Bundesgerichtshof Urteil, 15. Juni 2000 - I ZR 202/98

bei uns veröffentlicht am15.06.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 202/98 Verkündet am:
15. Juni 2000
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann
und die Richter Starck, Pokrant, Dr. Büscher und Raebel

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. Juni 1998 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte zu 1 betreibt ein Optikerfachgeschäft. Die Beklagten zu 2 und 3 s ind ihre Geschäftsführer. Die Beklagte zu 1 ließ vor dem Hintergrund des Beitragsentlastungsgesetzes vom 1. November 1996, nach dessen Vorschriften die Kostenbeteiligung der gesetzlichen Krankenkassen an Brillengestellen mit Ablauf des 31. Dezember 1996 weggefallen war, am 3. Januar 1997 im Stadtanzeiger W. eine Anzeige erscheinen, in welcher sie mit der Aussage warb:
"Nulltarif* für komplette Brille Wir bleiben dabei!".
Der angebotene "Nulltarif" sollte dabei nach einem räumlich abgesetzten Sternchenhinweis "für Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse mit Leistungsanspruch auf zwei Korrektionsgläser" gelten.
Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., hat diese Werbeaussage beanstandet und die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie sieht in der beanstandeten Werbung das Angebot zu einer unentgeltlichen Abgabe von Brillenfassungen an Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen, in dem sowohl eine unzulässige Zugabe zu den verordneten Brillengläsern als auch ein übertriebenes und damit wettbewerbswidriges Anlocken von Kunden liege.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken in Zeitungsinseraten oder anderen öffentlichen Mitteilungen mit den Aussagen zu werben
"Nulltarif* für komplette Brille Wir bleiben dabei!"
*für Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse mit Leistungsanspruch auf zwei Korrektionsgläser",
insbesondere, wenn dies in der nachfolgend wiedergegebenen Art geschieht
und/oder
Brillen, bestehend aus Fassungen und handwerklich eingearbeiteten Gläsern an Kunden mit einem Leistungsanspruch auf zwei Korrektionsgläser abzugeben, ohne die Fassung gesondert zu berechnen.
Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer (zugelassenen) Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt :
Eine Verletzung von § 1 Abs. 1 ZugabeVO scheide aus. Ein Verkehrsverständnis , nach dem die Brillengläser als Hauptware veräußert und das Brillengestell kostenlos als Nebenleistung mitgegeben werde, erscheine erfahrungswidrig. Beworben werde ausdrücklich eine komplette Brille bestehend aus Gestell und Gläsern. Auch wenn die Brille zum selben Preis wie die Gläser abgegeben werde, suggeriere dies keineswegs, daß damit das Brillengestell eine
ohne Berechnung gewährte Nebenleistung darstelle. Vielmehr seien von den Beklagten zwei grundsätzlich als Gegenstand einer Hauptware anzusehende Teile zu einer Leistungseinheit zusammengefaßt und dieses Gesamtangebot zu einem Gesamtpreis beworben worden. Dies gelte unabhängig davon, auf welchem Teil des Angebots das Schwergewicht liege. Entscheidend sei allein, daß der Verbraucher das Angebot "komplette Brille" hier so verstehe, daß er die einzelnen Bestandteile bei der Entrichtung des Gesamtpreises zusammen bezahle.
Selbst wenn man aber das Vorliegen einer Zugabe in Form der Brillenfassungen unterstelle, sei die Werbung der Beklagten zu 1 insoweit nicht zu beanstanden, da sie sich nur auf die unentgeltliche Mitgabe handelsüblichen Zubehörs i.S. des § 1 Abs. 2 Buchst. d ZugabeVO beziehe.
Ein Verstoß gegen § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt eines verdeckten Koppelungsangebotes oder des übertriebenen Anlockens sei gleichfalls nicht gegeben. Die Werbung der Beklagten zu 1 sei auch nicht irreführend im Sinne von § 3 UWG.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Beklagten in der beanstandeten Anzeige keine Zugabe angekündigt und § 1 Abs. 1 ZugabeVO nicht zuwidergehandelt haben.

