Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2007 - I ZR 183/04

bei uns veröffentlicht am22.11.2007
vorgehend
Landgericht Mannheim, 24 O 2/00, 19.06.2000
Oberlandesgericht Karlsruhe, 6 U 134/04, 27.10.2004

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 183/04 Verkündet am:
22. November 2007
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Direktansprache am Arbeitsplatz III
Ein Personalberater, der bei einem ersten Telefongespräch, das er mit einem
Arbeitnehmer eines Mitbewerbers seines Auftraggebers zur Personalsuche an
dessen Arbeitsplatz führt, dem Arbeitnehmer Daten zu dessen Lebenslauf und
bisherigen Tätigkeiten vorhält, geht über das für eine erste Kontaktaufnahme
Notwendige hinaus und handelt daher wettbewerbswidrig (Fortführung von
BGHZ 158, 174 - Direktansprache am Arbeitsplatz I).
BGH, Urt. v. 22. November 2007 - I ZR 183/04 - OLG Karlsruhe
LG Mannheim
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. November 2007 durch die Richter Dr. Bergmann, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin vertreibt Computer-Software. Sie beschäftigt hoch qualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter, deren Kenntnisse und Fähigkeiten sie durch Schulungen auf dem neuesten Stand hält. Der Beklagte befasst sich als selbständiger Unternehmer mit der Suche und Vermittlung von Führungs- und Fachkräften. Aufgrund eines Personalsuchauftrags nahm er am 22. September 1999 telefonisch Kontakt mit der Zeugin M. , einer Projektleiterin der Klä- gerin, an deren Arbeitsplatz auf. Nach der Darstellung der Klägerin bot er der Zeugin bei diesem Gespräch eine Stelle als Projektleiterin bei einem ausländischen Softwareunternehmen an.
2
Die Klägerin hat jeden Telefonkontakt am Arbeitsplatz zur Abwerbung von Mitarbeitern für wettbewerbswidrig gehalten und den Beklagten auf Unterlassung , Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Zahlung in Anspruch genommen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen (LG Mannheim WRP 2001, 974). Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (OLG Karlsruhe WRP 2001, 1092). Im ersten Revisionsverfahren hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGHZ 158, 174 - Direktansprache am Arbeitsplatz I).
4
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat die Klägerin unter Berücksichtigung der Ausführungen im ersten Revisionsurteil beantragt, den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Mitarbeiter der Klägerin erstmals und unaufgefordert an ihrem betrieblichen Arbeitsplatz zum Zwecke der Abwerbung mit einem Telefongespräch anzusprechen, das über eine erste Kontaktaufnahme hinausgeht.
5
Hinsichtlich der weiteren Klageanträge hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin wiederum zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Klageanträge weiter. Der Beklagte beantragt , das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


