daû die gehörte Sachverständige ihr Gutachten über “normalpsychologische” Wahrnehmungs-, Gedächtnisund Denkprozesse zu erstatten und nicht aktuelle psychopathologische Fragestellungen zu beurteilen hatte (vgl. zum Grenzbereich: BGHSt 23, 8, 15; Steller /Volbert aaO). Schlieûlich stand hier nicht die Schuldfähigkeit eines Angeklagten , sondern die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage einer Zeugin in Rede. Die Auffassung der Revision liefe darauf hinaus, geistig behinderte Zeugen , deren dauerhafte Beeinträchtigung auf einen in der Vergangenheit liegenden , abgeschlossenen hirnorganischen Prozeû zurückgeht, stets auch psychiatrisch und gegebenenfalls nicht nur aussagepsychologisch begutachten zu lassen. Das verlangt die Aufklärungspflicht nicht. Vielmehr ist das stets eine Frage des Einzelfalles und der jeweiligen Umstände. Im vorliegenden Fall war bei der Bestimmung des Maûes der von Amts wegen gebotenen Aufklärungsbemühungen weiter zu berücksichtigen, daû die Aussage der Geschädigten in einem ersichtlich bedeutsamen Teil durch ein anderes Beweismittel bestätigt worden war. Der Zeuge F. , Halbbruder der
Geschädigten, hatte Einzelheiten zum Geschehensrahmen einer der Taten bekundet, die mit den Angaben der Geschädigten in stimmigem Einklang stehen. All dem entspricht, daû auch sonst kein Verfahrensbeteiligter einen Grund gesehen hat, die Hinzuziehung eines Psychiaters zu beantragen. 2. Gegen Schuld- und Strafausspruch ist auch aus sachlich-rechtlichen Gründen nichts zu erinnern (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe , die grundsätzlich Sache des Tatrichters ist und keiner ins einzelne gehenden revisionsgerichtlichen Richtigkeitskontrolle unterliegt, ist frei von Rechtsfehlern.
Allerdings kann die Aufrechterhaltung des im Urteil des Amtsgerichts Weinheim vom 5. März 1998 enthaltenen Maûregelausspruchs nicht uneingeschränkt Bestand haben. Im Hinblick auf den in den Urteilsgründen dargelegten Zeitablauf muû der Ausspruch hinsichtlich der angeordneten Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis entfallen; diese hat sich infolge Zeitablaufs erledigt. Aufrechtzuerhalten ist lediglich die Anordnung über die Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH StV 1983, 14; NStZ 1996, 433). Schäfer Nack Boetticher Schluckebier Hebenstreit

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 583/06
vom
19. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. Dezember 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 9. August 2006 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der 1934 geborene, nicht vorbestrafte Angeklagte wurde wegen einer Reihe von Sexualdelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Tatopfer waren Enkelinnen seiner Lebensgefährtin. Die erste abgeurteilte Tat beging er 2001 zum Nachteil der 1988 geborenen V. R. , weitere Taten zwischen 2005 und 2006 zum Nachteil der 1999 geborenen Zwillinge S. und Sa. R. .
2
Seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.
3
1. Der Angeklagte hatte zu Beginn der Hauptverhandlung den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt (§ 171b GVG). Die Strafkammer kam diesem Antrag weitgehend nach, jedoch wurde die Öffentlichkeit erst nach Verlesung der Anklageschrift und nicht bei der Urteilsverkündung ausgeschlossen.
4
Die Revision hält es unter Hinweis auf § 338 Nr. 6 StPO für rechtsfehlerhaft , dass die Öffentlichkeit nicht auch für die genannten Verfahrensabschnitte ausgeschlossen wurde. Die Rüge versagt schon im Ansatz:
5
a) § 338 Nr. 6 StPO ist nur einschlägig, wenn die Öffentlichkeit in ungesetzlicher Weise beschränkt worden ist, also nicht, wenn unter Nichtanwendung oder Verletzung der Vorschriften über den möglichen Ausschluss der Öffentlichkeit öffentlich verhandelt worden ist (st. Rspr., vgl. schon BGHSt 10, 202, 206 f.; vgl. auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 338 Rdn. 84 m.w.N.).
6
b) Im Übrigen sind Entscheidungen gemäß § 171b Abs. 1 und Abs. 2 GVG gemäß § 171b Abs. 3 GVG unanfechtbar und daher gemäß § 336 Satz 2 StPO der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Dies gilt auch für solche Entscheidungen, durch die, wie hier, der Ausschluss der Öffentlichkeit in einem geringeren Umfang als beantragt beschlossen worden ist (BGH NStZ 1996, 243 m.w.N.).
7
2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos:
8
a) Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Soweit der Angeklagte im Fall C. I. der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil von V. R. ) auch wegen sexueller Nötigung verurteilt wurde, liegen dem folgende Feststellungen zu Grunde: Der Angeklagte „packte“ die Geschädigte und „zog“ sie zu sich. Sie leistete „Widerstand“, indem sie ihn „wegdrückte“, er „zog sie jedoch wieder zu sich“, entblößte sie und schob seinen Finger in ihre Scheide. Dabei leistete die Geschädigte „keinen weiteren Widerstand“, sondern sie war „starr vor Angst“. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Revision, hieraus ergebe sich, dass der Angeklagte keine „Gewalt in Form von körperlichem Zwang zur Vorbereitung der eigentlichen sexuellen Handlung aufgewandt“ habe. Der Angeklagte hat gegen V. Gewalt zur Überwindung körperlichen Widerstands jedenfalls dadurch ausgeübt, dass er sie gegen ihr Sträuben - erneut - an sich heranzog, um an ihr sexuelle Handlungen vorzunehmen. Dies hat auch der Generalbundesanwalt schon in seinem Antrag vom 15. November 2006 zutreffend näher ausgeführt. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Auch im Übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.