a) Eine Zugabe liegt vor, wenn eine Leistung ohne besondere Berechnung neben einer entgeltlich angebotenen Hauptware gewährt wird, der Erwerb
der Nebenleistung vom Abschluß des Geschäfts über die Hauptware abhängig ist und dabei in der Weise ein innerer Zusammenhang besteht, daß die Nebenleistung mit Rücksicht auf den Erwerb der Hauptware gewährt wird und das Angebot wegen dieser Abhängigkeit objektiv geeignet ist, den Kunden in seiner Entschließung zum Erwerb der Hauptware zu beeinflussen. Eine Zugabe kann danach immer nur eine von der Hauptware verschiedene, zusätzlich in Aussicht gestellte oder gewährte Nebenleistung sein. Werden dagegen die beiden in Rede stehenden Waren oder Leistungen vom Verkehr als eine Einheit angesehen , ist eine Zugabe begrifflich ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHZ 139, 368, 371 f. - Handy für 0,00 DM, m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, der Letztverbraucher verstehe die streitgegenständliche Werbung nicht dahin, daß die Gläser die Hauptware und die Brillenfassung eine von dieser verschiedene Nebenware sei. Der Letztverbraucher sehe darin vielmehr nur eine Hauptware als Leistungseinheit.
Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28. November 1996 "Brillenpreise II" (I ZR 197/94, GRUR 1997, 767, 770 = WRP 1997, 735) - in anderem rechtlichen Zusammenhang - entschieden, daß die sozialversicherungsrechtliche Leistungsabgeltung bei Sehhilfen in ihrer unterschiedlichen Eintrittspflicht für Gläser einerseits, Brillenfassungen andererseits, die Verkehrsauffassung nicht präge. Daran hat sich im hier gegebenen Zusammenhang auch durch das Beitragsentlastungsgesetz vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1631) nichts geändert (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2000 - I ZR 271/97 - Null-Tarif, Umdr. S. 7, zur Veröffentlichung bestimmt).
Entgegen den Ausführungen der Revision hat das Berufungsgericht bei seiner tatrichterlichen Würdigung auch die konkrete Ausgestaltung der angegriffenen Werbung nicht erkennbar vernachlässigt und nicht lediglich auf ein "abstraktes" Verkehrsverständnis abgestellt. Die Revision folgert dies zu Unrecht aus dem Sternchenhinweis der streitbefangenen Anzeige, mit dem sich das Berufungsgericht nicht im einzelnen auseinandergesetzt hat. Eine solche Auseinandersetzung war indes nicht mehr geboten. Denn das Berufungsgericht hat sich rechtsbedenkenfrei darauf gestützt, daß in der beanstandeten Anzeige ausdrücklich eine "komplette Brille" - so die Unterzeile der Überschrift - beworben worden ist. Die Rüge der Denkgesetzwidrigkeit geht deshalb fehl, zumal der Sternchenhinweis der Anzeige, den die Revision insoweit heranzieht, nicht das beworbene einheitliche Angebot spaltet, sondern nur den Fall näher bezeichnet , für den das Angebot gelten soll.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG verneint.

a) Ein Verstoß gegen § 1 UWG durch ein verdecktes Koppelungsangebot scheidet schon deshalb aus, weil hier nicht - was das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang offengelassen hat - mehrere Einzelwaren zu einem Gesamtangebot verbunden worden sind. Wie das Berufungsgericht mit Blick auf die Zugabeverordnung zutreffend angenommen hat, ist Gegenstand der beanstandeten Werbung nur eine aus mehreren unselbständigen Teilen zusammengesetzte Hauptware, nämlich das einheitliche Angebot einer kompletten , zuzahlungsfrei abgegebenen Brille.

b) Entgegen der Ansicht der Revision, die auch das Oberlandesgericht Hamburg in einer - im Verfügungsverfahren ergangenen - Entscheidung vertreten hat (WRP 1999, 374), ist die angegriffene Werbung der Beklagten zu 1 auch nicht geeignet, in übertriebener, sittenwidriger Weise Kunden anzulokken.
aa) Die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgeht, ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des Leistungswettbewerbs. Ein wettbewerbswidriger Anlockeffekt kann erst durch den Einsatz zusätzlicher, unsachlicher Mittel entstehen. Kennzeichen solcher Mittel ist, daß sie nicht Preiswürdigkeit oder Qualität des Angebotes steigern, sondern Kunden von einer preis- und qualitätsbewußten Prüfung verschiedener Angebote durch werbendes Herausstellen leistungsfremder Vergünstigungen abhalten (BGH, Urt. v. 28.4.1994 - I ZR 68/92, GRUR 1994, 743, 745 = WRP 1994, 610 - Zinsgünstige Kfz-Finanzierung durch Herstellerbank; Urt. v. 25.9.1997 - I ZR 84/95, GRUR 1998, 500, 502 = WRP 1998, 388 - Skibindungsmontage ; BGHZ 139, 368, 375 - Handy für 0,00 DM).
bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß die beanstandete Werbung der Beklagten zu 1 für den zuzahlungsfreien Erwerb von Brillen durch Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen auch nach Inkrafttreten des Beitragsentlastungsgesetzes keinen besonderen Anreiz geschaffen habe, der den angesprochenen Kassenmitgliedern den Blick für eine sachgerechte Entscheidung beim Brillenkauf verstellte.
Der Annahme einer leistungsfremden Vergünstigung als Lockmittel steht schon entgegen, daß sich die angegriffene Werbeaussage ebenso wie die älte-
re Null-Tarif-Werbung des Augenoptikerhandwerks auf die Lieferung von Brillen an Kassenmitglieder als einheitliches Angebot bezieht. Es ist nicht zu mißbilligen , wenn die Beklagte zu 1 die bei Belieferung von Kassenmitgliedern mit ärztlich verordneten Sehhilfen gewährten Festbeträge der Kassen für genügend hielt, um im Rahmen dieser Vergütung auch die in der sozialversicherungsrechtlichen Versorgung ausgesparten Brillengestelle zuzahlungsfrei an ihre versicherten Kunden mitliefern zu können (vgl. BGH, Urt. v. 13.1.2000 - I ZR 271/97 - Null-Tarif, Umdr. S. 9, zur Veröffentlichung bestimmt).
3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision ferner dagegen, daß das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 3 UWG verneint hat. Einen solchen Verstoß hat auch die Klägerin in den Tatsacheninstanzen nicht beanstandet und mit gezieltem Sachvortrag untermauert, sondern lediglich mit Blick auf den Vorwurf übertriebenen Anlockens behauptet, bei den von der Anzeige angesprochenen Kassenmitgliedern entstehe der Eindruck, sie erhielten das Brillengestell von der Beklagten zu 1 geschenkt.
Diese Behauptung der Klägerin beruht auf unzutreffenden Annahmen. Die von der Werbung angesprochenen Versicherten können nämlich ohne weiteres erkennen, daß die Beklagte zu 1 die sozialversicherungsrechtliche Leistungsabgeltung bei Lieferung einer Brille mit zwei verordneten Gläsern an Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Mischkalkulation insgesamt für ausreichend hält und deswegen für die Kosten des Gestells auf Zuzahlung verzichtet.
III. Danach war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Erdmann Starck Pokrant
Büscher Raebel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 15. Juni 2000 - I ZR 202/98