6
I. Das Berufungsgericht hat die Klage auch mit den zuletzt verfolgten Anträgen für unschlüssig gehalten. Die Klägerin habe nichts Erhebliches dafür vorgetragen, dass der Beklagte sich bei dem zu Abwerbungszwecken geführten Telefongespräch nicht auf das zur ersten Kontaktaufnahme Notwendige beschränkt habe. Insbesondere sei das Telefongespräch nach der Darstellung der Klägerin sofort beendet worden, als die Zeugin M. erklärt habe, an der Stelle nicht interessiert zu sein, und es fehle an schlüssigem Vortrag dazu, dass der Beklagte das Gespräch über Gebühr ausgedehnt und die Zeugin unlauter umworben habe. Der Beklagte habe die Zeugin zwar mit zentralen Daten aus ihrer Arbeitsbiographie konfrontiert. Damit habe er ihr jedoch lediglich in zulässiger Weise das Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle aufgezeigt und ihr persönliches Interesse daran zu wecken gesucht.
7
II. Die Revision der Klägerin führt erneut zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt. Infolgedessen hat es den Klagevortrag zu Unrecht als unschlüssig angesehen.
8
1. Nach dem ersten Revisionsurteil vom 4. März 2004 sind bei der Beurteilung , ob ein Personalberater wettbewerbswidrig handelt, wenn er zum Zweck der Personalsuche mit dem Mitarbeiter eines Wettbewerbers seines Auftraggebers ein erstes Telefongespräch an dessen Arbeitsplatz führt, die berücksichtigungsfähigen Interessen des Personalberaters, seines Auftraggebers, des betroffenen Mitarbeiters und dessen Arbeitgebers gegeneinander abzuwägen.
Danach ist eine erste Kontaktaufnahme nicht wettbewerbswidrig, wenn der Mitarbeiter lediglich nach seinem Interesse an einer neuen Stelle befragt, diese kurz beschrieben und gegebenenfalls eine Kontaktmöglichkeit außerhalb des Unternehmens besprochen wird. Ein solcher erster Telefonanruf am Arbeitsplatz muss sich auf das zur ersten Kontaktaufnahme Notwendige beschränken. Eine wenige Minuten überschreitende Gesprächsdauer ist ein Indiz dafür, dass der Personalberater bereits den ersten Kontakt in wettbewerbswidriger Weise, insbesondere zu einem unzulässigen Umwerben des Angerufenen, genutzt hat. Der Personalberater ist gehalten, nachdem er sich bekannt gemacht und den Zweck seines Anrufs mitgeteilt hat, zunächst festzustellen, ob der Angerufene an einer Kontaktaufnahme als solcher und zu diesem Zeitpunkt Interesse hat. Nur wenn dies der Fall ist, darf der Personalberater die in Rede stehende offene Stelle knapp umschreiben und, falls das Interesse des Mitarbeiters danach fortbesteht, eine Kontaktmöglichkeit außerhalb des Arbeitsbereichs verabreden. Ein zu Abwerbungszwecken geführtes Telefongespräch, das über eine solche Kontaktaufnahme hinausgeht, ist als unlauterer Wettbewerb zu beurteilen (BGHZ 158, 174, 180, 185; vgl. dazu Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, 25. Aufl., § 7 UWG Rdn. 65; Harte/Henning/Omsels, UWG, § 4 Nr. 10 Rdn. 32; Fezer/Götting, UWG, § 4-10 Rdn. 43 f.; Wulf, NJW 2004, 2424, 2425; Dittmer, EWiR 2004, 881).
9
Die für diese Beurteilung in dem ersten Revisionsurteil vom 4. März 2004 maßgebliche Rechtslage hat sich durch das In-Kraft-Treten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 inhaltlich nicht geändert. Ein zum Zwecke der Abwerbung eines Mitarbeiters geführter Telefonanruf an dessen Arbeitsplatz, der über eine erste Kontaktaufnahme hinausgeht, ist nunmehr nach § 3 UWG unlauter (BGH, Urt. v. 9.2.2006 - I ZR 73/02, GRUR 2006, 426 Tz. 14, 16 = WRP 2006, 577 - Direktansprache am Arbeitsplatz II).
10
2. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nichts Erhebliches dafür vorgetragen, dass im vorliegenden Fall das zur ersten Kontaktaufnahme Notwendige überschritten worden sei. Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht tatsächliches Vorbringen der Klägerin übergangen hat.
11
a) Nach dem ersten Revisionsurteil hat der Personalberater, nachdem er sich bekannt gemacht und den Zweck seines Anrufs mitgeteilt hat, zu Beginn des Gespräch zunächst festzustellen, ob der Angerufene an einer Kontaktaufnahme als solcher und zu diesem Zeitpunkt Interesse hat. Nach dem Vortrag der Klägerin in der wiedereröffneten Berufungsinstanz hat der Beklagte diese Anforderung nicht erfüllt, weil er die Zeugin M. zunächst mit Informationen über sie selbst (insbesondere ihre Handy-Nummer, ihren Lebenslauf und ihre bisherigen Tätigkeiten) konfrontiert habe.