9
b) Ebenso hält auch der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung stand.
10
(1) Dies gilt auch, soweit die Strafkammer die Möglichkeit einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten verneint hat.
11
Wie der Generalbundesanwalt hierzu im Ansatz zutreffend ausführt und belegt, ist eine nähere Erörterung der Schuldfähigkeit zwar nicht bei jedem Täter geboten, der - wie der Angeklagte - jenseits einer bestimmten Altersgrenze erstmals Sexualstraftaten begeht. Sie kann aber dann angezeigt sein, wenn weitere Besonderheiten bestehen, die auf eine für die Beurteilung der Schuldfähigkeit relevante Möglichkeit altersbedingter Enthemmtheit hinweisen. Solche Besonderheiten - so der Generalbundesanwalt - lägen hier vor. Die Strafkammer habe zwar ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte „geistig und körperlich gesund“ sei, aber auch, dass er “seit etwa anderthalb Jahren impotent“ sei.
12
Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
13
Die Strafkammer, die sich der Bedeutung des Alters des Angeklagten und seiner bisherigen Straflosigkeit für die Strafzumessung erkennbar bewusst war, stellt ausdrücklich fest, dass der Angeklagte „gesund“ sei. Eine hiergegen gerichtete Aufklärungsrüge ist nicht erhoben. Besonderheiten, die die Annahme von Gesundheit ohne weitere Darlegung schon aus sachlich-rechtlichen Gründen als lückenhaft erscheinen lassen könnten (vgl. die in BGH NStZ 1999, 297 im Einzelnen aufgeführten und belegten Beispiele für derartige Besonderheiten; vgl. auch BGH NStZ-RR 2006, 38, wo der Angeklagte seit vielen Jahren wegen einer Nervenkrankheit medikamentös behandelt werden musste), sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben sich solche Besonderheiten nicht aus der festgestellten Impotenz.
14
(2) Auch die Ausführungen der Revision vermögen die Möglichkeit eines Rechtsfehlers nicht zu verdeutlichen. Die Revision verkennt, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, den Strafrahmen, der sich aus der Angabe der einschlägigen Strafvorschriften ergibt, auch noch zahlenmäßig zu bezeichnen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 StR 190/06; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 792). Dies gilt auch dann, wenn sich der anzuwendende Strafrahmen , wie hier im Fall der Tat zum Nachteil von V. R. , aus § 52 Abs. 2 StGB ergibt.
15
(3) Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 251/09
vom
2. Juli 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 2. Juli
2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 11. Dezember 2008 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen kam es von Mitte des Jahres 2001 bis Ende des Jahres 2005 an nicht näher bestimmbaren Tagen zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf den am 28. April 1995 geborene F. , von denen fünf individualisierbar waren; diese sind Gegenstand der Verurteilung. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung sowohl bei den Einzelstrafen als auch bei der Gesamtstrafe zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass der Junge zu Beginn der Übergriffe gerade eingeschult und damit noch sehr jung gewesen sei. Die Übergriffe hätten sich, was ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben dürfe, über einen sehr langen Zeitraum hingezogen.
3
Diese strafschärfenden Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, denn sie sind durch die getroffenen Feststellungen nicht belegt. Das Landgericht vermochte die innerhalb des angegebenen Zeitraums von immerhin viereinhalb Jahren bestimmbaren und abgeurteilten Straftaten zeitlich nicht näher einzugrenzen. Es durfte deshalb bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten weder davon ausgehen, dass diese Übergriffe bereits kurz nach Beginn der Schulzeit des F. begonnen hatten, noch dass sie sich über einen langen Zeitraum erstreckten. Die Begründung des Landgerichts wird auch nicht durch die pauschale Feststellung weiterer, nicht angeklagter sexueller Übergriffe des Angeklagten auf den Jungen getragen. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch sonstige - bisher nicht abgeurteilte - Straftaten begangen hat; dies gilt allerdings nur, wenn diese Taten prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 2; BGH NStZ-RR 2004, 359 Nr. 37). Diesen Anforderungen genügen die nur rudimentären Angaben der Strafkammer nicht; ihnen lässt sich ins- besondere eine die Erwägungen zur Strafzumessung stützende zeitliche Einordnung der weiteren Übergriffe nicht entnehmen.
4
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch insgesamt auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben. Der Senat weist für die Bildung der neuen Gesamtstrafe darauf hin, dass der Seriencharakter von Taten im Allgemeinen einen eher engeren Zusammenzug der Einzelstrafen nahe legt; wird die Einsatzstrafe dennoch deutlich erhöht, so bedürfen die dafür maßgeblichen Gründe näherer Darlegung.
Becker Pfister von Lienen
Schäfer Mayer