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 15. Juni 2000 - I ZR 202/98

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen


(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig. (2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtscha

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 1 Zweck des Gesetzes; Anwendungsbereich


(1) Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. (2) Vorschri
Bundesgerichtshof Urteil, 15. Juni 2000 - I ZR 202/98 zitiert 4 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb - UWG 2004 | § 3 Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen


(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig. (2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtscha

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Jan. 2000 - I ZR 271/97

bei uns veröffentlicht am 13.01.2000

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 271/97 Verkündet am: 13. Januar 2000 Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGHR

Referenzen

(1) Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.

(2) Vorschriften zur Regelung besonderer Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen gehen bei der Beurteilung, ob eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt, den Regelungen dieses Gesetzes vor.

(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.

(4) Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 271/97 Verkündet am:
13. Januar 2000
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Null-Tarif
ZugabeVO § 1 Abs. 1;
SGB V § 33 Abs. 1 und 4 idF v. 1.1.1997
Eine Anzeigenwerbung für Brillen mit der Aussage, "K. bleibt beim Null-Tarif",
und dem Hinweis, daß die Brillenfassung bei Verordnung von zwei Brillengläsern
im Festpreis enthalten sei, ist auch nach Inkrafttreten des Beitragsentlastungsgesetzes
vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1631), durch das für die
Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen der Zuschuß für die Kosten des
Brillengestells entfallen ist, grundsätzlich weder als unzulässige Zugabe noch
als wettbewerbswidrig zu beanstanden.
BGH, Urt. v. 13. Januar 2000 - I ZR 271/97 - OLG Hamm
LG Essen
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Dr. Bornkamm, Pokrant
und Raebel

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. September 1997 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte betreibt Kaufhäuser, in denen sie auch Leistungen von Optikerfachgeschäften anbietet. Sie ließ Mitte Dezember 1996 vor dem Hintergrund des Beitragsentlastungsgesetzes vom 1. November 1996, nach dem die Kostenbeteiligung der gesetzlichen Krankenkassen an Brillengestellen mit Ablauf des 31. Dezember 1996 wegfiel, bundesweit nachstehende Anzeige erscheinen :

Die Klägerin, eine Augenoptikerinnung, hat diese Werbeaussage beanstandet und die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie sieht in dem Angebot einer unentgeltlichen Abgabe von Brillenfassungen an Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen eine unzulässige Zugabe zu den Gläsern und hält die angegriffene Werbung überdies unter den Gesichtspunkten des verdeckten Kopplungsangebotes, des übertriebenen Anlockens und der Irreführung für wettbewerbswidrig. Dies beruht darauf, daß die Beschränkung des kassenrechtlichen Versorgungsanspruchs zum 1. Januar 1997 auf Sehhilfen ohne die bisherige Zuzahlung für Brillengestelle nach Auffassung der Klägerin dazu führt, den Brillenerwerb durch Kassenmitglieder in ein gegenständlich vom Festpreis der Krankenkassen begrenztes Hauptgeschäft über den Erwerb und das Einschleifen der Brillengläser und ein weiteres Geschäft über den Erwerb des Brillengestells aufzuspalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