12
b) Zudem war es - unabhängig vom zeitlichen Ablauf des Telefongesprächs - bei der ersten Kontaktaufnahme unter keinem Gesichtspunkt notwendig , der Zeugin Daten vorzuhalten, die sie selbst betrafen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist es nicht erforderlich, den Angerufenen mit (detaillierten) Kenntnissen seines eigenen beruflichen Werdegangs zu konfrontieren , um das Anforderungsprofil der offenen Stelle in einer Weise darzulegen, die dem Angerufenen die Entscheidung ermöglicht, das Gespräch sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen oder davon Abstand zu nehmen. Vielmehr ist, wie die Revision zutreffend ausführt, die (umfangreiche) Konfrontation mit Lebenslaufkenntnissen schon Teil des Umwerbens, das dem Angerufenen den Eindruck vermittelt, der Personalberater habe sich bereits näher mit seiner Persönlichkeit befasst und er sei aufgrund seiner konkreten Berufsbiographie für die offene Stelle besonders geeignet. Ein solches Umwerben geht über den notwendigen Inhalt einer ersten Kontaktaufnahme am Arbeitsplatz hinaus und ist wettbewerbsrechtlich unzulässig, wie der Senat in seinem ersten Revisionsurteil ausdrücklich ausgeführt hat (BGHZ 158, 174, 185). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist es wettbewerbswidrig, wenn der Personalberater bei der ersten unaufgeforderten Kontaktaufnahme versucht, das persönliche Interesse der Zielperson an der betreffenden Stelle in einer Weise zu wecken, wie dies hier nach der Behauptung der Klägerin geschehen ist.
13
c) Die Klägerin hat ferner ausdrücklich unter Bezug auf den von ihr detailliert dargestellten Ablauf des Gesprächs vorgetragen, das Telefonat mit der Zeugin M. habe länger als nur wenige Minuten gedauert. Die Gesprächstaktik des Beklagten sei nicht auf einen kurzen Erstanruf, sondern darauf gerichtet gewesen, die Zeugin M. in ein längeres Gespräch zu verwickeln. Dies sei dem Beklagten auch gelungen. Das Berufungsgericht hat diesen Sachvortrag übergangen. Nach dem ersten Revisionsurteil ist eine wenige Minuten überschreitende Gesprächsdauer ein Indiz dafür, dass der Personalberater bereits den ersten Kontakt in wettbewerbswidriger Weise genutzt hat (BGHZ 158, 174, 185). Das Berufungsgericht hätte daher Feststellungen zur Gesprächsdauer treffen und das danach gegebenenfalls vorliegende Indiz für die Wettbewerbswidrigkeit bei seiner Bewertung des Verhaltens des Beklagten berücksichtigen müssen.
14
3. Hingegen vermag die Klägerin ihr Begehren nicht darauf zu stützen, der Beklagte habe die Zeugin M. unstreitig zunächst nicht erreicht und das Telefonat mit ihr sei deshalb nur aufgrund von deren Rückruf zustande gekommen , den der Beklagte über die Telefonzentrale der Klägerin veranlasst gehabt habe. Unabhängig von den näheren Umständen dieser Rückrufbitte, die zwischen den Parteien streitig sind, hat die Klägerin den Umstand, dass das Telefongespräch erst nach einem Rückruf des Mitarbeiters zustande gekommen ist, nicht zum Gegenstand ihres Unterlassungsantrags gemacht. Dem Be- klagten sollen vielmehr über eine erste Kontaktaufnahme hinausgehende Telefongespräche generell verboten werden, ohne Rücksicht darauf, wie sie im Einzelfall zustande kommen.
15
III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Im erneut eröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht nunmehr die bereits im ersten Revisionsurteil für erforderlich gehaltenen Tatsachenfeststellungen zu Inhalt und Dauer des beanstandeten Telefongesprächs nachzuholen haben. Sollte sich der Vortrag der Klägerin als zutreffend erweisen, könnte ihr Unterlassungsantrag nicht abgewiesen werden. Ferner wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, in welchem Umfang die auf Auskunftserteilung, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Zahlung gerichteten Ansprüche bis zur Erledigungserklärung der Klägerin zulässig und begründet waren (vgl. dazu BGHZ 158, 174, 187 f. - Direktansprache am Arbeitsplatz I).
Bergmann Büscher Schaffert
Koch Kirchhoff
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 19.06.2000 - 24 O 2/00 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 27.10.2004 - 6 U 134/04 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2007 - I ZR 183/04