a) unter der Überschrift "K. bleibt beim Null-Tarif" wie folgt zu werben: "Für Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen ist bei Verordnung von zwei Brillengläsern eine Brillenfassung aus unserem Null-Tarif-Sortiment im Festbetrag enthalten",

b) die, wie unter a) beschrieben, beworbenen Brillenfassungen den Kunden unentgeltlich, d.h. ohne Bezahlung durch den Kunden oder einen Dritten, zu überlassen.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat in der beanstandeten Werbung und der Abgabe der so beworbenen Brillen weder einen Verstoß gegen die Zugabeverordnung noch gegen §§ 1 und 3 UWG gesehen. Dazu hat es ausgeführt:
Die Beklagte habe - wie die Gestaltung der Bildmontage zeige - in ihrer Anzeige eine Brille als Gesamtheit beworben. Die Überschrift "K. bleibt beim Null-Tarif" verstärke diesen Eindruck, weil das Preisschlagwort sich bisher auf Brillenangebote bezogen habe. Auch in der Verkehrsauffassung der Letztverbraucher besitze allein die aus der Fassung und den Gläsern individuell zusammengefügte Einheit, die Ware Brille, Bedeutung. Hiervon ausgehend könne § 1 Abs. 1 ZugabeVO durch die Anzeige der Beklagten nicht verletzt sein, weil eine Zugabe vorausgesetzt hätte, daß der Verkehr in der beanstandeten Anzeige die Gläser als Hauptware betrachtet hätte, zu welcher die Bril-
lenfassung als eine von dieser verschiedene, zusätzliche Nebenware gewährt werde.
Da die Beklagte nicht mehrere Waren zu einem Gesamtpreis beworben habe, scheide ein Verstoß gegen § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt eines verdeckten Kopplungsangebotes gleichfalls aus. Die Werbeaussage der Beklagten , beim Null-Tarif zu bleiben, habe im Zusammenhang mit der älteren Null-Tarif-Werbung des Optikerhandwerkes Kunden auch noch nicht in übertriebener , wettbewerbswidriger Weise angelockt. Schließlich könne die angegriffene Werbung nicht als irreführend bezeichnet werden, da der Verkehr nicht über die Preisgünstigkeit des Angebotes getäuscht werde.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht verneint, daß die Beklagte in der beanstandeten Anzeige eine Zugabe angekündigt und § 1 Abs. 1 ZugabeVO zuwidergehandelt hat.

a) Eine Zugabe liegt vor, wenn eine Leistung ohne besondere Berechnung neben einer entgeltlich angebotenen Hauptware gewährt wird, der Erwerb der Nebenleistung vom Abschluß des Geschäfts über die Hauptware abhängig ist und dabei in der Weise ein innerer Zusammenhang besteht, daß die Nebenleistung mit Rücksicht auf den Erwerb der Hauptware gewährt wird und das Angebot wegen dieser Abhängigkeit objektiv geeignet ist, den Kunden in seiner Entschließung zum Erwerb der Hauptware zu beeinflussen. Eine Zugabe kann danach immer nur eine von der Hauptware verschiedene, zusätzlich in Aussicht gestellte oder gewährte Nebenleistung sein. Werden dagegen die beiden
in Rede stehenden Waren oder Leistungen vom Verkehr als eine Einheit angesehen , ist eine Zugabe begrifflich ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHZ 139, 368, 371 f. - Handy für 0,00 DM, m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, der Letztverbraucher verstehe die streitgegenständliche Werbung nicht dahin, daß die Gläser die Hauptware und die Brillenfassung eine von dieser verschiedene Nebenware seien. Der Letztverbraucher sehe darin vielmehr ein einheitliches Angebot. Der Senat hat in seinem Urteil vom 28. November 1996 "Brillenpreise II" (I ZR 197/94, GRUR 1997, 767, 770 = WRP 1997, 735) - in anderem rechtlichen Zusammenhang - bereits entschieden, daß die sozialversicherungsrechtliche Leistungsabgeltung bei Sehhilfen in ihrer unterschiedlichen Eintrittspflicht für Gläser einerseits, Brillenfassungen andererseits, die Verkehrsauffassung nicht prägt. Daran hat sich auch durch das Beitragsentlastungsgesetz vom 1. November 1996 nichts geändert. Schon mit dem Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) ist nach der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsseite die einheitliche Ware Brille aus Kostendämpfungsgründen in ihren Hauptbestandteilen unterschiedlich behandelt worden (anders noch § 182 Abs. 1 Nr. 1b, § 182a Satz 1c, § 182g RVO), auch mit dem Ziel, bei Brillengestellen dem Wettbewerb durch das Zuschußsystem mehr Raum zu geben. Es ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden und auch nicht ersichtlich, daß die zum 1. Januar 1997 durch die weitere Leistungsbeschränkung lediglich vertiefte sozialversicherungsrechtliche Differenzierung das Verkehrsverständnis beeinflußt (ebenso im vorliegenden Zusammenhang OLG Frankfurt WRP 1999, 951, 953). Im übrigen hat das Berufungsgericht auch zu Recht angenommen, daß insbesondere die konkrete Ausgestaltung der streitgegenständlichen Werbung dafür spricht, daß vorliegend eine
Brille als Gesamtheit beworben worden ist. Der Einholung eines demoskopischen Gutachtens durch den Tatrichter bedurfte es dazu entgegen der Ansicht der Revision nicht.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG verneint.