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2007 - I ZR 183/04

Referenzen - Gesetze

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen


(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig. (2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtscha
Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2007 - I ZR 183/04 zitiert 2 §§.

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen


(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig. (2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtscha

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Feb. 2006 - I ZR 73/02

bei uns veröffentlicht am 09.02.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 73/02 Verkündet am: 9. Februar 2006 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGHR
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 22. Nov. 2007 - I ZR 183/04.

Bundesgerichtshof Urteil, 22. Apr. 2009 - I ZR 176/06

bei uns veröffentlicht am 22.04.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 176/06 Verkündet am: 22. April 2009 Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR:

Referenzen

(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.

(4) Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 73/02 Verkündet am:
9. Februar 2006
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Direktansprache am Arbeitsplatz II
Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Anrufen bei Mitarbeitern anderer
Unternehmen zu Abwerbungszwecken, bei denen dienstliche Telefoneinrichtungen
benutzt werden, ist nicht danach zu unterscheiden, ob Festnetzoder
Mobiltelefone benutzt werden (Fortführung von BGHZ 158, 174 - Direktansprache
am Arbeitsplatz I).
BGH, Urt. v. 9. Februar 2006 - I ZR 73/02 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann
und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und
Dr. Bergmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 20. November 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Parteien sind Wettbewerber bei der Herstellung und bei dem Vertrieb von Rohren.
2
Die Beklagte beauftragte das Personalberatungsbüro A. GmbH (im Folgenden: A. ), Arbeitnehmer für ihren Vertrieb zu suchen. Zu diesem Zweck riefen Mitarbeiter der A. am 12. Februar 2001 drei Außendienstmitarbeiter der Klägerin an und boten ihnen Stellen im Vertrieb der Beklagten an. Die Mitarbeiter M. und K. wurden auf ihren Dienstmobiltelefonen angerufen, der Mitarbeiter B. zweimal auf seinem dienstlichen Festnetzanschluss.
3
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, es sei wettbewerbswidrig, über die von ihr eingerichteten dienstlichen Telefone Kontakt zu ihren Mitarbeitern aufzunehmen , um sie abzuwerben.
4
Sie hat beantragt, die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, 1. es zu unterlassen, Mitarbeiter der Klägerin über deren Dienstund /oder Dienstmobiltelefone zum Zwecke der Abwerbung anzurufen und/oder anrufen zu lassen; 2. Auskunft darüber zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang sie Handlungen gemäß Ziffer 1. bisher begangen hat, und zwar aufgeschlüsselt nach Tagen unter Angabe von Namen der angerufenen Mitarbeiter der Klägerin; 3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, [erg. der Klägerin ] allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu Ziffer 1. beschriebene Handlung entstanden ist und/oder noch entstehen wird.
5
Die Beklagte hat ihr Verhalten als wettbewerbsgemäß verteidigt.
6
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.
7
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


8
A. Das Berufungsgericht hat die Klageansprüche als begründet angesehen. Dazu hat es - teilweise unter Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil - ausgeführt:
9
Die Klägerin sei als unmittelbar Verletzte aktivlegitimiert. Das Personalberatungsbüro A. habe als Beauftragte der Beklagten gehandelt. Das Abwerben von Beschäftigten anderer Unternehmen sei zwar grundsätzlich zulässig. Es sei aber wettbewerbswidrig, für Abwerbungsversuche die Telefonanschlüsse zu benutzen, die der betroffene Arbeitgeber seinen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt habe. Der Anrufende wisse, dass der Abwerbungsversuch dem Arbeitgeber höchst unerwünscht sei. Er handele schon dann wettbewerbswidrig, wenn er nur ein einziges Mal mit einem Arbeitnehmer über die geschäftliche Telefonverbindung Kontakt aufnehme, um ein Gespräch auf privater Ebene zu vereinbaren, nicht nur, wenn er nachhaltig und wiederholt abzuwerben versuche. Eine solche Unterscheidung wäre auch kaum praktikabel und würde zu Rechtsunsicherheit führen.
10
Die Berücksichtigung der Interessen der umworbenen Arbeitnehmer ergebe nichts anderes. Es sei bereits fraglich, ob ein mutmaßliches Einverständnis der Zielperson mit dem Anruf angenommen werden könne. Arbeitnehmern sei zwar grundsätzlich daran gelegen, sich beruflich zu verbessern; nicht wenige würden aber derartige Anrufe, gerade wenn sie häufig seien, als lästig empfinden. Entscheidend sei, dass ein Arbeitnehmer nicht von jeder äußeren Einflussnahme abgeschirmt werde, wenn eine Abwerbung unter Benutzung von Diensttelefonen schlechthin untersagt sei. Dem Abwerbenden sei es ohne wei- teres zumutbar, die Privatanschrift zu ermitteln, um den Erstkontakt unter dieser zu suchen. Das Verbot der Personalwerbung unter Benutzung von Diensttelefonen beschränke zwar die Berufsausübungsfreiheit des Personalberatungsbüros , sei aber im Interesse der Berufsfreiheit des Arbeitgebers und der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gerechtfertigt, weil es möglich sei, weniger belastende Formen der Abwerbung zu wählen.
11
Die Ansprüche auf Feststellung der Schadensersatzpflicht und auf Auskunftserteilung seien begründet, weil ein Schaden zumindest wegen der Inanspruchnahme der Arbeitszeit der angerufenen Arbeitnehmer möglich erscheine.
12
B. Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dem Senat ist eine abschließende Entscheidung über die Klageanträge nicht möglich, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - über den Inhalt der Telefongespräche des Personalberatungsbüros A. mit den Mitarbeitern der Klägerin keine Feststellungen getroffen hat.
13
I. Nach Erlass des Berufungsurteils ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 in Kraft getreten. Der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch der Klägerin, der auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, kann nur bestehen, wenn das beanstandete Wettbewerbsverhalten der Beklagten zur Zeit seiner Begehung solche Unterlassungsansprüche begründet hat und diese Ansprüche auch auf der Grundlage der nunmehr geltenden Rechtslage noch gegeben sind. Die Frage, ob der Klägerin Schadensersatzansprüche und - als Hilfsansprüche zur Durchsetzung der Schadensersatzansprüche - Auskunftsansprüche zustehen, richtet sich nach dem zur Zeit der beanstandeten Handlung, am 12. Februar 2001, geltenden früheren Recht (vgl. BGH, Urt.
v. 7.4.2005 - I ZR 140/02, GRUR 2005, 603, 604 = WRP 2005, 874 - Kündigungshilfe , m.w.N.).
14
II. Der Klägerin steht wegen des beanstandeten Wettbewerbsverhaltens ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte jedenfalls nicht in dem geltend gemachten Umfang zu. Die für diese Beurteilung maßgebliche Rechtslage hat sich inhaltlich durch das Inkrafttreten des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 nicht geändert.
15
1. Der Unterlassungsantrag der Klägerin richtet sich nach seinem Wortlaut und seiner Begründung allgemein dagegen, dass die Beklagte Mitarbeiter der Klägerin über ihre dienstlichen Festnetz- oder Mobiltelefone zum Zweck der Abwerbung anruft oder anrufen lässt.
16
2. Das beanstandete Wettbewerbsverhalten ist nicht nur nach altem, sondern auch nach neuem Recht auf der Grundlage der wettbewerbsrechtlichen Generalklausel (§ 1 UWG a.F., § 3 UWG) zu beurteilen, da nur auf diese Weise die rechtlich geschützten Interessen aller Beteiligten bei der Entscheidung abgewogen werden können. Dem Beispielstatbestand des § 4 Nr. 10 UWG (gezielte Behinderung eines Mitbewerbers) und dem Tatbestand der unzumutbaren Belästigung (§ 7 Abs. 1, 2 Nr. 2 UWG) können zwar Richtlinien für die Abwägung entnommen werden; diese Tatbestände erfassen aber jeweils nur bestimmte, wenn auch wesentliche Gesichtspunkte, unter denen die mit dem Unterlassungsantrag angegriffenen Wettbewerbshandlungen zu beurteilen sind.
17