a) Ein Verstoß gegen § 1 UWG durch ein verdecktes Kopplungsangebot scheidet schon deshalb aus, weil hier nicht - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - mehrere Einzelwaren zu einem Gesamtangebot verbunden werden.

b) Entgegen der Ansicht der Revision, die auch das Oberlandesgericht Hamburg in einer von ihr vorgelegten - im Verfügungsverfahren ergangenen - Entscheidung vertreten hat (WRP 1999, 374), ist die angegriffene Werbung der Beklagten auch nicht geeignet, in übertriebener, sittenwidriger Weise Kunden anzulocken.
aa) Die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgeht, ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des Leistungswettbewerbs. Ein wettbewerbswidriger Anlockeffekt kann erst durch den Einsatz zusätzlicher, unsachlicher Mittel entstehen. Kennzeichen solcher Mittel ist, daß sie nicht Preiswürdigkeit oder Qualität des Angebotes steigern, sondern Kunden von einer preis- und qualitätsbewußten Prüfung verschiedener Angebote durch werbendes Herausstellen leistungsfremder Vergünstigungen abhalten (BGH, Urt. v. 28.4.1994 - I ZR 68/92, GRUR 1994, 743, 745 = WRP 1994, 610 - Zinsgünstige Kfz-Finanzierung durch Herstellerbank; Urt. v.
25.9.1997 - I ZR 84/95, GRUR 1998, 500, 502 = WRP 1998, 388 - Skibindungsmontage ; BGHZ 139, 368, 375 - Handy für 0,00 DM).
bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die beanstandete Werbung der Beklagten für den zuzahlungsfreien Erwerb von Brillen durch Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen mit Brillenfassungen aus einem für diesen Zweck vorgehaltenen Sortiment sich keiner zusätzlichen, unsachlichen Mittel bedient. Auch der Annahme einer leistungsfremden Vergünstigung als Lockmittel steht bereits entgegen, daß sich die angegriffene Werbeaussage ebenso wie die ältere Null-Tarif-Werbung des Augenoptikerhandwerkes auf die Lieferung von Brillen an Kassenmitglieder als einheitliches Angebot bezieht. Es ist nicht zu mißbilligen, wenn die Beklagte die bei Belieferung von Kassenmitgliedern mit ärztlich verordneten Sehhilfen gewährten Festbeträge der Kassen kalkulatorisch unterschreiten zu können glaubte und im Rahmen dieser Vergütung auch die in der sozialversicherungsrechtlichen Versorgung ausgesparten Brillengestelle zuzahlungsfrei an ihre versicherten Kunden mitliefern wollte. Die vom Oberlandesgericht Hamburg (WRP 1999, 374, 375) angenommene "Sogwirkung" der fortgesetzten Null-Tarif-Werbung vor dem geänderten sozialversicherungsrechtlichen Hintergrund mag nach allem zwar zutreffen. Es handelte sich nach den Umständen aber gleichwohl um nicht mehr als den zulässigen Ausdruck der Leistungsstärke, welche die Beklagte für sich in Anspruch nimmt und mit der sie auch werben darf.
3. Vergeblich wendet sich die Revision ferner dagegen, daß das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 3 UWG verneint hat.

a) Die Revision verweist zunächst darauf, daß es einen allgemeinen Null-Tarif für die Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen bei Anschaffung einer Brille auch bei der Beklagten nicht mehr gebe. Die Revision folgert daraus aber zu Unrecht, daß der Verbraucher durch das Preisschlagwort Null-Tarif über diese Einschränkung getäuscht werde. Denn eine Brille zum Null-Tarif war für die Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen stets die nur so bezeichnete Kassenbrille , also die Brille mit Wahlbestandteilen eines entsprechend begrenzten Sortiments, wenn auch früher mit einem Zuschuß der Krankenkassen für die Kosten des Brillengestells in Höhe von 20,-- DM. Die Revisionserwiderung weist insoweit zu Recht darauf hin, daß es einen echten Null-Tarif auch vor der Gesetzesnovelle nicht gab.

b) Die Werbeaussage im unteren Teil der Anzeige, eine Brillenfassung aus dem Null-Tarif-Sortiment der Beklagten sei im Festbetrag enthalten, mag, wie die Revision beanstandet, nicht in jeder Hinsicht genau sein. Eine Irreführung der Letztverbraucher droht hier dennoch nicht. Denn der Verkehr versteht diese Angabe nicht im Hinblick auf die Versorgungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen und ihre Grenzen. Die von der Werbung angesprochenen Versicherten können vielmehr ohne weiteres erkennen, daß die Beklagte den Festbetrag bei Lieferung einer verordneten Brille mit zwei Gläsern an Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse bei ihrer Kalkulation insgesamt für ausreichend hält und für die Kosten des Gestells auf Zuzahlung verzichtet, wenn der Kunde sich bei der Auswahl desselben aus dem hierfür vorgehaltenen NullTarif -Sortiment bedient. Es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht, daß die Beklagte den Eindruck erweckt hätte, nur sie könne beim Null-Tarif bleiben, weil ihr das Privileg eines höheren Festbetrages zugestanden worden sei als ihren Mitbewerbern.

III. Danach war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Bornkamm
Pokrant Raebel

(1) Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.

(2) Vorschriften zur Regelung besonderer Aspekte unlauterer geschäftlicher Handlungen gehen bei der Beurteilung, ob eine unlautere geschäftliche Handlung vorliegt, den Regelungen dieses Gesetzes vor.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 271/97 Verkündet am:
13. Januar 2000
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Null-Tarif
ZugabeVO § 1 Abs. 1;
SGB V § 33 Abs. 1 und 4 idF v. 1.1.1997
Eine Anzeigenwerbung für Brillen mit der Aussage, "K. bleibt beim Null-Tarif",
und dem Hinweis, daß die Brillenfassung bei Verordnung von zwei Brillengläsern
im Festpreis enthalten sei, ist auch nach Inkrafttreten des Beitragsentlastungsgesetzes
vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1631), durch das für die
Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen der Zuschuß für die Kosten des
Brillengestells entfallen ist, grundsätzlich weder als unzulässige Zugabe noch
als wettbewerbswidrig zu beanstanden.
BGH, Urt. v. 13. Januar 2000 - I ZR 271/97 - OLG Hamm
LG Essen
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 13. Januar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Dr. Bornkamm, Pokrant
und Raebel

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. September 1997 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte betreibt Kaufhäuser, in denen sie auch Leistungen von Optikerfachgeschäften anbietet. Sie ließ Mitte Dezember 1996 vor dem Hintergrund des Beitragsentlastungsgesetzes vom 1. November 1996, nach dem die Kostenbeteiligung der gesetzlichen Krankenkassen an Brillengestellen mit Ablauf des 31. Dezember 1996 wegfiel, bundesweit nachstehende Anzeige erscheinen :

Die Klägerin, eine Augenoptikerinnung, hat diese Werbeaussage beanstandet und die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch genommen. Sie sieht in dem Angebot einer unentgeltlichen Abgabe von Brillenfassungen an Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen eine unzulässige Zugabe zu den Gläsern und hält die angegriffene Werbung überdies unter den Gesichtspunkten des verdeckten Kopplungsangebotes, des übertriebenen Anlockens und der Irreführung für wettbewerbswidrig. Dies beruht darauf, daß die Beschränkung des kassenrechtlichen Versorgungsanspruchs zum 1. Januar 1997 auf Sehhilfen ohne die bisherige Zuzahlung für Brillengestelle nach Auffassung der Klägerin dazu führt, den Brillenerwerb durch Kassenmitglieder in ein gegenständlich vom Festpreis der Krankenkassen begrenztes Hauptgeschäft über den Erwerb und das Einschleifen der Brillengläser und ein weiteres Geschäft über den Erwerb des Brillengestells aufzuspalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

a) unter der Überschrift "K. bleibt beim Null-Tarif" wie folgt zu werben: "Für Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen ist bei Verordnung von zwei Brillengläsern eine Brillenfassung aus unserem Null-Tarif-Sortiment im Festbetrag enthalten",