3. Gegen die Beklagte, die unmittelbare Wettbewerberin der Klägerin ist, kann ein Unterlassungsanspruch bestehen, wenn die Mitarbeiter des Personalberatungsbüros A. , das nach den getroffenen Feststellungen ihr Beauftragter war (§ 13 Abs. 4 UWG a.F., § 8 Abs. 2 UWG), bei den Abwerbeanrufen wettbewerbswidrig gehandelt haben.
18
4. Das Abwerben der Mitarbeiter eines anderen Unternehmens ist als Teil des freien Wettbewerbs grundsätzlich erlaubt. Es ist nur dann wettbewerbswidrig , wenn wettbewerbsrechtlich unlautere Begleitumstände hinzukommen, insbesondere unlautere Mittel eingesetzt oder unlautere Zwecke verfolgt werden (vgl. BGHZ 158, 174, 178 - Direktansprache am Arbeitsplatz I, m.w.N.).
19
a) Nach Erlass des Berufungsurteils hat der Senat entschieden, dass der Anruf bei Mitarbeitern eines anderen Unternehmens am Arbeitsplatz nur dann ein wettbewerbsrechtlich unlauteres Mittel der Abwerbung ist, wenn er über eine erste kurze Kontaktaufnahme hinausgeht (BGHZ 158, 174, 178 ff. - Direktansprache am Arbeitsplatz I). Ein Anruf, bei dem ein Mitarbeiter erstmalig nach seinem Interesse an einer neuen Stelle befragt und diese kurz beschrieben wird sowie gegebenenfalls eine Kontaktmöglichkeit außerhalb des Unternehmens besprochen wird, ist danach grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig. Auf die Entscheidungsgründe dieser den Parteien bekannten Entscheidung kann Bezug genommen werden. Der Senat hält - auch unter der Geltung des neuen Rechts - an der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung fest, wie sie in der Entscheidung "Direktansprache am Arbeitsplatz I" dargelegt ist. Bei Abwägung der rechtlich geschützten Interessen der Beteiligten - der betroffenen Unternehmen, der angesprochenen Arbeitnehmer, der Arbeitskräfte suchenden Unternehmen und der in ihrem Auftrag handelnden Personalberater - kann ein vollständiges Verbot, einen ersten Kontakt zu Arbeitnehmern durch Anruf an ihrem Arbeitsplatz herzustellen, nicht durch das Erfordernis des Schutzes vor unlauterem Wettbewerb gerechtfertigt werden. Die auch vom Berufungsgericht betonten praktischen Schwierigkeiten, die sich im Einzelfall bei der Feststellung ergeben können, ob die Grenzen des Zulässigen überschritten worden sind, müssen deshalb hingenommen werden.
20
b) Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung von Anrufen bei Mitarbeitern anderer Unternehmen zu Abwerbungszwecken, bei denen dienstliche Telefoneinrichtungen benutzt werden, ist nicht danach zu unterscheiden, ob Festnetz - oder Mobiltelefone benutzt werden. In jedem Fall bedient sich der anrufende Personalberater des Kommunikationssystems des betroffenen Unternehmens für eine Tätigkeit, die gegen dessen Interessen gerichtet ist. Der Personalberater weiß bei einem Anruf auf einem Mobiltelefon in aller Regel nicht, in welcher Situation er den Angerufenen erreicht. Falls er nicht zu einer Zeit anruft , in der mit einer beruflichen Tätigkeit keinesfalls zu rechnen ist, nimmt er zumindest in Kauf, dass er den Angerufenen bei einer Tätigkeit für sein Unternehmen , etwa auch am Arbeitsplatz oder bei einem Kundengespräch, stört und dessen Diensttelefon für andere eingehende Gespräche vorübergehend blockiert. Ebenso wie bei einem Anruf auf dem Festnetzanschluss wird zudem nicht jeder Arbeitnehmer in der für ihn so wichtigen und oft heiklen Frage eines möglichen Arbeitsplatzwechsels unvermutet von einer ihm fremden Person - und dies in einem von ihm nicht gewählten Umfeld - angerufen werden wollen.
21
c) Anrufe, mit denen Mitarbeiter anderer Unternehmen auf Diensttelefonen zu Abwerbungszwecken angesprochen werden, sind auch geeignet, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, wenn sie über eine erste kurze Kontaktaufnahme hinausgehen (§ 3 UWG). Bei dieser Beurteilung kommt es nicht allein auf die Wirkungen des einzelnen Anrufs an, die je nach Fallgestaltung recht unterschiedlich sein können. Es ist vielmehr zu berücksichtigen, dass mit dieser Art von Wettbewerbshandlungen - wie dargelegt - notwendig und regelmäßig wettbewerbswidrige Wirkungen verbunden sind. Hinzu kommt die naheliegende Gefahr, dass sich Mitbewerber aus Wettbewerbsgründen zur Nachahmung dieser belästigenden Werbemaßnahme gezwungen sehen können (vgl. auch BGH, Urt. v. 9.9.2004 - I ZR 93/02, GRUR 2005, 443, 445 = WRP 2005, 485 - Ansprechen in der Öffentlichkeit II, m.w.N.).
22
5. Der gestellte Unterlassungsantrag ist allerdings zu weit gefasst, da er auch Telefonanrufe einbezieht, die nicht über eine erste kurze Kontaktaufnahme hinausgehen. Der Antrag ist jedoch nicht bereits deshalb als unbegründet abzuweisen. Im Hinblick darauf, dass die Rechtslage im Berufungsverfahren noch ungeklärt war, ist es aus Gründen der prozessualen Fairness geboten, der Klägerin durch erneute Eröffnung des Berufungsverfahrens Gelegenheit zu geben , sich durch eine sachdienliche Antragsfassung auf die dargelegte Rechtslage einzustellen (vgl. dazu BGHZ 158, 174, 185 ff. - Direktansprache am Arbeitsplatz