b) die, wie unter a) beschrieben, beworbenen Brillenfassungen den Kunden unentgeltlich, d.h. ohne Bezahlung durch den Kunden oder einen Dritten, zu überlassen.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Berufungsgericht hat in der beanstandeten Werbung und der Abgabe der so beworbenen Brillen weder einen Verstoß gegen die Zugabeverordnung noch gegen §§ 1 und 3 UWG gesehen. Dazu hat es ausgeführt:
Die Beklagte habe - wie die Gestaltung der Bildmontage zeige - in ihrer Anzeige eine Brille als Gesamtheit beworben. Die Überschrift "K. bleibt beim Null-Tarif" verstärke diesen Eindruck, weil das Preisschlagwort sich bisher auf Brillenangebote bezogen habe. Auch in der Verkehrsauffassung der Letztverbraucher besitze allein die aus der Fassung und den Gläsern individuell zusammengefügte Einheit, die Ware Brille, Bedeutung. Hiervon ausgehend könne § 1 Abs. 1 ZugabeVO durch die Anzeige der Beklagten nicht verletzt sein, weil eine Zugabe vorausgesetzt hätte, daß der Verkehr in der beanstandeten Anzeige die Gläser als Hauptware betrachtet hätte, zu welcher die Bril-
lenfassung als eine von dieser verschiedene, zusätzliche Nebenware gewährt werde.
Da die Beklagte nicht mehrere Waren zu einem Gesamtpreis beworben habe, scheide ein Verstoß gegen § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt eines verdeckten Kopplungsangebotes gleichfalls aus. Die Werbeaussage der Beklagten , beim Null-Tarif zu bleiben, habe im Zusammenhang mit der älteren Null-Tarif-Werbung des Optikerhandwerkes Kunden auch noch nicht in übertriebener , wettbewerbswidriger Weise angelockt. Schließlich könne die angegriffene Werbung nicht als irreführend bezeichnet werden, da der Verkehr nicht über die Preisgünstigkeit des Angebotes getäuscht werde.
II. Das Berufungsurteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat zu Recht verneint, daß die Beklagte in der beanstandeten Anzeige eine Zugabe angekündigt und § 1 Abs. 1 ZugabeVO zuwidergehandelt hat.

a) Eine Zugabe liegt vor, wenn eine Leistung ohne besondere Berechnung neben einer entgeltlich angebotenen Hauptware gewährt wird, der Erwerb der Nebenleistung vom Abschluß des Geschäfts über die Hauptware abhängig ist und dabei in der Weise ein innerer Zusammenhang besteht, daß die Nebenleistung mit Rücksicht auf den Erwerb der Hauptware gewährt wird und das Angebot wegen dieser Abhängigkeit objektiv geeignet ist, den Kunden in seiner Entschließung zum Erwerb der Hauptware zu beeinflussen. Eine Zugabe kann danach immer nur eine von der Hauptware verschiedene, zusätzlich in Aussicht gestellte oder gewährte Nebenleistung sein. Werden dagegen die beiden
in Rede stehenden Waren oder Leistungen vom Verkehr als eine Einheit angesehen , ist eine Zugabe begrifflich ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHZ 139, 368, 371 f. - Handy für 0,00 DM, m.w.N.).

b) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, der Letztverbraucher verstehe die streitgegenständliche Werbung nicht dahin, daß die Gläser die Hauptware und die Brillenfassung eine von dieser verschiedene Nebenware seien. Der Letztverbraucher sehe darin vielmehr ein einheitliches Angebot. Der Senat hat in seinem Urteil vom 28. November 1996 "Brillenpreise II" (I ZR 197/94, GRUR 1997, 767, 770 = WRP 1997, 735) - in anderem rechtlichen Zusammenhang - bereits entschieden, daß die sozialversicherungsrechtliche Leistungsabgeltung bei Sehhilfen in ihrer unterschiedlichen Eintrittspflicht für Gläser einerseits, Brillenfassungen andererseits, die Verkehrsauffassung nicht prägt. Daran hat sich auch durch das Beitragsentlastungsgesetz vom 1. November 1996 nichts geändert. Schon mit dem Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) ist nach der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsseite die einheitliche Ware Brille aus Kostendämpfungsgründen in ihren Hauptbestandteilen unterschiedlich behandelt worden (anders noch § 182 Abs. 1 Nr. 1b, § 182a Satz 1c, § 182g RVO), auch mit dem Ziel, bei Brillengestellen dem Wettbewerb durch das Zuschußsystem mehr Raum zu geben. Es ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden und auch nicht ersichtlich, daß die zum 1. Januar 1997 durch die weitere Leistungsbeschränkung lediglich vertiefte sozialversicherungsrechtliche Differenzierung das Verkehrsverständnis beeinflußt (ebenso im vorliegenden Zusammenhang OLG Frankfurt WRP 1999, 951, 953). Im übrigen hat das Berufungsgericht auch zu Recht angenommen, daß insbesondere die konkrete Ausgestaltung der streitgegenständlichen Werbung dafür spricht, daß vorliegend eine
Brille als Gesamtheit beworben worden ist. Der Einholung eines demoskopischen Gutachtens durch den Tatrichter bedurfte es dazu entgegen der Ansicht der Revision nicht.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch einen Verstoß der Beklagten gegen § 1 UWG verneint.

a) Ein Verstoß gegen § 1 UWG durch ein verdecktes Kopplungsangebot scheidet schon deshalb aus, weil hier nicht - wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat - mehrere Einzelwaren zu einem Gesamtangebot verbunden werden.

b) Entgegen der Ansicht der Revision, die auch das Oberlandesgericht Hamburg in einer von ihr vorgelegten - im Verfügungsverfahren ergangenen - Entscheidung vertreten hat (WRP 1999, 374), ist die angegriffene Werbung der Beklagten auch nicht geeignet, in übertriebener, sittenwidriger Weise Kunden anzulocken.
aa) Die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgeht, ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des Leistungswettbewerbs. Ein wettbewerbswidriger Anlockeffekt kann erst durch den Einsatz zusätzlicher, unsachlicher Mittel entstehen. Kennzeichen solcher Mittel ist, daß sie nicht Preiswürdigkeit oder Qualität des Angebotes steigern, sondern Kunden von einer preis- und qualitätsbewußten Prüfung verschiedener Angebote durch werbendes Herausstellen leistungsfremder Vergünstigungen abhalten (BGH, Urt. v. 28.4.1994 - I ZR 68/92, GRUR 1994, 743, 745 = WRP 1994, 610 - Zinsgünstige Kfz-Finanzierung durch Herstellerbank; Urt. v.
25.9.1997 - I ZR 84/95, GRUR 1998, 500, 502 = WRP 1998, 388 - Skibindungsmontage ; BGHZ 139, 368, 375 - Handy für 0,00 DM).
bb) Zu Recht hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die beanstandete Werbung der Beklagten für den zuzahlungsfreien Erwerb von Brillen durch Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen mit Brillenfassungen aus einem für diesen Zweck vorgehaltenen Sortiment sich keiner zusätzlichen, unsachlichen Mittel bedient. Auch der Annahme einer leistungsfremden Vergünstigung als Lockmittel steht bereits entgegen, daß sich die angegriffene Werbeaussage ebenso wie die ältere Null-Tarif-Werbung des Augenoptikerhandwerkes auf die Lieferung von Brillen an Kassenmitglieder als einheitliches Angebot bezieht. Es ist nicht zu mißbilligen, wenn die Beklagte die bei Belieferung von Kassenmitgliedern mit ärztlich verordneten Sehhilfen gewährten Festbeträge der Kassen kalkulatorisch unterschreiten zu können glaubte und im Rahmen dieser Vergütung auch die in der sozialversicherungsrechtlichen Versorgung ausgesparten Brillengestelle zuzahlungsfrei an ihre versicherten Kunden mitliefern wollte. Die vom Oberlandesgericht Hamburg (WRP 1999, 374, 375) angenommene "Sogwirkung" der fortgesetzten Null-Tarif-Werbung vor dem geänderten sozialversicherungsrechtlichen Hintergrund mag nach allem zwar zutreffen. Es handelte sich nach den Umständen aber gleichwohl um nicht mehr als den zulässigen Ausdruck der Leistungsstärke, welche die Beklagte für sich in Anspruch nimmt und mit der sie auch werben darf.
3. Vergeblich wendet sich die Revision ferner dagegen, daß das Berufungsgericht einen Verstoß gegen § 3 UWG verneint hat.

a) Die Revision verweist zunächst darauf, daß es einen allgemeinen Null-Tarif für die Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen bei Anschaffung einer Brille auch bei der Beklagten nicht mehr gebe. Die Revision folgert daraus aber zu Unrecht, daß der Verbraucher durch das Preisschlagwort Null-Tarif über diese Einschränkung getäuscht werde. Denn eine Brille zum Null-Tarif war für die Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen stets die nur so bezeichnete Kassenbrille , also die Brille mit Wahlbestandteilen eines entsprechend begrenzten Sortiments, wenn auch früher mit einem Zuschuß der Krankenkassen für die Kosten des Brillengestells in Höhe von 20,-- DM. Die Revisionserwiderung weist insoweit zu Recht darauf hin, daß es einen echten Null-Tarif auch vor der Gesetzesnovelle nicht gab.

b) Die Werbeaussage im unteren Teil der Anzeige, eine Brillenfassung aus dem Null-Tarif-Sortiment der Beklagten sei im Festbetrag enthalten, mag, wie die Revision beanstandet, nicht in jeder Hinsicht genau sein. Eine Irreführung der Letztverbraucher droht hier dennoch nicht. Denn der Verkehr versteht diese Angabe nicht im Hinblick auf die Versorgungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen und ihre Grenzen. Die von der Werbung angesprochenen Versicherten können vielmehr ohne weiteres erkennen, daß die Beklagte den Festbetrag bei Lieferung einer verordneten Brille mit zwei Gläsern an Mitglieder der gesetzlichen Krankenkasse bei ihrer Kalkulation insgesamt für ausreichend hält und für die Kosten des Gestells auf Zuzahlung verzichtet, wenn der Kunde sich bei der Auswahl desselben aus dem hierfür vorgehaltenen NullTarif -Sortiment bedient. Es ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht, daß die Beklagte den Eindruck erweckt hätte, nur sie könne beim Null-Tarif bleiben, weil ihr das Privileg eines höheren Festbetrages zugestanden worden sei als ihren Mitbewerbern.

III. Danach war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Bornkamm
Pokrant Raebel

(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.

(2) Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.

(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.

(4) Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)