I).


23
Auf besondere Unlauterkeitsumstände, wie sie die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung unter Bezugnahme auf Vorbringen in den Vorinstanzen geltend macht, ist ihr Unterlassungsantrag nicht gestützt.
24
III. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht gegebenenfalls zu beachten haben, dass die Haftung des Inhabers des Unternehmens für das Handeln von Beauftragten gemäß § 13 Abs. 4 UWG a.F. (nunmehr § 8 Abs. 2 UWG) keine Haftung auf Schadensersatz einschließt. Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte nach § 1 UWG a.F. sind bisher nicht festgestellt. Die Anträge auf Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht können zudem in jedem Fall nur insoweit begründet sein, als sie sich auf die konkret beanstandete Handlung beziehen. Ohne Anführung weiterer Verstöße - an der es hier fehlt - ist die Wahrscheinlichkeit eines weitergehenden Schadenseintritts nicht dargelegt. Ein Anspruch auf Auskunftserteilung darüber, ob ein Verletzer ähnliche Handlungen begangen hat, die weitergehende Schadensersatzansprüche rechtfertigen könnten, besteht nicht (vgl. BGHZ 158, 174, 187 f. - Direktansprache am Arbeitsplatz I).
25
C. Auf die Revision der Beklagten war danach das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ullmann v.Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher Bergmann
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 15.08.2001 - 5 O 3388/01 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 20.11.2001 - 14 U 2269/01 -